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Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Volkserziehung, Juni 1916, 24. Band, Heft 3

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Academic year: 2022

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MONATSSCHRIFTEN DER COMENI URGESELLSCHAFT X XV-BAND-ÖÖ.G0HEFT 6

Volkserzlefiimg für

1016 Juni Hefi 3

Im Buchhandel und bei der Post beträgt der Preis für die Monatsschriften (JährL 10 Hefte) M. 12,—, für die Monatshefte der C. G. für Kultur und Geistes­

leben (jährL 5 Hefte) M. 10,—, für die Monatshefte der C. G. für Volkserziehung (jährl. 5 Hefte) M. 4,—.

Einzelne Hefte der MH f. K. u. G. kosten M. 2,50, einzelne Hefte der MH f. V. M. 1,50.

Herausgegebenvon Ferd. Jak.Schmidt Neue Folge der Monatshefte derCö.

Der ganzen Reihe 24.Band.

V erl Ä ü ^

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I n h a l t

Seite

M itteilung... 89

Albert Rohrberg, Die dänische Volksschule unter dem Einfluß der Reformation 89 Dr. Bonne, Baugrundarbeiten zum unsichtbaren T e m p e l... 100

Luise W ieck, Unser W egw eiser... 113

G. Buetz, Krieg und K in d e r k r ä f te ...118

R u n d s c h a u ... ... 121

Das deutsche Soldatenlied. — Comenius und die böhm ischen B rüder. — Die Bew ährung und das E rlebnis u n se rer Kriegsfreiwilligen. — Das Problem der nationalen Einheitsschule. — Der S treit über die Josephusstelle. — Die A bsolutheit des Christentum s. G ese llsc h a fts-A n g e leg e n h eite n ... 126

V orstandssitznng d er C. G. — K assenbericht. Berichtigung 128

Literatur- Berichte

(Beiblatt) Seite C h ristian von E hrenfels, Kosmogonie . . . . 17*

Th. E lsen h an s, C h a r a k t e r b i l d u n g ... 18*

G ustav F alke, V aterland, heilig L a n d ...19*

W . G ü n th e r, K unstgaben fü r Schule und H aus 19* P e r H allstrO m , D er V o l k s f e i n d ...19*

F . K luge, U nser D e u ts c h ... 20*

Jo s e p h K uckhoff, Höhere Schulbildung und W irtsc h a fts le b e n ...20*

Seite F rie d rich L le n h a rd , Schillers Gedichtentw urf „Deutsche Größe“ ... 22*

H erm ann Ricken, Kleine Beiträge zu r Land- und H e im a tlie b e ... 23*

H einrich Selpp, Berggesänge ...23*

S erm ond, H., Grundzüge d er B ürgerkunde und V o lk sw irtsc h a ftsle h re ...23*

W u n d t, W ilhelm , Die Nationen und ihre P h i lo s o p h i e ... 24*

Anmeldungen zur C. G. sind zu richten an die Geschäftsstelle B e r l i n - G r u n e w a l d , Hohenzollerndamm 55; dorthin sind auch die Rezensionsexemplare und Manuskripte einzusenden. — Die Bedingungen der Mitgliedschaft siehe auf der 4. Umschlagseite.

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MONATSHEFTE

DER.COM ENIUS-GKELLSCHAFT FÜR V O L K S-JÄ ^ ERZIEHUNG

SCHMFTLE rrUNG-^^^^'HOHENZOLLERNDAMM 55

vH

FERD-JAK S C H M lD T ^ f e ^ BERLIN-GRUN EWALD

VERLAG EUGEN D1EDER1CHS IN JENA

N. F. Band 8 Juni 1916 H eft 3

Die M onatshefte d e r C. G. für Volkserziehung erscheinen Mitte F eb ru ar, A pril, Juni, O ktober und Dezem ber. Die M itglieder erh alten die B lätter gegen ihre Jahresbeiträge. Bezugspreis im B uchhandel und bei d er Post M. 4. Einzelne Hefte M. 1,50. — N achdruck ohne E rlaubnis untersagt.

M i t t e i l u n g !

Auf Beschluß des Verwaltungs-Ausschusses wird fortab im Juli ein blaues Heft erscheinen, dagegen dasjenige im

September fortfallen.

DIE DÄNISCHE VOLKSSCHULE UNTER DEM EINFLUSS DER REFORMATION

Von A l b e r t R o h r b e r g E 0

Iber das dänische Schulwesen vor 1500 wissen wir sehr wenig. Die an und für sich nicht zahlreichen Aufzeich­

nungen aus dem M ittelalter geben hierüber besonders spärlich A uskunft. Es ist aber m it Sicherheit anzu- ____________nehm en, d a ß d as U nterrichtsw esen in D än em ark in allen wesentlichen Zügen m it dem der südlichen K ulturländer, besonders m it dem Deutschlands übereinstim m te. U nter dem allbeherrschenden und die nationalen Unterschiede ausgleichenden Einfluß der katholischen Kirche waren auch in diesem Lande lateinische

7 M onatshefte d er C. G. fü r V olkserziehung 191G

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90 Albert Rohrberg Heft 3 K loster- und Domschulen entstanden. U rsprünglich war die Aufgabe dieser Lateinschulen, für den Nachwuchs des katholischen K lerus zu sorgen, im Laufe der Zeit öffneten sie sich aber auch weiteren Kreisen.

Sie nahm en späterhin nicht n ur solche K naben auf, die für die geistliche L aufbahn bestim m t waren, auch nicht allein solche, die für irgend ein Studium überhaupt bestim m t waren, sondern auch K naben, die nur eine allgemeine Bildung erwerben wollten. Man ersieht das schon aus der Zahl der Schüler; wenn z. B. die Schule zu Ribe um 1510 gegen 700, die zu Roskilde sogar 900 Schüler zählte, so k ann m an nicht gu t annehm en, daß dies alles künftige Studierende oder besonders begabte K naben gewesen seien. Die Lateinschule nahm vielmehr jeden auf, begabte und unbegabte, reiche und arme, willige und widerstrebende.

Das erhellt z. B. aus einer Stiftung des Bischofs T hura zu Ribe im J a h re 1278, der gegen die A btretung des Zehnten der Gemeinde D arum den Schulmeister in Ribe verpflichtete, h u n dert arm e K inder aus Ribe und sowohl reiche als auch arm e K inder aus D arum unentgeltlich zu unterrichten. Man m uß also die m ittelalterliche Lateinschule in ge­

wissem Sinne als eine Volksschule betrachten. Daß m an dam als glaubte, jede allgemeine Bildung müsse durch eine lateinische Schule verm ittelt werden, ist verständlich, denn zu einem auch nur mäßigen Grade von Bildung war die K enntnis der Anfangsgründe der lateinischen

Sprache unerläßlich.

Der Gedanke, dem niederen Volke in S ta d t un d L and einen besonders auf ihre Verhältnisse zugeschnittenen U nterricht angedeihen zu lassen, ist erst durch die R eform ation nach D änem ark getragen worden.

Gleichzeitig finden wir hierin die erste unm ittelbare Beeinflussung des dänischen Schulwesens durch das deutsche. Zunächst drangen L uthers Gedanken über die Jugenderziehung nach dem Norden. Christiern Pedersen übersetzte 1531 L uthers „Serm on vom ehelichen Leben“

(Om E cteskaff oc born a th opf0de) und den ,,Sermon an die Prediger, daß m an die K inder zur Schule h alten solle“ (Om born a th holde tili Scole oc Studium ), und der dänische L uther, H ans Tausen, schrieb nach dem Vorbilde des deutschen Reform ators „ E d t 0nckeligt Klawae- moll“ und ,,E d t ko rt antsw or tili bispens sendhaebreff aff O thense“ . Aber schon ehe diese Übersetzungen erschienen, waren Luthers Gedanken in D änem ark bekannt geworden, und u n ter ihrem Einfluß befahl Christian II. den P riestern und K üstern, den B auernkindern Religion, Lesen und Schreiben beizubringen, und den Bürgern, ihre K inder Lesen, Schreiben und Rechnen lernen zu lassen. Da er aber 1523 ab- gesetzt wurde, konnte dieser erste Keim eines allgemeinen Schul­

zwanges keine weitereEntwicklung finden. Es dauerte jedoch nicht lange, bis ein neuer Anstoß aus D eutschland das Schulwesen einen S ch ritt vorw ärts brachte. Das geschah durch die „dänische K irchenordinanz“

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1 9 1 6 D ie dänische Volksschule unter dem Einfluß der Reformation 91 des pommerschen Pädagogen Bugenhagen, die Christian I I I. am 14. J u n i 1539 Unterzeichnete1. Sie war, ebenso wie die braunschw ei­

gische, die hamburgische, die lübeckische und die pommersche K irchen­

ordnung Bugenhagens stark durch Melanchthons „sächsische Schul­

ordnung“ vom Jah re 1528 beeinflußt und beschäftigte sich wie diese in erster Linie m it den Lateinschulen. Trotzdem ist sie aber nicht ohne Einfluß auf die Entw icklung der Volksschule geblieben. Zu­

nächst gibt sie Aufschlüsse über den damaligen Zustand des E lem entar­

unterrichts. Sie verlangt nämlich, daß „in jeder S tad t nur e i n e Schule sein solle, und daß alle ändern Schulen, die hier und d o rt zu finden seien, aufgelöst werden sollten“ , und ein paar Zeilen später heißt es, daß „die Lateinschulen durch die dänischen und deutschen Schulen verderblich beeinflußt w ürden“ . Es h a t also neben den Lateinschulen bereits in der katholischen Zeit (ebenso wie in Deutschland) W inkel­

schulen (in Schleswig-Holstein auch deutsche) gegeben, in denen gegen E ntgelt Lesen, Schreiben und Rechnen, gelegentlich auch Latein, Griechisch und Hebräisch gelehrt wurde. Diese Schulen waren private U nternehm ungen, die weder vom König, noch von der S ta d t u n te rstü tz t wurden. Wenn nun die Bugenhagensche K irchenordnung die A b­

schaffung dieser privaten W inkelschulen forderte, so geschah das nicht, um den einfachen Bürgern die Erw erbung dieser K enntnisse unmöglich zu m achen und sie unwissend zu erhalten. Schon die Eingangsworte des A bschnittes „über K inder schulen“ beweisen, daß m an die Be­

deutung eines geregelten und möglichst allgemeinen U nterrichts vollauf v e rsta n d :

„K inder müssen erzogen und ihr Sinn vorbereitet werden auf das Evangelium, von welcher Vorbereitung die erste K indheit für wahre christliche G ottesfurcht und andere Tugenden empfänglich wird, und die solche K ünste um faßt, die viel dazu beitragen können, sowohl das zu lehren, was zu Gottes Ehre im C hristentum gehört, als auch ein gutes civiles und weltliches Regim ent aufrechtzuerhalten und zu

b ew ahren. . .

Gute Prediger sollen dem Volke aller O rten m it allem Fleiß dazu raten, dam it es den E ltern bew ußt werde, daß sie es ihren K indern schuldig sind, und daß G ott es von ihnen f o r d e r t . . . . “

Man glaubte jedoch, wie schon in der katholischen Zeit, daß jede Bildung auf der Lateinschule erworben werden müsse, und wollte daher alle S tadtkinder und möglichst viele begabte Bauernjungen, die die P farrer auswählen sollten, in diese Schule schicken. Diese Auf­

fassung wird in der Kirchenordinanz deutlich ausgesprochen:

1Die Reform ation war unterdessen, 1536, in Dänemark eingeführt worden.

7*

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92 Albert Rohrberg Heft 3

„Desgleichen sollen die Schulmeister m it allem Fleiß auf das Fassungsvermögen ihrer Schüler achten und stets, wenn die K inder ihr zwölftes J a h r überschritten haben, den E ltern klar und deutlich zu erkennen geben, welche in ihrem Lernen keine F o rtsch ritte ver­

zeichnen können, dam it m an sie zu rechter Zeit anderw ärts in einem ehrlichen Gewerbe (Handwerk, Handel) unterbringen kann. Bei welchen sie aber eine gute F assungskraft feststellen, die sollen sie bis zu ihrem sechzehnten Ja h re in der Schule behalten.

Von demselben Ja h re an sollen sie auch genau darauf achten, welche u nter ihnen m it N utzen ändern m itteilen können, was sie bei ihren Studien gelernt haben, und die, die hierzu als geeignet erscheinen, sollen dem H errn geopfert und zum allgemeinen S tudium wegge­

schickt werden, entw eder auf eigene K osten oder auf K osten der Gemeinde.“

Die Forderung der K irchenordinanz, daß in jeder S ta d t nur e i n e Schule bestehen solle, ist also so zu verstehen, daß eine allgemeine, für jeden zugängliche Schule geschaffen werden sollte, die der S ta a t m it den nötigen M itteln zu versorgen h ätte. Bugenhagen geht aber noch weiter un d trifft auch Fürsorge für solche K inder, die m an wegen m angelnder Begabung vom L ateinun terricht ausschließen m ußte:

„Schreibschulen, wie m an sie nennt, für K naben, M ädchen und andre, die nich t zum Lateinlernen taugen, m uß die Obrigkeit schaffen, doch sollen die Vorsteher bei diesen Schulen darauf achten, daß selbigen K indern allmählich durch die Kinderlehre wahre G ottesfurcht eingegeben werde.“

Die E rrichtung von Schreibschulen, die hier der Obrigkeit auferlegt wird, steht nicht im W iderspruch zur ersten Forderung der K irchen­

ordnung, alle W inkelschulen abzuschaffen. Es sollten nur die p r i v a t e n Unternehm ungen, die oft sehr schlecht waren und „m ehr ihren eigenen Vorteil als den der K inder suchten“ durch staatliche oder städtische Schulen ersetzt werden. Bemerkenswert ist auch, d aß hier zum ersten Male von den Mädchen die Rede ist, die m an von vornherein als nicht geeignet für den L ateinunterricht ansah. Alles dieses bezieht sich aber n ur auf die S tädte, über die Dorfschulen sagt die Bugenhagensche K irchenordnung nichts. Hier scheint der R eform ator den einfachen K atechism usunterricht im Sinne des Lutherschen „wie ein H ausvater dasselbige seinem Gesinde aufs einfältigste Vorhalten soll“ für hin ­ reichend gehalten zu haben. So findet m an denn auch in Ü b er­

einstim m ung hierm it in Pontoppidans Annalen die Ä ußerung: „daß ein B aur-K ind im Buch lesen konte var dam als (er m eint gegen 1600) etw as sehr rares.“

Die Bestimmungen der K irchenordnung über die Lateinschulen wurden auch verwirklicht. Aus zahlreichen Aufzeichnungen jener Zeit

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1916 Die dänische Volksschule unter dem Einfluß der Reformation 93 geht hervor, daß die Krone ihren Anteil am Zehnten den Stadtschulen zugute kommen ließ. So entstanden nicht nur in den größeren S tädten öffentliche Schulen, sondern auch in den kleineren L andstädten und sogar in einigen großen Dörfern. Die zweite Bestimmung der K irchen­

ordnung, daß die S tädte für die Errichtung von dänischen Schreib­

und Leseschulen Sorge tragen sollten, ist weniger gründlich befolgt worden, jedenfalls kaum derart, daß eine Stadtverw altung diesen Schulen eine regelmäßige U nterstützung gew ährt hätte. In den A kten der S ta d t A arhus wird 1599 eine Schule erw ähnt, in der m an „Leese, schreffue og R egne“ lernen konnte, doch h a t sie vor dem Jah re 1708 keinerlei U nterstützung von der S ta d t erhalten. In Hel sing 0r h a t m an dagegen schon früher eine dänische Schule öffentlich u n terstü tzt.

Daß m an diese Schulen so wenig achtete, kam eben daher, daß die Lateinschulen als die eigentlichen öffentlichen Schulen galten. Die Schreib- und Leseschulen wurden als Fachschulen angesehen; deshalb h a tte n sie auch anfänglich keinen Religionsunterricht. E rst in späterer Zeit, als die Lateinschule immer mehr zu einer Gelehrtenschule wurde, stiegen die Schreibschulen im Ansehen und nahm en auch den Religions­

u n terrich t auf.

W enn auch Bugenhagen in seiner K irchenordnung nicht die Errichtung von Dorfschulen verlangt, so darf man deshalb nicht glauben, daß die Jugend auf dem Lande ohne jeden U nterricht aufwuchs. Auch hier war u n ter dem Einfluß der R eform ation ein Unterrichtswesen e n t­

standen, dessen Gedeihen sich nam entlich die Geistlichkeit angelegen sein ließ. Glücklicherweise ist uns in dem „V isitatsbuch“ des Peder Palladius eine Quelle erhalten, die über die A rt dieses U nterrichts erschöpfende A uskunft gibt. Peder Palladius (eigentlich Peder Plade) studierte von 1531—37 in W ittenberg und erwarb sich d o rt den theolo­

gischen Doktorgrad. Nach seiner R ückkehr wurde er Bischof von Seeland und Professor an der K openhagener U niv ersität; er starb 1560. Sein „V isitatsbuch“ ist die F ru ch t seiner Reisen durch Seeland und gehört zu den interessantesten W erken der m ittelalterlichen dänischen L itera tu r1. Es ist eine Unterweisung in den kirchlichen Form en und in der Moral, und, da es die Reform ationszeit höchst lebendig schildert, eine der wichtigsten Quellen über den K ultu rzu stand der dam aligen Zeit. Da L uther und M elanchthon schon ihre V isitations­

reisen vollführt h atten , als Palladius nach W ittenberg kam , ist anzu­

nehmen, daß die beiden deutschen R eform atoren ihm bei seiner eigenen V isitationstätigkeit als Vorbild gedient haben.

Aus dem V isitatsbuch ergibt sich nun zunächst, daß m an den U n ter­

rich t auf dem Lande in erster Linie als eine Unterweisung in den G rund­

1 E s w urde erst 1866 als M anuskript in der königlichen Bibliothek zu Kopenhagen entdeckt und von G rundtvig 1872 herausgegeben.

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94 Albert Rohrberg Heft 3 lehren der Religion, also als K atechism usunterricht im Sinne L uthers handhabte. In einer religiös so angeregten Zeit, wie es die ersten J a h r ­ zehnte nach der Einführung der R eform ation waren, war es natürlich B rauch, daß die E ltern alles das, was sie selber wußten, ihren K indern beibrachten. Da sich aber in den einfachen Bauernschädeln die Ideen oft unklar oder anders darstellten, als die Kirche sie vor schrieb, sollte der K ü ster alles U nverstandene erklären. ,,Es wird ihnen auferlegt, das junge B auernvolk in K inderlehre und Katechism us einm al in der Woche an einem O rt und zu einer Stunde zu unterrichten, die ihnen die P farrer vorschreiben sollen. (In der Regel versam melte der K üster die Dorf jugend nach dem Gottesdienst durch ein besonderes Glockenzeichen um sich). Wer hierzu nicht bereit ist, soll nicht Gemeindeküster sein/"

Außerdem sollten die P farrer jeden Sonntag nach beendeter Predigt vor der ganzen Gemeinde ein Stück K atechism us erläutern; sobald sie m it dem ganzen K atechism us fertig waren, sollten sie die E rklärungen wieder von neuem beginnen. Aus diesen K atechism usstunden sollten die E ltern den für die Belehrung ihrer K inder nötigen Wissensstoff schöpfen. Der Ausdruck „K inderlehre“ (Bgrrnelaerdommen), den das V isitatsbuch gebraucht, ist zweifelhaft; er k ann so verstanden werden, als sei in diesem U nterricht des K üsters zum m indesten auch noch das Lesen gelehrt worden. Diese Auffassung h a t etwas für sich, da ja dam als Fibel und K atechism us identisch waren1. Auch in Holbergs Komödie „E rasm us M ontanus“ kann der alte V ater lesen, von dem der Sohn berichtet, daß er n u r seine K inderlehre genossen habe.

A ndererseits stim m t das nicht gu t m it der angeführten Äußerung Pontoppidans überein. Am richtigsten ist wohl die Annahme, d aß das Lesenlernen erst im Laufe der Zeit eine regelmäßige Beigabe geworden ist.

Man m uß zugeben, daß dieser P lan der R eform atoren, der religiösen Unwissenheit der Landjugend abzuhelfen, w ohldurchdacht ist. Be­

tra c h te t m an aber die tatsächlichen Verhältnisse, so entrollt sich ein weniger günstiges Bild. E in ernstes Hemm nis für die Verwirklichung dieser Ideen war, daß die K üster sehr viel ändern D ienst h a tte n ; u. a.

m ußten sie sehr zeitraubende Botendienste verrichten. Außerdem war ihre Besoldung so gering, daß sie gezwungen waren, allerlei N eben­

beschäftigungen zu übernehm en, wie z. B. die Posten eines A m ts­

oder Gerichtsschreibers. Das hielt sie natürlich von ihrer U n terrichts­

tätig k eit fern. Am m eisten litt aber der U nterricht darunter, daß es Sitte war, die Schüler der obersten Lateinschulklasse, der sog. Meister - 1 Die beiden ältesten Fibeln, die die königliche Bibliothek zu Kopenhagen besitzt, stam m en aus den Jah ren 1731 u n d 1733 u n d enthalten: B u ch ­ staben, B uchstabierübungen, das V aterunser, die Glaubensartikel, die zehn Gebote, die Sakram ente der Taufe und des A ltars und einige Gebete.

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1 9 1 6 Die dänische Volksschule unter dem Einfluß der Reformation 9 5 klasse, als K üster in den umliegenden Gemeinden zu verwenden.

Man wollte durch die Gebühren, die die Gemeinden hierfür zu entrichten hatten , die U nterhaltung der städtischen Lateinschulen erleichtern.

Diese Laufküster (Lgbedegne, so genannt, weil sie der Reihe nach die Gemeinden der Umgegend aufzusuchen hatten) waren teils noch halbe K inder, die der Aufgabe, als Volkserzieher zu wirken, nicht gewachsen waren, teils waren es verbum m elte Existenzen, die sich ein kleines M enschenalter lang1 auf der Schule herum trieben, und denen es mehr auf die Einkünfte als auf die Pflichten ankam . „Degne og Duer gor skidne S tu er“ (K üster und Tauben machen schmutzige Stuben) sagt ein dänisches Sprichwort in bezug auf diese Elem ente. E tw as besser waren solche Gemeinden daran, die zu weit von einer S ta d t entfernt waren, um von den Laufküstern versorgt zu werden. Sie h a tte n ihre eigenen festen K üster (Saededegne), die von der kirchlichen Obrigkeit angestellt wurden. E in d ritte r und nich t geringer H inderungsgrund für die volle Verwirklichung der Pläne der R eform atoren war die Gleichgültigkeit, oft sogar die W iderspenstigkeit der Bauern. ,,Es ist betrübend, daß m an das Volk zu dem zwingen muß, was zu seinem eigenen N utz und From m en is t“ klagt schon Peder Palladius. E r em pfiehlt auch schon Zwangsmaßregeln; 1546 wird den P farrern ein- geschärft, die Jugend zum Katechism uslernen anzuhalten und keinen zum A ltar zuzulassen, der ihn nicht beherrsche. Im Laufe der Zeit wurden die Strafen strenger: 1561 werden widerspenstige E ltern vom P farrer zurechtgewiesen, 1566 wird dem P robst auferlegt, sie der G uts­

herrschaft schriftlich zu melden, dam it diese sie beeinflusse, 1593 wird wieder die Ausschließung vom Sakram ent angedroht. Man suchte also m it kirchlichen und bürgerlichen Strafen dahin zu wirken, daß alle E ltern ihre K inder zum K atechism usunterricht sandten. Zur E in ­ führung eines Gesetzes, auf G rund dessen m an einen Zwang h ä tte aus­

üben können, kam es aber noch nicht.

Auf der Grundlage dieses ersten U nterrichtsplanes arbeitete man an der Volksbildung weiter. Die Forderungen wurden aber nur sehr allm ählich gesteigert. Im Jah re 1555 verlangt die Seeländische L andes­

versam mlung, daß außer dem sogenannten K atechism usunterricht nach dem Gottesdienst noch mindestens dreim al im Jah re der K atechis­

mus der Jugend durch den K üster besonders erk lärt werden solle.

Der S onntagsunterricht war im Laufe der Zeit zu einer festen Einrichtung geworden, wenn auch oft darüber geklagt wurde, daß der K üster ihn nachlässig erteilte. Schließlich bürgerte sich auch die Sitte ein, daß der K üster noch einmal in der Woche, in der Regel des Mittwochs abends, 1 „Kerle, die sich zweimal die Woche rasieren m üssen“ , heißt es in Holbergs „E rasm us M ontanus“ .

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96 Albert Rohrberg Heft 3 m it den K indern K atechism us trieb. Als Versam m lungsort dienten hierbei abwechselnd die Bauernhöfe. Als später öffentliche Schulen eingerichtet wurden, verw andelten sich diese K üsterabendschulen in W iederholungskurse für das religiöse Wissen, und es kam en nich t m ehr die K inder, sondern die schulentlassenen jungen Leute dahin.

Der Gedanke des allgemeinen Schulzwanges tauch te u nter Christian IV.

(1588—1648) zum d ritten Male auf. U nter den V orarbeiten zu einer K irchenordnung wird näm lich der W unsch des Königs genannt, die B auern in den größeren Dörfern zu zwingen, einen Lehrer und ein Schulhaus zu halten, wie es schon in einigen Dörfern der Fall sei. Ferner sollten die Bürgermeister für die Anstellung guter Schulmeister Sorge tragen. W ir finden hier zum ersten Male die E rkenntnis, daß eine heimatlose Schule, wie es die Küsterabendschule war, eines großen Teiles ihrer segensreichen W irkung verlustig g eht1. Daß m an ü b erh aup t schon in einigen Dörfern freiwillig Schulhäuser errichtet h atte, beweist, daß der Segen eines geregelten U nterrichtes auch allm ählich dem ein­

fachen Volke klar geworden war. Christian IV. starb aber bald, und sein Nachfolger Friedrich I I I . konnte nicht an die Verwirklichung dieser Gedanken gehen, d a er in jenen unheilvollen Krieg m it Schweden verwickelt wurde, im Verlaufe dessen ganz D änem ark bis auf die H a u p t­

sta d t in die H and des Feindes fiel und beim Friedensschluß Südschweden an ihn abgetreten werden m ußte. N ach einem solchen Kriege war natürlich an eine so kostspielige U nternehm ung, wie es die E rrichtung von Dorfschulen war, n ich t zu denken. F riedrich I I I . schränkte daher die Sache dahin ein, daß er 1661 verordnete, den festen K ü stern (Sae- dedegne) hinreichend große W ohnungen zu geben, in denen sie die Jugend unterrichten konnten. Es ist aber kaum anzunehm en, daß in dem von den Schweden ausgeraubten Lande diese A nordnung überall zur D urchführung gelangt ist. Auch in den S tädten, die bisher noch ohne Schule geblieben waren, sollten nach Anordnung des Königs je tz t solche gegründet werden. Sie sollten in der N ähe der K irchen liegen und vierm al im Jah re vom Probste visitiert werden. Das einzige, was von dem Gedanken des allgemeinen S c h u lz w a n g e s übrig blieb, war die Bestimmung, niem anden zur Trauung zuzulassen, der keinen K atechism usunterricht genossen h atte.

Die nächste gesetzliche Verfügung über das Elem entar schul wesen e n th ält das dänische Gesetz (Danske Lov) Christians V. vom 15. April 1683. E s bringt zunächst den Stadtverw altungen die Anordnung wieder 1 Zur weiteren Charakterisierung Christians IV. sei erw ähnt, d aß er die Gesetzgebung erw eiterte, Norwegen ein L andrecht u n d eine K irchen­

ordnung gab, in K openhagen eine Sternw arte und einen botanischen G arten errichtete u n d ein stehendes H eer schuf. U n ter ihm begannen auch die überseeischen U nternehm ungen der Dänen nach Indien.

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1 9 1 6 Die dänische Volksschule unter dem Einfluß der Reformation 9 7 in die Erinnerung, für die dänischen Schreib- und Rechenschulen zu sorgen, die also dem nach nicht überall befolgt worden ist.

2—18—14: ,,In den S tädten soll die Obrigkeit für Schreib- und Rechenschulen Sorge tragen, und die Vorsteher dieser Schulen und der Gemeindepfarrer sollen darauf achten, daß die K inder in wahrer G ottesfurcht aufgezogen werden. Die Schulmeister sollen vom P farrer geprüft werden, ehe m an ihnen solche Schulen anv ertraut.

Sie sollen auch ihre Schüler in der Kirche vor den P robst treten und von ihm prüfen lassen, wenn die jährliche Visitation stattfin d et.“

Vergleicht m an diese Verfügung m it dem W ortlaut der Bestimmung über Schreibschulen in Bugenhagens K irchenordnung, so sieht man, daß die dänische Schule hier auf eine viel breitere Basis gestellt wird.

Das rü h rt daher, daß die Lateinschule sich schon mehr zur Gelehrten­

schule entw ickelt h a tte und daher nicht mehr in dem Umfange wie früher als allgemeine Schule gelten konnte. Christian V. h a tte deshalb im Jah re 1682 ein Kom itee ernannt, das in Erw ägung ziehen sollte, ob nicht die Lateinschulen in den kleinen S tädten durch dänische Schulen ersetzt werden könnten, in denen K atechism us, Schreiben, Rechnen, B uchhaltung und N avigation unterrichtet werden sollte.

Die U ntersuchung verlief aber ergebnislos. Die dänischen Schulen konnten ja auch so lange nicht allgemeine Volksschulen werden, wie sie private U nternehm ungen blieben, deren Eigentüm er auf Schulgeld angewiesen waren. Die S tädte h a tte n ja nur dafür zu sorgen, daß die Schulen vorhanden waren, von einer U nterhaltungspflicht ist nirgends die Rede. — Das dänische Gesetz beschäftigte sich ferner m it dem K üsteru n terrich t auf dem Lande und bestim m t darüber allgemein:

2—15—2: „Die K üster in den Dörfern sollen außer dem U n ter­

richt, der des Sonntags stattfin d et, noch einm al in der Woche die Jugend in der K inderlehre unterrichten, so daß alle K inder der Gemeinde einm al in der Woche vom K üster unterw iesen werden;

dam it dergleichen bequem geschehen kann, soll sich die Jugend der Dörfer und kleinen Ö rter dahin verfügen, wo sie der K üster m it E in ­ willigung des Pfarrers hinbestellt.“

H ierauf folgen eine Anzahl von Bestimm ungen über die Besoldung und W ohnung des K üsters, die zeigen, daß in diesem Gesetz nur an die sog.

festen K üster gedacht ist. Denen wird aber die Verpflichtung auf­

erlegt, an die städtischen Lateinschulen jährlich den fünften Teil ihres Korneinkom m ens als E rsatz für den Verlust zu zahlen, den diese durch den Verzicht auf das Einkom men ihrer Laufküster erlitten1. Von 1 Diese sog. K üsterpension h a t bis zum Jah re 1850 bezahlt werden müssen. T rotz dieser Bestim m ung sind die Laufküster erst ganz a ll­

m ählich verschwunden; in Aarhus waren sie noch 1771 vorhanden.

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98 Albert Rohrberg Heft 3 größter W ichtigkeit und ein F o rtsch ritt gegen alle früheren B estim m un­

gen ist aber, daß das dänische Gesetz zum ersten Male eine Vorschrift über die Bildung des Lehrers e n th ä lt:

2—15—1: „Zu K üstern sollen hiernach allein S tudenten bestim m t werden, die ihre Berufung von dem entgegennehm en sollen, der das R echt zur Berufung h at, und sie sollen vom S uperintendenten (Bischof) geprüft werden, ob sie tauglich sind.“

Da m an u nter S tudenten junge Leute verstand, die ihre Lateinschule vorschriftsm äßig absolviert h atten , versorgte diese Bestim m ung das L and m it einem gebildeten Lehrerstande, der den Anforderungen des U nterrichts m indestens in sachlicher Beziehung gewachsen war. D am it sich die Lehrer ganz ihrer Arbeit widmen konnten, wurde ihnen u n te r­

sagt, irgend welche weltlichen Äm ter im N ebenam t zu versehen (2-15-4).

Bei der Aufgeklärtheit, die das dänische Gesetz verrät, nim m t es wunder, daß es nicht die E rrichtung von selbständigen Schulen auf dem Lande fordert, sondern immer nur von U nterricht s p ric h t; es m uß dies um so m ehr in E rstaunen setzen, als der Gedanke ja schon u nter Christian IV. geäußert worden war. H ierfür gibt es zwei E rk läru n g en : erstens war, wie schon einm al angedeutet, das Land nach dem schwedi­

schen Kriege verarm t, zweitens war die religiöse Begeisterung, die ja den Anstoß zu den früheren Schulplänen gegeben h atte, in den 150 Ja h re n nach Verlauf der R eform ation recht ab g eflau t; die Erw erbung religiöser K enntnisse galt nicht m ehr so unbedingt als erste sittliche Forderung wie früher. Das zeigt sich z. B. in der Fassung des Abschnittes 2-18-14, in denen z u n ä c h s t von Schreib- und Leseschulen die Rede ist, in denen die K inder a u c h zur G ottesfurcht erzogen werden sollen.

Den allgemeinen Schulzwang, zu dem schon u nter C hristian II. und Christian IV. Ansätze vorhanden gewesen waren, brachte auch das dänische Gesetz von 1683 seltsamerweise noch nicht. Bei der genauen Regelung, die der K üsterunterricht hier erfährt, ist es schwer zu v er­

stehen, warum m an diesen letzten Schritt nicht ausführte. Die K lagen über widerspenstige E ltern waren durchaus nich t verstum m t, wie es sich bei wachsender religiöser Gleichgültigkeit von selbst versteht.

Die nachhaltige, schädliche W irkung einer unbeaufsichtigten, zügellosen Jugend war den Gesetzgebern jedoch völlig klar, un d sie suchten diesem Übelstande auch zu steuern. Sie begnügten sich aber m it einer halben M aßregel: sie geboten nicht den Schulbesuch, sondern verboten n ur den M üßiggang:

3—18—7: „Die Obervorm ünder sollen darauf achten, daß die E ltern ihre K inder, sowohl K naben als auch Mädchen, anh alten zur Schule, zu ehrlichen Diensten, zum H andel oder zum H andw erk, und wenn sie Jem anden finden, der seine K inder ohne Beschäftigung bei sich behält, so sollen sie den E ltern einen M onatstag vorschreiben, bis

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1916 Die dänische Volksschule unter dem Einfluß der Reformation 99 zu dem sie selbst Abhilfe geschaffen haben müssen. Geschieht das nicht, so sollen die Obervorm ünder die K inder zu einem ehrlichen H andw erker bringen, und die E ltern sollen verpflichtet sein, sie zu kleiden und zu ernähren. Wollen sie das nicht gutwillig tun , so sollen die Vorm ünder es als rechtm äßige Schuld bei ihnen eintreiben, wenn sie soviel besitzen. Besitzen die E ltern nicht soviel, so sollen die K inder gleich ändern Waisen und Findelkindern, die bei H andw erkern u n te r­

gebracht werden, von freiwilligen Almosen gekleidet werden.“

U nter Schule, Dienst und Lehre wird hier also die Handwerkslehre insofern bevorzugt, als m an E ltern, die ihre K inder nicht freiwillig auf einen dieser drei Bildungswege schicken, zwingen kann, ihre K inder ein H andw erk erlernen zu lassen und die U nkosten der Lehre zu tragen.

So g u t wie m an dieses für durchführbar hielt, wäre auch ein Schulzwang nicht unmöglich gewesen, zumal ja in fast allen S tädten Schulen und in allen Landgem einden K üster waren.

B etrachtet m an die tatsächlichen Zustände um das J a h r 1700, so findet man, daß nur einzelne sehr kleine S tädte keine Schulen besaßen.

Auf dem Lande waren die Verhältnisse recht verschieden: J ü tla n d war z. B. den Inseln stets vorauf. W ährend die Insel Fünen, die an Fläche ungefähr dem Großherzogtum Oldenburg gleichkommt, 1706 nur zwei Schulen besaß, wird von Süd-Omme in Jü tlan d , einer der größten Heidegemeinden Dänem arks, die heutigen Tages drei K irchen besitzt, im Jah re 1730 berichtet, daß dort fast alle Einwohner lesen und schreiben konnten. Alle, die es ermöglichen konnten, gingen zum K üster, und außerdem unterrichteten die E ltern ihre K inder. So sei es gewesen, solange m an zurückdenken könnte. E in trefflicher Spiegel für den K ulturzustan d des Landes beim Übergang vom 17. zum 18. Jah rh u n d ert sind die K om ödien Ludwig Holbergs. E r schildert zwar mancherle Unwissenheit (Der verpfändete Bauernknabe) und gibt uns in dem

„akadem isch gebildeten“ K üster Per (Erasm us Montanus) einen nicht gerade hervorragenden V ertreter der K üsterzunft, bringt doch aber auch lichtere F arben: Rasmus Bergs V ater kann lesen, und auch Jeppe erbaut sich vor der Schlacht an „D avids S altkar“ . Daß die K unst des Lesens im Verlauf des 17. Jah rh u n d erts u nter der Landbevölkerung Verbreitung gefunden h atte, geht auch aus einer Verfügung C hristiansIV . hervor, die den H andel m it unziemlichen Schriften vor der Kirche untersagte.

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1 0 0 Heft 3

BAUGRUNDARBEITEN ZUM UNSICHTBAREN TEMPEL

Von Dr. B o n n e , S an itätsrat

Is gab eine Zeit in deutschen Landen, in der die Bauleute, die die Dome bauten, an denen unser Auge zum Teil sich heute noch erfreut, an der linken Seite das Schwert

I/A

tru gen zum Schutz gegen feindliche Überfälle, w ährend die R echte den Spitzham m er führte, um die Steine kunstvoll zu behauen oder die Kelle, um sie m it Hilfe des Mörtels zu him m elstrebenden Bögen zusammenzufügen.

An diese Zeit erinnert das Stück W eltgeschichte, das wir je tz t m it- erleben dürfen. Wir, die wir nicht m it draußen in den Schützengräben liegen, n icht m it in schneebedeckten Gefilden und eisstarrenden Felsen m it den Feinden zu käm pfen haben, wir würden schlechte Bauleute am unsichtbaren Tempel sein, wenn wir jetzt, in dieser namenlos großen, schweren Zeit nich t nur unseres Volkes, sondern der Menschheit, u n tätig dem gewaltigen Ringen der Völker zuschauen wollten. Freilich, in dieser Zeit werden auch wir geistigen B auleute am unsichtbaren Tempel von der Em pfindung nicht freikomm en können, daß an unserer linken das Schwert klirrt. Allzusehr h a t das grausige Geschick dieses großen Krieges, zum Teil u nter dem Drucke der N ot, das völkische Gewissen geschärft, so daß ihm je tz t rücksichtslos die erwachende E rkenntnis die Zunge löst und geradezu ihm als Pflicht auf erlegt, lau t und klar als W ächterruf die Bauleute zu warnen, Unechtes, Erborgtes, Fremdes, was den Bau gefährden könnte, noch länger zur B au stätte zuzulassen.

Und B auleute sind wir alle. Was aber ist es m it dem unsichtbaren Tempel ? Ich sehe ihn im Geiste vor mir, wohlgemerkt, im G eiste:

seine F undam ente ruhen tief gegründet, unerschütterlich im V ater­

lande. Aber aus diesen F undam enten des vielgeflügelten Baues wachsen die gewaltigen Säulen der Völkerschaften empor, durch Riesengewölbe verbunden zum Bund der Menschheit. U nd dieser ganze, gewaltige Bau, hochragend überdeckt von einer gewaltigen Kuppel, in deren friedevoller Stille alle Feindschaft, aller Neid, aller H aß, der u nten auf dem Boden des Tempels sich tum m elt, nich t hinaufdringt. Weihevolle R uhe herrscht hier oben: in dem die ganze M enschheit zusammenfassenden und zugleich erhebenden Gottesbewußtsein.

W ir Deutsche wollen die deutsche Halle dieses unsichtbaren Tempels bauen. Das ist unsere Aufgabe. Das Schwert an unserer linken soll uns ein m ahnendes Symbol sein, daß wir gerüstet sein un d bleiben müssen, Neid und H aß übelwollender Feinde von unserer tem pelbauenden Arbeit

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1916 Baugrundarbeiten zum unsichtbaren Tempel 1 0 1 fernzuhalten. Um so fleißiger mag die R echte den Spitzham m er führen, um die Steine für unseren Tempel zu behauen, die Wasserwage und das Senkblei, um sie wagerecht und lotrecht wohl zu richten, Zirkel und Stab, um den rechten Winkel und das richtige Maß richtig zu nehm en und Kelle und Mörtel, um sie wohl zu fügen zum him m el­

anstrebenden Bau.

Wohl uns, wenn es uns gelingt, das F undam ent so sicher auszubauen, d aß weder Erdbeben, noch Wolkenbrüche, noch W etterstürm e, wie dieser W eltkrieg, unser V aterland erschüttern können.

Dazu gehört vor allem, daß unser Volk stark und gesund bleibe.

Denn das Eine h a t uns dieser Krieg in leuchtender K larheit gezeigt:

das H errlichste, was unser V aterland hervorbringt, das, was es schützt und schirm t in den Stürm en des W eltenbrandes, sind seine gesunden, starken, tapferen Männer. Diese Männer aber, die je tz t unser V aterland gegen die Heere und H orden der halben W elt verteidigen, sie sind zur W elt gebracht von gesunden, starken deutschen Frauen. U nd daß unsere deutschen F rauen diesen Schatz und diesen Schutz unseres Vaterlandes hervorbringen konnten, das war die F ru ch t der deutschen Familie. Wohl käm pfen jetzt gegen den Feind Männer aus allen S tä n d e n : Beam te und Offiziere, Fabrikarbeiter und Fabrikbesitzer, K aufleute und Bureauangestellte, Großgrundbesitzer, Groß- und K leinbauern und einfache Acker knechte. Indessen ist seit dem Krieg von 1870 im Deutschen Reiche eine auffallende Änderung in der Bevölkerung vor sich gegangen. W ährend bis 1870 die in der Landw irtschaft tätige Bevölkerung die städtische Bevölkerung bei weitem überwog, sogen infolge des wirtschaftlichen Aufschwunges nach dem D eutsch-Französi­

schen Kriege die S tädte wie m it Polypenarm en die Bevölkerung vom Lande her in ihr W eichbild hinein. Zum Teil war es die gesteigerte Genußsucht der Landbewohner, die durch die vielen Vergnügungs­

lokale der S tädte angelockt ihre ländliche H eim at aufgaben und nun in der S ta d t versuchten, ihr B rot zu finden. Vor allen Dingen aber waren es die Industrien, die zahlreicher A rbeitskräfte bedurften und durch die Zahlung höherer Löhne, als auf dem Lande üblich ist, ungezählte Tausende dem Stadtleben zuführten. Genaue statistische Erhebungen haben nun ergeben, daß ein großer Teil dieser städtisch gewordenen Bevölkerung eben infolge der Schädlichkeiten des Stadtlebens zugrunde geht. W eitere statistische Erhebungen haben m it absoluter Sicherheit dargetan, daß die Lebenskraft, d. h. ihre M uskelkraft, ihre V erm ehrungs­

k raft und ihre W iderstandskraft gegen ansteckende K rankheiten bei der städtischen Bevölkerung gegenüber derjenigen der Landbevölkerung erheblich zurückbleibt. Dies tr i tt am klarsten zutage in den Ergebnissen der m ilitärischen Aushebung. W ährend in der ländlichen Bevölkerung 60—70% m ilitärtauglich waren, waren in der großstädtischen B e­

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1 0 2 Bonne Heft 3 völkerung nur 30% der Auszuhebenden m ilitärtauglich und eingeborene Berliner nur 19%. Man lasse sich nicht dadurch täuschen, daß u n ter den städtischen Industriearbeitern, u nter den F uhrleuten, M aurern, Zimmerleuten, M aschinenarbeitern, Schmieden und Schlossern, B rauern und Schlächtern eine große Menge sehr kräftiger Männer zu finden sind.

Denn geht m an der Sache auf den Grund, wird m an fast bei jedem von diesen kräftigen M ännern feststellen können, daß entweder sie selbst oder m indestens ihre E ltern vom Lande her in die S ta d t eingew andert sind, w ährend die K inder derjenigen S tädter, die seit zwei oder mehr Generationen in der S ta d t leben, in der großen Mehrzahl Zeichen groß­

städtischer E n tartu n g an sich tragen, Schm albrüstigkeit, B lutarm ut, englische K rankheit oder nervöse Schwäche. So ist von alters her die Landbevölkerung bis auf den heutigen Tag m it R echt die Quelle der K ra ft unseres Volkstums genannt worden.

Aber es handelt sich bei der städtischen Bevölkerung nich t nur um eine geringere K ra ft und W iderstandsfähigkeit der einzelnen Menschen gegenüber derjenigen in der Landbevölkerung, sondern es h andelt sich auch, und das ist eine zweite Frage von allergrößter B edeutung für die E rhaltung unserer N ation, um die höhere Sterblichkeit und die geringere Verm ehrung der städtischen Bevölkerung im Vergleich zu der der ländlichen. Diese höhere Sterblichkeit ist einm al bedingt durch die außerordentlich hohe Sterblichkeit der Säuglinge in den S tädten. E s sei hier n ur nebenbei erw ähnt, daß ein Zehntel aller G eburten in D eutsch­

land außereheliche sind. Da von diesen wiederum bei weitem der größere Teil auf die städtische Bevölkerung fällt, so darf es kein W under nehmen, daß gerade von diesen unglücklichen Geschöpfen ein großer Teil durch m angelhafte Pflege einem frühzeitigen Tode anheim fällt.

E in weiterer Teil aber durch die fehlende und m angelhafte Erziehung, eine Folge des fehlenden Elternhauses, an sittlichen Mängeln zugrunde geht. Aber auch von den ehelich geborenen starben in der S ta d t im ersten Lebensjahre unverhältnism äßig viele, zum eist in den Somm er­

m onaten an Brechdurchfall und D arm katarrh, hervorgerufen durch schlechte Milch und schlechte Lüftung der oft m iserablen W ohnungen.

Auch die anderen K inderkrankheiten, wie Scharlach, Masern, D iphtherie un d Lungenentzündung fordern ihre Opfer in steigendem Maße, je dichter bew ohnt die betreffenden S tadtteile sind, je zusam m engedrängter die Menschen in ihren W ohnungen hausen.

Vor allem aber sind es drei Würgengel, die u nter der städtischen Bevölkerung in schauerlicher Weise aufräum en, drei K rankheiten, die, wie wir Ärzte heute wissen, im engsten Zusammenhange untereinander stehen. Die e r s t e dieser drei K rankheiten ist die Trunksucht. W ir wissen heutzutage, daß der gewohnheitsgemäße Genuß der berauschenden G etränke nicht nur die Ursache abgibt zu einer großen Reihe von Herz-,

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1916 Baugrundarbeiten zum unsichtbaren Tempel 103 Leber- und Nierenerkrankungen, daß er die H auptursache bleibt für die m it R echt so gefürchtete Arterienverkalkung, sondern auch, daß er zu 50% die Ursache abgibt für die Geisteskrankheiten. Wir wissen aber auch, daß der gewohnheitsmäßige Genuß der berauschenden Getränke den M ännern die W iderstandskraft nim m t sowohl gegen die akuten Infektionskrankheiten, wie insbesondere gegen die Tuberkulose, die Schwindsucht. Es ist leichter, eine schwache, magere F rau m it siebzig Ja h re n durch eine Lungenentzündung durchzubringen, als einen robust aussehenden vierzigjährigen Mann, der gewohnt ist, täglich seine drei bis vier Glas Bier zu trinken. Aber diese Herabsetzung der Lebenskraft durch das Bier, den Wein und den Schnaps, beschränkt sich nicht nur auf diejenigen, die diese Getränke selbst trinken, sondern der Genuß der V äter schwächt auch die Lebenskraft der K inder. W ir finden daher in all den S tädten, wo viel getrunken wird, eine Fülle von blutarm en K indern, K indern m it schiefen Beinen infolge englischer K rankheit, idiotische K inder und K inder, die zu Tuberkulose und Skrofulose neigen. Wir wissen aber auch, daß die meisten von unseren jungen M ännern, die sich bei leichtfertigen Dirnen ihre Geschlechtskrankheiten zuziehen, in sehr vielen Fällen sich diese K rankheiten im leichten Rausch zuziehen. W ir sind dahin gekommen in unserem Vaterlande durch den Einfluß der großen Städte, daß von 10 000 Einwohnern in Preußen 12,4 geschlechtskrank waren, im Regierungsbezirk Marien­

werder 3,4, im Regierungsbezirk Cöslin 0,8, in Berlin dagegen 60. In den Ja h re n 1875—1900 wurden in den Irrenanstalten Preußens im D urchschnitt eingeliefert

erk ran k t an :

Am 13. Ja n u a r 1913 wies Professor v o n L i s z t im Deutschen Reichs­

tage darauf hin, daß sich zurzeit in D eutschland 50 000 jugendliche Ver­

brecher und 2 000 000 Jugendliche befinden, die m it dem Strafgesetz in K onflikt gekommen waren. Bedenken wir dazu, daß alljährlich 200 000 Männer vor das Strafgericht kommen, weil sie in gelegentlichem R ausch irgend ein Vergehen gegen die bestehenden Gesetze begangen h atten , im Rausch, den sie sich zum eist in den W irtschaften und Kneipen der S tädte zugezogen h atten . Das sind die Folgen unserer T rinksitten, die wir ziffernmäßig feststellen können.

Die Verflachung unseres Denkens und Empfindens, die Verrohung unserer Sinnesart und unseres Geschmackes durch die Sitte, b e­

rauschende G etränke als G enußm ittel zu genießen, diese Schäden aus W estfalen aus Berlin

31.3 54,1 52.4 Säuferwahnsinn . . . . 2,8

E pileptiker ... 35,0 P a r a ly t i k e r ... 30,0

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104 Bonne Heft 3 können wir nicht ziffernmäßig feststellen. W as allein durch unsere so viel besungenen akadem ischen T rinksitten an Feinheit des Geistes und K ra ft des Em pfindens und Wollens in D eutschland alljährlich zugrunde geht, wer vermöchte es zu sagen. — Ich allein kenne viele, viele M ütter, die um ihre Söhne trauern, die zu den herrlichsten H offnungen b e­

rechtigten, aber auf unseren Hochschulen schmählich zugrunde gingen.

N icht durch ihre Anlagen, wie so oft fälschlich b eh au ptet wird, um den deutschen und akadem ischen T runk zu schützen und ihm seinen Nim bus zu erhalten, —ihre Anlagen waren vortrefflich, ihre E ltern avisgezeichnete gesunde Menschen, sie selbst, bis das narkotische Gift auf den U niversi­

tä te n ihr Em pfinden, Denken und Wollen zerstörte, waren die besten und gesundesten Jünglinge. Aber die Fuchsm ajore und die alten H erren m it ihrem Beispiel und ihrem Trinkzwang und die Sauflieder eines veralteten Komm ersbuches zerstörten ihre geistige und sittliche Gesundheit, so daß Tausende von ihnen durch das U niversitätsleben zugrunde gingen.

Kom m en doch allein 25% unserer S tudierten krank an Syphilis von unseren großen U niversitäten zurück. Von den Berliner Studenten, die sich zum Einjährigen-D ienst meldeten, litten 46% an dieser Seuche, die die meisten von ihnen in angeheitertem Zustand sich zugezogen h a b e n !

Wieviel kostbare, kunstvoll behauene Steine für das F und am en t unseres Tempels sind auf diese Weise für uns schon verloren gegangen.

Wie viel geistige Arbeit unserer Lehrer, wie viel Schaffen im Geiste unseres Comenius ist auf diese Weise schmählich v ertan! Voll Zorn und Scham klirrt das Schwert an unserer Linken, wenn wir d aran denken. Das muß anders werden! Solch’ kostbare Bausteine haben wir nach diesem furchtbaren Aderlaß, in welchem dieser W eltkrieg uns so viel unseres besten Blutes nahm , nich t m ehr übrig.

W ir gaben bis zu diesemW eltkriege alljährlich fast vier Milliarden M ark aus für diese uns Deutschen so heiligen T rinksitten, in zehn Ja h re n ru nd 40 Milliarden ohne Zins und Zinseszins! Also m ehr, als uns der ganze W eltkrieg bisher gekostet h a t ! H inter diesen vier M illiarden aber lau ert vom Anfang bis zum Ende des Jah res wie eine hungrige H yäne das R iesenkapital der Brauereien, Brennereien, des W einhandels und der W irte, die am liebsten jeden erwürgen oder als V aterlandsfeind brandm arken m öchten, der es wagt, den deutschen trinkenden Philister aus dem hypnotischen Aberglauben zu erwecken, in dem dieses R iesen­

kap ital den biederen Deutschen sorgsam gefangen hält, vom obersten Regierungsbeam ten bis zum untersten K uhknecht. Dieses Riesenkapital fü rchtet nichts mehr, als daß der Deutsche zu der E rkenntnis erwachen könnte, daß er ohne Wein, Bier oder Schnaps viel fröhlicher, gesunder und leistungsfähiger lebt, als wenn er diese giftigen G etränke zu sich

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1 9 1 6 Baugrundarbeiten zum unsichtbaren Tempel 1 0 5 nim m t, die nur den F abrikanten den Gewinn bringen. Die deutsche Alkoholindustrie handelt unserem Volke gegenüber, das sei an dieser Stelle klipp und klar ausgesprochen, nach der langjährigen A ufklärungs­

arbeit, die im deutschen Vaterlande unter Zugrundelegung der Forschungsresultate unserer besten Physiologen, Psychologen und Irrenärzte seit Jahrzehnten geleistet wird, und von der bereits sehr viele dieser Kreise nachweisbar genügend K enntnis genommen haben, lediglich ihres Gewinnes halber genau so vaterlandsfeindlich und gewissenlos, wie England, der Todfeind aller deutschen K ultur, seit langen Jahrzehnten verbrecherisch gehandelt h a t gegen Indien und China, als es den vielen H underten Millionen dieser beiden großen Reiche m it ihrer feinen alten K u ltu r das Opium aufzwang, um sich selbst zu bereichern, — wohl wissend, daß der Genuß dieses narkotischen Giftes immer mehr den Genuß nach größeren Mengen erzeugend ihm selbst dauernd ungemessene Gewinne verschaffen würde. Genau so raffiniert und gewissenlos handelt unsere deutsche Alkoholindustrie, gleichzeitig dam it den Grund und Boden versumpfend, auf dem das F undam ent unseres Tempels ruhen soll.

Das sind harte W orte. — Mögen sie wie die Schläge m it dem S pitz­

ham m er wirken, und unser Volk erwecken aus seiner Narkose. Es ist die höchste Z eit! Sind doch diese, seine inneren Feinde selbst während dieses großen heiligen Krieges nur zu regsam an der Arbeit, um ja nicht ihr Geschäft zu versäumen. Und während die Bürgersfrau von Amts wegen angehalten wird, m it den B rotresten und Kartoffelschalen zu sparen, um die verbrecherische Aushungerungspolitik der Engländer zunichte zu machen, glaubt die Regierung auf Grund gefälliger G u t­

achten dem deutschen Philister hinter der F ro n t sein Bier und sein Schnäpschen nich t vorenthalten zu dürfen. Und nach wie vor holt sich der Trunk seine Opfer aus den Reihen der Deutschen, — als ob er ein Verbündeter Englands und Frankreichs sei.

Es handelt sich auch in dieser Zeit nicht mehr darum , was dieser oder jener Minister, Geheimrat, Professor oder Doktor am liebsten trin k t, oder was er nach seiner Meinung „tadellos v erträg t“ , — sondern es handelt sich darum , daß unser V aterland sein Geld besser anwenden kann, um die W unden dieses Weltkrieges zu heilen, als um R ausch­

getränke zu fabrizieren! Es handelt sich darum , daß die Folgen dieser Sitte, berauschende Getränke als Genußm ittel zu genießen, im ganzen Vaterlande, in allen Schichten unseres deutschen Volkes so namenlos verheerende sind, nicht zum mindesten durch die E n tartu n g der N ach­

kom m enschaft unserer trinkfrohen Kreise, die oft noch zu den besten unserer N ation zählen! D arum handelt es sic h ! Es handelt sich endlich darum , daß fortan kein Stein durch einen ungeschickten Lehrling, Gesellen oder Meister zerstört werden darf, der zum F undam ent unseres

8 M onatshefte d er C . Gr. fü r V o lk serzieh an g 1916

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106 Bonne Heft 3 Volkes, unseres geliebtenV aterlandes dienen k ö n n te ! Unsere regierenden Kreise, die M agistrate unserer Städte, unsere Gemeindebehörden können es nicht länger verantw orten, daß in den zahllosen Kneipen, Bars (eine von diesen unseligen Erfindungen unserer feindlichen V ettern jenseits des Kanals), Tingeltangel, Animierkneipen, Bordells, Destillationen und Bierpalästen alljährlich hunderttausende deutscher Jünglinge und Mädchen zugrunde gehen. Man rechnet inD eutschland über 1 % Millionen P ro s titu ie rte r! Welche Quelle von Unglück, Schande und K rankheit für Millionen deutscher Männer, Millionen deutscher F am ilien ! Längst h a t sich erwiesen, daß die Bordells keineswegs den Schutz gewähren gegen venerische K rankheiten, den m an von ihnen erhoffte. Dagegen sind sie die S tä tte n der Verführung für weite Kreise unseres Volkes, gleichzeitig aber freilich auch höchst einträgliche K unden für unsere Brauereien, für unseren W einhandel und unsere Sektfabriken. W as ist natürlicher, als daß diese Schandflecke unserer K ultu r von diesen Industriezweigen aus auf alle mögliche Weise geschützt und gestützt werden. H ier heißt es für uns Bauleute am unsichtbaren Tempel rück­

sichtslos m it Spitzhacke und Grabscheit arbeiten, um versteckte Moräste aufzudecken und abzuleiten, dam it sie guter, gesunder B augrund werden für die F undam ente unseres Tempels. Hier gilt es für uns immer wieder giftige Quellen, die aus dem tiefsten U ntergrund menschlicher In stin kte em porbrechen, aus niederster Erw erbssucht und gem einster Ichsucht, abzufangen und abzudäm m en, dam it sie nicht immer wieder aufs neue die F undam ente unseres Tempels unterm inieren können. Freilich m uß hier der Gerechtigkeit willen ausdrücklich eingeschaltet werden, daß es eine große Reihe von Männern gibt, die von höchst ehrenwertem C harakter und tadelloser Gesinnung sind, die aber eben den Zusam m en­

hang zwischen ihrem Alkohol erzeugenden Gewerbe und der furchtbaren Alkoholnot unseres Volkes noch nicht begriffen haben. Andere sind da, die ihn wohl begriffen haben und nur zu gerne von ihrem fluchbeladenen b ew erbe lassen würden, aber sie haben keinen anderen Beruf gelernt, sie haben ihn vielleicht von ihren V ätern im besten Glauben ererbt und sind m it ihren Fam ilien auf das Einkom m en aus diesem Berufe a n ­ gewiesen. Das sind M änner, die oft in einem höchst schmerzlichen K onflikt der Pflichten stehen, unter dem sie selbst, wie wir oft genug beobachten können, auf das schwerste leiden. Es hilft aber nichts, auch alle diese werden eines Tages F arbe bekennen müssen, ob sie weiter die giftigen Quellen vermehren helfen wollen, die die F undam entierung unseres Tempels unterspülen.

Nur, wenn wir so gewissenhaft für die Gesunderhaltung des U n ter­

grundes gesorgt haben, wie jeder gewissenhafte Baum eister tu n muß, erst dann können wir daran denken, an den Bau unseres F undam entes zu gehen. Denn was n ü tz t uns sonst die ganze seelenbildende und

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1916 Bangrandarbeiten zum unsichtbaren Tempel 107 seelenerhaltende Tätigkeit von Kirche und Schule! Was nützen uns alle Bestrebungen wissenschaftlicher und hum aner Vereinigungen, was n ü tz t uns die hervorragende Arbeit einer Comenius-Gesellschaft, wenn alljährlich hunderttausende deutscher Jünglinge und Mädchen in diesen Morästen unseres V aterlandes durch Trunk und P rostitution vergiftet werden ? Jünglinge und Jungfrauen, oft genug von den besten Lehrern unseres Volkes m it den besten geistigen Werkzeugen ausgerüstet, aber vergiftet in ihrem Gehirn durch ein G etränk, was unsere ersten Physio­

logen und Psychiater als notorisches Gift erklären! Ein G etränk aber, was der deutschen Alkoholindustrie alljährlich 4 Milliarden Mark zu verdienen gibt und dam it 10—20% Dividende für ihr Anlagekapital.

Vier Milliarden Mark, die wir für die Fundam entierung unseres unsicht­

baren Tempels, für seinen Aufbau und für seinen Schutz wahrlich besser h ä tte n verwerten k ö n n en !

Seltsam, wie der Krieg uns hier half und führte! Das, was wir im Frieden in jahrzehntelanger Arbeit nicht erreichen konnten, je tz t brachte der Krieg es uns Schlag auf Schlag. Auf Befehl des Generalkommandos wurde in einzelnen deutschen S tädten der Schnapsausschank ganz v er­

boten, in anderen stark eingeschränkt. Und die Folge ? Die Polizei­

gefängnisse leerten sich, die Roheits verbrechen nahm en rapide ab. In München sank der Bierkonsum, und die Trinkerasyle leerten sich zusehends, wie der große Münchener Irren arzt K r a e p e l i n öffentlich bestätigte. Um das zu erreichen, h a t es genügt, daß die Bierproduktion um 40% herabgesetzt wurde. N un ist sie um weitere 15% verringert worden. Schon verkündet ein neuer E rlaß der drei bayerischen General­

kom mandos das Verbot des Brauens von Starkbieren. Hoffentlich m it den gleichen segensreichen Erfolgen für das Seelenleben und die K ra ft unseres Volkes!

N ur wenn wir die Gehirne von uns Menschen giftfrei halten, besonders frei von allen narkotischen Giften, einerlei ob sie Opium, Morphium, Haschisch oder Alkohol heißen, n u r d a n n w e r d e n w i r d i e M e n s c h e n z u r r i c h t i g e n E r k e n n t n i s , z u r w a h r e n B i l d u n g , z u r E h r f u r c h t v o r G o t t u n d d e n M e n s c h e n , z u m W e g e d e r W e i s h e i t f ü h r e n k ö n n e n !

So laß t uns denn herangehen an den Bau des F undam entes unseres unsichtbaren Tempels. Die Sozialisten sagen, daß viele aus dem h an d ­ arbeitenden Volke an den T runk kämen, weil sie kein ordentliches Heim h ätten und vor dem Elend ihrer Fam ilien sich in das Licht der K neipen flüchteten. Auch ich, dessen Bestreben es gewesen ist, solange ich denken kann, den B estand unseres Vaterlandes zu erhalten, und der den Jam m er unseres Volkes in dreißigjähriger ärztlicher T ätigkeit zur Genüge kennen gelernt hat, auch ich kann die R ichtigkeit dieses Satzes bestätigen. Wie der junge Offizier durch die Suggestion von der 8*

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108 Bonne Heft 3 D eutschheit des Trinkens an dieser leidigen S itte festgehalten wird, wie der M ittelstand zu einem großen Teil durch die Stum pfheit der Gewöhnung und den Trinkzwang beim Broterw erb, den ihm die W irte und die Brauereien auferlegen, am Biertisch festgenagelt wird, so b etäu b t sich der Arbeiter in seiner Destille, um sein W ohnungselend zu vergessen und sich M ut zu trinken für die P hantasien seines nebel­

haften Zukunftsstaates. H underttausende deutscher Jungfrauen fallen alljährlich der Versuchung deutscher Jünglinge zum Opfer, weil die letzteren nicht den M ut h a tte n und sehr, sehr oft auch nicht die Gelegen­

heit, der Geliebten ihres Herzens ein eigenes N est zu bauen, und sei es nur ein Häuslein, ein H üttlein, das N est eines Zaunkönigs. Und tausende und aberm al tausende solcher Mädchen fallen der P rostitution zum Opfer, nur weil sie von ihrem B rotherrn so schlecht gelohnt werden, so daß sie schimpflicherweise auf Nebenerwerb angewiesen sind.

Bausteine zu unserem Tempel, die im M orast versink en ! W äre unserem j u n g e n V o l k e G e l e g e n h e i t g e g e b e n , a u f b i l l i g e m , d e r S p e k u l a t i o n e n t z o g e n e m G r u n d u n d B o d e n s i c h a n z u ­ s i e d e l n r i n g s u m d i e S t ä d t e i n k l e i n e n H ä u s c h e n m i t S t a l l u n d G a r t e n , d a b e i d u r c h s c h n e l l e V e r k e h r s w e g e m i t d e m S t a d t z e n t r u m v e r b u n d e n , so daß der Mann in der Frühe zeitig zu seinem Beruf oder Geschäft hineilen kann, h ä tte n die beiden auf diese Weise Gelegenheit, f r ü h z e i t i g a u f g e s u n d e r w i r t s c h a f t l i c h e r G r u n d l a g e d e r v e r l a n g e n d e n S e h n s u c h t n a c h z u g e b e n , K inder zu zeugen und groß zu ziehen, wir brauchten kein Gesetz mehr gegen die P rostitution, wir brauchten keine Gesell­

schaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, keine Gesellschaft zur Beförderung der Bevölkerungszahl, wohl aber b rauchten wir e i n e U n z a h l v o n B a u m e i s t e r n , B a u l e u t e n , Z i m m e r l e u t e n , S c h l o s s e r n , T i s c h l e r n , G ä r t n e r n , u m a l l e d i e d e u t s c h e n H e i m s t ä t t e n h e r z u r i c h t e n , d e r e n w i r b e d ü r f e n . W ir brauchten zahllose Ingenieure, B ahnangestellte und B ahnarbeiter, Schlosser und Schmiede, um alle die Verkehrswege und V erkehrsm ittel herzurichten, um die Millionen glücklicher deutscher Männer zu ihren A rbeitsstätten zu führen. Wir brauchten hunderttausende fleißiger H ände, um die H eim stätten dieser Millionen einzurichten und auszuschmücken. Wir brauchten viele Tausende von Lehrern mehr als jetzt, um die zahl­

reiche Jugend in individualisierendem U nterricht heranzubilden!

Freilich, diejenigen die je tz t aus den Einnahm en von Brauereien und Brennereien, von Destillationen und Bordellen leben, m üßten sich einen anderen Broterw erb suchen und würden ihn vielleicht finden in den obengenannten Erwerbszweigen, in deren K anäle in dieser neuen kom m enden Zeit die vier M illiarden hineinfließen würden, die unser deutsches Volk bis je tz t alljährlich vertrink t!

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1 9 1 6 Baugrundarbeiten zum unsichtbaren Tempel 109 Aber in diesen H underttausenden, so G ott will, Millionen neuen deutschen H eim stätten, da werden, wie in den alten guten B ürger­

und B auernhäusern Deutschlands, Millionen neuer deutscher Menschen heranwachsen als Bausteine unseres unsichtbaren Tempels, an denen die A rbeit unserer besten Baum eister m it Spitzham mer, Wasser wage und Zirkel nich t vergeblich sein wird.

K aum sind diese Gedanken ins Land hinausgeflogen und haben millionenfaches, jubelndes Echo bei allen unseren deutschen Männern gefunden, schon brechen wieder die giftigen Quellen der Ichsucht und Gewinnsucht hervor und drohen die neuen, eben begonnenen F u n d a­

m ente aufs neue zu unterspülen. Die B odenspekulanten und M iets­

kasernenbesitzer bem ächtigen sich der Presse, klagen bei der Regierung und suchen auf alle Weise die B auleute der neuen Zeit an ihrem Werk zu hindern. Auch diese Leute werden um lernen und sich neue E rw erbs­

zweige suchen müssen, in deren A rbeit sie unser Volk fördern, a n s ta tt es zu zerstören. Sie dürfen nicht mehr als Maulwürfe arbeiten, die Fundam ente unseres Tempels unterm inierend, sondern auch ihnen mögen die Augen aufgehen, daß sie glücklicher leben, wenn auch viel­

leicht einfacher, a ls B a u l e u t e e i n e r n e u e n g r o ß e n Zei t.

So sehen wir den geradesten, ja ich möchte fast sagen, den alleinigen Weg klar vor uns: um unser Volk zur höchsten Stärke und K ra ft hinaufzuführen, müssen wir unsere jungen Männer auf die ehrlichste und natürlichste Weise von den schwächenden und vernichtenden Wegen der U nzucht und der U nsittlichkeit fernhalten und ihnen deswegen Gelegenheit schaffen, m ö g l i c h s t f r ü h z e i t i g i n w i r t ­ s c h a f t l i c h g e s u n d e r W e i s e w a h r e d e u t s c h e H e i m s t ä t t e n z u g r ü n d e n ! Denn diese deutschen H eim stätten sind die absolut notwendigen Unterlagen für das Bestehen der deutschen Familie. Und die deutsche Familie, fassen wir in Begriff so eng und so groß, wie wir n ur können, ist und bleibt die Quelle unserer K raft. U nd u n s e r e K r a f t ist nicht nur d e r H o r t u n s e r e r d e u t s c h e n K u l t u r , sondern, wie gerade dieser furchtbare W eltkrieg gezeigt h a t , d e r H o r t d e r K u l t u r d e r M e n s c h h e i t .

Und diese Menschen, die nun als Bausteine für den unsichtbaren Tempel dieser neuen großen Zeit von Meister und Gesellen herbei­

geschafft wurden, sie sollen als F undam ent und Säulen unseres Tempels hinausschauen in ein blühendes, lachendes, sonniges Land! In ein Land, durchzogen von dem Silberband unserer heiligen S trö m e! Dieses Land soll nicht W ucherern gehören, die an seinem heiligen Boden verdienen, dieses Land soll frei sein, wie das gesamte ganze große Volk, dem es gehört. Der auf der Scholle geboren ward, die sein Vater gepflügt h atte, dem soll diese Scholle weitergehören. Will oder kann er sie aber n icht selbst weiter beackern, und h a t er keinen Sohn, der

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