• Nie Znaleziono Wyników

Zeitschrift für Kirchengeschichte, 1879, Bd. 3, H. 4.

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2021

Share "Zeitschrift für Kirchengeschichte, 1879, Bd. 3, H. 4."

Copied!
158
0
0

Pełen tekst

(1)

J

ZEITSCHRIFT

FÜR

KIRCHENGESCHICHTE.

IN VEKT’.INDUNG MIT

I>.

W. GASS,

D.

H. REÜTEK

rau D.

A. EITSOHL

HERAUSGEG EBEN VON

D. THEODOR BRIEGER,

ORDENTLICHER TROFESSOR DER KIRCHENQESCH1CHTE AN DER UNIVERSITÄT MARBURG.

III, Band, 4. Heft.

ERTIIES.

r

er 1879.

(2)

Aus dem Prospect vom November 1875.

„Die Zeitschrift für Kirchengeschichte w ill in erster Linie der streng wissenschaftlichen, methodischen Forschung dienen.

Aus diesem Grunde werden Untersuchungen den grössten Teil des Eaumes in Anspruch nehmen. Ausserdem aber soll die Zeit­

schrift noch liefern:

1) Essays.’

2) Kritische U ebersichten über die Leisturigen auf den verschiedenen kirchengeschichtlichen Gebieten, dazu be­

stimmt, periodisch don Fortschritt der Wissenschaft wie auch die Lücken der Forschung aufzuzeigen und zugleich regelmässige Recensionen einzelner Bücher entbehrlich zu machen.

3) A nalek ten: kürzere Mitteilungen über neue handschrift­

liche und monumentale Funde; bisher ungedruckte Quellen­

stücke von mässigem Umfange; statistische Nachrichten und dergleichen.

Mit ganz besonderer Sorgfalt wird sich die Zeitschrift ange­

legen sein lassen, einen lebendigen Austausch mit der allgemeinen Geschichtswissenschaft zu vermitteln. Denn so unzweifelhaft die Kirchen-Geschichte berufen und befähigt ist, der politischen nicht unwesentliche Dienste zu leisten, so gewiss muss sie fort und fort die ungemein dankenswerten Anregungen, welche seit etwa zwei Menschenaltern ihr von letzterer dargeboten werden, sich zu Nutze machen. Dass grade dieser Teil des Programms verwirk­

licht werden wird, steht um so zuversichtlicher zu hoffen, als neben den hervorragendsten Fachmännern von theologischer Bil­

dung auch eine grössere Anzahl der berufensten Vertreter der politischen Geschichte ihre Mitwirkung zugesagt hat.

(Forts, a u f S. 3 d. Um sclil.

(3)

Papst Urban VI.

Von

Theodor Lindner

in Münster.

(Schluss.) I I .

W as sich voraussehen liess, geschah; K arl empfing seinen Oberlehnsherm mit heuchlerischer E hrfurcht in Aversa und liess ihn noch in derselben Nacht als Gefangenen auf das Schloss führen. W as da die beiden mit einander verhandelt haben, ist unbekannt geblieben, aber U rban w ird der Gewalt nachgebend zum Schein seine Forderungen er- mässigt haben. Von K arl nach Neapel geleitet, genoss er d ort zw ar persönliche Freiheit, aber von M istrauen bew acht und umgeben. Die F reveltat seines Neffen, der eine Nonne vornehmen Standes geraubt und entehrt hatte und deswegen dem richterlichen Spruche anheimgefallen w ar, erschwerte seine Lage noch m ehr, und er musste zufrieden sein, als unter diesen Umständen K arl sich herbeiliess, F ranz wenigstens das Schloss Nocera zu überliefern. Dorthin begab sich der P ap st, während K arl gegen Ludw ig aufs neue zu Felde zog. E r hatte nicht mehr nötig, grosse kriegerische A n­

strengungen zu machen, denn die N atur verrichtete für ihn die Mordarbeit. Ende September 1384 starb Ludwig selbst, ein grösser Teil seines Heeres folgte ihm ins G rab nach.

Eine neue Hülfsschar von 1 2 0 0 0 M ann, welche bis nach Florenz vorgedrungen w ar, kehrte auf die Nachricht von seinem Tod um. Jetzt w ar K arl der unbestrittene H err des Königreiches, jetzt mochte der P apst sehen, wie er seinen W illen durchsetzte.

Zeitschr. f.

K.-G. III, 4.

3 6

(4)

Einen klaren P lan kann U rban unmöglich gehabt haben, als er sich nach Nocera zurückzog; er wollte nur um keinen Preis vom Boden des Königreiches weichen, aber doch nicht in Neapel bleiben, wo er jederzeit in den H änden des Königs und dessen nicht m inder gew alttätiger Gemahlin M argaretha war. W as unterdessen aus der Kirche wurde, das küm m erte ihn nicht. Mehr Sinn für diese hatte seine Umgebung, vor allen die ihn widerwillig begleitenden Cardinäle, welchen alle Anm ut der Gegend für die in dem unsicheren L ande täglich drohenden Gefahren, für die hereinbrechende Not, für die V erbannung von der übrigen W elt keinen E r ­ satz geben konnte. W as W u n d er, wenn sie unzufrieden wurden, wenn sie Massregeln erwogen, wie man den starren Sinn des Papstes beugen könne, wenn sie selbst an die in der Geschichte des Papsttum s unerhörte A uskunft dachten, ihren H erren unter Curatel zu stellen. Die U n­

glücklichen! Ihre geheimen Verbindungen mit Neapel wurden verraten und mit unerhörter H ärte bestraft. D er vor W u t schäumende P apst beschuldigte sie des A n­

schlages gegen sein L eb e n ; sechs von ihnen und den Bischof von Aquila liess er in eine Cisterne werfen und grässlich foltern, um sie zum Geständnisse zu zwingen. E r überlegte nicht, wie leicht das Jam m ergeschrei der Ge­

quälten über die M auern des einsamen Schlosses hinaus in die W elt dringen konnte.

Nachdem König K arl siegreich in seine H auptstadt zurückgekehrt war, nahm U rban’s Lage bald eine schlimmere W endung. D er P apst weigerte sich, nach Neapel zu kommen, der König, dessen Forderungen zu erfüllen. U rban schritt nun zum letzten M ittel, er sprach feierlich über K arl und dessen Gemahlin den grossen Kirchenfluch aus und erklärte sie der Krone für verlustig. In U rban’s Lage w ar das nicht viel m ehr als eine Posse, aber seine leidenschaftlich erregte Phantasie spiegelte ihm vor, der neapolitanische Adel warte n u r au f ihn, um den König zu verjagen. Bald genug empfand e r, wie die ihm als P apst anhängende W elt über seine Persönlichkeit dachte. Um seinen A nhang zu mehren, ernannte er Anfang 1385 ein grosse Anzahl von Cardinälen,

(5)

PAPST URBAN VI. 5 2 7

darunter viele deutsche Bischöfe: sie dankten einstimmig für die Ehre.

.Karl blieb auf jene Herausforderung die A ntw ort nicht schuldig; er musste den P apst entweder zwingen, das L an d zu verlassen, oder ihn in seine Gewalt bringen. Auch Leo IX . und Innocenz II. waren in Unteritalien an der Spitze von Heeren kriegführend in die Gefangenschaft ihrer Gegner geraten; wäre U rban ein gleiches Los beschieden w orden, er w ürde gewiss nicht so leichten Kaufes davon­

gekommen sein wie diese. Die Geschütze arbeiteten gegen die W älle Nocera’s, bald fiel die untere Stadt, und zu U rban’s Schmerze geriet sein Neffe in die Gefangenschaft der Feinde.

Am 1 0. Mai 1385 wurde in dem Belagerungsheere unter Trom petenklang verkündet, wer den P apst todt oder lebendig einliefere, erhalte 10,000 Goldgulden, wer ihm dagegen zur F lucht verhelfe, verfalle der Strafe der Rebellion und des Landesverrates. Solch klingendem Angebote konnte U rban ein gleiches nicht entgegenstellen, die Bannflüche, welche er vom F enster seiner B urg herab, F ackel und Glocke in den H änden, au f das königliche H eer herab schleuderte, ver­

mochten n ur den Spott der Feinde zu erregen.

W ie tief w ar er gesunken, wie stach gegen dieses sinn­

lose W üten, gegen diese sich verzehrende Ohnmacht, gegen diese in Elend und Verzweiflung versunkene Curie die vornehme Eleganz des avignonesischen Hofes a b , dessen ge­

schickte, nimmer rastende, alle L änder der Christenheit umspannende Politik. Jetzt w ar jede Aussicht verschwun­

den, dags das römische Papsttum sich neue Anhänger erwarb, dass es dem Rivalen allmählich den Boden entzog: jetzt erst w ar das Schisma endgültig geworden. Selbst in den bis dahin getreuen Kreisen wurde die frühere Zuversicht er­

schüttert, denn wer hätte erw arten können, dass es diesem Papste gelingen w ürde, allgemein durchzudringen, wenn auch sein ursprüngliches Recht sich noch als das zweifel­

loseste erweisen liess. Mit Notwendigkeit musste der Ge­

danke, dass n ur die Christenheit selbst durch ihre berufenen V ertreter die streitige F rag e entscheiden, der Kirche ihre Einheit wiedergeben könne, neu au f leben und an K raft

36*

(6)

gewinnen. Die Concilsidee, welche dem bisherigen Stande des Papsttum s so gefährlich w ar, erhielt durch U rb an ’s Verhalten ihre feste B egründung; in diesen T agen, als Be­

lagerter in der B urg von Nocera, hat er wider Wissen und W illen den grossen Umschwung des kirchlichen Lebens, welchen das folgende Jahrhund ert brachte, vorbereitet und unvermeidlich gemacht.

Endlich musste U rban, um das Aeusserste zu vermeiden, da es seinen Leuten an Lebensmitteln fehlte, die F lucht ergreifen. Am 7. Ju li eilte er mit jäh er H ast in der Rich­

tung nach Salerno davon, die gefangenen Cardinäle gefesselt mit sich schleppend. Als der Bischof von A quila, der mit zu den Angeschuldigten gehörte, erschöpft von den F olter­

qualen und den M ishandlungen, nicht schnell genug fort­

konnte, wurde er auf U rban’s Geheiss todtgeschlagen; die Leiche blieb am W ege liegen *).

Kaum den H änden K arl’s entronnen, wäre U rban beinahe in eine noch schlimmere Lage gekommen. E in Teil der Söldner wollte aus F u rc h t, dass ihre Forderungen nicht befriedigt würden, ihn fangen und nach Avignon ausliefern.

N ur die Treue der deutschen und italischen Söldner rettete ih n ; die Meuterer w urden durch grosse Summen — an Stelle von gemünztem Gelde wurden goldene und silberne Gefasse in Stücke geschlagen — beschwichtigt. Mit kriege­

rischer Begleitung unter unsäglich harten Entbehrungen und Leiden irrte der P apst eine Zeit lang ruhelos und unstät umher, bis er sich endlich der Küste des Adriatischen Meeres zu wandte, wohin von Genua gesandte Galeeren abgegangen w aren, da auf der W estseite K arl die Einschiffung leicht verhindern konnte. Aber als der P apst zu der verabredeten Stelle an der K üste in der Nähe von Minerbino kam , w ar von den Galeeren weit und breit nichts zu erspähen. In steter Angst, von den Anhängern des Königs noch im letzten

!) Dietrich von Niem, lib. I, cap. 56. Nach U ghelli I, 389 war der Unglückliche B ischof Stephan, welcher von Urban, weil er zum Gegenpapste abgefallen war, schon 1381 gefangen genommen wurde.

Doch kann es auch dessen Nachfolger Clemens gewesen sein, da diesem 1386 Bischof Oddo folgte.

(7)

PAPST URBAN VI. 5 2 9

Augenblicke ergriffen zu w erden, zogen die Flüchtlinge nordw ärts auf T rani zu, sehnsuchtsvoll die Blicke au f das Meer gerichtet. D a endlich tauchten die dreieckigen Segel in der F erne auf. Ohne W eg und Steg durch Felder und W einberge, mit hastig abgerissenen T rauben die erschöpften K räfte erfrischend, eilte alles dem Gestade zu. U nter Trompeten- und Pfeifenklang bestieg U rban die Galeere, seit langer Zeit wieder die üblichen Ehrenbezeugungen als P apst entgegennehmend J). So endete U rban’s neapolitanische E x ­ pedition; aber die guten L ehren, welche er aus ihr hätte ziehen können, waren für ihn verloren. Noch immer blieb sein ganzes Trachten und Dichten auf die E rw erbung des reichen Landes gerichtet, obenan stand der D urst nach Rache an seinen Feinden.

Die F a h rt ging nun um das Festland herum. In Messina wurde zuerst eine längere E ast gem acht, welche der P apst benutzte, um seine Prozesse gegen K arl öffentlich zu verkünden. Endlich w urde am 23. September in Genua gelandet.

D er Doge Antoniotto selbst hatte U rban aufgefordert, hier sein Asyl aufzuschlagen. Einm al versprach der Aufent­

halt der C urie, der dadurch bew irkte Zusammenfluss zahl­

reicher Frem den der Stadt eine ergiebige Einnahmequelle zu eröffnen. Doch bewegte den Dogen zugleich die ehrgeizige Hoffnung, durch seine Vermittelung der Kirche F rieden und E intracht wiedergeben zu können. E r wandte sich deshalb an den deutschen König und die F ürsten E uropa’s und b at sie um Vollmachten. Dass er sie nicht erhielt, mochte ihn verdriessen, aber w ar natürlich genug 2). Die Hoffnungen, welche er trotzdem noch hegen mochte, mussten vollends schwinden, als er den C harakter U rban’s persönlich näher kennen lernte.

W ährend des Aufenthaltes in Nocera hatte das kirch­

liche Regiment geruht. N ur einzelne Bullen, welche au f die

1) D ie Einzelheiten der Flucht hat namentlich Grobelinus Persona anziehend geschildert.

2) Muratori, Scr. rer. Ital. X V II, 1127.

(8)

LINDNER,

augenblickliche Lage Beziehung hatten , waren aus der päpstlichen Kanzlei hervorgegangen. Die eine bestimmte, dass jeder Christ zehn Tagereisen in der Runde einem belagerten oder gefangenen Papste zu Hülfe kommen müsse, eine andere, dass ein Geistlicher, der im K am pf für den P apst gegen König K arl einen Menschen tödte, nicht n ur kirchlich straf­

los sei, sondern sich der Kreuzzugsindulgenz erfreuen solle x).

Jetzt unter den ruhigeren Verhältnissen in Genua wurden die Geschäfte wieder aufgenommen und in der gewöhnlichen W eise weitergeführt.

Zum E rsatz für die noch im Gefängnisse schmachten­

den Cardinäle w urden in Genua neue promulgirt. Ausser­

dem waren noch andere Lücken im heiligen Collegium vorhanden. U rban w ar, wie wir sahen, genötigt gewesen, durchgängig neue Cardinäle zu ernennen, da ihn die alten Mann für M ann verlassen hatten. Um so bedenklicher w ar es, dass auch unter denen, welche ihm ihr Emporkommen verdankten, der Abfall einriss. Schon im Jah re 1381 w ar G uter Gomez, welchem die Aufgabe zufiel, Castilien für U rban zu gewinnen, ebenso wie der König des Landes selbst überzeugt durch die Gegengründe des clementistischen Legaten, zum anderen Papste ü b erg etreten 2). Jene sechs Cardinäle hielt wenigstens U rban der A bsicht, ihn verraten zu. wollen, überwiesen. In Neapel waren trotz der Befehle U rb a n ’s, als er nach Nocera ging, einige Cardinäle zurück­

geblieben, mit denen K arl sich ins Einvernehm en zu setzen suchte, um sie möglicherweise zu einer Neuwahl zu veran­

lassen. Vielleicht w'aren dazu auch die zwei clementistischen Cardinäle, welche K arl bei seinem Einzuge in Neapel ange­

troffen und in Gewahrsam genommen hatte, zu gebrauchen 3).

W äre es nach K arl gegangen, so hätte die W elt schon jetzt drei Päpste gleichzeitig nebeneinander gesehen 4). So weit kam es nun nicht, aber das Betragen U rban’s , sein wider­

x) Gobelin a. a. 0 . 304.

2) V ita Clementis V II, bei Baluzii Vitse pap. Avenion. I, 502.

3) a. a. 0 .

4) Dietrich von Niem, lib. I, c. 55.

(9)

PAPST URBAN VI. 5 3 1

sinniges Verweilen in Nocera, endlich seine H ärte gegen die Gefangenen musste die in Neapel weilenden Cardinäle tief erregen. Sie erhielten einen F ü h rer in jenem Pileus, der sich in Deutschland und E ngland so grosse Verdienste um die römische P artei erworben hatte. E r w ar mit U rban nach Neapel gezogen und hatte dort die Verwaltung Corneto’s übertragen erhalten 1). Ohne sich um U rban’s Bannfluch zu küm m ern, eilte er, als Nocera belagert w urde, nach Neapel und bot dem Könige, der ihn ehrenvoll aufnahm, seine Vermittelung an. Mit stattlicher Begleitung erschien er dann vor Nocera, aber mit dem C harakter seines H errn wohl bekann t, verlangte e r, ehe er in das Castell eintrat, vom Papste Geiseln für seine sichere R ückkehr. Als U rban die F orderung zurückwies, ging Pileus fort, ohne ihn gesehen zu haben 2). In Neapel besprach er sich m it den anderen Cardinälen und den anwesenden Geistlichen, und sie kam en überein, dass U rban fällen zu lassen sei. In einem beredten Manifeste taten fünf Cardinäle, Pileus an der Spitze, dem römischen Klerus und den F ürsten der Christenheit ihren Entschluss kund 3). Z w ar erklärten sie noch immer U rban als den rechtmässig erwählten P ap st, aber sie sagten sich von ihm los, „w eil er einem 'Wahnsinnigen und W ütenden gleich, durchaus unverbesserlich und in seinem Glauben

Ö /

verdächtig sei“. E r habe das Schisma heraufbeschworen, nichts zur Reform der Kirche und ihrer W iedereinigung getan, die Ratschläge der Cardinäle verachtet. Gegen ihren Einspruch sei er nach Neapel, dann nach Nocera ge­

zogen, er habe Frevel auf F revel gehäuft und endlich die

1) Gobelin a. a. 0 . 303. In Corneto erteilte er. noch am 5. December 1384 in Urban’s Namen Lehen, Osio 240.

2) Gobelin a. a. 0.

3) Baluzii Vitae pap. Avenion. 11, 983. Es ist erlassen in Neapel gleich nach der Flucht Urban’s von Nocera. Denn auf diese bezieht aich der Vorwurf, er habe Schismatiker zu sich berufen, ihnen die Schätze der Kirche überliefert und sich endlich selbst ihren Händen anvertraut. D ie Flucht Urban’s wurde ermöglicht durch Thomas von San Severino und andere Herren, welche zur anjovinischen Partei gehörten.

(10)

sechs C ardinäle, weil sie ihm ins Gewissen redeten, in un­

erhörter Weise gefangen gesetzt und gefoltert. Sie selbst würden bald nach Rom kommen und dort im Einverständ­

nisse mit der übrigen Christenheit für das Zustandekommen eines Concils arbeiten.

Gleichwohl ist Pileus noch einmal nach Genua zu U rban gekom m en1); aber als seine erneuten Vorstellungen vergeb­

lich blieben, entfloh er von der Curie. Sein Entschluss w ar gefasst. Jenes beabsichtigte Concil konnte nicht zu Stande kom m en, Pileus aber mochte den Glanz des Cardinalates, das er ohnehin zu seinem Vorteile in Deutschland und E n g ­ land trefflich a'uszunützen verstanden hatte, nicht auf die D auer entbehren. Nachdem er U rban zum Hohne in P avia den von ihm empfangenen Cardinaishut öffentlich verbrannt, ging er nach Avignon, wo er mit offenen Arm en empfangen wurde. Ihn begleitete ein zweiter Cardinal Galeozzo de Petram ala 2). Natürlich w ar er nun eifrig bem üht, gegen U rban zu agitiren. Sein Schritt erregte gewaltiges Auf­

sehen, ohne jedoch U rban viel zu schaden, hauptsächlich deswegen, weil der Cardinal in den L än d e rn , wo er als L egat tätig gewesen war, einen schlechten R uf hinterlassen hatte und die U nlauterkeit seines Uebertrittes zu offenbar war. Uebrigens tra t er zum A erger der Avignonesen nach U rban ’s Tode wieder zu Bonifacius IX . über. N atürlich büsste damit der „M ann mit den drei H ü te n ", wie ihn die Spötter bezeichneten, die öffentliche A chtung völlig ein.

U eber ein J a h r blieb U rban in Genua. D er Aufent­

halt bot wenig Annehmlichkeit; wenn er auch vor äusserer Not geschützt w a r, beklagte er sich doch über den Mangel an E hrfurcht von Seiten der Bevölkerung und Magistrate.

Auch der Doge musste bald erkennen, wie wenig er seine guten Absichten erreichen könne; er selbst soll den P apst

!) Dietrich v. Niem I, cap. 61; Gobelinus 309.

2) Dessen Name befindet sieb noch nicht unter dem oben er­

wähnten Manifeste. D ie anderen vier, welche es unterschrieben, sind nicht zu Clemens abgefallen; über ihr ferneres Schicksal vermag ich keine Auskunft zu geben. D ie beiden abgefallenen werden am 15. Juli 1386 in Prag als Ketzer erklärt; vgl. meine Geschichte I, 255.

(11)

PAPST URBAN VI. 5 3 3

endlich aufgefordert h aben, sich einen anderen Aufenthalt zu suchen. Das allgemeine Mitleid galt den gefangenen Cardinälen, von denen einer selbst aus Genua stammte, aber U rban wies hartnäckig alle Bitten zurück, und Versuche, die­

selben mit Gewalt zu befreien, machten ihn n u r noch strenger in der Bewachung. Endlich liess er sie, bis auf einen, den er aus Rücksicht auf den englischen König freigab, im Ge­

fängnis ermorden und die Leichen verscharren.

Die schauderhafte T at blieb natürlich nicht verborgen, wenn auch über die Ausführung derselben verschiedene Ge­

rüchte gingen, und erregte allgemeinen Abscheu. E s ist für uns unbegreiflich, dass U rban trotzdem ruhig P apst bleiben konnte, dass ihm nicht die Obedienz aufgesagt wurde. A ber in jenem Jahrhundert, welches so manchen Königsmord und blutigen Aufstand erlebte, welches zahlreiche Scheiterhaufen für K etzer und Juden entflammte, welches die Pest Millionen hinraffen sah, kam es schliesslich au f ein P a a r Menschen­

leben, wenn es auch Cardinäle w aren, nicht so genau an.

Ausserdem w ar das Ansehen des Papsttum s noch so fest begründet, dass die kirchliche W ürde die schwersten V er­

schuldungen ihres Trägers deckte. W er wollte den P apst richten ?

Am Morgen nach der M ordnacht, im Decem ber 1386, segelte U rban von Genua ab und begab sich nach Lucca.

Ihn bestimmte der W unsch, Unteritalien näher zu sein.

W enige Monate nachdem U rban die rettenden Segel Genua’»

gefunden hatte, bestieg an derselben Stelle der Küste, in Barletta, König K arl von Neapel die Schiffe, welche ihn und sein H eer zur E roberung eines zweiten Königreiches tragen sollten. Eine starke P artei in U ngarn, welche weder von M aria noch von Sigmund noch von einem ändern Ge- mahle der Erbprinzessin beherrscht sein wollte, rief K arl als nächstberechtigten männlichen Erben. Ohne Schwert­

streich nahm er das L and in Besitz, zu dessen König er am letzten Tage des Jahres gekrönt wurde. Dem leicht er­

rungenen Trium phe folgte eine entsetzliche W endung; wenige W ochen später am 24. F eb ru ar 1386 wurde die entselte Leiche des Trägers zweier Königskronen auf einen Mist­

(12)

häufen im Hofe der ungarischen Königsburg W issegrad ge­

worfen ; er w ar den Mordversuchen der ungarischen Königs­

m utter erlegen.

Seiner Gemahlin, welche an demselben Tage, an welchem Neapel die ungarische Königskrönung mit glänzender Illu ­ mination feierte, die Nachricht vom Sturze ihres Gatten erhielt, blieb n u r der T rost, dass sie fast mit Gewalt ihr Söhnchen, den jungen Ladislaus, bei sich zurückgehalten h atte, als ihn der V ater nach U ngarn mitnehmen wollte.

Sie selbst, eine F ra u von männlichem Geiste, welche schon w ährend der Kriegszeit gegen Ludw ig und dann während der U ngarnfahrt das L and verwaltet, w ar wegen der schweren Steuern mannigfacher A rt, welche sie ausschrieb, allgemein verhasst. Ohnehin liess der unruhige treulose Sinn der nea­

politanischen Grossen erwarten, dass sie den augenblicklichen Z ustand zu ihrem Vorteile ausbeuten w ürden; ähnliche Ge­

lüste nach Selbständigkeit regten sich in der Hauptstadt.

Zugleich erhob die anjovinische P artei unter der F ührun g des mächtigen Thomas von San Severino aufs neue ihr Haupt. Sie proclam irte den jungen Ludwig, den Sohn L u d ­ wigs von Anjou, als künftigen König.

Diese Z errüttung des unglücklichen L andes, in dem jede A utorität geschwunden w ar und der Bürgerkrieg wieder seine vernichtende Brandfackel schwang, w ar dem Papste ganz erwünscht. In dem W iderstreite der Parteien hoffte er doch noch das langersehnte Ziel zu erreichen, das König­

reich für sich und seinen Neffen zu gewinnen. Dieser w ar ihm zu seiner F reude wiedergegeben. Die Königin M arga­

retha hatte ihn aus der Gefangenschaft entlassen, um den harten Sinn U rban ’s für sich z u gewinnen. A ber vergebens flehte sie ihn an, ihre und des Ladislaus Sache zu vertreten, den Bann aufzuheben, der au f ihnen ruhte, vergebens machte sie die grössten Anerbietungen. Gleich erfolglos blieb die Verwendung, welche Florenz und andere italische Communen für Ladislaus übernahmen. U rban rechnete noch immer auf den Beistand einzelner Grossen und der Bevölkerung von Neapel. Aus dieser Stadt flohen zahlreiche F rauen edelen Standes, namentlich die Anverwandten von Cardinälen,

(13)

PAPST URBAN VI. 5 3 5

vor den drohenden Kriegsgefahren zu U rban nach Lucca, wo sie zu der düsteren und freudeleeren Curie einen sonder­

baren Gegensatz bilden mochten 1).

D adurch kam er aufs neue in eine ungünstige Situation.

W enn auch Clemens in Avignon ein nicht m inder grosses Gewicht darauf legte, dem jungen Ludw ig die Krone von Neapel zu verschaffen und alle Mittel dazu in Bewegung setzte, so tat er das in der alten vom erhabenen Throne herab gebietenden Weise der P äpste, die W ürde seiner Stellung w ahrend, ohne selbst die eigene Person aufs Spiel zu setzen. D as w ar etwas ganz anderes, als an der Spitze von Soldbanden einherzuziehen, um persönliche Rache zu üben, um einen Neffen, den die W elt verachtete, zu bereichern.

W enn auch über das Recht Ludw ig’s gestritten werden konnte, immerhin liess es sich noch eher rechtfertigen, wenn er als König des Lehnreiches eingesetzt w urde, als dass dieses, wie U rban wollte, vom Lehnsoberherrn eingezogen wurde.

U nter diesen Um ständen hielt Clemens den Zeitpunkt für gekom men, selbst den P lan eines Concils aufzugreifen, der schon so oft angeregt worden war. E r wusste genau, dass U rban entschieden dagegen sein w ürde; um so besser, wenn m an den guten Schein erw eckte, ohne irgend ernste Folgen fürchten zu müssen. E r erklärte sich nicht n ur bereit, sich dem Concil zu unterwerfen, sondern auch U rban, wenn dieser verworfen würde, die Stelle eines Cardinais zu belassen, w ährend er für sich dieses Vorrecht nicht bean­

spruchte.

Zuerst wurden Verhandlungen mit dem deutschen Könige angeknüpft. E s mochte in F rankreich nicht unbekannt sein, wie ungünstig im Reiche die Stimmung für U rban geworden war. Schrieb doch damals an diesen selbst der Erzbischof von P ra g : „ I h r wisst gar nicht, wieviel Gegner Ih r hier in P ra g und in vielen Gegenden Deutschlands habt. Selbst manche von denen, die Ih r befördert habt, sind schwankend

J) Dietrich von Niem, lib. I. cap. 64; Giornali Napolitani bei Muvatori X X I, 1053 ff.; Sozomenus Pistor. bei Muratori X V I, 1129 if.

(14)

und unzuverlässig, darunter Erzbischöfe, Bischöfe, Doctoren und M agister“ 1).

Die Könige von F rankreich und Castilien übernahm en es bei den deutschen F ürsten anzuklopfen, und nicht ohne Erfolg. Die K urfürsten — wir wissen allerdings nicht, ob alle, oder auch n ur welche von ihnen — forderten den König auf, nach W ürzburg zu komm en, um dort über das Concil zu b e ra te n 2). In der T at erschien dort der König um die Mitte März 1387, doch haben w ir leider keine K unde von den B eratungen, welche über die Kirchenfrage gepflogen wurden. Vermutlich w urde beschlossen, an beide P äpste Gesandtschaften zu schicken. D enn in L ucca er­

schienen vor U rban Boten der F ürsten — des Königs w ird dabei nicht ausdrücklich gedacht — , um ihn zur Einigung m it Clemens zu bestimmen, aber schroff lehnte er ihre Vorschläge a b , jeden Zweifel an der Rechtmässigkeit seiner W ürde zurü ck w eisen d 3). Alsbald schickte er eine Gesandtschaft an W enzel, um ihn wiederholt zur Rom fahrt aufzufordern und zu erm ahnen, dass er den Schismatikern kein Gehör gebe 4) ; später erschien der vornehmste aller Cardinäle, der aus königlichem Blute von F rankreich stammende Philipp G raf von A le n ^ n , P atriarch von Aquileja, im Reiche, in dem er lange verw eilte, U rban’s A utorität allenthalben be­

festigend. U nd dam it alle W elt wisse, wie er über den Vergleich mit Clemens denke, erliess er am 29. A ugust nochmals eine überschwängliche Kreuzzugsbulle gegen den­

selben.

Auch nach Avignon ging eine deutsche Gesandtschaft, geführt von Piligrim, dem Erzbischöfe von Salzburg 6), aber

!) Codex epistolaris des Erzbischofs von Prag Job. v. Jenzen- 6tein, hersg. von Loserth im Archiv für Österreich. Gesch., B. L Y , S. 97.

2) V gl. den oben angeführten Brief. Derselbe ist Ende Februar 1387 geschrieben, da B ischof Peter v. Olmütz, dessen Tod als „novissim e“

erfolgt erwähnt wird, am 13. Februar 1387 starb.

3) D ietrich von Niem I, cap. 56.

4) Gemeiner, Regensburger Chronik II, 233.

5) Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, 1872, S. 242.

(15)

PAPST URBAN VI. 5 3 7

was sie auch verhandelt haben m ag, gegenüber der be­

stimmten W eigerung U rb an’s w ar ein günstiges Ergebnis nicht möglich. Clemens konnte indessen zufrieden se in ; ihm fiel der billig erreichte Ruhm zu, zuerst die H and zur Nach­

giebigkeit geboten zu haben. Deshalb fuhr er au f dem ein­

geschlagenen W ege noch eine Zeit lang fort. Die Stadt Florenz, wie w ir wissen, eifrig bem üht in Neapel Ruhe zu stiften, w ar auf den Gedanken gekom m en, das Ziel durch Verm ittelung einer Ehe zwischen dem jungen Ludwig von Anjou und Johanna, der Tochter M argaretha’s, zu erreichen.

Ih re Gesandten, welche deswegen nach F rankreich gingen, besuchten auch Avignon und wurden dort ehrenvoll em­

pfangen. D araufhin erschienen in Florenz immer neue Bot­

schaften des französischen Königs und Papstes m it A ner­

bietungen in der kirchlichen F ra g e , unter ihnen zu U rban’s höchster E ntrüstung auch jen er abtrünnige Pileus x). Doch hielt Florenz, obgleich es ihnen Z utritt gew ährte, an dem einmal anerkannten Papste fest, selbst als das frühere gute Verhältnis zu demselben sich aus politischen Gründen m ehr und mehr lockerte.

W ir können über den Rest von U rban’s Leben schnell hinweggehen., Von Lucca zog er im September 1387 nach P eru g ia, das ihn selbst herbeigerufen hatte. E r sah sich jetzt genötigt, dem K irchenstaate, den er so lange ausser A cht gelassen, seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Dieser sich entspinnende kleine K rieg, damit zusammenhängende Händel m it den Florentinern nahmen ihn w ährend des Aufenthaltes in Lucca und Perugia ganz in Anspruch. Zum G lück wurde der gefährlichste Gegner F ranz von Vico in einem Volksaufstande in Stücke gerissen, „dass man davon hätte W urst machen können und somit das von ihm bis­

h er mit H ärte beherrschte Viterbo der Kirche wieder ge­

wonnen. D arüber gestalteten sich jedoch die neapolitanischen Dinge viel ungünstiger. M argaretha hatte es geschehen lassen m üssen, dass sich in Neapel eine selbständige Volks­

behörde von Acht-M ännern bildete. Diese beanspruchten die

!) Sozomenus bei Muratori X V I, 1131 ff.

(16)

Regierung für Ladislaus zu führen, indem sie zugleich U rban als Oberlehnsherrn anerkannten und m it dessen Namen ihr Ansehen zu erhöhen suchten; sie sollen ihn sogar aufge­

fordert haben, nach Neapel zu kommen.

Zw ar erkannte U rban Ladislaus nicht a n , aber dessen Partei, im Gegensatz zu der m ehr und m ehr um sich grei­

fenden anjovinischen, gab unbeküm m ert um seinen W ider­

spruch die Parole: „K önig Ladislaus und P ap st U rb a n “.

Ih r F ü h rer w ar Raim und Orsini, G raf von Nola, der damals mächtig um sich griff. Dagegen beuteten die A nhänger Ludw ig’s die feindselige H altung U rban’s gegen Ladislaus aus und suchten den Schein zu erwecken, als ob dieser für ihren Prätendenten sei. Sie hatten einen fähigen und klugen F ü h rer erhalten in Herzog Otto von Braunschweig, der m it Vollmachten der Maria, der M utter Ludw ig’s, und des Papstes Clemens E nde 1386 von Avignon nach Unteritalien ge­

kommen war. In ähnlicher Weise, wie in der Stadt Neapel, w urde für das Reich eine provisorische Regierung errichtet.

Endlich glückte es O tto, im Juli 1387 Neapel selbst zu besetzen; Raim und Orsini musste sich zurückziehen, und M argaretha flüchtete nach Gaeta. Ihre vereinten Bemühungen, welche der Cardinal von N eapel, der spätere P apst Boni- facius IX ., durch seine Gegenwart unterstützte, die Stadt wieder zu erobern, waren ebenso erfolglos, wie U rban’s Bannfluch und Kreuzpredigt gegen Otto. E rst ein J a h r später fühlte er sich im Stande, einen neuen Kriegszug gegen Neapel zu unternehmen. Am 2. August 1388 brach er mit italischen und englischen Söldnern von P erugia auf, aber bei N arni ging der grösste Teil der letzteren zu rü ck, durch florentinisches Gold gelockt. Dessenungeachtet wollte er weiter, aber schwer beschädigt durch den Sturz seines Maul­

tieres, musste er nach Tivoli zurückkehren. Noch einmal trieb ihn seine leidenschaftliche N atur vorw ärts; in einer Sänfte liess er sich nach Ferentino tragen, aber endlich musste er sich der Einsicht beugen, dass seine Mittel unge­

nügend waren. Schon in Tivoli waren Gesandte der Röm er zu ihm gekommen, um ihn zur R ückkehr in ihre Stadt auf­

zufordern, noch hatte er sie barsch zurückgewiesen. Je tz t

(17)

PAPST URBAN VI. 5 3 9

erst entschloss er sich, die S tadt, die er vor m ehr als fünf Jahren mit grossen Plänen verlassen h atte, wieder zu betreten. Getäuscht in seinen Hoffnungen, entblösst von G eld, erschöpften und kranken Körpers kam e r, mehr der Notwendigkeit gehorchend als aus freiem Willen. Die Römer hofften, dass nun mit dem Papste ein reicher Strom Goldes aus der Christenheit in ihre heruntergekommene und ver­

armte Stadt fliessen w ürde; aber den unbotmässigen Trotz, den die avignonesische Zeit hervorgerufen und den nachher die n ur kurze Anwesenheit der Päpste nicht hatte bändigen können, Hessen sie nicht fahren. Als U rban aus eigener Machtvollkommenheit einen misliebigen Senator ernannte, stürmte das Volk den Vatican. Auch jetzt zeigte U rban die alte Energie, und bei den Römern w irkte sein Bannfluch, weil er zugleich ihre materiellen Interessen traf; die E m ­ pörten suchten in dem ütiger W eise die Absolution. D enn U rban hatte das beste Mittel ausgesonnen, um das eigene Geldbedürfnis wie das der Römer zu befriedigen: das J u b i­

läum sollte, statt 1400, schon im nächsten Jah re 1390 und in Zukunft alle 33 Jah re gefeiert werden.

E s w ar ihm nicht mehr beschieden, die F rüchte dieses Schrittes zu e rn te n ; am 15. October 1389 verschied er nach schmerzvollem K rankenlager. Dass er vergiftet worden, wie manche berichten, ist nicht glaublich. Seine Leiche wurde in einem einfachen Sarge in einer Capelle beigesetzt; erst später wurde ihm in St. P eter ein prächtiges Mausoleum m it einer schwülstigen Inschrift errichtet.

Obgleich U rban zu den „politischen P äp sten “ gehörte, ist er doch au f kirchlichem Gebiete nicht ganz untätig ge­

wesen, besonders sein letztes Lebensjahr w ar m ehr diesen Pflichten zugewandt. W ir sprachen bereits von der V er­

legung des Jubeljahres. Die Motive dazu liegen trotz des darumgehangenen Mäntelchens der christlichen E rbarm ung m it den nach Sündenerlass lechzenden Selen in ihrer V er­

werflichkeit offen zutage. Doch darf m an immerhin nicht die Anschauungen der Zeit vergessen und auch nicht über­

sehen, dass die V eranstaltung des Jubeljahres in Rom ein politischer T ru m pf gegen Clemens w a r, den möglichst früh

(18)

auszuspielen sich U rban nicht versagen konnte. U rban hat auch das F est der Heimsuchung M ariä als ein allgemein zu feierndes F est in die katholische Kirche eingeführt, während es bis dahin nur in einzelnen Diöcesen gefeiert wurde. E r begegnete sich darin mit den Bestrebungen des P rag er E rz­

bischofs Johann von Jenzenstein, der ebenfalls eifrig P ro pa­

ganda für dieses F est machte. E r bestimmte ferner, dass auch an dem Frohnleichnamsfeste in unter dem Interdicte befindlichen Kirchen die Glocken geläutet und das Sacra- m ent bei offenen Türen gefeiert w ürde, mit Ausschluss je ­ doch der E xcom m unicirten; eine Bestimmung, die schon des­

wegen notwendig w ar, weil er die Strafe des Interdictes selbst nur zu oft verhängte. Denen, welche der zu K ranken oder Gefangenen getragenen Eucharistie in andächtiger V er­

ehrung folgen, gewährte er einen Ablass von hundert Tagen.

Endlich traf er Bestimmungen, um die Selsorge der Orts­

pfarrer gegenüber der erfolgreichen Concurrenz, welche ihnen die Bettelmönche machten, zu schützen. Doch ist der grösste Teil dieser Anordnungen erst durch seinen Nachfolger offi- ciell verkündigt worden.

E in P apst von dem Schlage U rban’s konnte n u r un­

günstig beurteilt werden. Die meiste Anhänglichkeit hat er bei zwei Deutschen, beide Westfalen, gefunden, welche aller­

dings sehr verschieden über ihn urteilen. Beide standen U rban persönlich sehr nahe. Gobelinus Persona steht ganz auf seiner Seite, er ist überzeugt, dass jene Cardinäle, deren jammervolles Schicksal ein unvertilgbarer dunkeier F leck in U rban’s Pontificat bleibt, schuldig waren und im Grunde n u r gerechte Strafe litten ; er erzählt die Geschichte der wüsten Episode von Nocera, ohne aus ihr irgend einen V or­

w u rf für den P apst abzuleiten, er bemüht sich, von der kirchlichen T ätigkeit U rban’s zu retten, was sich retten liess.

Als er nach Jah ren wieder nach Rom kam und die unw ür­

dige Begräbnisstätte seines ehemaligen Gönners sah, heftete er dankbaren Gemütes lobpreisende V erse, in denen er den P apst an M ut den M achabäern gleichstellte, au f einem Holz­

täfelchen an den Sarg. „A b er sie wurden abgerissen von den Neidern seines Lobes.“ D ietrich von Niem dagegen

(19)

PAPST URBAN VI. 5 4 1

hält m it dem scharfen Tadel gegen den Papst keineswegs zurück, die dunkelen Seiten seines C harakters hebt er viel­

mehr m it N achdruck hervor und weiss sie mit den leb­

haftesten F arben zu malen, wie das überhaupt seine A rt ist, einzelne Scenen effectvoll zu schildern. A ber man fühlt doch durch, dass er trotz alledem eine warme Hinneigung zu U rban b ew ahrte; er allein von allen Geschichtsschreibern seiner Zeit lässt uns in das Innere U rban’s blicken, er allein zeigt ihn uns als M enschen, der zw ar von massloser Leidenschaftlich­

keit hingerissen wurde, aber doch nicht ganz ohne Herz und weicheres Gefühl war. Jenen F ran z von Butillo, für den U rban eine so verderbliche Vorliebe besass, schildert Die­

trich als den verworfensten Menschen, vielleicht übertreibend, aber doch beurteilt er das Verhältnis zwischen Oheim und Neffen in menschlicher, in ihrem Schlüsse fast versöhnender Weise.

In der bunten Reihe der römischen P äpste, welche ein wechselndes Bild aller Seiten des menschlichen Geistes, der guten wie der schlimmen, darbieten, nimmt U rban eine be­

m erkenswerte Stelle ein. E r w ürde, hätte er in ruhigen Zeiten der Christenheit vorgestanden, wahrscheinlich zu den P äpsten zählen, welche ihre W ürde mit vollem E rn st auf­

fassten und ihre Pflichten mit Eifer und Erfolg erfüllten.

Sein U nglück war, dass er gewählt wurde in einem überaus kritischen Momente, in dem es galt, die Entwicklung, welche das Papsttum in den sieben letzten Jahrzehnten genommen, so zu sagen ungeschehen zu machen und eine B rücke über die jün gst vergangene Periode zu der früheren hinüberzu­

schlagen. Die Elemente jedoch, auf welche er sich zunächst stützen musste, die Cardinäle, wollten das gerade Gegenteil.

D am it w ar der Conflict als ein unvermeidlicher gegeben und nicht allein sein tactloses Benehmen, m ag m an es auch mis- billigen, hat ihn herauf beschworen. Nicht hier liegt sein Verschulden: das Schisma wurde bew irkt durch die Macht der Verhältnisse. A ber des Papstes Schuld war, dass er es nicht bezwingen konnte, dass es weiter wucherte. E s w ar keineswegs eine neue Erscheinung in der römischen Kirche, dass zwiespältige Cardinäle eine Doppelwahl veranlassten.

Z e its c h r . f. K .-G . III, 4. 37

(20)

Innocenz II. stand Anaclet, A lexander III. Victor gegenüber.

A ber beide Male erlangte der eine P apst ein so unzweifel­

haftes Uebergewicht, dass der andere für die allgemeine Kirche wenig in B etracht kam 5 selbst unter dem gewaltigen F riedrich I. hatte A lexander einen entschiedenen V orrang vor Victor besessen. Anders ging es unter U rban. A ber auch hier sind seine moralischen Schattenseiten, namentlich sein unsinniges W üten gegen die angeschuldigten Cardinäle, nicht von so grossem Einflüsse gewesen, wie man gewöhn­

lich annimmt. Vielmehr schädigte U rban sich selbst durch seine fehlerhafte P olitik, indem er die Allgemeinheit über einseitigen und selbstsüchtigen Zwecken aus den Augen verlor. So gelang es dem gegnerischen Papsttum sich zu behaupten.

Es verlohnt sich der Mühe, einen Blick zu werfen auf die Stellung, welche die europäischen Staaten zum Schisma einnahmen, als U rban starb.

Im allgemeinen w ar die Sachlage nicht viel anders gew orden, als sie sich gleich in den ersten Jah ren gestaltet hatte. In Italien w ar Neapel zuletzt glücklich von Clemens behauptet worden, während Sicilien, die übrigen F ürsten und H erren, etwa ausser Savoyen, und auch die grossen Communen bei U rban blieben; doch gewann die Concilsidee, namentlich in dem durch seine Verbindungen mit F ra n k ­ reich wichtigen Florenz m ehr und mehr Boden. In Spanien dagegen w ar eine W endung zum schlechteren erfolgt. D ort hatte gleich anfangs der gesunde Gedanke der N eutralität viel A nklang gefunden; aber wie wir sahen, erkannte Ca- stilien schon 1381 Clemens an, und diesem Beispiele folgten N avarra und einige Jah re später A ragonien; n u r Portugal, durch die Politik eng an England geknüpft, stand zu Urban.

F rankreich blieb der feste H ort des Avignonesen und grade die Neapolitanische F rage sicherte dessen E influss; in den­

selben T agen, in denen U rban dahinschied, w ar König K arl VI. au f der Reise nach A vignon, um dort der feier­

lichen K rönung des jungen Ludwig von Anjou zum Könige von Jerusalem , Neapel und Sicilien beizuwohnen. A ber wenn auch die Pariser U niversität der Gewalt gewichen w ar

(21)

PAPST URBAN VI. 5 4 3

und sich für Clemens entschieden hatte’, im Stillen waren doch die meisten Glieder desselben von seinem ausschliess­

lichen Rechte nicht fest überzeugt und trachteten nach dem endgültigen Entscheide eines Concils. Aehnlich dachten viele V ertreter der Geistlichkeit. So bestechend der Glanz der avignonesischen Curie au f entfernte Kreise w irk te , in F rankreich sah man ihn mit sehr geteilten Gefühlen an;

denn dieses L and musste ihn fast allein bezahlen, fast allein die unermesslichen Geldsummen auf bringen, zu denen sonst das ganze Abendland beisteuerte. Mit^einem gewissen Neid sah m an nach den L ändern, welche die rauhe, prunklose Curie U rban’s als die ihrige betrachteten, und wie das immer zu geschehen pflegt, hielt man die dortigen Zustände für viel günstiger als sie in der T at waren. „ U n te r U rban blieb die Kirche frei von Zehnten, mit freier W ahl besetzte sie die hohen W ürdenstellen, die Erteilung von Beneficien und Aemtern lag in der H and der Diöcesen und Kirchen-Patrone;

Clemens dagegen, unterstützt vom Könige und den Grossen, w ar der schlimmste F eind der Kirchen und ihrer Freiheit, ihre Besitzungen ruinirte er durch häufige Zehnten bis zur äussersten Erschöpfung, so dass, während die heiligen Stätten m it Schulden überhäuft w aren, die päpstliche Kamm er Schätze auf Schätze h äufte/4' x) So sicher w ar demnach das avignonesische Papsttum in F rankreich nicht begründet, als es den Anschein hatte. In F landern hielt das L a n d , trotz des Ueberganges der H errschaft an das Burgundische Haus, an der einmal ergriffenen Obedienz von Rom fest.

W ährend die Romanen vorwiegend zu Avignon standen) hielten die L änder germanischer Zunge zu Rom, unbewusst zugleich einem natürlichen wie geschichtlichen Zuge folgend.

E ngland blieb seiner einmal ergriffenen Rolle getreu und Richard hat für U rban einen bem erkenswerten Eifer ent­

faltet; selbst der Unwille, welchen einst Pileus so gut wie frühere päpstliche Legaten durch seine schamlose Geldwirt­

schaft im Lande hervorgerufen hatte, tat diesmal der all­

gemeinen Sache keinen Eintrag. Als besonderer Trium ph

i) Chronique du religicux de St. D^nis I, 85.

(22)

des gegenwärtigen Papstes wurde die freilich n ur schein­

bare U nterdrückung der wicliffitischen Ketzerei betrachtet. — D ie Feindschaft Englands gegen das mit F rankreich ver­

bündete Schottland erklärt genügend, dass letzteres Avignon als Metropole anerkannte.

In Deutschland standen die Dinge nicht schlecht. Zw ar wühlte noch immer die clementistische P artei und errang infolge der politischen Zersplitterung manche kleinen Vor­

teile, aber seitdem Leopold in der Sempacher Schlacht gefallen, w ar ihr die feste Grundlage entzogen, der Heerd ihrer Agitation gelöscht. Als ein Gottesurteil w urde daher von den Urbanisten der Tod des Herzogs gefeiert. Die Erzbischöfe, die Bischöfe und die grossen F ürsten hielten treu zu Rom, wenn auch bei den kleineren H erren augen­

blickliche Vorteile gelegentlich eine Schwankung herbei­

führten. D er König selbst erfüllte allerdings wenig die HoJShungen, welche U rban au f ihn gesetzt; die Romfahrt w urde immer weiter hinausgeschoben und die erneute Ueber- tragung des italischen Vicariates an Jo s t von Mähren, welche in den letzten Lebenswochen U rban’s stattfand, zeigte noch­

m als, dass der König solche Gedanken so gut wie aufge­

geben hatte. W enzel’s fortdauernd günstiges Verhältnis zu F ra n k re ic h , welches auch durch die neapolitanische F rag e nicht getrübt w urde, liess es nicht unmöglich erscheinen, dass er bei verkomm ender Gelegenheit auch in der Kirchen­

frage von der bisherigen unbedingten A nerkennung der einen Obedienz zu einem vermittelnden Standpunkte über­

ginge. A ber solche G edanken wurden keineswegs von der grossen Menge der Reichsstände geteilt, und das geringe Ansehen, welches die Krone besass, liess nicht befürchten, dass sie m it ihren Ansichten durchdrang. Indessen musste U rban darauf bedacht sein, den König sich geneigt zu halten.

W enzel, der die deutschen Bischofssitze gern mit seinen L ieb­

lingen besetzte, richtete oft genug darauf bezügliche F orde­

rungen an U rb an , die dieser auch soweit es anging zu erfüllen strebte. A ber da der König meist bei den mit- interessirten F ürsten W iderstand fand, musste er gewöhn­

lich nachgeben, und die Curie hatte dann keine Veranlassung,

(23)

PAPST URBAN VI. 545 ihrerseits bei den anfänglich in Aussicht genommenen Can- didaten zu beharren und für den König die Kastanien aus dem F euer zu holen. Ueber Deutschlands H altung konnte Rom demnach beruhigt sein.

Ebenso über Ungarn. Sigmund w ar es geglückt, die französischen Anschläge auf die H and der Maria, deren Ge­

lingen notwendig auch die kirchliche Stellung des Landes beeinflusst haben w ürde, zu hintertreiben und selbst die vielfach und heiss um strittene Krone davonzutragen. Seine Lage in dem unruh evollen, von ehrgeizigen und gewalt­

tätigen M agnaten beherrschten^ Lande w ar allerdings nicht die erfreulichste, und die Geldverlegenheit, welche für sein ganzes Leben so charakteristisch ist, blieb stets dieselbe. In richtiger W ürdigung dieser Verhältnisse entschloss sich der P ap st, von allzugrossen Anforderungen an den ungarischen Klerus abzusehen, um nicht eine gefährliche Abneigung ein­

wurzeln zu lassen.

Auch Polen gehörte zu den Verehrern des römischen Stuhles, und hier hat U rban’s Pontificat einen F ortschritt zu verzeichnen, wie ihn die römische Kirche seit J a h r­

hunderten nicht erlebt hatte. Das letzte Volk in Europa, abgesehen von dem hohen unwirtlichen Norden Skan­

dinaviens, welches noch zum Heidentum hielt, die L itthauer mit ihrem weiten Landgebiete, wurden durch den Ueber- tritt ihres Grossfürsten Jagiello, der unter dem christlichen Namen W ladislaw die ungarische Hedwig zur Gemahlin und m it ihr die polnische Königskrone gewann, dem Gebiete des römischen Papsttum s hinzugefügt und so dessen A utorität weit hinein in die russische Ebene verbreitet. D a die griechische Kirche durch das siegreiche Vordringen der Türken, m ehr und m ehr an Raum einbüsste, eröffnete sich demnach die Aussicht, sie dereinst ganz m it der abendländischen zu verschmelzen.

Auch auf die Ergebenheit der drei nordischen Reiche, D änem arks, Schwedens und Norwegens konnte U rban rechnen; doch kam en sie wenig in Betracht. So w ar der Kreis, den die römische Obedienz umfasste, ein viel ausge­

dehnterer, als der des Gegenpapstes. A ber das w ar kein

(24)

persönliches Verdienst U rban’s, man kann sagen, trotz seiner F ühru n g blieb ein so grösser Teil des Abendlandes Rom getreu. Vielmehr gaben die politischen Verhältnisse und Interessen der einzelnen Staaten in letzter Linie den Aus­

schlag. E s zeigte sich, dass die selbständige Entw icklung der europäischen Staaten bereits so weit vorgeschritten war, dass das Papsttum derselben sich unterordnen musste. D urch die avignonesische Periode vorbereitet ist dieser entscheidende Umschwung der bisherigen Verhältnisse zur unumstösslichen Tatsache geworden. D am it wurde eine neue Zeit des europäischen Staatenlebens wie des geistigen Fortschrittes eröffnet; vom Jah re 1378 ab d arf man bereits das Refor­

mationszeitalter rechnen.

D arin aber liegt die historische Bedeutung U rban’s, dass er dieser Entw ickelung nicht vorzubeugen verm ochte, dass er sie wider Willen durch sein Verhalten förderte und unwider­

ruflich werden liess.

(25)

Kritische Uebersicht

über die kirchengeschichtlichen Arbeiten

der letzten Jahre.

Geschichte der Reformation in der Schweiz,

(Die L iteratur der Jah re 1875— 1878.) Von

Prof.

Rudolf Staehelin

in Basel.

I. Werke allgemeinen Inhaltes.

1. A r c h iv fü r d ie sc h w e iz e r is c h e R e fo r m a tio n s g e s c h ic h te , her­

ausgegeben auf Veranstaltung des schweizerischen Piusvereins.

III. Bd. Solothurn 187G. (VI u, 693 S. gr. 8.)

2 . D ie e id g e n ö s s is c h e n A b sc h ie d e aus dem Zeitraum von 1521 bis 1532 bearbeitet von Dr. J o h . S t r i e k l e r (Bd. IV, Abth. 1 der auf Anordnung der schweizerischen Bundesbehörden veran­

stalteten „Sammlung der älteren eidgenössischen A bschiede“).

Brugg 1873 und 1876. 2 Bde. (1551 und 1609 S. 4.)

3 . A c t e n S a m m lu n g zur schweizerischen Reformationsgeschichte in den Jahren 1521 bis 1532 im Anschluss an die gleichzeitigen eidgenössischen Abschiede bearbeitet und herausgegeben von Dr.

J o h a n n S t r i c k l e r , Staatsarchivar des Cantons Zürich. I. Bd.

(1521— 1528). Zürich 1878. (VII u. 726 S. gr. 8.)

4 . M örikofer, D ie evangelischen Flüchtlinge in der Schweiz. Leip­

zig 1876. (437 S. 8.)

5 . H . W e b e r , Geschichte des Kirchengesanges in der deutschen reformirten Schweiz seit der Reformation. Mit genauer Beschrei­

bung der Kirchengesangbücher des 16. Jahrhunderts. Zürich 1876.

(248 S. 8).

(26)

6. J. J . M e z g e r , Geschichte der deutschen Bibelübersetzungen in der schweizerisch reformirten Kirche von der Reformation bis zur Gegenwart. Ein Beitrag zur Geschichte der reformirten Kirche.

Basel 1876. (VIII u. 428 S. 8.)

K aum giebt es im Um kreis unserer kirchengeschicht- lichen L iteratur ein G ebiet, auf welchem dieselbe so weit hinter dem Bedürfnis zurückgeblieben ist als auf dem der allgemeinen schweizerischen Reformationsgeschichte. Mit dem J a h re , mit welchem diese Uebersicht abschliesst, sind nun grade hundertundsiebzig Jah re verflossen, seitdem die letzte selbständige D arstellung derselben in deutscher, und hundert- undfünfzig, seitdem eine solche in französischer Sprache erschienen ist x). D a auch die in unserm Jahrh un dert ver­

anstalteten neuen Ausgaben dieser beiden W erke ihren W ert lediglich in den hinzugefügten E rgänzungen, nicht in einer neuen D urcharbeitung des Stoffes selbst haben 2) und andrerseits die Darstellungen der allgemeinen Reformations­

geschichte ihre so eigenartige und mannigfaltige Gestaltung in der Schweiz unmöglich so, wie dieselbe es fordert, berück­

sichtigen können, so fehlt es bis zur Stunde noch an einem W erk e, in welchem die in der Zwischenzeit doch so reich­

lich und zum Teil so ergiebig gepflegte Einzelforschung in irgendwie genügender W eise zu einem neuen Gesammtbild verarbeitet und das, was die seitherige fast ausschliesslich biographische Geschichtschreibung in seiner persönlichen und localen Vereinzelung hingestellt h at, nun auch als Teile eines nationalen Ganzen und eines, wenn auch nicht überall einheitlichen, doch in sich zusammenhängenden und von gleichen religiös-politischen Motiven getragenen Gesammt-

x) J. J. H o t t i n g e r , Helvetische Kirchengeschichte. Dritter Theil 1708. — A b r. R u c h a t , Histoire de la reformation de la Suisse.

1727— 1728. 6 vol.

2) D ies gilt besonders von der neuen Ausgabe Ruchat’s durch V u i l l e m i n (1835—1838, 7 vol.), wo die Erweiterung bloss in dem Abdruck der unedirt gebliebenen Fortsetzung von Ruchat selbst be­

steht ; die neue Bearbeitung von Hottinger durch W i r z und K i r c h - h o f e r (1808— 1819, 5 Bde.) reicht nur bis 1523.

(27)

GESCH. DER REFORM. IN DER SCHWEIZ 1875—1878. 5 4 9

Verlaufs zur Anschauung gebracht wäre 1). Imm erhin wird grade der hier zu besprechende Zeitraum, wenn er auch dieses Bedürfnis selber noch nicht gestillt hat, wenigstens was die V or­

bereitung und die Vorarbeit für eine solche Aufgabe betrifft, keine unrühmliche Stelle einnehmen; wir sehen in ihm (durch Nr. 1— 3 der oben genannten W erke) einen auf diesem Ge­

biet gradezu einzig dastehenden Reichtum von Acten und urkundlichen Mitteilungen zu Tage gefördert, welche das Studium jen er Geschichte in der glücklichsten Weise zu fördern geeignet sind, und so ist, wenn auch noch kein neuer Bau errichtet, doch ergiebiger als seit Langem an der Herstellung derjenigen Grundlage gearbeitet w orden, auf welcher allein ein solcher Neubau in sicherer und erspriess- licher Weise wird können aufgeführt werden.

Die unter Nr. 1 angeführte Sammlung ist die F o rt­

setzung eines von dem schweizerischen Piusverein ausge­

gangenen Unternehm ens, das sich zum Zweck gesetzt hat, das Material zu einer „urkundlich treuen und unparteiischen Reformationsgeschichteu der Schweiz zusammenzustellen 2).

Sie ist also katholischen Ursprungs und hat denselben auch trotz jener Prätension der Unparteilichkeit in diesem so wenig

!) L. V u i l l e m i n , Histoire de la confeddration Suisse (Lau­

sanne 1876, 2 vol.) giebt in dem betreffenden Abschnitt (II, p. 1—94) das oben Gewünschte wenigstens in seinen Grundzügen. Derselbe ist eine zwar kurze, aber mit Meisterhand gezeichnete Skizze der Refor­

m ationsgeschichte, in welcher ebensowohl die leitenden Persönlich­

keiten mit wenigen Zügen treffend gezeichnet als auch die B e­

ziehungen ihres Auftretens und ihrer Erfolge zu den allgemeinen politischen und geistigen Zuständen gut ins Licht gestellt sind. Ich verweise namentlich auf die Schilderung der Bewegung in Bern (p. 2 5 f.) und in Genf (p. 5 0 f.). In der Gesammtauffassung dagegen lässt sich der religiöse Gesichtspunkt zu sehr vermissen; die Refor­

mation wird vorwiegend als das Eintreten der wissenschaftlichen Reflexion und A ufklärung in den kirchlichen Glauben und zu wenig als eine Tat und Vertiefung dieses Glaubens selbst begriffen.

2) S. die Vorrede zum ersten Band (1868), welcher durch den Abdruck der vom katholischen Standpunkt aus geschriebenen Refor- mationschronik des Joh. Salat (über denselben s. unten) besonders wertvoll ist. Bd. II (1872) ist von untergeordneter Bedeutung.

(28)

als in den vorhergegangenen Bänden verleugnet. Um nach der auch im neuen Vorwort wiederholten Bestimmung „ d a s M aterial zu einer urkundlichen D arstellung der Reformations­

zeit darzubieten, „ d i e Bausteine zusammenzutragen, aus denen später eine actenmässige, unparteiische, kritische Ge­

schichte der Reformation verfasst werden kann “, müsste die Auswahl doch weniger einseitig getroffen sein, als es ta t­

sächlich hier der F all ist, und es wäre jedenfalls am Platze gewesen, den für eine solche Sammlung einzelner Beiträge überhaupt etwas hochgegriffenen T itel: Archiv, durch das ihm gebührende Eigenschaftsw ort: Katholisches, deutlicher zu bestimmen. A ber hat auch an der Auswahl das P artei­

interesse seinen A nteil, so ist doch anzuerkennen, dass die Documente selbst m it unparteiischer Treue und Genauigkeit wiedergegeben sind, und auch jene Einseitigkeit der A us­

wahl schliesst ihrerseits wieder grade für die protestantische Forschung den doppelten Vorzug ein, einmal dass ihr Documente zugänglich gemacht w erden, welche sie sonst wohl schwerlich in diesem Umfang in Beachtung zu ziehen Gelegenheit hätte, und dass ihr zweitens durch die eigen­

tümliche Beleuchtung, in welche durch die hier vereinigten, vom katholischen S tandpunkt aus gemachten Aufzeichnungen die Ereignisse gestellt sind, eine um so objectivere Auffassung derselben ermöglicht sein wird. In ersterer Beziehung wird man in diesem Bande namentlich den A bdruck des Luzerner Geheimbuches und der Acten über die Bündnisse der katho­

lischen Stände mit Rom und Oestreich willkommen heissen;

in letzterer Beziehung ist beachtenswert die „D enkschrift der Priorin und Schwestern in sant C atharina T al bei Diessenhofen, wie sie in der Zwinglischen uffruor ir Gotts- haus so sauer erstritten und erhalten h a n du — die E rzäh ­ lung einer einzelnen Episode, die aber doch auch auf die allgemeine D urchführung der Reformation in jenen Gegen­

den ihr Licht wirft und durch die anschauliche, überall die persönliche Mitbeteiligung verratende Schilderung sowohl der Angriffe wie des ritterlichen W iderstandes jener Nonnen nicht ohne Reiz ist —, w ährend das zweite, grössere Stück dieser A rt, die Reformationschronik des dem alten Glauben

(29)

treu gebliebenen Priesters Heinrich von K üssenberg, abge­

sehen von einzelnen für die Localgeschichte wertvollen Z ügen, in ihrer rohen und oberflächlichen Auffassung x) hauptsächlich als ein Zeugnis von der bei den Gegnern herrschenden Verständnislosigkeit für die reformatorische Bewegung Bedeutung hat und überdies in der vorliegenden Gestalt in weit höherem Masse, als es der H erausgeber W o rt hat, überarbeitet i s t 2). Vollends der am Schluss abge­

druckte „A nh ang des C appelerkrieges“, von dem H eraus­

geber dem damaligen Züricher Stadtschreiber W ernher Biel zugeschrieben und mit Emphase als ein neu entdeckter „G riff aus dem L eb en “ jener Zeit eingeführt, ist bis aufs W ort hin­

aus, wenn auch hie und da nicht in so ursprünglicher oder ausführlicher Fassung, in Bullinger’s Reformationschronik (III, 258 ff.) zu lesen! Eine verdienstvolle Einleitung zu dem Bande ist dagegen die Uebersicht über die L iteratur der schweizerischen Reformationsgeschichte von 1788 bis 1871;

sie ist die Fortsetzung der im ersten Band des Archivs ver­

öffentlichten Zusammenstellung derselben aus der bis 1788 reichenden „ Bibliothek der Schweizergeschichte “ von E. von Haller und bildet im Zusammenhang mit ihr eine leider nicht lückenlose, aber immerhin brauchbare, auch Entlegenes be­

rücksichtigende und dabei gutgeordnete Bibliographie, deren besondere Herausgabe sich unter Voraussetzung der nötigen Ergänzungen angesichts der schon durch seinen Umfang bedingten geringeren Verbreitung des Gesammtwerkes wohl rechtfertigen würde.

Ein Quellenwerk andrer A rt ist die unter Nr. 2 und 3 genannte grosse Urkundensamm lung des Züricher Archivars J o h . S t r i c k l e r . W ährend das „ A rc h iv “ mit seinen Docu- menten oft bis weit in das siebzehnte Jahrhundert hin­

überführt, beschränkt sich diese auf die elf Jahre, in denen die Reformation in der deutschen Schweiz zum Abschluss

!) Vgl. S. 452 über Zwingli’s Tod: „und wäre also dieser ver­

fluchte Ertzketzer crepirt“.

2) Redet doch der Verfasser S. 419 von einem „Calvinism us“

Hubmeyer’s im Jahre 1524, und ebenso S. 429 von einem solchen in Con stanz 1526!

GESCH. DER REFORM. LN DER SCHWEIZ 1875—1878. 5 5 1

(30)

gekommen ist, zieht aber ans diesem Zeitraum nun auch alles in ihren B ereich, was von Staatsurkunden für die Kenntnis desselben irgendwie erheblich erschien, und bringt es im Gegensatz zu der plan- und ordnungslosen A rt jener ersten Sammlung in zwei planmässig angelegten und chrono­

logisch wohlgeordneten Reihen zum Abdruck. Die erste ist die im Zusammenhang eines grösseren, auf die ganze ältere Geschichte der Schweiz sich erstreckenden Unternehmens dem Verfasser übertragene Sammlung der Tagsatzungsbeschlüsse aus je n e r Zeit, in der er sich indes bereits lange nicht mit dem A bdruck der amtlichen Protocolle begnügt, sondern denselben noch ein reiches anderweitiges Actenmaterial zur E rläuterung und Vervollständigung an die Seite gestellt hat, so dass schon dieses W erk auch für die Kenntnis der kirchlichen Bewegungen mannigfache Ausbeute in sich schliesst; noch mehr ist dies in der zweiten Veröffentlichung (Nr. 3) der F a ll, welche zur Ergänzung jen er ersten Sammlung bestimmt ist; in den vier B änden, auf welche sie angelegt ist, sollen noch etwa 8000 Actenstücke zur V er­

öffentlichung gelangen und damit das ganze in den Archiven zerstreute amtliche Actenmaterial zur Geschichte der Schweiz w ährend der Reformationszeit in übersichtlicher A nordnung der Forschung zur Verfügung gestellt werden. Die eigent­

lichen Reformationsacten, sowie die der inneren Geschichte der einzelnen Kantone angehörenden Documente sind dabei allerdings von der Sammlung ausgeschlossen; es ist der am t­

liche V erkehr der Stände mit einander, mit ihren verschie­

denen V ertretern und Gesandten und mit dem Auslande, die eingegangenen Kundschaften u. s. w ., was hier in seiner urkundlichen Bezeugung zur D arstellung kom m t; sie zeigt also, auf ihren kirchenhistorischen W e rt hin angesehen, nicht die reformatorische Bewegung selbst, sondern bloss ihre politischen und kirchenpolitischen Vorbereitungen und Folgen, und auch diese weniger wie sie ihren V erlauf in den ein­

zelnen kantonalen Kirchen h a tte n , als wie sie in den Be­

ziehungen der Kantone zu einander und zum Ausland zur Erscheinung komm en; aber grade in dieser B eschränkung liegt der eigentümliche G ew inn, den nun auch die Refor­

Cytaty

Powiązane dokumenty

So ist es anderseits erklärt, dafs die Päpste bald auch zu generellen Entscheidungen übergingen, sich dieses ganze Gebiet für ihr Forum zu reservieren

Es w ar nicht ungeschickt, sich in dieser langen Vorrede vor den ihnen gemachten Vorwürfen zu verwahren. Aber man hätte nun auch erwarten sollen, dafs in der

stande kam. Vor allem hatte Benedikt Gaetani als Führer 2 dieser Partei in den letzten Tagen eine hervorragende Rolle gespielt, und da er aus all diesen Wirren

dige Jüdin über 12 Jahre, welche mindestens 20 Gulden Vermögen besafs, jährlich einen Gulden Leihzins an den König zahlen mufste. Sie war an sich sehr hoch,

Gottes Gnad vnd Frid durch Christum sampt erwunschung v il seliger guter new er Jar zuuorn, Ernuester gestrenger besonder günstiger Herr, Euch thu ich gar

Dümmler in seiner Geschichte des ostfränkischen Reichs (2. 95 wirklich Gottschalk zugeschrieben werden könne. Scoti Erigenae controversia.. 20) edierten Gedichte

abgedruckt hat, wiederkehrt als Ix ysvovg tfjg ßaailiuTjg l^ovolag v7tdgxovoa, welche ebenfalls den Bekennern Gutes tut, indem sie ihnen die täglichen

bar vorausgesetzt.. Praktisch konnte Clemens nicht anders stehen. E r stand unter dem mächtigen geistigen Einflufs der philosophischen T radition, er wie seine