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Interessen statt Werte. Überlegungen zu einer realistischen Russlandpolitik der EU

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Gerhard Mangott

Interessen statt Werte. Überlegungen

zu einer realistischen Russlandpolitik

der EU

Rocznik Integracji Europejskiej nr 2, 85-93

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GERHARD MANGOTT

Innsbruck

Interessen statt Werte.

Überlegungen zu einer realistischen Russlandpolitik der EU

Die EuropäischeUnionund Russlandbegegne(te)neinander inden letzten Monaten mitMisstrauen, DistanzundDruck. Die Zustimmung aller Unionsmitglieder zu einem

Verhandlungsmandat der EU-Kommission über einen neuen Grundlagenvertrag mit Russlandwarlange unmöglich. Den Verweigerungen Polens und Litauenswegen bila­

teralerKonflikte mit Russland(Fleisch- und Ölhandel) wurde innerhalb der Union unterschiedlich begegnet:Einzelne Mitgliedsstaaten sahen darin denschädlichen Ver­ such,Gesamtinteressenin Geiselhaft von Einzelinteressen zu nehmen;diemeistenan­

derenüberden gerechten Anlass, um als Union Solidaritätmit einzelnen Mitgliedern zu zeigen. Das Mandat wurde im Mai 2008 schließlich erreicht- aber kaum einer halt ei­

nen raschen Abschluss derVerhandlungenfürmöglich. Das Ratifizierungsverfahren wirdohnehin als Minenfeld gedeutet.

Der Streit über das Verhandlungsmandat innerhalb derEuropäischen Union hat die

schon langeanhaltendeDebatte über werte- oder interessenbasierte Beziehungen zu Russ­

landerheblichverschärft. DasidealistischeLagerforderteinegesamthafteDeutung, diedie demokratische Konditionalität zum zentralen Baustein imBeziehungsgeflechterhebt; die

nachdrückliche Forderung nach demokratisch-rechtsstaatlichen Reformen in Russland solltedemnach den GradderZusammenarbeitzwischen beidenAkteuren bestimmen. Das

realistischeLagerbetont dagegen die strategischen Interessen, die Russland und die EU verbinden, die durchüberzogene Konditionalitätnicht belastet werden dürfen.

Dienüchterne Bewertung dieser beiden Debattenstränge sollte nach meiner Ansicht

zu einer realistischenDeutung derBeziehungen zwischen der EU und Russlandfuhren. Die Interessenverflechtung zwischen beidenAkteuren, strategische gegenseitigeAb­ hängigkeiten und Bedürfnisverschachtelungen erfordern interessendominierte Gestal­

tungsprofile. Dies erstreckt sichvonderZusammenarbeitinder Kontrolle und Lenkung

der illegalen Migrationsströme, derorganisierten Kriminalität (insbesondere im Dro­

gen- und Menschenhandel) bis hin zur Nutzung gemeinsamer Verantwortlichkeitenbei

der Einhegungregionaler Konflikte, soweit dies ingegenseitigemInteresse ist. Beson­

ders deutlichaber lässt sich dies au der Energiezusammenarbeit zwischen denbeiden Akteilren ausmachen;in diesem Bereich sind - anders als in der aufgeregtenmedialen Diskussion vermutet - gegenseitige Erwartungs- und Bedarfsprofile auszumachen. Darf es dann alsverantwortlich angesehen werden,wenndieEUvordemHintergrund wechselseitiger Abhängigkeitsbeziehungen im Energiesektor (Vorbedingungen für die

bilaterale Zusammenarbeit mit Russland erhebt?

Das idealistische Lagerfordertjedenfalls auch bei derEnergiezusammenarbeit mit Russland die demokratische Konditionalität als Eckstein anzusehen. Die

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russlän-86 Gerhard Mangott RIE 2’08

disch-europäische Zusammenarbeitwird damit in einem elementaren Politikfeldmit ei­

nemnormativenVorbehalt belegt.Dieser normatividealistische Ansatzwirdsich aber,

wenn er sich nicht insich selbst erschöpfenwill, der Bewertungseiner Relevanz hinsicht­

lich der Zielerreichungstellenmüssen;die Frage ist,ob mit diesem Ansatz denn wirklich

Änderungen inder Herrschaftsordnung und -praxis in Russlanderzielt werdenkönnen.

Erfolgreiche Wirtschaft -Autoritäre Herrschaft

Der Befund über Herrschaftsordnung undMachtausübung in Russland ist ziemlich

eindeutig. Das in seinen makro-ökonomischen Rahmenparametem erfolgreiche Land ist von einer wachsenden autoritären Verhärtung im politischen Bereich betroffen.

Russland hat in den vergangenen Jahren eine autoritäreökonomische Modernisierung zum Leitgedanken des politischen Handelns erhoben- Die makro-ökonomischen Indi­

katoren sind beeindruckend- Die volkswirtschaftliche Leistungskraftwar seit 1989un­ aufhörlich gesunken; 1999 aber setzte ein bislang ungebrochenes Wirtschaftswachstum

ein, das anfangs ausschließlich den steigenden Preisenfür Erdöl und Erdgas - den

wichtigsten Exportgütem Russlands - und einer schwachen Wahrung zu verdanken

war. Fortan aber warenes liberale Steuerreformen, wachsende Investitionenund ein stark ansteigender Binnenkonsum, die das Wirtschaftswachstum ankurbelten. Das

russländische BIP ist seit 1999 jährlich durchschnittlich um6,7 Prozent gewachsen,

2007 allein um 8,1 Prozent. Ebenso deutlichzugenommenhaben dieRealeinkommen; dabei ist allerdings zubetonen, dass BIP-Wachstumund Realeinkommenssteigerung regional äußerst unterschiedlich sind und die Einkommensschere inder russländischen Gesellschaft immer weiterauseinandergeht.

DieSteuerquote ist stark angestiegen.Warder Staatshaushaltin den neunziger Jah­ ren chronisch defizitär, wurdenseit 1999ständigBudgetüberschüsse erzielt, 2005 so­ gar in der Höhe von 8,2 Prozent des BIP Durch die starken Kapitalzuflüsse ist es

Russland auch gelungen,seine souveränen Hartwährungsschuldendeutlich zureduzie­

ren, die Anleihendes IWFvölligzurückzuzahlen wie auch die Schulden gegenüber

dem PariserKlub vorzeitig zu begleichen. Die Regierungkonnte bislang auchdie Fol-geefftekteeiner rohstoffbasiertenVolkswirtschaftverbunden mit hohenKapitalzuflüs­ sen - die sogenannteDutch Disease - weitgehend bewältigen; DieInflationwar mit

acht bis neun Prozentmehrere Jahre relativ unterKontrolle (allerdings ist diese auf­

grund der stark ansteigenden Marktpreise für Lebensmittelrohstoffe, steigende Staats­

ausgaben undLiquiditätszuschüsse derZentralbank andieheimischen Banken 2007 auf11,9 Prozent angewachsen), der Aufwertungsdruckauf den russländischen Rubel

einhegbarund dadurch dieinternationaleWettbewerbsfähigkeit ausländischer Export­ produktion außerhalb des Rohstoffsektors so gering wie möglich belastet.

Konsolidierung der Macht unter Putin

Dieser makroökonomischenBilanzsteht allerdings eine autoritäre Verhärtung in

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folgreich alle strukturellenBeschränkungen derverfassungswirklichen Autorität des Präsidentenamtes, die die Macht Präsident Jelzins in den neunziger Jahren noch be­ grenzt hatten, beseitigt;Putin hatüber Wahlrechtsänderungen, unfaire Wettbewerbsbe­ dingungen und Manipulationen der öffentlichen Wahrnehmung den Aufbau einer

Staatspartei-Edinaja Rossija(GeeintesRussland)- vorangetrieben,dieseit denWah­

len zur Staatsduma im Dezember 2003 eine Verfassungsmehrheithält; die Staatspartei

mit Putin als Listenfuhrerkonnte diese Mandatsmehrheit bei den Duma-Wahlen im

Dezember 2007 sogar noch ausbauen.Dazu kommt nun auch eine zweite Partei der Macht - SpravedlivajaRossija (GerechtesRussland) zudem der Kommunistischen Par­

tei der Russländischen Föderalion (KommunisticesktajaPartja Rossii) Wähler streifig macht. Durch diese gezielte Steuerung des ParteienwettbewerbshatPutinhöchsteffi­

zienteexekutiv-legislative Kooperationsbeziehungen aufgebaut. Erleichtert und geför­ dert wurde dies durchden Niedergang und diegezielte Schwächung derKPRP undder

wichtigsten liberalen Parteien -derrechtsliberalen, untemehmerfreundlichen Union

derRechten Kräfte (Sojitz Pravych Sil) und der linksliberalen, bürgerrechtsorientierten

Jabloko.

Putin hat zudem gezieltdie Autonomieder Regionen eingeschränkt und damit die regionalen Eliten als EinhegungsfaktorseinerMacht weitgehend ausgeschaltet. Die Gouverneure und Präsidenten der 88Regionen werden nunmehrdurch den Staatspräsi­ dentendirekt ernannt und sindvon diesemauch absetzbar; die bislang geltende direkte

Volkswahlwürdebeseitigt. Die regionalenElitensindzudemnichtmehr im Oberhaus desParlamentsvertreten und haben damit die Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung verloren. So können sie vonder Zentralregierung stärkerunter Druck gesetzt werden.

Entgegen seinem Versprechenim Jahre2000,die „Oligarchien alsKlasse“zu besei­

tigen, besteht die enge Verflechtung zwischen der politischen Herrschaftselite und den finanz-industriellen Holdings weiterhin -nurhaben sich die Mitglieder des Oligar­

chenzirkels geändert:Die Oligarchienmit starkenMedienholdings, allen voran Boris

Berezovskij undVladimir Gusinskij (beideleben nunmehr im Exil), wurden neutrali­

siert. Die elektronischen Medien, vorallem das Fernsehen, sindin direktem oder indi­

rektem staatlichen Eigentum und werden zur regimefreundlichen Meinungsbildung

eingesetzt. Auch haben Übergriffe auf NGOsundManipulationder Justiz in den letzten

Jahren deutlichzugenommen.

Die Herrschaftsschicht Putins setzte sichaus zwei Lagern zusammen:den ökono­

mischen undjuristischen Technokraten, diePutinaus seiner Zeitals Mitgliedder Stadt­ verwaltungvon Sankt Peterburg kennt (Kudrin, Gref, Christenko, Medwedjew) und

den Mitgliedern der Sicherheitsdienste undder Streitkräfte (Siloviki), diePutin aus sei­ ner Tätigkeit beim sowj etischen Komitee für Staatssicherheit (KGB)kennt. Putin nutz­

te diese duale Elitenstruktur geschickt, um sich nicht voneinem Elitenkartell abhängig

zumachen und diebeiden Lagerin einem relativen Gleichgewichtszustand zuhalten. ImGeflecht und denGräben dergegenläufigenInteressen dieser Fraktionen hat Pu­ tin letztlich Dmitrij Medwedjew alsseinen Nachfolger im Präsidentenamt auserkoren - gleichzeitigaber das Ann des Regierungsvorsitzenden an sich gezogen. Die Deutungen der Forschergemeinde über Motive, Interessen und Binnendynamik des Duumvirats unterscheiden sich stark. EinzentralesMerkmal derUmgestaltung der Führungsspitze Russlands ist bislang einekooperativePersonalpolitik zwischenPutin und Medwedjew

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88 Gerhard Mangott RIE 2’08

und dieSchwächung der Nachrichten-und Sicherheitsoffiziere. Der Umstand,dassPu­ tin viele seiner Mitarbeiter aus dem Präsidialamt in die Regierung mitgenommen hat, wird vonvielen Beobachtern als Ausdruck seines ungebrochenen Machtanspruchs

gedeutet. Medwedjewhabedamit in seinem Stab eine Reihevonerfahrenen Funktions­

trägemverloren. Diese Einschätzung aberverkenntdie Lage gänzlich: Die Umbeset­ zungen in der Stabsstelle bleiben insgesamt bescheiden; zahlreiche Berater Putins werdenauch für Medwedjew arbeiten. Geblieben sind viele professionelle Funktionä­ re, aufderenErfahrungMedwedjew setzen kann. Mit SergejNaryskinalsLeiter seines Stabes hat Medwedjew zudemeinensehrfähigen Organisator einsetzen können, der in die MoskauerNetzwerke eingebunden ist; Naryskin ist aucheinengerFreundPutins,

Die mitPutin eng abgestimmte Personalpolitik erlaubt Mcdwedj ew, in einem konstruk­ tiven Umfeld seine ersten Schritte zu machen.

Essind dieSiloviki - die VertreterderNachrichtendienste und Streitkräfte - die aus

dem Kreml abgezogen undin die Regierung eingebunden wurden; sie bleiben damit unter Kontrolle und AufsichtPutins, Nur wenn Putindiese Kaderkontrolliert, kann er verhindern, dasssie den Kursdes neuen Präsidenten obstruieren.Gleichzeitig wurden

dieReihen derSiloviki erheblich geschwächt. Zwar ist mit Igor Secin der Anführer der Falkenin dieRegierung und damit erstmals in ein öffentliches Amt aufgerückt. Mitder Absetzung vonViktor Ivanov, dem früheren Kanzleichef Putins, von Justizminister Us- tinovwie auchmit der Ablösungvon Nikolai Patrusev als Leiter des Inlandsgeheim­

dienstes FSB wurden drei radikaleAkteure neutralisiert. Zwar erhielten sie alle neue

Funktionen,ihr Einfluss aber ist nun hat Medwedjew auch erheblichenRückhaltinder

Regierung,Auch der neue Leiter des Inlandsgeheimdienstes Bortnikowhat ein kon­ struktives Verhältnis zu Medwedjew. Die Bande zwischenPutin und Medwedjew sind

eng - gewachsen durch lange Jahre der verlässlichenZusammenarbeit, aber nicht der

persönlichen Freundschaft.Es kannnicht überraschen,dassPutin indiesemVerhältnis

noch immer dominiert.Darfdarausaber abgeleitetwerden,Medwedjewwürde in ei­ nem einzigartigen Rollenvereicht die Schwächung des Präsidentenamtes zulassen und Putin als Regierungschef die Macht überlassen?Mehr noch, kannwirklich erwartet werden, dass Medwedjew in einigen Jahren Putin das Amt des Präsidenten wieder überlassen wird?Beides scheintmehr alszweifelhaft, denn damitwürde Medwedjew

zurlächerlichen Figur in der russländischen Geschichte werden. Kaum zu erwarten, dass seine Ambitionendaraufgerichtet sein sollten.

Fehlende Grundlagenfür Demokratisierung

Angesichts der eindrucksvollen makroökonomischen Bilanz und der Festigung der politischen Herschaftsordnung auch nach dem Abgang Putins, bleibt die Führung

Russlands gegenüber äußerer Kritik gelassenoder wischtsie arrogant zur Seite-Das

Selbstbewußtsein ist deutlichgewachsen.

Wichtiger aber für die Debatte übereinen möglichen externen Beitrag zur Aufwei­

chung derderzeitigen autoritärenHerrschaftsStrukturen ist der Umstand, dass es in

Russlandderzeit weder aufder Angebots-nochaufder Nachfrageseite die Grundlagen einer nachhaltigen Demokratisierunggibt: Die liberalen und demokratischen Bewe­

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gungen könnensichwegenprogrammatischerDifferenzen, v.a.aber wegenpersönli­

cher Ambitionen und Rivalitäten noch immer nicht auf eine gemeinsame Front gegen

den polizei-staatlich-reaktionären Kurs Putinszusammenschließen. Den auf demokra­ tische Mitbestimmung bedachtenstädtischen Bevölkerungsschichten bietetsich damit

auf derAngebotsseite keine glaubwürdige und effiziente Alternative. Aber auch auf der Nachfrageseite fehlenderzeitdieVoraussetzungen für eine nachhaltige Demokratie­

bewegung: Diegroße Mehrheitder Bevölkerung zieht Stabilität, zivile Lebensper­ spektiven und moderateWohlfahrtssteigerung der demokratischen Mitbestimmungvor -niemals mehrals 15 Prozent der Bevölkerunghaben in denletztensechs Jahren die Möglichkeit, dieFührungihresLandes zuwählen,als einen unverzichtbaren Wen be­ zeichnet. Die große Popularität Purins stützt sich geradezu darauf, eine systemische

und personelle Antithesezur Lebens- und Herrschaftswirklichkeit unter Boris Jelzin

aufzubauen: wirtschaftlicher Zusammenbruch, soziale Verelendung, die demografi­ sche Katastrophe, die politische Instabilität, das Staatsversagen in grundlegenden Be­

reichen und das Führungsversagen eines kranken Präsidenten hatten Russland gelähmt, Putin erschien bei derWahl zum Präsidentenin2000 als Vertreter einer neuen Genera­ tion, als Hoffnungsträger eines verantwortlichen Staates, der die grundlegenden Be­

dürfnisse der Bevölkerung an ökonomischer und sozialer Sicherheit befriedigen zu können schien; seineErfolge in diesem Bereich sinddie Determinanten seineranhal­ tend hohen Zustimmungdurch die Russinnenund Russen. Dies wird natürlichauchda­ durchermöglicht, dassdiestaatliche Knebelung ausländischer Medien demRegime die

Informationshoheitgegenüberder eigenen Bevölkerung garantiert; zugleich abergilt

es resignierend anzumerken, dass außerhalb großstädtischer, liberal denkender Ni­

schensegmente, Putins autoritäre Herrschaft von der ausländischen Bevölkerung ak­ zeptiertwird.

So legitim undnotwendig EU-Kritik an derausländischenHerrschaftsordnungauch

ist - sie muss zur Kenntnis nehmen,dasssie voneiner Mehrheit der Russen mitSkepsis

aufgenommen wird. Die Glaubwürdigkeit westlicher Akteure ist innerhalb der auslän­ dischen Bevölkerung gering.Diese haben in den1990er Jahren(in den Augen der Be­ völkerung) jene politische Elite bedingungslos unterstützt, die für die Bevölkerung v, a. für politische Grabenkämpfe,Ineffizienz,Korruption, ökonomischenZusammenbruch

und sozialeVerwahrlosung verantwortlichwar.Westliche Menschenrechtspolitikmuss

daher inihren Erwartungen bescheidenbleiben; sie mussmiteiner russländischenzivi­

len Graswurzelbewegung und dem wachsendenAnspruch der sich ausweitendensozia­

len Mittelschicht Zusammenarbeiten, die erst nach vielen Jahren wirklich zu einem Druckfaktor aufdas Regime werden können,

Angesichts einersolchen innerrussischen Konstellation sollte sich dieEU nichtda­ rüber täuschen,dieDemokratie in Russland kurzfristigvoranbringen zu können.Nach­ haltige öffentliche wie informelle Kritik an den autoritären Herrschaftsstrukturen ist ein unverzichtbaresGebot europäischer Russlandpolitik. Die EU muss auchöffentlich auf den Wertedissens mitRussland hinweisen; deutlich machen» wie sehr sich Russ­

land derzeit von einer demokratischen Herrschaftspraxis entfernt.Freilich sollte die EU dabei nicht den Eindruckdes belehrendenoder überheblichen Nachbarn erwecken. Die Erwartungaber,die Kritik, auch die hinter verschlossenenTürenvorgebrachte» könnte den GangderEreignisseinRusslandnachhaltig verändern, ist leider nicht zutreffend.

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90 Gerhard Mangott RIE 2’08

Aus mehreren Gründen, aber auch aus ebendiesem, ist eineVermengungdes demo­

kratischen Konditionalitätsgebotes mir der Energiezusammenarbeit zwischen Russ­

land und der Europäischen Union nicht ratsam, weil sie vitale Interessen der EU beschädigt. Wieweiter auszufahren sein wird, bedeutet dies nicht, Russland aus der Pflicht zu lassen, weil die Länder der EUstark oder - wie bisweilenaufgeregt argumen­ tiert wird -existentiellvonrussländischen Energielieferungen abhängigist. Es ist die

komplementäre Interessenlage im Energiesektor, die für beideSeitendieBedingungen

der vorteilhaften Zusammenarbeitund wechselseitiger Abhängigkeit bereitstellt. Die

Grundlagendieses Kooperationsansatzes solltenim Interesse beider Seiten nicht durch

ein JunktimzwischenderWerte- undInteressenebene beschädigt werden.

Energiepolitische Verflechtungen

Erdgas stellt in derEU derzeit 26,6 Prozent desgesamten Primärenergieaufkom­

mens (Total Primary Energy Supply, TPES) bereit, Erdöl(-derivate) 39,4 Prozent.

Russland bedient derzeit 26,1 Prozentdes Gaskonsums und 26,4 Prozentdes Rohöl­

konsums der EU (inkl. Kroatien). Die weiteren wichtigen Gasversorger der EU sind Norwegen(18 Prozent des EU-Gaskonsums) und Algerien (10,8 Prozent), Die EU im­

portiert bereits 62.9 Prozent ihres Erdgases; annähernd 41 Prozent der Gasimporte

stammenaus Russland.Gemessen am Importvolumen sind diewichtigsten Importeure russländischer Energieträger Deutschland, Frankreich und Italien; die relativen Abhän­ gigkeiten dieser Staaten von russländischen Energieträgernist aber deutlichgeringer

als in den meisten der ost- und zentraleuropäischen Mitgliedsstaaten der EU- allen

voran inEstland, Lettland, Litauen, Bulgarien, Österreich und der Slowakei.

UnterBerücksichtigung des AnteilsrussländischerGasimporteam Gaskonsumder

EU und dem Anteil vonErdgas am gesamten Primärenergieaufkommen der EUergibt sich, dass derzeit6,9 Prozent der Primärenergieversorgung auf russländischen Gaslie­ ferungen beruhen.

Besonders hervorzuhebenist,dassRussland auch davon abhängt, die EU als Ex­

portmarktbedienenzu können. Russland exportiert Erdgas nur in die EU, den Westbal­ kan, die Türkeiund viele der postsowjetischen Staaten, Dashängtmit dem Umstand

zusammen,dassalle derzeitigenErdgasexportleitungen Russlands ausschließlich nach Westen verlaufen. Russland kann seine Exportkundenderzeit nicht diversifizieren. 72,78 Prozent des russländischenErdgasexports gehen in die EU (63,4 Prozent) und die Türkei (9,3 Prozent). Angesichts fehlender ostwärts führender Pipelinetrassen (und

bislang fehlender Flüssiggas-Förderung) zeigt sich daran die erhebliche Abhängigkeit

Russlands vom Zugang zu den Gasmärkten derEU.Es istdaher völligunzutreffend,

von einem Erpressungspotential Russlands imGasgeschäftmit der EU zusprechen;

vielmehr sind deutlich vechselseitigeAbhängigkeitenundkomplementäre Interessen

erkennbar.

Der Importbedarfder Europäischen Union im Gas-und Rohölsektor wird bis 2030 (deutlich) steigen. Die Gründe dafürsind erhebliche Nachfragesteigerungenv. a. im

Gassektor (kaum aber im Ölbereich), aber auch deutliche Produktionsrückgänge inder

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derzeit 480Mrd.m3 in einemReferenzszenario auf zumindest720Mrd. m3 ansteigen. In20 Jahrenwird dieEU - wenn sich das Konsumverhallennicht verändert und Maß­

nahmen derEnergieeffizienzund des Energiesparens nicht (ausreichend)wahrgenom­ men werden - 90 Prozent ihres Rohölbedarfs und 80 Prozent ihres Gasbedarfes importieren müssen.

In der Debatte auf medialer und politischer Ebenewurde in den letzten 18 Monaten

behauprer,aufgrunddes wachsenden Importbedarfs der EU im Erdgasbereich wurde

die Abhängigkeitvon Russland steigen. Diese Erwartung ist aber gänzlich unzutref­

fend, weildas Wachstum der russländisehen Erdgasforderung bis2030 deutlich unter dem Wachstum des Erdgaskonsums der EU bleiben wird. Der prozentuale Anteil russ­ ländisehen Erdgases am Erdgasverbrauchinder EU wird daher gleich bleiben oder gar abnehmen; Russlands Anreil an den gesamten Erdgasiniponender EU wird bis 2030 sogar deutlichzurückgehen.

Der Bedeutungsrückgang russländisehen Erdgases für den Gaskonsum der EU

hängt mitmäßigenSteigerungsraten im Fördervolumen russländischer Gasfelder und

einem aufgrund des rasanten Wirtschaftswachstums ansteigenden Binnenverbrauch Russlands zusammen. Der Anteil von Erdgasam gesamten Primärenergieaufkommen

Russlands liegt 2006 bei 57,8Prozent; Erdöl stellt17,2Prozent,Kohle 15 Prozentdes TPES.Der hohe Anteil von Gasam TEES und die Höhe des Eigenverbrauchessind vor allemaufdie niedrigen Erdgaspreisefür industrielle Abnehmer und private Haushalte zurückzuführen. Wahrendinnerhalb der EU-15 in 2008 bis zu 350 USD für 1.000 m1 zu bezahlen sind, liegt der GaspreisinRussland nochbei ca. 65 USD. Bis 2011 sind in

Russland erhebliche Preissteigerungen für Gas vorgesehen;daraus könnten sich wach­

sende Bemühungen um Energieeffizienz und Energiesparen und dasInteresseanalter­

nativen Energieträgern - Kohle und Kernenergieergeben. Die russländische Regierung hat das ambitionierte Ziel vorgegeben, denAnteil der Atomenergie am russländisehen Elektrizitätsaufkommen vonderzeit 16 Prozentauf 25 Prozent im Jahr 2030anzuheben.

Die Rolle Gazproms

Abzuwarten bleibt, ob der interne Verbrauchszuwachsdurch dieKostensteigerung so deutlich abgeschwächtwerdenkann, dass die Anreizefür den staatlichen Erdgas­ konzern Gazprom, einen höherenAnteil des geforderten Gases auf demeinheimischen

Markt zuverkaufen, ausbleiben. Der Binnenverbrauchwird derzeit vor allem durch

Gazprom und die beiden privaten Gaskonzeme Itera undNovättk sowie durch die Gas­

zweige vonwichtigen Ölgesellschäften bedient. Das Exportmonopol für Erdgas und der Besitzder Exportpipelinenetze liegen beiGazprom. Derzeit kannGazprom aber nur ca.34Prozent seines geförderten Gases exportieren- gegenwärtig ausschließlichin die

EU, die Türkei, Serbien,Belarus,Ukraine,Moldawien, Georgien, Armenien und Aser­

baidschan. Die Preise, dieGazprom in den EU-Staaten erzielenkann,sind dabei deut­ lich höher als in den Staaten des postsowjetischen Raumes; dieser Raum ist daher derzeit weniglukrativ. In 2006 lieferte Gazprom 101 Mrd. m3 Erdgas an den postsowje­

tischen Raum und erzieltedafür 8,-1 Mrd. USD an Einnahmen; imselbenJahr exportier­

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92 Gerhard Mangott RIE 2’08

Als Gegenleistung für die (relativ) niedrigen Gastarife drängte Gazprom Belarus und

die Ukraine. Eigentumsanteile an deren Gasverteilemetzund andenExportpipelinesan

Gazprom zu veräußern. Im Fallevon Belarushat Gazprom den Verkauf eines Mehr­ heitsanteils am Unternehmen Beltransgaz, das das lokale Gasnetzwerk inBelarus be­

sitzt, für 2,5 Mrd. USD erzwungen. Die Gasexportpipeline, die über belarusisches

Territorium führt -die Jamal-Pipeline - transportiert derzeit 16,3 Prozent des

russlän-dischenGasexports in die EU-27 und ist ganz imBesitzvonGazprom. Die Gasleitungs­ stränge, die durch die Ukraine führen und überdie derzeit 80,3 Prozent des russländischen Gasexports in die EU-27 abgewickeltwerden, sind aber nochimmer in ukrainischem Staatsbesitz.

Da Gazpromaber zurzeit sehrwenig amGasabsatz in Russland verdient, ist es auf wachsende Einkünfte aus dem Exportgeschäft angewiesen. Steigende Gewinne sind

nicht zuletzt deshalb zwingenderforderlich, weil Erschließung und Förderungneuer

Erdgasfelder (v. a. auf der HalbinselJamal und inder Barentssee) außerordentlich kos­

tenintensiv sind.Dazu kommen erheblicheKosten für die Reparatur bestehender und

den Bau neuer Expottpipelines.Der Preisdruck aufdie Ukraine und andere postsowj eti- sche Staatenhat daherdurchaus auch betriebswirtschaftliche Gründe.

Die asiatischen Interessenten fürrussländisches Erdgas werden dabei aber nichtim

Wettbewerb mit der EUstehen. Die ostsibirischen und fernöstlichen Gasfelder Russ­ lands sindvielzuweit von den europäischenMärktenentfernt, umdas Gas über Pipeli­

nes zu transportieren. Gasexporte über Pipelines sind derzeit nurüber Distanzen von 4.500 bis 5.000 km finanziell interessant. Die Diversifikation seiner Abnehmer kann Russland durch Investitionen in den Flüssiggassektor vorantreiben. Aberselbst wenn

dieEUsichdasgesamte russländischeGasexportvolumen sichern könnte,kann damit

das starke Verbrauchswachstum bis 2030 nichtabgedeckt werden.

Diversifikation: ZukunfteuropäischerEnergieversorgung?

Angesichtsdieses Befundes stelltsich denMitgliedsländernder EU und/oder der

EU die Aufgabe, neben Maßnahmen zur Steigerungder Energieeffizienz, sowohl die

Diversifikationder Energieträger - dies schließtauch die Nuklearenergie ein-alsauch die DiversifikationderVersorgerländer wird abersicher auch dieGasversorgung durch

denRanund Katar (Pipelinegebunden oder alsFlüssiggas) unabdingbarfür die Erdgas­

versorgung der EU werden. Aber alle diesealternativen Anbieterhinken hinsichtlich demokratisch-rechtsstaatlicher Standards der ausländischen Lebenswirklichkeitdeut­ lich hinterher. Das Festhalten an demokratischen KonditionalitätsStandards in der Energiepolitik würde daher dieEnergieversorgung der EUweitgehendaustrocknen.

Russland wird trotz Diversifikationder Lieferländerein zentraler Versorgerder EU bleiben(müssen). Dabei gilt esaberzu berücksichtigen, dass Russland seit Jahrenver­ sucht, seine Marktpositiongegenüber den Abnehmerländern zu verbessern.Russländi­

schesExporterdgaswird immer weniger ausschließlich für EU-Märkteverfügbarsein. Dabei steige der Produktionszuwachs im russländischen 01- und Gassektor ohnehin

nicht stark genug, um den wachsenden Binnenverbrauch unddie Nachfrage der Euro­ päer befriedigen zu können. Russland wird zwar miteinemaußerordentlichhohen Fi­

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nanzvolumen seineGas- und Ölpipelinenetze nachOstasienausbauen, umneue Märkte in China, Japan, Korea, denUSA, Kanada undMexiko zu erschließen;aber wie bereits erwähnt, istdieses Erdgas für denEU-Markt ohnehin nicht tauglich. Ein wirkliches

Konkurrenzverhältniskonntezwischen der EU und der USA entstehen, sollteRussland

einen wesentlichen ‘FeilseinerErdgasforderung im Stokman-Feld inder Barentssee alsFlüssiggas andie USA verkaufen. DerWettbewerb um den Zugriffauf

russländi-sche Gasressourcenist Teileinesimmer schärfer werdenden globalen Nachfrage Wett­

bewerbs um Erdgas und andereEnergieträger mit Indien, der VR ChinaunddenUSA.

Kurzum: DieEU wird immer mehr Erdgas verbrauchen, das in steigendemUmfang

importiert werdenmuss. Russland alleine kann dieses Bedarfswachstum nicht befriedi­

gen.DerZugriff auf alternative Anbietervollzieht sichim Wettbewerb mit anderen glo­

balen Nachfragern.In dieserZwangslage sollsichdieEU eine wertekonditionalisierte Russlandpolitik erlauben?

Eine nüchterne Energiepolitik der EU kann doch neben der erwähntenDiversifika­

tion von Energieträgern und Energieversorgem nur bedeuten, zwingend dielangfristi­

ge, möglichst Transparente Zusammenarbeit mit Russland im Energiesektor unter

größtmöglicher Berücksichtigung derbeiderseitigen Interessenanzustreben. Dazu zah­

lenauch zusätzliche Versorgungsnetze wie Nord Stream oder diederzeit von Russland

vorgeschlagene Südumgehungsvariante SouthStream, umfürRussland dieExportsi­ cherheit durch Routendiversifikation zu befördern (und das Druckpotenzial Russlands

auf die Ukraine und Belarus als Transitländer für russländisches Erdgas zu erhöhen)

und um die VersorgungsSicherheit derEU bei Spannungen zwischenRusslandund Transitländem nichtzu gefährden.

Verzicht auf gesinnungsethische Illusionen!

Die Konsequenzen für dieDebatte überwerte- oder interessenbasiert Beziehungen

derEU mit Russland sind daherklar: Die Vermengung der strategischenInteressenim

Energiesektor mirMenschenrechtsfragen ist unverantwortlich: Zumeinenwegen der strategischen Bedeutung Russlands für die europäischeEnergieversorgung, v. a. aber wegen der ohnehin beschränkten Möglichkeiten, den Demokratisierungsprozess in

Russland nachhaltig voranzutreiben. DieEU-Russlandpolitik sollte daher auf reflex-hafte gesinnungsethischeIllusionen verzichten, aber verantwortungsethisch Russland mit Kritik begegnen. Selbstgerechte Empörung, dievor allemdie eigene Klientel be­ dienen soll, ändertwederrussländische Lebenswirklichkeiten noch lasst sie die In­

teressen unserer Bevölkerungen auf gesicherte Energieversorgung zu sozial nicht

diskriminierenden Preisen unberührt. Denn Staatskunst besieht darin, das Notwendige

zu tun, das Möglichezuwollen und über das Wünschenswerte das Zwingendenichtzu

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