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Ideologisch motivierte Bauaufgaben für die sozialistische Gesellschaft in der jungen Sowjetunion und ihre konzeptionellen Veränderungsprozesse: Exemplarisch dargestellt an Kommunehaus, Arbeiterklub, Denkmal und Sowjetpalast: Teil I

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Academic year: 2021

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OPGAVEN VOOR DE SOCIALISTISCHE SAMENLEVING IN

DE JONGE

SOVJET-UNIE EN HAAR CONCEPTUELE

VERANDERINGSPROCESSEN

EXEMPLARISCH GEPRESENTEERD AAN DE HAND VAN

COMMUNEHUIS, ARBEIDERSCLUB, MONUMENT EN HET PALEIS VAN

DE SOVJETS

Proefschrift

ter verkrijging van de graad van doctor aan de Technische Universiteit Delft,

op gezag van de Rector Magnificus prof. dr. ir. J.T. Fokkema, voorzitter van het College voor Promoties,

in het openbaar te verdedigen op 15 oktober 2007 om 12:30 uur door

Dietrich Werner SCHMIDT Diplom-Ingenieur TU München /Duitsland

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Dit proefschrift is goedgekeurd door de promotoren: Prof. Dr. F. Bollerey

Toegevoegd promotor Dr. O. Màčel Samenstelling promotiecommissie: Rector Magnificus, voorzitter

Prof. Dr. F. Bollerey, Technische Universiteit Delft, promotor Dr.O. Màčel, Technische Universiteit Delft, toegevoegd promotor

Prof. Dr. B. Kreis, Georg-Simon-Ohm Fachhochschule Nürnberg, Duitsland Prof. Dr. J.-L. Cohen, New York University, USA

Prof. Dr. R. Graefe, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Oostenrijk Prof. ir. D.E. van Gameren, Technische Universiteit Delft

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IDEOLOGISCH GEMOTIVEERDE BOUWKUNDIGE

OPGAVEN VOOR DE SOCIALISTISCHE SAMENLEVING IN

DE JONGE SOVJET-UNIE EN HAAR CONCEPTUELE

VERANDERINGSPROCESSEN

EXEMPLARISCH GEPRESENTEERD AAN DE HAND VAN COMMUNEHUIS, ARBEIDERSCLUB, MONUMENT EN HET PALEIS VAN DE SOVJETS

Proefschrift ter verkrijging van de graad van doctor aan de Technische Universiteit Delft, door Dietrich W. SCHMIDT Dipl.-Ing. TU München / Duitsland geboren te Stahnsdorf / Berlin, Duitsland

KAPITELÜBERSICHT

1.

EINLEITUNG

2.

ARCHITEKTUR IM BEDINGUNGSFELD DER SOWJETGESELLSCHAFT

MARGINALIEN ZUR WIRKUNGSGESCHICHTE GESELLSCHAFTSPOLITISCHER

VERÄNDERUNGSPROZESSE IN DER ALLGEMEINEN ARCHITEKTONISCHEN ENTWICKLUNG IM ERSTEN DRITTEL DES 20. JAHRHUNDERTS: VON DER SPÄTEN ROMANOV-MONARCHIE BIS ZUR

FRÜHEN STALIN-DIKTATUR.

3.

„DOM-KOMMUNA“ - EINE SOZIALISTISCHE WOHNUTOPIE

DAS SOWJETISCHE KOMMUNEHAUS UND DER SOGENANNTE „ÜBERGANGSTYP“ ALS METAMORPHOSEN KOLLEKTIVEN WOHNENS ZWISCHEN IDEOLOGISCHEM DOGMATISMUS UND

ÖKONOMISCHEM PRAGMATISMUS

4.

PROGRAMM-ARCHITEKTUR FÜR DIE ERWACHSENENBILDUNG

ARBEITERKLUB UND KULTURPALAST: PROGRAMMATISCHE UND ARCHITEKTONISCHE ENTWICKLUNGEN EINES BAUTYPS FÜR DIE ARBEITERBILDUNG

5.

DER GENIEKULT UND SEINE ARCHITEKTUR IN DER SOWJETUNION:

EINE ANALYSE VON KOLUMBUSDENKMÄLERN FÜR SANTO DOMINGO IM ALLGEMEINEN SPEKTRUM SOWJETISCHER DENKMÄLER

6.

DAS SCHEITERN MODERNER KONZEPTIONEN BEIM WETTBEWERB FÜR DEN PALAST DER SOWJETS IN MOSKAU

VON DER FRUCHTBAREN KONKURRENZ MIT DER WESTLICHEN MODERNE ZU IHRER IDEOLOGISCHEN AUSGRENZUNG UND STAGNATION IN DERSELBSTISOLIERUNG. EIN VERSUCH

DIE STAATSIDEE ZU SYMBOLISIEREN

7.

SYNKRITISCHER DEUTUNGSVERSUCH DER RESULTATE

(4)

Dissertation Dipl.-Ing. D.W. Schmidt

IDEOLOGISCH MOTIVIERTE BAUAUFGABEN

FÜR DIE SOZIALISTISCHE GESELLSCHAFT

IN DER JUNGEN SOWJETUNION UND IHRE

KONZEPTIONELLEN VERÄNDERUNGSPROZESSE

EXEMPLARISCH DARGESTELLT AN KOMMUNEHAUS, ARBEITERKLUB, DENKMAL UND SOWJETPALAST

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EINLEITUNG

________________________________________

Ausgangssituation

Die russische Architektur wurde im 3. Jahrzehnt des Zwanzigsten Jahrhunderts von deutlich revolutionären Tendenzen geprägt: Rein äußerlich manifestierte sich diese Architekturauffassung in einer vehementen Ablehnung historischer Ausdrucksmittel; aber auch auf allen anderen Architektur determinierenden Ebenen, wie Konstruktion und Bautechnik, innere Nutzung und Funktion, äußere Funktion im städtebaulichen Organismus und in der Gesellschaft war diese Architektur antitraditionell, zukunftsorientiert. Das Ziel der diese Bauauffassung vertretenden Architekten war, zeitgemäß für eine alternative Gesellschaft zu planen und zu bauen. Diese modernistische, häufig technizistische und funktionalistische1

Architektur, überwiegend von den Vereinigungen des sogenannten „Rationalismus“ (АСНОВА, ASNOVA) und „Konstruktivismus“ (ОСА, OSA) bestimmt, wandte sich rigoros gegen alle älteren bestehenden Architekturauffassungen und gesellschaftliche Konventionen und wird deshalb mit Recht als „avantgardistisch“ bezeichnet. Diese unter dem Aspekt künstlerischer Innovation einzigartige Phase der russischen Architekturgeschichte war bestimmt von einem enormen gestalterischen Ideenpotential, dem festen Glauben an wissenschaftlich-technischen Fortschritt und einem großen Maß an sozialer Verantwortung. Zweifellos wurden ihre „Erfinder“, die Architekten, die sich dem sozialistischen Weltbild verpflichtet fühlten, von ideologischen Motivationen getragen. Obgleich also diese künstlerisch innovative, sozial verantwortete und industriell-technischem Effizienzdenken der Ingenieure verpflichtete Architektur dem sozialistischen Wertesystem des entstehenden sowjetischen Industriestaats ideal zu entsprechen schien, fand sie gegen Mitte der 30-er Jahre ein abruptes Ende. Dieses zwar oft konstatierte, aber noch nicht umfassend analysierte Bruch-Phänomen ist nicht auf die Sowjetunion beschränkt. Es scheint, wie nachzuweisen sein wird, auch mit politischen Entscheidungen zusammenzuhängen. Die rein kunstimmanente Erklärungsebene, die diese Zäsur etwa auf einen Verbrauch der normativ gewordenen Ausdrucksmittel, Monotonie oder schematische Simplifizierungen zurückführt, mag zwar auf entsprechende Beispiele eines

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reduzierten Zweckrationalismus (der – notabene - seine phantasieloseste Ausprägung allerdings erst in den 60-er und 70-er Jahren fand) durchaus zutreffen, greift aber zu kurz. Dergleichen Abnutzungserscheinungen finden sich zwar in allen Endphasen der Stilepochen; diese hatte der Rationalismus des Zwanzigsten Jahrhunderts aber nicht Mitte der 30-er Jahre erreicht, sondern erst Mitte der 70-er Jahre. Der Mitte der 30-er Jahre einsetzende Versuch, der elitären und zeitgemäßen geometrischen Industrieästhetik andere Ausdrucksformen mit größerer allgemeiner Akzeptanz entgegenzusetzen, endete in populistischen Surrogaten aus der vorindustriellen Vergangenheit.

Die Architektur der sowjetischen Avantgarde ist in ihren Grundzügen weitgehend bekannt. Eine inzwischen fast unüberschaubare Zahl von Publikationen auch im Westen hat immer wieder Teilaspekte dieser Architektur thematisiert bzw. generalisierende Überblickswerke geliefert. Dennoch sind einzelne Lücken etwa im bautypologischen Bereich vorhanden. So sind monographische Untersuchungen weder zum Bautyp des Kommunehauses noch zur Denkmaltypologie bekannt. Zum Arbeiterklub liegen inzwischen zwei neue Untersuchungen vor, deren Ergebnisse in dieser Arbeit teilweise berücksichtigt werden.2

Während die Geschichte des Wettbewerbs um den Sowjetpalast bereits mehrfach dargestellt wurde, wurden die politischen, kunstsoziologischen und architekturtheoretischen Implikationen seiner Veränderungsgeschichte noch nicht zusammenhängend dargestellt. Gleiches gilt für die Veränderungsprozesse bei den anderen genannten Bautypologien.

Der Sowjetpalast wurde bisher weniger vor dem Hintergrund seiner typologischen Veränderungsgeschichte vom nutzungsbetonten (zweckrationalen) Kongressgebäude der politi-schen und kulturellen Gremien zum symbolbetonten Denkmal des Staatsgründers untersucht. Vielmehr fand er auf westlicher Seite vor allem als stilgeschichtliches Umbruchsparadigma von zeitgemäßen (funktionalistischen bzw. konstruktivistischen) Architekturauffassungen zu obsoleten (neohistoristischen bzw. heroisierenden) Interesse.3 Auf sowjetischer Seite maß ihm

die offizielle, ideologiekonforme Interpretation lange Zeit in analoger Weise semaphorische

2 Вигдария Хазанова, Клубная жизнь и архитектура клуба [Vigdarija Chazanova, Klubnaja žisn’ i architek-tura kluba, deutsch: Klubleben und Klubarchitektur]1917-1941, Moskva 2000 und Christiane Post, Arbeiter-klubs der 20-er Jahre in Moskau, Diss. Wuppertal, 1999

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Bedeutung beim Stilwechsel von 1932 zur Auffassung des Sozialistischen Realismus zu.4 Die

architekturtheoretische Neuorientierung in nachstalinistischer Zeit führte in der Sowjetunion - abgesehen von ideologieneutraleren Beschreibungen der Wettbewerbsgeschichte - nicht zu neuen Interpretationen, die das gesellschaftliche Bedingungsfeld problematisieren.

So erscheint es interessant, insbesondere diese Lücken der Forschung zu schließen. Dies soll hier in Form von vier Gebäude- Katalogen gesellschaftlich relevanter Bautypen geschehen, die anhand von Primärquellen und schwer zugänglicher russischer Literatur im Vergleich mit westlichen Untersuchungen diskutiert werden. Dabei wird vor allem im Westen weitgehend unbekanntes Material erstmals erschlossen. Es handelt sich hier um vier getrennte Analysen, deren verbindende Klammer die gemeinsame Untersuchungsebene ist: Alle vier Gebäudetypen werden nach ihrer Bindung an die sozialistische Utopie und die jeweils spezifischen Auswirkungen gefragt.

Die bisherige Interpretation dieser Architektur blieb häufig auf die formalästhetische Analyse beschränkt.5 Auf dieser eingeschränkten Untersuchungsebene ist ein umfassendes Verstehen der

Bauaufgaben nicht möglich.

Das Interesse an dem Dissertationsprojekt entwickelte sich zunächst im Zusammenhang mit Lehrveranstaltungen an der Universität Stuttgart, die bei der Beschäftigung mit Architekturauffassungen des Zwanzigsten Jahrhunderts eine Lücke im Bereich der sowjetischen Architektur offen legten. Mehrere Exkursionen mit Studierenden nach Leningrad / St. Petersburg (1976), Moskau und Umgebung (1988 und 1989) brachten eine Annäherung an das Thema. Bei diesen Gelegenheiten wurden Kontakte zu sowjetischen Wissenschaftlern am

4 Vgl. die umfassenden Darstellungen des Allunions-Wettbewerbs von 1931 in: - Dvorec Sovetov SSSR, Hrsgg. von Sojus Sovetskich Architetktorov, Moskva 1933 Vsekochudožnika (=Verband der Sowjetarchitekten, Palast der Sowjets, Allunions-Preisbewerbung 1932, Verlag des Verbandes der Sowjetarchitekten und des Allrussischen kooperativen Verbandes der darstellenden Künste, «Vsekochudožnik», Moskau 1933); - Sovetskaja architektura Nr.2/3, 1933; - All-Union Academy of Architecture (Hrsg.), Dvorec sovetov, Moskva 1939

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kauer Architekturinstitut (MARCHI, Architekturhochschule) und am wissenschaftlichen Forschungsmuseum für Architektur (GNIMA) hergestellt. Erste eigene Arbeiten zum Thema und eine kleinere Publikation6 weckten das Interesse des Stuttgarter Instituts für Auslands-beziehungen, mit dem gemeinsam schließlich zwei große Ausstellungen zur sowjetischen Avantgarde-Architektur in der Kunsthalle Tübingen und an anderen Orten 1991 und 1993 reali-siert wurden.7 Diese Ausstellungen förderten den wissenschaftlichen Austausch nicht nur mit russischen Kollegen, sondern im Zusammenhang mit zwei Kolloquien jeweils zur Ausstellungseröffnung auch den zu amerikanischen, französischen, tschechischen und polnischen Kollegen. 1998/99 konnte ich durch Vermittlung von Herrn Dr. phil. habil. Otakar Máčel, TU-Delft, an der internationalen Ausstellung „Konstantin Mel’nikov e la costruzione di Mosca“ in Mailand teilnehmen. Analog zu diesen vorangegangenen Arbeiten, auf deren Ergebnisse teilweise zurückgegriffen wird, liegt in dem Dissertationsprojekt auch die Absicht, einen Beitrag zu einer problemorientierten aber ergebnisoffenen neutraleren Wertung von sowjetischer Architektur zu leisten.

Forschungsstand

Die Erforschung der sowjetischen Avantgarde-Architektur im eigenen Land begann Ende der Fünfziger Jahre, nachdem die „Pravda“ am 28. März 1956 die Hauptthesen aus Chruščevs Geheimreferat8 in dem Artikel „Warum ist der Geist des Personenkults dem Marxismus-Leninismus strikt fremd?“9 veröffentlicht hatte. Damit beginnt auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens der Sowjetunion, auch auf dem der Baugeschichtsschreibung, eine allmähliche Entdogmatisierung10, die als erste Phase der „Entstalinisierung“ bekannt wurde.

6 Das Haus der jungen Pioniere in Kalinin. Zur Wiederentdeckung eines Gebäudes von Iwan Leonidow; in: archithese Nr. 4, 1990, S. 37-39

7 Graefe, Schädlich, Schmidt (Red.), Avantgarde I 1900 - 1924. Russisch-sowjetische Architektur, Tübingen 1991 und Schädlich, Schmidt (Red.), Avantgarde II 1924 - 1937. Sowjetische Architektur, Tübingen 1993.

8 Rede vom 25. Februar 1956 auf dem XX. Parteikongress der KPdSU

9 Vgl. Hösch / Grabmüller, Daten der sowjetischen Geschichte. Von 1917 bis zur Gegenwart, München 1981, S.161, 162

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Für die sowjetische Akademie der Wissenschaften gab Igor’ E. Grabar’ mit anderen 1957 bis 1964 drei Bände mit Bibliographie in der Geschichte der russischen Kunst (История русского искусства, Istorija russkogo iskusstva) heraus: Band 11 behandelt die Zeit von 1917-34, Band 12 1934-41 und Band 13 1941-45. 1970 verfasste M. Kaganovič seine Bibliographie über grundlegende Veröffentlichungen in der RSFSR zwischen 1926 und 1932 (Библиография. Основные издания, вышедшие в РСФСР в1926-1932 гг., Bibliografija. Osnovnye izdanija, vyšedšie v RSFSR v 1926-1932 gg.). Die angegebene Literatur thematisiert vor allem die Architektur des betreffenden Zeitraums, aber auch die der prärevolutionären Epoche. Daneben gibt es umfangreiche Bibliographien von Vigdarija E. Chazanova in der Reihe „Из истории советской архитектуры“ (Iz istorii sovetskoj architektury, dt. „Die Geschichte der sowjetischen Architektur“), die von K.N. Afanas’ev u.a. 1963 (1917-1925 gg.), 1970 (1926-1932 gg. Tvorčeskie ob’edinenija = Schöpferische Vereinigungen, 211 S.) und 1984 (Rabočie kluby i dvorcy kul’tury = Arbeiterklubs und Kulturpaläste, 139 S.) im Moskauer Verlag „Nauka“ (Wis-senschaft) herausgegeben wurden.

Zahlreiche andere Bibliographien finden sich jeweils in der allgemeinen Literatur zur sowjetischen Architektur. So hat beispielsweise auch der Mel’nikov-Biograph Frederick Starr 1971 eine kürzere Bibliographie im Journal of the Society of Architectural Historians veröffentlicht.11

Die bisher wohl umfangreichste Bibliographie zur sowjetischen Architektur mit 1187 Titeln von Büchern und Zeitschriftenartikeln entstand indessen nicht in der Sowjetunion selbst, sondern in den USA, wo Anatole Senkevitch seit 1968 die betreffende Literatur in der Washingtoner Library of Congress auswertete.12 Im Vorwort konstatierte Senkevitch schon 1974 “the enormous quantity of material published on the subject”13. Inzwischen ist in der Sowjetunion und im Westen eine kaum noch überschaubare Zahl von Publikationen zur sowjetischen Architektur erschienen.

11 S.F. Starr, Writings from the 1960s on the Modern Movement in Russia, in: Journal of the Society of Archi-tectural Historians XXX, No. 2, May 1971, S.171-178

12 Anatole Senkevitch, Jr., Soviet Architecture 1917-1962. A Bibliographical Guide to Source Material, University Press of Virginia, Charlottesville, 1974

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Neben diesen Quelleneditionen kommt den Epochenübersichten eine wichtige Rolle zu, weil sie den Einstieg in die bautypologische Betrachtungsweise ermöglichen. Eine der ersten war die „Geschichte der sowjetischen Architektur 1917-1958“, die auf den Forschungen der späten 50-er Jahre am Institut für Theorie und Geschichte der Architektur an der Bauakademie Moskaus (НИИТАГ - NIITAG) basierte: Н.П. Былинкин, П.А. Володин, Я. Корнфельд, А.И. Михайлов, Ю. Савицкий, История советской архитектуры 1917-1958, N.P. Bylinkin, P.A. Volodin, Ja. Kornfel’d, A.I. Michajlov, Ju. Savickij, Istorija sovetskoj architektury 1917-1958, Moskva 1962. Ohne auf die gesellschaftlichen Hintergründe einzugehen, werden die Gebäude chronologisch nach Bautypen geordnet dargestellt. Ähnlich strukturiert ist das kurze Kapitel G. A. Šemjakins (S. 515 ff.) über die sowjetische Architektur in Teil 2 der „Allgemeinen Geschichte der Architektur“: Всеобщая история архитектуры, Vseobščaja istorija architektury, Moskva 1963.

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Sowjetunion, sondern 1983 als deutsche Übersetzung in Dresden erschien. (1544 Abbildungen auf 617 Seiten.) Neben zahlreichen Quellenangaben im Anhang (Teil III), einer umfangreichen Bibliographie und einem Architektenverzeichnis vermittelt es einen umfassenden Überblick über den „Weg zur neuen sowjetischen Architektur in den zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre“. Der erste Teil zeigt die Entwicklungslinien und diverse Strömungen bei der Suche nach adäquaten künstlerischen Ausdrucksformen, während der zweite Teil die gesellschaftsumbildenden Intentionen der Architekten darstellt. Erst nach dem Ende der Sowjetunion konnte der Autor sein Hauptwerk auch in russischer Sprache veröffentlichen, nun wesentlich umfangreicher in zwei Bänden: С.О. Хан-Магомедов, Архитектура Советского Авангарда. Проблемы Формообразования. Мастера и Течения, Москва, Стройиздат, 1996; [S.O. Chan-Magomedov, Architektur der sowjetischen Avantgarde. Probleme der Formbildung. Meister und Strömungen, Moskau 1996] (709 Seiten mit Abbildungsverzeichnis und Inhaltsangabe in englisch.) Fünf Jahre später erschien der zweite Band С.О. Хан-Магомедов, Архитектура Советского Авангарда. Социальные Проблемы, Москва, Стройиздат, 2001; С.О. Хан-Магомедов, Архитектура Советского Авангарда. Социальные Проблемы, Москва, Стройиздат, 2001; [S.O. Chan-Magomedov, Architektur der sowjetischen Avantgarde. Gesellschaftliche Probleme, Moskau 2001] (712 Seiten mit englischer Inhaltsangabe).

Überaus wertvolles Material, wie zeitgenössische Publikationen, Pläne und Fotos (letztere von unterschiedlicher Qualität) wurde u.a. von V.E. Chazanova am Moskauer Institut für Kunstgeschichte der Akademie der Wissenschaften gesammelt und von K.N. Afanas’ev u.a. in zwei Bänden (Iz istorii sovetskoj architektury s. S. 6) herausgegeben. Es findet seinen Niederschlag in:

• В.Э. Хазанова, Советская архитектура первых лет Октября, V.E. Chazanova, Sovetskaja architektura pervych let Oktjabrja (Sowjetische Architektur der ersten Jahre nach der Oktoberrevolution) 1917-1925, Moskva 1970 (212 S.).

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Planungsgrundlagen, Prinzipien des Wohnungsbaus und die Entwicklung neuer Ausdrucksformen.

Daran anknüpfend stellt die Autorin 10 Jahre später die wachsende Bautätigkeit in der Zeit wirtschaftlicher Gesundung und von der Partei geplanter Aufbauprogramme zwischen 1928 und 1932 vor:

• В.Э. Хазанова, Советская архитектура первой пятилетки, V.E. Chazanova, Sovetskaja architektura pervoj pjatiletki (Sowjetische Architektur des 1. Fünfjahresplans), Moskva 1980

Kleinere Werke enthalten oft hilfreiche Ergänzungen:

• Ю.С. Яралов (ред.), Архитектура советской Россий, Ju. S. Jaralov (Hrsg.), Architektura sovetskoj Rossii (Architektur des sowjetischen Russland), Moskva stro-jizdat 1975. (222 Seiten)

12 Kapitel werden in vier thematisch gegliederten Abteilungen (градостроительство/ Städtebau, крупные общественные зданиа/ Bedeutende Gesellschaftsbauten, архитектура жилых зданий и комплексов/ Wohnarchitektur und архитектура села/ ländliche Architektur) zusammengefasst. Die acht Autoren geben darin jeweils knappe Entwicklungsübersichten der Zeit zwischen 1917 und etwa 1970.

• В.В. Курбатов, Советская архитектура, V.V. Kurbatov, Sovetskaja architektura, Moskva Prosveščenie 1988. (203 Seiten)

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andererseits Architektenvereinigungen wie MAO, OACh, ASNOVA, OSA und VOPRA gemeint sind.

• А. М. Журавлев, А. В. Иконников, А. Г. Рочегов, Архитектура советской Россий, A.M. Žuravlev, A.V. Ikonnikov, A.G. Ročegov, Architektura sovetskoj Rossii (Architektur des sowjetischen Rußland), Moskva Strojizdat 1987 (447 Seiten)

Die Autoren strukturieren ihr Werk rein chronologisch in 10 Kapiteln, beginnend mit „Quellen und Traditionen“ (Истоки и традиции) des 19. Jahrhunderts, um dann „Die Zeit des Werdens (1917-1923)“ (Βремя становления), „Architektur in den Jahren der Rekonstruktion und sozialistischen Industrialisierung (1924-1932)“ (Архитектура в годы реконструкции и социалистической индустриализации), und „Architektur in den Jahren der Entfaltung des sozialistischen Bauens (1933-1941)“ ( Архитектура в годы развернутого строительства социализма) zu erörtern. Es folgen die „Architektur der Kriegs- und Nachkriegszeit (1941-1954)“ (Архитектура в годы войны и послевоенного восстановления), „Wende zum industrialisierten Hausbau (1955-1960)“ (Поворот к индустриалному домостроению), Architektur der sechziger, siebziger und achtziger Jahre und eine Schlussbetrachtung.

• Oleg A. Shvidkovsky (ed.), Building in the USSR 1917-1932, London 1971, (144 Seiten)

Acht verschiedene Autoren beschreiben hier in 16 Kapiteln zunächst allgemein künstlerische Entwicklungstendenzen, Architektenvereinigungen und die Architekturschule VChUTEMAS / VChUTEIN (Kapitel 1-4), um dann das Werk von 12 Architekten in jeweils einem Kapitel vorzustellen.

• Kyrill N. Afanasjew, Ideen - Projekte - Bauten. Sowjetische Architektur 1917 bis 1932, Dresden 1973 (Fundus-Taschenbuch Nr. 30) (160 Seiten)

11 Kapitel geben eine heterogene Gesamtübersicht der Entwicklung vor allem in Moskau. Einleitend werden die unterschiedlichen künstlerischen Auffassungen der Avantgarde mit Majakovskij, Tatlin, Malevič u.a. und der sogenannten „Akademiker“16 mit Žoltovskij, Ščusev, Fomin, Ščuko u.a. kurz vorgestellt. Etwas ausführlicher werden

(14)

dann die avantgardistischen Architektenvereinigungen ASNOVA und OSA erörtert, um dann im umfangreichsten Abschnitt „Die ersten Bauten“ darzustellen. Es folgen die Arbeiten der „Schüler und Nachfolger Alexander Wesnins“ und „Neue Typen von Wohnbauten und Siedlungen“. Anschließend werden mit der ARU und VOPRA zwei weitere Architektenvereinigungen vorgestellt. Der Übergang zum „Sozialistischen Realismus“ wird schließlich in dem Kapitel „Der Akademismus“ beschrieben, in dem Žoltovskij als „Interpret“ Palladios, Ščusev als „Komponist“ charakterisiert wird. Letzte-rem wird respektvoll noch ein eigenes Kapitel über sein Lenin-Mausoleum gewidmet. Eine Reihe von westlichen Darstellungen der Epoche folgt in Bezug auf Faktologie und zeitliche Eingrenzung diesen sowjetischen Übersichtswerken. Dabei ist anzumerken, dass der Jahreszahl 1917 lediglich eine politisch-symbolische Bedeutung zukommt; architekturhistorisch ist sie völlig irrelevant, selbst wenn man - wie in dieser Arbeit - gesellschaftlichen Entwicklungen de-terminierenden Einfluss beimisst, denn der politisch-soziale und kulturelle Veränderungsprozess setzte bereits deutlich vor 1917 ein und kann erst Ende der Zwanziger Jahre als vorläufig abge-schlossen bezeichnet werden.

• Bliznakov, Milka T., The Search for a Style: Modern Architecture in the U.S.S.R. 1917-1932, New York 1971 (Dissertation)

• de Feo, Vittorio, USSR Architettura 1917-1936, Roma 1963

• Lodder, Christina, Russian Constructivism, New Haven and London 1983 (328 S.) • Quilici, V., L’architettura del costruttivismo, Bari 1969

• Quilici, V. (ed.), Il costruttivismo, Roma 1991 (206 S.)

• Senkevitch, Anatole Jr., Trends in soviet architectural thought 1917-1932: the growth and decline of the constructivist and rationalist movements, Ithaca, 1974 (Dissertation) (521 S.)

• Cohen, Jean-Louis, Avant-gardes et revues d’architecture en Russie 1917-1941, in:

Revue de l'art No.89, 1990, S.29-38

• Cooke, Catherine, Russian Avant-Garde, art and architecture, in: Architectural Design

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• Gaßner, H., Gillen, E., Zwischen Revolutionskunst und Sozialistischem Realismus. Dokumente und Kommentare. Kunstdebatten in der Sowjetunion von 1917 bis 1934, Köln 1979 (560 S.)

• Pistorius, Elke (Hrsg.), Der Architektenstreit nach der Revolution. Zeitgenössische Texte Russland 1925-1932, Basel, Berlin, Boston 1992 (172 S.)

• Anatole Kopp, Ville et Révolution. Architecture et urbanisme soviétiques des années vingt, Paris Ed. Anthropos 1967 (277 S.) ; engl. Übersetzung Town and Revolution, London 1970 (274 S.)

• ders., Architecture et mode de vie, Grenoble 1979 (353 S.)

• ders., L’architecture de la période stalinienne, Grenoble 1978 (414 S.)

• ders., Quand le moderne n’était pas un style mais une cause, Paris Ecole nationale supérieure des Beaux-Arts1988 (333 S.)

• Barbara Kreis, Moskau 1917-35. Vom Wohnungsbau zum Städtebau, (Düsseldorf) 1985 [Dissertation] (243 Seiten)

• Lutz Beckmann, Die Beherrschung des Raumes. Die Raumkonzeption früher sowjetischer Avantgardekunst, Architektur und Propaganda 1917-1930, Darmstadt 1995 (Dissertation) (388 S.)

Diese Untersuchungen beziehen das gesellschaftliche Umfeld deutlicher und mit kritischer Distanz in die Interpretation der Architektur mit ein. Auch die typologisch eingegrenzte Arbeit von Barbara Kreis liefert jedoch keine umfassende Analyse des Kommunehauses.

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wenige Architekten auch von westlichen Autoren bearbeitet worden, wie Konstantin Mel’nikov (Frederick Starr, 1978 und Arthur Wortmann 1990, M. Fosso, M. Meriggi [ed.] 1999), Moisej Ginzburg (Anatole Senkevitch 1968), Černichov (Catherine Cooke, 1984 und C. Olmo / A. de Magistris, 1995), Ivan Leonidov (Catherine Cooke (Hrsg.) 1988) oder El Lissitzky (Kai-Uwe Hemken, 1990). Otakar Máčel publizierte je einen kurzen Überblick über das Werk von Aleksej Ščusev (1981) und Ivan Žoltovskij (1986), zwei Architektenpersönlichkeiten, die wegen ihrer eklektizistischen Arbeiten im Westen nur wenig Beachtung gefunden haben. Gerade die vergleichenden Analysen aber bei den Wettbewerben für das Kolumbusdenkmal in Santo Do-mingo und für den Sowjetpalast in Moskau machen eine Einbeziehung dieser als „konservativ“ bezeichneten Baumeister mit umfangreichem Oeuvre interessant und notwendig.

Eine Reihe von Ausstellungskatalogen zur sowjetischen Kunst untersucht das Wechselverhältnis von Kunst und Gesellschaft in der Sowjetunion in der Form generalisierender Überblicke über Kunst- und Kulturgeschichte unter Einbeziehung der Architektur. Sie ergänzen oftmals mit guten Reproduktionen von Originalplänen das Material der Epochenübersichten:

• Sowjetische Kunst während der Phase der Kollektivierung und der Industrialisierung, 1927-1933, Band 1, Katalog „Kunst aus der Revolution“ (50S.), Band 2, Materialien „Kunst in die Produktion!“ (227 S.), Berlin 1977 [Neue Gesellschaft für Bildende Kunst Berlin (West)]

• Utopies et realites en URSS 1917-1934, Agitprop, Design, Architecture, Paris 1980 • Nobis, N. (Hrsg.), El Lissitzky 1890-1941, Retrospektive, Halle 1988 (326 S.)

• Hemken, K.-U. (Hrsg.), El Lissitzky: Revolution und Avantgarde, Köln 1990 (211 S.) • El Lissitzky 1890-1941 : architect, schilderer, fotograaf, typograaf, Eindhoven 1991 (219

S.)

• J. Andel, N. Allison, Art into Life. Russian Constructivism 1914-1932, New York/Seattle 1990. (276 S.)

• Bettina-Martine Wolter, Bernhard Schwenk (Hrsg.), Die große Utopie. Die russische Avantgarde 1915-1932, Fankfurt 1992 (Vitali / Schirn) (781 S., überwiegend Malerei) • Alisa Ljubimova, Hubertus Gaßner (Hrsg.), Agitation zum Glück. Sowjetische Kunst

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• Peter Noever (Hrsg.), Tyrannei des Schönen. Architektur der Stalin-Zeit, München, New York 1994 (256 S.)

• Irina Antonowa, Jörn Merkert (Hrsg.), Berlin-Moskau 1900-1950, München, New York, 1995 (709 S. mit kleinem Architekturteil)

• Hayward Gallery (Hrsg.), Art and Power. Europe under the dictators 1930-45, London 1996; dt. Ausgabe: Kunst und Macht im Europa der Diktatoren 1930 bis 1945, darin das Kapitel „Moskau“ S.186 – 256

• Museum für Kunst und Gewerbe (Hrsg.), mit voller Kraft. Russische Avantgarde 1910-1934, Hamburg 2001 (318 S.)

Diese Kataloge behandeln die Architektur nur beiläufig, während die folgenden sie zu ihrem vorherrschenden Thema machen:

• J.-L. Cohen, M. De Michelis, M. Tafuri (Hrsg.), URSS 1917-1978: La città, L’architettura. La ville, l’architecture, Roma / Paris, L’Equerre, 1979 (371 S.)

• Tafuri, Manfredo (Hrsg.), Socialismo, Città, Architettura URSS 1917-1937. Il contributo degli architetti europei, Roma 1972

• Giorgio Muratore (Hrsg.), Architettura nel paese dei soviet 1917-1933, arte di propaganda et costruzione della città, Roma 1982 (240 S.)

• V. Quilici (ed.), Mosca capitale dell’ utopia, Milano 1991 (242 S.)

• R. Graefe, Ch. Schädlich, D.W. Schmidt (Red.), Avantgarde I 1900-1923. Russisch-sowjetische Architektur, Stuttgart 1991 (319 S.)

• Ch. Schädlich, D.W. Schmidt (Red.), Avantgarde II 1924-1937. Sowjetische Architektur, Stuttgart 1993 (288 S.)

Andere Kataloge unternehmen überwiegend phänomenologische Vergleiche auf formalästhetischer Ebene

• E. Sommer (Hrsg.), Konzeptionen in der sowjetischen Architektur 1917-1988, Berlin 1989 (227 S.)

• K. Bakos (Hrsg.), Kunst und Revolution. Russische und sowjetische Kunst 1910-1932, Wien 1988 (303 S.)

(18)

• Dimitri V. Sarabianov, Russian Art. From Neoclassicism to the Avant-Garde 1880-1917. Painting, Sculpture, Architecture, London 1990. (320 S.)

Sowjetische Kunsttopographien beschränken sich weitgehend auf deskriptive Darstellungen, wobei teilweise systemkonforme ideologische Deutungen nicht vermieden werden können:

• „Памятники архитектуры Ленинграда, Pamjatniki architektury Leningrada“ (Architekturdenkmäler Leningrads) von A.N. Petrov, E.A. Borisova, A.V. Povelichina, Leningrad 1975. (574 Seiten) Dieses umfangreiche Werk mit zahlreichen qualitätvollen Abbildungen ist in fünf Abschnitte gegliedert: Архитектурные ансамбли/ Architekturensembles, Памятники архитектуры XVIII века/ Denkmale des 18. Jahrhunderts, Памятники архитектуры XIX-XX веков/ Denkmale des 19. und 20. Jahrhunderts, Мосты и набережные/ Brücken und Kais, Памятники советской архитектуры/ Denkmale der sowjetischen Architektur, указатель/ Register. Dieser rein deskriptive Katalog zählt zu den apologetischen Darstellungen eines Denkmalpflegers von der historischen Architektur St. Petersburgs.

(19)

• Lappo, G.A., Chikishev, Bekker A., Moscow. Capital of the Soviet Union. A short geographical survey. Moscow (Progress) 1977.

• Anisimov, Alexander V., Architectural Guide to Moscow, Moscow 1992.

Der jüngste Architekturführer Moskaus liefert angenehm ideologiefrei einige bislang unbeachtete Detailinformationen. In der einleitenden Übersicht bringt Anisimov allerdings die Entstehung von Konstruktivismus und Rationalismus wieder mit der Revolution von 1917 in Verbindung:

Westliche Arbeiten dieser Art versuchen gesellschaftliche Zusammenhänge kritisch zu berücksichtigen, wobei gelegentlich die Neutralität gegenüber dem politischen System aufgegeben wird:

• Gosling, Nigel, Jones, C., Leningrad. History, art, architecture, London 1965 (252 S.) • Hamilton, F.E.I., The Moscow City Region, Oxford University Press 1976

• Berton, Kathleen, Moscow: An architectural history, London 1977 (256 S.) • Fauchereau, Serge (ed.), Moscow 1900-1930, New York 1988

• Ryabushin, A., Smolina, N., Landmarks of Soviet Architecture 1917-1991, Berlin 1992 (mit einem Vorwort von Vieri Quilici) (überwiegend Abbildungen auf 159 S.)

Trotz dieser beeindruckenden Breite der Forschung sind, wie schon erwähnt, Lücken bei bautypologischen Untersuchungen vorhanden.

Methode

Die bauhistorische Analysemethodik, die das Handlungsfeld des Architekten in seinem jeweiligen Bedingungsrahmen untersucht, lässt - auf die sowjetische Bautypologie angewendet - vertiefte Einsichten gegenüber der vorhandenen Literatur erwarten.

Aus dem Spektrum fortschrittlicher, also auf Veränderung bedachter Architektur, die in den ersten zwei Jahrzehnten nach der bolschewistischen Revolution von 1917 in oder für Russland entworfen wurde, werden exemplarisch vier Bauaufgaben analysiert, die den neuen

ideologischen Zielsetzungen und gesellschaftlichen Veränderungsvorhaben besonders deutlich

verpflichtet sind. Vorwegzunehmen ist hierbei, dass keine von ihnen als „Erfindung des Sozia-lismus“ gelten kann, obwohl ältere Literatur dies gelegentlich nahe legt.17

(20)

Hier soll der Versuch unternommen werden, die jeweils typische Problematik systematisch aufzuarbeiten und Lücken zu schließen. Dabei werden die Entwicklungen von Kommunehaus / „Übergangstyp“ und Arbeiterklub / Kulturpalast in eine Systematik von Bauprogrammen,

Entwicklungsstufen und realisierten Beispielen eingebunden.

Die Entwicklung der Denkmalsarchitektur wird im philosophischen Kontext des Geniegedankens zunächst kursorisch dargestellt, um dann den für die sowjetische Fort-schrittsorientierung typischen Sonderfall des amerikanischen Wettbewerbs für ein Kolumbusdenkmal in Santo Domingo zu deuten.

Obwohl es zahlreiche Untersuchungen auch auf westlicher Seite18zum Wettbewerb für

den Palast der Sowjets gibt, ist seine ideologische Geschichte noch nicht umfassend analysiert worden. Auch der in dieser Arbeit unternommene Versuch kann keine neuen, unveröffentlichten Quellen vorlegen; er stellt aber den Moskauer Wettbewerb anhand neuester internationaler For-schungen19in einen größeren ideologischen Zusammenhang und versucht einerseits die

wesent-lichen Beiträge bis 1932 - in eine Systematik der Architekturauffassungen gegliedert - zu analysieren und stellt andererseits bisher v.a. in Deutschland wenig beachtete Beiträge (etwa von van Loghem, Mel’nikov) zur Diskussion. Im Zusammenhang mit der Ideologiebindung wird vor allem auch die zeitgenössische Kritik diverser Fachzeitschriften ausführlicher beleuchtet. Insbesondere die mit diesem Bauprojekt verbundenen politischen Implikationen und Ziele sollen hier aufgezeigt werden. Dabei gilt ein besonderes Augenmerk der marxistischen Kritik der 30-er Jahre20 und ihrer Bewertung in postmoderner Zeit,21 während auf eine neuerliche politikwissenschaftliche Analyse der totalitären Volksrepräsentation verzichtet wird. Eine solche ist erst vor wenigen Jahren auf der Grundlage der Totalitarismusforschung durch Otto Karl

18 Eine der profundesten deutschen Untersuchungen legte Christian Borngräber mit seinem Aufsatz „Der Sowjetpalast im Zentrum von Moskau“ im Ausstellungskatalog der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf „Die Axt hat geblüht...“ Europäische Konflikte der 30-er Jahre in Erinnerung an die frühe Avantgarde 1937, hrsg. von Jürgen Harten, H.-W. Schmidt und M.L. Syring, Düsseldorf 1987, vor.

19 Berlinische Galerie (Hrsg.), Naum Gabo und der Wettbewerb zum Palast der Sowjets Moskau 1931-1933, Berlin 1992; Peter Lizon, The Palace of the Soviets - The Paradigm of Architecture in the USSR, Colorado Springs 1992. 20 M. Raphael, Das Sowjetpalais. Eine marxistische Kritik an einer reaktionären Architektur (ca. 1933-1934), postum veröffentlicht in: Max Raphael. Für eine Demokratische Architektur, Frankfurt 1976, S. 53-131 21 J. Held, „Zu den Entwürfen für das Sowjetpalais und ihrer Diskussion in den 30er Jahren“, in: Zeitschrift für

(21)

Werckmeisters Vergleich des Sowjetpalastes mit der großen Kuppelhalle Albert Speers in Berlin vorgelegt worden.22

In allen vier Untersuchungen werden auch Quellen des Moskauer Architekturmuseums und des Museums für die Geschichte St. Petersburgs ausgewertet, die im Zusammenhang mit der Arbeit für die Ausstellungen des Instituts für Auslandsbeziehungen, Stuttgart und des Moskauer Architekturmuseums zur sowjetischen Avantgarde-Architektur von 1991 und 1993 vom Autor und anderen ausgewählt wurden.

Als Methode wird die des „desktop research“, der vergleichenden Analyse überwiegend von Sekundärquellen (Literatur) unter Einbeziehung der dem Autor aus früheren Arbeiten bekannten Primärquellen vorgeschlagen, weil letztere schlecht zugänglich sind. Dem Autor ist bewusst, dass dies keine Bauforschung im engeren Sinne ist, also ausschließlich anhand von bisher unveröffentlichten Primärquellen, jedoch scheint ihm auch die Diskussion dieser Quellen lohnend. [Die überwiegend russische Literatur wurde mit Hinblick auf eine bessere Lesbarkeit in der internationalen Bibliotheksumschrift transliteriert (während die meisten DDR-Publikationen in der ungenaueren Transskription vorliegen); englische, französische und italienische Texte sowie kleinere russische Passagen wurden vom Autor selbst übersetzt. Lediglich bei längeren Passagen aus dem Russischen und Polnischen musste die Hilfe fremder Übersetzer in Anspruch genommen werden, was jeweils vermerkt wurde.]

In der bisherigen Forschung wurde - abgesehen von vereinzelten sowjetischen Veröffentlichun-gen von Materialien23 - dem bautypologischen Aspekt wenig Aufmerksamkeit geschenkt, so

dass die exemplarische Analyse von vier ideologisch motivierten Bautypen im Bedingungsfeld

der sich verändernden sowjetischen Gesellschaft als neuer Ansatz der Forschung zur

sowjetischen Baugeschichte angesehen werden kann. Alle vier Untersuchungen beziehen zudem westliche Parallelbeispiele und -entwicklungen mit ein, so dass die Erklärungsebenen in einen größeren Zusammenhang gestellt werden. Lediglich die Untersuchung von Barbara Kreis zum Moskauer Wohnungs- und Städtebau, die von Christiane Post über die Moskauer Arbeiterklubs

22 O.K. Werckmeister, Der Sowjetpalast in Moskau und die große Kuppelhalle in Berlin als projektierte Bauten einer totalitären Volksrepräsentation, in: G. Dolff-Bonekämper u. H. Kier (Hg.), Städtebau und Staatsbau im 20. Jahrhundert, München, Berlin 1996, S. 113-130

(22)

der 20-er Jahre (eingegrenzt auf 10 Beispiele) und die von Anatole Kopp zu Architecture et mode de vie (Architektur und Lebensweise) verfolgten einen vergleichbaren methodischen Ansatz.

Aufgabenstellung

Die Arbeit bemüht sich, den Gefahren einer autonomen Formanalyse im Sinne einer eigengesetzlichen Stilgeschichte zu begegnen, indem sie die Architektur eingebettet in die historischen Determinanten der Gesellschaft analysiert. Die Korrelationen von wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und sozialen Veränderungsprozessen zum Baugeschehen sollen das Verhältnis der Architekten zu ihren Bauaufgaben erklärbar machen.

Die hier verfolgte Analysemethodik will also historische Entwurfsleistungen auf ihre vielfäl-tigen Zusammenhänge und gesellschaftlichen Bedingungen hin überprüfen. Ökonomische Ver-hältnisse und kulturelle Entwicklungen, soziale Zustände und politische Ziele ergeben zusammen mit technologischen Entwicklungen (und juristischen Vorgaben) ein komplexes Bedingungsfeld, in dem der Architekt agieren musste, d.h. Aufträge annehmen oder ablehnen konnte, adäquate Ausdrucksmittel und konstruktive Umsetzungsmöglichkeiten finden sowie funktionale Nutzungskonzepte entwickeln sollte. Die Absicht, diese komplexen Zusammenhänge zu erklären, mag hie und da die Grenzen zwischen Baugeschichte und Architekturkritik verwischen. Dies wird aber bewusst in Kauf genommen, weil die bauhistorische Einordnung von Architekturkonzeptionen auch die kritische Deutung ihrer funktionalen, konstruktiven und formalen Mittel in Abhängigkeit ihres Bedingungsfeldes einschließt.

Eine solche Architekturgeschichte - vorbereitet von Siegfrid Giedion mit seinem revolutionären Lehrkonzept der 40-er Jahre in Harvard und Yale24 - entfernt sich von der gegen Ende des 19.

Jahrhunderts gepflegten Gestaltanalyse25, indem sie nicht allein das morphologische Substrat

problematisiert, sondern im Sinne Arnold Hausers26 auch sein Umfeld. Hannes Stekl stellt dazu

fest: „Bei einer derartigen Zugangsweise stellt sich eine Reihe von Fragen, die stilistische

24 Vgl. D.W. Schmidt, The Danger of History for Architects, in: do.co.mo.mo. Conference Proceedings, Barcelona 1994, S.149 ff.

(23)

Bewertungsmaßstäbe und darauf aufbauende Klassifikationen in den Hintergrund treten lassen. Etwa: [...] Welche Komponenten beeinflussten das Entstehen neuer Bautypen? Prägten praktische Bedürfnisse in besonderem Maße die Gestaltungsform? Inwieweit verkörpert Architektur stets eine bestimmte Ideologie? Und welcher Mittel, welcher Architekturzitate, welcher ästhetischer Kategorien bediente man sich zur Demonstration dieser Anliegen?“27

So wird klar, dass erfolgreiche Stilerneuerungsbestrebungen und konzeptionelle Veränderungen, von denen die sowjetische Avantgarde-Architektur gekennzeichnet war, nicht aus bloßem Formwillen und Überdruss an Bestehendem allein erwuchsen. (Aber auch nicht per Dekret.) Das Neue konstituierte sich nicht aus dem sich selbst verlängernden Alten, was für Art Nouveau und Neoklassizismus zutrifft28, wie Joachim Petsch schreibt, „sondern aus der problematisch gewordenen Wechselwirkung von Kunst und veränderter gesellschaftlicher Situation: der Wandel der Sozialstrukturen zieht veränderte inhaltliche und formale Strukturen nach sich. Damit ändert sich die Form nicht nach eigenen Gesetzen, sondern unter dem Druck geänderter Bedeutungsvorstellungen, Inhalte und Aufgaben.“29 Dies gilt nicht allein für die Form, sondern

für die architektonische Konzeption insgesamt.

Diese Feststellung trifft nicht nur, aber doch besonders deutlich auf die hier erörterten Bauaufgaben für die entstehende sozialistische Gesellschaft in Russland nach der Gründung der Sowjetunion zu, wie nachzuweisen ist.

Insofern wird Architektur als Selbstdarstellung der jeweiligen Gesellschaft verstanden, wobei die erwähnten unterschiedlichen Einflussgrößen deutlich werden. Analog zu den komplexen Veränderungsprozessen in der Gesellschaftsform vollzieht sich die Wandlung der architektoni-schen Ausdrucksform. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts folgt die Architekturentwicklung in den Industriegesellschaften vor allem dem Prinzip, den technischen Fortschritt möglichst umfassend zu nutzen, und dies auch sichtbar zu machen.30 Die geometrisch-technizistische

27 Hannes Stekl (Hg.), Architektur und Gesellschaft von der Antike bis zur Gegenwart, Salzburg 1980, S.9 (Reihe Geschichte und Sozialkunde, Band 6)

28 Hier muss gefragt werden, ob das auch für die Auffassung des „Sozialistischen Realismus“ in der konsolidierten Sowjetunion zutrifft.

29Joachim Petsch, Architektur und Gesellschaft. Zur Geschichte der deutschen Architektur im 19. und 20. Jahrhundert, Köln 1973, S. 10

(24)

so-Architektursprache des Rationalismus / Funktionalismus / Konstruktivismus findet darin ihre

klare und eindeutig zeitgemäße Begründung. In der vorliegenden Arbeit werden diese Veränderungsprozesse in der sowjetischen Gesellschaftsform zunächst im Kapitel über das allgemeine Bedingungsfeld der Architektur dargestellt und dann spezifisch im Zusammenhang mit den ausgewählten Bauaufgaben, um zu klären, ob und inwieweit die sowjetische Architektursprache diesem Prinzip folgt.

Auch das Prinzip der ökonomischen Effizienz wird unter dem Druck allgemein rezessiver Wirt-schaftsentwicklung nach dem Ersten Weltkrieg vor allem in der Architektur des Massenwoh-nungsbaus deutlich. Dieser wirtschaftliche Imperativ führte zur Förderung industrieller Bauweisen. So finden auch die Konstruktionsmerkmale der avantgardistischen Architektur hier ihre zeitgemäße Begründung. Obwohl die sowjetischen Ingenieurkonstruktionen hier nicht spezifisch untersucht werden können, ist ein Teilaspekt der hier behandelten Bautypen in der entstehenden Industriegesellschaft der Sowjetunion auch ihre Baukonstruktion.

Indem gleichzeitig auch der Gebäudenutzung mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, treten nicht nur funktionale Qualitätsmaßstäbe in den Vordergrund, sondern mit der Berücksichtigung der tatsächlichen Nutzer auch soziale Intentionen. Das nach dem Zusammenbruch der Mon-archien (mit ihrem Klassenwahlrecht) und unter dem Einfluss des Marxismus sich entwickelnde Gesellschaftsbild von mehr sozialer Gleichberechtigung findet hier seinen Ausdruck. Daneben werden Erkenntnisse der Hygiene (forciert durch epidemisch aufgetretene Krankheiten wie Cholera, Tuberkulose oder Rachitis) nicht nur bei Erholungsheimen und Kurhotels sondern auch insbesondere bei durchgrünten und durchlüfteten Siedlungen und in der heliotropen Ausrichtung von großzügig besonnten Wohngebäuden mit Querlüftung und hygienischer Wasserversorgung konsequenter auf die Architektur angewendet. Somit entspricht meist auch die funktionale

Konzeption der modernen Architektur den zeitgenössischen Ansprüchen der Gesellschaft.

Neben den hier untersuchten Bautypen zeigt sich diese funktionale Komponente z.B. bei den sowjetischen Kureinrichtungen etwa auf der Krim und an der georgischen Schwarzmeerküste,31)

aber etwa auch beim Fabrikgebäude oder Mietshaus. Im Rahmen der hier angestellten

Ressourcen (Solartechnologie, Wärmeschutzverordnung u.a.) und in der Rücksicht auf baubiologische Erkennt-nisse manifestiert.

(25)

Untersuchung betrifft der Aspekt der Funktionsgerechtigkeit die Bautypen des Arbeiterklubs und des Kommunehauses, sowie den Sowjetpalast.

Der Schwerpunkt dieser Untersuchung betrifft die sowjetische Architektur im ersten Drittel des Zwanzigsten Jahrhunderts. Allerdings beziehen die Kapitel über das kollektive Wohnen, die Architektur des Geniekults und den Wettbewerb für den Sowjetpalast auch die anschließenden Entwicklungen mit ein. Daher wird hier auch der Fragenkomplex tangiert, ob diese Stilveränderung zu Beginn des zweiten Drittels des Zwanzigsten Jahrhunderts eine

Erneuerungsbestrebung oder ein Rückfall war, inwieweit sie erfolgreich im Sinne der

Selbstdarstellung einer Zukunftsgesellschaft war, ob sie also neue technologische Entwicklungen oder wissenschaftliche Erkenntnisse aufnahm (wie die Avantgarde oder die Architekten der 90-er Jahre) und woraus sie 90-erwuchs.

Wenn also eingangs die Zielvorstellung formuliert wurde, problemorientiert aber ergebnisoffen die sowjetische Architektur des Untersuchungszeitraums neutraler zu bewerten, dann kann das nicht bedeuten, dass konkurrierende frühsowjetische Architekturauffassungen mit anderen Gestaltungs- Konstruktions- und Funktionsprinzipien, die eben nicht diesem Zeitgeist entsprachen, sondern historischen Mustern, kritiklos zu bewerten. Dagegen muss kritische Deutung von Architektur nach der Auffassung des Autors gerade nach den Unterschieden baulicher Konzeptionen hinsichtlich der Erfüllung zeitgemäßer Ansprüche suchen. Die angestrebte Neutralität bezieht sich also auf das politische System. Hier soll also dem Phänomen Rechnung getragen werden, dass durchaus ähnliche Architekturauffassungen und –leistungen etwa zeitgleich sowohl in den westlichen Demokratien (Holland, Schweiz, Österreich, Frankreich, Deutschland bis 1933) und im faschistischen Italien (Razionalismo, Gruppo 7), als auch im sozialistischen Russland entstanden.

Obgleich auch bei - für die Sowjetunion weitgehend neuen - Bauaufgaben wie dem öffentlichen Verwaltungsbau (Rathäuser32, Ministerien, und dergleichen), dem Industriebau (Fabriken,

Kraftwerken, Großküchen33) oder dem „konventionellen“ Wohnungsbau, Sporteinrichtungen,

Schulen, Krankenhäusern usw., dieses Phänomen der Selbstdarstellung grundsätzlich erkennbar

32 Als erstes Gebäude für eine kommunale Selbstverwaltung in Russland wurde 1887-90 die Moskauer Stadtduma (Rathaus) von Dmitri N. Čičagov erbaut.

(26)

ist, lässt es sich doch bei den gewählten vier signifikanten Bautypen, von denen drei eine eng mit den determinierenden Begriffen des sozialistischen Russland korrelierende Bezeichnung haben, mit größerer Deutlichkeit nachweisen: Das Kommunehaus für eine kommunistische Gesellschaft, der Arbeiterklub für den Arbeiter- und Bauernstaat sowie der Sowjetpalast für die Sowjetunion. Aber auch die Architektur des Geniekults bzw. die Denkmäler dienten natürlich besonders deutlich der Selbstdarstellung der etwa seit 1924 vom Personenkult durchsetzten Verehrungskultur im Sowjetstaat. Eine Sonderrolle nimmt hier die grundsätzlich andere

Konzeption einiger Kolumbusdenkmäler der sowjetischen Avantgarde ein, weshalb dieser

Komplex in die Untersuchung mit einbezogen wird.

In diesen vier innovativ verstandenen Bauaufgaben manifestiert sich die architektonische Selbstdarstellung des anfangs als Zukunftsgesellschaft interpretierten Sowjetsystems.

Andere frühsowjetische Bauaufgaben, wie die oben erwähnten, oft nicht weniger innovativ, werden in dieser Arbeit nicht berücksichtigt; denn einerseits fehlen ihnen nicht nur die erwähnten Konnotationen, sondern andererseits auch die parallel mit den ideologischen Veränderungsprozessen einhergehenden konzeptionellen. Die dort zu beobachtenden Wandlungen betreffen vor allem die formale Gestaltung.

Ein großer Teil der hier vorgestellten Architektur blieb unrealisiert. Einerseits spiegelt sich natürlich auch in diesen Entwürfen die sich wandelnde ideologische Motivation, andererseits bleibt aber durch die meist zweidimensionale Darstellung ihre oft fulminante räumliche Qualität nur unzureichend erklärt. Selbst gewisse Bauten haben durch spätere Veränderungen einen signifikanten Qualitätsverlust erfahren. Im Bewusstsein dieses Defizits hat der Autor in mehreren Lehrveranstaltungen zahlreiche Modelle entweder von unrealisierten Entwürfen (v.a. des Kolumbus-Denkmals [11] und des Sowjetpalasts [17]) oder von stark veränderten Gebäuden (etwa Zuev-Klub, Rot-Front-Klub, Svoboda-Klub, Politkatoržan-Klub) rekonstruieren lassen. Ein Teil davon dient in dieser Arbeit der erläuternden Dokumentation.

Gliederung

Inhaltliche Einführung in das allgemeine Umfeld

(27)

Marginalien zur Wirkungsgeschichte gesellschaftspolitischer Veränderungsprozesse in der allgemeinen architektonischen Entwicklung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts: von der späten Romanov- Dynastie bis zur frühen Stalin-Diktatur

• Methodische Vorbemerkungen • Die Agonie der Romanov- Dynastie

• Lenins Räterepublik: Anfänge des bolschewistischen Staates bis 1923 • Sowjetmacht und Stalin-Diktatur: Entwicklungen ab 1924

• Moskau: Die neue Hauptstadt

Hauptteil: Vier exemplarische Bautypen und ihre ideologisch bedingten Veränderungen

2. „DOM-KOMMUNA“ - EINE SOZIALISTISCHE WOHNUTOPIE.

Das sowjetische Kommunehaus und der sogenannte „Übergangstyp“ als Metamorphosen kollektiven Wohnens zwischen ideologischem Dogmatismus und ökonomischem Pragmatismus.

• Historische Modelle Kollektiven Wohnens • Anmerkungen zum Utopiebegriff

• Kollektive Wohnkonzepte im sozialdemokratischen Zukunftsstaat vor 1917

• Bürgerliche Vorläufer im Westen: Einküchenhäuser in Kopenhagen, Berlin und Zürich • Kollektive Wohnbauten der Zwanziger Jahre in Westeuropa

• Sowjetische Vorstufen 1918-1926: Bewahrung der Familie

• Revolution im Wohnungsbau: Die Ideologie vom vergesellschafteten Wohnen im „Dom-Kommuna“ – Negation der Familie

• Der Konstruktivismus und seine „Übergangstypen“: Ökonomischer Pragmatismus und Toleranz gegenüber der Familie

• Abschied vom Kommunehaus und seiner ideologischen Rechtfertigung • Renaissance des kollektiven Wohnmodells nach dem Zweiten Weltkrieg • Zusammenfassung

3. PROGRAMM-ARCHITEKTUR FÜR DIE ERWACHSENENBILDUNG

(28)

• Erwachsenenbildung – Volkshaus – proletarische Kultur – sozialistische Lebensweise • Die proletarische Kulturbewegung und ihre ideologischen Programme für den

Arbeiter-klub

• Bauliche Konzeptionen des Arbeiterklubs: Die Anfänge • Versuche der Typenbildung (Entwürfe)

• Der Arbeiterklub als Eckpfeiler der sowjetischen Bildungspolitik

• Der Arbeiterklub im Spannungsfeld von Staats- und Parteipolitik: Exemplarische Bauten des Konstruktivismus

• Der Einfluss des Konstruktivismus: Architektonische Metaphern der „Neuen Lebensweise“

• Moskauer Arbeiterklubs von K. S. Mel’nikov: Ideologische Ambivalenz • Golosovs Zuev-Klub in Moskau 1927-29: Ein architektonischer Sonderfall • Bilanz der Bautätigkeit und Revision der ideologischen Ziele

• Der Kulturpalast – opulentere Variante mit universellem Anspruch für den sozialistischen Kulturbetrieb

• Die Entwicklungslinie der programmatischen und architektonischen Veränderungs-prozesse

4. DER GENIEKULT UND SEINE ARCHITEKTUR IN DER SOWJETUNION

Eine Analyse von Kolumbusdenkmälern für Santo Domingo im allgemeinen Spektrum sowjetischer Denkmäler

• Architekturverständnis in der jungen Sowjetunion • Zum Denkmalbegriff

• Der Geniekult

• Sowjetische Denkmäler

• Anmerkungen zum zeitgenössischen Kolumbusbild

• Wettbewerbsprogramm und Jury von 1928/29 für das Kolumbusdenkmal in Santo Domingo

(29)

• Sowjetische Beiträge zum Wettbewerb • Die Ergebnisse vom April 1929 in Madrid • Das Fiasko des Wettbewerbs

• Das Idealisierungsobjekt: Individuelles Genie oder universeller Fortschritt

5. DAS SCHEITERN MODERNER KONZEPTIONEN BEIM WETTBEWERB FÜR DEN PALAST DER SOWJETS IN MOSKAU

Von der fruchtbaren Konkurrenz mit der westlichen Moderne zu ihrer ideologischen Aus-grenzung und Stagnation in der Selbstisolierung. Ein Versuch die Staatsidee zu symbolisieren

• Ein Symbolbau der Staatsidee

• Orientierungspunkte im zeitgenössischen Wettbewerbsspektrum • Vorgeschichte: Standortsuche, Verquickungen

• Der 1. Wettbewerbsdurchgang Frühjahr 1931 auf nationaler Ebene

• Die Herausforderung des sozialistischen Zukunftsstaates im 2. Durchgang Sommer 1931: Internationale Konkurrenz

• Vom Forum der Sowjetrepubliken zum Palast des Bolschewismus: Nationale Isolation • Der Palast als Sockel eines Denkmals

• Wiederaufleben der Palastidee nach dem Zweiten Weltkrieg • Das Ende der Palast-Idee

Schluss: Versuch einer zusammenfassenden Interpretation der Veränderungsprozesse.

SYNKRITISCHER DEUTUNGSVERSUCH DER RESULTATE

Vier Bauaufgaben in der jungen Sowjetunion als architektonische Paradigmen ideologischer Veränderungsprozesse

LITERATUR, ANHANG

PERSONENREGISTER (jeweils am Ende des Kapitels) ORTSREGISTER (jeweils am Ende des Kapitels)

(30)
(31)

ARCHITEKTUR IM BEDINGUNGSFELD DER

SOWJETGESELLSCHAFT

MARGINALIEN ZUR WIRKUNGSGESCHICHTE GESELLSCHAFTSPOLITISCHER VERÄNDERUNGSPROZESSE IN DER ALLGEMEINEN ARCHITEKTONISCHEN ENTWICKLUNG IM ERSTEN DRITTEL DES 20. JAHRHUNDERTS: VON DER SPÄTEN

ROMANOV-MONARCHIE BIS ZUR FRÜHEN STALIN-DIKTATUR.

(32)

ARCHITEKTUR IM BEDINGUNGSFELD DER

SOWJETGESELLSCHAFT

MARGINALIEN ZUR WIRKUNGSGESCHICHTE GESELLSCHAFTSPOLITISCHER VERÄNDERUNGSPROZESSE IN DER ALLGEMEINEN ARCHITEKTONISCHEN ENTWICKLUNG IM ERSTEN DRITTEL DES 20. JAHRHUNDERTS: VON DER SPÄTEN

ROMANOV-MONARCHIE BIS ZUR FRÜHEN STALIN-DIKTATUR. _______________________________________

INHALT

METHODISCHE VORBEMERKUNGEN 3 WIRKUNGSFAKTOREN 3 WANDLUNGSPROZESSE 3 EXKURS:KONSERVATISMUS 4 EXKURS:MOTIVATIONSTHEORIE 7 EXKURS:IDEOLOGIE 9

DIE AGONIE DER ROMANOV-DYNASTIE 10 DIE SCHÖNE LARVE DER ALTEN GESELLSCHAFT:EKLEKTIZISMUS UND JUGENDSTIL 12 DIE JANUAR-REVOLUTION VON 1905:ERSTES PARLAMENT (DUMA) 14 DER RUF NACH ORDNUNG UND SICHERHEIT:NEOKLASSIZISMUS 16

ERSTER WELTKRIEG UND UMSTURZ 17

LENINS RÄTEREPUBLIK: ANFÄNGE DES BOLSCHEWISTISCHEN STAATES

BIS 1923 18

KRIEGSKOMMUNISMUS 1917-1921 18

DAS VOLKSKOMMISSARIAT FÜR VOLKSAUFKLÄRUNG: 20

ANSCHLUSS AN WESTLICHE STANDARDS DURCH DEKRETE 28

KUBOFUTURISMUS:PAPIERARCHITEKTUR 29

POLITIK OHNE KUNSTZENSUR 31

NEUE ÖKONOMISCHE POLITIK (NĖP)1921-1928 32

WIRTSCHAFTLICHE LIBERALITÄT 32

POLITISCHE ORTHODOXIE 33

PLURALISTISCHE ARCHITEKTUR 34

(33)

SOWJETMACHT UND STALIN-DIKTATUR: ENTWICKLUNGEN AB 1924 40 INDUSTRIALISIERUNG UND ZWANGSKOLLEKTIVIERUNG:DER ERSTE FÜNFJAHRESPLAN 40 INNENPOLITISCHE DURCHSETZUNGSSTRATEGIEN 46

PERSONENKULT 46

BESEITIGUNG DER RESTDEMOKRATIE DURCH TERRORJUSTIZ 47

SCHAUPROZESSE 49

NEUES BAUEN IM SOWJETSTAAT 50

VON DER DESAVOUIERUNG UND SKANDALISIERUNG DER MODERNE ZUR REPRESSION 53

KONVERSION DER KULTURPOLITIK 56

ZENTRALISIERUNG UND SOZIALISTISCHER REALISMUS 57

MOTIVE DES SOZIALISTISCHEN REALISMUS 61

VON DER ZUKUNFTSORIENTIERUNG ZUR LEGITIMATION DURCH DIE VERGANGENHEIT 63

DAS VERHALTEN DER ARCHITEKTEN ZUR REAKTIONÄREN KULTURPOLITIK 64

SUBORDINATION DER ARCHITEKTEN 64

GEGENSEITIGE DIFFAMIERUNG DER ARCHITEKTEN: DIE PARTEI ALS VORBILD 66

MOSKAU: DIE NEUE HAUPTSTADT 70 DER ALTE KREML ALS NEUER REGIERUNGSSITZ 71 DIE WOHNUNGSSITUATION:ZENTRIFUGALE KRÄFTE 72 GEGENMAßNAHMEN DER VERWALTUNG UND DER ARCHITEKTEN:VARIANTEN DES

WOHNUNGSBAUS 73

KULTUR FÜR DAS PROLETARIAT:ARBEITERKLUBS 76 ZENTRIPETALE KRÄFTE:DIE MACHTZENTRALE IM EINPARTEIENSYSTEM,SOWJETPALAST

77 PERSONENREGISTER 79

ORTSREGISTER 82

ABBILDUNGSVERZEICHNIS 84

(34)

ARCHITEKTUR IM BEDINGUNGSFELD DER

SOWJETGESELLSCHAFT

MARGINALIEN ZUR WIRKUNGSGESCHICHTE GESELLSCHAFTSPOLITISCHER VERÄNDERUNGSPROZESSE IN DER ALLGEMEINEN ARCHITEKTONISCHEN ENTWICKLUNG IM ERSTEN DRITTEL DES 20. JAHRHUNDERTS: VON DER SPÄTEN

ROMANOV-MONARCHIE BIS ZUR FRÜHEN STALIN-DIKTATUR.

____________________________________________

Methodische Vorbemerkungen

Wirkungsfaktoren

Architektonische Veränderungsprozesse können sinnvoller Weise nur im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen beurteilt werden. Versteht man nämlich - anders als die Materialisten des Neuen Bauens1 - unter Architektur die Kunst, deren Ausdruckswerte an Bauwerken in Erscheinung treten, also mehr als nur eine Ingenieurleistung2, dann kann man mit Arnold Hauser feststellen, dass nicht nur die Architektur ein Produkt der Gesellschaft ist, sondern dass auch umgekehrt die Gesellschaft als ein Resultat von Einflüssen der Architektur verstanden werden kann.3 Soziale, ökonomische, technologische und kulturelle, auch verwal-tungsjuristische Einflussfaktoren bestimmen die Reaktionen der Architekten auf zeitgenössische Phänomene. Selbst politische Vorgaben können den Entwurfsprozess steuern. Umgekehrt reagiert auch die Gesellschaft und ihre Politiker auf architektonische Produkte, indem sie sie anerkennt oder ablehnt.

Wandlungsprozesse

Aufgrund dieser Vielfalt und Wechselwirkung von Einflussgrößen wird klar, dass neue

1 Der kommunistische Architekt Hans Schmidt aus Basel hatte 1927 geschrieben: „Das Bauen ist nicht Architektur, sondern seinem ursprünglichen Wesen nach Technik, also eine Angelegenheit des Notwendigen, eine Äußerung der primitivsten Ansprüche an das Leben.“ (In: Das Werk Nr. 5, Mai 1927)

2 Der sowjetische Konstruktivist Aleksej Gan hatte 1922 gar den Tod der Kunst proklamiert: „Die Kunst hat aufgehört. Sie hat keinen Platz im menschlichen Arbeitsapparat. Arbeit, Technologie, Organisation!“ (In: A. Gan, Konstruktivismus; hier zitiert nach: R. Andrews, M. Kalinovska, Art into Life. Russian Constructivism 1914-1932, New York, 1990, S. 83)

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Kunst- und Architekturauffassungen nicht plötzlich entstehen können, etwa als unmittelbare Folge eines politischen Umsturzes. Ein solcher kann zwar ganz allgemein kulturelle Entwicklun-gen bremsen, ja unterdrücken, oder aber fördern und beschleuniEntwicklun-gen. Derartige Wand-lungsprozesse vollziehen sich jedoch allmählich im politischen Bedingungsfeld und nicht im Augenblick etwa per Dekret.4 Daher wird hier eine Betrachtungsweise, die das Aufkommen neuer Architekturauffassungen allzu eng an den politischen Umsturz von 1917 und ihre Initiatoren bindet, nicht übernommen. Denn einerseits ist eine Vielzahl von konkreten, nicht nur machtpolitischen Faktoren verantwortlich dafür, andererseits aber auch so schwer greifbare Dinge, wie das jeweilige Lebensgefühl oder Grundstimmungen, die von der vehementen Bejahung der Gegenwart bis zu ihrer nicht minder vehementen Ablehnung reichen können. Zwischen diesen extremen Haltungen tut sich ein Spektrum von Handlungsmotivationen auf wie etwa die konservative Furcht vor dem Neuen, die träge Akzeptanz der Desinteressierten, aber auch das Streben nach Erneuerung, der progressive Wunsch nach Verbesserungen durch allmähliche Reformen bzw. die revolutionäre Forderung nach radikalen Veränderungen usw.. Selbst das Ende dieser hier beschriebenen Architekturauffassungen der sowjetischen Avantgarde vollzieht sich trotz politischer Einflussnahme nicht abrupt 1932 mit dem Ende des ersten Fünfjahresplans, der Entscheidung im internationalen Wettbewerb für den Sowjetpalast und der Bildung des zentralistischen Verbandes Sowjetischer Architekten (ССА) im gleichen Jahr, sondern schrittweise in der Mitte der 30-er Jahre. Diese Wandlungsprozesse werden in dieser Arbeit thematisiert, zunächst überblickartig und dann bei den ausgewählten Bautypen. Zum besseren methodischen Verständnis werden hier drei grundlegende Exkurse vorangestellt, die geeignet erscheinen, die hier beschriebenen Prozesse diskursiv zu deuten.

Exkurs: Konservatismus

Zur konservativen Furcht vor dem Neuen führte der Stuttgarter Politikwissenschaftler Martin Greiffenhagen aus: Im Gegensatz zum demokratisch orientierten Konservatismus in Amerika habe der Konservatismus im kontinentalen Europa seine Verbindung zur Monarchie und zu feudalen Gesellschaftsstrukturen lange beibehalten. Gegenüber den fortschrittlich-rationalen Ideologien von Liberalismus und Sozialismus berufe sich der

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Konservatismus auf gewachsene Traditionen des eigenen Landes, nenne sie gern „orga-nisch“. Daher habe er lange Zeit daran gezweifelt, dass es überhaupt möglich sei, Gesell-schaftsstrukturen in großem Umfang zu planen und gesellschaftliche Abläufe zu pro-grammieren. „Der Konservatismus signalisiert [...] Zeitwende als Abfall von der alten Ordnung, als Krankheit eines Kultursystems. [...] Heilung liegt für ihn nur in einer Be-sinnung auf das »Alte Wahre« der von der Tradition noch angebotenen Glaubenssätze und Institutionen. Zur konservativen Philosophie gehört also die Erfahrung des Verlustes und Zerbrechens überkommener Sicherheiten. Reagiert der Progressive auf solche Um-brüche optimistisch und begrüßt sie eher als Chance für eine freiere und humanere Zu-kunft, so glaubt der Konservative nicht an eine Wendung zum Besseren. Konservative Philosophie ist skeptisch, zuweilen pessimistisch.“5 Für die hier erörterte progressive Ar-chitektur im Bedingungsfeld der jungen Sowjetgesellschaft ist diese konservative Philo-sophie nur von geringer Bedeutung, obwohl man dem verallgemeinernden Urteil Pierre Auffrays gerade in bezug auf die sowjetischen Revolutionäre zustimmen kann: „Im all-gemeinen sind die revolutionärsten Geister auf sozialem Gebiet, wenn es um Kunst geht, die reaktionärsten.“6 Die konservative Kunstauffassung der politischen Entscheidungs-träger wie Lenin oder Lunačarskij behinderte die architektonische Entwicklung anfangs kaum. Zwar werden gewisse Wettbewerbsarbeiten wie die der Gebrüder Vesnin für den Palast der Arbeit 1923, Ščusevs für das Telegrafenamt 1925 oder mehrere für die Lenin-bibliothek7 1928 diskreditiert; aber im allgemeinen kann sich die progressive Architektur bis Anfang der Dreißiger Jahre gut behaupten. Erst Stalin nahm nachhaltig Einfluss, nachdem der erste Fünfjahresplan (1928-1932) abgeschlossen und seine persönliche Macht gefestigt war.

Auch in der jüngeren russischen Kulturgeschichte finden sich Erneuerungsbestrebungen relativ häufig, hier allerdings bisweilen verbunden mit dem Terminus der Wiedergeburt.

5 M. Greiffenhagen, Konservatismus, in: Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd.14, Mannheim 1975, S.158. (Bzw. ausführlicher: Ders., Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, München, 1971, S. 122, 123, 143)

6 Hier zitiert nach: Theo van Doesburg, Abstraktion, Traum und Utopie, in: „Het Bouwbedrijf“ 5.1928, Nr. 22, S. 436-441. (Dt. Übersetzung: Theo van Doesburg, Über europäische Architektur. Gesammelte Aufsätze aus „Het

Bouwbedrijf“ 1924-1931, Basel 1990, S. 198)

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Schon ab Mitte der Achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in Abramcevo8 als Gegenströmung zum Eklektizismus der „Neorussische Stil“. Ihre Protagonisten V.M. Vasnecov und E.D. Polenova verstanden sich als Erneuerer der russischen Kunst, indem sie die abstrakte Applikation einzelner kopierter Details (wie beim Historismus des „Pseudorussischen Stils“) ablehnten, und zu ursprünglichen Ausdruckswerten russischer Bautradition zurückkehren wollten.9 Auch der Neoklassizismus vor dem Ersten Welt-krieg suchte sein Erneuerungspotential im Rückgriff auf die Vergangenheit, hier auf das Sicherheit versprechende Regelwerk des Klassizismus aus der Zeit siegreicher Feldzüge gegen Napoleon. Selbst nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion 1991 tauchte der Begriff von der „Wiedergeburt Russlands“ auf, der sich architektonisch vor allem im Wiederaufbau der Erlöserkathedrale Konstantin A. Thons manifestierte [vgl. das Kapitel über den Sowjetpalast, S. 80]. Andererseits zeigt gerade die Kunst und Architektur der sowjetischen Avantgarde mit ihrer Technikeuphorie, Wissenschaftsgläubigkeit und Be-geisterung für soziale Gerechtigkeit unübersehbar das Phänomen einer zukunftsorientier-ten Erneuerung.

Der Begriff der Erneuerung birgt also einen Interpretationskonflikt, der sich aus zwei wi-derstrebenden Grundhaltungen ergibt:

• Die erste Grundhaltung ist rational-progressiv; sie nimmt den Bruch mit der Vergangenheit in Kauf, erteilt der Tradition eine klare Absage. Der Glaube an Prosperität, Technik und Wissenschaft, verbunden mit der Hoffnung auf das neue Gesellschaftssystem überwiegt. Erneuerung bedeutet Innovationsfreude. Insbe-sondere die auf dieser Grundhaltung basierende Architektur in der jungen Sow-jetunion wird in dieser Arbeit diskutiert.

• Die andere Grundhaltung ist romantisch-regressiv; sie setzt auf die Wiederbele-bung verloren geglaubter Werte, also auf Konservatismus und Traditionsbe-wusstsein. Erneuerung bedeutet hier Stagnation, Depression. Auch diese Grund-haltung findet sich in der frühsowjetischen Architektur und gewinnt nach dem Ende des ersten Fünfjahresplans sukzessive an Bedeutung.

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Exkurs: Motivationstheorie

Die Motivationstheorie sucht menschliches Verhalten mit zwei unterschiedlichen Be-weggründen zu erklären: Mit der Vermeidung von Misserfolg einerseits und mit dem Aufsuchen von Erfolg andererseits.10

• Die Tendenz, Erfolg aufzusuchen, ist dort gegeben, wo die Bereitschaft vorhanden ist, sich mit einem Gütemaßstab positiv, verändernd auseinander zusetzen. In der Archi-tektur (wie auch in anderen Lebensbereichen) wird dieser Gütemaßstab vom Beste-henden definiert. Die Ursache für die Auseinandersetzungsbereitschaft mit bestehen-den Architekturmaßstäben ist in einem mittleren Anspruchsniveau zu suchen: Die Aufgabe, Neues zu entwickeln, wird nicht für zu schwer, aber auch nicht für zu leicht gehalten. Die Abwesenheit eines verbindlichen, klaren Kanons begünstigt diese Ein-schätzung, besonders des Progressiven, der allzu ausgeprägte Regeln als unzulässige Reglementierung empfindet, der auch in zu deutlichen Ordnungsabsichten eher Ver-ordnungen erkennt und ablehnt. Insbesondere in der jungen Sowjetunion waren solche aufsuchenden Tendenzen auf allen Ebenen der Gesellschaft deutlich erkennbar. In der Kunst und Architektur manifestierten sie sich zunächst im Kubofuturismus, dann in der Entwicklung von Rationalismus / Funktionalismus und Konstruktivismus. Aus wirtschaftlichen Gründen standen die Architekten in der Kriegszeit zwischen 1914 und 1922 (mit wenigen Ausnahmen) nicht vor der Realisierungsaufgabe. Es spielte gleichsam keine Rolle, ob ein konventioneller oder eben ein unkonventioneller Ent-wurf nicht ausgeführt wurde. Außerdem hatte es bis zum Ersten Weltkrieg eine relati-ve Gleichwertigkeit von unterschiedlichen Architektursprachen gegeben: Historismus bzw. Eklektizismus, Jugendstil, Neorussischer Stil und Protorationalismus gehörten zu einem anscheinend beliebigen Repertoire. Lediglich der Neoklassizismus schien um 1910 deutlicher in den Vordergrund zu treten, ohne aber eindeutig dominant zu werden. Diese Absenz einer kanonisierten Regel setzte auch in der jungen Sowjetuni-on ein großes InnovatiSowjetuni-onspotential frei. In diesem mittleren Anspruchsniveau wurde das individuelle Streben nach neuartigen Lösungen begünstigt. Äußere (heteronome)

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