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Ideologisch motivierte Bauaufgaben für die sozialistische Gesellschaft in der jungen Sowjetunion und ihre konzeptionellen Veränderungsprozesse: Der Geniekult und seine Architektur in der Sowjetunion: eine Analyse von Kolumbusdenkmälern für Santo Domingo i

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DE JONGE

SOVJET-UNIE EN HAAR CONCEPTUELE

VERANDERINGSPROCESSEN

EXEMPLARISCH GEPRESENTEERD AAN DE HAND VAN

COMMUNEHUIS, ARBEIDERSCLUB, MONUMENT EN HET PALEIS VAN

DE SOVJETS

Proefschrift

ter verkrijging van de graad van doctor aan de Technische Universiteit Delft,

op gezag van de Rector Magnificus prof. dr. ir. J.T. Fokkema, voorzitter van het College voor Promoties,

in het openbaar te verdedigen op 15 oktober 2007 om 12:30 uur door

Dietrich Werner SCHMIDT Diplom-Ingenieur TU München /Duitsland

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Prof. Dr. F. Bollerey

Toegevoegd promotor Dr. O. Màčel Samenstelling promotiecommissie: Rector Magnificus, voorzitter

Prof. Dr. F. Bollerey, Technische Universiteit Delft, promotor Dr.O. Màčel, Technische Universiteit Delft, toegevoegd promotor

Prof. Dr. B. Kreis, Georg-Simon-Ohm Fachhochschule Nürnberg, Duitsland Prof. Dr. J.-L. Cohen, New York University, USA

Prof. Dr. R. Graefe, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Oostenrijk Prof. ir. D.E. van Gameren, Technische Universiteit Delft

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DER GENIEKULT UND SEINE ARCHITEKTUR IN DER

SOWJETUNION:

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DER GENIEKULT UND SEINE ARCHITEKTUR IN DER

SOWJETUNION:

EINE ANALYSE VON KOLUMBUSDENKMÄLERN FÜR SANTO DOMINGO IM ALLGEMEINEN SPEKTRUM SOWJETISCHER DENKMÄLER

INHALT

ARCHITEKTURVERSTÄNDNIS IN DER JUNGEN SOWJETUNION 4

ARCHITEKTUR ALS RATIONALISTISCHER GEBRAUCHSGEGENSTAND 4

MASSENGESELLSCHAFT UND INDIVIDUUM 5

ZUM DENKMALBEGRIFF 5

HISTORISCHE ENTWICKLUNG 5

FRÜHE SOWJETISCHE REVOLUTIONSDENKMÄLER 6

POLITIKERDENKMÄLER 7

DER GENIEKULT 10

DAS KOLUMBIANISCHE PARADIGMA 11

ABSCHIED VOM GENIEBEGRIFF 12

DAS WIEDERAUFLEBEN DES GENIEKULTS 12

SEHNSUCHT NACH DEM AUTORITÄREN 14

ESKAPISMUS AUS DER BANALITÄT /EXOTISMUS 14

SOWJETISCHE DENKMÄLER 15

POLITISCHE DENKMÄLER 16

SIEGESMONUMENTE 20

KOSMONAUTENDENKMÄLER 23

ANMERKUNGEN ZUM ZEITGENÖSSISCHEN KOLUMBUSBILD 23

BÜRGERLICHE HERKUNFT 23

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WETTBEWERBSPROGRAMM UND JURY VON 1928/29 FÜR DAS

KOLUMBUSDENKMAL IN SANTO DOMINGO 25

UMGANG SOWJETISCHER ARCHITEKTEN MIT DER

WETTBEWERBSAUFGABE 26

AMERIKANISMUS UND FORTSCHRITTSIDEOLOGIE 26

TECHNIKEUPHORIE UND WISSENSCHAFTSGLÄUBIGKEIT 27

ÜBERBLICK ÜBER DAS INTERNATIONALE SPEKTRUM 29

VORBILDER 29

DIE KOLOSSALSTATUE 30

SOWJETISCHE BEITRÄGE ZUM WETTBEWERB 31

KOLLEKTIVE VERLOCKUNG IN DER UMBRUCHZEIT 32

HETEROGENE AUFFASSUNGEN 32

LENINGRADER TRADITION 34

MOSKAUER AVANTGARDE 35

TARASOVS EXPRESSIONISTISCHE METONYMIE 35

LJUDVIGS INGENIEURBAUKUNST 36

KASJANOVS LINEARES MUSEUM ZWISCHEN KUPPEL UND TURM 37

ŠČUSEVS ERDKUGEL MIT TURM 37

LADOVSKIJS HOCHHAUSKREUZ 37

KRINSKIJS GERÜSTSKIZZE 38

KRUTIKOVS KOSMONAUTISCHER AUFTRAG 38

ERLÄUTERUNGSBERICHT VON IVAN LEONIDOV: 39

DER ENTWURF KONSTANTIN MEL’NIKOVS 42

ERLÄUTERUNGSBERICHT VON KONSTANTIN MEL’NIKOV: 42

DIE ERGEBNISSE VOM APRIL 1929 IN MADRID 44

DAS FIASKO DES WETTBEWERBS 46

KONVENTION UND MACHBARKEIT 46

UTOPISCHE ZEICHEN DER FORTSCHRITTSIDEOLOGIE 46

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DER GENIEKULT UND SEINE ARCHITEKTUR IN DER

SOWJETUNION:

EINE ANALYSE VONKOLUMBUSDENKMÄLERN FÜR SANTO DOMINGO IM ALLGEMEINEN SPEKTRUM SOWJETISCHER DENKMÄLER

Architekturverständnis in der jungen Sowjetunion

Der Begriff der sowjetische Avantgarde-Architektur ist mit konstruktivistischen und rationalistischen Konnotationen verbunden. Sieht man von der technizistisch überhöhten Ästhe-tik der Entwurfsdarstellung ab (Abb.1, 2), die einer romantischen Technik-Euphorie entsprang, so lässt sich feststellen: Die überwiegend sachliche Architektur orientierte sich häufig vernunft-betont am Zweck und an Werten wie Brauchbarkeit und Machbarkeit. Funktionalität und wirt-schaftliche Konstruktion standen im Vordergrund.

Architektur als rationalistischer Gebrauchsgegenstand

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Massengesellschaft und Individuum

Vor diesem Hintergrund muss die Auseinandersetzung der sowjetischen Architekten mit der kaum zweckrationalen Bauaufgabe des Personendenkmals neugierig machen. Eine solche Aufgabe stellte der Wettbewerb der Pan American Union von 1928/29 für das Christoph-Kolumbus-Denkmal in Santo Domingo dar.

Auf die 27 einzelnen sowjetischen Entwürfe für diesen monumentalen Leuchtturm kann hier nicht konkret eingegangen werden,1 vielmehr soll das Verhältnis der sowjetischen Architekten zum Bau von Denkmälern und ganz allgemein zum Geniekult beleuchtet werden.

Zum Denkmalbegriff

Historische Entwicklung

Denkmäler sind uns seit der Antike bekannt, meist als Ehren- oder Grabdenkmäler. Diese Erinnerungsmonumente würdigten einerseits die Lebensleistung des meist in naturalistischer Weise Abgebildeten; andererseits dienten sie den Machthabern und einflussreichen Schichten auch in erzieherischem Sinne. Denkmäler gehören somit zu einer spezifischen Erinnerungskul-tur, die der jeweiligen Gesellschaft besonders geeignet erscheinende Repräsentanten oder iden-titätsstiftende Ereignisse bildhaft zur Verfügung stellte, über deren Aneignung eine gewünschte Werteordnung etabliert werden sollte.

Aber nicht zu allen Zeiten wurde gleich großer Aufwand dafür betrieben; im Mittelalter waren derartige Denkmäler selten und erst in der Renaissance kamen sie mit einem gewachsenen Per-sönlichkeitsbewusstsein wieder in Mode. Seit der Aufklärung werden auch für Wissenschaftler Monumente errichtet. Das berühmteste der Architekturgeschichte ist wohl Boullées Zeichnung von 1784 vom 150 m hohen Newton-Kenotaph (Abb.15).

Im 20. Jahrhundert haben sich berühmte Architekten mit politischen Denkmälern be-schäftigt, wie Gropius (expressionistisches Betondenkmal der Märzgefallenen2 in Weimar, 1921, Abb.16) oder Mies van der Rohe (Denkmal für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in

1 Vgl. hierzu: A. Kelsey, Program and Rules of the Competition for the selection of an Architect for The

Monumental Lighthouse which the nations of the world will erect in the Dominican Republic to the memory of Christopher Columbus, together with the report of the international Jury, Washington 1928-1930 (two vols.); Fernando A. Garrido, El Faro a Colón, su genesis y trayectoria internacional, in: La Española 92, S. 104; P. Cavellini, L. Bergonzi (Hrsg.), Architetti russi per Cristoforo Colombo Santo Domingo 1929, Brescia 1993

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Friedrichsfelde, 1926, Abb.17). Vladimir Tatlin, der Allroundkünstler, entwarf 1919/20 in Petro-grad das berühmte Denkmal für die Dritte Internationale (Abb.18), einen 400 m hohen Turm mit kosmischer Symbolik, der unrealisierbar blieb.

Frühe sowjetische Revolutionsdenkmäler

Daneben entstanden in der jungen Sowjetunion zahlreiche Entwürfe für Revolutions-denkmäler, die - noch nicht personengebunden - revolutionären Idealen gewidmet waren: Lev V. Rudnev (1885-1956) errichtete 1917-20 auf dem Petrograder Marsfeld ein Denkmalkarree aus rötlichem Granit „Für die Opfer der Revolution“, das auf jede figürliche Darstellung verzichtete.3 (Abb.20) Die im Zentrum geplante quadratische Stele - nichts anderes als ein sich nach oben verjüngender Treppenturm - wurde nicht ausgeführt. (Abb.19) Die bekannte Revolutionsmeta-pher der Spirale taucht hier (allerdings rechtwinklig geknickt) wohl erstmals auf. Auch Vladimir Krinskij4 zeichnete ein Denkmal „Für die Toten im Kampf für die Arbeiter- und Bauernmacht“, einen vom Sowjetstern gekrönten Masten, an dem rechteckige Schrifttafeln mit diagonalen Ver-spannungen angebracht waren.5 (Abb.21) Ebenfalls unrealisiert blieb ein Entwurf des Bildhauers Boris Korolëv6 von 1918/19 für eine Art Fortschrittsdenkmal mit der Inschrift „Wer das Alte wenig hasst, murrt über das Neue“ (nach Fëdor M. Dostoevskij). Dieser Beitrag für die Idee der Monumentalpropaganda war gleichsam eine Art Selbstdarstellung des Futurismus. (Abb.22) Von lapidarer Klarheit war N. Ja. Kollis abstrakter Entwurf „Der rote Keil“ von 1918 für ein Bürger-kriegsdenkmal auf dem Voskresenskaja Platz (später Revoljucia Ploščad’) in Moskau: Ein wei-ßer Block als Symbol der Konterrevolution wird von einem roten Keil gespalten. (Abb. 22a) Diese Zeichnung hatte offenbar auch El Lissitzky zu seiner Propagandagraphik „Schlagt die

3 Vgl. А.М. Журавлев, А.В. Иконников, А.Г. Рочегов, Архитектура советской России, Москва 1987, A.M.

Žuravlev, A.V. Ikonnikov, A.G. Ročegov, Architektura sovetskoj Rossii, Moskva Strojizdat 1987, S. 56, Abb. S. 57; G. Muratore (Hrsg.), Architettura nel paese dei Soviet 1917-1933, Milano 1982, S. 48, Abb. 8

4 Vladimir Fëdorovic Krinskij (1890-1971), Mitglied von Sinskul’ptarch und Živskul’ptarch, begründete 1923 mit

Ladovskij die ASNOVA.

5 Original im Moskauer Architekturmuseum Pla 9361/2 (Vgl. Graefe, Schädlich, Schmidt, Avantgarde I 1900-1923.

Russisch-sowjetische Architektur, Stuttgart 1991, S. 216)

6 Boris Danilovič Korolëv (1885-1963), studierte vor dem 1. Weltkrieg Naturwissenschaften und Kunst in Moskau.

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Weißen mit dem roten Keil“ von 1920 angeregt. 7 (Abb. 22b)

Noch 1925 zeichnete Rudnev für die Geburtsstadt Lenins, die 1924 von Simbirsk in Uljanovsk umbenannt worden war, ein abstraktes Denkmal für „Die Macht der Räte, Arbeiter und Bauern“ (Abb. 23). Über einem flachen Treppenpodest steht ein riesiger Würfel auf vier gedrungenen, bossierten Säulenstümpfen; seine Seitenflächen tragen die Inschrift und das Hoheitszeichen Hammer und Sichel.

Daneben aber gibt es auch unmittelbar nach der Revolution ausgesprochen konservative Auffas-sungen, wie etwa erkennbar an dem Obelisken auf historistischem Unterbau für die erste sowjeti-sche Verfassung von D.P. Osipov 8 und dem Bildhauer N. Andreev 1918, dem sogenannten Freiheitsobelisk auf dem Sowjetischen Platz in Moskau.9

Politikerdenkmäler

Auch eindeutig personenbezogene Denkmalsentwürfe verzichten zunächst weitgehend auf die naturalistische Figuralplastik bürgerlicher Tradition. So hatte Boris Korolëv 1919 ein kubofuturistisches Denkmal für Michail Bakunin10 gezeichnet, dessen lebhaft fragmentierte Plastik gleichsam das Schlüsselwort des Anarchisten abbildet: „Der Geist der Zerstörung ist der schaffende Geist.“(Abb.24) Zwei Wettbewerbsentwürfe Ivan Fomins von 1921 greifen zwar teilweise auf klassizistische Architekturdetails zurück, vermeiden aber jede figürliche Darstel-lung: Beim Sverdlov-Denkmal (Abb.25) sind die Signaturen traditioneller Ordnung in Unord-nung geraten, frakturierte Blöcke und Säulentrommeln zeigen den Bruch mit der Vergangenheit an, Triglyphen stehen gar auf dem Kopf. Beim Denkmal für den Genossen Artem im Donbas (Abb.26) fehlt die Zerstörungsmetapher; die Blöcke werden zu einer gestuften Stele geordnet, die außer einer Schrifttafel und scharfkantig geschnittenen Konsolen keinen weiteren Schmuck trägt. Lev Rudnev türmt sein ca. 10 Meter hohes Sverdlov-Denkmal für Ekaterinburg,11 (das

7 Original im Staatlichen Architekturmuseum Moskau. Abgebildet bei G. Muratore (Hrsg.), Architettura nel

paese …, a.a.O., S. 54, Abb. 15, bzw. S. 69, Abb. 37 (s. Anm. 3); vgl. mit voller kraft, Hamburg 2001, S.118

8 Dmitri Petrovič Osipov (1890-1934), studierte bis 1913 am MUZVS und bis 1917 am PACh

9 Die Entwurfszeichnung ist abgebildet bei G. Muratore (Hrsg.), Architettura nel paese ..., a.a.O., S. 58, Abb. 19

[hier ungenau mit P. Osipov bezeichnet](s. Anm. 3); Foto des ausgeführten Denkmals abgebildet bei S.O. Chan-Magomedov, Pioniere der sowjetischen Architektur, Dresden, 1983, S. 291, Abb. 730

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1924 in Sverdlovsk umbenannt wurde) aus großen orthogonalen Steinblöcken auf, die von einem Zylinder mit Halbkugel bekrönt werden. Auch er greift auf klassizistische Elemente (dorische Kapitelle als Basis, im oberen Teil Atlanten) zurück, bildet den neuen Namenspatron der Stadt selbst aber nur als kleine Reliefbüste ab, die nur 10% der Gesamthöhe einnimmt.(Abb.27) Der Leningrader Konstruktivist Aleksandr Nikol’skij entwarf noch 1924 ein völlig abstraktes Lenin-Denkmal aus dreieckigen Prismen12 (einer von ihm auch in späteren Gebäudeentwürfen bevorzugten Form13), das auf suprematistische Auffassungen verweist. (Abb.28) Es blieb indes-sen unausgeführt, denn nach dem Tod Lenins (21.Januar 1924) ändert sich die Situation: Das unpersönliche Ideal verliert als Gegenstand der Verehrung an Bedeutung und die idealisierte Per-son wird wieder in den Vordergrund geschoben. Daran entzündete sich in der Sowjetunion eine heftige Debatte um Sinn und künstlerische Gestalt von Denkmälern. Diesen ideologischen Kon-flikt innerhalb der marxistischen Kunsttheorie diskutiert Hubertus Gaßner in seinem Aufsatz „Modernität und Monumentalität in der Diskussion um das sowjetische Denkmal der 20-er und 30-er Jahre“14.

Die nun entstehenden unzähligen Leninbildnisse15 in der ehemaligen Sowjetunion erinnern nicht mehr so sehr an eine politische Idee, sondern vielmehr an die Person selbst und sind damit Aus-druck eines exzessiven Persönlichkeitskults (Abb.29, 30, 31, 32, 33, 34). [Auch die sowjetische Gesellschaftsstruktur entwickelt sich hierarchisch und fokussiert bald nur noch eine einzige Per-son - also gleichsam „monarchisch“ - in einem kritiklosen Kult.] Die sowjetischen Architekten fühlten sich nach allem, was wir bisher wissen, nicht in Opposition zu dieser antidemokratischen, autoritären Gesellschaftsstruktur, sondern dienten der Partei und ihrem Führer voller naiver Überzeugung. Nach dem Chaos des Bürgerkriegs begrüßte man in dem neuen Staat vor allem die neue Ordnung und geriet unversehens in die gewohnte Autoritätsgläubigkeit. Der signifikante Veränderungsprozess in der Behandlung des zu verherrlichenden Gegenstands wird in zwei sich ähnelnden Entwürfen des Leningrader Architekten Noj Trockij von 1924 deutlich, die er für den

12 Vgl. Г.А. Оль, Александр Никольский, Лениздат, 1980 (серия «Зодчие нашего города») G.A. Ol’, Aleksandr

Nikol’skij, Leningrad 1980, S. 49

13 Vgl. den Arbeiterklub „Der rote Putilover“ in Leningrad, 1925 (siehe das Kapitel über den Arbeiterklub).

14 „Die Axt hat geblüht...“, Europäische Konflikte der 30er Jahre in Erinnerung an die frühe Avantgarde,

Ausstellungskatalog, Kunsthalle Düsseldorf 1987, S. 430 ff.

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von der Leningrader OA und OACh ausgelobten Wettbewerb16 für ein Lenin-Denkmal am finni-schen Bahnhof einreichte. Während die erste Variante17 (Abb.35, 36) Lenin noch bescheiden am Fuß einer hohen dreieckigen Stele zeigt, wird der Staatsgründer in der zweiten Variante18 (Abb. 37, 38), die in Kombination mit einem Mausoleum für die Opfer der Revolution auf dem Grund-riss eines fünfzackigen Sowjetsterns für Odessa bestimmt war, nun heroisierend mit erhobenem linken Arm an die obere Spitze der Stele gestellt.

Aleksej V. Ščusev wurde schon einen Tag nach Lenins Tod am 22. Januar 1924 mit dem Bau des Moskauer Mausoleums19 für den nach seinen Worten „größten Genius der Mensch-heit“20 direkt beauftragt. Bevor er das erste hölzerne Provisorium (Januar bis Mai 1924) konzi-pierte, beriet er sich nach eigenen Angaben mit den Architekten Leonid Vesnin und Antipov.21 Mit diesem Bau im Zentrum der Hauptstadt an der Kremlmauer des Roten Platzes, der schon im Mai 1924 noch aus Holz die später in Stein ausgeführte Grundkonzeption erhielt 22 (Abb. 39, 40), wurde der „bedeutendste Führer des Weltproletariats“23 (übrigens gegen den erklärten Wil-len seiner Witwe) zur Kultfigur des Bolschewismus. Die architektursprachliche Entwicklung dieses Mausoleums wird in diesem Zusammenhang nicht weiter erörtert; hier soll lediglich fest-gehalten werden, dass die Grundkonzeption eines gestuften Kubus von Anfang an bestand. Aus den ursprünglich drei Baukörpern entwickelte sich ein einziger zikkuratähnlicher hölzerner Grabbau mit sieben Stufen und vertikal strukturierten Wandflächen, der von einem tempelartigen Aufbau bekrönt wurde; abgesehen von der Wandstruktur blieb diese Konzeption auch bei dem steinernen Bau erhalten. Diese mesopotamisch anmutende Tempelpyramide erinnert teilweise an

16 Initiatoren des Wettbewerbs waren Fomin, Manizer, Ščuko, Gel’frejch, Rudnev, Belogrud und Trockij; unter

den 60 eingereichten Arbeiten wurde die I.G. Langbards mit dem 1. Preis ausgezeichnet, [vgl. Т.Э. Суздалева, Н.А. Троцкий, Лениздат 1991, (Зодчие нашего города), T.E. Suzdaleva, N.A. Trockij, Lenizdat 1991, S. 59]

17 Vgl. T.E. Suzdaleva, N.A. Trockij, a.a.O., S. 59, 60, Abb. S. 112, 113 (s. Anm. 16) 18 Vgl. T.E. Suzdaleva, N.A. Trockij, a.a.O., S. 60, 61, Abb. S. 114, 115 (s. Anm. 16)

19 Neben vielen sowjetischen Architekten hatte auch der Holländer H.P. Berlage einen Entwurf geliefert

20 Vgl. A. Ščusevs Darstellung der Baugeschichte des Mausoleums von 1937 in der „Architekturnaja gaseta“ Nr. 5,

S. 4 Архитектурная гасета 1937

21 Vgl. Architekturnaja gaseta 1937, Nr. 5, S. 4 (s. Anm. 20)

22 Die heute bestehende Betonkonstruktion von 1929-30 wurde mit geschliffenen Granit- Labrador- und

Porphyrverkleidungen versehen. (Vgl. В.В. Курбатов, Советская архитектура, Москва 1988, V.V. Kurbatov, Sovetskaja architektura, Moskva Prosveščenie, 1988, S. 49-51)

23 Ščusev in Architekturnaja gaseta 1937, Nr. 5, S. 4 (hier zitiert nach: K.N. Afanasjew, Ideen - Projekte - Bauten.

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die assyrischen Priesterkönige, andererseits ist der damit verbundene Totenkult ein klarer Hin-weis auf das Ewigkeitsritual der ägyptischen Gottkönige. So wird klar, dass Lenin für den Sow-jetmenschen mehr war, als nur ein revolutionärer Staatsgründer und gesellschaftsreformerischer Politiker. Der Kult um die Symbolfigur des Bolschewismus hatte gleichsam apotheotische Züge, Lenin war für viele zum Halbgott geworden.

Konstantin Mel’nikov hatte Wettbewerbsentwürfe wenigstens für den gläsernen Sarkophag (Abb.41) des bolschewistischen Revolutionärs geliefert.24 Aber sogar für den unheilvollen Dikta-tor Stalin zeichnete er 1955, noch unter dem Eindruck des „großen vaterländischen Krieges“, ein „Lenin-Stalin-Mausoleum“25 als „Pantheon der UdSSR“(Abb.42).

Dieser Personenkult ist dem Geniekult verwandt, der beim Denkmal für Christoph Kolumbus 1929 eine wesentliche Rolle spielte.

Der Geniekult

Denkmäler für Personen sind grundsätzlich mit dem Geniegedanken verbunden. Das Urteil, ob einem Menschen das Prädikat „Genie“ zukommt, ist dabei abhängig von den zeitbe-dingten Maßstäben und Normen der beurteilenden Gruppe bzw. Gesellschaftsschicht.

Will man daher die spezifische Architektur des Kolumbus-Denkmals im Zusammenhang mit ideologisch motivierten Bauaufgaben deuten, dann scheint es erforderlich, auch allgemeiner die Architektur des Geniekults zu untersuchen. Neben die konkrete Frage nach der Person des Ko-lumbus, [die hier nicht beschrieben werden muss]26 tritt dann eine andere, abstraktere Erklä-rungsebene: Die wechselvolle Geschichte des Geniegedankens. Zu diesem umfassenden philoso-phischen Themenkomplex, den Jochen Schmidt in anderem Zusammenhang ausführlich analy-siert hat27 können hier nur einige Anmerkungen gemacht werden, die gleichwohl das Problem des Denkmals in Santo Domingo erläutern können. Auf dieser Ebene werden weniger Aussagen

24 Mehrere Varianten, vgl. S.O. Chan-Magomedov, Konstantin Mel’nikov, Moskva Strojizdat 1990, S. 78-81 25 Vgl. F. Starr, Melnikov Solo Architect in a Mass Society, Princeton University Press, Princeton 1978, S. 230, und

S.O. Chan-Magomedov, Konstantin Mel’nikov, a.a.O., S. 248, Abb. S. 250 (s. Anm. 24)

26 Vgl. die zahlreichen Kolumbus-Monographien wie z.B. R. Hennig, Columbus und seine Tat, 1940; A. Ballesteros

Beretta, Cristóbal Colón, Barcelona 1945; S.E. Morison, Admiral of the Ocean Sea. A life of Christopher Columbus, Boston 1942; Studi Columbiani, Genova 1951; S. de Madariaga, Kolumbus Entdecker neuer Welten, Bern 1966

27 J. Schmidt, Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik 1750-1945,

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zum verherrlichten Objekt gemacht, als vielmehr zu den verherrlichenden Subjekten, also zu den Architekten und Künstlern und ihrem Verhältnis zu Autorität und Personenkult. Das erlaubt Einblicke in ihre Auffassung vom Verhältnis des Individuums zum Staat und in ihre künst-lerischen Absichten. Auf dieser Ebene werden also auch Aussagen zum übergeordneten Gegens-tand dieser Untersuchung, nämlich den ideologisch motivierten Bauaufgaben in der Sowjetunion möglich.

Das kolumbianische Paradigma

Im Zusammenhang mit der Entwicklung des neuen Welt- und Menschenbildes hatte sich in der Renaissance ein neuer persönlicher Bildungsbegriff herausgebildet. Diese Entwicklung ist eine Emanzipationsbewegung aus den mittelalterlichen Bindungen mit ihren gleichsam „objekti-ven“, überindividuellen und theonomen Ordnungen. Ergebnis dieser Emanzipation war ein neues Persönlichkeitsideal mit größerer Individualität und autonomer Subjektivität. Der Renaissance-Mensch Kolumbus entsprach natürlich weitgehend diesem Idealbild, er war gleichsam die Sym-bolfigur der Neuzeit. Das „Ei des Kolumbus“ wurde zur sprichwörtlichen Bezeichnung für die verblüffend einfache Lösung eines scheinbar schwierigen Problems.28 Der mutige Entdecker stand fortan paradigmatisch für die moderne Forschung, für die Erfinder und Wissenschaftler, kurz für alle Initiatoren des neuen Weltbildes. Nicht nur Straßen, Plätze, Städte und ganze Län-der wurden nach Kolumbus benannt, auch Universitäten und Weltausstellungen. Die andauernde Kolumbus-Idolatrie der Amerikaner ist selbst in der modernen Raumfahrt unübersehbar: Noch das Raumschiff, das die ersten Menschen am 20. Juli 1969 bis zum Mond brachte, trug den Namen „Columbia“.29 Die Stadt Columbus, Ohio hat erst kürzlich eine 100 m hohe Kolumbus-Statue in Auftrag gegeben. 25 Mio.$ soll der umstrittene Bronze-Koloss des georgischen Bild-hauers Surab Sereteli kosten.30

Seit der Renaissance also wird das Genie zum Inbegriff menschlicher Selbstverwirkli-chung. Diese Tendenz verstärkt sich in der Folgezeit von Barock und Aufklärung. Die Romantik

28 Nach einer unbestätigten Erzählung in Benzonis „Historia del mondo nuovo“(= Geschichte der Neuen Welt),

Venedig 1565. (Vasari erzählt diese Anekdote von Brunellesci.)

29 In der „Apollo 11“-Mission vom Juli 1969 mit Neil Armstrong und Edwin Aldrin. (Die Landefähre hieß „Eagle“.)

Auch das modernste Space shuttle wurde auf den Namen „Columbia“ getauft.

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des 19. Jahrhunderts feierte das Genie geradezu. Ein bekanntes Beispiel ist die europäische Na-poleon-Idolatrie.

Abschied vom Geniebegriff

Das nachromantische Biedermeier verabschiedet sich vom Geniegedanken, etwa bei Eichendorffs „Taugenichts“ (1826): „Wir Genies [...] machen uns aus der Welt ebenso wenig, als sie sich aus uns [..]“31. Jochen Schmidt, auf dessen Arbeit ich mich hier beziehe, schreibt: „Das Große und Wertvolle erscheint, obwohl es der bedeutenden Künstlerpersönlichkeit und des gün-stigen Augenblicks bedarf, nicht als geniale ‚creatio ex nihilo’, vielmehr als Ergebnis eines bei-nahe universalen Vermittlungsprozesses.“32 Auch dem republikanisch geprägten Schweizer Gottfried Keller („Hadlaub“, 1878) kommt es nicht auf das Außerordentliche einer individuellen Leistung an, sondern auf die gültige Vermittlung gemeinsamer kultureller Werte. Er schreibt: „Es gibt keine individuelle, souveräne Originalität [...] im Sinne der Willkürgenies [...]. Neu in einem guten Sinne ist nur, was aus der Dialektik der Kulturbewegung hervorgeht.“33 Schlussend-lich wird die Kehrseite des Geniekults offenbar: Man wird sich des eigenen Epigonentums be-wusst. Im Naturalismus des späten 19. Jahrhunderts, etwa bei Zola, wird das Genie entzaubert und in der naturwissenschaftlichen Kunsttheorie von Arno Holz34 wird es gleichsam ausgelöscht. „Ich glaube an ‘Genies’ [...] ebenso wenig wie an Krokodile, die tanzen können, oder Pyramiden, die kopfstehen.“, schreibt Holz.

Das Wiederaufleben des Geniekults

Gegen diese naturalistische Entzauberung des Genies wendet sich die Reaktion des anti-demokratischen Wilhelminismus. Inzwischen zeichnete sich mit der marxistischen Gesell-schaftskritik die Gefahr eines gleichmacherischen Sozialismus ab. Während Nietzsches Kultur-kritik einerseits das künstlerische Genie kritisch relativiert (Richard Wagner in „Menschliches, Allzumenschliches“) entwickelt er den oft missverstandenen Begriff vom „Übermenschen“, das

31 Eichendorff, Werke und Schriften, hrg. von G. Baumann in Verb. mit S. Grosse, Bd.II, 3.Aufl., Stuttgart 1978,

S.412 (hier zitiert nach J. Schmidt, Die Geschichte des ..., a.a.O., S. 47) (s. Anm. 27)

32 J. Schmidt, Die Geschichte des ...,a.a.O., S.61) (s. Anm. 27)

33 In einem Brief an Hermann Hettner, 26. 6. 1854 (hier zitiert nach J. Schmidt, Die Geschichte des ..., a.a.O., S. 106)

(s. Anm. 27)

34 Arno Holz, Die Kunst. Ihr Wesen und ihre Gesetze, Berlin 1891 (vgl. J. Schmidt, Die Geschichte des ..., a.a.O., S.

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intellektuelle Genie des Freidenkers. Nietzsche redet von Anfang an verächtlich über die „Her-de“, d.h. über die demokratische Gesellschaft der Gleichen, und stellt dagegen den großen Ein-zelnen, das „Genie“.

Das Wiederaufleben des Geniekults in der Industriegesellschaft mit ihren Massenprozessen lässt sich schließlich mit der Furcht vor der Massenherrschaft erklären. Insbesondere in der Kunst werden herausragende Leistungen tatsächlich oft von einzelnen Individuen ohne klar erkennba-ren fremden Arbeitsanteil erbracht. Deshalb konnte sich der Geniebegriff hier nachhaltiger etab-lieren als etwa im industriellen Produktionsprozess der Ingenieure. Obwohl architektonische Leistungen nicht rein künstlerisch definiert sind, sondern immer auch Ingenieurleistungen inkor-porieren, wurde der Geniebegriff auch häufig auf den Baukünstler angewendet, der seinen Erfolg indessen meistens einem ganzen Büro verdankte. Dazu bemerkt Walter Gropius in seinem Auf-satz „Die Stellung des Architekten“: „[...] die Ideologie des vergangenen Jahrhunderts hat uns gelehrt, im individuellen Genie die einzige Verkörperung wahrer und reiner Kunst zu sehen. Es stimmt, daß der schöpferische Funke immer im Individuum seinen Ursprung hat; [...]“35 So ist der Architekt selbst oft beides: verehrtes Objekt und verehrendes Subjekt. Indem also oftmals er selbst (jedenfalls aber einige der Besten seiner Profession) passiver Gegenstand von genieähnli-cher Idealisierung ist, mag es ihm ganz natürlich erscheinen, selbst aktiv zur Idealisierung ande-rer beizutragen. Selbst später, in der gleichmacherischen sozialistischen Gesellschaft der Sowjet-union konnte sich die Idealisierung des Einzelnen bei Künstlern und Architekten (die sich zwar selbst in Abgrenzung zum Dekorationskünstler programmatisch als Ingenieure bezeichneten) erhalten.

Maler und Bildhauer bedienten mit ihren Bildnissen das Bedürfnis, großen Einzelnen zu huldi-gen; Schriftsteller lieferten die oftmals apologetischen Biografien.

Zum Biographen der Genies und Heroen im späten 19. Jahrhundert wird Carl Bleibtreu36, der dem neuen Bedürfnis nach dem Genie in einer gewaltigen Zahl von Publikationen37 frönte. Allen

35 W. Gropius, Meine Konzeption des Bauhaus-Gedankens. Architektur -Wege zu einer optischen Kultur,

Frankfurt/Hamburg 1956, S. 72

36 *13. 1. 1859 in Berlin, Schriftsteller, † 30. 1. 1928 in Locarno

37 Z.B.: „Napoleon bei Leipzig“, Berlin,1885; „Friedrich der Große bei Kollin“, Berlin 1888; „Cromwell bei Marston

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voran über Lord Byron und Napoleon.

Sehnsucht nach dem Autoritären

Dabei kann eine kaum merkliche, aber doch entscheidende Veränderung eintreten: Das Bedürfnis nach dem Genie, erwachsen aus einem hierarchisch geordneten Gesellschaftsbild, das Orientierungswerte bereithält, wandelt sich unversehens in die Sehnsucht nach dem Autoritären. So auch bei Carl Bleibtreu, dessen Auslassungen über Napoleon in eine extrem irrationale Auf-fassung vom Genie eingebettet sind. Sein Gewalt anbetendes Historiengemälde gewinnt gerade-zu prophetische Züge für die Diktaturen Hitlers und Stalins. Es spiegelt „nicht gerade-zuletzt die Verfas-sung der »öffentlichen Seele«, wie Heinrich Mann im »Untertan« sagt - der öffentlichen Seele, die nach entmündigender Faszination und masochistisch-blinder Unterwerfung unter den Willen eines Stärkeren giert.“38

In diese Weltsicht des hybriden Geniekults könnte auch eine Verherrlichung des spanischen Großadmirals Christoph Kolumbus passen, dessen „Dämonie sich...“ - um Bleibtreus Napoleon-Formel zu gebrauchen - „...bis zum Ende ausraste“, als die Ureinwohner von Santo Domingo ausgerottet wurden. Von besonderem Interesse ist hier die Frage, ob man den Denkmalentwürfen der sowjetischen Avantgarde von 1929 diese Weltsicht zugrunde legen kann, oder nicht.

Eskapismus aus der Banalität / Exotismus

Für die meisten der über 450 Architekten des Wettbewerbs für das Kolumbus-Denkmal mag in der Zeit der Depression39 noch ein anderer Aspekt als die Verherrlichung eines Genies oder gar die Sehnsucht nach dem Autoritären von Bedeutung gewesen sein: Der Wunsch dem Alltäglichen zu entfliehen, „sortir de la banalité“, oder wie es Hermann Bahr 1890 ausdrückte40, die Auflehnung gegen „die Herrschaft der »Nur-Thatsächlichkeit«“. Zu dieser Auflehnung gehö-ren, wie Jochen Schmidt schreibt, „der Sadismus und der Exotismus der Moderne und viele andere Ausdrucksformen einer »folie sensationelle«. Eine von ihnen ist die Sucht nach dem großen Individuum, dem Genie, dem Übermenschen.“ 41 Santo Domingo ist für die europäische

38 J. Schmidt, Die Geschichte des ..., a.a.O., S. 183 (s. Anm. 27) 39 Nach dem New Yorker Börsenkrach vom 25. 10. 1929

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und russische Moderne ein solches Beispiel von Exotismus.

Im „Untertan“, der Satire zum wilhelminischen Genie-Kult der Jahrhundertwende, beschreibt Heinrich Mann42 die kompensatorische Notwendigkeit „großer Männer“ gerade aus der Gesin-nung einer kümmerlichen Bürgerlichkeit, die nichts kennt, als das opportunistische „Enrichez-vous“.

Im kargen und repressiven sozialistischen Alltag der Sowjetunion war der euphorische „Traum von der lichten Zukunft“ Ende der zwanziger Jahre verblasst. Der 1. Fünfjahresplan (1928-32) hatte zwar ehrgeizige Ziele gesteckt, die aber nur unter enormen Entbehrungen der Bevölkerung erreicht werden konnten. Die mit der „Entkulakisierung“ einhergehende Zwangskollektivierung der Landwirtschaft hatte vor allem in der Ukraine Millionen Hungeropfer gefordert43 und das rücksichtslos vorangetriebene Industrialisierungsprogramm konnte nur mit Hilfe von Zwangs-arbeitern aus den berüchtigten GULAGs realisiert werden.44 Auch hier verlangte die triste und oft grausame Realität nach Kompensation. Dem Bedürfnis des Untertanen nach einem oberen Zwingherrn entspricht dasjenige der kleinlich-schäbigen Seele nach Größe. Dieses kompensato-rische Bedürfnis gewinnt im Zusammenhang mit den Diktaturen der dreißiger Jahre und ihrer Architektursprache Bedeutung.

Sowjetische Denkmäler

Aus dem weiten Feld der sowjetischen Denkmäler sollen hier einige wenige Beispiele mit vergleichbarer Thematik genügen, um die architektonische Ausgangssituation zu skizzieren:

Zunächst ein Studentenentwurf Aleksandr Muchins45 für einen Leuchtturm 1922 (Abb. 43), der etwa 50 m hoch sein könnte; eine Aufgabe, die der von 1929 nur mittelbar verwandt ist, weil dieser Leuchtturm keine erkennbare Denkmalfunktion besitzt. Die Architektursprache ver-zichtet im Sinne der Moderne ganz auf historisierende Elemente.46 So ist der schlanke, konische Schaft (an die heutigen Fernsehtürme erinnernd) völlig glatt; den einzigen gestalterischen Reiz

42 Heinrich Mann, Der Untertan, München 1918/1964

43 Vgl. Robert Conquest, Ernte des Todes. Stalins Holocaust in der Ukraine 1929-1933, München 1988

44 Vgl. Loren R. Graham, The Ghost of the Executed Engineer, Harvard University Press, London/Cambridge, 1994 45 Aleksandr Sergeevič Muchin (1900-1982), arbeitete als Stadtplaner (Tuapse, Astrachan, Dzeržinsk, Kerč,

Stalingrad) und beteiligte sich mit Lamcov und Krasil’nikov 1932 am Wettbewerb für den Sowjetpalast in Moskau.

46 Vgl. Graefe/ Schädlich/ Schmidt, Avantgarde I ..., a.a.O., S. 234, Abb. 342 (s. Anm. 5) [Original in der

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dieser lakonischen Form bietet das flache Band des Treppenhauses, das sich von der Basis des Turms mit einer ins Wasser führenden Treppe für anlegende Boote spiralig um ihn herum bis zu einer kleinen Plattform nach oben windet. Die auf das Wesentliche reduzierte Form folgt also der Funktion, ohne jede weitere Aussage. Bei einer Studienarbeit mit dieser zweckrationalen Thema-tik mögen derartig lapidare Experimente durchaus Billigung gefunden haben.

Politische Denkmäler

Etwas anders stellt sich die Frage der Akzeptanz ahistorischen Vokabulars bei realen Wettbewerben47, etwa bei dem für ein Denkmal des 1919 verstorbenen Politikers Sverdlov48 in der Hafenstadt Petrograd 1923 (Abb. 44): Das zweifellos übergeordnete Thema in Noj Abramovič Trockijs Entwurf dafür war die Revolution und nicht der Politiker, dessen kleine Büste auf halber Höhe des Denkmals fast beiläufig untergebracht ist. (Diese Marginalisierung der Person findet sich später bei einigen Wettbewerbsbeiträgen für das Kolumbus-Denkmal.) Auch hier taucht das Motiv der Spirale auf, allerdings in völlig anderer Form und Funktion: Als eine das Gleichgewicht störende Formulierung der Kunst für die Revolution, wie Georgij Jaku-lov49 sagte.50 So wird Trockijs Entwurf51 von einer zentralen, oben schräg abgeschnittenen Säule beherrscht, die in der Art der antiken Trajanssäule ein spiraliges Reliefband mit Szenen der Re-volution trägt. Auch die um den unteren Teil der Säule gewendelte Treppe zu einer Plattform wiederholt diese Revolutionssymbolik, der zufolge die Themen der Revolution stets wiederkeh-ren, allerdings auf einer höheren Ebene. (Zahlreiche Revolutionsdenkmäler und einige Entwürfe für den Palast der Sowjets bedienen sich dieser symbolischen Signatur für die Revolution als Prozess ständiger Entwicklung.)

Eine viel engere Verwandtschaft zu der Aufgabe in Santo Domingo hat der Denkmal-entwurf Vladimir Ščukos von 1924 für ein Lenindenkmal an der Troickij- (Kirov-) Brücke in

47 Teilnehmer waren N.A. Trockij (1895-1940), der früh verstorbene Lev Michailovič Tverskoj (1889-1927)

und N.A. Tyrsa

48 Jakov Michailovič Sverdlov, (1885-1919), 1917-19 Vorsitzender des Zentralexekutivkomitees der Sowjets 49 Georgij Bogdanovič Jakulov (1884-1928), armenischer Maler, studierte bis 1902 an der MUZVZ in Moskau 50 Э.Л. Костина, Георгий Якулов, Москва 1979, E.L. Kostina, Georgij Jakulov, Moskva Iskusstvo 1979, S.

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Leningrad.52 (Abb. 45) Auf einem geböschten Sockel am Wasser erhebt sich ein Turm aus rein stereometrischen Körpern, den eine Struktur aus Gittermasten mit Aussichtsplattform flankiert; diese wird von einer spiraligen Treppe erschlossen, die noch vage Assoziationen an Tatlins Git-terstruktur zu wecken vermag. Die krönende expressionistisch-scharfkantige Leninskulptur weist in eine technisch bestimmte Zukunft, die auf der Zeichnung durch das moderne Verkehrsmittel der Doppeldeckerflugzeuge symbolisiert wird.

Ganz anders dann aber ein unmittelbar mit dem Kolumbusdenkmal verwandtes Beispiel von 1932 für ein Denkmal am Hafen: Rožnovskijs Entwurf für ein Lenin-Denkmal am Hafen von Leningrad (Abb. 46). Die altertümlichen Bögen, Bossenquaderung und Figuralplastiken bis hin zur Staffage der Windjammer (im Zeitalter des Schiffsdiesels!) zeigen nun schon deutlich historisierendes Vokabular.

Im ukrainischen Char’kov gestaltete der Bildhauer M.G. Manizer zusammen mit dem Leningrader Architekten Iosif Langbard53, der 1929 am Wettbewerb für Santo Domingo teilge-nommen hatte, 1935 das monumentale Denkmal für den sozialkritischen ukrainischen Dichter und Maler T.G. Ševčenko54.(Abb. 47) Der bis 1838 leibeigene Ševčenko war Mitglied der illega-len ukrainischen „Kyrillos-Methodios-Brüderschaft“, die politisch radikale Ziele verfolgte. Das Denkmal heroisiert einen von der zaristischen Justiz 10 Jahre lang verbannten oppositionellen Künstler55 des 19. Jahrhunderts und leistet damit einen Beitrag zum neuen Geschichtsbewusst-sein in der nun auf historische Legitimierung bedachten Sowjetgesellschaft. Der mit poliertem Marmor verkleidete Sockel besteht aus einem Bündel quadratischer Prismen, die in einer dyna-mischen Aufwärtsbewegung die Basis für das krönende Bronzebildnis des Dichters bilden. Die Staffage für die überlebensgroße Figur bildet hier eine sich spiralig um den Sockel vertikal nach

52 Vgl. Э. В. Васютинская und Д. А. Тюрина „Владимир Алексеевич Щуко 1878/1939“, E.V.

Vasjutinska-ja (Red.), Vladimir Alekseevič Ščuko 1878-1939, Moskva 1980 (Ausstellungskatalog des Moskauer Architek-turmuseums A.V. Ščusev, S. 8, Abb. 18, S. 43

53 Iosif Grigor’evič Langbard, *6.1.1882 Bel’sk, Prov. Grodno (heute Polen: Bielsk Podlaski), † 3.1.1951

Leningrad, studierte 1907-14 an der PACh, 1939-50 Prof. an der Leningrader Kunstakademie; baute zwischen 1930 und 1939 v.a. öffentliche Gebäude in Minsk

54 Taras Grigor’evič Ševčenko *9. 3. 1814, †10. 3. 1861, Sohn eines Leibeigenen; am 30. 5. 1847 wegen seiner

politischen Gedichte und Mitgliedschaft in einem radikalen politischen Geheimbund zu lebenslänglichem Straf-Militärdienst verurteilt, 1857 von Zar Alexander II. begnadigt

55 Am 27. 3.1847 gemeinsam mit N.I. Kostomarov u.a. verhaftet (vgl. Hösch / Grabmüller, Daten der russischen

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oben staffelnde Gruppe aus teils bewaffneten, teils Fahnen tragenden Arbeitern und Bauern aus der erwähnten Brüderschaft.56

Diese Darstellungsart, ein Rückgriff auf die naturalistische Kunst des 19. Jahrhunderts, wird jetzt bei Denkmälern und öffentlichen Bauten zur allein gültigen in der Sowjetunion, ähnlich auch im Dritten Reich, etwa bei Josef Thorak, Arno Breker oder Wilhelm Kreis. In einer anonymen „Zu-schrift aus Nowosibirsk“ an die Zeit„Zu-schrift „die neue stadt“ von 1932 wird dazu festgestellt: „Formsteigerung statt Qualitätssteigerung. Es soll sogar konzediert werden, dass die - für den Westen leere - Monumentalität der Skulptur in Rußland wieder einen politischen Sinn erhält.“57 Zwei deutliche Beispiele für solche Monumentalisierung sind mit dem von Stalin hochdekorier-ten Architekhochdekorier-ten Boris Iofan58 verbunden: Der unrealisiert gebliebene Entwurf Iofans für den Sowjetpalast mit der krönenden Lenin-Statue Sergej Merkurovs 1933 ff. und der realisierte Pa-villon der Sowjetunion auf der Pariser Weltausstellung von 1937.

Der armenische Monumentalplastiker Merkurov59 gehörte zu den meistbeschäftigten Bildhauern der Dreißiger und Vierziger Jahre in der Sowjetunion. Seine Lenin-Statue auf dem Sowjetpalast sollte auf Wunsch Stalins über 50 und 75 Meter hohe Vorstufen (Abb. 48, 49) schließlich die gigantische Höhe von 100 m (Abb. 50) erreichen, um die amerikanische Freiheitsstatue zu über-treffen. Das Palastbauwerk Iofans (auch dieses höher als das Empire State Building) diente quasi als Sockel dieses Lenin-Denkmals.

Für die Pariser Weltausstellung hatte Iofan 1936 den sowjetischen Pavillon entworfen. Auch die Idee für die krönende Plastik „Arbeiter und Kolchosbäuerin“, die zum Symbol des sowjetischen Gesellschaftsbildes60 wurde, stammte von Iofan selbst. Pikanterweise wählte Iofan, wie sein Biograph Ejgel’61 schreibt, als Vorbild die antike Skulpturengruppe der Tyrannentöter [sic!]

56 Vgl. И.Н. Седак, В.П. Дахно, Ю.И. Писковский, В.Е. Ладный, Архитектура советской Украины, Москва

1987, I.N. Sedak, V.P. Dachno, Ju.I. Piskovskij, V.E. Ladnyj, Architektura Sovetskoj Ukrainy, Moskva Strojiz-dat 1987, S. 71

57 X.Y., [Zuschrift aus Nowosibirsk], in: die neue stadt 1932-33, Heft 12 (hier zitiert nach: H. Hirdina, Neues Bauen

Neuses Gestalten, Dresden 1984, Ausgabe Berlin 1984, S. 171)

58 Vgl. Isaak Ejgel’, Der Tyrann und der Baumeister, in: Peter Noever (Hrsg.), Tyrannei des Schönen, München,

New York, 1994, S. 192

59 Sergej Dmitrijevič Merkurov, *1881, Leninakan, †1952, Moskau; Studium in Zürich, München, Paris

60 Ejgel’ formulierte etwas unscharf „Symbol der sowjetischen Staatsform“ (vgl. Ders., Der Tyrann und der

Baumeister, a.a.O., S. 195) (s. Anm. 58)

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Harmodios und Aristogeíton.62 Durch diesen historischen Bezug erhielt die Plastik eine gefährli-che Doppeldeutigkeit: Sowohl der Zar als auch Stalin konnten gemeint sein. Dies war in der Zeit der Schauprozesse gegen angebliche „Volksfeinde“ Wasser auf die Mühlen der Wett-bewerbsverlierer63. Nach Ejgel’ erhielt die Regierung „unverzüglich einen Hinweis auf Iofans schädliche Absichten. Molotov nahm jedoch die ganze Verantwortung auf sich und ignorierte die Anzeige.“64 Nach Querelen um die Höhe des Pavillons gegenüber dem deutschen von Albert Speer wurde Iofan aus dem Autorenkollektiv der Statuengruppe gestrichen und Vera Muchina erhielt den Auftrag für die eigentlich von Iofan konzipierte Plastik.65 Indem ihre 1937 realisierte, riesige Edelstahlskulptur „Arbeiter und Kolchosbäuerin“66 (Abb.51, 52) - in Arbeiterkleidung und nicht tatsächlich „bewaffnet“ mit den Werkzeugen Hammer und Sichel - nun einfacher Heroen des Alltagslebens darstellt, monumentalisiert sie nur noch ein trügerisches Idealbild der sowjetischen Gesellschaft. Die von Iofan vielleicht intendierte künstlerische Aussage, dass die neue Gesellschaft der Sowjetunion - wie in der griechischen Antike - über den Tyrannenmord realisiert worden sei, geriet in Vergessenheit. Dass Iofan jedenfalls bei dem sowjetischen Pavil-lon für Paris politisch dachte, darf angenommen werden, denn zur Verabschiedung der Stalin-schen Verfassung67 1937, die das Dreiklassenwahlrecht (Arbeiter, Bauern, Intelligenz) abschaff-te, stellte er im Verfassungssaal eine riesige Stalinskulptur auf.68

Noch zwei Jahrzehnte nach Muchinas trügerischem Idealbild modellierte Evgenij Vučetič in un-veränderter Haltung den aggressiv-friedlichen Schmied, der „Schwerter zu Pflugscharen“ (1957) (Abb.53, 54) schmiedet.

62 Bronzegruppe des attischen Bildhauers Antenor (um 510 v. Chr.) von den „Befreiern Athens“ Harmodios und

Aristogeíton, die 514 ein Attentat auf die Söhne des Peisistratos, Hippias und Hipparchos, ausführten, und deshalb von den Demokraten Athens besonders verehrt wurden. Gilt als erstes Beispiel eines politischen Denkmals in Europa.

63 Unter ihnen Ščuko, der Kontrahent Iofans beim Entwurf für die endgültige Fassung des Sowjetpalastes und sein

Kritiker Ščusev [vgl. Kapitel Sowjetpalast], sowie Mel’nikov und Ginzburg, die eine konträre Architekturauffassung vertraten.

64 Ejgel’, Der Tyrann und der Baumeister, a.a.O., S. 195 (s. Anm. 58)

65 Andere Entwurfsvarianten dieser Grundkonzeption hatten Andreev, I.D. Šadri und M.G. Manizer geliefert. 66 Für die sie 1940 den Stalinpreis erhielt

67 Unter anfänglicher Federführung Radeks entworfen; auf dem VIII. Außerordentlichen Sowjetkongreß vom 25.

11.-5. 12. 1936 (vgl. Hösch/Grabmüller, Daten der sowjetischen Geschichte, München 1981, S. 90, 91)

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Siegesmonumente

Besonders deutlich wird diese Kunstauffassung bei den heroischen Siegesmonumenten der Roten Armee. Diese spezifische Bauaufgabe ist der Architektur des Geniekults nur mittelbar verwandt und bedarf deshalb keiner eingehenden Erörterung. Vielmehr dienen die hier erwähn-ten Beispiele, wie etwa die nach dem 2. Weltkrieg in Stalingrad69 (Abb.55), Kiev70 (Abb.56), oder Berlin-Treptow71 (Abb.57, 57a) von Vučetič und Belopol’skij gestalteten, lediglich als Beleg für den ideologischen Wandlungsprozess. Obwohl es ähnlich wie bei den frühen Revoluti-onsdenkmälern auch um die Verherrlichung anonymer Leistungen von gesellschaftlichen Eliten geht, fehlt hier aber der Ausdruck der Zukunftshoffnung. Diese „monumental-dekorative Kunst“, wie Bylinkin und Rjabušin formulieren,72 bedient sich in ihren naturalistischen Bildnissen vor allem historischer Symbole, wie etwa dem Schwert (Berlin-Treptow) oder dem Siegeslorbeer (Leningrad, Piskarevskij-Friedhof), also leicht lesbaren Signaturen.

Auch zahlreiche andere Architekten und Bildhauer widmeten sich seit 1942 im Zusammenhang mit einem Wettbewerb der sowjetischen Architekturakademie diesem Thema.73 Er umfasste mehrere Bauaufgaben, wie z.B.

• ein heroisches Weltkriegspantheon (russ.= Panteon geroev Otečestvennoj vojny), • ein Weltkriegspantheon für Partisanen (russ.= Panteon partizan Otečestvennoj vojny), • für die heroische Verteidigung Leningrads (russ.= Geroičeskim zaščitnikam Leningrada), • für die Moskaus (russ.= Geroičeskim zaščitnikam Moskvy) oder

• für die Sevastopols (russ.= Geroičeskim zaščitnikam Sevastopolja) und andere.

69 Denkmal für die Helden der Schlacht von Stalingrad auf dem Mamaev-Hügel in Volgograd, 1967, mit der 52

m hohen Figur „Mutter-Heimat“. Bildhauer Evgenij V. Vučetič, V. Matrosov, A. Novikov, A. Tjurenkov; Architekten Jakov B. Belopol’skij, V. Demin. (Vgl. A.M. Žuravlev, u.a., Architektura Sovetskoj ..., a.a.O., S. 274, Abb. S. 276 (s. Anm. 3)

70 Denkmal für den Helden des GroßenVaterländischen Krieges, den Befreier Kievs und Held der Sowjetunion,

General Nikolaj Fedorovič Vatutin, 1948 enthüllt. Bildhauer Evgenij V. Vučetič, Architekt Jakov B. Belo-pol’skij.

71 Sowjetisches Ehrenmal, 1946-49 mit der 13 m hohen Bronzefigur eines Sowjetsoldaten mit Schwert und

Kind. Bildhauer Evgenij V. Vučetič, Architekt Jakov B. Belopol’skij

72 Н.П. Былинкин, А.В. Рябушин, История советской архитектуры (1917-1954 гг.), Москва 1985, N.P.

Bylinkin, A.V. Rjabušin (Hrsg.), Istoria sovetskoj architektury (1917-1954 gg.), Moskva 1985, S. 190

73 Vgl. den Allunionswettbewerb vom Oktober 1942 für Heroische Monumente des Großen Vaterländischen

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Für diesen Wettbewerb entwarfen z.B. Lev Rudnev ein Museum des Großen Vaterländischen Krieges an einem neobarocken Forum, Vladimir Krinskij ein historistisches Weltkriegspantheon für Partisanen in Form eines gewaltigen Kegelstumpfes aus Werksteinquadern, der Mitarbeiter Mel’nikovs, V.M. Lebedev einen mittelalterlich wirkenden Leuchtturm als Monument für die Verteidigung Sevastopols; die riesige Figurengruppe aus vier stehenden Matrosen von Vera Muchina sollte den Leuchtturm bekrönen. Der Leningrader Konstruktivist Aleksandr Nikol’skij zeichnete im gleichen Zusammenhang einen konzentrischen Berg als Weltkriegsmonument, zu dessen krönender Monumentalplastik man über eine riesige, von Baumreihen flankierte Trep-penflucht gelangt.

1943 gestalteten der Autor konstruktivistischer Arbeiterklubs, Andrej Burov, sein Museum für die Verteidigung Stalingrads als reliefgeschmückte Stufenpyramide und der Konstruktivist Il’ja Golosov sein Verteidigungsmonument für Moskau als zinnenbekröntes Bollwerk. Arkadij Mord-vinov, ein Führer der VOPRA, verwendete für seinen Moskauer Triumphbogen 1943 zwar eine dynamisch-moderne Parabelkurve,74 konterkarierte diese Fortschrittsmetapher aber mit historisti-schen Dekorationen.75 Unter diesen unzähligen Denkmälern, die meist in heroisch-konservativer Form Ereignisse des Zweiten Weltkrieges thematisieren, die den Sieg der Sowjet-armee über Hitler-Deutschland feiern,76 finden sich auch einige Beispiele mit abstrakten Aus-drucksformen.

So ein ganz und gar unfeierliches Denkmal dieses Themenkomplexes im Nordwesten Moskaus an der Leningrader Chaussee: Auf dem Weg zum Flughafen Šeremet’evo bei km 23 markieren drei überdimensionale Panzersperren in lakonischer Schlichtheit den Punkt des weitesten Vor-dringens der Wehrmacht.77 Im Herbst 1941 hatte sich die sowjetische Hauptstadt eingeigelt;

74 Schon 1942 hatte Adalberto Libera einen Parabelbogen für den Eingang der Esposizione Universale di Roma

(E.U.R.) entworfen und 1948 Eero Saarinen für das 192 m hohe Jefferson National Expansion Memorial bei St. Louis, verwirklicht 1963 als „Gateway to the West“

75 Vgl. T. Malinina, Iz istorii..., a.a.O., S. 70, Abb. 36 (Rudnev), S. 70, Abb. 37 (Krinskij), S. 75, Abb. 44

(Lebedev), S. 71, Abb. 39 (Nikol’skij), S. 101, Abb. 81, 82 (Burov), S. 69, Abb. 35 (Golosov), S. 100, Abb. 79 (Mordvinov) (s. Anm. 73)

76 Vgl. И.В. Иванова, Мемориалы. Тема памяти в послевоенной советской архитектуре, I.V. Ivanova,

Memorialy. Tema pamjati v poslevoennoj sovetskoj architekture, [Gedenkstätten. Das Thema des Gedächtnis-ses in der sowjetischen Nachkriegsarchitektur], in: 40 лет великой побелы архитектура, Москва 1985, 40 let velikoj pobely Architektura [40 Jahre nach dem großen Sieg. Architektur], Moskva 1985, S. 216 ff. [Ausstel-lungskatalog]

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Hunderte von Geschütz- und Abwehrstellungen, kilometerlange Barrikaden waren errichtet wor-den, darunter 24.000 stählerne Panzersperren, die man im Russischen „Igel“ nannte.78 Diese typischen Hindernisse aus drei gekreuzten Stahlträgern, einige davon wohl aus der Stahlkonstruk-tion des im Bau befindlichen Sowjetpalastes, symbolisierten den patriotischen Abwehrkampf der Moskauer und lieferten 1966 die Gestaltidee des „Igel“- Denkmals der Architekten A. Agafonov, I. Ermišin und Antonio Miche. Ein kleiner pultförmiger Stein trägt eine erläuternde Inschrift. Aber es gibt auch Versuche, kollektiv an Not und Leid in diesem schrecklichen Krieg zu erin-nern. Solche Versuche finden sich in St. Petersburg, wo ebenfalls seit 1966 ein Denkmal vom „Zersprengen des Rings für neuen Lebensmut“ 79 kündet. Der im Scheitel geborstene Bogen des Architekten V. Filippov und des Bildhauers K. Simun soll das Auseinandersprengen des deut-schen Belagerungsrings symbolisieren. Zwei große Bogenteile ragen neben einem kleinen Ge-denkstein mit einer Feuerschale von einer flachen Plattform aus windschief verschoben in die Höhe.

Nur teilweise abstrakte Ausdrucksmittel werden Mitte der 70-er Jahre beim Monument für die Verteidiger Leningrads80 (Abb. 58) auf dem Platz des Sieges am südlichen Ende des Moskovskij-Prospekts in Leningrad verwendet: Ein glatt polierter Granit-Obelisk von 48 m Höhe steht vor einem in den Boden eingelassenen, aufgebrochenen Ring, der die Blockade durch die deutsche Wehrmacht symbolisiert.81 Auf naturalistische Figuralplastik wird auch hier nicht verzichtet, sie tritt aber nicht so monumental in den Vordergrund, wenngleich auch diese bron-zenen Skulpturengruppen (Abb. 58a) überlebensgroß sind. (Am Fuß des Obelisken die sieben Meter großen Sieger „Soldat und Arbeiter“ als Einheitssymbol von Front und Heimat, und an den Flanken der südlichen Freitreppe die vier Meter hohen Bildnisgruppen von „Seeleuten“, „Partisanen“, „Soldaten“, „Freiwilligen“ usw.)

50 Km nördlich von Moskau überschritten und stand am 5. Dezember nur wenige Kilometer westlich von Moskau.

78 Russ. „Eži“. Vgl. Architektura SSSR 1917-1987, Moskva 1987, S. 309; Ausstellungskatalog: 40 Let velikoj

pobedy. Architektura. Moskva 1985, S. 225 [Für diese Hinweise danke ich Christian Schädlich in Weimar] (s. Anm. 76)

79 Russ.: Расорванное кольцо дорога жизни „Rasorvannoe kol’co doroga žizni“ Vgl. Ausstellungskatalog: 40

Let velikoj pobedy. Architektura. Moskva 1985, S. 225 (s. Anm. 76)

80 Architekten S. Speranskij und V. Kamenskij, Bildhauer M. Anikušin. Einweihung am 30. Jahrestag des

Kriegsendes, 9. 5. 1975. Im unterirdischen Ausstellungsraum symbolisieren 900 Leuchter die Zahl der Belage-rungstage zwischen 1941 und 1945. Mosaiken stellen auch dieses Thema wieder bildhaft dar.

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Kosmonautendenkmäler

Selbst die Weltraumerfolge der Sowjetunion in den fünfziger und sechziger Jahren lassen eine Veränderung kaum spürbar werden. Immerhin wird der Gedanke an wissenschaftlichen und technischen Fortschritt nicht unterschlagen, der sich hier spezifisch auf die prestigeträchtige und strategisch wichtige Raketenforschung bezieht. Die künstlerischen Ausdrucksmittel aber bleiben rückständig. Nach wie vor gelten naturalistische Darstellungen als probates Mittel der Heroisie-rung wie etwa das Relief am „Obelisk für die Bezwinger des Kosmos“ in Moskau von Baršč, Kolčin und dem Bildhauer Faidyš-Krandijevskij, 1964 (Abb. 59, 59a), das Moskauer Titan-Denkmal für „Gagarin“, 1980 von Pavel Bondarenko (Abb. 60, 60a), das Bronze-Grabmal des Kosmonauten Pavel Beljaev auf dem Friedhof des Neuen Jungfrauenklosters in Moskau (Abb. 61), oder das „Denkmal der Kosmonauten A. Leonov, V. Patsaev, Ju. Romanenko“ in Kali-ningrad (Königsberg) von B. Edunov (Abb. 62).

Während die Motivation für politische Denkmäler der Verherrlichung des Genies und der Sehn-sucht nach dem Autoritären entspringt, bieten die Kosmonauten-Denkmäler - gleichsam als Fluchthelfer aus der Banalität - Kompensation der Alltagstristesse an.

Anmerkungen zum zeitgenössischen Kolumbusbild

Bürgerliche Herkunft

Eine Projektion des bürgerlich-wilhelminischen Geniekults in Deutschland auf die anti-bürgerliche, sozialistische Gesellschaft in der Sowjetunion scheint zunächst abwegig. Aber schon bei der einleitenden Erläuterung des Denkmalbegriffs und der Darstellung des Umgangs mit ihm in der Sowjetunion Stalins waren deutliche Parallelen zum westlichen Konservatismus erkenn-bar. Es darf nicht übersehen werden, dass die Generation der hier in Frage kommenden Architek-ten (geboren zwischen 1873 und 1902) eine durchweg bürgerliche Herkunft und meist auch Ausbildung hatten.

Kolumbus-Literatur

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Sowjeten-zyklopädie82 zurückgreifen, deren erste Bände ab 1926 erschienen. Hier sei nur auf die einschlä-gigen russischen Lexika verwiesen, die interessanterweise auf deutsche Übersetzungen zu-rückgehen oder russisch-deutsche Co-Produktionen sind: Neben einer Enzyklopädie, die 1900-1909 in Leipzig, Vilna und St. Petersburg verlegt wurde, beziehe ich mich hier auf das „Новы Энциклопедический Словарь Брокгауза и Эфрона“ (Novy Enciklopedičeskij Slovar’ Brok-gauza i Efrona), St. Petersburg, 1890-1907.83 Die damals bekannten Vorwürfe gegen Kolumbus, wie Habgier, Unterjochung der Ureinwohner, schlechte Verwaltung und Bigotterie werden in dem zweiseitigen Text nur beiläufig erwähnt und mit der Missgunst seiner neidischen Zeitge-nossen erklärt. Dies entspricht - kurz nach der 400-Jahrfeier der Entdeckung Amerikas - auch dem unkritischen Tenor internationaler und deutscher Kolumbus-Darstellungen. Insofern scheint die Annahme von Analogien im Kolumbusverständnis der betreffenden Generation beider Ge-sellschaften trotz unterschiedlicher Nationalität nicht ungerechtfertigt. El Lissitzky, der Wande-rer zwischen diesen beiden Gesellschaften in Russland und Deutschland, verband die Erfindun-gen seiner Epoche mit Kolumbus: „Wir, die Enkel des Kolumbus, schaffen die Epoche der herr-lichsten Erfindungen. Sie haben unseren Erdball ganz klein gemacht, aber unseren Raum erwei-tert und unsere Zeit gesteigert.“84

Ohne genauer auf die Entwicklung des Kolumbusbildes eingehen zu können, muss hier doch der Versuch unternommen werden, das Kolumbusbild vom Beginn des 20. Jahrhunderts anzudeuten. „Meyers Großes Konversationslexikon“ von 1905 85 mag dafür als brauchbare Grundlage angesehen werden, wenngleich die entsprechende russische Literatur, die ja auf deut-sche Nachschlagewerke zurückgreift, natürlich als eigentliche Quelle angesehen werden muss. Aus den oben dargelegten Gründen kann hier aber auf eine weitere Erörterung der russischen Literatur verzichtet werden. Das deutsche Lexikon verwendete 1905 nicht weniger als drei Sei-ten Text für die ausführliche Beschreibung (1975 reichte eine halbe Seite86). Dieser Text be-schreibt analog zu dem erwähnten russischen Nachschlagewerk (zwei Seiten Text) vor allem die

82 Bol’šaja sovetskaja enciklopedija. Moskau 1926-1947, 66 Bnde. (2.Auflage 1949-60, 51 Bnde.) 83 Eine Co-Produktion mit dem deutschen Brockhaus, 86 Bnde., hier der Band 22 von 1904

84 Sophie Lissitzky-Küppers, El Lissitzky, Maler, Architekt, Typograph, Fotograph, Dresden 1967, S. 326 85 Leipzig und Wien, Band 11, S. 312-15

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vier Fahrten und würdigt die seemännische und entdeckerische Leistung.87 Die Exzesse in West-indien werden äußerst zurückhaltend behandelt. (Selbst die Propyläen Weltgeschichte von 1960/64 beschränkt sich auf die Faktologie der Entdeckungsgeschichte.88) Schließlich aber wird schon 1905 eingeräumt: „Vor der welthistorischen Größe des K. stehen wir mit geteilten Gefüh-len. Wir bewundern die Kühnheit [...]; aber auf der anderen Seite fühlen wir uns abgestoßen durch seinen blinden Autoritätsglauben [...], die Anmaßung, mit der er sich als den Abgesandten Gottes einführt, endlich durch seine Doppelzüngigkeit und goldgierige Grausamkeit.“89 Erst die europäische Kultur des 20. Jahrhunderts sah in Kolumbus eher den problematischen Menschen.

Wettbewerbsprogramm und Jury von 1928/29 für das Kolumbusdenkmal

in Santo Domingo

Auf die lange Vorgeschichte des zweiphasigen Wettbewerbs, die bis in das Jahr 1852 zurückreicht, kann hier nicht eingegangen werden. Seit 1923 hatte die „Panamerican Union“ entscheidenden Anteil am Vorankommen des Projekts.

Am 4. April 1928 trat das 1927 gebildete Baukomitee zusammen und verabschiedete das Wettbewerbsprogramm mit den Bedingungen des ersten Durchgangs. Am 1. September 1928 eröffnete dann die Panamerican Union den Wettbewerb, für den 300.000 $ zur Verfügung stan-den90; die Entwürfe mussten am 1. April 1929 in Madrid abgegeben werden. In der in-ternationalen Jury führte Horatio Acosta y Lara, Präsident von Uruguay, den Vorsitz; er vertrat Lateinamerika, Eliel Saarinen91 aus Finnland Europa und Raymond Hood92 Nordamerika.93

87 Dass Kolumbus schon Jahrzehnte früher mit einer portugiesisch-dänischen Expedition die Ostküste Nordamerikas

erreicht haben könnte, beschreibt z.B. Gustav Faber, Auf den Spuren von Christoph Kolumbus, München 1987, und Tomö, Kolumbus in der Arktis. Auch der norwegische Ethnograf Thor Heyerdahl, der sich auf Forschungen des Schweden Per Lillieström bezieht, stützt neuerdings diese These (vgl. H. Gamillscheg, „Kolumbus wußte, wo das Land lag, das er suchte“, in Stuttgarter Zeitung Nr. 144, vom 26. 6. 1995)

88 Vgl. Richard Konetzke, Überseeische Entdeckungen und Eroberungen, in: Propyläen Weltgeschichte Bnd.6,

Ausgabe 1991, S. 610-18.

89 Meyers Großes Konversationslexikon, Bnd.11, Leipzig, Wien 1905, S. 314

90 Eugenio Pérez Montás, Manuel Valverde Podestá, Der bedeutendste Wettbewerb in der Universalgeschichte der

Architektur: der Columbus-Leuchtturm; in: La Española 92, S. 108

91 Gottlieb Eliel Saarinen, * 20. 8. 1873 in Rantasalmi, emigrierte 1923 in die USA, seit 1945 US-Staatsbürger.† 1.7.

1950 in Cranbrook Hills, Mi. Bekannt geworden durch seinen Hauptbahnhof in Helsinki 1904-1914.

92 *2.3.1881 in Pawtucket, Rhode Island, † 15. 8. 1934 in Stamford, Conn. Studierte 1908-10 an de Ecole des

Beaux-Arts. Bekannt geworden 1925 durch den Bau des Chicago Tribune Tower (mit John Mead Howells)

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Das äußerst umfangreiche Programm ging weit über den Bau eines Kolumbus-Leuchtturms hinaus:

• So sollte ein Panamerikanischer Park von 1000 ha in der Nähe der Ruinen der ältesten christ-lichen Kirche der westchrist-lichen Hemisphäre angelegt werden.

• Das eigentliche Denkmal sollte ein von allen Seiten sichtbarer Turm - nicht unter 600 Fuß (185 m) hoch - sein. Die erdbebensichere Konstruktion sollte aus Stahl oder Stahlbeton her-gestellt, die Außenhaut mit vornehmen Materialien verkleidet werden (Naturstein).

• Eine Grabkapelle für die hierher zu überführenden Gebeine von Kolumbus und ein Museum war zu errichten.

• Modernste weltweite Verkehrsverbindungen sollte ein Flughafen mit den Mindestabmes-sungen 2000 x 3000 Fuß (600 x 700 m) und einer Landepiste von 1600 m Länge herstellen. Zusätzlich war ein neues Regierungsviertel zu planen mit

• dem Sitz des Präsidenten der Dominikanischen Republik, • fünf oder sechs offiziellen Residenzen,

• sieben oder acht dem tropischen Klima angepassten Regierungsgebäuden, nicht höher als zwei Stockwerke und

• abgesonderten Wohnhäusern, nicht länger als 100 Fuß (32 m) entlang der Straße nach Boca-chita und zur Brücke über den Fluss.

Diese Programmerweiterung zeigt die Absicht, dem Bedeutungsverlust der historischen Stadt, die 1920 nur noch 30.000 Einwohner hatte, nicht nur symbolisch mit dem Denkmal, sondern auch städtebaulich entgegenzuwirken.

Umgang sowjetischer Architekten mit der Wettbewerbsaufgabe

Was veranlasste die sowjetischen Architekten (und mit ihnen Hunderte aus anderen Nationalitäten) trotz des problematischen Kolumbusbildes an dem Wettbewerb teilzunehmen?

Amerikanismus und Fortschrittsideologie

Abgesehen von der verlockenden Aussicht auf Erfolg und internationale Anerkennung mag gerade für sie ein besonderer Reiz der Aufgabe darin gelegen haben, dass es ein

in: P.Cavellini, L. Bergonzi (Hrsg.), Architetti russi …, a.a.O. (ohne Seitenzahlen) (s. Anm. 1). Vgl. Deutsche

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kanischer Wettbewerb war. Schon 1918 hatte Lenins Frau, Nadežda Krupskaja, bei der

Bes-chreibung des Arbeiterklubs ein amerikanisches Leitbild entworfen.94 Paradoxerweise war der Amerikanismus (mit der gegensätzlichen Gesellschaftsform des Kapitalismus), wie Jean-Louis Cohen nachgewiesen hat, zum Synonym für sozialistischen Modernismus geworden.95 Noch 1951 hatte Martin Heidegger auf der Werkbundtagung in Darmstadt geäußert, metaphysisch gesprochen sei Amerika das gleiche wie die Sowjetunion.96 Die gewaltige Aufgabe der Indu-strialisierung in der rückständigen Sowjetunion schien nur mit modernen amerikanischen Mitteln realisierbar. Schon El Lissitzky hatte voller Euphorie die Epoche der Erfindungen u.a. mit ame-rikanischen Idiomen beschrieben: „Noch einige Jahre, da fliegen in Deutschland über meinem Kopf die Zeppelinluftblasen und die Aeros purzeln ihre ‚looping the loop’[sic]. Von Tag zu Tag steigert sich das Schwingungstempo. Selbst wenn ich noch, dank einem Motorfehler zu Fuß laufe, sehe ich doch wie in uns in einigen Jahren die lumpige Paarhundert-Kilometer-Ge-schwindigkeit wie Schneckenlauf vorkommen wird.“97 Und weiter unten: „Wir sind in der Epo-che der Erfindungen erzogen. Mit 5 Jahren hörte ich den Fonograph Edisons [sic], - mit 8 -, die erste Trambahn, mit 10 das erste Kino, - dann Luftschiff, Aeroplan, Radio. Das Gefühl rüstet sich mit vergrößernden und verkleinernden Instrumenten aus.“98

Henry Ford, dessen Ingenieure in der Sowjetunion gerade industrielle Entwicklungshilfe leiste-ten99, hatte das Geheimnis seines Erfolges in die Formel gegossen: „Du sollst die Zukunft nicht fürchten und die Vergangenheit nicht ehren.“ Dieses amerikanische Erfolgsrezept entsprach genau der sowjetischen Fortschrittsideologie.

Technikeuphorie und Wissenschaftsgläubigkeit

Ein bezeichnendes Bild vom sowjetischen Umgang mit der Technik liefert ein Bericht

94 In der Zeitschrift „Proletarskaja Kultura“; vgl. P. Gorsen, Der Proletkult 2, Stuttgart 1974

95 Auf dem Symposium des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt über „Die Baukunst des sozialistischen

Realismus“ vom 27. 10. 1991

96 Gerd de Bruyn in seinem Berufungsvortrag „Romeo und Julia oder die Selbstkritik der Moderne“ an der

Architekturfakultät der Universität Stuttgart, 30. 4. 1999

97 Sophie Lissitzky-Küppers, El Lissitzky..., a.a.O., S. 325 (s. Anm. 84) 98 Sophie Lissitzky-Küppers, El Lissitzky..., a.a.O., S. 326 (s. Anm. 84)

99 U.a. plante der deutsch-amerikanische Industriebauspezialist Albert Kahn (*1869 in Rhaunen, Westfalen, † 1942

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von Dr.-Ing. Friedrich Moll, priv. Doz. an der TH-Charlottenburg, über eine Tagung des deutsch-russischen Verbandes Kultur und Technik vom 8.-15. Februar 1932 in Moskau: „Bemer-kenswert war die ständige Frage nach »Rezepten« oder nach Tabellen. Bei einem großen Teil der russischen Ingenieure merkt man noch stark die Schwierigkeiten, die sich der technischen Aus-bildung in ihrem Lande entgegenstellen. Sie sind offensichtlich sehr stark formal gebunden und überschätzen daher den Wert der Formel. [...] es war den russischen Kollegen offensichtlich unerwartet, zu hören, daß wir selbst gar nicht solche Formeln, wie sie sie wünschten, hätten [...]. Es macht den Eindruck, als wenn weite Kreise der neuen russischen Ingenieur-Generation noch mit abergläubischer Ehrfurcht vor der Theorie erfüllt sind.“100

Die allgemeine Begeisterung in der Sowjetunion für den technischen und industriellen Fortschritt gipfelte in Trotzkis merkwürdigem Pamphlet vom Sieg des „bolschewistischen Amerikanismus“ über den „kapitalistischen Amerikanismus“.

Der ukrainische Architekt Jakov Černichov lieferte mit seinen zahllosen technizistischen Archi-tekturfantasien, die von Fabrikanlagen, Raffinerien oder Industriekomplexen inspiriert waren, gleichsam ein Faustpfand für diese Technikeuphorie. In seinem 1930 erschienenen Buch „Grundlagen der modernen Architektur“101 bildete er eine aus zylindrischen Silos, Röhren und Spiralen komponierte Anlage ab, die er als „Monument des Kolumbus, körperlich-konstruktive Komposition mit dynamischer Tendenz“ bezeichnet.102 (Abb. 63) Černichov reichte indessen keinen seiner fünf Entwürfe103 ein, auch nicht den aus orthogonalen Kuben zusammengesetzten, der wohl eher hätte realisiert werden können.

Zwei der erhaltenen sowjetischen Entwurfsbeschreibungen [die anschließend wiedergegeben werden] spiegeln diese Technikeuphorie. So wird klar, dass vor allem die sowjetischen Architek-ten der Avantgarde ihre Aufgabe nicht darin sahen, die historischen TaArchitek-ten des Entdeckers, Ero-berers und Missionars Christoph Kolumbus zu verherrlichen. Sie wollten die Vergangenheit nicht ehren. Voller Zukunftsenthusiasmus wollten sie vielmehr dem technischen und wissen-schaftlichen Fortschritt ein Denkmal setzen.

100 F. Moll, Deutsche Fachleute in Moskau, in: Bauwelt 1932, Heft 11, S. 291 101 Ja. G. Černichov, Osnovy sovremennoj architektury, Leningrad 1930

102 russisch: Памятник Колумбу, обьемно-конструктивная композиция с динамическим уклонм

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Abbildungsnummerierun-Andere sowjetische Wettbewerbsbeiträge freilich lassen diese Fortschrittseuphorie kaum erken-nen.

Überblick über das internationale Spektrum

Vorbilder

Die meisten Architekten beschäftigten sich bei dem Wettbewerb von 1928/29 kaum mit der Person des Genueser Seemanns, sondern lenkten alle Energien auf die Aufgabe, künstliche Berge zu errichten, Zikkurats, Eiffeltürme (Abb. 64, Tony Garnier), tibetanische Tempel und maurische Burgen (Abb.65), die wenig mit Amerika oder Kolumbus zu tun hatten, oder Mesoa-merikanische Pyramiden (Théo Lécher, Paris), die wenigstens eine Bezug zum Landungsort des Entdeckers in Mittelamerika herstellten, um „im Betrachter eine heftige Begierde nach Amerika-nischem zu entfachen“, wie es in der Wettbewerbsausschreibung formuliert war („to fire the beholder with an eager interest in things American“)104. Andere ahmten expressionistische Denk-malsentwürfe wie W. Luckhardts „Denkmal der Arbeit“ von 1919 nach (Abb.66, Douglas El-lington Abb. 67) oder zeichneten mehr oder weniger moderne Hochhäuser (z.B. Begtmann, Appenzeller oder Brygmann) (Abb. 68); auch der 1.Preisträger, Josef Wentzler (Abb.69, 69a) aus Dortmund, näherte sich dabei wohl nicht unbeabsichtigt dem Typus des amerikanischen Wolkenkratzers. Sein 170 m hoher Stahlbetonturm auf dem Grundriss eines achteckigen Sterns mit 50 m Durchmesser wird von vier 84 m hohen Lichtkreuzen geschmückt und von einer 12 m hohen Laterne gekrönt. „Die Verkleidung des Bauwerks soll“, wie Wentzler selbst in seinem Erläuterungsbericht schreibt, „in vorhandenem Korallenstein erfolgen.“ „Das Kreuz, als Künder der Menschheit, ein Stern, als Weiser aller Zeiten, sind die Symbole und Gedanken, die der Aufgabe zugrunde liegen dürfen. Ein Dom und Denkmal zugleich, birgt große Ausdrucksfreiheit in sich, birgt den Ernst aller großen vollbrachten Taten.“ Im Inneren erinnert die Kapelle mit dem Kolumbus-Denkmal an eine mittelalterliche Kathedrale.105 So konnte man wenigstens das Innere als Metapher der Christianisierung deuten.

gen) (s. Anm. 1)

104 Vgl. S.F. Starr, Melnikov. …, a.a.O., S. 164 (s. Anm. 25)

105 Vgl. Wettbewerb für den Columbus-Leuchtturm in Santo Domingo in: Deutsche Bauzeitung 1929, Nr. 50, S. 439,

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