Theologisches Literaturblatt.
Unter Mitwirkung
z a h l r e i c h e r V e r t r e t e r k i r c h l i c h e r W i s s e n s c h a f t u n d P r a x i s
herausgegeben yon
Prof. D. Chr. E. Luthardt.
Erscheint jeden F reitag. Expedition: Königsstrasse 13.
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Zur Beformationsgeschichte. I I .
Kennedy, James Houghton, T h e second and third
Epistles of St. Paul to the Corinthians; with some proofs of their independenee and mutual relation.
Hoensbroecli, G raf von, Das Papstthum in seiner
sozial-kult urellen W irksam kei t.
Ep pler, Paul, Geschichte der Basler Mission 1815
bis 1899.
W einei, Lic. Dr., Paulus als kirchlicher Organi
sator.
Windelband, W ilhelm , Platon.
Neueste theologische Literatur.
Zeitschriften.
Verschiedenes.
Eingesandte Literatur.
Zur Reformationsgeschichte.
i i .
Unter den Gegnern L uther’s nimmt Herzog Georg von Sachsen unser Interesse in besonderem Masse in Anspruch, nicht nur deshalb,, weil er zu den eifrigsten Bekämpfern des Evangeliums g ehörte, sondern vor allem darum , weil er keineswegs ein blinder Anhänger des Papstthums w ar, viel
mehr eine Reformation der Kirche auf das ernsteste forderte.
Man hat schon öfter die Ansicht ausgesprochen, dieser ehrliche Gegner würde noch für die evangelische Lehre zu gewinnen gewesen sein, wenn er nur nicht von Luther so rücksichtslos behandelt worden wäre. Ueber die Berechtigung dieser An
sicht wird man nicht eher klar urtheilen können, als bis man noch mehr von Einzelheiten über den Charakter und die Religiosität Georg’s weiss. Eine Biographie von ihm fehlt noch.
Felician (nicht aber Felix, wie Dibelius in Herzog-Hauck VI, S. 529 schreibt) Gess h at eine solche versprochen, bisher aber nur einige Einzelatudien dazu veröffentlicht. Zunächst ist noch eine andere A rbeit über denselben Gegenstand erschienen:
G e o r g d e r B ä r t i g e , Herzog von Sachsen. Sein Leben und W irken. Ein B eitrag zur deutschen Reformationsgeschichte von H e in r ic h F r e i h e r r n v o n W e lc k . Mit dem P o rtrait des Herzogs (Braunschweig 1900, R. Sattler, 196 S. 8). Dieses Buch erhält besonderen W erth dadurch, dass das Dresdener Archiv fleissig benutzt worden ist. Dadurch wird auch manches schon Bekannte in neue Beleuchtung gerückt. Vollständigkeit ist freilich noch nicht erzielt. Auch solches, was schon durch andere bekannt gemacht ist, wird unerwähnt gelassen. So vermissen wir, was Cyr. Spangenberg (Adel’s Spiegel I, 8, 3) von dem Lobe erzählt, das Georg der Schrift L uther’s „Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können“ zollte, als er nicht wusste, dass Luther der Verfasser sei: „Dies Buch ist ja so gut und besser, denn es der Luder nimmermehr machen könnte“. Ebenso ist das Verfahren des Herzogs gegen das Erscheinen von Luther’s Schrift „W ider den Rathschlag der Mainzischen Pfafferei“ nicht dargestellt, obwohl die einzig übrig gebliebenen Zeugen dieser Schrift gerade im Dresdener Archiv aufbew ahrt werden (vgl. W eimarer Lutherausgabe Bd. 19, S. 252 ff.). Auch finden sich manche ungenaue An
gaben. So wird S. 62 f. gesagt: „Aus dem Jahre 1525 ver
öffentlicht Seckendorff II. 39 hist. Luth. einen sehr wohlwollenden Brief des Herzogs an L uther“, und in einer Anmerkung wird aus dem Briefe ein Satz in lateinischer Sprache mitgetheilt.
Und freilich schrieb Seckendorff lateinisch, des Herzogs Brief w ar aber deutsch abgefasst. Und nicht Seckendorff hatte den B rief „veröffentlicht“, sondern er wurde schon 1526 in einer Reihe von Ausgaben (deutsch) gedruckt. Und der Brief ist so wenig „wohlwollend“, dass es z. B. darin heisst, Gott könne den Luther ebenso strafen, wie er den Münzer gestraft habe, und er, Georg, wolle das sehr gern ausführen (Enders L uther’s Briefwechsel 5, 291). Oder S. 150 wird Anm. 1 ein Z itat aus Luther so gegeben, dass nur sehr wenige Leser im Stande sind, zu errathen, was für eine Ausgabe seiner Werke gemeint ist, während doch bei Enders dieser ganze Brief
wechsel vorliegt. S. 64 sind die Angaben über die epistolae obscurorum virorum unrichtig, S. 67 ist das über des Camerius’
Namen Gesagte ungenau, S. 66 dürfte Georg’s „Abneigung gegen das scholastische System“ nicht zutreffend erklärt sein, S. 68 ist 1467 als Geburtsjahr des Erasmus wohl sicher un- richtig, S. 164 Anm. 1 ist „siehe Seite 2 1 5 “ falsch, v e r m u t
lich muss es „S. 1 6 8 “ heissen, etc. W ährend Ref. sich hin
sichtlich der Gesammtauffassung, auch hinsichtlich der Einzel
fragen, mit dem Verf. einig weiss, scheint ihm doch Herzog Georg hin und wieder zu günstig beurtheilt zu sein. So w ird wiederholt darauf hingewiesen, dass Luther sich „Schmähungen der gröbsten A rt“ gegen den Herzog erlaubt habe. Aber dann erforderte doch die Gerechtigkeit, auch mitzutheilen, was für eine Sprache der Herzog Luthern gegenüber nicht gescheut hat. W ir glauben, dass auch ein völlig unparteiischer Richter den höheren Preis für grobes Schimpfen nicht Luther, sondern dessen fürstlichem Gegner zuerkennen wird. Dass dieser aber gerade dann so masslos redete, wenn er unter falschem Namen schrieb, ist doch auch nicht ein edler Charakterzug.
Oder sollten dem Verf. solche Elaborate des Herzogs, wie sie in der 2. Aufl. der E rlanger Lutherausgabe Bd. 25, S. 88 ff.
u. 129 ff. wieder abgedruckt sind, unbekannt geblieben sein?
D ort heisst es u. a . : „Du unruhiger, treuloser und meineidiger Kuttenbube“ , „aus deiner mönchkuttischen Bosheit, auch apostatischen H offart“, „du Lasterm ann“, „verfluchter Apostat“,
„mit deinem wüthigen aufgespreizten W olfsrachen“ , „du deklarirter Mameluck und verdammter Zwiedarm, derer gelten neun einen Pikharden“, „du bist der allerunverständigste Bachant und zeheneckichte Cornut und Bestia, auch der grösste und gröbste Esel in der H aut drinnen, den der Erdboden bisher je getragen h a t“, „der geheinnige Erzesel“, „mein Doktor E rzesel“, „du Saubotze“, „du meineidiger, treuloser und ehrenloser Fleischbösewicht“, „Doktor Eselsohr“, „Doktor Schandluther“, „der ausgelaufenen Mönche und Nonnen Huren- w irth“ etc. W ichtig war dem Referenten, zu erfahren, dass der Herzog „seine Liebe zu Gottes W ort auch durch selbst
verfasste Gebete und Predigten bewiesen h a t“ , und dass wenigstens eine solche P redigt noch in Dresden aufbewahrt wird. Leider wird über den Inhalt, über die „Theologie“
dieser asketischen L iteratur nichts gesagt. Und doch würde vielleicht gerade hieraus der Charakter der Frömmigkeit Georg’s näher zu bestimmen und so die F rag e, ob bei ihm unter anderen Umständen eine Gewinnung für das Evangelium von der Glaubensgerechtigkeit zu erwarten gewesen wäre, zu beantworten sein. So lange aber noch nicht eine absolut voll
ständige Biographie vorliegt, wird man mit Freude und Ge
winn die vorliegende Arbeit benutzen. Ihre Ausstattung ist eine hervorragend gute.
Das Leben eines anderen Gegners L uther’s ist von katho
lischer Seite bearbeitet worden: P a t e r A u g u s tin von
A lf e ld (f um 1532). Ein Franziskaner aus den ersten Jahren
der Glaubensspaltung in Deutschland. Von P, L e o n h a r d
L e m m e n s, P riester des Franziskanerordens. [Erläuterungen
und Ergänzungen zu Janssen’s Geschichte des deutschen Volkes.