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Glückauf, Jg. 63, No. 39

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GLÜCKAUF

Berg- und Hüttenmännische Zeitschrift

Nr. 39 24. September 1927 63. Jahrg.

Bergschadenähnliche Beschädigungen an Gebäuden in bergbaufreien Gebieten.

Von Professor Dr.-Ing. O. S p a c k e i e r und Dr. phil. nat. Dipl.-Ing. W. M a r x , Breslau.

Die Ermittlung der Ursache von Gebäudeschäden in Bergbaugebieten bereitet bekanntlich oft Schwierig­

keiten. Bei Rechtsstreitigkeiten wegen Bergschäden ist es eine immer wiederkehrende Erscheinung, daß der Vertreter des geschädigten Hauseigentümers die Schäden für »typische Bergschäden« erklärt, während der Berg­

werksbesitzer sie auf andere Ursachen, wie schlechten Baugrund, Wasserabsenkung, Erschütterungen durch Lastwagenverkehr u. dgl., zurückführt. Auch für den unparteiischen Sachverständigen ist es in vielen Fällen schwierig, zu einer bestimmten Entscheidung zu ge­

langen. Bei der Fassung der fraglichen Bestimmungen des Preußischen Berggesetzes wird in Zweifelsfällen der ursächliche Zusammenhang zwischen Bergbau und Gebäudeschäden meist angenommen, obgleich in Industriegegenden mit ihren zahlreichen Bauten zur Wasserreglung und den lebhaften Erschütterungen durch den Verkehr sicherlich oft ändern Ursachen die Schuld ganz oder teilweise beizumessen ist. Eine Klärung der Frage kann nur dadurch erfolgen, daß die Einwirkung aller möglichen Schadenursachen wissenschaftlich unter­

sucht wird. Die Untersuchungen müssen dabei auf der Frage aufbauen, welche Gebäudeschäden und Schadenursachen in bergbaufreien Gebieten auftreten, damit man aus der Art von Schäden einen Rückschluß auf ihre Ursache ziehen kann. Solche Untersuchungen sind von besonderer Wichtigkeit für den Bergbau geworden, seitdem die neuern Erfahrungen über den Einfluß von Grubenbauen auf die Tagesoberfläche zu der Erkenntnis geführt haben, daß sich Schäden als Einwirkungen des Bergbaus in einer ganz bestimmten Form äußern müssen, indem je nach der Lage der Grubenbaue in einer Zone Zugwirkungen, in einer ändern Druckwirkungen, in dem einen Falle plötzliches Abreißen auf Bruchlinien, in dem ändern allmähliche Durchbiegungen eintreten müssen. Demnach muß es möglich sein, mehr als es bisher seitens der Gerichte geschehen ist, die Form der eingetretenen Schäden für die Feststellung der Ursache heranzuziehen. Aus diesen Überlegungen heraus werden nachstehend Beob­

achtungen mitgeteilt, die in den Städten Breslau und Liegnitz, also in einem einwandfrei bergbaulosen Ge­

biet, über Gebäudeschäden gemacht worden sind.

Beobachtungen in Breslau.

D e r g e o l o g i s c h e U n t e r g r u n d .

In Mittelschlesien ist das Grundgebirge unter einer mächtigen Tertiärdecke verborgen, die bei Breslau mit 150-200 m Mächtigkeit festgestellt worden ist. Das Tertiär besteht überwiegend aus Ton, in das nur ein­

zelne Sandlinsen eingelagert sind. Durch die eigen-

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artige rötliche Färbung kann man die als »Flammen­

tone« bezeichneten Schichten des Tertiärs leicht erkennen.

Sie sind zu beiden Seiten des Odertales nur von einer geringmächtigen Diluvialschicht überdeckt, stehen ver­

einzelt, z. B. am Südrande der Stadt Breslau in Klein­

burg, aber auch zutage an. Unter der Wirkung des von Norden heranrückenden Eises sind ihre obern Teile in der Diluvialzeit gefaltet worden, so daß ihre Decke aus ostwestlich streichenden, ihrerseits mit Dilu­

vium ausgefüllten Furchen besteht. Auch das Odertal verläuft in diesen Furchen etwa von Osten nach Westen.

Das Diluvium besteht zuunterst aus Kiesen und Sartden, darüber aus Geschiebemergel und zuoberst wieder aus Sanden und Kiesen. Diese obern Sande sind aber von den Schmelzwassern in großem Um­

fange wieder abgetragen worden und daher nur noch inselweise vorhanden. Im eigentlichen Odertal legt sich auf das Diluvium eine bis zu 14 m, durchschnitt­

lich 5 - 6 m mächtige Schicht von Alluvium. Die Oder hat bei Breslau noch so viel Gefälle, daß im Flußbett eine Ausscheidung von Tonteilchen nicht stattfindet, der Fluß vielmehr grobe Kiese und Gerölle mitbringt, die seine Sohle bilden. Da der Strom häufig seinen Lauf geändert hat, stellen diese groben Sande und Kiese einen wesentlichen Teil der alluvialen Ab­

lagerung dar. Bei Hochwasser werden aber auf den Ufern Schlickschichten abgesetzt, die sich allmählich zu einer starken Lehmschicht angesammelt haben. Mithin ist ein einheitlicher Baugrund im Gebiete der Stadt Breslau nicht vorhanden, vielmehr ein bald plötzlicher, bald allmählicher Übergang von Ton auf Lehm oder Sand und Kies die Regel. Diese Vielseitigkeit wird noch gesteigert durch die alten, mit Schlamm erfüllten Arme der Oder. Bei dem lebhaften Gefälle und der dadurch bedingten Strömung hat die Oder noch in geschichtlicher Zeit häufig ihren Lauf verändert. In den sich stauenden alten Flußbetten entstand über einer weichen Schlammschicht, von den Bauleuten »Schlief«

genannt, ein scheinbar tragfähiger Boden, eine Erschei­

nung, die in den letzten Jahrhunderten von Menschen­

hand durch absichtliches Verfüllen derartiger alter Wasserläufe planmäßig gefördert worden ist. Die alten Karten der Stadt Breslau zeigen noch eine Reihe alter Oderarme, die heute überbaut und im Stadtbilde nicht mehr erkennbar sind.

Ein guter Baugrund ist in der Stadt Breslau überall dort vorhanden, wo man auf genügend mächtige Sande und Kiese stößt, mögen sie diluvialen oder alluvialen Alters sein. Weniger günstig sind die Schlickschichten des Alluviums und die Tone des Tertiärs. Als unbe­

dingt schlechter Baugrund ist aber das Gebiet der

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alten Flußläufe mit den verborgenen schlammigen Schlief­

schichten zu bezeichnen. Es ist eigentlich natürlich, daß sich über derartigen Schichten und besonders auf ihrer Grenze gegen guten Baugrund Absenkungen der Häuser mit den unvermeidlichen Gebäudeschäden er­

geben, wenn ihnen nicht durch ausreichende Pfahl- rostgründungen vorgebeugt wird.

D i e O d e r r e g l u n g .

Bei den geschilderten Verhältnissen hat die Stadt Breslau von jeher stark unter der Ungunst des Bau­

grundes, der sich in Häuserrissen bemerkbar machte, gelitten. Eine starke Vermehrung der Schäden trat aber ein, als im Zusammenhang mit der Oderreglung und der großen Trockenheit der Jahre 1921/22 eine fühlbare Absenkung des Grundwasserspiegels erfolgte.

Bei dem geologischen Aufbau des Untergrundes ist es klar, daß die Sande und Kiese bis nahe an die Tages­

oberfläche mit Wasser gefüllt sind, da sowohl die Flammentone als auch der Geschiebemergel wasser­

tragend wirken. Je nach der Abflußmöglichkeit zur Oder muß das Wasser in den einzelnen Sandlinsen und natürlich ebenso in den Schliefschichten verschieden hoch stehen, um so mehr, als die Oder häufig Hoch­

wasser führt und dabei alle Linsen wieder mit Wasser anfüllt. Mithin bedeutete es einen erheblichen Eingriff in die bisherigen Wasserverhältnisse des Untergrundes, als die Reglung der Oder eine Veränderung ihres durchschnittlichen Wasserstandes an den verschiedenen Stellen der Stadt hervorrief.

Die erste Reglung, die den Ausbau der Oder als Großschiffahrtsweg bezweckte, fiel in die Jahre kurz vor der Jahrhundertwende. Im obern Teil des Fluß­

laufs dürften sich nur vorübergehende Absenkungen während der Bauzeit ergeben haben. An der N ord­

westseite der Stadt dagegen wurde ein Hafen gebaut, mit dem eine Vertiefung des Flußbettes und damit wahrscheinlich eine Absenkung des Wasserspiegels ver­

bunden war. Der Bau des Hafens wurde 1901 beendet.

Auf diese Veränderungen dürften die ersten Gebäude­

schäden, besonders in der Nordweststadt, zurückzuführen sein, wenn auch zuverlässige Nachrichten darüber kaum zu erhalten waren. Dagegen kann man an zahlreichen altern Häusern beobachten, daß verschmierte alte Risse infolge der jüngsten Bewegungen wieder aufgerissen sind, was auf das Vorhandensein von mindestens 2 Schadenzeiten schließen läßt. An den nach der ersten Oderreglung erbauten Häusern haben wir dagegen keine Beschädigung feststellen können.

Starke Veränderungen bewirkte dagegen nachweis­

lich die zweite Reglung der Oder, die kurz vor dem Kriege begann, aber erst 1922 ihren endgültigen Ab­

schluß fand. Eine Reihe von neuen Staustufen wurde oberhalb und bei Breslau eingebaut und zugleich ein neuer Großschiffahrtweg und neben ihm ein Fiutkanal für Hochwasser geschaffen. Infolge des Krieges kamen die begonnenen Bauten ins Stocken. Wegen Fehlens von Arbeitskräften konnten nicht alle Arbeiten gleich­

zeitig durchgeführt werden. Als die gesamte sonstige Anlage 1917 dem Verkehr übergeben wurde, fehlte noch die unterste Staustufe bei Ransern dicht unterhalb Breslaus, deren Stauwasser gerade bis in die nördlichen und nordwestlichen Teile der Stadt reichte. Diese letzte Staustufe konnte man erst im Jahre 1922 in Betrieb nehmen. Selbstverständlich trat durch diese Entwicklung der Dinge in den hiervon berührten Teilen der Stadt eine wesentliche Absenkung des Grundwasserstandes

ein. Da der Wasserspiegel im neuen Schiffahrtsweg und im Flutkanal z. T. tiefer liegt als in der Stromoder die in der Stadt durch alte Mühlen und ein Kraftwerk gestaut ist, mußte eine Abdachung des Wasserspiegels von Südosten nach Nordwesten durch die Stadt hin­

durch erfolgen. Diese Ereignisse trafen zusammen mit der großen Trockenheit des Jahres 1921, die sich bis in das Jahr 1922 fortsetzte und dahin führte, daß sich der niedrigste Wasserstand erst im Sommer 1922 kurz vor Inbetriebnahme des Stauwerkes bei Ransern einstellte.

Nach einer Mitteilung in den »Breslauer Neuesten Nach­

richten« vom 28. Juli 1922 lagen damals weite Sand­

bänke in der Oder frei, während sich die Schiffe noch immer dort befanden, wo die Dürre des Sommers 1921 sie festgehalten hatte. Nicht unwahrscheinlich ist es, daß neben der allgemeinen Trockenheit vor allem das Fehlen der sonst regelmäßigen Hochwasser in diesen beiden Jahren zu den Erscheinungen beigetragen hat, da jede Hochwasserwelle eine Auffüllung des Wasser­

vorrats aller Sandimsen im Baugrunde der Stadt bewirkt.

D i e G e b ä u d e s c h ä d e n .

Die Absenkung des Grundwassers wird sich je nach dem geologischen Aufbau des Bodens sehr verschieden äußern können. Von Sandschichten nimmt man im allgemeinen an, daß eine reine Entwässerung keine Verschiebung der Sandkörnchen gegeneinander zur Folge habe, daß also die Entwässerung keine Volumen­

änderung hervorrufe; die innere Reibung soll die Körner festhalten, auch wenn sie nicht die tiefstmögliche Lage eingenommen haben, wenn nur das Wasser keinen tragenden Bestandteil der Schicht ausmacht1. Ganz anders wird der Zustand aber, wenn Erschütterungen hinzutreten, was in jeder Großstadt, besonders seit dem Aufkommen der Lastautomobile, der Fall ist. Es tritt dann eine Verdichtung der entwässerten Sandschichten ein, die sich jedoch nur langsam geltend machen kann.

Hat die Sandschicht noch dazu die Form einer Linse, so wird an ihrer Begrenzung keine scharfe Bruchlinie entstehen, vielmehr werden sich die Grundmauern des Hauses nur ganz wenig an der absinkenden Seite neigen können. In den obern Stockwerken setzt sich diese geringe Biegung in eine starke Zerrbeanspruchung um, die, wenn das Haus nicht durch Verankerung genügend dagegen geschützt ist, im obern Teil klaffende Risse hervorruft.

Einen wesentlich großem Umfang werden die Schäden aufweisen, wenn sich die Sandlinse, die ent­

wässert wird, nicht allmählich auftut, sondern plötzlich mit erheblicher Mächtigkeit einsetzt. Am ungünstigsten gestaltet sich aber die Lage von Gebäuden, die auf der Grenze festen Baugrundes gegen die Schliefschichten alter Oderarme stehen, zumal da der Schlief bei seiner Entwässerung auch feste Stoffe verlieren kann, die in die Poren der Sande oder gar in die Oder gelangen.

In solchem Fall wird dem einen Teil des Gebäudes die Unterlage entzogen. Durch das Eigengewicht des Hauses entstehen Abscherungsbeanspruchungen, die zu einem senkrechten Reißen der Mauern führen müssen.

Ein gutes Beispiel für A b s c h e r u n g s e r s c h e i ­ n u n g e n bietet die Anderssenschule, eine städtische Volksschule. Das im Jahre 1901 fertiggestellte hintere Gebäude dieser großen Doppelschule erhielt kurz nach der Fertigstellung, wahrscheinlich noch unter der Aus­

wirkung der ersten Oderreglung und des Hafenbaus, erhebliche Risse. Die Berechtigung zu dieser Vermutung

‘ v gl. z. B. K e g e l , Bergmännische Wasserwirtschaft, 1912, S. 21.

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24. S e p tem b e r 1927 G l ü c k a u f

1411

Abb. 1. Abb. 2.

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Abb. 3. Abb. 4.

Abb. 1—4. Risse im Innern der Anderssenschule.

ergibt sich aus der Lage des Gebäudes im Nordwesten der Stadt, da, wo die Grundwasserabsenkung im Zu­

sammenhänge mit den Hafenbauten angenommen werden muß. Ein gefahrdrohendes Maß nahmen die Risse aber erst an, als' in den Jahren 1921 und 1922 die erneute erhebliche Absenkung eintrat. Offenbar wurden davon auch die Schliefschichten berührt, bei denen mit der Ent­

wässerung eine starke Volumenverminderung verbunden war. Die Schule mußte schließlich zeitweilig geräumt werden, bis man sich im Jahre 1924 entschloß, anstatt der häufigen Flickarbeiten durch Neugründung des am meisten beschädigten Teils durchgreifend Wandel zu schaffen. Die Maßnahme bewährte sich, so daß sie im Jahre 1926 durch Unterfangen eines weitern Teiles des Gebäudes vollendet wurde. Von Schäden betroffen wurde hauptsächlich der Mittelbau, der die größten Risse erhielt;

diese setzten sich weniger stark im südlichen Teil des Gebäudes fort, während der nördliche Teil verschont blieb. Die Abb. 1, 2, 3 und 4 zeigen die weitklaffenden Risse im Innern des Mittelbaus der Schule. Die Instand­

setzung begann mit einer planmäßigen Untersuchung des Baugrundes durch Bohrungen. In Abb. 5 ist das

eine der beiden erbohrten Profile wiedergegeben, die an den Längsseiten der südlichen, beschädigten Hälfte des Gebäudes entlang ausgeführt worden sind. Die Bohrungen ließen erkennen, daß man mit dem be­

schädigten Teil des Gebäudes auf einem alten Oderarm stand, und daß unter dem Sand, auf den man die Grundmauern gesetzt hatte, noch richtige Schlamm­

schichten vorhanden waren. Die alten Karten zeigen einen Oderarm dicht neben der Schule, sind also offen­

bar nicht genau, so daß man beim Bau der Schule neben ihm zu stehen gerechnet hatte. Die baulichen Maßnahmen sind für die Art und Bedeutung des Schadens so kennzeichnend, daß sie eine kurze Beschreibung ver­

dienen. Die Neugründung wurde 1924 in der Weise durchgeführt, daß man den betreffenden Teil des G e­

bäudes auf breite, neue Eisenbetonfundamente stellte.

Bei der Instandsetzung der ändern Ecke des Gebäudes im Jahre 1926 ging man noch weiter. Beiderseits der vorhandenen Grundmauern wurden zunächst Beton­

pfähle bis in den festen Baugrund hinein niedergebracht

und auf ihren Köpfen an der Mauer entlang beiderseits

schwer bewehrte Eisenbetonträger gezogen. Um die

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I__ 1 (¡ervacfaenerßoi/en E i U / t e j S a n dCJLDS c fiiie f ¡¿¿A ietfen Q ru n d rjssicr____g re n ze d es g u/en B augrundes Abb. 5. Durch Bohrungen an den Längsseiten des Siidllügels der Anderssenschule

festgestelltes Profil. Maßstab 1 : 150.

schon gefährdeten Grundmauern nicht unterhöhlen zu müssen, schlug man in Abständen von je 2 m ober­

halb der alten Fundamente durch die Gebäudemauern hindurch und fing das Gewicht der Mauern durch Querbalken aus Eisenbeton, die auf den großen Längs­

trägern lagen, ab. Da die Eisen aus den Pfählen in die Längsträger und aus diesen in die Querbalken hinübergezogen wurden, erhielt man einen zusammen­

hängenden Rost aus Eisenbeton, ganz ähnlich, wie man ihn heute in Bergschädengebieten bei großen neuen Gebäuden auszuführen pflegt.

Gegen die Annahme, daß die erwähnten Be­

schädigungen mit der Grundwasserabsenkung Zusammen­

hängen, könnte eingewandt werden, daß nach dem Profil (Abb. 5) die Schliefschichten teilweise unterhalb des Grundwasserspiegels liegen. Aber einmal genügt für die Entstehung der starken Schrumpfungen des Baugrundes völlig die Tatsache, daß ein Teil der Schliefschichten entwässert worden ist, zum ändern gibt das Profil den bei den Gründungsarbeiten im Jahre 1926 festgestellten Grundwasserstand wieder, der infolge Fertigstellung der Staustufe bei Ransern seit der Zeit der Hauptschäden wieder gestiegen war. Nicht unwahrscheinlich ist außer­

dem, daß die Schliefschichten der alten Oderarme teil­

weise noch in Verbindung mit der Oder gestanden haben und daß daher gerade hier eine unmittelbare Fortspülung von Schlammassen erfolgt ist. Daß die Wasserabsenkung eine so verheerende Wirkung selbstverständlich nur durch die besondere Ungunst des Baugrundes haben kann und daß dieser auch ohne Wassersenkung Bau­

schäden nach sich zieht, geht daraus hervor, daß neuer­

dings auch Schäden an dem bisher unbeschädigten Parallelgebäude der Anderssenschule eingetreten sind, während das mit neuer G ründung versehene Mittel­

gebäude, soweit sich bisher beurteilen läßt, jetzt geschützt zu sein scheint.

Das Kennzeichnende der Beschädigungen an der Anderssenschule liegt darin, daß die Hauptrißlinie ziemlich genau senkrecht von unten nach oben durch den Mittel­

bau der Schule setzt, wo äußerlich an den schwächsten Stellen, also von Fenster zu Fenster aufsteigend, die Risse sichtbar gewesen sind. In dem südlich anschließen­

den Flügel des Gebäudes dagegen waren die Risse unregelmäßig verteilt. Diese Erscheinung erklärt sich aus dem Untergrund, der auf der Grenze des guten Baugrundes gegen den plötzlich in großer Mächtigkeit auftretenden Schlief Abscherungsbeanspruchungen mitten durch das Haus hindurch herbeiführen mußte, während

die schwankende Mächtig­

keit der Schliefschichten und das dadurch bedingte wechselnde Senkungsmaß die verschiedenartigsten Riß­

bildungen im abgesunkenen Gebäudeteil zur Folge hatten.

Ähnliche Erscheinungen, wenn auch in kleinerm Aus­

maße, sind in den Trocken­

heitsjahren 1921/22 an zahl­

reichen Stellen der Stadt Breslau aufgetreten. Heute sind die größten Schäden natürlich beseitigt; kleinere kann man aber noch fast überall beobachten, wo sich alte Oderarme befinden. Streckenweise ist es ohne wei­

teres möglich, an Hand von nicht erheblichen, aber ganz regelmäßig verlaufenden Rissen die Lage der alten Oderarme festzulegen. Sehr deutlich konnten wir z. B.

einen solchen Arm in der Sternstraße, im Brigittental und am Lehmdamm, einen ändern an der Kohlenstraße, einen dritten an der Trebnitzer- und Drabiziusstraße feststellen. In vorgeschichtlicher Zeit scheint ein auf den Karten nicht mehr vorhandener Oderarm unter dem heutigen Allerheiligenhospital durchgegangen zu sein, an dem wir folgende Beobachtungen machten. Das an sich sehr kräftig gebaute Haus ist in seinem größten Teil völlig frei von Rissen. An der langen Hauptfront nach der Straße »An der Barbarakirche« sind aber in der Mitte 2 Gruppen von Rissen erkennbar, die ganz regelmäßig gegeneinander verlaufen und darauf hindeuten, daß der Mittelteil des Gebäudes hier etwas abgesackt ist. Die Risse verlaufen im einzelnen schräg von Fenster zu Fenster, im ganzen aber senkrecht am Haus hinauf und kennzeichnen damit 2 Abscherungslinien auf den Rändern der vermutlichen Schlickschichten. Bekräftigt wird diese Annahme durch die Tatsache, daß in der Verlängerung dieser Rißlinien über die Straße hinweg — an der Barbaragasse — kürzlich 2 Fläuser von der Stadtver­

waltung wegen Baufälligkeit haben abgerissen werden müssen, während die Nachbarhäuser, obgleich sie aus derselben Bauzeit stammen und sicherlich schon einige Jahrhunderte überstanden haben, keine Beschädigungen erkennen lassen.

Die gleichen Erscheinungen wie das Allerheiligen­

hospital zeigt das in den Abb.

6

und T dargestellte Haus Herzogstraße 21, das in der Mitte unbeschädigt ist, an beiden Rändern aber einander entsprechende Risse aufweist. Das zu den ältesten Gebäuden der Gegend nördlich der Oder gehörende Haus wird von 2 hohen Neubauten der letzten Vorkriegsjahre einge­

rahmt, bei deren Bau die Unzuverlässigkeit des Bau­

grundes offenbar bekannt war, so daß sie gut gegründet, wahrscheinlich auch auf Pfähle gesetzt worden sind und daher keine Senkungsbewegungen haben mit­

machen können. Die starken alten Seitenwände des Hauses Herzogstraße 21 sind von den neuen Gebäuden mitbenutzt worden, deren Seitenwand man

unmittelbar

darauf aufgebaut hat. Dadurch waren die Seitenwände des abgebildeten Hauses festgehalten, während die Mitte bei einer mit der Absenkung des Wasserspiegels ver­

bundenen Schrumpfung der entwässerten Schichten frei

in der Luft hing und infolgedessen von den Seiten-

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1413

Abb. 8. Häuser Trebnitzerstraße 46/48 mit oben klaffender Trennfuge.

Abb. 6.

Haus H erzogstraße 21.

Abb. 7.

wänden abreißen mußte. Außer dem Verlauf der Risse lassen besonders die Oesimse deutlich das Sinken des mittlern Teiles des Hauses erkennen.

Ebenfalls auf die Senkung des Grundwasserspiegels wurden von den verantwortlichen Verwaltungen Be­

schädigungen zurückgeführt, die an den Turbinen­

fundamenten der Städtischen Elektrizitätswerke

1

zu der­

selben Zeit wie die Hauptbeschädigungen an der Anderssenschule auftraten und zu einer unangenehmen Betriebsstörung führten. Das Werk liegt nach den alten Karten in der Nähe eines alten Oderlaufs, aber nicht unmittelbar darauf. Das Gebäude machte auch die Be­

wegung nicht mit. Die Maschinengrundmauern dagegen sanken ab, so daß der Fußboden der Maschinenhalle, der auf den Fundamenten verlagert war, zerstört wurde.

Man hat den Schaden dadurch behoben, daß man die Grundmauern erneuert und den Fußboden des Gebäudes für sich verlagert hat, so daß jetzt Relativ­

bewegungen zwischen Fundament und Fußboden mög­

lich sind. Gerade hier ist anzunehmen, daß die Er­

schütterungen des Maschinenbetriebes zur Schrumpfung der entwässerten Schichten wesentlich beigetragen haben.

Im Gegensatz zu den geschilderten reinen Ab­

senkungserscheinungen mit ihren Scherbeanspruchungen und dem senkrechten Abreißen der Gebäude müssen Zug- u n d D r u c k w i r k u n g e n , wie eingangs dargelegt, überall da auftreten, wo es sich nicht um plötzliche Verminderung der Mächtigkeit der Schliefschichten handelt, sondern wo die Stärke der schrumpfenden Schichten allmählich abnimmt. Gebäude über der Grenz­

linie einer schrumpfenden Linse, die sich allmählich auskeilt, sind in ihrem obern Teil Zerrwirkungen aus­

gesetzt, während die Grundmauern nur eine ganz geringe Biegung erfahren. Die Breslauer Baumeister haben diese auf der Eigenart des Untergrundes be­

ruhende Erfahrung schon früher gewürdigt, so daß alle besser gebauten neuern Häuser verankert sind. Im Falle einer derartigen Senkung müssen zwischen be­

nachbarten Häusern, die ursprünglich unmittelbar an­

einander gebaut waren, im obern Teil Fugen entstehen,

' Ostdeutsche Bauzeitung 1925, S. 498.

die gleichmäßig nach unten hin abnehmen und im Erdgeschoß verschwinden. So zeigt Abb.

8

, wie zwischen den beiden Häusern Trebnitzer Straße 46 und 48 ein mindestens 10 cm breiter Riß klafft. Dasselbe ist z. B.

an den Häusern Borsigstraße 50/52 und an ändern zu beobachten. Ohne starke Verankerung hätten sich hier viel schlimmere Rißschäden einstellen müssen. Man erkennt daraus, wie außerordentlich wichtig diese Maß­

nahme für die Erhaltung der Gebäude ist; sie sollte daher in Bergbaugebieten allgemein Anwendung finden.

W o solche Biegungs- und Zerrbeanspruchungen in den Häusern selbst zur Auswirkung kommen, ent­

stehen Risse, die unten wenig oder gar nicht, in den obern Stockwerken aber weit klaffen. Erscheinungen dieser Art sind z. B. am Geographischen Institut der Universität an der Martinistraße und an verschiedenen benachbarten Gebäuden zu sehen. Dabei brauchen die Gebäude nicht auf der Grenzlinie der entwässerten Linse zu stehen, sondern es genügt ein Wechsel der Mächtigkeit der schrumpfenden Schichten. Ein Beispiel dafür bietet ein etwa 300 Jahre alter, mit dicken Ziegelsteinwänden aufgeführter Schuppen der Stadt­

verwaltung an der Engelsburgstraße (Abb. 9). Die klaffenden Risse, deren Stärke deutlich von unten nach dem Dach hin zunimmt, sind im Zusammenhang mit der Absenkung des Oderwassers bei Errichtung des etwa 200 m entfernten Fluß

Wasserkraftwerkes

entstanden.

Der ganze Oderarm, an dem dieses Kraftwerk liegt, wurde durch Fangdämme aus Spundwänden nach oben und unten abgeschlossen. Die Wasser der so geschaffenen Baugrube hob man mit elektrischen Pumpen, wobei vermutlich den Schichten des Ufers zugleich mit dem Wasser auch feinkörnige Bodenbestandteile entzogen wurden. Die Folge waren zahlreiche Häuserrisse im ganzen benachbarten Stadtteil. Zur Beobachtung der Schäden an dem erwähnten Schuppen (Abb. 9) sind über die Risse weiße Zementbänder gelegt worden.

Man erkennt daran, daß nach Beendigung der Bau- arbeilen allmählich wieder Ruhe eingetreten ist und daß die Bewegung heute als abgeschlossen gelten kann.

Die Rißzone läßt sich in östlicher Richtung an

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Abb. 9. Städtischer Schuppen an der Engelsburgstraße.

In den östlich anschließenden Straßen ist die Ab­

senkung plötzlicher vor sich gegangen, so daß auch Abscherungsrisse entstanden sind. Vor allem deuten hier aber auch offene Risse im Erdgeschoß mancher Häuser auf eine wagrechte Bewegung nach der Pump­

stelle hin. Neben manchen verschmierten Rissen der Häuser an der Gerbergasse und Herrenstraße sind be­

sonders an der Straße »An den Mühlen« noch heute solche offenen Risse zu sehen.

Eine eigenartige Bruchlinie läßt sich im entgegen­

gesetzten Teile der Stadt durch die Häuser von der Ecke des Hobrechtufers und der Maxstraße über die Kaiserstraße quer hinweg zur Fürstenstraße verfolgen.

Abb. 11 zeigt das Haus Hobrechtufer

8

, bei dem im Gegensatz zu den bisherigen Beispielen die Risse nicht oben, sondern im Keller und Erdgeschoß am größten sind. Daß es sich nicht um Baustoffehler, sondern um eine Bodensenkung handelt, geht aus dem völlig gleichmäßigen Verlauf der Risse hervor, die sämtlich dafür sprechen, daß der südwestliche Teil des Hauses seitlich nach unten abgerutscht sein muß. Hier dürften mit der Absenkung seitliche Bewegungen des Baugrundes verbunden gewesen sein, die nur nach dem Muldentiefsten, d. h. zum Punkt der größten Absenkung hin, erfolgt sein können. Zeitlich steht die Entstehung dieser Sprünge im Zusammenhang mit der ersten Oderreglung, bei der die am Hobrechtufer entlang­

führende alte Oder zum Schiffahrtsweg ausgebaut worden ist. Auch an den Häusern Kaiserstraße 78/80 und Sternstraße 95, die auf der hier erwähnten Bruchlinie liegen, ist das Absinken des südwestlichen Teils er­

kennbar. Eigentümlicherweise verläuft diese Linie fast rechtwinklig zu den aus den alten Karten bekannten verschwundenen Oderläufen, ein Beweis, daß im Unter­

gründe der Stadt noch andere Zonen schlechten Bau­

grundes vorhanden sind. Ganz entsprechende, nur viel stärkere Schäden als das Haus Hobrechtufer

8

zeig!, wie­

derum in einem ändern Stadtteil, z. B. das sehr feste Ge­

bäude der Königschen Holzwarenfabrik an der Werder- straße, zwischen dessen sämtlichen Fenstern breite, völlig parallele Risse verschmiert, aber deutlich sichtbar sind.

Daß auch Saudschichten im Zusammenhang mii ihrer Entwässerung eine Volumenverminderung erfahren

Abb. 11. Haus Hobrechtufer 8.

Abb. 10. Fachwerkhäuser an der W eißgerberstraße mit deutlich erkennbarer Durchbiegungswelle.

massiven alten Gebäuden weiter ver­

folgen. Besonders lehrreich aber sind die in westlicher Verlängerung dieser Risse an der Weißgerberstraße ste­

henden alten Fachwerkhäuser, die schon Jahrhunderten Trotz geboten haben (Abb. 10). Die Fachwerkbauart hat keine offenen Risse, aber eine solche Verschiebung der Balken erge­

ben, daß das linke Haus baupoli­

zeilich geräumt werden mußte. Man erkennt, daß unter den Häusern ein Sattel hindurchsetzt, dessen Scheitel bei dem weißen Firmenschild der Tischlerei liegt. Nach rechts (nörd­

lich) schließt eine Abdachung an, also eine Senkung, auf die auch die Risse beim Schuppen in Abb. 9 zu­

rückzuführen sind. Links (südlich)

unter dem geräumten Haus geht eine

starke Senkungsfurche hindurch, deren

Tiefstes aber noch unter diesem Hause

liegt.

(7)

24. S e p te m b e r 1927 G l ü c k a u f

1415

Abb. 12. Lageplan der Stadt Breslau. (Die Straßen sind der Übersichtlichkeit wegen nur teilweise eingezeichnet,) M aßstab 1: 25 000.

können, lehren Beobachtungen im südlichen Teil der Stadt. Weit ab von der Oder, im Süden Breslaus, im Kleinbürger Viertel, sind an zahlreichen Häusern Riß­

bildungen zu beobachten. Wenn diese auch im ein­

zelnen nicht das Ausmaß der vorstehend geschilderten Schäden im Bereich des Oderstromes aufweisen, so lassen sich doch gewisse gerade Bruchlinien feststellen.

Die größte von uns verfolgte Bruchlinie geht in schnur­

gerader Linie vom Rehdiger Platz bis zur Kaiser- Wilhelm-Straße durch (Abb. 12). Am meisten beschädigt sind die Häuser Rehdiger Platz 4 und 5 (Ecke Rehdiger Straße), Augustastraße 10, 12 und 14 (nördliche Straßen­

seite), 15 und 27 (südliche Straßenseite), Yorkstraße, Ecke Augustastraße und Schwerinstraße 35, 43, 45, 50, Ecke Augustastraße. An der Hohenzollernstraße setzt diese Linie durch die Christuskirche, die standgehalten hat, wird aber gerade gegenüber der Kirche im Hause Nr. 38/40 wieder sichtbar. An der Höfchenstraße sind die Häuser Nr. 112 (Westseite der Straße) und 12 (Ostseite) gerissen. Das letztgenannte, ein starker Back­

steinbau, ein Teilgebäude des Krankenhauses der Landes­

versicherungsanstalt, zeigt deutliche Zerrungsrisse.

Weiterhin liegen die beschädigten Häuser Kronprinzen- slraße 72 und Kaiser-Wilhelm-Straße 101 in dieser Linie.

In Abb. 12 sind die genannten Häuser ein gezeichnet.

Man ersieht daraus den mathematisch geraden Verlauf der Bruchlinie, die sich weniger deutlich, aber erkenn­

bar weiter nach Osten bis in den Stadtteil Herdain hinzieht. Die meisten Risse befinden sich im Oberteil der Häuser, deuten also auf eine Biegung des ab­

sinkenden Grundmauerwerks entsprechend Abb.

8

hin.

Jedoch sind auch (z. B. Höfchenstraße 12, Krankenhaus) Risse unten vorhanden, woraus man auf wagrechte Bewegungen schließen kann. Eine zweite, ebenfalls geradlinige Bruchzone (Abb. 12) läßt sich winklig zur genannten von der Gabitzstraße am Karolusplatz (be­

sonders Haus Gabitzstraße 109) durch die Agath- straße (besonders Haus Nr. 17, Ecke Charlottenstraße) und die Lothringer Straße (besonders Häuser Nr. 11, 15 und 19) zur Kaiser-Wilhelm-Straße verfolgen. Kleinere Rißlinien sind noch weiter südlich zu erkennen, während wir nördlich der Hauptlinien Rehdiger Platz — Kaiser- Wilhelm-Straße 111 keine Schadenlinien festgestellt haben.

Als Ursache aller dieser Schäden muß ebenfalls eine Senkung des Grundwasserspiegels angenommen werden.

Mit der Trockenheit der Jahre 1921 und 1922 fiel hier die Herstellung von Entwässe­

rungsgräben zusammen, de­

ren Wirkung man daraus er­

messen kann, daß ihre teil­

weise erfolgte Zuschüttung Ende 1926 wieder die Ver­

sumpfung von Grundstücken zur Folge hatte, was zur Wiederherstellung der ver­

schütteten Grabenteile nötigte.

Durch den südlichen Teil der Stadt streicht hier von Osten nach Westen ein diluvialer Sandrücken, der in die nur in geringer Tiefe liegenden tertiären Flammentone ein­

gebettet ist. Die Linie Reh- diger-PIatz -Kaiser-Wilhelm- Straße dürfte seinen Nordrand darstellen, während die kleinern südlichen Risse auF plötzliche Mächtigkeitsänderungen hinweisen. Der G e­

genflügel wird außerhalb des Bebauungsbezirkes der Stadt zu suchen sein, wo im Dorfe Hartlieb an der großen Landstraße, in welche die Kaiser-Wilhelm-Straße ausläuft, wieder starke Häuserschäden auftreten.

Aus der Tatsache, daß sich die Rißbildung in der Süd­

stadt nicht auf einen bestimmten Zeitabschnitt beschränkt, sondern auf die letzten Jahre verteilt und scheinbar noch andauert, ist zu folgern, daß hier nicht nur die G rund­

wasserabsenkung gewirkt hat, sondern auch die Boden­

erschütterung durch elektrische Bahnen und Lastauto- mobile einen wesentlichen Einfluß ausübt. Beachtens­

wert ist diese Bruchlinie besonders deshalb, weil hier ein Sanduntergrund vorhanden ist, den jeder Baufach­

mann für guten Baugrund erklären würde.

Steht ein Gebäude im Mittelpunkt der Absenkung, also da, wo die schrumpfende Schicht ihre größte Mächtigkeit hat, so müssen neben den Absenkungs- auch Druckerscheinungen auffreten, die allerdings nur dann zu äußerlich sichtbaren Schäden führen können, wenn Nachbargebäude infolge der Bewegungen des Untergrundes einen seitlichen Druck hervorrufen.

Einzeln stehende Häuser haben häufig eine Senkung erfahren, ohne daß Beschädigungen eingetreten sind.

Einwandfrei ist uns dies von einem Hause an der Stern­

straße gegenüber dem Teich im Zoologischen Garten, berichtet worden, der einen Rest alter Oderarme darstellt.

Dieses Haus, das erste, das zwischen Monhaupt- und Adalbertstraße an der Sternstraße gebaut wurde, ist bald nach der Erbauung vor mehr als 30 Jahren um 20 cm gesunken, ohne daß sich Schäden bemerkbar gemacht haben.

Auf weichem oder nachgiebigem Baugrund muß das Absinken eines schweren Hauses das H o c h p r e s s e n eines leichten zur Folge haben. Sind beide Häuser miteinander vermauert oder durch starke Reibung ver­

bunden, so sind an ihrer Grenze Zerstörungen unver­

meidlich. In Breslau haben wir einwandfreie Beispiele dafür nicht gefunden. Hervorragend deutlich zeigen diese Wirkungen aber die Abb. 13 nnd 14, die weit weg von der Stätte der übrigen Beobachtungen in der Stadt Mexiko aufgenommen worden sind1. Einer weitern Erläuterung bedarf es nicht; es sei nur darauf

i Die Lichtbilder sind von Professor Dr. J ä g e r , Zehlendorf, und Bergassessor B a c h r a a n n , Waldenburg, zur Verfügung gestellt worden.

(8)

Abb. 13 und 14. O ebäudeschäden in der Stadt Mexiko, veranlaßt durch starkes Übergewicht des miltlern großen Hauses.

hingewiesen, daß die Risse, wie man besonders an dem Hause in Abb. 13 erkennt, gerade entgegengesetzt wie die in den Abb.

6

und 7 gerichtet sind. Ähnliche Fälle sollen in der auf schlechtem Baugrund errichteten Stadt Mexiko häufig sein. Daß den Breslauer Baumeistern Einwir­

kungen eines Hauses auf das andere nicht unbekannt sind, beweist folgender Fall. Ein großes vierstöckiges Haus, Friedrich-Wilhelm-Straße 101, war auf einer starken Schliefschicht erbaut, stand jedoch im ganzen auf dem schlechten Untergrund und wies daher keinerlei Be­

schädigungen auf. Die Stadtverwaltung beabsichtigte, auf dem Nachbargrundstück ein Haus zu errichten, wobei ihr diese Schliefschicht im Untergründe unbe­

kannt war. Vorsichtshalber aber bohrte man den Bau­

platz sorgfältig ab und stellte fest, daß die Schlief­

schichten unter dem Neubauplatz auskeilten. Die städtische Bauverwaltung war sich klar darüber, daß hier nicht nur dem eigenen Neubau, sondern auch dem Nachbarhaus Gefahren drohten, da es unter seitlichen Druck kommen mußte, wenn ein Teil des Neubaus nach den Schliefschichten hin abrutschte. Man ent­

schloß sich daher nachträglich zu einer sorgfältigen Pfahlgründung.

Ältere Gebäude sind in den seltensten Fällen so gut gegründet, daß sie an den Bewegungen des Bodens nicht teilnehmen. Man kann daher an verschiedenen Stellen der Stadt, da, wo die Häuser mitten auf einer Senkungsmulde stehen, P r e s s u n g s e r s c h e i n u n g e n beobachten. Als Beispiele seien zwei solcher Fälle erwähnt. Im Hause Kohlenstraße 11 sieht man an der Kellertür, daß der Rahmen ineinander gedrückt wird.

Am stärksten ist aber das über dieser Tür befindliche Fenster in Mitleidenschaft gezogen worden, an dem der starke Kopfbalken durchgerissen ist, wobei sich die beiden Teile übereinander zu schieben scheinen. Beim Hause Rosenthalerstraße 9 (Abb. 15) sind die gleichen Erscheinungen am obern Rande des Fensters im Erd­

geschoß, am Gesims darüber und auch noch an den Fenstern des 1. und 2. Stockwerkes wahrnehmbar.

Neben diesen Einwirkungen von Veränderungen des Baugrundes infolge natürlicher Austrocknung oder großer künstlicher Eingriffe, wie Flußreglungen u. dgl., können örtliche Maßnahmen des Menschen ähnliche

Schäden, nur auf kleinerm Gebiet, hervorrufen. Ein sehr lehrreiches Beispiel dafür bietet der im Jahre 1924 erfolgte Bau des Messehofes, einer rechteckigen Halle von 90 • 40 m Grundfläche. Dieser gewaltige Bau erhielt noch vor seiner Vollendung eine Reihe von Rissen, von denen besonders an der Nordseite einer auffiel, der klaffend vom Erdboden bis zum Dach fast senk­

recht hinaufreichte. Der Hauptriß ist durch Neuverputz beseitigt worden, aber an der Putzfläche noch zu er­

kennen. Kleinere senkrechte Parallelrisse stehen noch offen. Nach Ansicht von S c h m a l e n b a c h

1

ist der Schaden darauf zurückzuführen, daß an der Nordseite entlang ein Entwässerungskanal angelegt worden war,

Abb. 15. H a u s Rosenthalerstraße 9.

der an der Nordwestecke des Gebäudes in einen Kanal­

schacht mündete. Beim Niederbringen dieses Schachtes hatte man mit erheblichen Wasserschwierigkeiten zu kämpfen, wobei es nicht gelang, klares Wasser zu erhalten, mithin erhebliche Mengen feinen Sandes mit-

1 Ostdeutsche Bauzeitung 1925, S. 436.

(9)

24. S e p te m b e r 1927 G l ü c k a u f

1417

abgeführt wurden. Die Absenkung des Grundwasser­

spiegels verursachte eine Senkung der nordwestlichen Gebäudeecke, mit der Zerrbeanspruchungen im Mauer­

werk verbunden waren. Der große senkrechte Riß läßt sich aber nur dadurch erklären, daß hier eine scharfe Grenze fester gegen schrumpfende Schichten unter dem Hause durchsetzte und Abscherungsbeanspruchungen hervorrief. Die gleichzeitig in den Mauern enthaltenen Zerrspannungen besorgten das weite Klaffen dieses Risses.

Zum Schluß sei noch ein Beispiel für Schäden angeführt, deren Ursprung auf ganz anderm Gebiete liegt. Im Städtischen Schlachthof zu Breslau wurde ein Kühlkeller, in dem eine gleichmäßige Temperatur von + 5,5 bis 7° gehalten worden war, während des Krieges in einen Eiskeller umgewandelt. Daraufhin erfolgte eine Hebung des Gebäudes und eine Aufwölbung des Bodens

im Kellerraum um reichlich einen Fuß. Die Unter­

suchung des Untergrundes ergab, daß unter dem G e­

bäude eine Sandschicht und darunter fester Ton anstand.

Bei Einstellung der Gefrieranlage trat von selbst ein Rückgang der Hebung bis auf wenige Zentimeter ein, die dauernd geblieben sind. Das Beispiel zeigt, welche ungeahnten Kräfte eine derartige durch Temperatur­

unterschiede bewirkte Veränderung des Bodens zu entwickeln vermag, und gibt eine neue Erklärungs­

möglichkeit für manche Bauschäden; denn ebenso wie Kälte muß natürlich auch Wärme auf den Baugrund Einfluß ausüben, wenn auch die Austrocknung und die verschiedene Wärmeausdehnung der einzelnen Gestein­

schichten als natürliche Folge der Errichtung von Hütten­

werken, Fernheizungsanlagen usw. nicht solche Kräfte auslösen werden wie Gefrieranlagen mit der U m ­ wandlung des Wassers in Eis. (Schluß f.)

Für den Bergbau wichtige Entscheidungen

der Gerichte und Verwaltungsbehörden aus dem Jahre 1926.

Von O berbergrat Dr. W . S c h l ü t e r , Dortmund, und Amtsgerichtsrat H. H ö v e l , Oelde.

(Fortsetzung.)

R e c h t d e r E i n z e l a r b e i t s v e r t r ä g e .

L o h n j ragen.

W e r k s r u h e an S o n n t a g e n . Als W erksruhe ist durch den T arifvertrag für den rheinisch-westfäli­

schen Steinkohlenbezirk grundsätzlich die Zeit von Sonntag m orgens

6

U h r bis M ontag m orgens

6

Uhr festgelegt. Die W erksruhe kann aber nach den Be­

stimmungen des Tarifvertrages auf andere Stunden verlegt werden, wenn die besondern Verhältnisse eines Betriebes dies erfordern. Eine Zeche hatte, unter Berufung auf diese Bestimmungen, die W erksruhe auf die Zeit von Sonnabend abends 10 U hr bis Sonntag abends 10 U h r verlegt und dies dam it begründet, daß die notwendigen Instandsetzungsarbeiten am Kom­

pressor und Ventilator in dieser Zeit ausgeführt werden könnten. Daraufhin hatte eine Reihe von Bergleuten Klage gegen die Zeche erhoben, in der sie Bezahlung der von ihnen in der Zeit von Sonntag auf Montag verfahrenen Schicht als einer S onntags­

schicht verlangten. Diesem Klagebegehren hat das Landgericht in D o rtm u n d

1

entsprochen, mit der Be­

gründung, daß es schlechterdings nicht einzusehen sei, inwiefern die Zeche nicht die gleich lange Zeit zur Vornahme der Ausbesserungen habe, wenn sie die Schicht am Sonnabend abend anfahren ließe, denn dann bliebe ihr für die Vornahme der Arbeiten eben die Zeit von Sonntag m orgens

6

U h r bis M ontag morgens

6

Uhr.

Nach Abschluß dieses Rechtsstreites lag eine weitere Klage von Bergarbeitern, die den gleichen Anspruch gegen dieselbe Zeche erhoben, dem Land­

gerichte vor. In diesem Rechtsstreit legte die Zeche ein Gutachten vor, in dem folgendes dargelegt war.

Die Zeit zur Vornahme von Ausbesserungen an den zur Aufrechterhaltung des werktäglichen Betriebes unbedingt notwendigen Krafterzeugungsmaschinen, Ventilatoren und Kompressoren werde dadurch, daß die Werksruhe in die Zeit von Sonnabend abends 10 Uhr bis Sonntag abends 10 U h r verlegt werde,

1 Landgericht Dortmund vom 26. Febr. 1925, II, S. 589/24, Olückauf

‘926, S. 1193.

von 12 auf 20 st verlängert, denn die Ventilatoren müßten wegen der notwendigen Bewetterung der Grube zur Zeit der Einfahrt der W etterleute in der Sonntagnacht bereits am Sonntag abends um

6

U hr in Betrieb gesetzt werden. Dann bliebe für die Vor­

nahme der Ausbesserungen bei der regelm äßigen W erksruhe nur die Zeit von Sonntag m orgens C Uhr bis S onntag abends

6

Uhr, also nur eine Zeit von 12 st. Bei Verlegung der W erksruhe in die Zeit von Sonnabend abends 10 U h r bis Sonntag abends 10 Uhr stände aber fü r die Ausbesserungen die Zeit von Sonn­

abend abends 10 U h r bis Sonntag nachmittags

6

Uhr, also eine Zeit von 20 st zur Verfügung. Diese Zeit­

spanne von 20 st benötige die Zeche unbedingt zur Vornahme der Ausbesserungen. Sie könne infolge der Eigenart ihrer Maschinen keinen fremden elektrischen Strom verwenden; eigene genügende Aushilfe sei nicht vorhanden. Die Zeche müsse aber, falls der Betrieb nicht an ändern Tagen zum Erliegen kommen solle, sämtliche Ausbesserungen an den Maschinen w ährend der W erksruhe ausführen können. Danach lägen bei der Zeche besondere Verhältnisse vor, die die a n d e r w e i t i g e R e g l u n g d e r W e r k s r u h e als g e r e c h t f e r t i g t erscheinen lassen müßten. Das Land­

gericht

1

schloß sich nunm ehr diesem Gutachten an, erklärte, daß es seine frühere Ansicht nicht aufrecht­

erhalten könne, und wies nunm ehr die Klage der Bergarbeiter ab, weil die Verlegung der W e rksruhe als berechtigt erscheine.

In einem ändern Falle entschied das Landgericht

2

zugunsten der Bergarbeiter, denen es den L o h n f ü r e i n e S o n n t a g s s c h i c h t zusprach. Das Landgericht bemerkte hierbei zunächst: Der Umstand, daß der Betriebsrat über die Verlegung der W e rksruhe nicht gehört worden sei, sei unerheblich, weil das Gesetz nur ein Anhören des Betriebsrats, nicht dessen Zu­

stimmung vorschreibe. Aber das Landgericht lehnte das Vorliegen besonderer Verhältnisse, die die V e r ­

1 Landgericht Dortmund vom 6. Mai 1926, II, S. 9/26, Nachrichtenblatt des Zechen-Verbandes in Essen (weiterhin abgekürzt Nachrichtenbl.) 1926, Nr. 14, S. 55.

2 Landgericht Dortmund vom 14. Juni 1926, II S. 93, 94, 95/26.

(10)

l e g u n g d e r W e r k s r u h e hätten als berechtigt er­

scheinen lassen, in diesem Falle ab. Die Zeche hatte vorgebracht, sie habe eine Feierschicht einlegen müssen und dazu den Sonnabend in der üblichen Weise gew ählt; daraus ergäbe sich aber, daß, wenn keine Verlegung der W e rksruhe erfolgt wäre, zwei Nächte hintereinander keine Reparaturschicht hätte verfahren werden können. Das sei jedoch, wenn man Störungen im Bergbaubetriebe vermeiden wolle, nicht angängig, und so habe man eben die W erksruhe ver­

legen müssen. Auf dieses Vorbringen erwidert das Urteil, daß gerade für den Sonnabend, den T a g vor der allgemeinen W erksruhe, die Feierschicht eingelegt worden sei, beruhe allerdings auf einer Reihe von Gründen wirtschaftlicher Natur, und zwar auch d ar­

auf, daß erfahrungsgem äß die Produktionskraft der Arbeiter unmittelbar vor der Arbeitsruhe nachlasse, die Verlegung der Feierschicht auf einen ändern T ag als den Sonnabend somit ein doppeltes Nachlassen der Produktionskraft zur Folge habe, durch das die W irtschaftlichkeit des Betriebes herabgesetzt worden wäre, das jedoch auch den Belangen der Arbeiter nicht gedient hätte. Aber diese gesamten Gründe seien ganz allgemeiner N atur und träfen auf jeden Betrieb zu.

Nach den tariflichen Bestimmungen sei die Verlegung der W erksruhe nur gestattet bei »Betrieben mit besondern Verhältnissen«. Unter B e t r i e b e n mi t b e s o n d e r n V e r h ä l t n i s s e n könnten nur solche Betriebe verstanden werden, die in technischer Be­

ziehung Eigenartigkeiten aufwiesen. Ein solcher Fall sei hier nicht gegeben. Aber selbst wenn man dieser engen Auslegung des Begriffs »Betriebe mit beson­

dern Verhältnissen« nicht folge, könne man doch das Vorgehen der Zeche nicht billigen, denn es sei nicht einzusehen, weshalb die Zeche nicht die Feierschicht auf den Freitag oder einen ändern T a g verlegt habe;

dann hätte sie nämlich die norm ale W erksruhe bei­

behalten können, ohne daß sich Mißhelligkeiten ergeben hätten.

Ü b e r s c h i c h t al s E r s a t z s c h i c h t f ü r e i n e n k a t h o l i s c h e n F e i e r t a g . Eine Zeche hatte am 5. Dezember 1925 eine Oberschicht eingelegt mit der ausdrücklichen Bestimmung, daß sie als Ersatzschicht fü r die am katholischen Feiertag Mariae Em pfängnis (S. Dezember) a u s f a l l e n d e S c h i c h t gelten sollte.

In den letzten Jahren w a r auf der Zeche an diesem Tage nicht gearbeitet worden. Einige Bergleute forderten für diese Schicht, die sie mitverfahren hatten, Zahlung des 25prozentigen Ü b e r s c h i c h t e n ­ z u s c h l a g e s und erhoben, als die Zeche diese Zahlung a b l e h n t e , Klage. Sie wurden mit der Klage abgewiesen. Das G ericht

1

führte aus: Nach § 3 Ziffer 3 des Tarifvertrages w erde nur für Über­

schichten an W erktagen, die über die Zahl der Arbeits­

tage im Monat hinaus verfahren würden, ein Lohn­

zuschlag von 2 5 o/o g ew ährt; es w erde aber für die­

jenigen Überschichten, welche die Arbeiter auf eigenen W unsch verführen, kein Zuschlag gezahlt, ebensowenig wie nach § 3 Ziffer

6

fü r freiwillige Ersatzschichten, die entweder von einzelnen Beleg­

schaftsmitgliedern als Ersatz für einzelne unent- schuldigte Feierschichten oder von einem g roße m Teile der Belegschaft als Ersatz für solche re g el­

mäßige Feierschichten verfahren würden, die infolge höherer G ew alt ausgefallen seien. Um eine derartige

1 Berggew erbegerich t Dortmund vom 28. Jan. 1926, Nachrlchtenbl.

1926, Nr. 8, S. 35.

Art von zuschlagsfreien Überschichten handle es sich hier. Denn lediglich um einerseits der Bestimmung in den protokollarischen Zusätzen in Ziffer 4 zu ent­

sprechen, daß den Arbeitern, die an kirchlichen, nicht gesetzlichen Feiertagen nicht feiern wollten, nach Möglichkeit Gelegenheit zur Arbeit zu geben sei, ferner um anderseits denjenigen Arbeitern entgegen­

zukommen, die am

8

. Dezember wegen des Feiertages nicht zur Arbeit hätten kommen können, sei die Schicht eingelegt worden. Daß eine derartige Schicht als freiwillige und zuschlagsfreie Ersatzschicht anzu­

sehen sei, müsse man nach dem ganzen Zusammen­

hang, namentlich aber auch schon deshalb annehmen, weil festgestellt sei, daß niemand bestraft worden wäre, der an dieser Schicht nicht teilgenommen hätte.

V e r l u s t d e s e i g e n t l i c h e n L o h n a n s p r u c h e s d u r c h A n n a h m e e i n e s ä n d e r n L o h n e s . Ein Zimmerhauer hatte seit dem 1. Oktober 1924 nicht den vollen Lohn erhalten. Gemäß § 5 Ziffer 16 des T arifvertrages war sein Lohn entsprechend seiner g eringem Leistung gekürzt worden. Am 15. August 1925 schied er bei der Zeche aus. Etwa einen Monat später erhob er Klage auf Nachzahlung des Unter­

schiedsbetrages von etwa 400 J L Das Landgericht

1

wies die Klage mit folgender Begründung ab: Der Kläger könne nichts mehr verlangen. Er habe fast ein J a h r zu den gerin g e m Lohnsätzen gearbeitet und damit zu erkennen gegeben, daß er mit dem niedrigem Lohne einverstanden gewesen sei. Jetzt, nachdem er aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschicden sei, könne er sich nicht noch nachträglich auf einen ändern Standpunkt stellen. Sein Einverständnis mit der Lohn­

kürzung und dam it die A bänderung des Arbeits­

vertrages gegenüber den Bedingungen des Tarif­

vertrages könne nun nicht mehr beseitigt werden.

Daran ändere auch der vom Kläger behauptete, von der Zeche bestrittene Um stand nichts, daß sich der Kläger bei der ersten Lohnzahlung nach der Kürzung bei seinem Steiger und dein Reviersteiger beschwert habe, denn selbst wenn dies der Fall gewesen sei, müsse der Kläger doch zugeben, daß er von weitern Beschwerden Abstand genomm en habe, als der Betriebsausschuß ihm erklärt hätte, er könne gegen die Lohnzahlung nichts machen, andernfalls setze er sich der G efahr der Kündigung aus. H abe aber der Kläger von weitern Beschwerden Abstand genommen, so habe er sich eben mit der Lohnkürzung abgefunden und sei mit ihr einverstanden gewesen.

Ein anderer Fall

2

lag so: Ein Lehrling war von einem W erk ausgebildet und nach der Ausbildungszeit vom 3. April 1925 bis zum 24. Oktober als Maurer beschäftigt w orden; am 18. A ugust wurde er IS Jahre alt. Er hatte in der ganzen Zeit 65 Pf./st erhalten, während der Tariflohn bis zum IS. April 75°/o von 1,10 M und nach dem IS. A ugust 9 0 °/o von 1,10 J t betrug. Bei jeder Lohnzahlung verlangte er den tarif­

mäßigen Lohn; sein Verlangen wurde aber regel­

m äßig mit dem Bemerken zurückgewiesen, daß seine Leistungen minderwertig und noch nicht einmal 65 Pf./st w ert seien. Wenn er für diesen Lohn nicht w eiter arbeiten wolle, könne er gehen. Trotzdem hatte d er Kläger weitergearbeitet. Nach seiner Entlassung strengte er Klage auf Zahlung des Lohnunterschiedes

i Landgericht Dortmund vom 28. Jan. 1926, Nachrlchtcnbl. 1926, Nr. 6, S. 28.

* Landgericht Dortmund vom 10. Juni 1926, Nachrlchtenbl. 1926, Nr. 16, S. 59.

(11)

24. S e p te m b e r 1927 G l ü c k a u f

1419

an; sie wurde abgewiesen. Auch hier hielt das Land­

gericht einen Verzicht für vorliegend. Das Gericht führte dabei des nähern aus, ein solcher Verzicht sei zulässig, und bemerkte, daß die rein wörtliche Ver­

wahrung des Klägers gelegentlich der Lohnzahlungen gegenüber seinem tatsächlichen Verhalten unbcacht- lich sei.

A r b e i t e r i n K o k e r e i e n . Für die Arbeiter auf Kokereien und Hochofenwerken hat der Reichs­

arbeitsminister auf Grund des § 7 Abs. 2 der Arbeits­

zeitverordnung vom 21. Dezember 1923 (RGBl. I, S. 1249)1 die V erordnung über die Arbeitszeit in Kokereien und Hochofenwerken vom 20. Januar 1925 (RGBl. 1, S. 5) erlassen, die am 1. April 1925 in Kraft getreten ist. Die Bestimmungen dieser Verordnung sind für das Tarifgebiet des Zechen-Vcrbandes zu Essen durch Schiedsspruch vom 5. Februar 1925 bereits mit W irk u n g vom 1. März 1925 eingeführt worden. Da bei der D urchführung der V erordnung über den Kreis der von der V erordnung erfaßten Arbeitnehmer erhebliche Zweifel entstanden waren, erging zur Behebung dieser Zweifel eine Bekannt­

machung des Reichsarbeitsministers vom 2. Mai 19252.

Einige K o k e r e i h a n d w e r k e r , die nach der Bekanntmachung vom 2. Mai 1925 unbestritten unter die Verordnung vom 20. Januar 1925 fallen und dem­

gemäß nur eine Arbeitszeit von

8

st haben, erhoben Klage gegen ihre Zeche mit folgender Begründung:

In der Zeit vom l . M ä r z bis 28. Mai 1925 hätten sie mehr als

8

st gearbeitet; wie die Bestimmungen vom

2

. Mai 1925 erwiesen, w ären sie aber nur zu

8

st Arbeit verpflichtet g e w e se n ; demnach stehe ihnen fü r die M e h r s t u n d e n ein b e s o n d e r e r L o h n zu, den sie mit der Klage verlangten. Die Zeche entgegnete: Es sei aus der V erordnung vom 20. Januar 1925 nicht ersichtlich gewesen, daß die Kläger unter deren Be­

stimmungen gefallen wären. Sobald die Anordnung vom 2. Mai 1925 der Zeche bekannt geworden und damit Klarheit geschafft worden sei, habe sie sofort die Kläger auf achtstündige Arbeitszeit gesetzt. Die Kläger wurden mit der Klage abgewiesen. In den Urteilsgründen

3

heißt es: Die V erordnung vom 20. Januar 1925 sei nur polizeilicher Natur, da sie zweifellos aus allgemeinem öffentlichem Interesse heraus für bestimmte Arbeiterkreise eine längere Arbeitszeit verböte. Sie hätte daher unmittelbar keinen Einfluß auf den Arbeitsvertrag, bestimme also nicht, wie lange der einzelne Arbeiter zu arbeiten hätte. Sie hätte nur insoweit auf den Arbeitsvertrag Einfluß, als in Verbindung mit § 134 BGB. die vertraglichen Bestimmungen, die gegen diese A nordnung verstießen, nichtig seien. Die in der V erordnung vom 20. Januar 1925 festgesetzte Arbeitszeit trete an die Stelle der nichtigen Vertragsbestimmung, jedoch nur, wenn man dies als den Willen beider Parteien unterstellen könne.

Es könne aber, soweit bei der Auslegung derartiger polizeilicher Verordnungen Zweifel beständen, nicht angenommen werden, daß die Parteien beide überein­

stimmend des W illens gewesen seien, von vornherein die später als richtig festgestellte Auslegung auch als vertragliche Bestimmung für das Arbeitsverhältnis gelten zu lassen, so daß also schon vor der authen-

1 Jetzt in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. April 1927

(ROBI. I, s.

110

).

! Abgedruckt bei H r d t n a n n : Arbeit'7eitverordnung, 3. Aull., S. 206.

s Landgericht Dortmund vom 28. Jan. 1926, II, 1. S.306/25, Nachrichtenbl.

Nr. 4, S. 19.

tischen Auslegung durch die Bekanntmachung des Reichsarbeitsministers vom 2. Mai 1925 die Pflichten aus dem Arbeitsvertrage nur nach dieser Auslegung bestanden hätten. Dies müsse auch dann gelten, wenn wie im vorliegenden Falle durch Tarifvertrag die Bestimmungen der gewerbepolizeilichen Verordnung über die Arbeitszeit zum Bestandteil des Arbeitsver­

trages gem acht worden seien. Auch dann könne man nicht sagen, daß der Wi l l e beider Tarifparteien dahin gegangen sei, daß zweifelhafte Bestimmungen von vornherein so gelten sollten, wie sie später als richtig festgestellt würden. Dies müsse um so m ehr gelten, wenn, wie vorliegend, die von der einen Seite ver­

tretene Ansicht von maßgebenden Behördenstellen, einer fü r das Tarifgebiet geschaffenen Schiedsstelle

1

und dem Handelsminister

2

vertreten worden sei. Man werde dann im Gegenteil der Meinung sein müssen, daß gerade die von diesen gegebene A uslegung als V ertragsbestim m ung zu gelten habe. Schon daraus folge also, daß die Kläger bis zur Bekanntmachung vom 2. Mai 1925, die sie ausdrücklich der Verordnung vom 20. Januar 1925 unterstelle, zur Leistung von 10 st Arbeit verpflichtet gewesen seien, und daß der in der Lolmordnung festgelegte Schichtlohn auch für diese Arbeitszeit gelte, so daß sie irgendwelche Nach­

forderungen nicht mehr hätten. Außerdem habe sich die durch den Tarifvertrag geschaffene Schiedsstelle w iederholt auf den Standpunkt gestellt, daß die H a n d ­ w erker nicht zu den an den Koksöfen beschäftigten Arbeitern gehörten. Endlich spreche für die hier ver­

tretene Ansicht auch der Umstand, daß die Bekannt­

m achung vom 2. Mai 1925 dem Sinne nach eine Neu­

fassung der Verordnung vom 20. Januar 1925 sei, wie auch im Eingänge der Bekanntmachung hervor­

gehoben werde. Die Rechtslage sei demnach genau dieselbe, als wenn die alte Verordnung vom 20. Januar 1925 außer Kraft gesetzt worden und an ihre Stelle eine neue Verordnung getreten sei. Vertragsbestim­

mungen, die gegen die neue Verordnung verstießen, könnten daher erst von dem Zeitpunkt des Inkraft­

tretens der neuen Verordnung als nichtig und durch die neuen Bestimmungen ersetzt angesehen werden.

Eine rückwirkende Kraft könne ihnen also nicht zu­

geschrieben werden. Eine solche Rückwirkung hätte nur durch besondere tarifliche Vereinbarung fest­

gesetzt werden können, was nicht geschehen sei.

Die V e r k ü r z u n g d e r A r b e i t s z e i t f ü r di e K o k e r e i a r b e i t e r hatte noch eine weitere Streitfrage im Gefolge, die Anlaß zu verschiedenen Entscheidun­

gen gegeben hat. Vor dem Erlaß der V erordnung vom 20. Januar 1925 und der Bekanntmachung vom 2. Mai 1925 über die Verkürzung der Arbeitszeit der Kokereiarbeiter waren Schiedssprüche hinsichtlich der Kokereiarbeiter unter dem 12. März 1924 und unter dein' 16./27. Mai 1924 ergangen. Im erstgenannten Schiedsspruch ging man von einer wöchentlichen Ar­

beitszeit von 65 st aus, im letztgenannten wurde die Arbeitszeit von 65 st auf 62 st wöchentlich h erab­

gesetzt, mit der ausdrücklichen Bestimmung, daß für diese Arbeitszeit der volle Tarifschichtlohn für

61/2

Schichten bleiben solle. In der Verordnung vom 20. Januar 1925 wurde dann die achtstündige Arbeits­

zeit für die Kokereiarbeiter eingeführt, dabei jedoch

1 Schiedsspruch für den Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbau vom 16./27. Mai 1924.

Erlaß des Handelsniinisters vom 2. März 1925.

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