XXIX. Jahrg. Berlin, den 21. Mai 1921 Nr. 34
lie f l l u k u n f t
Maximilian Harden
IN H A L T
Seite
W enn die Knospe s p r i n g t ... .... 213
A u f der H öhe ... ... 213
Im Qualm d er S t ä d t e ... ...233
Finde, N eues, uns neu ... ... 238
Nachdruck verboten
E rscheint jed e n S o nnabend
rlich
22
M k., d as einzelne flBERLIN
Verlag der Zukunft
SW47, Großbeerenstraße 67 1921
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"Wenn die Knospe springt
A u f d e r H ö h e
T^V a das G eschirr, samm t denScherben, abgeräum tist, glauben Sie, „hinten in dunkler P rovinz“ , erfragen zu dürfen, was der W irth gestern auftragen ließ. Einverstanden. U nsere wackeren D enunzianten hab en heute ja nicht m ehr H ochzeit.
N ach jedem halbw egs offenen W o rt h ob, bis gestern, irgendein braver K nabe den Finger u n d petzte: „Schulze hat Alles ver*
d o rb en !“ O d e r: „ W en n M eyer den Schnabel gehalten hätte, wärs anders gew orden.“ Jedes redliche Streben in Gerechtig*
keit schien D enen, die in der Kriegszeit stets den M aulkorb*
zwang, dam als im m erhin begreiflicheren, b e stö h n t hatten, nu n G efah r für das theure V aterland. Jedes unbedachte Zufalls*
w örtchen E itler eine U rk u n d e von unschätzbarem W e rth für die W eststaatsm änner, die aus D eutschland doch, leider, besser als w ir aus ihrer H eim ath b ed ient werden. W a s die seit dem T ag des pariser K onkordates w iederhergestellte „Einheit*
fro n t“ geleistet hat, ist offenbar. Z w ar schämen die Petzer sich nicht; könnens aber, fürs Erste, nicht ganz so frech weiter*
treiben. D ie H o c h k o n ju n k tu r fü r N ied ertrach t dieses eklen Schlages ist überlebt. Sie, H err G eheim rath, fragen, o b in der elften M ainacht w irklich ungeheure E ntscheidung gefallen, das G eständn iß , D eutschlands V olk habe den Krieg gew ollt
16
214 D i e Zukunft
u n d listig erw irkt, neu besiegelt, D eutschlands Ehre b e su d elt w orden sei. A lle drei Fragen sind, ohne E inschränkung, zu verneinen. D er zw eiten antw orte ich zuerst, weil dazu w enig R aum n ö th ig ist. „G estän d n iß “ der von Ihnen angedeuteten A rt ist niem als verlangt, nie ausgesprochen noch geschrieben w orden. W a s d arüber, alltäglich, gefaselt w ird, stam m t aus dem Z eughaus der Lüge, dessen Sturz, wie der Fall der Bastille, als N ation alfest zu feiern wäre. In dem oft genannten, selten gelesenen A rtikel 231 des Friedensvertrages steht D reierlei.
E rste n s: D eu tsch lan d u n d seine B undesgenossen haben durch A ngriff den A llied an d A ssociated G overnm ents d e n K rieg aufgezw ungen. Zw eitens: Sie sind d ad urch für alle V erluste u n d Schäden verantw ortlich gew orden, die der K rieg den an*
gegriffenen L ändern u n d deren B ürgern bereitet hat. D ritte n s:
D eutschland erkennt diesen T h atb estand als richtig an. K o n n te es, k önnte es in W ah rh aftigk eit je an d ers? H ie r ist nicht Be*
k en n tn iß bösen W ollens, einer Schuld im Sinn sittlichen Emp*
findens, sondern n u r B estätigung der unbestreitbaren That*
sache, d aß die Kaiserliche R egirung des D eutschen Reiches den Russen, Franzosen, Serben den Krieg erklärt, d ad urch den allge*
m einen V ölkeraufstand bew irkt h a t u n d deshalb für V erlust u n d Schaden verantw ortlich ist. U n d hätten ringsum T eufel gehaust, die nach D eutschlands V ernichtung trachteten (wo«
fü r alle G eschichtschreibung u n d K litteru ng noch nicht den Schatten eines Beweises erbracht h a t) : im H ochsom m er 1914 h a t die berliner Regirung ihnen, die nach austro*russischer Ver*
stän d ig u n g , nach B otschafterkonferenz u n d Schiedsgericht schrien u n d im Schweiß ihres A ngesichtes, um H u n d stag sru h e zu erlangen, N o te n u n d D epeschen schrieben, den K rieg erklärt.
D as, nicKts A nderes, sagt A rtik e l231. W a ru m ? W eil, im näch#
sten A rtikel, d asU rtheil folgen, der H au ptpfeiler des V erlangens nach „R eparation“ eingeram m t w erden soll. D ieses U rth e il:
V on Rechtes wegen hätte D eutschland alle V erluste u n d Schä
den zu ersetzen; weil dazu seine Kräfte u n d M ittel nicht aus*
reichen, h at es n u r das C ivilvolk zu entschädigen, nicht ab er den Staaten die K riegskosten zu ersetzen. D e r trutzigsteTreu*
deutsche selbst, der ü b erzeugt ist, d aß „w ir m u ß ten “ , d a ß
„es höchste Z eit war und jeder A ufschub feiger Landesver*
W enn die K n osp e sp ring t 215 rath gewesen w äre“ , er sogar fände in dem A rtikel 231 nichts, was er anfechten dürfte. U n b e d in g t n o thw en dig w ar der Pfeiler nicht; schon die B erufung auf den alten Brauch, für K osten u n d Schaden den Besiegten haftbar zu machen, konnte das G erü st des Entschädigungverlangens tragen. M ag drum in dem A rtikel M ancher K oketterie, Selbstgefälligkeit, cant w ittern; A nklage oder V erurtheilung deutschen Zettelns u n d W ollen s ist nicht darin. D ie berliner Hof* u n d Staatspolitik hielt am ersten A u g u st 1914, gegen die M ein ung der West*
mächte, des Z ars u n d Sasonows, den Krieg für unvermeid*
lieh, unaufschiebbar. Dieses ist Thatsache. Recht oder Un*
recht, höchste V ernunft oder tiefste V e rb le n d u n g : die Kaiser*
liehe R egirung hat den Krieg erklärt, also „aufgezw ungen (im*
p osed )“ . Sündenbeichte, B ekenntniß der V olksschuld w ird in den nüchternen W o rtla u t des A rtikels hineingedeutelt. U n d etwas einer „Besiegelung“ A ehnliche ist nie verlangt w orden.
Ehe ich den anderen Fragen A n tw o rt suche, will ich w iederholen, was ich vor ju st zwei Jah ren hier gesagt habe.
„ J e d e r Tag, der uns nicht w ürdigem Frieden, vernünfti*
ger E in ord nun g in die M enschheit nähert, ist unwiederbring*
lieh verloren; jed er dichtet das G e rü st der von den drei West*
vorm ännern entw orfenen V erträge noch fester. V erhandle, R egirung; warte nicht a u f das M o rg en ro th der öffentlichen K onferenz, die dann A lles fertig fände. Erweise, d aß Deutsch*
lands M enschheit den Sinn des Krieges, der die letzten vier Kaiserreiche E uropas u n d zwei D u tz e n d D ynastien verschüttet hat, begreift, keine Schuld ü b ertü nch en, jede bestätigte sühnen, von dem -W ahn des G ew altrechtes sich in from m en G lau ben an die A llm acht gütigen G eistes bekehren will. Keine Lüge, kein H ehlerkniff je noch in D eutschlands D ienstl D as giebt sich nicht auf. M orgen flam m t aus seiner Seele der M u th , das schwarze V erhängniß zu lieben.* A m A usgang des Jahres 18 schrieb ich diese Sätze. V erhandlung w urde nicht, w eder laute noch leise, erstreb t: u n d der siebente M ainachm ittag fand in Versailles dann Alles fertig. D er einundzw anzigste sah auf Berlins Straßen in h un d erttau sen d A ugen den amor fati aufglühen, den W ille n zu S ühnung alles Sühnbaren, zu friedlicher M itw irk u ng zum M enschheitzw eck u n d zu Ent*
iö*
2 1 6
b in d u n g , E ntfesselung des neuen D eutschlands, dem , noch imm er, m it Lüge u n d H eh lerk niff genützt, das getäubt, in Stum m heit gezw ungen w erden soll u n d das doch nach W ahr*
heit, nach Zw iesprache m it dem W eltgew issen lechzt. W as hätte ihm dessen Stimme, was die V ernunft eines dantischen Vergils, des Führers d urch H ö llen , zu sagen?
,Laß D ir nicht von Ewig * G estrigen u n d w üthenden N a rre n den W a h n einschw atzen, an der A n tw o rt auf die Frage, vor der D u stehst, hänge auch n u r das kleinste Stück
chen D einer Ehre. D ie kann, ein von der Seele erworbe*
nes, in die Seele gespeichertes G u t, kein Frem der D ir neh*
m en noch einer je ihr irgendein Q uäntch en zu wiegen. U n d wären die Friedensbedinge zehnm al härter, als sie sind, un d w ürfe M arschall F o ch , wie in Brest E uer B rennus Hoff*
m ann, sein Schwert in die W ägschale: im hellen D iadem D einer Ehre erblindet kein Stein, weil D u dem Verlangen d e r Z w eiu n d d reiß ig D ich fügst. Ehre, spricht D ein letzter W eltp h ilo so p h , ist das äußere G ew issen, G ew issen die in#
nere E hre; sie kann T u g en d (D as ist: tapfer angew andte V ernunft) nicht überleben, d arf nicht, nach dem S pottw ort meines verlüderten V etters Falstaff, als ein bepinselter Schild ü b e r einen Leichenzug ragen. D er aber wäre die Folge bar*
scher A b leh nu ng. Ein noch vier M onate abgesperrtes Deutsch*
lan d sähe ein M illionengew im m el A rbeitloser; sähe über Trüm m erhaufen h in seine T heilstaaten von dem Preußen*
stam m weg, in Sonderverständigung m it den W estm ächten streben. G lau b e auch nicht, d aß D eine W irth sch aft in Dauer*
siechthum verdam m t, u n rettb ar verloren sei. W as ihr fehlt, h a t der K rieg, nicht erst die N iederlage, ihr g erau bt; hätte Sieg, d urch den w eder der In n en h o rt D einer Ehre gem ehrt noch der anglo*amerikanische W ille zu E ntzäunung der Be*
zugsquellen gezw ungen w orden wäre, ihr niem als zurück*
gebracht. D ie T ü ch tig en , die fü r fast alles unentbehrlich Scheinende im D ickicht der N o th Ersatz fan d en , w erden G ew erb e u n d H an d el in neuen, p ru n k lo s sich bescheiden*
d e n W o h lstan d fördern. Lothringen, L uxem burg, Schweden, M aro k k o w ird D ir genug Erz k red itiren, um die Sechste*
lu n g D einer S tah lprodu k tio n zu hindern. In R heinland un d
W enn die Knospe springt 217 W estfalen kannst D u , w enn fortan jedem Bergm ann ein T heil des A rbeitertrages gegönnt w ird , die Kohlenförde«
ru n g so steigern, d aß der A usfall in W e st u n d O st ver*
schm erzbar u n d , m it B raunkohle u n d W asserkräften, der (zunächst überall noch eng eingeschränkte) Bedarf durchaus zu decken ist. D ie R inder, Schafe, M ilchkühe, deren Ab«
forderung D u so gell bezetern hörst, m indern D einen Vieh«
stand um eins von h u n d e rt Stück, fallen für die Massen«
ernährung kaum schwerer ins G ew icht als fü r die Rohstoff«
einfuhr die Leistung D einer K olonien; u n d sind n u r ein Theilchen des Belgiern u n d Franzosen genom m enen, von D einen A rm een aufgespeisten oder heim gesandten Viehs, an Z ahl eben so groß n u r wie die H e e rd en , die das kleine, arme Litauen D ir als T rib u t liefern m ußte. Frevelt der Sie«
ger, def sein Eigen vom Besiegten zurückheischt, u n d ist D ein H erz so weich, d aß D u in N o th sta n d auf die Rück«
gäbe geraubten G u tes verzichten w ü rd est, weil die B löße des R äubers D ich jam m ert? A uch D u sprächest: M u ß Einer von uns nackt frieren, so ziemt es dem, der m ir die H abe nahm . Q u ält D ich die G ren zv errü cku n g ? Sie war gestern dem Besiegten eingebranntes Schm achzeichen; ist heute der A nfang von Entstaatlichung, Internationalisirung, Sozialisi*
rung: nenns, wie D u willst. Ist ein M ittel zu Verschm elzung von V ölkern, die weil sie einander nicht kennen un d hart in engem Raum stießen, H a ß geschieden hat un d die einander doch nützlich ergänzen können u n d m orgen m üssen. Ist ein M eilenm erkstein au f dem in hohem Bogen ü b er das W ilden«
vorurtheil gegen Frem dblut, Frem dglauben steilan bis in das Em pyreum der M enschenbrüderschaft führen den W eg. Die«
sem ju n g sprossenden G ed an ken , nicht einem U eberw inder, giebst D u Landstücke h in ; u n d brauchst dam it fürs Erste nichts A nderes einzuhandeln als das Recht, die auf diesem Land (D ir erobertem Frem dland: denke d ran l) siedelnden D eutschen in freier W a h l selbst ihr Schicksal bestim m en zu lassen, un d die schleunige A ufnahm e in den V ölkerbund. D an n bist D u geborgen. D u rfte st D u hoffen, der Kelch, aus dem alle V ölker B itterniß tranken, w erde D einer Lippe, n u r ihr, vorübergehen? D a ß auch in anderen Reichen M achtgier und
218 D i e Zukunft
R uhm sucht die in D am askus u n d T anger, B agdad u n d A gadir, auf der V ogesenhöhe, an E nglands K üste u n d dicht neben Ruß#
lands Südostflanke ängezündeten Feuer schürte, ist gew iß.
W isc h t aber nicht die Thatsache weg, d a ß der n u n verglim m ende K rieg an H avel u n d Spree beschlossen, entfacht, erklärt, begonnen w orden ist. D eine Regirer, die m it dem Plan sol
chen Krieges schon ein Ja h r zuvor gespielt hatten, ersannen die Lügen von V erschw örung u n d U eberfall, Fliegerangriff u n d G renzverletzung; sie haben O esterreich aus dem D ran g in A nnahm e der anglo^russischen V erm ittlervorschläge ge
hetzt, das schuldlos geschändete Belgien obendrein noch ver
leum det, m it flink stets erneuter Lüge den E rdball verpestet.
Sie zu strafen, das G ift ihres A them s auszuspeien, stand das vo n Taum el erwachte D eutschland zu R evolution auf. W ill es das B ekenntniß der Regirerschuld, die ihm das G ru n d recht un d die Ehrenpflicht zu R evolution gab, nu n hehlen, weil auf seiner Z inne nochR eichsw ächter sitzen, die (nach dem versailler Z o rn w o rt eines M inisters) vier Jahre lang den Partei
genossen un d G ew erkschaften beschw oren haben, D eutsch land sei schändlich überfallen w orden, u n d die um keinen Preis ihren Fehl, Irrthum oder U nw ahrhaftigkeit, entschleiern m öchten? A uch nicht, w enn n u r dad urch die H eim ath zu retten ist? D er Sieger darf, noch der von V ernunft gem äßigte, die A nerkennung seines Sieges u n d das E ingeständniß er
wiesener Schuld von dem U eberw undenen fordern. D eu tsch
lands Kaiserliche R egirung hat zuvor unahnbares, nie ganz tilgbares Leid in die M enschheit gesät. W en n das V aterland solcher U n heilsstiftung m it gesundem H irn u n d H erzen, nach C hirurgeneingriff, der kein H a u p to rg an verletzt, den Fall seiner W eh rm acht überlebt, tau gt ihm G lockengeläut eher als schrille Beschwerde. D a ß D u die Pest überdauerst, dankst D u der Leistung des Volkes. D a ß es seitdem , wie D u selbst sagst, sich tief entsittlicht hat, w ird durch den Lügennebel, w orin m an es hält, leicht erklärlich. Laß es erkennen, was ist, bekennen, was war, aus Selbstvergottung u n d Feindver
teufelung in die K larheit des W illens zu Sühne u n d Läute
ru n g steigen. D a n n lernt es sein Schicksal, dessen schwarzes V erhängniß in der den K öm m ling froh um fangenden V ölker
Wenn die K nosp e springt 2 1 9
gesellschaft sich bald lichtet, als das W e rk untrügbarer All*
gerechtigkeit lieben, langt, als nach der allein ihm from m en
den Ehre, nach der Sühnm öglichkeit; u n d schreitet, erhobenen H aup tes, m it hellem Blick, d urch die neun H öllenkreise, über die sieben B üßerterrassen in das D ritte Reich edler M enschlich
keit, dessen T h o r n u r den von H o fa rt u n d P ra ß lu st, N e id und G eiz, Lüge u n d H a ß U nh eilb aren sich niemals entriegelt.1 “ Im Bezirk der M aterie w ard diese V oraussicht als richtig erw iesen. Versailles, h ieß es, w ird T o d esu rth eil; durch die A nnahm e des Vertrages scheidet D eutschland sich selbst aus d er Reihe irgendw ie gewichtiger W irthschaftm ächte; schon die erzw ungene A bgabe von Vieh, Lokom oti ven, W agons, G eräth aller A rt, schon den V erzicht a u f das Erzeugniß seiner K olo
nien kann es nich t aufrecht überdauern. Zw ei Jah re später:
D eu tsch land lebt, athm et kräftig, w ird sogar, m it sechs M il
liarden G oldm ark Jahresexport, ringsum w ieder als K onkurrent a u f dem W eltm ark t gefürchtet. Fast alles W irthschaftliche ist anders gew orden, als die sachverständigsten G eschäftsm änner w ähnten. D e r deckbare Bedarf, den sie am Ende der Kriegs
zeit ins R iesenm aß wachsen sahen, noch viel kleiner als ich, Laie, im F rühjahr 19 verm uthete. U m G ebirgshöhe, m einten sie, werde, nach so langer E ntbehrung, V erbrauchersnachfrage das W aarenan gebo t übersteigen. Jetzt? U ngeheures A ngebot un d die N achfrage auf ein Fünftel der V orkriegsgew ohnheit herabgedrückt. Staunt E in er? Er überlege, was er, für H eim , Fam ilie, E igenbedarf, G eschenk, vom W einkeller un d K och
to p f bis zum Koffer in der Bodenkam m er, seit dem Friedens
schluß, ohne je dabei in V erschw endung zu entgleisen, ange
schafft hätte, w enn ers bezahlen könnte. W e n n die tolle]Theue- rung, grausam er Steuerdruck, V erm ögentheilkonfiskation ihn nicht zwängen, den schäbigen A nzug von anno 14 w enden oder färben, die Scheibe im D o ppelfenster zersplittert, die d ü n n gesengte, tief verschram m te Pfanne au f dem H e rd zu lassen,m it ausgefederter M atratze, geflickter Leib- u n d Bettwäsche, ge
stopften Strüm pfen, M u n d- u n d N üsentüchem sich zu behelfen.
So gehts fast jedem nicht in Schieberien Erw achsenen. N ic h t n u r in D eutsch land ; ungefähr ähnlich ists überall in Europa.
K äuferstrike? A ussperrung der K äufer, m üßte es heißen; der
D i e Zukunft
hohe Preiszaun läß t sie nicht durch. D e r V erbrauch, sagte, nach gründ lich er E rk u n d u n g im In* u n d A usland, jü n g st der In*
haber des W aarenhauses T ietz, ist au f zwanzig Prozent des V orkriegsertrages gesunken. L änder hohen G eldw erthstandes k ön nen ihre W aaren nicht ins valutarisch schlechtere Aus*
lan d absetzen u n d sind von A rbeitlosigkeit bedroht. (A uch Schweden steht n u n vor gefährlicher W irthschaftkrisis.) Bei uns jam m ert Alles ü b e r den tiefen Fall deutscher Z ahlm ittel;
u n d doch sagen m ir ernste W irth sch after: „ W en n wir das ,Glück* erleben, d a ß der D o llar für fünfundvierzig M ark zu kaufen ist, k önnen wir, m it den unsenkbaren R ohstoffpreisen u n d Löhnen, ü b e rh a u p t nicht m ehr exportiren, weil unser P ro d u k t dann nicht m ehr d urch B illigkeit den Käufer lockt.
N ic h t nu r das dunkle G ek ribb el der Spekulanten in M arkvaluta sorgt also dafür, d aß die Börse fest ist u n d Feste feiert, w enn die M ark .schlechter aus N ew Y ork kommt*; auch der weit*
sichtige In d u strielle, der rechtschaffene K aufm ann erkennt im Steigen deutscher V aluta die G efahr naher A bsatzstockung.
D ie W eltw irthschaft keucht heute eben im Irrenhaus; u n d es ist durchaus nicht u n denk b ar, d aß schlaue A m erikaner die M ark in die H ö h e treiben, dam it unser Fertigfabrikat ihrem , das in T hurm stapeln nach A bsatz drängt, nicht länger noch in die Q uere kom m e.“ A lle hoch ragenden K öpfe unseres Ge*
werbes (n u r Ballin nicht) w aren gew iß, d aß nach dem Krieg, dem deutschen Sieg, an dem sie niem als zweifelten, überall Frachtraum fehlen w erde, u n d erw ogen längst jede Mög*
lichkeit, zu rechter Z eit sich neutrale T onnage zu sichern.
K onnte es anders w erden, da ganzeA rm aden versenkter Schiffe auf dem M eeresgrund lagen u n d unsere Presse, Jahre lang, täglich „reiche U* Boot« Beute“ gem eldet h a tte ? D eutschland verlor den K rieg; m ußte seine H andelsflotte, auch R üm pfe u n d B augeräth, ausliefern u n d ob en d rein sich verpflichten, in jedem Ja h r zw eihunderttausend T o n n en Schiffsraum fü r die Sieger zu bauen. E rg e b n iß ? A cht bis neun M illionen T o n n en liegen auf Sand; sind unverw endbar, weil viel m ehr T onnage angeboten ist, als gebraucht w ird. M indestens eine M illion englischer Schiffe ist au ß er D ienst. D as billige An*
g ebot der erbeuteten deutschen Schiffe hat den Preis so ge*
W enn die Knospe springt 221 drückt, d aß die K auflustigen noch Beträchtliches abhandeln ko nnten und viele alte R heder ihre theuer gebauten Schiffe aus der Fahrt ziehen m ußten, weil K onkurrenz m it den billig erw orbenen nicht m öglich ist. N ächste Folge: D en deutschen W erften gehts besser als den britischen, die imm er wieder A rbeiter entlassen m üssen; u n d bestehen die Sieger auf dem vom V ertrag geforderten deutschen Schiffbau, dann d ro h t dem W erftgew erbe Englands gefährliches Siechthum . N ic h t der allgemein erw arteteT onnagem angel ist also Ereigniß, sondern Frachtm angel, berghohes U eberan g eb ot von Frachtraum . Na»
türliche W irk u n g der geschrum pften K aufkraft u n d des eng eingeschränkten V erbrauches. Schon haben denn auch Mit*
glieder der R eparation C om m ission den V erzicht auf die Ver*
tragsartikel em pfohlen, die N e u b a u un d Lieferung ausbedun*
gener Seetonnage von D eu tsch lan d fordern. Ehrliche Unter*
hand lun g könnte leicht sogar einen T heil der noch nicht ver*
kauften deutschen Schiffe zurückerlangen. W eiter. D ie von D eutschland an Frankreich um sonst, als Entschädigungtheil, zu liefernde K ohle schm älert E nglands K ohlenexport, m in
d e rt einen der w ichtigsten A ktivposten in Britaniens Bilanz.
Folge: A rbeiterentlassung, Lohnzw ist, Strike. A u f die Länge kann E ngland nicht ertragen, d aß Frankreich große Kohlen*
m engen billiger erhalte u n d anbiete, als die über den Aermel*
kanal exportirten zu haben sind. D eshalb Frankreichs Be*
schw ichtigungvorschläge: G oldpräm ie (Spa) u n d Kohlenson*
derzoll (L o n d o n ). W ird aber die deutsche Kohle noch künst«
lieh, nicht nu r durch Löhne, Profitsucht, Z w ischenhandel in der H eim ath, vertheuert, so wachsen die K osten der P ro d u k tio n aberm als un d D eutschland kann, auch m it „erträglich schlech*
ter“ Valuta, w eder exportiren noch des Siegers Schäden repa*
riren. W eil die M asseneinfuhr deutscher M aschinen, der Be*
zug des technisch.industriellen A pparates aus D eutschland N ordfrank reich zwänge, auch die Ersatztheile von uns zu beziehen, im Fall von E rw eiterung, A usbesserung, Neuan*
lagen sich an die deutsche Industrie zu w enden, von ihr m it dem ganzen eingebauten W irthschaftgeräth abhängig zu wer*
den, stem m t sich die G ru p p e Loucheur heftig gegen den Plan, D eutschland in g ro ß indu striellen P ro d u k ten zahlen zu lassen.
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H e rr Foster»Dulles, der aus den Vereinigten Staaten in die pariser Friedenskonferenz abgeordnet war, sagte neulich, bis in den O k to b e r 20 habe Frankreich, weil die M einung Lou*
cheurs sich durchgesetzt hat, von D eutschland nicht eine ein
zige der M aschinen gefordert, die es, fü r Land« u n d Stadt»
w irthschaft, nach dem Versailler Vertrag um sonst für sich hei«
sehen dürfte. D ie V ereinigten Staaten selbst haben, w ährend sie das gewaltigste Rüstung* u n d W erftgew erbe aus der Erde stam pften, eine m ächtige,m ehr als andersw o m echanisirte.also w eniger vom L ohn abhängige Friedensindustrie geschaffen, die A bw ehr europäischer E infuhr gebietet un d Europas M ärkte erobern will. A u s dem L ande des grö ßten Nähr* und Rohstoff*
exportes ist eins gew orden, das N ährm ittel einführen, Fabri*
kate ausführen m u ß. D eutsche C hem ikalien, Farbstoffe und ähnliche H a u p tg ü te r unseres E xportes von ehedem fänden d o rt keinen E inlaß m ehr. A n d ersw o ? Viele Länder haben die Z eit unseres schlechten G eldstandes zu A nschaffung von M aschinen u n d Industriew erkzeug genutzt, die ihnen ermög*
liehen, fortan in Eigenbetrieb zu schaffen, was sie einst von uns kauften. U m ihre jungen In d ustrien (besonders die fü r C hem ikalien) zu schützen, haben die m eisten beschlossen, deutscher E infuhr das T h o r zu verriegeln. A ll diese W and*
lungen w eltw irthschaftlicher Struk tu r u n d Bedürfnisse wären uns eben so schm erzhaft füh lbar gew orden, w enn unsere Ge*
schäftsführer verstanden h ätte n , zu rechter Z e it, ehe der W ü rfel fiel, die H ärten des Friedensvertrages zu erweichen.
D as war redlicher K lugheit nicht unerreichbar. ,,Alles, weil es hart, lästig, schmerzhaft ist, abzulehnen, ist, in uti«
serer Lage, nicht n u r unehrenhaft, sondern auch dum m . Gün*
stige A enderung ist n u r zu hoffen, w enn D eutschland sich zur A nnahm e alles irgendw ie Erträglichen, zur Sühnung alles S ühnbaren bereit erklärt un d n u r da, wo ihm U nertragbares, allzu Schädliches zugem uthet wird, sachlich zu beweisen sucht, d a ß ihm, ohne dauernden N u tzen , sogar zum Schaden mensch»
licher G esam m tinteressen, U nrech t angesonnen w ird. A uf sein Recht d arf nur pochen, wer sich selbst als gerecht er*
wiesen hat.“ In der letzten M aiw oche des Jahres 19 sagte ichs hier. D ie vom G eist des M inisterialdirektors Simons,
W enn die Knospe springt 2 2 3
also nicht stark erleuchtete D elegation verstand ihre Auf*
gäbe anders. Sie „p rotestirte“ ; gegen alles Schmerzende m it gleicher H eftigkeit. Erfolg: ihre Proteste verhallten ins Leere un d ihr N oten g estö ber w urde bald kaum noch beachtet. M ir schien w irksam n u r der Versuch, die obersten Spitzen, die schärfsten Stacheln von der langgestreckten Bedinghecke weg*
zuschneiden, in die D eutschland gezw ängt w erden sollte. Har*
ter Friede w ar uns gew iß. „D er Friede m uß ohne Sieg ge*
schlossen werdens. D as klingt nicht angenehm . A ber einem Sieg w ürde ein Friede folgen, der dem Besiegten aufgezw ungen wird;
er brächte B edingungen, die der Sieger dem U eberw undenen auferlegt, un d w ürde eben deshalb, mit seinen H ärten, m it der F orderu n g kaum erträglicher O pfer, ein G efühl der Demü»
th igu ng wecken, ein bitteres Erinnern u n d den spornenden D rang’nach Rache hinterlassen, Em pfinden, in dem der Friede nicht fest, n u r wie in Flugsand, w urzeln kann.“ D as sprach Präsident W ilso n , w ährend er noch m it dem D eutschen Bot«
schafter verhandelte. Er w ollte Friedensschluß vor dem Sieg einer K am pfpartei: weil ihm nie Zw eifelsgegenstand war, d a ß kein Sieger den Besiegten als „G leichen“ behandeln u n d ihm den Frieden gew ähren werde, „der allein sichere D au er verheißt.“ D en verbürgten schon die Vierzehn G ebote nicht mehr, die er ein Jah r später, als K riegführer, in Siegesgewiß*
heit, v erkündet hat u n d die in D eutschland, auch von Liberalen un d Sozialisten, schroff, als „unannehm bar, gar nicht erörter*
b ar“ , abgelehnt wurden. N ach dem alles H offen überleuchten*
den Sieg u n d dem oft w iederholten deutschen Ohnm achtbe*
k en n tn iß hatte der H o h e R ath der Vier diese Bedingliste samm t vielen N achträgen als „G ru n d lag e“ des Friedens vertrages dem Besiegten gew ährt, ihm aber nicht das D eutungrecht zugespro*
chen. Im m erhin blieb ihm zu A n tw o rt un d A enderungvorschlag Frist. D ie nutzte er . . . durch A u sstreuung von D enkschriften;
ü ber die U nschuldW ilhelm s u n d seiner Bethm änner (die doch, als Schuldige, weggejagt w orden w aren), ü ber die K olonien (die wir doch, ohne Schiffe, K ohlenstationen, international vollgiltige Z ahlm ittel, fürs Erste, leider, gar nicht verw alten k o n n ten ); über Alles, was D eutschenbegehr sein durfte, doch ungestillter bleiben m ußte. Love’s la b o u r’s lost. Eben so
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fruchtlos m ußte das M ühen w elken, H errn W ilso n , weil zwischen seinem Reden u n d H an d eln ein breiter Spalt klaffe, als „F liegengott, V erderber, L ügner“ aufzuspießen. D as W ichtigste aber geschah nicht. „Fresko u n d illum inirt“ (nach Schillers anschaulichem W o rt) m ußte gezeigt werden, d aß m it dem G ru n d satz des A chten Vertragstheiles (R eparations) die in der Ersten A nlage zu diesem T heil ausgesprochenen Forderungen unvereinbar seien. W u rd e D eutschland, weils m ehr nicht zu leisten verm ag, nu r für den durch A ngriff zu Land, zu See u n d aus der Luft dem C ivilvolk bereiteten Schaden haftbar gem acht (A rtikel 232), dann durfte m an ihm nicht die furchtbare Last der den m ilitärischen K riegsopfern, V erkrüppelten, Kranken, Invaliden, un d dem H eer der ohne E rnährer H interbliebenen zu zahlenden Pensionen aufbürd en (A nlage I 5). A n diesem P u n k t m ußte alle W iderstan dskraft sich sam m eln; die H offnung, hier W an d el des W elturtheils durchzusetzen, war durchaus nicht eitler W ah n . Viel schlimmer als die (m it dem A ufw and von zehn M illiarden G oldm ark zu erfüllende) Pflicht, N ordfrank reich w ieder aufzubauen, drückt uns heute das ungeheure, noch nicht tragbare G ew icht die*
ser kapitalisirten R uhegehälter un d Entschädigungrenten.
D eutschlands A th m u n g wäre freier, wenns gelungen wäre, diese Sum men als den K riegskosten zugehörig, also nicht er*
satzpflichtig zu erweisen. D as w urde nicht ernstlich versucht.
Seit der U nterzeichn u n g des Vertrages wars nicht m ehr nachzuholen. D er konnte, bis tief in den Ju n i 19, geändert, verbessert w e rd e n ; ihn abzulehnen, k o nn ten n u r A benteurer, K atastrophensüchtige, des W eltw o llen s u n d deutschen Ver*
m ögens gleich b lin d U n k u n d ig e em pfehlen. U eb er dieM ängel u n d groben Fehler des (viel zu hastig gezim m erten) Vertrages ist genug, auch in den Ländern der Sieger, geklagt w orden.
A b er n u r K indsköpfe h atten bezw eifelt, d a ß der Verlierer dieser beispiellos ungeheuren Partie au f Sohn u n d Enkel die E ntschädigunglast vererben w erde. „W en n s auch n u r als Rem is endet, sind w ir pleite“ ; stöh n te schon im Jan u ar 15 ein berliner B ankier (d er seitdem w ohl seinen Besitz, min*
destens, verzehnfacht hat). N ach einem Krieg, der fü n f M onate dauerte, im W esentlichen aber nach fünf W o chen (Sedan)
W enn die Knospe springt 2 2 5
beendet war un d in dessen Verlauf kein Feindesfuß deutschen B oden betrat, forderte u n d erlangten wir, 1871, außer Elsaß*
L othringen u n d der M eistbegünstigung im H and el (der da*
durch, nach Sprachgebrauch von heute, „versklavt“ w urde), fünf M illiarden, die alle K riegskosten deckten u n d oben*
drein, in blanken G oldstücken, einen Riesenhort in den span*
dauer Ju liu sth u rm häuften. D ie W e lt fand D eutschlands For*
derung nicht unm enschlich grausam ; begriff auch, d aß der G läubiger, bis ihm der letzte Franc gezahlt war, seine Trup*
pen in Frankreich ließ. Fünfzig Jah re gehen. D er W erth alles Geldes, nicht nu r bestim m ter Z ahlm ittelsörten, sinkt. D er Krieg, gegen zw eiunddreißig Feinde, hat fünfzig M onate ge*
dauert, fünfzig M onate lang auf Frankreichs, Belgiens, Polens, Serbiens, lange auch auf Rum äniens u n d Italiens Erde ge*
tobt.Hiberall W erth e nie erträum ten U m fanges vernichtet, der Privatw irthschaft selbst kaum erm eßbaren Schaden bereitet.
D arf der Verlierer staunen un d Z eterm ordio schreien, weil ihm in Versailles fünfzehnm al (höchstens) m ehr abver»
langt w ird als einst den T hiers u nd Favre? W eil fünfzig bis siebenzig M illiarden nich t, gar nach der A ush öh lun g d urch Krieg u n d B lockade, auf ein Brett zu zahlen sind, m u ß die A bzahlung auf Jahrzehnte, drei oder vier, gestreckt w erden: und Zins u n d Zinseszins schwellen die Schuldsum m e ins Elephantische. W eil im internationalen V erkehr die M ark nu r noch, ungefähr, den W erth von acht Pfennigen wahr*
haftiger G old w äh ru n gzeit deckt, m üssen wir, um die Schuld zu tilgen, Papier* H im alayas aufthürm en. „D reizehn Billionen M a rk , dreizehntausend M illiarden!“ D en H ö re r grausts;
u n d wer agitiren, H a ß un d W u th säen will, braucht solchen D ü n g er (aus Stickstoff). W a h r aber ist u n d bleibt, erstens, d aß alles Portem onnaieleid ausgestanden gewesen, aller „Ver*
nichtungw ille“ in A k korde jauchzender Seligkeit verklungen wäre, wenn w ir vor zwei Jahren fünfzig M illiarden G old , n u r zehnm al m ehr, als Frankreich nach dem Frankfurter Frie*
den gezahlt hat, in die pariser Kassenschalter zu tragen ver*
m ocht h ätten ; und, zweitens (deshalb), d aß unser Finanz*
elend nicht so sehr durch die Entschädigungsum m e wie durch den Krieg und dessen T ollhausw irthschaft verschuldet wor*
2 2 6 D ie Zukunft
den ist. G o ldm illiarden, P apierbillionen: kein Centim e, nicht mal ein Pfennig davon bleibt den Siegerländern als Kriegs
kostenersatz oder (nach dem G iebelspruch am potsdam er Schauspielhaus) zum V ergnügen der E inw ohner. N ic h ts c h o n A usgegebenes fließt in ihre Kassen zurück. D er Besiegte h at n u r die Last der A usgaben zu tragen, die m orgen nöthig w erden, um von ihm Zerstörtes wiederherzustellen. N och diese Last w ird ihm, fürchte ich, zu schwer (und erinnere an das zuvor über M ilitärpensionen u n d Reliktenversorgung G esagte). U ngerecht aber, auch n u r ungew öhnlich im Rah»
m en kapitalistischer Kriegsgeschichte ist die G eldforderun g nicht; ist die erste, die, weil sie m uß, alle eigentlichen Kriegs»
kosten ungedeckt läßt: u nd drum nichtsnutziger U nfug, ge*
fährlicher Frevel, zu th u n, als sei sie T ributverlangen eines U eberm üthigen, der sich wucherisch bereichern will.
W as im Reichstag von ,,G ew issensnoth“ etc. pp. geächzt, was ü ber die „verhängniß volle E ntscheidung“ der elften M ai
nacht geschw atzt u n d geschrieben w urde, ist eben so fauler Z au b er wie Alles, was wir seit W ochen über „leidenschaft
liche S pannung“ u n d „tiefgehende E rregung“ der Volksseele lesen. (G esp an n t: au f dem R ennplatz, tief erregt: im K ino;
gegen alles irgendw ie Politische, R uhr oder Schlesien, abge
stum pft wie ein K üchenbeil, das seit 13 keinen Schleifstein spürte.) M u ß denn immer gelogen w erden? D ie verhäng»
n iß v o lle Entscheidung fiel am T ag der versailler U nterschrift.
„R uin, Selbstm ord, T o d esu rth eil“ : kreischten tausend Stim
men. M einetw egen. D a Lebendiges aber nu r einmal sterben kann, wars doch w ohl zwecklos, nach jedem M ahnruf zu E rfüllung der V ertragspflicht eine neue Todesanzeige in die W e lt zu schicken. U nsere Regirer vertrödelten die (v o n vier a u f zwanzig M onate verlängerte) Frist, in der sie E ntschä
digungsvorschläge m achen, Schuldtilgungpläne ans Licht bringen durften. D a sie, selbst nach dem uns freundlichsten U rtheil, nichts A nnehm bares boten, kam das pariser Ja n u ar
k o n k o rd at. Z orn oder Zorn«Ersatz gellte durchs Land. „D ie frechste H erausforderu ng 1 Lächerliche Ziffern. V on irrsin*
nigen B anditen erdacht. W er die A nnahm e auch n u r erw ägt, ist ein L andesverräther!“ E inladung nach London. D o rt kläg
W enn die K nosp e springt 227 lichste Blamage. D ro h u n g des nich t ohne G ru n d nachgerade ungeduldigen G läubigers. D ü sseldorf, D u isburg, R uhrort be*
setzt. Rheinzoll. „Schreckt uns nicht. W ir sind bis an die äußerste G renze gegangen u nd w ürden unehrlich, w enn wir um eines Fußes Breite weiter gingen.“ G ehen aber. W en n Präsident H ardrng befiehlt, bis au f den G ipfel des pariser M illiardenberges. W eil das U ltim atum , die B edrohung mit Frem dherrschaft üb er Kohle u n d Eisen, schreckt. In der letzten Friststunde w ird Alles angenom m en. Schämen die Preisver*
derber, die Schreiers sich? „So siehste aus.“
Ein H auptfehler war, d aß zu A u sfü h ru n g des Vertrages Leute berufen w urden, die ihn verw orfen hatten, als die ver«»
w erflichste U rk u n d e aller Jah rh u n d erte bespien. Fiele irgend»»
wo dem V orstandskollegium einer Bank ein, K onstruktion un d A bw ickelung eines Geschäftes dem D irek to r zu über*
tragen, der es h eftig , wie Pestgefahr, bekäm pft h a t? D er W ille mag rein, der Eifer noch so emsig sein: unter der Be*
w ußtseinsschw elle glim m t der W unsch, des ersten U rtheiles Trefflichkeit m öge sich A llen offenbaren. W e r aus dem A m t ging, weil ihn der versailler Pakt ein D ok um ent der Schande, voll tötlichen G iftes fürs deutsche V aterland dünkte, kann nicht ganz aufrichtig, in jedem W in k el des H irnes u n d Her*
zens, wünschen, d a ß des Geschehens A b lau f ihn als Fehl*
Sprecher, als falschen Propheten erweise. H eute ist ü ber die U nzulänglichkeit des H e rrn Simons fast Alles einig. H e rr D r. R athenau spottet, ohne N e n n u n g des N am ens, dessen T räger er allzu lange gehätschelt hat: „Bis L ondon köstete der G egenw artw erth der Z ah lun g 53, heute kostet er über 132 M illiarden. D ie Reise der Staatsfunktionäre unter Aus*
Schluß störender Elemente hat sich gelohnt un d der Beifall auf den B ahnhöfen war w ohlverdient.“ N u r sein Vornamens*
vetter, H err W alth er Simons, war gereist u n d Bahnsteigheros gew orden. D er, schrieb H err W ich ard von M oellendorff,habe
„stilistischen T ak t bei am erikanischen A nw älten u n d algebra*
ische Tricks augenscheinlich bei galizischen H än d lern erlernt.“
A us h u n d e rt anderen Federn sickerte T ad el; spät. Viele Mo*
nate lang m ußte ich, weils Pflicht gebot,m ich dem V erdacht aus*
setzen, B efehdung des A ußenm inisters, dessen N achfolge doch
jedem anderen B ew ohner D eutschlands eher als mir angeboten w ürde, sei meine Sonderlust. H err D r. Simons batte in der R echtsabtheilung des A usw ärtigen A m tes gesessen, als das auf Preußens A ntrag neutralisirte Belgien vom preußischen D eutschland überfallen, dann aus gefälschten U rk u n d en m it Schm utz bew orfen,derP assagirdam pfer „L usitania“ versenkt, K apitän Fryatt erschossen, die Sussex » N o te abgeschickt, der hem m unglose T au ch b oo tk rieg begonnen, Italien als eid*
brü chig verschrien, Präsident W ilso n samm t unserem Bot*
schafter geprellt, die B eschießung offener Städte un d Bade»
plätze, die M enschenverschleppung aus Belgien, Mädchen*
verfronung in Lille gebilligt w urde. D ennoch hält er sich für einen „Fanatiker des Rechtes“ . D en stelle ich m ir anders vor.
E r machte Alles mit. W a r auch in Brest*Litowsk un d half zum A bschluß eines Friedensvertrages, der viel schlimmer, noch viel unsittlicher war als der versailler: weil er Land, M acht, G eld, Fürstenhüte, also Beute, nicht Entschädigung, einbringen sollte. N ichts von Alledem , auch nicht, was im R eichsinneren, von Liebknechts Einkerkerung bis zu Lan»
dauers Z ertram pelung, geschah, trieb ihn aus dem A m t. Erst m it dem G rafen Brockdorff, dessen geistreiche, doch im kopen»
hagener T öpferbetrieb der W eltstim m ung entfrem dete Di»
plom atie der in G letscherfragen internationaler Politik ge*
hö rte J u rist in die grundfalsche T ak tik der Rede, der N o ten verleitet hatte, ging er. W o llte für den „Schm achfrieden“
auch als dienendes G lied nicht verantw ortlich sein. D er zuvor tiefe N eig u n g in Sozialismus, leis, bekannt u n d m anchem
„U nab h än g ig en “ gern gelauscht hatte, ließ sich n u n von der G ro ß in d u strie m iethen, die von seiner A rb eit dann nicht be»
glückt w ar; galt seitdem als Z aungast der D eutschen Volks»
partei und w urde, als „Fachm inister“ , ins Kabinet Fehrenbach gerufen. A ls Fachm ann Einer, dem Internationalpolitik ein Buch m it sieben Siegeln ist; der zwanzig Jahre lang Richter, da*
nach V ortragender R ath für Staats», Handels* un d V ölkerrecht war; nicht die innere G eschichte noch das Personale der Welt*
mächte, nicht einm al die H auptsprachen kennt. Zunächst klan*
gen unserem längst nicht m ehr verw öhntem O h r ein paar Reden hübsch. Bald aber w urde das junge H offen enttäuscht. M it Ruß*
W enn die Knospe springt 2 2 9
land, sprach der M inister, könne er sich nicht einlassen, ehe die E rm ordung des G rafen M irbach gesühnt sei. D en hatten nicht Bolschewiken, sondern deren Erzfeinde getötet. Zehn oder zw ölf D u tzend des M ordes V erdächigter waren schon injoffes berliner Z eit erschossen un d die Sühne als ausreichend dadurch an erkannt w orden, d aß D eutschlands Kaiserliche Regirung einen neuen G esandten , H errn Helfferich, in M oskau be*
glaubigte. N ach W iederaufnahm e am tlichen Verkehrs Buße fordern: ungefähr ists d em M ißbrauch ähnlich, den dieMensur*
spräche „N ach*T ouche“ nennt. Steifnackig blieb der Mi*
nister auf seinem W ah n . U n d diese Landrichterschrulle ist schuld daran, d aß, trotz stetem D rängen aller V erständigen, erst jetzt, in der zweiten M aiw oche, der (höchst w ichtige) Vertrag m it R u ßland zu Stand kam. N o ch ists n u r A nfang;
u n d nur als Trutzw im pel, der Frankreich ärgern oder ängsten könne, hat ihn, schon im Sterben, H err Simons zugelassen.
N u n also lag die Leiche nicht m ehr im W eg. W iderrufene Loblieder auf die Leistung M oskaus (d as die ewige Mir*
bachiade nie einer A n tw o rt w ürdigte), auf die Deutschen*
liebe des M r. Lloyd G eorge, berichtigte und berüchtigte Interview s, Erweis offiziell falscher A ngabe im Fall des
„M a tin “, A ufw iegelreise vor, H irn b ank erot in L ondon: w ozu die G lieder der lang schleppenden Fehlerkette ab tasten ? D er fromme M onarchist sollte der R epublik A nhang w erben;
D er im Friedensvertrag Teufelsw erk w ittert, sollte Mensch*
lieh* Brauchbares draus gestalten. Ein lauter T heil der Presse schmeichelte ihm (w eil er dem K onkurrenten, dem bösen N achbar nicht gefiel), ju n g e H erren u n d ausgepichte Stre*
ber des Am tes schwärm ten, m it him m elndem A uge, von der reinen Seele des M inisters, „der das V ertrauen des A uslandes wie kein A nderer habe.“ Fehlgriffe bei Postenbesetzung un d R eferentenernennung, barsch auftrum pfendes G ebaren („K ein W o rt mehr, H err M in isterialdirektor!“), undäm m bare Red*
Seligkeit, D rang in V orm undschaft, H errschaft ü ber das Kabi*
net ließen m ählich die Folgen zu hohen A ufschw unges, die U eberladung m it ranzig süßem H u d e llo b ahnen. N och aber blieb die rasch wachsende Spiegelsucht unbeachtet. Kein T ag ohne Simons. D a ß er allein, ohne Kollegen u n d selb*
stän digeW irthschaftgutachter, nach L ondon ging, Einer gegen vier G eh ü rn te fechten w ollte, w ar schon arg. A erger die zähe, nie erwiesene B ehauptung, der am ersten M ai 21 fällige Mil«
liardenhaufe sei längst bezahlt, überzahlt. D ie G aukelspiele m it Ziffern, die vertraulich machen sollten. Theaterei auf Bahn*
höfen. „Ikarus! Ikarus! Jam m er genu g !“ N o ch nicht. D er B ritenprem ier, der vergebens getrachtet hatte, ihm m it Wim«
per u n d Lid das Versteck der O stereier zu zeigen, seufzte:
,,Ein ehrlicher M ann, aber unfähig zu V erhandlung.“ D ies sogar bleichte n ich t nie Sonne der G loria. D as A ntlitz des (wie ein besiegter Feldherr im kaiserlosen. D eutsch land ) Tri*
u m phirenden schien zu fragen: „E rkennst D u , Volk, nun, wie abscheulich der Vertrag ist, den meine W eisheit verw arf?“
U n d N iem and antw ortete: „W eil D u ihn verw arfst, durftest D u D ich nicht zu A u sfüh run g seines Inbegriffes verpflichten.“
D as Reden un d T h u n der letzten A m tszeit schien eines K ranken. Z u v o r fest geknotete G ru n d sätze w erden, wie eines unbew eglichen A nkers T au , hastig gekappt: und hin?
aus gehts, ohne Ballast u n d Steuersicherung, in W in d un d W ellen. D er Papst soll an W ash in g to n s W eißes H au s pochen.
D e r berliner C entrum szeitung, die K en ntniß (nicht etwa T ad el) des K nabenplanes andeutet, d ro h t der M inister mit Strafanzeige wegen Landesverrathes. Je d er R eferendar weiß, d a ß von V errath eines Staatsgeheimnisses, „dessen Geheim*
h altu n g für das W o h l des D eutschen Reiches erforderlich ist“ (§ 9 2 1 StG B .), hier nicht die Rede sein könnte. D er jü ng ste Z ög ling einer W echselstube w ürde nicht glauben, politische Schlüsse daraus ziehen zu dürfen, d aß in der Z eit sachter D evisenschw ankung die K aufkraft der M ark eines M ittags um anderthalb A m erikanercent gewachsen ist. D er Leiter unseres internationalen G eschäftes glaubts. L äßt sich von am erikanischen Kauf leuten, die, um in D eutschland Textil*
stapel unterzubringen, für Schiedspruch der H erren H ard in g u n d H ug h es bü rgen zu k ö nnen behaupten, eine W inselde*
pesche diktiren, fragt nicht, w er fü r die B ürgen bürge: und w ird schm ählich gefoppt. D er V erhätschelte w ähnt sich von Feindschaft um lauert. „M an w irft m ir K nüppel zwischen die B eine!“ (M an, w isperts im K abinet: „dam it m eint er den K ollegen W irth , der ihm oft ernsthaft widersprach, auf den
W enn die K nosp e springt 2 3 1
er den Erzbergerhaß der B rockdorffgruppe vererbt hat un d den er der T o tsü nd e zeiht, das B ittgesuch an den V atikan der .Germania* ausgeplaudert zu hab en.“ ) D er G eheim rath von vorgestern, Industriebeam te von gestern hat, da er in dem M inisterium , das G elegenheit zur nützlichsten, neidens*
w erthesten Leistung bot, den V orsitz annahm , „dem deutschen V olk ein O pfer gebracht“ . „Ich bin zu sehr M ann des Rech-«
tes, um nach der bisher gütigen M ethode Politik treiben zu können.“ N ach der M ethode Steins, Bismarcks, M iquels, Bülows, Jagow s o der U lrichs Brockdorff*Rantzau, der sich, auch er, durch diese Scheidung gekränkt fühlen k ö n n te?
„Ich war zu lange ausschließlich J u rist u n d kann m it diesen M eth od en nicht arbeiten.“ K ann aber, zum Beispiel, ein Jah r lang stum m hören, d a ß dem A bgeordneten Erzberger Kapi*
talsverschleppung vorgew orfen w ird, u n d dann erst, u nter dem Z w ang einer Frage des Finanzm inisters, antw orten, der B eschuldigte habe vom A usw ärtigen A m t dazu bestimm tes G eld, nicht eigenes, ins A usland gebracht; also, scheint mir, nicht A nklage, sondern D ank verdient, m ehr als ein Industrie*
m iethling, der sich herabließ, W irkensraum , M acht un d G lanz, Sold u n d A u to des Reichsm inisters anzunehm en.
„T el brille au second rang, qui s’eclipse au prem ier.“
D en Vers aus Voltaires H enriad e übersetzt das W o rt vom Karrenschieber, der K utscher sein sollte, ins volksthüm lich D eutsche. D e r tüchtige, ü b er die A lltagsnorm hinaus brauch*
bare Beamte w ird sich vom A ufflug in Firnluft erholen und als Präsident eines O berlandesgerichtes, als Bürgerm eister oder Staatssekretär im inneren D ienst der Pflicht durchaus pünkt*
lieh genügen. Er war (d er nicht so sim ple Fall B ethm ann bleibt au ß er Vergleich) der theuerste M inister, den D eutschland, den, vielleicht, irgendein Reich jem als hatte. D ie paar M onate seines Regirens „nach neuen M eth o d en “ kosten uns viele M illiarden. W en n er die E ntschädigung, zu der er in der Mai*
däm m erung bereit war, im D ezem ber angeboten hätte, wäre der G läub iger hö chst zufrieden gewesen u n d kein pariser K onkordat, kein lon d oner U ltim atum E reigniß gew orden.
A n V orm arsch, neue P fandnahm e, A ufsichtrecht, Strafan*
d ro h u n g w urde erst gedacht, als dieser Z ufallsm inister die Keime des noch flach u n d locker w urzelnden Vertrauens
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w eggeknickt hatte. Entw affnung, Verfahren gegen die des M iß brauch es der M ilitärgew alt un d böseren Frevels Ange*
schuldigten, Reparation: seine N o te n w arben nirgends m ehr G lau b en. W eil er unter w uchtigem D ru ck ü ber die gestern von Schlagbaum und M arkstein bezeichnete „äußerste G renze deutscher L eistungfähigkeit“ ging, lockte er selbst den Geg*
ner zu V ersuch noch stärker w irkenden Zw anges. Freiwilli*
ges A n g eb o t von drei V ierteln des jetzt dem deutschen Volk A ufgebü rdeten hätte uns vor sechs M onaten A ch tun g und versöhnliches G efü h l eingebracht; hätte uns unw iederbring»
liehen A ufw and erspart. D en E insturz des fünften Reichs*
kabinets hat H err Simons, nicht das U ltim atum , bew irkt. Für dessen A nnahm e haben, als A bgeordnete oder ins A m t zu*
rückgekehrte M itregirer, fast alle G efährten des H errn Fehren*
bach .d er K anzlerselbst u n d die sichtbarsten H äu p ter der Volks*
paitei, gestim m t; m ußte auch der A ußenm inister stimmen, weil Staatssekretär H ughes, „d er einst das höchste Richter*
am t bekleidete“ und dessen Schiedspruch, „wie er auch lauten m öge, in allen E inzelheiten, sow ohl dem B uchstaben wie dem G eist nach, zu erfüllen“ er g elo bt h atte, m it ernster Eindringlichkeit zu A nnahm e rieth. A b er das W eltgelächter ü b er die B aum w ollgroteske heischte ein M assenopfer.
V erhängnißvolle E ntscheidung? D ie fiel, auf dem Felde der Entschädigerpflicht, in Versailles. Jed er ehrlich behende R outier hätte seitdem , ohne M ü h e , die G elegenheit zu
„sanction“ , A n d ro h u n g un d V ollzug von Strafe, verm ieden.
„ W ir gehorchen der Pflicht, tilgen die Schuld, leisten das irgendw ie M ögliche u n d sind zufrieden, w enn Ihr, m it un*
befangenem A uge, Zahlungm öglichkeit erblicket, die unseres noch nicht sieht. Schicket uns findige W irthschafter, lasset sie F u n du s u n d G eschäftsbücher prüfen u n d in G em einschaft m it uns dann den W eg in Euch genügende, uns erträgliche A bzahlung suchen; zunächst einen, der Frankreich aus der Finanzklem m e in A them freiheit fü h rt.“ So m ußte, von Rech*
nern, nicht von Rednern, gesprochen, noch vor des Schuldners im m er des G läubigers Bedarf erw ogen w erden: dann konnte kein A ristide u n d kein Raym ond, kein Foch un d kein Loucheur, ohne sich vor aller W e lt ins U n recht zu setzen, als H eger grundlosen H asses selbst zu verdam m en, m it Gew altanw end*
W en n die K n osp e sp ring t 2 3 3
un g d ro h en . Für feierlichen Protest, G e w issensnothschrei, lang*
stielige P ath etik, A pplauserkitzelung w ar nirgends Raum.
N o c h in der elften M ainacht n u r einer seit zwei Jahren ge
stellten, tausendm al beschnüffelten u n d beschw atzten Finanz
frage nüchterne A n tw o rt zu finden. D en H eldenm uth, jede T ilgungrate unerschw inglich zu nennen, b ringt alltäglich in jed e m K rähw inkel ein fauler Schuldner auf. U n d ists nöthig, nach A lledem zu betonen, d a ß E hre niem als die A bzahlung anerkannter Schuld verbieten, von dem Beschluß schneller T ilg u n g nicht fleckig w erden k a n n ?
Im Q u a l m d e r S tä d te .
„ K la s s e n g e n o s s e n ! A r b e ite r !
D u rc h D e u ts c h la n d s c h re it es w ie d e r: K rieg! D a s g ro ß e U n g e w jtte r, d a s sich se it zw ei J a h re n im m er d ic h te r ü b e r M it
te le u ro p a z u s a m m e n z ie h t, e n t lä d t sich. D ie K a ta s tro p h e ist d a . In w e n ig e n T a g e n d r o h e n n e u e S a n k tio n e n , n eu e Z w a n g s tn a ß re g e ln d e r E n te n te. D a s g a n z e R u h rg e b ie t soll vom R eiche lo s
g e riss e n w e rd e n . D e u ts c h la n d v e rlie rt d a m it d ie V e rfü g u n g ü b e r d ie K o h le n g e b ie te . D ie d e u ts c h e W irth s c h a ft s te h t v o r d e m Z u s a m m e n b ru c h . P o le n h a t zum S c h w e rt g eg riffen . In O b e rs c h le sien to b e n b lu tig e K äm pfe. G a n z O b e rsc h le sie n b is z u r O d e r ist in dien. H ä n d e n p o ln is c h e r A u fs tä n d is c h e r u n d F re ico rp s, D ie D e u ts c h n a tio n a le n , d ie L u d e n d o rffe , d ie E sch e rieh e , d ie K rieg m a c h e r von 1914 s c h re ie n : K rieg m it P o le n ! D ie A n d e re n w in seln v o r d e r E n te n te , d e m H e h le r u n d V e rb ü n d e te n P o le n s. D ie M ilitä rs a b e r r ü s t e n ! Sie h a b e n sich lä n g s t v o rb e re ite t a u f d e n K rieg m it P o len . S c h o n is t d a s W o r t vom K rie g g e s p ro c h e n . E in Z u fa ll, irg e n d e in e lä c h e rlic h e K lein ig k eit k a n n ih n b rin g e n , p lö tzlich , ü b e r N a c h t. A rb e ite r! M ä n n e r u n d F ra u e n d e s P ro le ta ria ts ! W o llt I h r e in e n n e u e n im p e ria listisc h e n K rieg ? Sollen sich P ro le ta rie r u n d P ro le ta rie r w ie d e r g e g e n s e itig zerfleischen;, zu m N u tz e n u n d R u h m d e r B o u rg e o isc a n a ille , d e r K rie g s
sc h w in d le r u n d K rie g sg e w in n le r, u n te r d e m K o m m a n d o d e r alten K rie g s s c h lä c h te r? Ih r ru ft: N e in ! N ie w ie d e r e in e n im p e ria listi
sc h en K rieg! A b e r w e n n Ehr so ru fe t, so m u ß t I h r d e n K rieg v e r h in d e rn . A n E uch' lie g t es, an E u ch allein. W a s g e h t frt O b e rs c h le s ie n v o r? D a s L a n d is t in A u fru h r. H in te r d e n A u f
s tä n d is c h e n s te h e n p o ln is c h e N a tio n a lis te n , w elch e d ie E m p ö r u n g sc h ü re n . Sie a rb e ite n im In te re s se d e r p o ln is c h e n K a p ita listen u n d Ju n k e r. So s c h re ib e n a u c h d ie Z e itu n g e n . A b e r D a s is t n u r d ie h a lb e W a h rh e it. Sie v e rsc h w e ig e n , E u c h d a s W ic h
D i e Zukunft
tig ste, D a s, w o ra u f es a n k o m m t. Sie v e rsc h w e ig e n E u ch , daß, d ie s e r A u fs ta n d n ic h t b lo s is t e in e n a tio n a le B e w eg u n g , s o n d e r n zu g leic h e in e re v o lu tio n ä re E m p ö r u n g d e r A rb e ite r. D ie o b ersc h lesisc'h en 'A rbeiter w isse n , d a ß kein U n te rs c h ie d ist' zw isch e n d e m J o c h 1 d e s d e u ts c h e n u n d d e s p o ln is c h e n K ap itals.
D ie o b e rs c h le s is c h e n K o m m u n is te n ru fe n ih n e n z u : B re ite t d en G e n e ra ls tr e ik a u s ! F ü h r t ih n d u r c h a u f allen S c h a c h te n , a lle n H ü tte n w e rk e n , allen G ü te r n ! W ä h lt E u c h p o litisc h e R ä th e ! N e h m e t d ie B e trieb e in E u re n B esitz! E u ch g e h ö re n sie, k ein em d e u ts c h e n , keinem p o ln is c h e n A u s b e u te r! B e w affn e t E u ch zum S c h u tz e E u r e r B e trie b e ! W e h r e t E u ch g eg en je d en A n g riff d e r d e u ts c h e n , d e r p o ln is c h e n o d e r d e r in te rn a tio n a le n G e g e n re v o lu tio n ! W e rfe t d ie g a n z e G e g e n re v o lu tio n h in a u s ! O b e rsc h le sie n d e m o b e rs c h le s is c h e n P ro le ta ria t! O b e rs c h le s ie n ist ein V u lk an . N a tio n a lis tis c h e r A u fs ta n d u n d p r o le ta r is c h e R e v o lu tio n g e h e n n eb e n e in a n d e r her, D a s o b e rs c h le s is c h e P ro le ta ria t k ä m p ft als V o rtru p p fü r d ie p o ln is c h e irnd d ie d e u ts c h e R ä t e r e p u b l i k .
A rb e ite r! K la s s e n g e n o s s e n ! D e r im p e ria listisc h e K rieg g eg e n P o len is t ein V e rh ä n g n iß . D e r c o n tre re v o lu tio n ä n e K a m p f g eg en O b e rsc h le sie n , u n te r w e lc h e r M a sk e e r a u c h im m er ge(fü|hrt<
w ird , ist ein V e rb re c h e n . Lhr m ü ß t B eid es v e r h in d e rn . Ihir k ö n n t es, indem ' I h r d e m B eispiel E u re r o b e rsc h le s isc h e n B rü d e r folgt. In d ie s e n T a g e n w e rd e n d ie E re ig n is se a u f E u ch h e rn ie d e rp ra s s e ln . Je d e M in u te k a n n d ie f u rc h tb a rs te n E r
e ig n isse b rin g e n . U e b e r N a c h t k a n n d e r B efehl z u r M obilisi- r u n g o d e r z u r B ild u n g von F re ic o rp s k o m m e n , d e r K rieg T h a t- sa c h e w e rd e n . D ie M ilita ris iru n g d e r B e trieb e d ro h t. E ine E x p lo sio n k an n d ie alte W e lt a u s d e n F u g e n tre ib e n . Je d e r Tag, k an n a n E u c h , an E u re E n ts c h lo s s e n h e it, E u re T h a tk ra ft d ie g e w a ltig ste n A n fo rd e ru n g e n stellen . D a ru m s te h e t g e rü s te t! Seid b e re it! I h r m ü ß t d e n d e u ts c h e n B o d e n f ü r d ie p ro le ta ris c h e R e
v o lu tio n e r o b e rn , um' ih n g eg e n je d en im p e ria listisc h e n A n g riff zu v e rth e id ig e n . A la rm b e re its c h a ft: D a s ist d ie P a ro le d es T a ges. R ü s tu n g fü r g ro ß e , s c h w e re K äm pfe. D ie L o s u n g e n d e r S tu n d e a b e r s in d : N ie d e r m it d e m im p e ria listisc h e n K rieg ! Es lebe d ie p ro le ta ris c h e S o lid a ritä t! Es le b e d a s k ä m p fe n d e o b e r- sc h le sisc h e P ro le ta ria t! E s lebe d e r re v o lu tio n ä re K am p f!
C e n tra le d e r V ere in ig te n K o m m u n is te n -P a rte i D e u ts c h la n d s , (Sektion d e r K o m m u n is tisc h e n I n te r n a tio n a le ."
Staunend las ich den A ufruf. N o c h immer, trotz dem M ärzerlebniß, die selbe T onart. T ag vor Tag. V erhallt sie echo»
los, d ann schadet sie der Partei, die aus tiefster N o th vergebens zum M assenw illen au fb rü llen w ürde. T re ib t sie Sprudel*
W enn die K nosp e springt 2 3 5
jugen d, A benteuerlust, R aubgier zu T h at, dann peitscht sie aberm als Hunderte* T ausende in Z u chthäuser, aus deren Tu*
berkelkeim en dem Pro letariat kein H eilshälm chen sprießt.
W ü rd e gar M assenaufstand, U m sturz der Reichsordnung»
deutsche Räthe»Republik, dann wäre am übernächsten Mor*
gen D eu tsch land K riegsschauplatz u n d Etapenstraße dreier frem den Heere, den Franzosen der W eg nach Petrograd, zu P fän du n g auch dieses M illiardenschuldners, frei, der R othen Arm ee, den Sowjets u n d V olkskom m issaren M achtverlust ge*
w iß, Lebensgefahr nah. D as m üssen auch die Kommunisten*
häuptlinge sehen, die nicht blinde Laffen sind und eine halbe M illion deutscher A rb eiter anführen. A nfü h rten : spricht H err D r. Paul Levi; „die Partei (die ihn ausstieß) ist in ihren G ru n d festen erschüttert, ihr Bestand ist in Frage gestellt.“
A us seinem geistig starken, ungem ein g u t geschriebenen Be»
kennerbüchlein „ U n se r W eg w ider den Putschism us“, dem zu V ollgeltung n u r die M itschuldbeichte, die Dostojewskij*
seele, fehlt, notire ich ein paar Pfeilersätze.
„W ie e ro b e rn d ie K o m m u n is te n d ie S ta a ts g e w a lt? N u r d a d u rc h , d a ß m a n z u n ä c h s t v o llk o m m en , g rü n d lic h u n d u n n a c h sic h tig m it d e r G e g e n w a r t b re c h e , m it e in em Z u s ta n d , von d e m 1 N ie m a n d w eiß, w o d e r H a n s w u r s t e n d ig t u n d d a s p o litisc h e V erb re c h e n b e g in n t. E s g ie b t n u r d ie R ü c k k e h r zu d em S a tz d es K o m m u n is tisc h e n P a rte ip ro g r a m m e s : ,D e r S p a r ta k u s b u n d w ird nie a n d e r s die R e g iru n g s g e w a lt ü b e rn e h m e n als d u r c h d en klaren , u n z w e id e u tig e n W illen d e r g r o ß e n M e h rh e it d e r p r o le ta risc h e n M a sse in D e u ts c h la n d , n ie a n d e rs \ als k ra ft ih r e r b e w u ß te n Z u s tim m u n g zu d e n A n sic h te n , Z ielen u n d K a m p f
m e th o d e n d e s S p a r ta k u s b u n d e s .'
D ieses b e d e u te t z u n ä c h s t F o lg e n d e s. N ie m a ls w ied e r in d e r G e s c h ic h te d e r K o m m u n is tisc h e n P a rte i d a r f e s g esc h e h e n , d a ß die K o m m u n is te n d e n A rb e ite rn d e n K rieg e rk lä re n . W e r n a c h B a k u n in s M e th o d e g la u b t, m it D y n a m it o d e r P rü g e ln die A rb e ite r in A k tio n e n tre ib e n zu k ö n n en , h a t keinen P la tz in e in e r k o m m u n istisc h e n P a rte i, y N ie m a ls w ie d e r in d e r G e sc h ic h te d e r K o m m u n is tisc h e n P a rte i d a r f e s g e s c h e h e n , d a ß auch n u r ein V e rsu c h g e m a c h t w ird , m it P o lize isp itze lm a n ieren , K a m p fsitu a tio n e n ' zu ,sc h a ffe n '. D ie K o m m u n is tisc h e P arte?
ist ein e K a m p fp a rte i, sie fre u t sich d e s T a g e s u n d e rw a rte t d e n T a g , an dem sie m it d em P r o le ta ria t u n d an d e s se n S p itze k äm p fe n d arf, u n d sie a rb e ite t p o litisc h u n d o r g a n is a to r is c h