ARCHIV
FÜR RELIGIONSWISSENSCHAFT
NACH ALBRECHT D IETER IC H
UNTER MITWIRKUNG VON
H. OEDENBERG • C.BEZOLD • K.TH.PREUSS IN VERBINDUNG MIT L. DEUBNER
HERAUSGEGEBEN VON
RICHARD W ÜNSCH
F Ü N F Z E H N T E R BAND
DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER IN LEIPZIG 1912
4440
St, r«i
Inhaltsverzeichnis
I A bhandlungen Seite
Der Totemismus von Edgar R eutexskiöld in Upsala . . . . 1 Sketch of the Totemism and Religion of the People of the Islands in
the Bougainville Straits (Western Solomon Islands) by Gerald Camden W heeler, London U niversity... 24. 321 Das ägyptische Pantheon von Günther Roeder in Breslau 59 Zwei Richtungen im Judentum von S. A. Horodezky in Bern . 99 Volksglaube und Volksbrauch in Palästina nach den abendländischen
Pilgerschriften des ersten Jahrtausends von Richard H art
mann in Leiden... 137 Die Kultdenkmäler der sog. thrakischen Reiter in Bulgarien von
Gawril Kazarow in Sofia...153 Heidnische Gebräuche der Evhe-Neger von C. Spieß in Togo . . 162 Die eherne Schwelle und der Thorikische Stein von 0. Gruppe
in Berlin... . . . 359 Göttergaben von W. Fröhner in P a r is...380 Zur Legende vom Kyniker Diogenes von G. A. Gerhardin Heidelberg 388 Ein neues Stück Zauberpapyrus von L. Fahz in Frankfurt a. M. . 409 Ein Nachwort zu den Menschenopfern bei den Germanen von E.
Mogk in L e ip z ig ... . 422 Schwurgötter von R ichard M. Meyer in B e r lin ...435 Das Hörnermotiv in den Religionen von I. S cheftelow itz in Cöln 451
II Berichte
1 Philosophie 1907—1911 von Max W undt in Straßburg im Elsaß 171 2 Babylonisch-assyrische Religion von C. B ezold in Heidelberg . 203 3 Äthiopische Religion von C. Bezold in Heidelberg...242 4 Geschichte der christlichen Kirche von Hans Lietzm ann in Jena 260 5 Hagiographisches und Verwandtes von Ludwig D eubnerin
Königsberg... 299 6 Die Religionen der Südsee. Allgemeines 1905—1910 von W. Foy
in Cöln 488
IY Inhaltsverzeichnis
Seite
7 Zur neuesten Literatur über neutestamentliche Probleme von f H.
Holtzmann in Baden-Baden...513 8 Islam von C. H. Becker in Hamburg...530 9 Altgermaniscbe Religion von Fr. Kauffmann in Kiel . . . . 603
III Mitteilungen nnd Hinweise
Von R. E isler (Zu den nordkaukasiscben Steingeburtssagen) 305; R.
Pagenstecher (Racbepuppen aus Mexiko und Verwandtes) 313;
M. P. N ilsson (Zu Archiv XIV, 423ff.) 318; A. M armorstein (Der Ritus des Küssens bei den Juden) 318, (Die Leberschau in tal- mudiscber Zeit) 320, (Die Zahl der Frommen) 320.
Von G. Murray (Culte of snakes [New Guinea]) 628; R. Eisler (Das Fest des „Geburtstages der Zeit“ in Nordarabien) 628; Tb.
Zacbariae (Auf einem Fell niedersitzen) 635; M. H öfler {&&OIZJ) 638; R. W ünsch (Zu Archiv XIII 525) 641; 0. Kern (BovXipov i£- iXaßis) 642.
R egister. Von W illy Link 643.
ARCHIV FÜR
RELIGIONSWISSENSCHAFT
NACH ALB RECH T D IETERIC H
UNTER MITWIRKUNG VON
H.OLDENBERG • C.BEZOLD • K. TH. PREUSS IN VERBINDUNG
MIT L. DEUBNER HERAUSGEGEBEN VON
RICHARD WÜNSCH
FÜNFZEHNTER BAND
ERSTES UND ZWEITES HEFT MIT 1 TAFEL UND 3 ABBILDUNGEN IM TEXT
AUSGEGEBEN AM 27. FEBRUAR 1912
m
VERLAG B. G. TEUBNER IN LEIPZIG UND BERLIN 1912
ARCHIV FÜR RELIGIONSWISSENSCHAFT
Herausgegeben von Richard Wünsch
Druck und Verlag von B.. G. Teulmer in L eipzig, Poststr. 3 Jährlich 4 Hefte zu je etwa 10 Druckbogen: der Preis für den Jahrgang beträgt 18 Mark. Alle Buchhandlungen und Postanstalten nehmen Bestellungen an.
Der Umfang des Archivs soll auch in diesem Jahr versuchsweise verstärkt bleiben, da mit dem Anwachsen der religionsgeschichtlichen Literatur auch die Berichte an Umfang zunehmen und vorausgesehen werden kann, daß mit den 9 Bogen für das Heft nicht mehr auszukommen ist, die der Verlag statt der angekündigten 7 Bogen in den letzten Jahren geliefert hat. Die Erhöhung des Preises von 16 auf 18 M. wird man nicht unbillig finden, da jener Preis für 28 Bogen Iterechnet war, jetzt aber 40 Bogen geliefert werden sollen.
Das „Archiv für Religionswissenschaft11 will zur Lösung der nächsten und wichtigsten auf diesem Gebiete bestehenden Aufgaben, der Erforschung des allgem ein ethnischen Untergrundes aller R eligionen wie der G enesis unserer R eligion, des Untergangs der antiken R eligion und des Werdens des Christentum s, insbesondere die verschiedenen P hilo
logien , Völkerkunde und Volkskunde und die wissenschaftliche T heologie vereinigen. Die Förderung vorbereitender Arbeit, wie sie eine Zeitschrift leisten kann, ist hier zum gegenwärtigen Zeitpunkt in besonderem Maße berechtigt. Der Aufgabe der Vermittlung zwischen den verschieden
artigen Forschungsgebieten soll die Einrichtung der Zeitschrift besonders entsprechen. Neben der I* Abteilung, die wissenschaftliche Abhandlungen enthält, sollen als II. Abteilung Berichte stehen,.in denen von Vertretern der einzelnen Gebiete kurz, ohne irgendwie Vollständigkeit anzustreben, die hauptsächlichsten Forschungen und Fortschritte religionsgeschichtlicher Arbeit in ihrem besonderen Arbeitsbereiche hervorgehoben und beurteilt werden.
Regelmäßig sollen in fester Verteilung auf etwa vier Jahrgänge wiederkehren zusammen fassende B erichte über wichtige Erscheinungen auf den ver
schied enen G ebieten der R eligionsw issen schaft, so für se mi tisc he Religionswissenschaft (C. Bezold, Fr. Schwally; Islam , C. H. Becker), für ägyptische (A. W iedem ann), indische (H. O ldenberg, W. Caland, H. Jacobi, W. Planert, W. Crahmer), iranische (Edv. Lehmann), k lassisch e (L. Deubner, G. Karo), ch ristliche (Joh. W eiss, H.
Lietzm ann), germ anische (F. Kauffmann); ferner für die Religion Chinas (0. Franke) und Japans (H. Haas), der Naturvölker (Afrika C.
M einhof, Amerika K. Th. Preuss, A ustralien W. Foy, W. M üller- Wismar, Indonesien H. H. Juynboll). Gelegentlich sollen in zwangloser Folge Berichte über andere Gebiete ihre Stelle finden, so über slawische und russische Volksreligion (L. Deubner), über die Religion in der Geschichte dos Mittelalters und der Neuzeit (A. W erm inghoff), in der Medizin (M.
Höfler) und der Philosophie (M. Wundt). Die III. Abteilung soll Mitteilungen und Hinweise bringen, durch die wichtige Entdeckungen, verborgenere Erscheinungen, auch abgelegenere uud vergessene Publikationen früherer Jahre in kurzen Nachrichten zur Kenntnis gebracht werden sollen, ohne daß auch hier irgendwie Vollständigkeit angestrebt würde.
Aufsätze für das „Archiv für Religionswissenschaft“ werden unter der Adresse des Herausgebers Prof. Dr. Richard W ünsch in K önigs
berg i.Pr., Postamt 13, Gottschedstr. 9 erbeten. Aufsätzewerden mit 24 Mark für den Druckbogen von 16 Seiten honoriert. Außerdem werden den Herren Verfassern von Aufsätzen 20, von Mitteilungen 10 Sonderabdrücke unent
geltlich und postfrei, eine größere Anzahl auf Wunsch zu den Herstellungs
kosten geliefert. Bücher zur Besprechung in den Berichten werden an die Verlags
buchhandlung B. G. Teubner, Leipzig, Poststraße 3, erbeten.
I Abhandlungen
Der Totemismus
Von Edgar Reuterskiöld in Upsala
Als der englische Dolmetscher John Long in seinen im Jahre 1791 herausgegebenen Reiseschilderungen1 das nord
amerikanische Wort totem oder, wie er es buchstabierte, totam in die europäische Literatur einführte, konnte er gewiß nicht ahnen, welch bedeutenden Platz dasselbe in der wissenschaft
lichen Diskussion um die ältesten religiösen und sozialen Er
scheinungen erhalten würde. Für ihn war Totemismus ein religiöser Aberglaube bei den Indianern. Für Schoolcraft2 bildet er die Grundlage für das Familiensystem des Indianers, eine Anschauung, der Morgan eine universale Deutung unter
legte.3
Früher als diese hatte Grey4 seine Vergleiche zwischen dem Kobongsystem der Australier und dem Totem der Indianer, sowie den biblischen Geschichten angestellt. Er beschreibt das Kobong
system so: Jede Familie nimmt irgendein Tier oder eine Pflanze als Symbol an. Die Namen in diesen Familien werden nach zwei Gesetzen beibehalten und verbreitet: 1. Das Kind nimmt immer den Familiennamen der Mutter an; 2. Zwei
1 Voyages and Travels of an Indian Interpreter
,London 1791, ins Deutsche übersetzt von Zimmermann, Neuere Geschichte der See- und Landreisen Bd 6. Hamburg 1791.
*
Information respecting the History, Condition and Prospects of the Indian Tribes of the United States 1851 — 53.
8 Systems of Consanguinity and Äffinity of the Human Family 1871.
4 Journals of two Expeditions of Discovery in Australia 1841.
Archiv f. Religionswissenschaft XV 1
Personen mit dem gleichen Kobong dürfen einander nicht heiraten.
Es waren hauptsächlich Greys Untersuchungen, die zu den Artikeln Mc. Lennans in der Fortnightly Beview (1869) Anlaß gaben, denen der Totemismus seine wissenschaftliche Bedeutung verdankte. Mc. Lennan hielt sich hier nicht allein an die Bedeutung dieser Erscheinung für das Verständnis des Matriar
chats und der Exogamie, für ihn wurden sie vielmehr Grund
lage für die Erklärung der Tier- und Pflanzenverehrung. Der Totemismus wurde nun zu einem Durchgangsstadium für alle Völker. Den Grund für die Mythologie der antiken Kultur
völker sah Mc. Lennan im Totemismus. Bei seiner Schilderung desselben läßt sich Mc. Lennan jedoch in gewissen Stücken Unklarheiten zu Schulden kommen, die in hohem Grade ver
wirrend auf die darauffolgenden Diskussionen einwirkten. Ob
gleich er sagt, daß die totemistischen Völker irgendeinen Gott im eigentlichen Sinne nicht haben, nennt er die Totems doch bisweilen Götter. Ferner macht er keinen Unterschied zwischen Totemismus und Tier- und Pflanzenverehrung.
Die von Mc. Lennan gegebene Anregung, den Totemismus innerhalb der Religion zu beachten, wurde von Robertson Smith aufgenommen. Er glaubte Totemismus bei den Semiten zu finden. Dabei ging er von der bei den Arabern alles be
herrschenden Blutrache aus. Der Grund für die Pflicht der Blutrache sei die Abstammung aus gleichem Blute. Dies komme auch beim Abschluß eines Bündnisses zum Ausdruck, denn das finde immer unter sakramentalen Formen statt, die zeigen, daß die bündnisschließenden Parteien ihr Blut mitein- ander vermischten. Aber sie vermischten nicht nur das ihre, sondern applizierten auch immer ihrem Gott oder Fetisch etwas Blut, um anzudeuten, daß sie auch gleichen Blutes mit diesem seien. Eine solche bestimmte Anschauung könne nicht unter dem bei den Arabern herrschenden Patriarchate ent
standen sein, sondern sie müsse unter dem Matriarchate auf
2 Edgar Reuterskiöld
Der Totemismus 3 gekommen sein. Wenn man zu diesen Tatsachen hinzufügt, daß nach Robertson Smith Gründe vorhanden sind zu glauben, die verwandten Gruppen trügen Tier- und Pflanzennamen und wähnten, mitsamt den Tieren, deren Namen sie hatten, von demselben gemeinsamen Tiere abzustammen; ferner alle Tiere dieser Art seien, wenn auch nicht angebetet, so doch mit einer gewissen Ehrfurcht betrachtet worden —, so ist nach seiner Meinung der Totemismus bei diesen Völkern bewiesen.
In diesen Untersuchungen findet er den Ausgangspunkt für die in mancher Hinsicht epochemachende Arbeit The Religion of the Semites. Er nimmt an, daß das Verhältnis zwischen dem Gotte und seinem Anbeter im Anfang dasselbe war, wie zwischen Mitgliedern desselben Klans, d. h. wie zwischen Freunden untereinander oder, weil ja das Totem auch Stammvater der Sippe war, wie zwischen einem Vater und seinen Kindern.
Der ursprünglichste Ritus war ja die gemeinsame frohe Bundes
mahlzeit, woran alle Mitglieder des Klans, also auch der Gott teilnahmen, und wodurch das Blutband mit allen damit ver
knüpften Verpflichtungen erneuert und verstärkt wurde. Dies geschah dadurch, daß das Tier, das bei dieser Mahlzeit ver
zehrt wurde, von der Art des Totems und demzufolge selbst nicht nur Klanmitglied, sondern etwas Göttliches, Heiliges war. In dieser Bundesmahlzeit sieht Robertson Smith den religiösen Urritus und nicht bloß den Ursprung des Opfers, sondern auch das ursprüngliche Opfer. Es ist offenbar, welche Bedeutung eine solche Zurückführung dieser religiösen Er
scheinungen auf einen einheitlichen Ausgangspunkt für die Religionsgeschichte haben mußte. Robertson Smith hatte der wissenschaftlichen Welt eine Untersuchung des Totemismus gegeben, so wie er ihn bei den Semiten rekonstruieren zu können glaubte. Er erklärte zwar, daß es etwas anderes sei, zu sagen, die Erscheinungen der semitischen Religion führten auf den Totemismus zurück, und etwas ganz anderes, sie sollten alle aus dem Totemismus erklärt werden. Seine
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