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Die Zukunft, 6. Juni, Jahrg. XXIX, Bd. 113, Nr 36.

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(1)

X X IX . Jahrg. Berlin, den 4. Juni 1931

Nr. 36

ie u k u n fit

Herausgeber

Maximilian Harden

IN H A LT

Seite

Teilirian . . . . . . 273

Nachdruck verboten

E rscheint jed e n S o nnabend

Preis vierteljährlich 2 2 M k.t das einzelne H eft 2 , 0 0 m u .

&

BERLIN

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E r r i c h tu n g l a u f e n d e r u n d S c h e c k -K o n te n . K o m m is s io n s w e is e r A n - u n d V e r k a u f v o n W a r e n

im In= u n d A u s la n d e .

A k k r e d itiv e u n d A u s z a h lu n g e n f ü r W a r e n b e z ü g e .

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Teilirian

\ T or zehn Ja h re n hat der Ju n g tü rk en au ssch u ß „fü r Einheit

* u n d F ortschritt“ au f dem K ongreß in Saloniki die „voll*

kom m ene O sm anisirung aller türkischen U n terth an en “ be*

schlossen u n d die U eb erzeu gu n g ausgesprochen, d aß dieses Z iel n u r „d urch A nw en d u n g von W affengew alt“ zu erreichen sein w erde. Im Februar 1915 sprach Kriegsm inister u n d Ge*

neralissim usE nver Pascha, nach der R ückkehr von der kauka*

sischen Front, zu dem B ischof von K o n ia : „A us eigener An*

schauung kann ich bezeugen, d a ß die A rm enier auf dem K riegsschauplatz ihre Soldatenpflicht gew issenhaft erfüllen, u n d b itte Sie, der arm enischen N a tio n , deren Ergebenheit an die Kaiserlich O sm anische R egirung ja bek an n t ist, meine Freude u n d D a n k b ark eit zu überm itteln.“ M it noch stärkerem N ach d ru ck lo b t er vor ihrem Patriarchen die A rm enier, „die sich höchst tapfer schlagen“ ; fü g t aber, schon dam als, die D ro h u n g hin zu : „ W e n n sich in den A rm eniercentren auch n u r die allergeringste U n ru h e zeigt, w erde ich m it drako*

nischen M itteln eingreifen.“ U m der bek annten Ergebenheit, gew issenhaften Pflichterfülllung, T ap ferk eit zu lo h n en ? U m die selbe Z eit sagt sein Schwager D jevdet, der W ali von W a n :

„ W ir m üssen hier, wie wirs in A serbeidschan thaten, m it den

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A rm eniern aufräum en.“ M etzelei u n d N otabeinverhaftu ng zw ingt die zw anzigtausend B ew ohner von W a n zum V ersuch der S e lb stv e rte id ig u n g , der w irksam bis in den M aitag des Russeneinzuges fortw ährt. D e r von dem W a li gew ollte u n d provozirte K am pf liefert d en V o rw an d zu „drakonischem E in­

griff“. A u s achtzehn to ten T ü rk en w erden hundertachtzig*

tau sen d ; au f vier N u llen kom m ts ja in so heiligem H andel nicht an. D ie allgem eine V erschleppung u n d A u sro d u n g des A rm eniervolkes w ird beschlossen. U n d im Som m er spricht T alaatB ey , M inister des Inneren, zu einem Beam ten der Kaiser­

lich D eutschen B otschaft: „ W ir T ü rk e n m üssen u n d wollen den W eltk rieg benutzen, um m it unseren inneren Feinden grün dlich aufzuräum en, ohne d urch die D iplom atie des A u s­

landes in dieser nothw en d ig en A rb e it gestört zu w erden.“

A us den ergebenen, gew issenhaften, tapferen U nterthanen sind innere Feinde (nach berliner H o f Sprachgebrauch) ge­

w orden. Seitdem w u rd en vierzehn h un d erttausend A rm enier, M än ner u n d Frauen, K inder u n d G reise, u n ter M artern ge­

m ordet. Im letzten M ärzheft sprach ich hier, nicht zum ersten M al, davon; u n d nannte als den H au p tsch uldig enT alaat Pascha, der zuerst Innenm inister, d ann G ro ß w esir war. In dem Buch

„D ocu m en ts officiels concernantlesm assacresarm eniens“ von A ram A n d o n ia n (Paris, Im prim erie T u rab ian ), dessen Lec- ture ich eben so d rin g en d wie die der zwei W erk e des D o k ­ tors Lepsius („ D e r T odesgang des arm enischen V olkes“ u n d

„D eu tsch lan d u n d A rm enien“ , beide im potsdam er Tem pel- verlag) empfehle, fand ich inzw ischen noch stärkere Beweis­

stücke, als zuv or ans Licht gekom m en w aren. H e rr A ndonian w ar selbst u n ter den im A pril 1915 aus K onstantinopel, ohne V erhör u n d G erichtsspruch, verschleppten arm enischen Intel*

lektuellen, K ünstlern, G elehrten, Priestern, A nw älten, A e rz te n ; er hat zuerst nach T arsos, dann, nach W iederverhaftung, auf den L ibanon zu fliehen verm ocht. U n d ihm ist F u n d u n d V eröffentlichung eines B ündels unw iderlegbarer O riginalde­

peschen zu danken. T alaat hatte als untergeordneter Tele­

graphenbeam ter des Sultans A b d ul H am id eine D epesche aufgefangen, die zeigte, d aß die ju n g tü rk ische V erschw örung entdeckt, n u r durch schleuniges H a n d eln noch zu retten sei;

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T£iliria n 2 7 5

hatte die D epesche unterschlagen, die V erschw örer gew arnt;

u n d war, nach der A bsetzung des Sultans, m it dem Minister*

posten b elo h n t w orden. D a ß er, trotzdem , seine eigenenTele*

gram m e, die ihn als M assenm örder erweisen, nicht vernichten ließ, zeigt, wie sicher, zu H au s u n d in der G u n st m ächtiger Bun*

desgenossen, er sich fühlte. Berlin hätscheltc ih n : er brauchte sein hehres T h u n keinem A u g e zu bergen. Ich m u ß die w ich­

tigsten U rk u n d e n aus A n d o nians B uch übersetzen.

„ D a s Recht der A rm enier, au f dem Reichsgebiet der T ü rk ei zu leben u n d zu arbeiten, w ird hierm it im ganzen U m fang au fgehoben; die R egirung, die d afü r alle Verant*

w ortlichkeit au f sich nim m t, hat befohlen, nicht einm al die K inder in der W iege zu lassen. A usnahm en sind unstatthaft.

A lle, auch Frauen u n d K inder, sogar zu Bew egung unfähige M enschen, m üssen fo rt u n d der Volksm asse d a rf n icht die M öglichkeit gelassen w erden, sie zu schützen. D ieser un#

w issenden M asse gilt die L ebensnothdurft m ehr als das völkische G efü h l u n d sie verm ag deshalb nicht die hohe Poli*

tik zu w ürdigen, die das H a n d e ln d er R egirung bestim m t.

H ä rte , Eilm ärsche, Q uälerei u nterw egs, E lendsbereitung;

alle andersw o m ittelbar angew andten A usrodungw erkzeuge m üssen Sie unm ittelbar, ohne V erzug u n d Pause, anw enden.

D ie zuständigen Beam ten m üssen angew iesen w erden, ohne V erantw ortungscheu alles unserem w ahren Zw eck D ienliche zu th u n .“ (N e u n te r Septem ber 15.) „ W ir h ö ren , d aß ein#

zelne Beamte w egen rauher G ew altth at gegen A rm enier vor K riegsgerichte gestellt w o rd en sind. D as ist zw ar n u r For#

m alität; kann aber den Eifer anderer Beam ten däm pfen. Ich verbiete deshalb jed e W ie d e rh o lu n g solchen V erfahrens.“

„ D e n für die B ehandlung arm enischer M än n er ergangenen V orschriften sind auch Frauen u n d K inder zu unterw erfen u n d zuverlässige Leute zur A u sfü h ru n g zu w ählen. W ir haben schon verkü nd et, daß , au f Befehl desD schem jet(A usschusses für E inheit u n d Fortschritt), die R egirung beschlossen hat, alle au f türkischer E rde lebenden A rm enier m it Stiel u n d Stum pf auszuroden. K ein diesem Befehl u n d B eschluß Wi*

derstrebender kann irgendw ie in der R egirung m itw irken.

O h n e Schonung von Frauen, K indern, K ranken, ohne An*

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Die Zukunft

h ö ru n g der G ew issensstim m e m u ß m an, wie tragisch auch das V ernichtungm ittel sei, dieses V olk bis au f die letzte Spur vertilgen.“ „ W ir hören, d a ß M än n er aus niederem V olk un d Beamte E hen m it arm enischen Frauen schließen. D as w ird hierm it streng verboten. Solche F rauen sind v on ihren M ännern zu trennen u n d in die W ü ste zu verschleppen. E in W aisen*

haus fü r A rm enierkinder ist u n n ö th ig. W ir leben nicht in einer Epoche, w o m an, in G efühlsdu selei, die Z eit an die N a h ru n g solcher K inder, an die V erlängerung solcher Leben vergeuden darf. In die W ü ste m it ihn en 1 W ir erw arten Be*

rieh t.“ (Septem ber.) „W as unterw egs d en A rm eniern von ausschreitendem V olk angethan w orden ist, dien t unserem Zw eck u n d d arf deshalb nicht gerichtlich geah nd et w erden.

D av o n sind die B ehörden in Z o r u n d U rfa in K en ntn iß zu setzen.“ „A n fertigun g u n d E in send u n g der im G eheim befehl vom fünfundzw anzigsten Septem ber bezeichneten D ok um ente b in n en einer W o ch e erforderlich.“ (O k to b er. D ie vornehm en A rm eniern d u rch Schmeichelei u n d D ro h u n g zu erpressen*

d en „ D o k u m e n te “ sollten das G estän d n iß arm enischer Ver*

schw örung gegen den R eichsbestand liefern.) „ W ir hören, d a ß K inder v erbannter A rm enier, nach dem T o d ihrer Eltern, als h ilflo se W aisen von M usulm ansfam ilien an K indes Statt oder als D ie n stb o te n aufgenom m en w orden sind. D iese Kin*

der sind zu suchen, an den O rt der elterlichen V erbannung zu schicken; u n d Sie haben das V olk, au f dem Ihnen dazu geeignet scheinenden W eg , ü b er die U ng ehörigk eit solcher Eingriffe aufzuklären.“ „D ie vom A m erikanischen Botschafter, a u f Befehl seiner R egirung, neulich an uns gerichtete Frage lehrt, d a ß A m erikas K onsuln sich heim lich N achrichten ver*

schaffen. D a unsere A ntw o rt, die A rm enierverschickung voll*

ziehe sich in g u ten Form en u n d ohne Lebensgefahr, nicht als ausreichend gilt, m üssen Sie verhindern, d aß bei der Aus*

treib u n g irgendw ie A uffälliges geschehe. Politisch ist es im A ug en blick v on höchster W ich tig k eit, die d o rt w eilenden Frem den zu überzeugen, d aß die V erschickung nichts Ande*

res als A ufenthaltsw echsel bew irkt. Einstw eilen m u ß drum , zu W a h ru n g des Scheins, Sanftm uth gezeigt u n d die An*

w endung der gebräuchlichen M ittel bis zur A n k u n ft in dazu

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günstiger G eg end aufgeschoben w erden. Personen, die Er*

m ittelungen anstellen oder N achrichten verbreiten, sind, unter irgendw elchem V orw and, den K riegsgerichten auszuliefern.“

{Die „gebräuchlichen M ittel“ sind Folterung,Schändung,H un*

g ertod,M ord.) „ In d e n O stp ro v in z e n ist jeder Ihnen erreichbare A rm enier heim lich zu tö ten.“ (N o v em b er.) „Seit Jah rh u n d ert ten belästigen die A rm enier die T ü rk ei u n d in der letzten Z eit haben sie versucht, das O sm anenreich in B lut zu ertränken.

W e r einen A rm enier schirmt, m uß , u n ter irgendeinem Vor«

w and, als Landesverräther gestraft w erden. D as ist den Beam*

ten zu eröffnen. T rotzdem an die A usw urzelung dieses Stam*

mes der höchste Eifer zu setzen wäre, h ören wir, d aß m an Ar«

m enier an so unsichere O rte schickt, wie Syrien u n d Jerusalem sind. Solche N achsicht ist unverzeihlich. D as N ichts ist der O rt, w ohin R uhestörer dieser Sorte zu schicken sind. D anach ist foitan zu han deln .“ „T elegram m e, in denen A rm enier Klage u n d Beschwerde ü b er Erlittenes an die Behörden richten, m ag man ru h ig annehm en. Erm ittelung u n d U ntersuchung aber wäre u nnützer Z eitverlust. D e n Beschw erdeführern ist einfach zu sagen, sie sollten ihre Rechte nach der A n k u n ft im V erbannungort geltend m achen.“ „Berichterstatter arm e­

nischer Blätter sollen sich briefliche u n d photographische D arstellungen tragischer Ereignisse verschafft u n d sie dem am erikanischen K onsul Ihres Bezirkes anvertraut haben. So gefährliche Leute sind zu verhaften u n d zu beseitigen.“ „W aisen sind n u r aufzunehm en u n d zu verpflegen, w enn von den Schrecken, denen ihre Eltern ausgesetzt w aren, nichts m ehr in ihrem G edäch tn iß haftet. A lle anderen sind m it Karaw anen zurückzuschicken.“ „Frem de Offiziere haben, wie uns be*

richtet w ird, die A rm enierleichen, m it denen die W ege ge#

säum t sind, pho to grap h irt. D rin g en d fordere ich schleunigste E inscharrung; auf der L andstraße d ürfen T o te künftig nicht m ehr liegen.“ (D ezem ber.) „D ie W e ib e r der noch beim Bahn«

bau beschäftigten arm enischen A rb eiter m üssen in die Ver#

bannung. Sie k ö nnen ihnen ja einreden, die M änner käm en nach.“ „ A u f den W eg en zwischen IntillWVi'ran un d A lepo sollen vierzig« bis fünfzigtausend A rm enier, m eist Frauen u n d K inder sein. W e r an den fü r unseren T ru ppennachschub

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w ichtigsten P u n k ten solche E lend sh äufu n g verschuldet, ist m it äuß erster Strenge zu strafen. D ie A rm enier m üssen so­

fort, zu F u ß , ohne A lepo zu berühren, an ihren Verbannung*:

o rt in der W ü ste. Binnen einer W oche erw arte ich, sehr un«*

geduldig, darü b er Bericht.“ „In manche W aisenhäuser wer#

den, wie m an berichtet, noch A rm enierkinder aufgenom m en.

D a der R egirung das Leben dieser K inder schädlich scheint, ist jedes ihnen erw iesene M itleid, jed er Versuch, sie zu er#

nähren u n d am Leben zu erhalten, ein Zeichen von Miß#

achtung des Regirungw illens oder von völliger V erkennung seines w ahren Zieles (d er V o lksausrodung). D ie K inder sind w eder in W aisenhäuser aufzunehm en noch besondere für sie zu schaffen. In einer Z e it, wo T ausende ausgew anderter M usulm anen u n d M artyrerw itw en der N a h ru n g u n d des Schutzes bedürfen, ists ungehörig, G eld für die E rnährung von K indern auszugeben, von denen w ir in Z u k u n ft doch nichts A nderes zu erw arten haben als G efahr. D ie Verbannten#

züge sollen sie m itnehm en. D ie Pfleglinge sind nach Siwas zu schicken.“ (Ja n u a r 1916.) In einzelne Lager u n d Etapen w aren W aisen zugelassen w orden; sie erhielten täglich ein M aisbrötchen u n d einm al in der W o che heiße W assersuppe*

Z u viel. A m siebenten M ärz kam der Befehl: „ U n te r dem V orw and, d a ß die D ep o rtirten b eh ö rd e für sie sorgen werde, sind, auf A n o rd n u n g des Kriegsm inisters (E nver), alle auf#

gelesenen u n d verpflegten A rm enierkinder unauffällig durch die E tap en ko m m and o s aufzugreifen u n d , die ganze Schaar, aus der W e lt zu schaffen. W ir sehen der M eld u n g entgegen.“

Alle diese D epeschen sind von T alaat, dem M inister des Inneren, unterzeichnet. D e r konnte schon am letzten A u g u sttag 15 zu dem Fürsten H ohenlohe»Langenburg, Ver#

treter des D eu tsch en Botschafters, stolz sprechen: „ D ie Ar?

m enierfrage? E xistirt nicht m ehr; sie ist erledigt.“

N o c h w ar sie nicht ganz „erledigt“ . A b er den W alis un d allen U nterbeam ten, bis auf die tiefste Leitersprosse, einge#

schärft: A u sro d ung , völligeV ertilgung dieses ganzen Christen#

volkes ist Pflicht; Sieche, G reise, Säuglinge, Frauen, K rüppel sind nicht zu schonen; A nklage u n d Strafverfahren gegen einen grausam ster A rm en ierm iß h an d lu ng G eziehenen ist al#

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T eilirian 2 7 9

lerhöchstens zu Schein erlaubt, doch d arf ihm kein H aar ge*

zaust w erden; n u r der zager M ilde B eschuldigte verfällt dem Richter, dem H en ker; kein M ittel der Lüge, Urkundenfälsch*

ung, entm enschender M arterun g w erde verschm äht. W b die V erschleppung beschlossen war, w u rd en zuerst die H äuser g eplündert, Frauen u n d Ju n gfrau en geschändet, alle heim«

liehen Besitzes V erdächtigen gefoltert, W iderstrebende, in Be*

schw erde A ufgebäum te verhaftet. D a n n folgte die Verkünd*

ung, d aß W affen gefunden w orden seien, u n d der Befehl, in zwei Tagen oder zwei Stunden sich zum A bm arsch bereit zu halten. M eist w urden unterw egs die M änner von W eib u n d K ind getrennt, m it gefesselten A rm en in die nächste finstere Schlucht getrieben u n d niedergem etzelt. T ü rk in n en brachten den G endarm en W eid en ruth en, die sie geschnitten nnd eine N a c h t lang gew ässert hatten, u n d kreischten: „Schlaget die Schufte, W eib er u n d K inder, tü ch tig ; wir sorgen gern dann für neue R uth en.“ D ie V erschleppten d u rften n u rB ü ndelchen m itn eh m en ; auch Schwangere, aus dem Kranken» oder W ochen*

b ett G erissene. Alles nahe G esindel aus V erbrecherpferchen un d G efängnissen w urde auf den W eg, die Spur der Vertriebe*

nen gehetzt. Im B und m it Polizeisoldaten undBaschi*Bosucks nahm s ihnen, was sie noch hatten; tötete sie m it Schüssen, K nütteln, Sicheln, K olben. D ie U eberlebenden, fast nur Frauen u n d K inder, w erden von geilen B uben m iß b raucht, müssen, halb oder ganz nackt, au f b lo ß en Füßen, durch glühende Steppen ziehen. Ih rh u n g e rt? A us einem Kinderlöffelchen fließt M ehl auf den H andteller. Fressetl Ih r d ü rste t? Saufet E uren U rin oder das B lut Eurer M änner! Z ehntausende th uns;

schlürfen den eklen Saft wie Him m elsm anna. M üde seid Ih r?

D ie Peitsche m acht Euch m untere Beine. So gehts, durch Ver*

w esungstank, G iftfliegengeschw ader u n d Seuchen aller A rt, in die syrische W ü ste. In dem letzten Ju lib ericht von 1916 sagt der D eutsche K onsul R ößler: „A usD er*es»Zor istd e r mensch*

liehe M utessarif nach B agdad versetzt w orden un d hat einen unbarm herzigen N achfolger erhalten. M it Peitsche undK nüp*

pel w erden erschöpfte Frauen u n d K inder von G endarm en geprügelt. D ie A rm enier sind vogelfrei. In M eskene allein liegen fünfundfünfzigtausend begraben.“ D rei Vierteljahre

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zuvor hat, auch aus A lepo, der O b erlehrer D r. N iepage an das berliner A usw ärtige A m t berichtet: „Z ahllose M ädchen, Frauen, K inder w urden vo n W äch tern u n d deren Spieß*

gesellen geschändet, verstüm m elt, getötet. K ranke, Sterbende, T o te liegen, u nter M illionen Fliegen, auf ihrem eigenen Un»

rat; neben der nackten Leiche eines G reises sah ich zwei Kin«!

der ihre N o th d u rft verrichten. Ja, glau b t m an, d aß die mo- ham m edanischen K inder nicht irr w erden, wenn sie im A n ­

gesicht solcher B ilder unsere Lehren h ö re n ? G räßliche Flecke d ro h en hier dem E hrenschilde D eutschlands. Bei der F o rt­

d auer eines M assenm ordens.w ie es die G eschichte w ohl noch nicht erlebt hat, m u ß die deutsche Schularbeit einen nicht w ieder g u t zu m achenden Schaden erleiden.“ D irek to r un d K ollegen von der Realschule bestätigen, d aß diese D arstellung

„in keiner W eise übertreib t; wir athm en hier seit M onaten Leichengeruch u n d leben unter S terbenden“ . In der schmalen H o ffn u n g, einen N o th p fen n ig zu retten , verschlucken auf dem Schreckensweg H ausväter das letzte, dem G esindel ver­

borgene G o ld stü c k , klem m en es, unter Erstickungsgefahr, durch die Speiseröhre, um es heim lich dann aus ihren Ex­

krem enten zu w ühlen. U m der Schändung, durch ganze H o r ­ den gieriger M änner, zu entgehen, springen M ädchen u n d Frauen in den E up h rat oder stürzen sich vom Fels. Flüsse u n d U fer sind m it Leichen bedeckt. A u f dem W eg von M o- sul, dem O elheim , bis nach A lepo sah ein D eutscher Kon»

sul so viele abgehackte K inderhändchen, „ d a ß sie zur Pflaste­

rung der Straße genügt h ä tte n “ . D er schön blühend e Leib einer V ierzehnjährigen war in einer N a c h t von der G ier tü r­

kischer Soldaten so oft besudelt w orden, d aß die A rm e in Irrsinn fiel. A usschreitung untergeordneter O rgane? D ie Be­

fehle T alaats erweisen diesen Schwatz als Lüge. A uch Enver Pascha hat, nicht n u r in A rm eebefehlen, sondern, m it eiser­

ner Stirn, sogar zu dem Legaten des Papstes, gesagt, er w erde nicht ruhen, ehe der letzte A rm enier von der Erde getilgt sei.

‘U n d doch hatte dieses V olk sechs Ja h rh u n d e rte lang fried­

lich u n ter der T ürkenherrschaft gelebt, ih r die tauglichsten Be­

am ten, lange R eihen vorragender G elehrten, berühm te Aerzte u n d R echtskundige, in A sien u n d E uropa die fähigsten K auf­

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T eilirian 281

leute gestellt, g eduldig die von A b d u l H am id über sie ver­

hängten G räuel getragen, dem Ju n g tü rk en au fstan d , als dem M o rg en roth m enschenw ürdiger Freiheit,zugejauchzt,w ährend des W eltkrieges w eder Rebellion noch D esertion bereitet (die unter N ik olai N ikolajew itsch käm pfenden A rm enier, unge­

fähr hundertvierzigtausend, w aren russische U nterthane,nicht türkische) u n d w illig auf jedem Schlachtfeld für den Sultan*

Khalifen sein B lut verspritzt. A b er dieses V olk hatte E uropa von der N o th w en d ig k eit ernster Reform en überzeugt, zu d e­

nen A rtikel 61 des Berliner Friedens die T ü rk ei verpflichtete.

D iesen Frevel rächte A b d ul H am id d urch M assengemetzel.

D ie R eform arbeit w urde nie ernsthaft b eg onnen; un d als, auf imm er neues D rängen Britaniens, D eutschlands, R ußlands, die Jun g tü rk en reg iru n g sich zu A u sfü h ru n g des A bkom m ens entschlossen hatte, das sie zwang, einen holländischen und einen norw egischen G eneralinspektor in A rm enien zu dulden, half der A u sb ru ch des g ro ß en Krieges ihr aus der Zange.

D ie soeben angelangten Inspektoren w urden ersucht, das Land zu verlassen. D ie Bahn war frei u n d T a la a t konnte die Losung ausgeben: „B innen drei M on aten m üssen w ir die A rm enier gründlicher ausroden, als A b d ul H am id in drei Jah ren ver­

m ocht h a t.“ D as 1919 vom T ürkengericht ü ber ihn ge­

sprochene T od esu rth eil stäu p t ihn als den H auptschuldigen.

Im T ro ß der V erschleppten w ar auch die Familie T eilirian aus Ersindschan (im W ilajet Erserum , nah beim westlichen E up h rat). D em Vater, einem Fünfziger, gelingt noch, das Ersparte, ein paarT ausend türkischer G o ld p fu n d , zu vergraben.

D an n gehts, H als ü ber Kopf, m it leichtem G epäck auf den M arterm arsch; u n d das alte Spiel beginnt. U eberfall, Aus*

Plünderung, rohe N iedertrach t jeglicher A rt, Totschlag. D er jüngste Sohn sieht, wie der Vater, die M u tter, ein B ruder erschlagen w erden; u n d sein O h r trin k t ihr letztes Röcheln.

D em zw eiten B ruder hackt ein A xthieb den K op f vom Rum pf.

Zw ei Schwestern, sechzehn- u n d fünfzehnjährige K inder, die oft, vielleicht, im verfallenen T em pel der Artem is gehört hatten, da ß der jungfräulichen Schutzgöttin des alten Eres die N e u ­ verm ählten eine Locke, den vom M ann behutsam gelösten G ü rtel, das M ädchenkleid als O p fer brachten, m üssen den

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Die Zukunft

E indrang der E lternm örder, je zehn bis zwanzig schm utziger, stinkender M änner, in ihren Schoß dulden, Stunden lang vieh*

ischer L ust als G efäß dienen; u n d w erden von Lachenden, Jo h len d en d ann abgeschlachtet. D er Jü n g lin g siehts. N u r er ist, er allein noch aus seinem H ause, am Leben. Ein Schuß trifft das Bein, ein schwerer K nüppel die Schädeldecke. Lange liegt er in B ew ußtseinsnacht u n d ah n t nicht, d aß eine Sonne ging, eine kam. D em Erw achten gestaltet aus den ihm um*

ström enden V erw esungdünsten sich das Bild des G rauses, ehe noch sein A uge, dessen Lid u n d H ö h le von U ngeziefer zerstochen ist, w ieder blickfähig w ard. A us L eichenknäueln un d G liederhügeln ertastet, erräth er die faulenden Bleibsel der sechs nächsten B lutsverw andten. H inw eg 1 A u f hastig um w ickeltem H um pelbein.m itvom Schlag noch dumpf* wirrem K o p f schleppt er sich durchs D u n k e l u n d findet in einem D örfchen d er Berg*Kurden O bdach. Später gelingt dem halb G enesenen heim liche Flucht nach Persien. D o rt rastet er.

Schleicht dann, auf weiten U m w egen, in die T rüm m erstätte von E rsindschan zurück u n d errafft aus dem Schuttberg, zu dem das V aterhaus inzw ischen gew orden ist, die verscharrte Summe. N u n kann er sein Leben fristen. D a ß es je ihm noch Freuden spende, d a rf er nicht hoffen. D o ch er w ill lernen, arbeiten, au f irgendeinem W ege gequälter M enschheit, wärs auch im w inzigsten D ienst, ein H elfer w erden. U eber Serbien gelangt er nach Frankreich; aus Paris nach Berlin.

D es Erdw estens laute Reize schreien m it ungew ohnter W u c h t au f ihn ein. T echnik m acht ihm den tiefsten E indruck;

w irk t in das H irn des O rientchristen wie W u n d e r. In Pro#

testantism us (den, vor achtzig Jahren, britische M issionare in die von R ost fleckige A rm enierkirche tru g en ) w ar der K nabe Teilirian erzogen, der Jü n g lin g dem V ernunftkult näher als die dem K atholikos b lind u n terthanen Jugendgenossen ge#

bracht w orden. T echnik, den k t er, ist Z u k u n ft, Vergessen, neue, von uralter Schlacke gereinigte W elt. T echniker m öchte er w erden. M u ß zunächst also D eu tsch lernen, um dem Kur#

sus der Technischen H ochschule folgen zu können. Eifernd m ü h t er sich drum . F indet V olksgenossen u n d gesellt sich einem in Freundschaft. N iem als sprechen sie von dem in der

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Tei lirian 283

H eim ath Erlebten. U ngeschriebenes, unverkündetes Sitten»

gesetz befiehlt diesen Flüchtlingen, in N a c h t zu tauchen, was war. W o z u der Versuch, U nsägliches in W o rth ü lsen zu pressen?

Blicket auf die Bilder im Buch A ndonians. Diese ausgemer*

gelten K inder, viele m it G reisenköpfen, fast alle m it A ugen, die vom Entsetzen scheu sind, w urden aus W ü stensand u n d Schluchtgeröll aufgelesen. Lum pen um flattern den welken, hageren Leib. D ie (w ider Talaats G e b o t) tü rkisirten K inder sin d aufgepäppelt u n d sorglich in leuchtendes W e iß geklei*

det. Ihr seht die läppisch infam e Posse der V erkündung Hei*

ligen Krieges (im B ündn iß m it u n d au f K osten von verhaßten C hristenstaaten gegen drei islamische G roßm ächte) und die Schaarung geknechteter A rm enier h in ter deutsche Offiziere, die, um A rab erw u th zu stacheln, zwischen die Fahnen der Zollern* u n d H absburgerreiche die M ondsichel O sm ans, dar»

unter din Plakat m it der trau ten Inschrift „ G o tt strafe Eng*

la n d l“ g eh iß t haben. D urch knirschende Zähne gellt des Be*

trachters Lachen. H ie r stehen, kauern, knien armenische Ge*

fangene aus Seitun, denen ang ek ün d et ist, d aß sie nach Ab*

lauf einer Stunde gehenkt oder in Kalk v erbrannt w erden.

D o rt haben A rm enierinnen sich über den Kadaver eines gefallenen Pferdes gew orfen, kauen das verw esende Fleisch, schlürfen das schon gerinnende Blut. Jed er Entkom m ene sah A ehnliches; G rauseres noch. G espräch risse die W u n d e n auf; riefe W ah n sin n herbei. D er Freund trachtet, des Freun*

des T rü bsal zu erhellen; verleitet ih n b ald sogar in Tanz*

lehre. Kann die Seele Teilirians ganz noch genesen? Manch*

m al hofft ers. D o ch im m er w ieder m ähen jähe A nfälle die dün n en H alm e des Höffens. Plötzlich, ü b er den Büchern oder im G ew üh l der S traß e,bläh t Ekelsangst ihm die N ü stern . U m ihn ist w ieder der B lu td u n st u n d F ä u ln iß ru c h der Schreckens*

tage, die Leichenpest w ürgt die Kehle, zitternde Beine weigern den D ienst, H alluzination, schm erzhafte Z w angsvorstellung b in d et die Sinne; u n d der aus langer O hnm acht Erwachende findet schwer sich in die W e lt der W irklichk eit zurück. Psy*

chische Epilepsie: nennts der A rzt. N achtw andel, Traumzu*

stan d, D elirium , S tupor sind des A nfalles Folge. Einer trieb, nach dem Bericht von Legrand d u Saulle, einen pariser Kauf*

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Die Zukunft

m ann w ider W ollen u n d W issen bis nach Bom bay. D ucoste verzeichnet Selbstm orde, deren einzige U rsache solcher A nfall w ar; der russische K liniker H erm an n danach,lange noch, fol- gende unsinnige H an dlu n gen . Professor K raepelin fü h rt in seinem L ehrbuch der Psychiatrie ganze Reihen seltsamer Fälle an. Ein Bauerm ädchen läuft, ohne die B ew egung des M ähens, m it dem es beschäftigt war, zu hem m en, in einen B ach ; wird gerettet u n d versucht beim nächsten A nfall B randstiftung. Ein Städter w ird von dem D ran g gepackt, sich Kaffee zu kochen, un d zün d et sein Bett an. A ndere sehen Schwarze M änner, scharlachrothe Flamm en, w ilde T hiere, B lutbäder, Leichen*

wagen, T eufel; riechen Schwefel, H ö lle n p fu h ld u n st; hören Schlachtgetüm m el, E xplosion, die Posaunen des Jün gsten G e ­ richtes, Stim men, G locken, Rabengekrächz. U nw iderstehlich scheint oft die Sucht, sich selbst zu töten, durchs Fenster aufs D ach zu klettern oder sich in d ieT iefe zu schleudern, der Frau die Kehle zu schlitzen, die K inder in der H enkschlinge zu drosseln. Fast alle K ranke dieser A rt sind ungem ein suggestibel u n d unfähig zu der „freien W illensbestim m ung“ , die unser G esetz noch imm er, ein Bischen lange nach Schopenhauers Entschleierung des W ah n es von W illensfreiheit, als M erkm al strafbarer H a n d lu n g fordert. U n te r dem G algen u n d im si­

birischen T o ten h aus keim te in D ostojew skijs tagscheuer Seele das Epileptikerleid. Ist nöthig, zu suchen, wo es T eilirian er­

w arb ? D es Freundes M ah n u n g bestim m t ihn, den R ath des Professors C assirer, unseres feinsten u n d philosophischsten (scheltet den häßlichen Superlativ nicht) N euro log en, zu er­

b itten. D e r giebt H offnung auf die H eilk raft der Zeit,, saft­

reicher Ju g e n d . U n d das Leben b rau st weiter.

Eines Tages h ö rt der A rm enier im A ußenw esten hinter sich T ürkisch sprechen; u n d w endet, unw illkürlich, den Blick.

D rei H erren. D e r eleganteste, in der M itte, w ird als Pascha angeredet. N ach den B ildern ists Talaat. G anz sicher. Z u tief sind die G esichtszüge des M illionhenkers ins G ed äch tniß der O p fer geätzt, als d aß Zw eifel m öglich bliebe. Teilirian läß t sich von d en D rei überholen, schlendert hinterd rein un d sieht den Pascha in ein H a u s der H arden b erg straß e ver­

schw inden. Seltsam: die Erregung ist viel geringer, als er ge­

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Teilirian 2 8 5

fürchtet hätte. Fragt er im Kreis der G efäh rten ? D an n erfährt er wohl, d aß T alaat längst hier, unter W issenschaft u n d G u n st deutscher B ehörden, vor dem Z o rn der West»

m ächte, vor dem Strafgericht der neuen Y ildizbeherrscher unter falschem N am en sich birgt. G ar nicht heim lich noch furchtsam . N e u n Zim m er in bester G egend. A m Tisch be»

liebter Luxusspelunken sind M inister, Botschafter, Generale*

Z eitungm acher seine G äste. A n stillerem O rt hält er Zwie*

spräche m it Radek u n d kleineren B olschew iken; enthüllt sich, wie K um pan E nver, ih n en als von der H eilsw ahrheit des Kom m unism us innig U eberzeugten. W a r auch schon in Ruß#

land oder w ollte doch h in ; ein* oder zweimal m ußte das Flugzeug, das ihn trug , nach Joh an n isth al um kehren (weil kein W in d zu B efö rderung solchen Scheusals w ehen w ollte?);

doch dem tief V erderbten schmeckt ja das Leben in Berlins glänzender B ankerotirerherrlichkeit. D ieser ist nicht, wie die A rm enierfrage, „erled ig t“. D a er geduldig war un d still saß, braucht er sein Licht nicht erst in G eorgien, an der Kaspischen oder Schwarzmeers K üste leuchten zu lassen. Schon rüstet er zu r Reise. T auch t nächstens in A ngora, dem Sitz der (seit „ T in o “ den G riechen U nglü ck heim brachte) überm ächtigen Neben*»

regirung, auf u n d ü b erstrahlt nicht n u rD sch em al,d en Schand*

gesellen, nein: den hehren C aesarA u g u stu s selb st,d erA n k y ra in den Rang der G alaterh au p tstad t h o b. W e h dann jedem A rm enier, den die Sintfluth noch nicht verschlang 1 W e iß es T eilirian ? Er will nicht dran d en k en ; sucht die Spur der gräßlichen B egegnung aus dem Felde des Innengesichtes zu schwemmen. Lernen, W estensku n st athm en, arbeiten, in den Reigen ju ng er Leiber sich schlingen, M usik einsaugen, wie andere Epileptiker den B rand A l K ohols, des rohen Fein*

des: m ählich hilfts w ohl vergessen. N ein . N ach einem A nfall g lau b t er, in nächtiger Stille einen Schlurfschritt, ein A echzen gequälter K reatur n u n zu hören, das todbleiche, blut*

rünstige H a u p t der M u tte r zu sehen. Schüttle, Träger, den H albschlaf ab: u n d vernim m , was die M u tter ins H erz des Sohnes ruft. „ D u kennst den Versteck D essen, d er aus feiger Ferne D ir die E ltern , die B rüder erschlug, die Schwestern nach zehnfacher Schändung zerm etzeln ließ, D ein

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ganzes Volk, viezehnm al h u n d erttau sen d M enschen, vertilgt hat; u n d räkelst, seit W o ch en, dennoch D ich in w ohliger R uhe u n d fühlst in D ir nicht den T rieb, uns zu rächen?

Ein so laues H erz wuchs niem als in meinem Schoß. In Leben u n d T o d hat die M utter geirrt. D u bist nicht m ein Sohn!“

Kein T o n entglitt, kein Buchstabe dem O h r; durstig hats jeden, wie Feuer das nährende O el, in sich getrunken. U nfallsfolge?

D ie b lo ß e V orstellung w ürde Frevel. Schwächlichen, allzu be*

quem w eggeduckten W illen hat des Blutes natürliche Stimme in Straffheit gepeitscht. Sah der O rientale nicht einst im R iesenrund eines Schauspielhauses einen G riechenjüngling die sündige M u tte r erschlagen, einen bleichen N ordlands*

prinzen den durch schnöden M o rd ins Bett, auf den T h ro n seines edlen Vaters gelangten Stiefvater erstechen? Lauschte er nicht, bis ins Eingew eide erschüttert, ihrem Zw eifeln, Forschen, G rü beln , leis im W o rtstro m sich härtend en Ent»

Schluß? W aren sie Kranke u n d kam en die Stimmen, deren Flam m enodem zur T h a t trieb, aus eines G au kelbildes L un ge?

U n d wie jäm m erlich klein war das B ündel ihrer R ächerpflicht neben der Last, die au f ihm lagl D ie er von sich werfen zu k önnen gew ähnt, die auch n u r zu bestöhnen er sich gefürchtet hat. Ein Vater im Bad, ein V ater im Schlaf schnell getötet; u n d b eide Söhne schritten d urch dichtes Zw eifelsgedünst. D er A rm enier sah die langw ierige Pein, die Z erstück un g der E ltern u n d G eschw ister, d en M arterpfad seiner N a tio n ; las, in einem D u tzen d beglaubigter U rk u n d e n , das frech eitle G e stän d n iß des Schurken, dessen Befehl sie, Alle, in Höllen«

qual stieß. W as ist daneben das aus A sien u n d H ellas, Rom , G allien, der E idgenossenschaft ü b er die W u th alter T y ran n en G em eldete! W as die (nirgends b estätig te)M är von dem K inderm ordbefehl des H erodes neben solchen G rauses tausendfachem E rleb n iß l M ein , spricht der H e rr, ist die Rache; u n d verbietet dem M enschen, den M enschen zu töten.

G lü h te aber am E u p h rat nicht aus feuchten Schleiern der Blick des Pfarrers auf, w enn er den K onfirm anden von G id eo n sprach, der, au f G o ttes R u f, die M idianiter, Israels rauhe Bedrücker, schlug, den A ltar ihres G ötzen brach u n d den Baishain äb h o lz te? Stieg nicht an G o ttes H a n d die M u tter aus dem Beiflgebirg der M assengruft? D ü rfte der Sohn je

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T eilirian 2 8 7

w ieder H im m elslicht schauen, w enn er thatlos wartete, bis aus A ngora die H yäne den stinkigen Rachen w ieder nach M enschenaas reckt? H ier Schwert des H errn u n d G ideon!

Steilauf sprießt in T eilirians Seele die Pflicht, dem widrigen Pascha, der Pest, den W eg in die H eim ath zu sperren.

M it der W illen sk raft eines von H in d e rn iß , weil ers nicht sieht, nie geschreckten N achtw andlers h a t er, in der H ard en ­ bergstraße, ein Zim m er erkundet, aus dessen Fenster er die W ohnjung Talaats beobachten kann. O h n e dem Freund, Stu­

bennachbar, A lltagsgefährten m it einer Silbe die A bsicht an­

zudeuten, ist er d o rt aus- u n d hier eingezogen; u n d hat dem verblüfft nach der U rsache des Entw eichens, der T rennung Fragenden m it stum m em A u g eng ruß n u r die H a n d gedrückt.

Fast immer sitzt er fortan zu H aus. A n einem sonnigen M ärz­

m ittag w ird d rü b en die B alko n thü r aufgestoßen. D er Pascha^

tritt hinaus. W oh lgen äh rt, in rosigem Speckpolster, m it dem durchschim m ernden Lächeln des von Schlaf auf reinem G e- • w issenspfühl Erquickten. E r röstet sich, Front, Rücken, Flan­

ken, w onnig an der Lenz wärme. H ö rt er nicht den N o th - schrei der von ihm in die W ü ste gejagten, einsam verschm ach­

tenden K inder, das gedrosselte, n u n verröchelnde Kreischen aus der von B runstschw eiß betrieften B rust der Frauen, in deren Schoß der geile den gesättigten Bock ablöst, das G e ­ wim mer Schwangerer, die a u f starrem Fels der W ehenkram pf überfiel u n d die das Z appelnde nicht der N abelschnur ent- schneiden, nicht b etten , wickeln k ö n n en , kein T röpfchen M ilch, nicht einmal W asser für das Ersehnte haben, inH un gers- n o th bald wohl sein weiches, m att bebendes Fleisch m it den Z äh nen zerreißen, m it weit vorgeschobenen R üssellippen ihm, in schändlicher U m k eh ru n g allen N aturgesetzes die M u tter dem K inde, den spärlichen Saft aussaugen? W eck t die m ilde, grau kühle Straßen u n d H äuser sprenkelnde Sonne in D em d rü b en kein E rinnern an d ie G lu th ewig d ü rrer Steppen, in de­

ren heißem Sand H u n d erttau sen d e das M ahl giftiger Fliegen, A tzun g u n d B rutstatt allen G ew ürm es w u rd e n ? R uhig schaut er ins G ek rib b el nieder; wie Einer, den keine tiefere Sorge plagt als dieU n g ew ißh eit, ob derF rühlingsblick ausweißlichem Him*

m eisblau die kurzröckigen M ädels geschw ind den Pelzm um ­ m en u n d dicken M änteln entschälthabe u n d ein M ittagsbum m el

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dem V erw öhnten drum lohnen könne. U nglaublich, d a ß ihn T eilirian zuvor schon, m it kaum geschleunigtem H erzschlag, sah. J e tz t erst u m faßt ganz ihn des Spähers A uge: tastet, von der Z ehe bis an den Scheitel, ihn ab u n d b o h rt sich in ihn, wie der Bolzen in den Z ielp u n k t der Scheibe. D ie Muskel*

fasern der Iris strecken sich u n d w eiten das Sehloch; H o rn h a u t u n d G lask örper verblinden in Eisblocksgrau. D er Leichenruch, ekel sü ß er F äu ln iß d u ft aus tief u n ter die G edächtnißschw elle eingekapselten Schreckenstagen w eht d urch d ieS onneosphäre vom B alkon herüber. A us dessen offener T h ü r d ro h t die K nochenhand der M u tter. „ H ie rl U n d noch kan n st D u , von Fam ilie u n d V olk abtrü nnig, säu m en ?“ H ell u n d hastig klingt vom Schlag des K löppels die K losterglocke. D erbe Stiefel stam pfen ins H aus. V or der D äm m erung w andelt die Kara*

^wane; Jed er sei also bereit. B arfuß schleicht, K inderspaten u n d Blechschachtel u n ter dem G ew and, der Vater ins D u n k e l;

u n d weist, n u rm it der W im p er fast, d en S ö h n e n d a n n den Fleck, d rin die F rucht seiner A rb eit ru h t. W a n k en d u n d dennoch be*

hutsam fü h rt er die frü h ergreiste Frau, der die w u nd en F ü ß e längst nicht m ehr w illig sind. Bis eine rohe Faust sie von seinem A rm reiß t. A ng stvo ll flattert ih r Blick zu den Töch*

tern, wie einer G lucke zu verlaufenen K üken, zurück; u n d das brechende A uge sieht noch den H abich t, den zw eiten, dritten R aubvogel sich in den Flaum leib einw ühlen. Schüsse.

W ild en g eh eu l. Eines Schraubstockes, einer K nochenm ühle G eräusch. G lied er knacken. Ein Beil b lin k t: u n d schon rollt des Bruders junges H a u p t in den Sand, zieht eine schmale Blut«

furche ins B raungelb u n d w ird vom T ritt eines T runkenen, wie ein Ball, aus dem R innsal in h ohem Schw ung weitergeschleu»

dert.M iterlösch ender Stimme ru ftih n d ie jü n g s te Schwester,der Liebling, aus einem K lum pen nackter M ännerlenden. Stille.

D es Leichenfeldes Pesthauch. W a rd D eine Trüffelnase, Schuft, so stum pf, d aß D u da d rü b en nichts riech st? Lächle nicht h in un ter. D ie H ändchen, die D u von K inderarm en hacktest, pflastern die Straße. D ie blankgew aschenen Kiesel sind vor dem T o d entfleischte K inderschädel, die d u n k len Flecke da*

zwischen von E ntsetzen versteinte K inderaugen, die D ich, aller Schurken schm utzigsten, anstarren. A us dieser Sonne d rö h n t G o ttes R u f w ider M enschheitschändung; b ren n t das

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Teilirian 2 8 9

Feuer, das Aussatz tilgt. G ideon n a h t. . . D er A nfall? Nein.

Niemals dünkte der Armenier so fest sich, so fromm in Klar*

heit. „D a steht Ihr, O heim !“ W ars nicht so? Doch der Pascha steht nicht mehr; ist verschwunden. Lange stiert der Jüngling auf den leeren Balkon; mit flackerndem H irn, nun bewußtlos. Stunden? M inuten nur; die ihm sich in Ewig* * keit dehnen. Ins Scharlachroth flickt eine aufspringende T hür ein schwarzes Rechteck. Schon rahmts den Spaziranzug Ta*

laats. D en Pascha lockt Licht auf die W eide. Eine Sekunde bebt, von Krampf aufgebäumt, Teilirian bis in die W urzel;

und durch den W ipfel des Stämmchens läuft ein Frösteln.

Jetzt? Jal D en Koffer auf, Revolver heraus, in Sturm die Treppe hinunter, nach . . Das H erz ist getroffen. Staunet:

es war nicht aus Stein. D er Rebell, Minister, Pascha, Groß*

wesir, G ünstling des berliner Khalifen, Armenierschlächter liegt in seinem Blut. H at nicht den leisesten Schmerz gespürt.

D er Jüngling, der nach der That sogleich die Waffe wegwarf und gewiß nicht hofft, an hellem Tag, auf belebter Straße den schnell um die „feine Leiche“ Geknäuelten zu entrennen, wird gepackt, von der Menge, die den offenbar Fremdstämmigen wohl für einen Sowjetsemiten hält, grausam mißhandelt, von G rünen, aufrecht und unzertrennlich schrei­

tenden Wellensittichen, auf die nächste Polizeiwache geführt.

Trauer um, Erinnerung an Talaat Pascha. Alle Mitesser, je in Empfang Zugelassenen werden gesprächig. Dies war ein M ann: wie der A ntonier über den anderen Marcus, den Brutus vom jüngeren Junierstamm. Langer Bericht über die

„imposante Leichenfeier für Deutschlands treuen Verbün*

deten“. Eine rüstige Excellenz hat sich erboten, zu würdiger Vertretung des Auswärtigen Amtes recta nach Berlin zu kommen. Auch, an der Bahre zu reden? „Schmutzige Beute»

säckler haben in sieben Jahren das Osmanenerbe verludert, in Islam und Orientchristenheit schlimmer als Beulenpest gehaust, hohe Barrenhaufen unseres Goldes gehamstert, nach N eutralland, Vorderasien oder, durch ausgeschmierte Mittler*

röhren, in die Bank von England spedirt und sind mit Speck und Dreck dann in Schieberluxus untergekrochen. Lasset uns, liebe Brüder in Christo, sie Staatsmänner, ragende Köpfe, Leuchten ob der Gemeinschaft frommer Kämpfer für Zucht

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D ie Zukunft

und Sittlichkeit, Recht und Ehre, W ahrer der Menschheit*

würde heißen. Eine Christennation haben sie, als gelte es W anzenjagd, von der Erde getilgt, H underttausend des eige#

nen Volkes in H unger, Seuche, Todespein gezerrt: weil ihr Herz bei Deutschland war und der Anblick der von Ge#

rippen rechts und links, sogar in Stambul gesäumten Straßen sie weniger schreckte als die Vorstellung, über Germanien könne der Feindbund siegen. Immer dachten sie so; noch, wenn sie in Braila, Genf, Scheweningen mit Kassenboten der Entente tuschelten oder die V orhut des Völkerbundes beriechen ließen. N och, als der Umfang der Bulgarenbeute ihres Höffens Inbrunst enttäuschte. W ahrlich, Treudeutsche, Dieser war unser; und wer, wie ich, in Pera, bei Preysing und U nter den Linden . . .“ M ißgunst Fortunens verschlang diesen Nachruf. N och einmal aber sahen wir, wie aus feuch­

tem Auge so oft in großer Zeit, den Farben des Kaiserreiches, des, Ihr wissets, unsterblichen, die Mondsichelflagge gesellt:

in der breit wallenden Seidenschleife an dem Riesenkranz, der den Schmerz der „Frau T alaat“ vom Sarg Auguste Vic- toriens wimpelte. Die augustenburgische Pietistin, die eines Ungetauften Athemnähe ekelte, schon ein römischer Katho#

lik fast unrein dünkte: und der von keinem Diokletian, Ti#

mur, Atilla, M urad, nicht von hundert Neros erreichte Wür*

ger christlicher Volkheit. Lächelt der Kruzifixus? O der thut sich die Lippenwölbung auf, den H auch alter W ehklage in neue W elt zu schleußen? „M isereor supra turbam . . . .“

Auch des Jünglings in dumpfer Zelle jammert ihn; tiefer gewiß. Einen aus Ekstasiswirbeln in D em uth und Zwei- felsbedrängniß Geschrumpften sieht im Kerker der höl#

zerne H eiland. W ohin schwand Gideons Fackel, Dromete, Schwert? D er erste Landsmann sank vor Teilirian aufs Knie, küßte die von seinen Thränen genetzte H and Dessen, der, ob sein junges Leben verlischt oder in Finsterniß fort#

glüht, im H eldenlied leben wird, bis der letzte Armenier ins G rab sank. N icht lange aber wirkt solchen Trostes Zauber.

D urfte er töten, sich den von heiligstem W illen erkürten Rächer wähnen, als Christ das von M usulmanen gefällte Todesur- theil vollstrecken, in dem G ebild seines kränkelnden H ir­

nes die M utter, blind ihr gehorsam, ehren? Durch die Feste

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Teilirian 2 9 1

der Auferstehung, der G eistausgießung trägt er die Fragen;

fühlt ihre Nägel in Schultern und Schenkeln. Langsam, gleich Greisen auf nackt blutenden Sohlen durch D orn und Geröll, schleichen die Stunden. U eber den hoch ummauerten Ge*

fängnißhof weht D uft des Frühlings, der Linde schon, Hoch*

sommersodem. H eiß brennts auf die vergitterte Luke. W ie Josuas Sonne steht diese; wie seit Menschengedenken keine in nordischem Mai. U nd nun ists, als schmölzen die Nägel, sänke das Kreuzgebälk, an das sie ihn hefteten, sacht in Asche;

als werde auch sein Innerstes frei. Zweifel flieht, Fallsucht entschwebt der Seele, dem Körper. D urfte ich? Ja: denn ich m ußte . . . D er Tag des Gerichtes bricht an.

Schwarz bauschen sich Roben. A uf durchpflügte, ver*

staubte Stirnen sind seltsame M ützen gestülpt; der ähnlich, die am Euphrat der Pfarrer, auch der, die der H enker dort trug. ‘ Meine Richter, gottgleiche Schicksalsgestalter? Nein.

H eute nur W ahrer der Rechtsnorm; nur zu Führung und Lehre den Richtern bestellt. Die drüben, im Bürgerrock, sinds;

an ihrem W illen und Spruch hängt das Leben des Ange»

klagten. H ängt an dünnem Faden. Das Auge schweift über die Geschworenenbank, h n und her, her und hin; möchte die Seelen abgrasen, mit emes Birschhundes Spürsinn den Inhalt der Hirnschale er wittern. Jäh zuckt einFlämmchen auf;

einmal zuvor nur, mahnte, war so übermächtig in ihm der Drang nach Erkenntniß, greller D urchstrahlung des Mensch*

lichsten: als sein Blick den drüben auf dem Balkon sich rösten*

den Pascha durchwühlte. W ieder ein „D rüben“ ; doch viel weiter von ihm noch ab und tausendmal höher und dicker die scheidende Nebelwand. Ernsthaft der Pflicht bew ußte M änner, auch dem Ton der G üte sicher nicht taub. W as aber wissen sie, blond, grau, kahl, von unseren Elendsklüften, was, denen Kartenfleisch, Pflanzenfett, Dörrgemüse und Malz*

kaffee M artyrium schien, von dem Höllensumpf, der drei Viertel unseres Volkes erstickt hat? \^ a n n wurde Erzäh*

lung, nüchterner Bericht von Gewesenem, kam er selbst von der Zunge unabgestumpfter Augenzeugen und ward aus Mosaiksteinchen ein flimmerlos in sich gefügtes Bild, als Erlebniß em pfunden? Diese M änner sprechen nicht meine Sprache, hören den Schrei meines Leides, die Sturmglocke

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D ie Zukunft

dräuenden Zornes aus anderem M unde, den Amtspflicht in karge Sachlichkeit zwingt. Schlimmer noch: ihre Kind*

heit jauchzte in härterem Klang zu kühlerem Himmel empor und ihr Herz pocht drum in ganz anderem Takt. U rfrem de W elt. D er Finstere mit der Tresse sinnt mir gewiß nichts O utes. D a wendet der Erste Vertheidiger den Kopf zu dem Käfig des Sünders: und licht wird, wie am sonnigsten Sonn*

tag das Kirchenschiff lein in Ersindschan, der Saal. A uf der Epikuräerlippe Adolfs von G ordon blüht ein Lächeln männ*

licher M enschenfreundschaft, rankt sich um das helle Ge*

lehrtenauge, die fein gemeißelte Stirn, kränzt das noch braun*

blonde H aar des Unverwelklichen. Rechtsergrübler und Le*

bensgenießer, Anseiler auf steilem G rat und Seelsorger in nächtigem Thal; Forscher, doch niemals in Staubgewölk, Ma*

them atiker aus Passion, Jurist aus N eigung und bald wohl halbhundertjährigem Beruf, dennoch musisch in des Wesens H öhen und Tiefen. Deutscher, dem G oethe nie ein Außen, der „große D ichter“ nur, wird, und, im schottischen Na*

menskleid wie Fontane im hugenottischen, Preuße; ausster*

benden Schlages, den der Pruzze, mit Kanten und Schwielen, überdauert. W ie Firnwein, Lieblingsorte, schleckt er einen langsam geklärten, schlank ausgeformten Rechtssatz, Seelenbe*

horcherschluß. U nd spendet er,heute noch gern, Sauser, dann sum m t aus dem Bauch des seldwyler Fasses eine in Burschen*

schaft gerettete Knabenorgel Fanfare: „Kennt Ihr meine Far*

ben ?“ Anwalt eines Junkergewimmels, in Ehrwürde ver*

schneiter H ansahäupter, ohne Kriminalschnauze und Gift*

zahn: und dem Armenier singt im Brustschrein die Glocke das Lied von dem braven M ann, der ihn weislich behüte.

M anchen sahen und sehen wir, der, um als Excellenz zu verkalken, in seiner Biographie, die er vorlebt, als Mi*

nister zu prangen, Jahre, Jahrzehnte lang die wechselnden M achtinhaber angewedelt, jeden Zeitungleiter dick (den zu H aus berülpsten am Dicksten) mit Lobesrotz bestrichen, je*

den hörbaren Reporter selbst mit Komplimenten und sonst*

was bewirthet, der im Kämmerlein bespuckten Partei sich, weil keine andere winkt, vermiethet, das Gleis der Lehre von dem des Lebens um Meilenweite entfernt hat. Armsäliges Handw erk, M undw erk ewig Verlarvter, denen in geputzter

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Teilirian 2 9 3

„Oeffentlichkeit“ tausend Lämpchen glühen und kein Herz doch, nicht das nächste, felsfest vertraut. D ie unreine H and wäscht (und waschen) hundert unsauberere. In den Rausch mühsam, mit hetärisch listigen Künsten, gezüchteten „Erfol*

ges“ krächzt die Sorge: „W enn Schulze plaudert, Müller No*

tizen über Gespräche hat, ein Schauerwindchen einen Stoß meiner Briefe ins Licht w irbelt . . .“ W o Absicht auf Ge*

winn, von G eld, Amt, Titel, Macht, in die Geberde der Liebe, Freundschaft, Geistesbegattung, mutual *onanischen Verstandeshaushaltes trieb, ist Prostitution. W o Vorsatz und Ueberlegung schädlich walteten, klafft breit der W eg in Ver*

brechen. Talaats ist überdeutlich erwiesen. N icht, um seinem Volk, Freiheit, M enschenw ürde, B ürgerrecht,W ohlstand zu erkämpfen, stieß er den graurothen Sultan, das lallende Ge*

nie der Verschmitztheit, vom T hron in den Kerker, den Tod.

Nicht,* um in G edräng dem Islam Luft zu schaffen, zertram*

pelte er, mit der W uth eines viehisch trunkenen Buben, das geistig reichste Christenvolk des Orients. N ie hat, niemals auch nur für einer Sekunde flüchtige Dauer, Ehrfurcht vor deutschem G eist ihn gestreift. O b der koburger Ferdinand morgen Symeon hieß, auf G ichtbeinen das Diadem und die G oldbinden des Basileus von O strom in Konstantins neu ge*

weihte Kathedrale trug, ob W ilhelm , der in jedem Pascha*

palastgrob verhöhnte Rajahirt, denD ünkel des Allah*Schützers auf Europas Zinne funkeln ließ oder unter die Doorn*Hecke schaufeln m ußte: Diesem trieb es kein Hitzwellchen stürmi*

sehen Athems über den Thränensack. D er wollte nur sich;

weder gestern noch morgen je eine Sache. A us Afrika ver*

scheucht, auf Europas südöstlichen Flankenrand gepfercht, noch da nur von der G nade buIgaro*griechischerTotfeindschaft geduldet, ein von H unger und Seuchen verreckendes V o lk : er schlürfte das Leben aus stets schäumendem Becher. Diesem war, vier Jahre lang, das deutsche Volk „verbrüdert“. Bis der Allerhalter aus blau*purpurnem Zelt seinen Ekel über die Erde spie. D er G o tt des A lten und des N euen Bundes.

Zinst aber auch Mohammeds nicht mehr reichlich: Lenins Schlitzauge, eines Tatarenbischofs, ahnt nicht, welches D ing wir, als seinem G lauben Verlobte, in jedem Zwielicht drehen. Das, Anwalt des Staates, und Ihr, Bürger*Richter,

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sollte d auern ? Aller Scheusale scheusäligstes munter in Altersgenüsse tänzeln? N och einmal, in Bajesids, bald wie der in Konstantins Stadt, hinter Erzthoren und Stacheldraht, hoch über M enschen thronen, deren eingeborenes Recht und in A eonenkam pf erworbene Krone er, wie Keiner vor ihm, in Blutsümpfen und Kothgebirge versudelt h at? H ier Schwert des H errn und G ideon! Ein Epileptiker entdeckte, auf Irrfahrt nach einem w estindischenGoldland, imKosmos derMenschen#

seele die N eue W elt; derRaskolnikow,M yshkin,K aram asows, die aus anderem sphäro»psychischen Stoff sind als Orestes, Hamlet, Faust. Einen Epileptiker reckte Krampf, des grassesten Entsetzenserlebnisses unmittelbare Folge, über die Krücken lahmer Europäervorstellung in heroische, drum nur M inuten lang erträgliche Willensstraff heit. Ist d ieT h at, bis in den Wer*

densbeginn, „mit U eberlegung ausgeführt“ worden, alsoM ord, ohneU eberlegung, also Totschlag? W ar die Geistesthätigkeit gestört, das Bewußtsein geschwunden, die freie Willensbes Stimmung aufgehoben? „Von entscheidender W ichtigkeit, m eineH erren Geschworenen, ist dieFrage, ob §§211, 212 und 51 StG B ...“ N ach Erdbeben wird Euch zugemuthet, die aus verwesenden Paragraphen gekrochenen Läuse mit spitzen Fin#

gern zu fangen, auf dem Daumennagel zu knicken? H ier ist nicht der Angeklagte, dessen G roßm utter vom Segel*

schiff Lues löschte oder den Fräulein T ante, da sie just reif zu Ammengeldheimsung war, von der käsig ins Bo#

denlose hängenden Brust so hart auf eine Steinkante fallen ließ, daß er seitdem manchmal M äuse tanzen sieht. Talaats ins Apokalyptische aufgezackte T otsünde ist Teilirians Er#

lebenssumme. D er Armenier das Kind aus dem Schand#

samen des Türken. D as wuchs und m ußte, aus Grausesqual erwachsen, sich selbst und die Menschenerde von diesem Vater erlösen, töie M utter befahls, mit Fluchandrohung die entwürdete Heim ath dem H elden. H eld ist, wer in der einen Stunde erhabensten Pflichtgebotes nicht von Hemmung, auch von der Bremse schaudernder Todesfurcht niemals, von Er#

löserthat abzuhalten war. U n d ist nicht für Euch selbst, Richter, nicht für Deutschland hier T rost? Reiniget, ohne Scheu vor Nachbarsgegrein, die Pfütze des Lasters: und himmelan springt trotzigen Schöpfermuthes geläuterter Quell.

Herausgeber und verantwortlicher R edakteur: Maximilian H arden in Berlin. — Verlag der Z ukunft in Berlin. — Druck von l aß 6. Garleb G. m. b H. in Berlin.

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4. Juni 1921 D i e Z u k u n f t ---- Nr. 36

Der Vertrag von Versailles im Lichte der Wissenschaft

Im Erscheinen befin det sich:

Kommentar

zum Frledcn$vertrage

H e ra u sg e b e r: D r . W a l t e r S c h ü c k in g

Ord. Professor der Rechte an der U niversität M arburg, Mitglied der Deutschen Friedensdelegntion und des Reichstages

MITARBEITER-VERZEICHNIS:

Reg.-Kat G raf A delm ann - G eh . Rat von A sch o ff- Generalsuper- intendent D .A xen feld - G eh . Reg.-Rat Prof. Dr. B e e r -D r . Bethke -D r . Betz - Prof.Dr.Bruck - G esandter vonB uri - G eneralkonsul Dr.Büsing - Prof.Dr.Brodnitz - LandrichterDr.Dorn - O berlandes­

gerichtspräsident D r.D ron k e- G esandterD r.Eckardt-G eh.Bergrat FJemming - Amtsrichter Dr.pudis - W irkl.Leg.-Rat D r.G aus - Prof.

D r.Q u tm an n - Dr Jaffe - Reg.-Rat Kracke -Prof.Dr.Kraus-Reg.-Rat Kuttig - Prof.Dr.Laun - G eh.L eg-R at von Lewinski - G eh.L eg.-R at G raf Lerchenfeld-M inisterialdirektor von LeSuire-Prof.D r.M anes

— A m tsrichterM artius- Bankherr Dr. Melchior - G eh . Hofrat Prof.

D r.M en d elssoh n -B arth old y-G en eral d. 1. z. D . G raf M o n tg ela s- M.Mülfer Jabusch - Min.-Rat Nelken - Konsul D r.N ord - P rof.D r.

Nord - Dr. Norden - Prof.Dr. Osterrieth - G eh.R eg.-R at O stertag - D r.P ern ice - D r.P ied ioek i-P rof.D r.in g.Q u asebart - Wirkl. G eh . O berbergrat Reuss - G eh . exped. Sekr. Roediger - Bibliotheks-Dir.

D r.R osenbaum - G eh.R eg.-R at D r.R up pel-G eh .L eg.-R at Seeliger -H a n s Simons - Dr. Schätzel - G eh . Reg.-Rat Dr. Schlegelberger - Dr. Schmidt-Essen - G eh. Reg.-Rat Scholz - Prof.Dr.Schücking - Dr.

Städler-D r.Strup p-J.T iedje-L eg.-R atv.T ip pelskirch -W irkl.L eg.- Rat Trautmann - Prof. Dr. V alentin - Kapitän z. S .a .D . V an selow - Leg.-Sekr. Dr. Verdross - Dr. V oigt - Dr. W e h b erg - A ttache Dr.

W oerm ann - Dr. Ernst W o lff - Prof. Dr. W olzen d orff - Leg.-Rat Dr. Zechlin - Dr. Zillesen - G esandter Dr. Zitelm ann

REDAKTIONS-AUSSCHUSS:

Prof.Dr.Schücking - G eh.R eg.-R at Dr.Schlegelberger - W irkl.Leg.- Rat Dr. G aus - Bibliotheksdirektor Dr. Rosenbaum (Schriftleiter) Durch V ereinbarung der b eteiligten Firmen ist aus der V erlagsgem einschaft, die sich für den V erlag des Kom­

mentars geb ild et hatte, der V erlag H a n s R o b e r t E n g e l - m a n n in B e r lin a u s g e s c h ie d e n . An seine Stelle ist die m itunterzeichnete V erlagsgesellschaft getreten , in deren V erlag auch alle bisher im V erlage Engelm ann er­

schienenen Schriften der D e u t s c h e n L ig a fü r V ö lk e r ­ b u n d ü bergegan gen sind.

V erlag von Franz Vahlen in Berlin W 9 u. Deutsche V erlags­

gesellschaft für Politik und Geschichte m.b.H. in Berlin W 8

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