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Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Volkserziehung, Juni 1910, 18. Band, Heft 3

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MONATSSCHRIFTEN DER COMENIÜRGE5ELISCHAFT

Monaföfidfe der Gomenius*

Gesdlsehaft

für VoIkserzIehunQ

1910 Juni Heft 3

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Herausgegeben von Ludwig Keifer Neue Folge der Monatshefte derCG,

Der ganzen Reihe 18. Band.

w E Ä a Ü Ö N E U Ö E N D lE

n

Im Buchhandel und bei der Post beträgt der Preis für die Monatsschriften (jährl. 10 Hefte) M. 12,—, für die Monatshefte der C. G. für Kultur und Geistes­

leben (jährl. 5 Hefte) M. 10,—, für die Monatshefte der C. G. für Volkserziehung

(jährl. 5 Hefte) M. 4,—.

Einzelne Hefte der MH f. K. u. G. kosten M. 2,50, einzelne Hefte der MH f. V. M. 1,50

(2)

In h a lt

Seite

Dr. med. Alfons Fischer, Der Karlsruher Arbeiterdiskussionsklub . . . . 63

Prof. Dr. Paul Förster, Erziehung zum Staatsbürger . . . 76

Ludwig Keller, Ländliche H e i m s t ä t t e n ... 79

K. Hesse, Die Zentralstelle für Volks Wohlfahrt in B e r l i n ... 85

Die Bibliothek August S c h e r l ... 88

K. Hesse, Staatsbürgerlicher Unterricht im H e e r e ... 89

Besprechungen und A n z e ig e n ... 92

B o d e s o h n , Staats- und Bürgerkunde. — G n a u c k - K ü h n e , Das soziale Gemeinschafts­ leben im Deutschen Reich. — N a u m a n n , Das Volk der Denker.

R u n d sch au ... 93

Die Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung. — E rste ESlinger Heimstättengenossenschaft „Neckarhalde11. — Eine U niversität fü r das Volk in A ustralien.

Literatur-Berichte (Beiblatt)

Z ie g le r, Allgemeine P ä d a g o g ik ...9*

H a m b u rg e r B ü r g e r s c h a f t, Die Gefährdung der Jugend durch Schrift und Bildw erke . . . . 10*

G eig er, Jean Jaques R o u s s e a u ... 10*

G rein , Die Schule im Dienste sozialer Erziehung 10* T e n b n e rs V e rla g , Schaffen und Schauen . . .1 1 * — Des Menschen Sein un d V e r d e n ... n * E y s s e n h a rd t, Friedrich der G r o ß e ...12*

Verzeichnis der im Text besprochenen und erwähnten Schriften

Drei Schriften der Zentralstelle fü r V olksw o h l­ fahrt ... ... 5

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MONATS H EFTE

DER COMENIUS-GESELLSCHAFT FÜR V O LK S-Ä > * .ERZIEHUNG

S C H R I F T L E I T U N G S ^ ^ ^ P ^ ' BERLINER STRASSE22 DR.LUDWIG K E L L E R ;'^ ^ BERUN'CHARLOTTBG

VERLAG EUGEN DIEDER.ICHS IN JENA

N. F. B and 2 Juni 1910 Heft 3

Die M onatshefte d e r C. G. für Volkserziehung erscheinen Mitte F ebruar, A pril, Juni, Oktober und Dezember. Die M itglieder erhalten die B lätter gegen ihre Jahresbeiträge. Bezugspreis im Buchhandel und bei der Post M. 4. Einzelne Hefte M. 1,50. — Nachdruck ohne E rlaubnis untersagt.

DER KARLSRUHER ARBEITERDISKUSSIONSKLUB

Von

Dr. med. A l f o n s F i s c h e r in Karlsruhe

ls vor einigen Wochen in der Ersten Kammer des

| badischen Landtages das Budget der Hochschulen beraten wurde, da hielt es der Berichterstatter über diesen Titel, Geheimrat B ü r k 1 i n, für notwendig,

I die Tätigkeit des Karlsruher Arbeiterdiskussionsklubs einer scharfen K ritik zu unterziehen. Der sehr lockere Zusammen­

hang zwischen den Begriffen: Proletariat der Gebildeten und Bil­

dung der Proletarier erschien ihm als ein hinreichender Grund, sich über Yolksbildungsfragen zu äußern und bei dieser Gelegen­

heit die Methode des Arbeiterdiskussionsklubs ebenso zu tadeln, wie das System des Arbeiterbildungsvereins zu loben, während er sich über den Volksbildungsverein jeder Äußerung enthielt.

Man fragte sich nach dem Zweck des Angriffs auf den Arbeiter­

diskussionsklub an solcher Stelle. Denn der Klub erhält von der Regierung keinerlei pekuniäre U nterstützung; er hat um eine solche auch niemals nachgesucht, so wenig wie um eine finanzielle Hilfe­

leistung von privater Seite. Aber m o r a l i s c h e Unterstützung

M o n a ts h e fte d e r C. G. f ü r V o lk s e rz ie h u n g 1910

5

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6 4 Fischer Heft 3 genießt er von den verschiedensten Richtungen her, von den höchsten Beamten, wie von den ersten Männern in Kunst und Wissenschaft. Galt es vielleicht, den Klub um diese Gunst zu bringen ? Um es sogleich zu sagen: dieser Versuch wäre als gründ­

lich mißglückt zu betrachten. Denn kurze Zeit nach jenen Kammer­

debatten erfreute sich der Klub gelegentlich eines in der Christus­

kirche veranstalteten Bachkonzertes, zu welchem sich über 1200 Hörer, darunter etwa 800, meist sozialistische, Gewerkschaftler einfanden, des Besuches nicht nur von mehreren Ministern und anderen hohen Beamten, Politikern und bedeutenden Künstlern, sondern auch des Prinzen Max, der einstmals berufen sein wird, das

Großherzogtum Baden zu regieren.

Schon aus diesen wenigen Angaben wird man die Eigenart des Klubs erkennen; es ist gewiß durchaus ungewöhnlich, daß bei einem Kirchenkonzert Fürstlichkeiten und Arbeiter in einer Reihe sitzen, um sich an den Schöpfungen des größten deutschen Ton­

dichters zu erbauen. An diesem Tage hatte der Klub auf seiner schwierigen Wanderung einen seiner Höhepunkte erreicht; dieser Bachtag wurde ihm zu einem Festtag. Aber auch bei seinen son­

stigen Veranstaltungen, die einen mehr werktäglichen Charakter zeigen, tritt vielfach gegenüber den sonstigen Volksbildungs­

bestrebungen eine solche Eigenart zutage, daß der Klub ob dieser Erscheinung ebenso warme und freudige Zustimmung, wie auf gewissen anderen Seiten mehr oder weniger ernst zu nehmenden Tadel findet.

So dürften wohl einige Darlegungen über diese neuartige Bildungsvereinigung auf Interesse rechnen dürfen. Jedoch, man versteht die Organisation des Klubs nur aus seiner Entwicklung heraus; und da hiermit die beiden anderen Methoden, die des Arbeiterbildungsvereins und die des Volksbildungsvereins

Z u ­

sammenhängen, so muß kurz auf das Wesen dieser Institutionen eingegangen werden.

Der Karlsruher Arbeiterbildungsverein besteht seit fast fünf Jahrzehnten; satzungsgemäß ist er neutral, tatsächlich ist er ein nationalliberales Gebilde, wenigstens gilt er als ein solches in der hiesigen Arbeiterschaft. Die Gründer des Arbeiterdiskussions­

klubs, sechs Arbeiter und der Verfasser, gehörten vor vier Jahren dem Arbeiterbildungsverein an. Mehr oder weniger freiwillig schieden wir aus diesem Verein, weil er uns weder als ein „Arbeiter-“

noch als ein „Bildungsverein“ dünkte. Die intelligenten Arbeiter

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1 9 1 0 Der Karlsruher Arbeiterdiskussionsklub 65

hielten sich zumeist dem A r b e i t e r bildungsverein, in dem Gesang, Turnen und Tanzvergnügungen im Mittelpunkt der Be­

strebungen standen, fern. Ein Vorschlag meinerseits, zu ver­

suchen, ob man die Gewerkschaftler für den Bildungsverein interessieren könnte, wurde auf das heftigste von der Vereins­

leitung bekämpft; im nationalliberalen Arbeiterbildungsverein durfte man sich um die Bildung sozialistischer Arbeiter nicht kümmern, weil man fürchtete — nach meiner Meinung ohne An­

laß — die Gunst und damit die finanzielle Unterstützung der Behörden und des Fürstenhauses zu verlieren. —

Seit einem Jahrzehnt besitzt Karlsruhe auch einen Volksbildungs­

verein, der in Zusammenhang mit der Technischen Hochschule die auch in vielen anderen Städten üblichen, meist aus Zyklen bestehenden Hochschulkurse, veranstaltet. Der Volksbildungs­

verein ist in Wahrheit neutral; ihm gehören darum auch Arbeiter aller politischen Parteien und Konfessionen an. Die Tätigkeit des VolksbildungsVereins verdient volle Anerkennung. Aber die Arbeit in den Hochschulkursen bedarf der Ergänzung. V o l k s bildung erzielt man nicht, wenn nur immer die Gelehrten dem „Volke“

Vorträge halten. Auch die Professoren und sonstigen Lehrer können von dem Volke lernen. Arbeiter und Akademiker sollen g e g e n s e i t i g auf einander einwirken, dann werden sie sich eher verstehen; die tiefe Kluft, die das Klassen- und Kastenwesen erzeugt hat, würde so allmählich überbrückt werden. Das Mittel, das zunächst zum Zwecke des gegenseitigen Kennen- und Ver­

stehenlernens zur Anwendung gelangen kann, ist die Aussprache;

in der D i s k u s s i o n nach den Vorträgen findet sich auch für den einfachen, schlichten Arbeiter Gelegenheit, auf Grund seiner Lebenserfahrungen manchen wertvollen Beitrag zu leisten, aus dem der Akademiker nicht nur ersehen kann, wie weit der Vor­

tragsstoff verstanden, und welche Wirkung erzielt wurde, sondern aüs dem der Lehrer auch diese und jene Anregung, die ihm bisher ganz fern gelegen hat, zu entnehmen vermag.

Will man das in der Diskussion hegende Bildungsmittel benutzen, so muß man, wenn man auf die Beteiligung der klassenbewußten Arbeiter, die man kennen und auf die man einzuwirken wünscht, rechnet, der Debatte vollste Freiheit gewähren. Dies setzt dann zweierlei voraus: die äußere Voraussetzung hierfür ist die absolute Unabhängigkeit der Bildungsorganisation, insbesondere in finan­

zieller Hinsicht; die innere Bedingung liegt in der vollkommenen

b*

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66 Fischer Heft 3 Neutralität bei der Auswahl der Redner und der Verhandlungs­

stoffe. Man darf auch nicht vor Fragen aus dem Gebiet der Welt­

anschauung und der Politik zurückschrecken. Denn, abgesehen davon, daß eine Volksbildungsarbeit, die auf derartige Themen verzichten will, an Gehalt und Wert unermeßlich viel einbüßt, wird bei Ausschaltung dieser Stoffe der Arbeiter sich mit Recht sagen, daß man nicht den Mut habe, die Ansichten des aufgeklärten Proletariers über diese Fragen zu hören; kein Wunder, daß dann das Interesse und das Vertrauen zu der Volksbildungsarbeit der Gelehrten in den Reihen der Arbeiter erlischt, kein Wunder, wenn die Arbeiter, denen man nicht die Möglichkeit gibt, ihre Einwände vorzutragen, — wie sie es von ihren gewerkschaftlichen und politischen Organisationen her gewohnt sind — dazu übergehen, auf eigene Faust bildende Vorträge zu veranstalten. An sich wäre diese Selbsthilfe zu begrüßen. Aber der gute Wille scheitert zu­

meist an dem Unvermögen, geeignete Redner zu gewinnen. Dazu kommt dann noch, daß bei dieser Zurückhaltung der Arbeiter gegenüber den Gelehrten die Kluft zwischen den sozialen Schichten nur noch tiefer werden muß, als sie es schon ohnedies infolge der wirtschaftlichen Gegensätze ist. Bemerkt sei hier, daß die sozial­

demokratische Zentralleitung in Berlin kürzlich auf dem hessischen Parteitag erklären Heß, sie könne den Genossen, da ihr die geeigne­

ten Lehrkräfte in den eigenen Reihen mangeln, nur empfehlen, an Volksbildungsbestrebungen neutraler Art teilzunehmen. Also der Wille zu gemeinsamer Bildungsarbeit ist auf der Seite der Arbeiter vorhanden; es gilt nun, den besten, für die gegenwärtige Entwicklung passendsten Weg zu finden. Die Methode des Arbeiterbildungsvereins kann nicht mehr in Frage kommen;

sie geht ja an der überwältigenden Mehrheit der Arbeiter bewußt vorbei. Auch das System der Volksbüdungsvereine (wenigstens nach dem Karlsruher Verein zu schließen) hat es bis jetzt verab­

säumt, sich den Anforderungen der modernen Arbeiter und einer u m f a s s e n d e n Volksbildungsarbeit anzupassen.

Den Weg, der nach unserer Meinung zu den genannten Zielen führen würde, gehen seit Jahrzehnten bereits manche Organi­

sationen in England, Holland und Frankreich; auch in Deutsch­

land sieht man bereits verheißungsvolle Anfänge. Aber nirgends scheint mir das neue System so konsequent und erfolgreich — übrigens auch fast gänzlich unabhängig von irgend einem Vor­

bilde — durchgeführt worden zu sein, wie bei dem Karlsruher

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19 1 0 Der Karlsruher Arbeiterdiskussionsklub 67

Arbeiterdiskussionsklub. Dies behaupte ich als Klubvorsitzender, ohne mich persönlich irgendwie überheben zu wollen. Unser Klub ist ja keineswegs das Werk e i n e r Person, sondern er stellt selbst ein Musterbeispiel dafür dar, was durch die Zusammenarbeit von Männern und Frauen aus sozial verschiedenartigen Schichten geleistet werden kann.

Der Arbeiterdiskussionsklub bezweckt, wie im § 2 seiner Satzung festgelegt ist, die gegenseitige geistige Förderung der Mitglieder aus dem Arbeiterstande einerseits und der übrigen Mitglieder andererseits; zugleich ist die Anbahnung freundschaftlicher Be­

ziehungen zwischen allen Mitgliedern das Ziel der Klubbestrebungen.

Der Klub ist in jeder Hinsicht unabhängig, insbesondere ist er in politischer und religiöser Hinsicht neutral.

Aus diesen satzungsmäßigen Bestimmungen geht klar und deut­

lich hervor, daß der Klub eine B i l d u n g s Organisation, die sich auf a l l e Kreise des Volkes erstreckt, darstellen will. Zugleich erkennt man aber, daß neben der eigentlichen Bildungsarbeit, freilich gleichzeitig durch diese, der Ausgleich der sozial ver­

schiedenartigen Bevölkerungskreise angestrebt wird. In dem Klub soll der Arbeiter nicht nur lernen, er soll auch seinen Lehrern, dem Juristen, dem Arzt, dem Pfarrer, dem Philologen, dem Beamten, dem Künstler Gelegenheit geben, einen Einblick in die Gedankengänge der Arbeiterschaft, jener größten Schicht in den modernen K ulturstädten, zu gewinnen.

Der Klub sucht — so heißt es im § 3 seiner Satzung — sein Ziel zu erreichen:

a) durch Vorträge von Arbeitern und Höhergebildeten, sowie durch die sich daran anschließenden Aussprachen;

b) durch ständigen Hinweis auf geeignete Schriften;

c) durch Ausbau einer zweckentsprechenden Bibliothek;

d) durch gesellige Veranstaltungen, wie Familien-Abende, Ausflüge und dergleichen.

Daß auch Arbeiter sehr wohl in der Lage sind, recht beachtens­

werte Vorträge aus verschiedenen Wissensgebieten zu halten, darüber besitzen wir schon eine ansehnliche Erfahrung. Bis jetzt wurden unter anderem von Arbeitern folgende Themen durchaus sachgemäß behandelt: Die Weltanschauung eines Arbeiters;

Heimarbeit; Arbeitslosenversicherung; die Bedeutung von Karl

Marx für den modernen Arbeiter; Arbeiterlektüre; Schiller und

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68 Fischer Heft 3 der m oderne A rb eiter; A lk oh olism u s u n d A rb eitersch aft; der A rbeiter auf der W a n d ersch aft; E rfahrungen ein es K ran k en ­ kontrolleurs. E s u n terlieg t k ein em Z w eifel, daß für derartige S toffe der A rbeiter der n atu rgem äß e R ed n er i s t ; u nd in der T a t sin d unsere A rbeiterredner ihren A u fgab en v o llk om m en g erech t gew orden, so daß all die zahlreichen H örer, die gerade bei d iesen V orträgen zum großen T eil aus den K reisen der N ich ta rb eiter sta m m ten , durch au s b efried igt w aren.

B e i der A u sw ah l der T h em en , die v o n A kadem ikern b esprochen w u rd en , legen w ir das H a u p tg ew ich t darauf, daß der S to ff im In teressen k reis der A rbeiter lieg t, d a m it sie v o n vornherein B e- rührungs- u n d A n k n ü p fu n gsp u n k te für die D e b a tte fin d en können.

Z u d iesen G ebieten geh örten V orträge ü b e r : C arlyle u n d die A r b e it;

die h y g ien isch en M indestanforderungen a n die B esch a ffen h eit v o n A rb eiterw oh n u n gen ; der m oderne A rbeiter u nd der G o ttes­

b egriff; C hristus und die soziale F rage; M eunier u n d die k ü n st­

lerisch e D a rstellu n g der A rbeit.

N u n w ollen wir unser T ä tig k e itsg eb iet n ic h t au f solche S to ffe beschränken, die schon je tz t in der In teressen sp h äre der A rbeiter liegen , sondern wir m ü ssen u ns au ch m it solch en P rob lem en b e­

fassen , die in die G edankengänge unserer M itglieder eingereiht w erden s o l l e n . U m es gleich zu sagen, ich k an n m ir garn ich t d en k en , w elch e F ragen für d en den k en d en A rbeiter v o n größerer W ich tig k eit sein können, als die, w elch e sich au f den Z u sam m en ­ h a n g der A rbeiterbew egung m it der W eltan sch au u n g beziehen.

D iese P roblem e h a t der F reiburger P rofessor S c h u l z e - G a e v e r n i t z zu der F r a g e : M a r x o d e r K a n t ? v erd ich tet.

U n d in der T a t, m ir u nd v iele n unserer F reunde aus den versch ie­

d e n ste n S tän d en , insbesondere unseren A rbeiterm itglied ern, ersch ein t es als eine besonders dankbare A ufgabe, m it den A rbeitern dieses G ebiet zu erörtern. A u s d iesem Grunde u nd im Z usam m enhang m it anderen T h em en , die zu ein em Z yk lu s über d e u t s c h e K u l t u r geh örten , w urden v o n Stadtpfarrer J a e g e r, der sich b escheiden einen K a n t f r e u n d , n ich t einen K a n t f o r s c h e r n en n t, in sch lich ter u n d gem ein verstän d lich er W eise, die H a u p tzü g e der K a n tsc h en P h ilosop h ie an zw ei A b en d en besprochen. E in ige M onate darauf fan d d an n gew isserm aß en in A n leh n u n g hieran eine aus drei A b en d en b esteh en d e V ortrags­

reihe sta tt, die dem T hem a „ W eltan sch au u n g u n d A rb eiterb ew e­

g u n g “ g ew id m et w ar. E s sprachen: der soziald em ok ratisch e

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1910 Der Karlsruher Arbeiterdiskussionsklub 69 L an d tagsab geord n ete K o l b (ein früherer Arbeiter) über K a r l M a r x , der k ath olisch e Stadtpfarrer D r. F e u r s t e i n (D onau- eschingen) über ,,B i s c h o f K e t t e i e r u n d L a s s a l l e “ , P rofessor S c h u l z e - G a e v e r n i t z aus F reiburg über K a n t o d e r M a r x . D iese V orträge w urden, w ie wir aus der S ta tistik w issen , jew eils v o n etw a 300— 400 P ersonen, darunter die H ä lfte aus d em eigen tlich en A rb eiterstan d e, besu ch t. N a ch den V or­

trägen fan d ste ts eine bis gegen M itternacht w ährende D is­

k u ssion s ta tt, die sä m tlich e A nw esen d en m it der gesp an n testen A u fm erk sam k eit verfolgten .

Ich b in n u n w eit d a v o n en tfern t, b eh au p ten zu w ollen, daß jeder A rbeiter jed es W ort an diesen A b en d en verstan d en h at.

A u ch anderen H örern w ird w o h l m anches unklar geb lieb en sein.

A ber die allerm eisten der zahlreichen V ortragsbesucher w erden un gem ein v ie l gelern t u nd w ertv o lle A nregungen gefu n d en haben.

D a m it is t der Z w eck unserer V eran staltu n g durchaus erfü llt worden.

A ber gerade diese V orträge, die in das G ebiet der W eltan sch au ­ un g hineinragen, veru rsach ten die h erb ste K ritik . E s is t ohne w eiteres klar, daß die Z entrum spresse v o n A n fan g an gegen unseren K lu b m it seiner D isk u ssion sfreih eit auch gegenüber P roblem en der R eligion u nd W eltan sch au u n g F ro n t m achen m u ß te. „ K a th o ­ lische A rbeiter brauchen in religiösen F ragen keine B eleh ru n g vo n p ro testa n tisch en G eistlich en !“ D a s ist ein offen u nd ehrlich ver­

treten er S ta n d p u n k t, den ich versteh en kann, w en n gleich ich ihn n ich t b illige; es is t der S tan d p u n k t der O rthodoxie, die w ill, daß die A nhänger ihrer P artei n ich ts anderes zu hören bekom m en, als das, w as sie selb st p red igt. Solcher S tren ggläu b igk eit b egegn et m an n ich t nur im Zentrum , sondern auch son st v ie lfa c h ; wir w erden d a v o n n och zu reden haben. W enn also das K arlsruher Z entrum s­

b la tt sch on im voraus d avon überzeugt war, daß durch unseren V ortragszyk lu s über: A rbeiterbew egung u nd W eltan sch au u n g n ich ts erzielt w erden kann, als daß der A rbeiter sich die W orte des Schülers im F a u st s a g t : „Mir w ird v o n alled em so d u m m “ usw ., so w eiß m an eb en , daß d ieses U rteil durch die p olitisch en A n­

sch au u n gen jener Z eitu n g hervorgerufen w urde; m an w ird es daher n ic h t als o b jek tiv b etrach ten können.

M erkw ürdigerw eise h a t aber au ch ein sozialdem okratischer

Führer in den in R ed e steh en d en D e b a tte n dargelegt, daß diese

p h ilosop h isch en V orträge nur verw irrend auf die A rbeiter w irken

k ön n en , w en n n ach d em V ortrage ein es S ozialdem okraten ein

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70 Fischer Heft 3 Pfarrer zu W orte k äm e. U n d erst kürzlich w urde in unserer G eneralversam m lung v o n einer D a m e m itg e te ilt, ein junger A rbeiter h ab e ihr g e sa g t, er k ön n e n ic h t im K lu b bleiben, den n er sei n ach den D e b a tte n , in d en en die versch ied en artigsten A n sich ten zu tage treten , so au fgeregt u n d verw irrt, daß er n ic h t sch lafen könne.

N u n , hierzu h a b e ich folgen d es zu erw id ern : D er erw äh n te S ozial­

d em ok rat, d em durch die D arlegu n gen des n ach ih m zu m W ort g ela n g ten Pfarrers der W in d aus den S egeln gen om m en war, b efan d sich in einer b egreiflich en E rregung; au s dieser S tim m u n g heraus h a t er, der so n st geg en unsere B estreb u n gen sehr freundlich g esin n t ist, w oh l die Ä ußerung g eta n , der K lu b rufe Verw irrung in d en K ö p fen der A rbeiter hervor. A ber lassen w ir d i e s e n R ed n er b eiseite; es g ib t ohne Z w eifel au ch in d en R eih en der S oziald em ok ratie jene O rthodoxie, die, u m w ieder aus F a u s t zu zitieren , w ill, daß m an nur ein en h ö rt u n d au f dieses M eisters W orte sch w ört. N a tü rlich w erden w ir u n s v o n ein em U r te il der r o t e n O rthodoxie so w en ig b eein flu ssen lassen , w ie v o n dem der sch w a rzen ; ein U rteil h a t für u ns nur W ert, w en n es oh n e V or­

e in gen om m en h eit g efä llt wird.

E s k o m m t aber n och h in zu , daß die p o litisch en u n d gew erk­

sch aftlich en A rbeiterführer durchaus n ic h t m aß geb en d sin d für die A u fn ah m efäh igk eit der A rbeiter, w en n es sich u m F ragen h a n ­ d elt, die außerhalb der P o litik u n d der G ew erk sch aftsau fgab en liegen . W oh l ste h e n an der S p itze der p o litisch en u nd gew erk­

sch a ftlich en O rganisationen tü c h tig e M änner; aber aus ihrer B e ­ g ab u n g für d ie p o litisch e u n d gew erk sch aftlich e T ä tig k e it kann m an n och kein en Schluß zieh en a u f ihre B efä h ig u n g gegen ü b er F ragen der W eltan sch au u n g, der K u n st, der K u ltu r im allgem einen.

W ir sehen au ch in d en bürgerlichen K reisen sehr o ft, daß die p o litisch en Führer bar jeglich en In teresses gegen ü b er P roblem en sind, die v o n der P o litik en tfern t h egen. E s soll h ierm it k ein V or­

w urf a u sged rü ck t sein ; den n es is t oh n e w eiteres zu begreifen, daß jem an d , der sich m it ein em G egen stan d überaus ein geh en d b efaß t, w eder Z eit n och S inn für andere S to ffe übrig b eh a lten kann.

Ic h k a n n te ein en hervorragenden A n a to m en , für d en w ar M usik

jeder A r t ein G reuel, ich kenne ein en n a tion alök on om isch en H o ch ­

schullehrer, der in k ein T h eater zu bringen ist. E s k an n daher

g a m ic h t verw undern, daß die p o litisch en F ührer insbesondere

aus d em A rb eiterstan d e ihre In teressen beschränken. A ber diese

M änner so llten d ann auch n ic h t über die g eistig e A u fn ah m e­

(11)

1910 Der Karlsruher Arbeiterdiskussionsklub 71 fä h ig k eit der A rbeiter sch lech th in U rteile fällen, die als m aß­

geb en d zu b etra ch ten w ären. W ie in den bürgerlichen K reisen, so g ib t es au ch in der A rb eitersch aft viele K räfte, die sich für die P o litik sehr w en ig eign en , sich aber als um so b efäh igter für die B esch ä ftig u n g m it k ü n stlerisch en , literarischen, w issen sch aftlich en , religiösen, k u ltu rellen F ragen erw eisen. D iese M änner stellen den M aßstab dafür dar, ob ein V ortragsstoff für A rbeiter passen d is t oder n ich t. D er A g ita to r, der die R eichsfinanzreform , die K o lo n ia l­

p o litik u n d andere schw ierige p o litisch e F ragen m it spielender L eich tig k eit in einer A rb eiterversam m lu n g b eh an d elt, h ä lt m anches T h em a aus irgend ein em G eb iet der K u ltu r für zu schw er verstän d ­ lich für die A rbeiter, w eil es gerade für i h n k ein besonderes In ter­

esse h a t. G ew iß so ll m an bei der A u sw ah l der V ortragsstoffe das en tsch eid en d e W ort die A rbeiter sprechen lassen ; jedoch es m üssen A rbeiter sein, die m ehr als das e in seitig e In teresse für die P o litik b esitzen . A ber natü rlich w ill ich m it m ein en D arlegungen n ich t etw a die B ed eu tu n g der p o litisch en A rb eit in A brede stellen . Ich geh e sogar so w eit, daß ich es als erste P flic h t für jeden, ganz besonders für jed en A rbeiter h a lte, sich p o litisch zu organisieren;

u nd der T ä tig k eit der p o litisch en Führer, es h an d le sich um eine R ich tu n g , w elch e nur im m er, zolle ich die v o llste A nerkennung;

aber der P olitik er is t k ein R ich ter a u f den a b seits der P o litik liegen d en G ebieten.

N u n n och ein paar W orte über den ju n gen A rbeiter, der oben erw ähnt w urde. Ich glau b e es gern, daß ein junger M ensch, der so versch ied en artige A n sch au u n gen an ein em u nd d em selben A b en d ken n en lernt, in E rregung v e r setzt u nd v ielleich t um seine N ach tru h e geb rach t w ird. So is t es u ns A kadem ikern, als w ir noch ju n g w aren, au ch ergangen. M an h ört oder liest p lö tzlich einen G edanken, der garn ich t in die bisherige V orstellu n gsw elt hin ein ­ p a ß t, u n d der uns n ic h t zur R u h e kom m en lä ß t. G ott sei D an k , daß es solche G edanken gab u nd im m er w ieder aufs neue g ib t.

U n d es is t au ch g u t, daß in unserem K lu b die A rbeiter au fgerü ttelt w erden, d a m it sie fortw ährend ihre A n sich ten einer R ev isio n u n terzieh en u nd sie ändern, w o es n ö tig ist. W er nach R u h e ver­

la n g t, geh ört n ic h t in unseren D isk u ssion sk lu b , der k ein geistiger

K irch h of ist, sondern ein K a m p fp la tz, w o der la u t gew ordene

G edanke die ein zige W affe ist, w o m an ritterlich k äm p ft u nd w o

sich die G egner fördern w ollen u n d n ach d em h eftig sten G efecht

die H än d e reichen.

(12)

72 Fischer Heft 3 Zum Sch lü sse w ill ich n och ein ige der k ritisch en A usführungen erörtern, d ie in der ein gan gs erw äh n ten L a n d ta g ssitzu n g v o n G eheim rat B ü r k 1 i n zur Sprache geb rach t w urden, un d die au ch kürzlich in ein em d iesem K ritik er n ah esteh en d en K arlsruher B la tt zu lesen w aren. D er K lu b erzeuge H alb b ild u n g, d ie den C harakter verd erb e; d em A rbeiter w erde der „ G la u b e“ durch religiöse D isk u ssio n en g en om m en ; er bilde sich ein , w en n er p h ilo ­ sop h isch e V orträge höre, über solch e D in g e m itred en zu kön n en ; er verliere d an n die F reu d e an der w erk tätigen A rbeit, für die er sich zu g u t d ü n k en m uß.

W as d en V orw urf „ H a lb b ild u n g “ an lan gt, so tr ifft er a u f jede V olk sb ild u n gsarb eit zu, ja w oh l auf jed e B ild u n gsarb eit überhaupt.

W ie v ie le L eu te g ib t es w ohl, v o n d en en m an sagen kann, sie b e­

sitzen ein e v o l l e B ild u n g ? W en n es sich u m A rbeiterbildung h a n d elt, so is t sch lech terd in gs n ich ts anderes m öglich , als daß m an A nregungen zu w eiteren S tu d ien b ie te t u n d E in b lick e g e­

w äh rt in ein bisher versch lossen es G ebiet. W er v o n den G eb ild eten m ö ch te n ich t gern einm al, w en n auch nur für kurze Z eit in R o m oder in Paris oder L on d on oder Jeru salem oder N ew -Y o rk g ew eilt haben. K en n tn isse, w irkliches, v o lles W issen w ird m an sich bei kurzen B esu ch en dieser K u ltu rzen tren n ich t an eign en können.

A ber w er w o llte darum v erzich ten , ein m al ein en B lick in die S ch ä tze u n d S eh en sw ü rd igk eiten dieser S tä d te zu w erfen, w en n sich ih m die G elegen h eit hierfür b ie te t ? W ir in u nserem K lu b w issen sehr w oh l, daß w ir die A rbeiter n ic h t dazu bringen w erden, ein E x a m e n in irgend ein em F ach e der W issen sch a ft ab zu legen ; aber wir w ollen ih n en jen en E in b lick in die E rru n gen sch aften der K ultur, in sb eson d ere der d eu tsch en K u ltu r v e r sc h a ffe n ; w ir w ollen dies, w eil wir m einen, au f d iese A rt d em A rbeiter w ieder die ih m en tw ich en e F reu d e am V aterlan d e zurückzubringen.

„ D em A rbeiter w ird der , G lau b e1 durch religiöse D isk u ssio n s­

ab en d e g en o m m en .“ W er solche B eh a u p tu n g en a u fstellt, sp rich t w ie ein B lin d er v o n der F arbe. Jed er K en n er v o n der P sy ch e der m odernen A rbeiter w eiß, daß in d iesen K reisen sehr w en ig v o n dem , w as der K ritiker „ G la u b en “ n en n t, vorh an d en ist.

W oh l h ab en d ie A rbeiter ein felsen festes V ertrauen auf die „M acht des G u ten “ , v o n der sie hoffen, daß sie ihren K indern und K in d es­

kindern ein besseres Schicksal, als es ih n en selb st v erg ö n n t ist,

b esch eid en w ird; in dieser sch ön en H offn u n g sin d sie zu allen

Opfern bereit. A ber der K irch en glau b e is t ih n en ab h an d en g e­

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1910 Der Karlsruher Arbeiterdiskussionsklub 73 k o m m en . W eil sie in den V ertretern der K irche m it m ehr oder

■weniger R e c h t F ein d e der A rbeiterklasse erblicken, desw egen w e n d en sie, die voller G ottvertrau en sind, sich v o n den „D ienern G o tte s“ ab, u nd sie m ein en v ielfa ch auch, daß in ihrem H erzen die R e lig io n erloschen sei. A ber K irch en tu m und R eligion is t zweierlei.

E s g ilt, d en A rbeitern zu zeigen , daß zw ischen der R eligion und d em R in g en der A rb eitersch aft um bessere L ebensbedingun gen k e in G egensatz b e steh t, daß die Lehre des Z im m erm annssohnes v o n N a za reth m it d en G edanken der aufstrebenden A rbeiterschaft im E in k la n g zu bringen ist, daß auch durchaus n ich t alle Pfarrer F e in d e der A rb eiterorgan isation en sind, daß die K irche w andlungs- u n d en tw ick lu n gsfäh ig ist, u nd daß gerade die m odernen A rbeiter d azu b eitragen k ön n en , sie in ihrem S inne a u szu gestalten . V on so lch en F ragen w ar bei uns v iel die R ed e, u nd gar m ancher A rbeiter w ird w oh l je tz t über das W esen der R eligion , über d en G lauben, über die T ä tig k e it der Pfarrer un d über die A u fgab en der K irche ein e andere A u ffassu n g gew on n en hab en , als er es jem als für m ög­

lic h g eh a lten h at. U n d m it solchen V eran staltu n gen sollen w ir einem A rb eiter d en G lauben gerau b t h a b en ?

D aß jem als ein A rbeiterbesucher unserer V ortragsabende sich e in g eb ild et h ab en w ürde, w en n er ein en E in b lick in irgend ein W issen sg eb iet erlan gt h ab e, n un darüber „ m itre d en “ zu k ön n en , u n d daß er durch d iesen v o n uns erzeu gten D ü n k el u n lu stig zu sein er A rb eit gew orden w äre, w ie der g en an n te K ritiker, dessen U rteil au f e i g e n e S ach k en n tn is jed en falls n ich t g e s tü tz t ist, b e h a u p te t, w iderspricht durchaus allen unseren E rfahrungen.

Z u n äch st sei w ieder b eto n t, daß solch e unbew eisbare B eh au p tu n gen , w ie sie in jen en V orw ürfen liegen, jeder V olk sb ild u n gsarb eit e n t­

g e g en g eh a lten w erden können. W arum erh eb t m an diese A n ­ k la g en d enn nur g egen uns ? E tw a w eil w ir die A ussprache p flegen ? N u n , die D isk u ssion is t ja gerade das b este M ittel, u m dem D ü n k el en tgegen zu w irk en . In der D e b a tte k ön n en F ragen g e ste llt und E in w ä n d e erhoben w erden. D u rch die B ea n tw o rtu n g der F ragen kann die B eh an d lu n g des G egen stan d es nur v e r tie ft w erden.

B r in g t aber ein A rbeiter ein en E in w a n d vor, dem keine B e ­ rech tigu n g zu k o m m t, so h a t der V ortragende oder ein son stiger T eiln eh m er G elegenheit, d ie irrtüm liche A n sch au u n g des O ppo­

n en ten rich tig zu stellen . F e h lt die M öglichkeit der A ussprache,

so b ild e t sich v ie lleic h t m ancher ein, er h ä tte dem V ortragenden

ein e n w esen tlich en Irrtu m n ach w eisen können, aber m an habe

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74 Fischer Heft 3 ih m k ein e G elegen h eit hierfür g eb o ten . A lso gerade durch d ie D isk u ssio n k an n ein e tw a auf treten d er D ü n k el b e se itig t w erden.

N iem a ls h ab e ich v o n ein em der zahlreichen A rbeiter, die u n sere V orträge b esu ch en , vern om m en , daß er sich für zu g u t h a lte , sein ih m b esch ied en es T agew erk zu verrich ten , u n d daß gar e in e solche M einung durch die T eiln ah m e an unseren V era n sta ltu n g en erzeu gt w orden sei. W ir unsererseits un terlassen k ein e G eleg en h eit darauf h in zu w eisen , daß w ir die H a n d a rb eit eb en so schätzen,, w ie die g eistig e T ä tig k eit. U n d gerade durch d en fre u n d sch a ft­

lich en U m g a n g , d en w ir m it A rbeitern p flegen , b ew eisen w ir ihnen ja , daß w ir an jed em M enschen die P ersö n lich k eit w ürdigen, oh n e d an ach zu fragen, durch w elch e A rb eit er seinen U n terh a lt v e r d ie n t, w en n die A rb eit nur ehrlich ist. J a , die A rbeiter in u nserem K lu b w issen oder fü h len sehr w ohl, daß w ir den L oh n arb eiter g an z besonders h och b ew erten, w eil er für ein en b esch eid en en L oh n schw er arb eiten m uß, aber d ennoch sich einen frohen, frisch en G eist bew ah rt h a t, u m an allen S ch ä tzen der K u ltu r n ach M öglich­

k e it teilzu n eh m en . D urch eine solche K lu b tä tig k e it soll U n lu st zur H an d arb eit erzeu gt w erden können ? Ich ken n e A u ssprüche v o n einer R eih e v o n A rbeitern, daß sie durch m anche K lu b veran ­ sta ltu n g en A rbeitsfreude für W och en u nd M onate gew on n en h ab en , daß sie durch n ich ts d a v o n ab gelen k t w erden kön n en , an den D ien sta g a b en d en sich im K lu b ein zu fin d en , u n d daß m ancher sch on lä n g st sein en W oh n sitz g ew ech selt h ä tte , w en n ih n der K lu b n ic h t festh ie lte.

N u n m öch te ich n och m it w en igen W orten au f die neb en den V ortrags V eranstaltungen a n gew an d ten M ittel zur E rreichung d es K lu b ziels ein geh en . W ir w eisen s te ts zur V orbereitung für die K lu b v o rträ g e au f geeig n ete L ek tü re h in ; in u nserem K lu b b etreib en wir ein en B u ch h an d el m it ged iegen en , aber v o lk stü m lich g eh a lten en u n d b illigen S chriften, natü rlich u n ter strenger W ahrung d es N eu tra litä tsp rin zip s. D iese B ü ch er u nd H e fte h egen bei d en V er­

a n sta ltu n g en auf, u n d jew eils w ird die L iteratur, die sich zu m

V orstu d iu m vor den V orträgen besonders eign et, v o n F a ch leu ten

a u sg esu ch t u n d em p foh len ; gew öh n lich k ön n en die B esu ch er v o n

V era n sta ltu n g en sch on für w en ige P fen n ige eine orientierende

S ch rift im K lu b se lb st erstehen. So h ab en also au ch die A rbeiter

G elegen h eit, sich auf die V orträge u n d D e b a tte n vorzu b ereiten .

Z ugleich lie g t in d iesem b uchhänd lerischen B etrieb eine zw eck ­

m äßige W affe gegen die S chundliteratur. U n d hier m öch te ich

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1910 Der Karlsruher Arbeiterdiskussionsklnb 75 n o c h erw ähnen, daß der K lu b m it seinem B u ch h an d el sich n ich t nur an die K lu b b esu ch er w en d et, sondern auch an F ern ersteh en d e;

a u f der zw eim al jährlich sta ttfin d en d en M esse rich tet der K lu b , n a ch A rt der Jah rm ark tsb u d en , eine V erkaufsstelle ein , in der er g u te , b illige B ü ch er u n d B ild er feilh ält. D er V erkauf auf der M esse h a t zw ar jew eils m it ein em k leinen D efizit für den K lu b ge­

sch lossen ; in d essen , der m oralische E rfolg, der in dem großen A b ­ s a tz v o n trefflich en S ch riften u nd ged iegen en K u n stb lä ttern sich k u n d g ib t, is t so zufried en stellen d u nd h a t uns v on allen S eiten so v ie l A nerkennung erw orben (selb st die G ym nasialdirektoren ließ en die Schüler ihrer K la ssen auf unsere B ücher- und B ilder- B u d e aufm erksam m achen), daß unser V ersuch nu n zu einer stä n ­ d ig en E in rich tu n g gew orden ist.

Zum Schluß sei n och b e to n t, daß w ir zu m Zw eck der A nbah n u n g freu n d sch aftlich er B ezieh u n gen zw isch en d en sozial v ersch ied en ­ a rtig en S ch ich ten auch gesellige Z u sam m en k ü n fte, A usflüge, F a m ilien a b en d e, ferner K on zerte, R ez ita tio n e n u n d h u m oristisch e A b en d e v era n sta lten . G erade bei S paziergängen u n d A u sflü gen is t G elegen h eit gegeb en , sich einander zu nähern, bisw eilen m ehr n o ch als bei d en V ortrags Veranstaltungen; u nd hier tritt, u n d zw ar g a n z u n au ffällig, die erzieherische W irkung des U m g a n g s, des p ersönlichen V erkehrs zu tage, eines L eh rm ittels v o n u n sch ä tz­

barem W erte. B ei K on zerten , lu stig en A b en d en u sw . sin d w ir n atü rlich ste ts darauf b ed ach t, nur g u te K u n st zu b ieten und lä u ter n d au f d en G eschm ack der A rbeiter einzuw irken. W oh l darf der R ah m en d es v olk stü m lich en , bei den lu stig en A b en d en in s­

beson d ere d es H eiteren u n d F röh lich en n ic h t verlassen w erden, ab er d en n och b rau ch t m an die Grenze der G ed iegen h eit u nd der S c h ö n h e it n ic h t zu überschreiten. Im G egensatz zu d en A b ­ g esch m a ck th eite n , die m an v ielfa ch bei F e stlich k eiten in A rbeiter­

verein en fin d et, k önnen unsere D arb ietu n gen ste ts jeder ern sth aften K r itik sta n d h a lten ; freilich fin d en vorläu fig die künstlerischen V orträge n ic h t im m er den B eifa ll a l l e r A rbeiter; aber w ir sehen u n sere A u fgab e n ic h t darin, d en W ü n sch en der in künstlerischer H in s ic h t w en ig erzogenen A rbeiter zu gen ü gen , sondern darin, ih n e n zu zeigen, w as g u t ist, w as ih n en gefallen sollte, u nd w as sie d a n n m it der Z eit au ch ta tsä ch lich an sp rich t, w en n sie sich all­

m ä h lic h zu ein em geläu terteren G eschm ack durchgerungen haben.

So m ein e ich nun, ein d em zur V erfügung steh en d en R au m e n t­

sp rech en d zusam m en ged rän gtes, aber h o ffen tlich als anschaulich

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76 Förster Heft 3 em p fu n d en es B ild v o n unserer K lu b tä tig k e it g ezeich n et zu h ab en . M an w ird erk an n t h ab en , daß w ir uns auf d em rich tigen W eg e zu unserem Z iele, der w ahren, um fassen d en V olk sb ild u n g u n d d em so zia len A u sgleich befin d en , w en n wir auch, w ie w ir selb st es n u r zu g u t w issen , v o n d em Id ea le n och sehr w e it e n tfern t sind. A b er sch on a llein das B ew u ß tsein , daß es vorw ärts u nd au fw ärts g eh t, sp orn t u n s zu im m er w eiterer T ä tig k eit an, u nd gerade der E ifer der A rb eiterm itglied er ru ft im m er aufs neue unsere A rb eitsfreu d ig­

k e it trotz aller A ngriffe hervor. U n d w ir h ab en die G en u gtu u n g, zu seh en , daß in B a d e n -B a d en vor ein igen M onaten ein e O rgan isation g an z n a ch unserem V orbilde gegrü n d et w urde u n d eb en fa lls u n erw artet großen Z uspruch bei allen K reisen der B ev ö lk eru n g fin d e t. So b lick en w ir v o ll H offn u n g in die Z u k u n ft, in d em w ir an n eh m en , daß die K lu b tä tig k e it in K arlsruhe zu im m er sch ön erer E n tfa ltu n g gela n g t, u n d daß au ch n och in v ielen anderen S tä d te n der K lu b g ed a n k e erfaßt u n d verw irk lich t w erden w ird.

E R Z IE H U N G ZUM STAATSBÜRGER

N a ch ein em R efera t am 2. D isk u ssio n s-A b en d der C. G. am 22. O ktober 1909.

er R u f ,,E r z i e h u n g z u m S t a a t s b ü r g e r “ w ird im m er lau ter erhoben. S eltsa m , daß er so s p ä t ersch allt; w en n n ic h t vorher, so h ä tte er se it 1871 die L osu n g der E rzieh u n g u n d zu gleich d ie E rlö su n g v o n m ancher F esse l, m an ch em V orurteile sein m ü ssen , m it d em w ir uns n och im m er h erum schleppen.

A m selb en A b en d e, w o K e r s c h e n s t e i n e r u nd N^e g e n - b o r n im R eich sta g sg eb ä u d e über die F rage gesprochen h ab en , h ab en w ir sie in der C om enius-G esellschaft erörtert.

„ E r z i e h u n g z u m S t a a t s b ü r g e r “ , „ P o l i t i s i e ­ r u n g d e r J u g e n d “ (Lagarde, T reitsch k e, L am precht),

„ P o l i t i s c h e L e i d e n s c h a f t “ (B ism arck), d a lie g t’s ! A ber w as v ersteh en w ir darunter? E s ist w oh l ein D reifach es.

A lle E rzieh u n g des d eu tsch en M enschen m uß n ic h t nur

d e u t s c h - v ö l k i s c h sein, sondern au ch n e u z e i t l i c h .

D er d eu tsch e K n a b e w ach se n ich t nur zu m V ollm en sch en d eu tsch en

G epräges heran, sondern auch zu m V ollbürger d es R eich es, d em

er an geh ört u n d zu d ienen h a t, n ic h t nur zu m „ Id e a liste n “ — d as

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1910 Erziehung zum Staatsbürger 77 W ort m öch te einem m an ch m al verd äch tig w erden — , sondern auch zu m W irk lich k eitsm en sch en ; n ic h t nur zum Träum er, D en k er u n d D ich ter, sondern auch zu m T aten m en sch en , zum V ollbringer und, w en n n o t, zu m R ich ter.

A lles Ü brige k o m m t an zw eiter S telle und w erde n a m en tlich im G e s c h i c h t s u n t e r r i c h t e untergebracht, der dann freilich sehr zu erw eitern u n d zu v ertiefen w äre. F ü r die S ch u lu n g der D e n k - u n d U r t e i l s k r a f t aber sorgt n ich t nur der U n terrich t in d en N a t u r w i s s e n s c h a f t e n u nd i n der M a t h e m a t i k , sondern stren ge G edanken- u nd sprachliche Z u ch t in säm tlich en F ächern.

Schon vor m ehr als 100 Jah ren , sogar sch on vor d em F reiherrn v o m S t e i n , v erla n g te m an v o n der S chule die E rzieh u n g zum S taatsbürger. In der öden, b an gen Z eit v o n 1815 b is zu d en 60 er Jah ren m u ß te der R u f verh allen ; in dem Z eitalter ,,des beschränk­

ten U n terta n en V erstandes“ brauchte h öch sten s der B ea m te solch e B ild u n g u n d E rziehung. N u n aber sind w ir B ü r g e r d e s n e u e n R e i c h e s , a u sg e sta tte t m it v i e l f a c h e n R e c h t e n u n d F r e i h e i t e n , also au ch m i t v e r a n t w o r t l i c h dafür, d as E rb e der V äter tä g lich zu erw erben, um es zu erh alten . So h a t au ch die Schule alle die ein em Bürger unerläßlichen K en n tn isse m itzu geb en , die S chule jeder A rt u n d m it jed em M ittel.

D iese K en n tn isse im ein zeln en aufzuführen, k an n ich m ir w ohl e r la sse n ; zu sam m en b ilden sie die B ü r g e r k u n d e , ob sie nu n im G esch ich tsu n terrich te oder als besonderes F a ch getrieb en werde.

D ie F u rch t, in die Schule k ön n te d a m it der P a rteig eist hin ein getragen w erden, is t u nbegründet. E s soll nur das T a t ­ s ä c h l i c h e gelehrt w erden, an der H a n d eines L eitfad en s, eines K a tech ism u s für den k ü n ftigen W ehrm ann gegen innere und äußere F ein d e. A ußerdem s te h t d och auch dieser U n terrich t u n ter der A u fsich t der V orgesetzten . U n d sch ließ lich , w o w äre die Gefahr n ich t, daß der Lehrer m it seiner A ufgabe M ißbrauch triebe u nd F rem d es u n d P ersön lich es, allzu P ersönliches h in ein ­ trüge ?

J a , die rechte W ürze w ird jeder U n terrich t nur durch eine leich te B eim isch u n g des P ersön lich en erhalten.

I m übrigen, die B ürgerkunde is t ja sch on h eu te im U n terrich ts­

p lan e vorgeschrieben; w ir verlangen n ich ts N eu es. Ob sie freilich

auch überall zu ihrem R ech te kom m e, ob m an am E n d e des Jah res

für sie n och „Z eit h a b e“ , das is t die F rage.

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78 F örster, Erziehung zum Staatsbürger Heft 3 A u ch a u f der H o c h s c h u l e so llte dieser staatsb ü rgerlich e U n ter ric h t n och w eiterg eh en un d ein en w ich tig en B esta n d te il der P rü fu n g b ild en . U n d au ch im H eere m öge er sein en P la tz finden.

A ber n ic h t nur staatsb ü rgerlich es W i s s e n g ilt e s ; au ch staatsb ü rgerlich e G e s i n n u n g , die durch d ie E rzieh u n g zu erzielen ist. D ie rech te W i l l e n s b i l d u n g , die rech te u n d ech te v a t e r l ä n d i s c h e B e g e i s t e r u n g w ird d u rch L ehre u n d Z ucht, m ehr n och durch das vorb ild lich e B e isp ie l er­

zielt. S olch e B eisp iele sind die H eld en der V ergan gen h eit u nd G egenw art, die in das helle L ich t zu rücken sind, deren V erehrung ein g ep fla n zt w ird, frei v o n allem B y za n tin ism u s, aller V erh im m e­

lung, stren g n a ch der W ahrheit, deren S c h a tten das L eu ch ten d e nur n och m ehr hervorheben.

E in solch es B eisp iel m uß aber auch d e r L e h r e r s e l b s t sein , n ic h t nur ab un d zu, w en n er in der S tim m u n g ist, ein m a l zu g lä n zen , w ie g ew isse „ I n te lle k tu e lle “ , sondern durch e i f r i g e d a u e r n d e e r n s t e E r f ü l l u n g a l l e r s e i n e r s t a a t s b ü r g e r l i c h e n R e c h t e u n d P f l i c h t e n . V o r l e b e n , n i c h t n u r v o r s c h r e i b e n !

E in e solch e rech te K en n tn is, verb u n d en m it rechter G esin n u n g, w ird au ch die b este S ch u tzw eh r sein geg en das sch au erlich e K a n n e g i e ß e r n , das d em S n obism us zur S eite t r i t t : über G ew öhnliches in gew öh n lich er A rt sprechen u n d d a m it sich gen ü gen lassen ! O hne d ie rech te, staatsb ü rgerlich e E rzieh u n g erw achsen uns im m er v o n n euem jen e ,osores‘ u n d ,irrisores“ , d en en das ,pereat* d es ,gau d eam u s‘ m it R e c h t g ilt: Ä ußerlich p o litisch e M enschen, innerlich gan z u n p o litisch v era n la g t un d a u sg eb ild et, oh n e g en ü gen d es W issen, ohne k räftigen W illen, ohne B eg eisteru n g u n d H in g a b e; der Spielball für jed en gesch ick ten p o litisch en M ephisto, deren Zahl L egion ist.

E in D r itte s en d lich k an n die Schule für die E rzieh u n g zum

S taatsb ü rger b eitragen ; sie kann den S c h ü l e r s c h o n z u m

S t a a t s b ü r g e r m a c h e n , in d em sie ihm gew isse R e c h t e ,

ein e gew isse S e l b s t v e r w a l t u n g , G e r i c h t s b a r k e i t ,

M i t b e s t i m m u n g e in r ä u m t: „ S o z i a l i s m u s “ im Schul-

b etrieb e ! S ein E h r - , R e c h t s - u nd V e r a n t w o r t l i c h ­

k e i t s g e f ü h l w ird sich dadurch en tw ick eln ; der ,,I d e a 1 i s -

m u s “ u n d d ie graue T h e o r i e w erden in solcher t ä t i g e n

S o r g e u m s i c h u n d d i e D i n g e ihr h eilsam es G egen-

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1910 Keller, Ländliche Heimstätten 79 g e w ic h t erh alten . D o c h es g en ü ge uns, dieses M al d ie b loß e A n ­ regu n g gegeb en zu h ab en ; die F rage bedarf einer besonderen B eh an d lu n g. Prof. D r. P a u l F ö r s t e r .

L Ä N D L IC H E HEIMSTÄTTEN

Von

L u d w i g K e l l e r

e it ein igen J a h rz eh n te n is t in versch ied en en L ändern, b esonders in d en V erein igten S ta a ten , E n g la n d und D eu tsch la n d ein e stark e B ew eg u n g auf E rrichtung län d lich er H e im stä tte n erkennbar. Sie versu ch t in versch ied en artigen F orm en G estaltu n g zu g e­

w in n en , teils in der F orm v o n G a rten städ ten , w ie in L etch w orth in E n g la n d oder in Ilü p p u r b ei K arlsruhe u n d neuerdings in H ellerau bei D resden, teils in der F orm v o n A rb eiter-H eim stä tten , teils au ch in eigenartigen V illen k olon ien u n d neuerdings u n te r E rrich tu n g v o n sogen an n ten H eim stä tten -G e n o ssen sch a ften .

D ie B egründer dieser versch ied en artigen K o lo n ien h ab en zw eifellos in erster L in ie soziale G esich tsp u n k te im A u ge g eh a b t.

E s k an n aber dem sch arfsich tigen B eo b a ch ter n ich t en tgeh en , daß dort, w o d iese K olon ien zur L eb en sfäh igk eit g ela n g t sin d (w ie z. B . die A rb e iter-H eim stä tten der N elson-C om pagnie in L eclair b ew eisen , sow ie die A rbeiterkolonie v o n P u llm a n n in d en V erein igten S taaten ), auch in m oralischer B ezieh u n g ganz a u sgezeich n ete W irkungen erzielt w orden sind. E s h a t sich g ez eig t, daß die dem oralisierenden E in flü sse, die das groß­

stä d tisc h e Z usam m enleben v ielfa ch m it sich bringt, durch die län d lich en W oh n verh ältn isse zu m erheblichen T eil b eseitig t w erden. D ie in n ige B erührung m it der N a tu r, w ie sie die K u ltu r v o n P fla n zen u n d B lu m en u n d der V erkehr m it der T ierw elt m it sich bringt, p fleg t ein en sittig e n d en E in flu ß au f den einzelnen zu haben. V or allen aber h a t das Z usam m enw irken der einzelnen für gem ein sam e A u fgab en , w ie es der L an d b au , u nd ganz b e­

sonders der gen ossen sch aftlich b etriebene, m it sich bringt, einen erzieh en d en E in flu ß auf die ein zeln en . E s k o m m t hinzu, daß d ie b esseren G esu n d h eitsverh ältn isse in der R eg el auch für die C harakterentw ickelung sich gü n stig er erw eisen als in der Groß­

s ta d t. A lle diese erziehlichen W irkungen w ürden eine w eitere

Monatshefte der C. G. für Volkserziehang 1910

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80 Keller Heft 3 S teigeru n g erfahren für d en F a ll, d aß d ie G esa m th eit der in solch en K o lo n ien v erein ig te n B ew oh n er v o n gem ein sa m en höheren G esich tsp u n k ten einer b e stim m te n L eb en sa n sich t getragen u n d v erb u n d en w ären. E s h a n d elt sich also ta tsä ch lic h n ic h t bloß u m soziale, sondern im eig en tlich en S inne au ch u m sozial­

p äd agogisch e V era n sta ltu n g en , u n d der letztere G esich tsp u n k t is t es, der u n s v era n la ß t, an dieser S telle zu n ä ch st ein en B erich t über d en gegen w ärtigen S ta n d dieser B ew egu n g, ihre B e d eu tu n g u n d ihre etw a ig e n A u ssich ten vorzu legen . V orw eg m ö c h ten w ir b em erken, daß die V illen k olon ien , w ie sie als V ororte größerer S tä d te b isher m eisten s v o n größeren A k tie n g esellsch a ften für B o d en v erw ertu n g usw . als E rw erb su n tem eh m u n gen g egrü n d et w ord en sind, hier au sscheiden. O bw ohl auch in diesen U n te r ­ n eh m u n g en der b erech tigte D ran g n ach V erbesserung der W o h n u n gsverh ältn isse zu m A u sdruck k o m m t, so b esitzen sie d och in keiner F orm ein en g em ein n ü tzig en Charakter, au f d en es hier für unsere B etra ch tu n g in erster L in ie an k om m t.

E in e n eu e F orm der ü b lich en V ü len k olon ien is t au f die In itia tiv e d es G roßherzogs v o n H essen , der für d a s W ohlergehen der B e ­ völk eru n g seines L an d es ein reges In teresse zeigt, bei der S ta tio n

S p rendlingen zw isch en F ran k fu rt u n d D a r m sta d t u n ter dem N a m en V illen k olon ie B u ch sch la g in s L eb en gerufen w orden. E s h a t sich eine gem ein n ü tzig e G esellsch aft auf sein e A nregung g eb ild e t, der der G roßherzog aus d em B e sitz seiner D o m ä n en - V erw altu n g ein Terrain v o n 300 000 qm zu m A nkaufspreise v o n 1 M. pro Q uadratm eter u n ter der B ed in g u n g überlassen h a t, daß b e i d en w eiteren V erkäufen der zu bü d en d en P arzellen , sow ie der zu errich ten d en B a u te n jed e S p ek u lation au sgesch lossen sein soll. D ie G esellsch aft h a t es ü bernom m en, die erforderlichen S traßen, P lä tze, A n lagen usw . zu sch affen u n d auch die E in ­ rich tu n g v o n W asserleitu n g u n d B eleu ch tu n g zu übernehm en.

D ie dadurch erw achsenen K o ste n w erden dadurch ged eck t, d aß d ie G esellsch aft den Q uadratm eter b eb au u n gsfäh igen L an d es für 3,10 M. abgibt.

D ie V illen k olon ie soll eine ab gesch lossen e G em einde b ild en m it

eigen em R a th a u s, S chule u n d K irche. E b en so sin d Spiel- u nd

S p ortp lätze, T urnhalle u n d andere der P fleg e der G esu n d h eit

d ien en d e E in rich tu n gen vorgesehen. D ie G rundstücke der

ein zeln en B esitz er sollen n ich t u n ter 1000, aber au ch n ic h t über

2500 qm , also e tw a 10— 25 A r groß sein ; d ie B a u p lä n e bedürfen.

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1910 Ländliche Heimstätten 81 der G enehm igung der großherzoglichen D o m in ialverw altu n g un d dürfen nur Parterre, ein S tock w erk un d einen D a ch sto ck e n t­

h a lten . U n te r 12 000 M. B a u w ert darf k ein E in fam ilien h au s errich tet w e rd en ; ein Z w eifam ilienhaus aber n ich t u n ter 20 000 M. D arn ach k an n m an berechnen, daß ein E in ­ fa m ilien h a u s n e b st innerer E in rich tu n g, E in zäu n u n g und T errain m in d esten s 18 000 M. k o sten w ürde. D iese V illenkolonie b ie te t besonders dadurch g u te A u ssich ten des G edeihens, w eil sie zw ei an derartige A n la g en zu stellen d e H auptforderungen erfü llt, n äm lich die n ic h t a llzu w eite E n tfern u n g v o n einer Groß­

s ta d t (Frankfurt) u n d die N ä h e einer m ittleren , bezw . kleineren S ta d t (D arm stadt). W ir w erden auf die w eiteren V oraussetzungen des E m p orb lü h en s b ei der B esp rech u n g anderer ländlicher H eim ­ s tä tte n n och zurückkom m en.

W ir seh en hier v o n d en A rb eiter-H eim stä tten , w ie sie v o n großen E rw erb sgesellsch aften , z. B . v o n d en K ru p p sch en W erken u n d an so m an ch en anderen Orten in D eu tsch la n d u n d E n g la n d errich tet w orden sind, ab, w eil sie besonderen B ed in g u n g en u n ter­

liegen , die dort, w o solche K o lo n ien n ich t im Z usam m enhang m it einem In d u strieu n tern eh m en steh en , fortfallen . W ir w ollen nur au f d ie gü n stig en W irkungen h inw eisen, d ie au ch diese A r b eiter-H eim stä tten in sozialer u n d eth isch er B ezieh u n g für ihre B ew oh n er g eh a b t haben. E s h a t sich bei ein zeln en dieser K olon ien , z. B . bei der K olon ie v o n P o rt S u n ligh t, h erau sgestellt, daß die verh eirateten F rau en u nd die erw achsenen M ädchen es n ich t m ehr n ö tig haben, in der F ab rik m itzu arb eiten , sondern daß sie durch die In sta n d h a ltu n g des G artens sich einen E rw erb schaffen, der eine E rgänzung des L ohnes der M änner b ie te t.

E s h a t sich ferner gezeigt, daß die K in d ersterb lich k eit d ort fa st gleich N u ll ist, w ährend sie in großen S tä d ten , w ie z. B . in F ran k ­ fu rt n och im Jah re 1906 18,6 v . H . b etru g; daß ferner die A rbeiter sich v o n dem A u fen th a lt in den W irtshäusern m ehr u nd m ehr en tw öh n en , u n d daß d ie F reu d e am eigen en B esitz die ganze sittlich e H a ltu n g der M änner u n d der F rau en g ü n stig b eeinflußt.

E in en n eu en V ersuch, län d lich e H e im stä tte n zu begründen, h a t neuerdings der im Jah re 1906 g eb ild ete „V erein zur B e ­ grü n d u n g ländlicher H e im stä tte n , e. V ., Z entrale F ran k fu rt“

dadurch g em ach t, daß er das P rin zip der G enossenschaft, w ie es das G esetz für eingetragene G en ossen sch aften m it beschränkter H a ftp flic h t an die H a n d g ib t, sein en U n tern eh m u n gen zugrunde

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82 Keller Heft 3 leg t. D ieser V erein is t im B egriff, im N eck a rta l ein e erste d er­

artige H eim stä tten -G e n o ssen sch a ft au f G rund neuer P rin zip ien zu begründen. A n der S p itze d es V ereins steh en als erster V or­

sitzen d er der A rch itek t H ein rich W erner in E ß lin g en u n d als zw eiter V orsitzender H err Ö konom W alth er v o n G y z ic k y in S tu ttg a r t. D ie M itglieder der G en ossen sch aft zerfallen in drei G r u p p en :

a) D iejen igen , w elch e selb st die H e im stä tte n b ezieh en u n d d a s L a n d b eb au en w ollen.

b) D iejen igen , die nur ein Som m erhaus a u f der H e im stä tte erw erben w ollen , u n d

c) D iejen igen , w elch e nur zur U n te rstü tzu n g der Sach e A n te il­

sch ein e der G en ossen sch aft zeichnen.

D ie G en ossen sch aft b ea b sic h tig t, zu n ä ch st 140 A n teile zu je 300 M. au szu geb en , die m it 4 v . H . verzinsbar sein sollen. M it d em E rlös v o n 42 000 M. b e a b sich tig t die G en ossen sch aft ein a u sg ew ä h ltes G elände n ich t zu w eit v o n einer G roß stad t un d tu n lic h st n ah e bei einer kleineren S ta d t im U m fa n g v o n dreißig M orgen zu erw erben, in d em sie h o fft, den M orgen zu m Preise v o n rund 1000 M. zu erhalten. U m d en v o m G esetz v o r­

geschriebenen R eservefon d s zu sch affen , sow ie u m gen ü gen d es B etrieb sk a p ita l zur V erfügung zu hab en , w ird, w ie d ies üblich ist, ein F o n d s v o n 12 000 M. durch den P reisau fsch lag au f den

G rund u n d B o d en zu b ild en sein.

D ieses A real soll derartig a u fg eteilt w erden, daß d ie P arzellen ein e G röße v o n etw a 15, 24, 30 bis h ö ch sten s 60 A r, also y 2 bis h öch sten s 2 M orgen en th a lte n . A u f d iese W eise w ürden sich e tw a 30 bis 35 solcher ländlicher H e im stä tte n au f d em au s­

g egeb en en A real v o n 30 M orgen n ach A b zu g des A reals für

S traß en usw . sch affen lassen. D ie B esitzer dieser H e im stä tte n

w ürden d ie G enossenschaft bilden. M an h a t die A b sich t,

W ohnhäuser v o n d u rch sch n ittlich drei Zim m ern, W ohnküche,

K am m er, Spül- u nd B odenraum , K eller, S tall, V eranda usw .

zu m P reise v o n 4500 M. bis 5000 M. herzustellen, sodaß sich

der G esam tpreis einer H e im stä tte m it W oh n h au s im U m fa n g

v o n ]/2— % M orgen au f e tw a 5000— 6000 M. stellen w ürde. F ü r

solch e G enossen, d ie sich ganz d em G artenbau w id m en w ollen,

is t vorgeseh en , daß sie P arzellen v o n 1% — 1% M orgen erhalten

können. N a tü rlich is t außer diesen M itteln ein B etrieb sk a p ita l

n otw en d ig, daß sich je n ach den K u ltu ren , die der B esitzer auf

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