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Intermezzo : Roman.

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Academic year: 2022

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PRACOWNIA ZŁOTNICZA

P io t r Z im n y

ul. GiltiHSka

( » hudjnk.ii k w B k -y 1H11 /w tor/iM )' 48 - 100 G Ł U B C Z Y C E

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<Dtfc S f t a d j e l e i d i

A r t h u r O m r e

J n t e r n t e h ö

R o m a n

B E R L I N

H A N S V O N H U G O V E R L A G

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T i t e l d e s n o r w e g i s c h e n O r i g i n a l s : I n t e r m e s s o V o m A u t o r g e n e h m i g t e Ü b e r s e t z u n g

v o n T a b i t h a v o n B o n i n

E r s t e b i s f ü n f t e A u f l a g e 1940

E i n b a n d u n d S c h u t z u m s c h l a g : C u r t - G e o r g B e c k e r A l l e R e c h t e V o r b e h a l t e n . P r i n t e d i n G e r m a n y C o p y r i g h t 1940 b y H a n s v o n H u g o V e r l a g , B e r l i n

R e c l a m - D r u c k L e i p z i g

PRACOWNIA ZŁOTNICZA

Pit itr Z im ny

hI .

I w hini'nku kw'/jiicy. «vicr/41) 4 8 - 1 0 0 G Ł U B C Z Y C E

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Barder dachte, daß doch w o h l etwas daran sein müsse, an dem, was o ft über Elias gesagt wurde, daß er der häßlichste Mensch sei, den es auf dieser W elt gebe. Seine K leider machten ihn auch nicht schöner. In seinem bäuerischen, handgewebten A n ­ zug und m it dem schwarzen Landstreicherhut auf dem K o p f, lang und breitschultrig, knochig am K örper und im Gesicht, konnte w irklich niemand auf den G edanken verfallen, ihn als ersten Lieb­

haber zu bezeichnen. Barder hatte ein Bild von Lincoln gesehen, aus der Zeit, als er noch Baum- faller war, und dadurch gewann Elias. Elias’ Stirn war nicht ganz so hoch, das knochige Gesicht w ar breiter und der M und noch größer.

Aber Barder mochte ihn gut leiden. W en n sie zu ­ sammen vo n der Technischen Schule in der Stadt kamen und den Landw eg nach HauSe gingen, dachte Barder niemals darüber nach, ob Elias gut oder weniger gut aussah. Es kam zu keiner intimen Freundschaft zwischen ihnen, da Elias w enig redete und sich abschloß, und Barder war vo n derselben A rt. Sie kannten einander und mochten einander leiden. A us irgendeinem G rund schmeichelte es Barder, daß Elias ihn anscheinend mochte.

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Elias spuckte braunen T abak in den Straßengraben und m urm elte: D u brauchst w ohl kein altes Rad?

Ein Rad? H ast du ein Rad?

E in altes D ing, das in der Scheune steht. Ich w ill es für zehn Kronen verkaufen. Ich brauche dringend Geld.

Er lachte k u rz und vielleicht etwas verlegen auf und spuckte wieder braunen T abak in den Graben.

U n d dann w urde nicht m ehr über das R ad ge­

sprochen.

Barder w ollte zu r Stadt. Elias hatte keine Zeit — dazu.

Ich m uß eilen, daß ich nach Hause kom m e und meine Aufgaben machen. D u bist w ohl schon fertig damit?

N ein, Barder w ar noch nicht fertig damit.

Elias nickte und m urm elte etwas und ging dann den schmalen Fahrweg entlang und verschwand bei der K reuzun g zwischen den Tannen. Barder sah ihm nach und lächelte. — D u hättest dir heute zum Sonntag den schwarzen Tuchanzug anziehen k ö n ­ nen, aber der soll w oh l nur bei besonderen Feier­

lichkeiten benu tzt werden oder wenn du m it Mädels zusammen bist. Barder w u ßte übrigens nicht, ob Elias irgendein M ädel hatte. W enn er eins hatte, würde er es ihm sicherlich nicht sagen. Solch ein großer, breitschultriger Bursche von dreiundzwanzig Jahren

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müßte w ohl auf irgendeinem der H ö fe in der Gegend ein M ädel haben.

A u f dem W eg zu r Stadt versuchte Barder, eine Aufgabe im K o p f zu lösen, aber statt dessen tauch­

ten verschiedene Mädels v o r seinen A ugen auf, kleine V erliebth eiten w ährend seiner Schulzeit. Sie dauerten meistens nur ein paar T age, vier Tage, acht Tage. Spaßig und unbegreiflich, w ie sie ent­

standen, ein kleines W eilchen blühten und dann wieder verschwanden. M erkw ürdig, wie ein ganz gewöhnliches Mädchen plötzlich geheim nisvoll w er­

den konnte, um gleich danach wieder zu einem ganz gewöhnlichen Menschen zu werden. D ann hatte das Mädchen nichts Besonderes m ehr an sich oder viel­

leicht auch er nicht, je nachdem. Einige vo n den Mädels taten hinterher dum m oder waren schnip­

pisch und hielten sich höhnisch in w eiter E ntfer­

nung, verzogen den M und, w arfen den K o p f zurück und sprachen unnötig k u rz und geschäftsmäßig, wenn sie gezw ungen waren, einige W o rte m it ihm zu wechseln.

Ein kleines Erlebnis m it R u th M am en ging etwas tiefer. Barder besuchte m it ihr zusammen in einer größeren K leinstadt tiefer im Land das Gym nasium . Er lebte bescheiden, w ar ein stiller, einsamer Junge, der sich vo n mancherlei ausgeschlossen fühlte. Es begann damit, daß sie ihm einen harten Schneeball ins A uge w arf. V o rh e r hatte er in ihr nur ein lang­

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beiniges Schulmädel gesehen, aber jetzt wurde sie plötzlich süß und geheim nisvoll und kam ihm strah­

lend und glühend entgegen und blühte während des Frühlings, so daß die Jungen bem erkten, daß sie hübsch w ar. R u th M amen nahm Barder überallhin m it und stellte ihn vo r. U n d das schmeichelte ihm.

Eines Sonntags im Juni beteiligte er sich an der Suche nach einer Brosche, die sie am Abend vorher beim T anzen verloren hatte. Barder fand die Brosche, und sie kü ßte ihn plötzlich zum D ank. D ann k ü ß ­ ten sie sich viele Male. Barder kü ßte zum erstenmal ein Mädchen. Sie nahm ihn m it nach Hause in ein hübsches, einfaches H eim . Ihre M utter w ußte w ohl vo n dieser kleinen Freundschaft und w ar einver­

standen damit. Es machte ihr nichts aus, daß er ein Junge aus einfachen Verhältnissen w ar. A m Sonn­

tag darauf, als R u th und die Schwester allein zu Hause waren, saß er im Schaukelstuhl und nahm sie ein paar Stunden auf den Schoß. Sie saßen nur zusammen, schaukelten und sprachen kaum ein W o rt. Er entsann sich fast jeder Einzelheit. Er fand sie süß, warm und gut. Bis etwas eintrat, das an sich belanglos w ar, das aber doch seiner V erlie b t­

heit ein jähes Ende bereitete. Sie erschien eines Abends m it einem großen Zahngeschwür. E r dachte:

D u hättest gut dam it zu Hause bleiben können. — Danach konnte er nicht mehr m it ihr reden. V ie l­

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leicht w ar irgendein anderer G rund vorhanden;

aber er kannte keinen.

Sie w ar tiefunglücklich darüber, schrieb ihm Briefe und w ollte sich das Leben nehmen, so daß Barder nicht w ußte, was er tun sollte, denn er konnte ein­

fach nicht mehr. U n d das schlimmste w ar, daß er eigentlich hätte dankbar sein müssen. Ihre A n ­ gehörigen waren so zuvorkom m end und freundlich gewesen ihm gegenüber. Es plagte ihn mächtig.

K u rz darauf sah man sie m it einem rundlichen Eleven der Landwirtschaft, und später verlobte sic sich m it ihm m it R in g und dem ganzen D ru m und D ran. Barder dachte: D a kann man sehen, w ie groß die Liebe war! A ber er spürte doch eine kleine Enttäuschung. E r hätte sie vielleicht, wenn sie ihn eine W eile in R uhe gelassen hätte, wieder gesucht.

G o tt sei D ank, daß ich mich nicht gebunden habe, stellte er nun fest. Ein Mädel sagte vo n ihm , daß er oberflächlich und egoistisch sei.

A u f seinem W eg zu r Stadt traf Barder nur wenige Menschen auf der Breitenstraße. Einige grüßten, einige arbeiteten in ihren G ärten v o r den kleinen Häusern, und jemand rief: Schönes W e tte r heute, Barder! U n d er antw ortete abwesend: Ja, es ist schönes W etter. V iele waren m it ihren M o to r­

kuttern draußen und puckerten in den Sonntagnach­

m ittag hinein. D ie Stadt w irkte beinahe menschen­

leer. Er schaute über die Hecke in Frau Engelsens

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G arten hinüber und hörte Gustavs Klavierspiel. Er spielte Sindings Frühlingsrauschen fließend, fehler­

frei und schön. D ie T ö n e ström ten aus dem Fenster, entschwebten zwischen den Bäumen in die L u ft, in den Sonnenschein, jubelnd, waren eins m it dem Frühling.

Barder lächelte. Seine G edanken kehrten zurück zu dem Frühling m it R u th Mamen. Es waren milde, behagliche, leichte, w arm e Gedanken. Eine kleine Freude, nicht so stark w ie der Jubel in dem F rüh­

lingsrauschen, den er hörte, nein, bei weitem nicht so stark.

D ie Straße herauf kam eng aneinandergeschmiegt, A rm in A rm , ein junges Paar. Das Mädchen lehnte sich zurück und starrte in das sommersprossige, dicke Gesicht ihres Begleiters, als w äre er R om eo m it scharfgeschnittenem P ro fil und nicht Bäcker Aunes Sohn m it hellrotem H aar und einer K lu m p­

nase. U nd er lächelte sie albern an. Anscheinend waren beide, die doch sonst im m er so verständig waren, vo n jeglicher V e rn u n ft verlassen. E r kam doch früher o ft nach Steines und begleitete Barder auf seinem K u tter und mochte nicht einmal ein Mädchen ansehen. A b er dann plötzlich sah Barder nicht einmal m ehr seinen Schatten. H ab’ keine Zeit, Barder, hab’ keine Z eit. N ein, nein. E r hätte lieber sagen sollen: Ich darf nicht.

Barder bog schnell um die Ecke in Iversens Gasse

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und stieß dabei auf M ina Bokkenström und Sigvard Lund, deren Verlobungsanzeige v o r kurzem in der Zeitung gestanden hatte. Sie hatten es eilig. E r lief voran mit zw ei Körben, einem Proviantkorb und einem K o rb m it Angelgeräten. Sie gingen w ie kleine Leute auf der Landstraße, der M ann voran und die Frau hinterher. Sigvard nickte ihm nur zu, und Mina w inkte m it der linken H and, um ihm die goldene Fessel zu zeigen, m it der sie den armen Jungen an sich gebunden hatte. E r, der sich nidits daraus machte zu fischen, sondern am liebsten den Strand entlang schlenderte oder den langen Sonn­

tag hindurch m it einer Büchse auf dem Rücken allein in den Waldschneisen lag. M it einem Male war das aus, und zw ar durch M ina B okkenström . Das Mädchen hatte ein gefährliches M undw erk, und sie w ürde ihn noch fest an die Kandare nehmen bei seiner G u tm ü tig k eit und A rglosigkeit. Barder sah jetzt schon einen einfältigen Ausdruck in seinem Gesicht.

Nein, sich binden? Das w ollte Barder nicht, nicht ehe er in sicherer Stellung saß, ein eigenes Haus hatte und einen guten Batzen auf der Bank. Jetzt wäre es eine kopflose Angelegenheit. Dann m üßte es ein vernünftiges, ruhiges Mädchen sein, m it dem es keine Schwierigkeiten gäbe. Eine Schönheit brauchte es durchaus nicht zu sein, denn Schön­

heiten legten sich gern Launen zu. Barder hatte sich

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ein gewisses Ideal gebildet. Ihm schwebte ein blo n ­ der, vielleicht auch hellblonder, ruhiger, gesunder weiblicher T y p vo r. R u th M amen w ar hellblond, aber vielleicht zu sehr „prickelnder W ein “ . Das könnte w ohl ganz angenehm sein, aber auf die D a u e r . . .

A da Steines zum Beispiel wäre annehmbar. Im Grunde w ar sie sein Ideal bis zu r V ollkom m enheit, aber er em pfand fü r sie nur wie fü r eine Schwester, und A da fühlte fü r ihn sicher auch nur wie fü r einen Bruder. U nd Bruder und Schwester konnten sich doch nicht gut heiraten.

Sigvard Lund und A lf A une hatten insofern ihr Schäfchen auf dem Trockenen, als sie eine feste A rb eit hatten, die sie behalten würden, und aller W ahrscheinlichkeit nach würden sich ihre Einnah­

men noch etwas steigern. U n d sie w urden durch keine Studien gehindert. W arum denn auch nicht.

Sie dachten nicht m ehr über die Angelegenheit nach als die Jungen auf Steines. Burschen, die eine ge­

wöhnliche A rb eit hatten. D ie Mädels, die sie heira­

teten, verlangten nicht m ehr, als in ein oder zw ei R äum en wirtschaften und kochen zu können. Gleich saßen sie mit einem K ind da, und der Ehemann durfte sich nicht zehn Schritt vo m Haus entfernen, ohne Rechenschaft darüber ablegen zu müssen. Das, was Barder am meisten in Erstaunen versetzte, war, daß sie sich auf keine W eise über die Z u k u n ft G e­

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danken zu machen schienen. Selbst die, die jede W oche sechs bis acht K ronen vo n der Fürsorge be­

kam en und nur einen Job annahmen, w enn es ihnen paßte, legten sich Frau und K inder zu, und die Tage gingen, und sie lebten auch. Sie standen m it den Händen in den Taschen um her, zuckten die Achseln und spuckten T abak. Sie waren mürrische Kerle außerhalb des Sägewerkes und des Lokals der Schützengilde an den Sonnabendabenden,woTanz war.

Neidisch, grob gegen jeden, der danach strebte, sich eine Z u k u n ft aufzubauen. Barder hatte einige Male versucht, eine kleine, ruhige und sachliche U n ter­

haltung zustande zu bringen, w ar dabei aber schlecht angekom m en. — Ja, du kannst gut reden, sagten sie, du bist was Besseres geworden, seitdem du die höheren Schulen besuchst, und dein V ater ist auch nichts anderes als ein gewöhnlicher Fischer. D u bist ein schöner Sozialist.

Ich bin ein besserer Sozialist als ihr, antw ortete Barder, ihr fürchtet die A rb eit wie den T o d . Ich mache m ir auch nicht m ehr aus H olm en als ihr ändern. A b er er hat recht darin, daß ihr einen T a g in der W oche fü r die acht K ronen, die ihr be­

kom m t, arbeiten dürftet, Sozialismus ist keine B et­

telei. Sie aber lachten nur höhnisch und warfen ihm spöttische A n tw o rten an den K op f. U n d er schnitt dabei sehr schlecht ab, denn sie verstanden ihr M undw erk zu gebrauchen. D ie Zukunft? Inter­

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essierte sie nicht. Sie sparten sich auf diese W eise viele M ühe und Sorgen, diese Leute, die eigentlich ihr Leben w ie in einer prim itiven Sommerfrische zubrachten. A ber Barder konnte nicht verstehen, daß das ein Sport sein konnte, jedenfalls nicht fü r junge, gesunde Leute.

G u t, ihn ging das im G runde genom men nichts an.

Eine Zeitlang hatte er m it sich selber genug zu tun.

H um m ern hatte recht, wenn er sagte: H alte die Z unge gerade im M und und küm m ere dich um dich. H alte dich vo n den Menschen fern, jedenfalls vo n Frauen, bis du „Kissen“ hast, auf denen sie ruhen können. H alte dich an deine eigenen Sachen.

Mensch, ärgere dich nicht! A rbeite nicht, bis du verrückt bist, man kann durch zu viel geistige Arbeit den Verstand verlieren.

Barder ging durch die schmale Gasse, die hinter der Bank entlang durch versteckte G ärten führte. Die Kirschbäume fingen an zu blühen. A u f einer T reppe vo r einem kleinen, niedrigen Haus in einem G arten saß ein üppiges, blondes Mädchen, streichelte eine schwarze K atze, die sich an sie schmiegte, sah Barder an und lächelte. E r lächelte zurück und ging die Gasse hindurch, bis er auf die Breitestraße kam.

In Berntsens Fenster kostete ein hellgrauer Som m er­

anzug 99 K ronen 75 Ö re und ein anderer 119,75.

W arum in aller W e lt konnte Berntsen nicht eben­

sogut eine runde Summe schreiben? Barder fand

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dies hökermäßig, es schien ihm eines so guten G e­

schäftes w ie Berntsens unw ürdig. Wahrscheinlich w ollte sich der neue V erkäu fer m it den Plakaten, die übrigens zu groß und auffallend waren, auf­

spielen. N u n, Mensch, ärgere dich nicht!

Zw ei junge K ontoristen blieben stehen und be­

trachteten die Auslagen. D er eine, Sohn aus M ar­

lene D als Plätterei, sagte: W underbare Strum pf­

halter. Ein H e rr ist w irklich verpflichtet, W e rt auf feine Unterwäsche zu legen. Es ist unglaublich, wie schlampig viele in der Beziehung sind. Sie sahen über die Schulter weg zu Barder hinüber und sprachen laut über Wäsche und die neuesten M oden.

Ich lasse keinen Zentimeter unter i m jö bei den A u f­

schlägen der H osen zu, und es ist m it Schneider H op nicht m ehr auszuhalten. M an ist bald ge­

zwungen, in der H auptstadt arbeiten zu lassen.

Aus den Brusttaschen ihrer neuen, doppelreihigen Jacken leuchteten rote und grüne Taschentuchzipfel hervor. Z w ei Kleinstadtgecken in Barders A lte r m it naiver Kleinstadteleganz, der eine etwas lang und ungelenk.

Ohne sie zu beachten, näherte sich Barder dem Fenster und betrachtete ein Paar braune Schuhe.

Als er sich aufrichtete, stellte er fest, daß er m in­

destens ebenso groß w ar wie Zacharias D al, jedoch breiter in den Schultern. E r verharrte in seiner Stellung und betrachtete sich in dem Eckspiegel.

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Er könnte gut eine neue A usstattung vertragen.

N iem and konnte vo n ihm behaupten, daß er gut angezogen w ar. A b er sein dunkelblauer A n zu g, die schwarzen, groben Schuhe und die Schirm m ütze m ußten noch mindestens ein, vielleicht auch zw ei Jahre ihre Dienste tun. Ein ähnlicher älterer A n ­ zug hing noch zu Hause. D erartige Ausgaben konnte er sich sparen. N ich t ein Taschentuch w ürde er sich w ährend des nächsten, vielleicht auch der nächsten zw ei Jahre kaufen. E r entschied sich fü r die näch­

sten zw ei Jahre. Er fu h r sich über die Nase und lächelte. Sein Gesicht gefiel ihm nicht schlecht. Er fand sich etwas zu dünn, und ein kleiner Ausschlag auf dem K inn, der sich bis zum Hals herunterzog, machte sich nicht gut. Er benutzte Salbe und B or­

wasser, aber es half nur wenig. Es w ar w oh l der Ausschlag der Jugendlichen, der m it den Jahren verschwinden würde, aber er machte ihm viel Kum m er. — Ja, deine Nase und deine Stirn sind fein, pflegte H um m ern zu sagen. D u hast eine un­

verschämte Nase. Leute m it deiner Nase liegen niemals brach.

E r ging die Straße w eiter und schlug sich alle G e­

danken über Mädchen, K leider und Menschen aus dem K o p f und begann eine schwierige Aufgabe aus der Maschinenlehre zu lösen. W enn er durch die Straßen, längs des Strandes oder auf Land­

wegen wanderte, pflegte er seine Aufgaben im

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K op f zu lösen und sie später binnen kurzer Zeit einzutragen.

W ährend des ersten Jahres auf der Technischen Schule fühlte er sich auf G rund seines Abiturs den ändern M itschülern gegenüber überlegen und fischte daher frü h und spät. D ann entdeckte er plötzlich, daß ihm doch hier und da manches fehlte und daß die Kam eraden, die nur die V o lk s- oder eine Abendschule besucht hatten, auf dem W eg waren, ihn einzuholen. Elias zum Beispiel arbeitete sich zielbew ußt vorw ärts. Es w ar unglaublich, was Bar­

der während der paar Jahre, die er zu r See ge­

fahren w ar, und in dem praktischen Jahr in Klevens M o torw erkstatt vergessen hatte. Anderseits kam ihm die Praxis sehr zugute. E r hatte nach und nach erkannt, daß die A ufgaben in M athem atik, M a­

schinenlehre, Mechanik oder Chem ie nur auf e i n e Weise gelöst werden konnten und daß ein jeder, der sich etwas M ühe gab, imstande w ar, sie zu lösen. U n d wenn man alle W eisheit der W elt be­

säße, könnte die Lösung auch nicht besser werden.

Inzwischen hatte er die A ufgabe heraus und tat sie zu den vier ändern, die er bereits schon früher am T a g im K o p f gelöst hatte.

Vielleicht könnte er jetzt G ustav Engelsen besuchen.

Man w ürde ihm selbstverständlich K affee und selbstgebackenen Kuchen anbieten, und G ustav würde C h op in oder G odard, den zw eiten W alzer

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Omre, I ntermezzo

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von G odard oder die M azurka, die Barder so sehr liebte, spielen. A ber plötzlich hatte er keine Lust m ehr dazu. Das W etter w ar zu schön, um in der Stube zu hocken. Bei der Hecke machte er k eh rt und ging leichten Schritts auf den Fußsteig zurück.

E r versuchte, an das Buch, das H um m ern ihm ge­

liehen hatte, zu denken. H um m ern lieh ihm schwere Bücher, inhaltsreiche W erke, m it denen er sich be­

schäftigte, wenn er tro tz technischer Studien und anderer U nternehm ungen Z eit hatte. Solche W erke w ie: D ie Begrenzung des Menschen, Das begrenzte W irkungsfeld, über das w ir verfügen, Die begrenzte Z eit, die uns in dieser W e lt gesetzt ist, D ie R ela­

tiv ität des Schmerzes und der Freude, Individuum kontra Masse, Ist der W ille das Leben selber?, Das unbewußte oder bew ußte G lück, Ist der Säugling ein erblich belastetes W esen oder ein Klum pen Menschenfleisch, das durch die U m gebung geform t wird?

Es waren W erke, die er m it großem Ernst und, wie er meinte, m it großem N u tzen gelesen hatte.

Allerdings zo g ihn H um m ern o ft auf damit und sagte: D u Grünschnabel, was w illst du eigentlich m it dem Buch? Das ist zu schwere K ost fü r dich.

Lerne erst etwas in der schweren Schule des Lebens.

A ber o ft brachte er ihm ein Buch und machte Barder auf Seiten aufm erksam , die er lesen sollte, so w ie bei dem letzten Buch, H um or. E r saß auf

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der M ole und hielt ihm lange Reden und betonte, daß dieses Buch vo n größerem W e rt sei als alle ändern Bücher zusammen, die Barder bisher ge­

lesen hätte. Selbst das tief Menschlichste hätte eine humoristische Seite, und es käm e nur darauf an, sie rechtzeitig zu bem erken — denn dann erst würde das Leben lebenswert. E r ging sehr w eit und sagte, daß der Mensch in dem Augenblick geisteskrank sei, wenn er keinen H u m o i m ehr be­

säße. — D er Mensch, der im Ernst erstarrt, ist geisteskrank, sagte er.

Dann laufen viele Geisteskranke frei umher, hatte Barder ihm geantw ortet.

Richtig, darüber herrscht kein Zw eifel. H alte dir die Todernsten vom Leibe. Sie sind gefährlich.

Zum Beispiel Holm en, sagte Barder. Holmen w irkte auf H um m ern wie ein rotes Tuch.

Der ist auch nicht w eit davon entfernt, antw ortete Hum m ern und w arf einen Blick auf Barder, um festzustellen, ob dieser ihn nicht aufzog. Barder verspürte Lust, eine Bem erkung zu machen, daß Hum m ern in einzelnen Perioden, alle halben Jahre, auch nicht humoristisch sei, aber H um m ern w ürde ihm diese Bem erkung tro tz seiner Lebensregeln übelgenommen haben.

Barder w ar an diesem N achm ittag nicht imstande, sich auf wichtige Problem e zu konzentrieren. D ie Bücher schienen ihm m erkw ürdig trocken und ver­

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staubt. Er blieb stehen und betrachtete eine große Kastanie und eine Vogelkirsche, die unterhalb des alten, niedrigen Mauerhauses — Tornes K onditorei

— in vo ller Blüte standen. Im Grunde w ar er viel allein. D ie Kinder tobten in einem P ark hinter dem Hause. Er hörte die dumpfen Aufschläge eines Fußballs und in weiter Ferne den K lang der großen Trom m el der Heilsarmee. Ein Sonntag mit Sonne über Häusern und leeren Straßen. Ein schönes hell­

blaues A uto mit fünf oder sechs fröhlichen M en­

schen fuhr an ihm vorbei. Leichter Benzingeruch mischte sich mit dem D u ft der Vogelkirsche. Eine junge, dunkle Dam e in einem gutsitzenden blauen W ollkleid m it weißem Kragen und weißem S to ff­

hut kam ihm auf dem Fußw eg schnell entgegen.

Im G runde hatte sie keinen schönen Gang. Sie hielt sich etwas vornübergeneigt und stieß den rechten Ellbogen bei jedem Schritt zur Seite.

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2. K a p i t e l

Die junge Dam e verlangsam te v o r der K onditorei ihre Schritte und griff in ihre Handtasche. Sie öffnete eine kleine Geldbörse, schaute hinein und sah unentschlossen aus. Sie legte den K o p f zurück und dachte nach. Ein Paar große, blaue Augen streiften Barder, der die junge, reife Mädchengestalt betrachten m ußte und das frische Gesicht m it der Pfirsichhaut, das vo n dunkelbraunem H aar unter dem einfachen, weißen S to ffh u t eingerahm t w ar.

Sie hatte ein kleines, rundes Gesicht m it niedriger, breiter Stirn und einem guten K inn. D er weiße Halskragen verlieh ihr ein ungewöhnlich frisches Aussehen. V ielleicht w eil sie ziemlich dunkel war.

Aber sie w irkte auch nicht zu dunkel, w eil sie blaue Augen hatte und braunes Haar, kein blauschwarzes.

Barder dachte: Das ist das hübscheste Mädchen, das mir jemals begegnet ist, eine Schönheit.

Er starrte sie an, und als sie ihn etwas erstaunt an­

sah, nahm er unw illkürlich seine M ütze ab. Sie errötete leicht und lächelte schnell und vielleicht etwas schelmisch, so wie jede Frau es tu t, wenn ein frem der M ann sie grüßt, w enn es ungefährlich ist und sie den M ann leiden mag. Sie nickte und sah ihn m it ihren großen, blauen A ugen gerade an.

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Barder pflegte ihm frem de junge Mädchen nicht anzusprechen. A ber er fragte vorsichtig, ob sie w ohl Lust hätte, m it ihm K affee zu trinken. E r stünde hier und hätte sowieso daran gedacht, in die K o n ­ ditorei zu gehen und vie lle ic h t. . .

Ja, danke, sagte sie. Ich habe eine gute Stunde Z eit, bis der Z u g geht. Ich habe gerade selber darüber nachgedacht, ob ich hineingehen soll. Finden Sie mich nicht ein wenig dreist?

Er horchte der vibrierenden Stimme, die in dem W ort „dreist“ hervortrat. Ein schöner, dunkler K lang.

Fräulein T o rn e betrachtete sie streng durch die Türscheibe und zog sich hinter ihren Ladentisch zurück. Sie dankte fast unm erklich, als Barder sie begrüßte, und m usterte die junge Dam e beleidigt, während sie vier Kuchen anrichtete. Sollen es zw ei Kaffee sein? — und ließ ihre blassen A ugen ernst auf Barders neuer Bekanntschaft ruhen. Fräulein T o rn e konnte m it ihren vierzig Jahren noch ganz nett sein, aber die Dam en der jungen Leute pflegte sie m it Skepsis zu betrachten.

Zu jeder ändern Z eit hätte ihm die Ausgabe leid getan, heute aber bezahlte er m it froh er Miene und trug, als Fräulein T o rn e unbeweglich und höh­

nisch stehenblieb, während ihre großen, blassen H ände auf dem Glastisch ruhten, den K affee und den Kuchen ins H interzim m er.

D ie junge Dam e reichte ihm eine kleine, weiche

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Hand und sagte einfach: Ich heiße M argarete Putt.

Barder fand sofort, daß es ein schöner N am e sei.

Sie hätte w irklich nicht anders als M argarete heißen können. E r verbeugte sich, sah ihr in die A ugen und nannte seinen N am en: Barder Strand, und betonte Barder.

W ie? Barder? Das ist ein eigenartiger N am e. Ich mag ihn übrigens leiden, ich habe ihn aber noch niemals gehört.

Er zog einen Bleistift hervor und schrieb „B ardr“

auf die M arm orplatte und erzählte ihr, daß der N am e ursprünglich so geschrieben w orden wäre.

Es ist ein alter nordischer N am e, der ausgestorben ist. Ich habe in meiner Kindheit viel meines Nam ens wegen aushalten müssen. D er V ater m einer M utter hieß Bardr.

Sie setzten sich aufs Sofa, und sie schenkte gleich den K affee ein. A ls sie ihm die Tasse reichte, em p­

fand er einen starken D u ft ihres Haares und einen süßen Mädchenatem. Sie lächelte ihn vergnügt an.

Sie biß m it weißen, fehlerfreien Zähnen in den Kuchen, und ihre geschwungenen Lippen bewegten sich ro t und frisch. Er ließ sie alle vier Kuchen essen. Er möchte keine Kuchen, sagte er. E r dachte jetzt aber auch an den Ausschlag. In diesem A ugen ­ blick plagte er ihn m ehr als gewöhnlich.

Er hatte gleich bem erkt, daß das blaue K leid aus billigem S to ff w ar und daß der w eiße S toffhut,

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den sie nicht abgelegt hatte, kein kostbarer H u t w ar. Obgleich sie „gebildet“ sprach, m erkte er, daß sie keine höhere Schule besucht hatte, aber sie w irkte sicherer, nicht so unruhig w ie die Schulmädchen, die er auf dem Gym nasium getroffen hatte. Er konnte sie nicht sofo rt unterbringen, aber er be­

schäftigte sich auch nicht wesentlich damit. W ah r­

scheinlich übte sie irgendeine T ätigk eit aus; M äd­

chen in Stellungen waren meistens vernünftig und ohne viel Gefasel.

D aß Sie mich ins C afé einluden — wissen Sie, H err Strand, ich hatte nämlich zuw enig Geld. Ich kom m e vo n einer T ante, die m ir keinen K affee geben w ollte. Sie zo g ein Gesicht und schaute ihn von der Seite an. Sie steckte die Zungenspitze etwas aus dem M undw inkel heraus und schnitt eine Fratze.

Er lehnte sich im Sofa zurück und lachte laut und befreit.

Pssst! flüsterte sie und schnitt wieder eine Grimasse in die Richtung des Ladens. W ieviel U hr haben wir?

Er zog eine alte silberne U h r heraus. Sie konnten noch eine halbe Stunde sitzen, die ihm viel zu ku rz schien. Sonst machte er sich nicht viel daraus, in T ornes K onditorei zu sitzen, und konnte seine Kameraden nicht verstehen, die mit Mädels hierher­

zogen und bis in die N acht hinein auf dem roten Plüschsofa saßen. Er sagte: H eute ist es hier nett.

Sie lächelte ihn an und saß offensichtlich auch m it

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ihm gern hier. Sie haben sicher viele Freundinnen, sagte sie. Ich dachte im ersten Augenblick, Sie wären Seemann. Sie sind doch sicher zu r See ge­

fahren?

Ja, eine Zeitlang wäre er zu r See gefahren, aber jetzt besuchte er die Technische Schule und würde im Juni damit fertig. Freundinnen — o ja, er kannte w ohl ein paar Mädchen.

Sie haben ja das Abzeichen im K nopfloch, daran konnte ich feststellen, daß Sie die Technische Schule besuchen.

Es gefiel ihr augenscheinlich, daß er die Schule be­

suchte. Sie lächelte und sah ihm in die A ugen und plauderte vergnügt. U nd er m erkte plötzlich, daß es ihm nicht schwerfiel, ihr über sich und seine ein­

fachen Erlebnisse zu erzählen. E r sprach sonst un­

gern über sich. Nach Abschluß des Gym nasium s hatte ihm davor gegraut, den V a te r um Erlaubnis zum Besuch der Technischen Schule zu bitten. V ier Jahre erforderten viel Geld. V ielleicht hatte der V ater Geld. Barder hatte es nicht gew ußt. Er hätte sicher sofo rt ein Ja bekom m en. N u r vorw ärts, Barder, w ürde der V ater gesagt haben. A b er Barder quälte sich einen vollen M onat m it dieser Frage herum und konnte sich nicht dazu entschließen.

So fuhr er zw ei Jahre als H eizer zur See und arbeitete dann in Klevens M otorwerkstatt. Sie liegt gleich außerhalb der Stadt. Sie kennen sie vielleicht.

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26

N ein, sie kannte sie nicht.

Eine kleine W erkstatt, eine ganz kleine W erkstatt, aber man lernte tüchtig d ort, außerdem w urde man gut bezahlt. E r sparte G eld von seiner Heuer und dem Lohn, so daß er das Schulgeld, die Bücher und die Kleider, die er brauchte, davon bezahlen konnte. A ber jetzt w ar von seinen E r­

sparnissen nicht m ehr viel übrig. Er w ollte v e r­

suchen, A rb eit als Zeichner zu bekom m en, um sich das G eld zu r Hochschule zu ersparen.

V ie r Jahre?

Ja, vier Jahre. Es w ird schwerhalten, aber ich werde es schaffen; denn ich kann m it furchtbar wenig Geld auskommen. Dann habe ich keine Schulden, w enn ich m it m einer Ausbildung fertig bin. D ie Jungen, die aus kleinen Verhältnissen kom m en, pflegen meistens an einer Schuld hängenzubleiben, nachdem sie mit den Schulen fertig sind. Vielleicht kann ich, während ich die Hochschule besuchc, eine A rbeit nebenbei bekommen. D as ist nicht ausge­

schlossen.

Das w ird w ohl eine schwere Z eit werden?

O h , ich habe eine gute V orbildung. N ich t viele haben, wenn sie auf der Hochschule anfangen, die ganze Technische Schule außer dem Gymnasium durchgemacht. Das, was ich gelernt habe, kann man sofort in der Praxis in einer W erkstatt ve r­

wenden.

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— 2 7 —

W ie alt sind Sie? Sie werden sicher dreißig, ehe Sie fertig werden.

Ich bin bald dreiundzw anzig, sagte er und dachte nach. Ja, ich werde w ohl dreißig sein, ehe ich fertig bin, vielleicht auch einunddreißig, w eil ich erst das Geld zusammensparen muß.

Ein A r z t ist ja auch nicht früher fertig, sagte sie.

Dann werden Sie ein D iplom -Ingenieur. Sie sah ihn an und lächelte.

Die Z eit erschien ihm plötzlich hoffnungslos lang.

Sie sind w ohl achtzehn, neunzehn? fragte er.

Sie w ürde bald neunzehn. E r redete und betrachtete vorsichtig die glatte R undung ihres Kinns, die Pfirsichhaut, die klaren Augen, in denen das W eiße glänzend w ar wie Emaille, das Blaue vö llig blau, ohne eine A ndeutung ins Gelbe oder Grünliche.

Er spürte im m er den D u ft ihres Haares. Sie w urde also bald neunzehn.

Ärgerlich sah er auf die U hr. W ir haben noch zehn M inuten. K önnen Sie nicht einen späteren Z u g neh­

men? Es geht einer um i U h r 29.

Ausgeschlossen. M utter w ürde ängstlich werden.

Ihre M utter?

Sie ist sehr genau und erwartet mich mit diesem Zug.

Er em pfand sofo rt ein warmes G efüh l fü r die M utter.

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28

Sie haben vielleicht auch Geschwister? fragte er höflich.

Sicher, einen Bruder, A lf, und Olga. A lfred ist Postbeam ter, und O lga ist in der H auptstadt ve r­

heiratet. Im m er wieder bittet sie mich, doch bei ihr zu wohnen, aber glauben Sie, daß M utter das erlaubt? Ich habe eine kleine Stellung in einem Farbengeschäft, w ill mich aber nach etwas anderm umsehen.

Auch fü r ihre beiden Geschwister em pfand er ein warmes G efüh l und dachte, daß es w ohl nett sein müsse, sie kennenzulernen. U n d ebenso w ie die M utter meinte er, daß sie in der H auptstadt nichts zu suchen hätte.

Ich bin die Jüngste, sagte sie, das Nesthäkchen.

M ein V ater ist Postbote.

Es gefiel Barder, daß ihr V ater Postbote w ar. Er dachte: Das genügt m ir, und sagte: M ein V ater ist gewöhnlicher Fischer, ein guter und vernünftiger M ann. W ir w ohnen allein.

Sie sah schnell auf und betrachtete ihn w ie von neuem. Falls sie enttäuscht gewesen sein sollte, hatte sie es jedenfalls nur eine Sekunde lang gezeigt.

Vielleicht hatten die Schulen ihm ein gewisses G e­

präge gegeben, so daß sie sich ihn im ersten A ugen ­ blick nicht als den Sohn eines gewöhnlichen Fischers vorgestellt hatte. E r erzählte ihr vo n seinem H ei­

m atsort, plauderte über die Menschen dort, etwas

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über H um m ern. Ein interessanter Kerl, sagte er.

Er ist schon etwas alt. W ir nennen ihn Hum m ern, in W irklichkeit aber heißt er V orbeck. E r hat an der U niversität studiert. Eine Stellung hat er nie­

mals angenommen.

Dann ist er sicher m it einem V orbeck in unserer Nähe, einem G roßkaufm ann, verwandt?

Das w eiß ich nicht. Er redet niemals über seine Familie.

Ein guter Nam e, nicht wahr?

Ja, vielleicht. Sie sagen, daß er seinen N am en auf eine drollige Weise bekommen hat. Sie lächelte, sah ihn an und erhob sich. M ein V ater hat auch einen spaßigen Nam en. Er heißt Putt.

Barder lachte laut. Sie schnitt wieder eine kleine Fratze zur T ü r hin, die zum Laden führte. A ls sie hinausgingen, sah Fräulein T o rn e sie vo n oben herab an und nickte Barder nur eben zu.

Barder versuchte, m it ihren kurzen Schritten T a k t zu halten. Die Frauen sahen ihnen aus den niedri­

gen, weißgem alten Häusern in der Straße, die zur See und dem Bahnhof führte, nach. W enn er sich herunterbeugte, spürte er den D u ft ihres Haares unter dem w eißen S toffhut.

Ist Ihr V ater W itw er? fragte sie obenhin.

N ein, das eigentlich nicht, aber w ir wohnen allein.

Ach, sagte sie leise und errötete.

Er ging schweigend und unangenehm berührt weiter

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— 3 ° —

und kam aus dem T a k t. A u f dem Bahnsteig fragte er sie wieder, ob sie nicht bis zum nächsten Z u g w arten könne.

Leider, sagte sie freundlich, ist das unmöglich. A ber w ir können uns vielleicht später treffen? Sie lächelte ihn schelmisch an und sagte: W erden Sie m ir schreiben?

Ja, gern. D arf ich Ihnen denn schreiben?

Ja, w arum denn nicht?

Sie lächelte ihm herzlich zu und sah ihm direkt in die Augen. E r glaubte noch nie so blaue Augen gesehen zu haben, auch nicht solch frisches Pfirsich­

gesicht. Sie erinnerte ihn an eine eben erschlossene, duftende, dunkelrote Rose oder an einen saftigen Pfirsich. E r glaubte schon, daß M änner sie gern an­

sahen und sich m it ihr unterhielten. D er Gedanke w ar ihm unbehaglich.

Ich m uß plötzlich an etwas denken, sagte sie. K ö n n ­ ten w ir uns nicht duzen? „Sie“ ist doch w ohl etwas steif zwischen uns beiden Jungen?

A lso duzten sie sich. Barder, sagte sie. M argarete, sagte er. Schon in der K onditorei hatte sie die größte Lust gehabt, ihn zu duzen.

Sie reichte ihm die H and durch das Zugfenster.

D u m ußt m ir ja schreiben. Ich w ette, daß du m ir kein W o r t schreibst! D u hast natürlich genug zu tun m it all den A rbeiten fü r die Schule? V ielen D an k fü r das Zusammensein. Es w ar zu nett.

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— 3 I —

•Vielen D ank fü r das Zusammensein, rief auch er, als der Zug sich in Bewegung setzte. Sie lehnte sich heraus und w inkte. Sie zo g ein Taschentuch hervor, w inkte nochmals, dann trocknete sie sich zum Spaß die A ugen und w inkte noch einmal. E r sah das lächelnde, schöne Gesicht, dann sah er nur noch

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ein weißes Taschentuch, einen weißen S to ffh u t und einen w eißen Kragen, den sie um ihren Hals trug.

Ihm w ar plötzlich entsetzlich elend zum ute, nun er allein w ar. E r m ußte sich auf eine B ank setzen, um sich wieder zu sammeln. D er Bahnhofsplatz m it dem häßlichen, braungestrichenen Gebäude w irkte wie eine Öde.

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3. K a p i t e l

Barder Strand ging langsam den Bahnsteig hin­

unter und an den Schienen, die südwärts führten, entlang und sah an diesem frühen M aiabend über die See hinaus. E r lauschte den kleinen W ellen, die über die Steine am Strand plätscherten. D er Laut erinnerte ihn an eine Stim m e, die er gerade gehört hatte. Es gluckste und lachte munter und gedämpft, dunkel und geheim nisvoll, doppelt und vielfach.

D ie Schären und H olm en w eit draußen am H o ri­

zo n t erhoben sich in der blauen L u ft und im Sonnenschein, der auch die Fenster einer H ü tte auf einer der Inseln feuerrot aufleuchten ließ. Ein K ind w ürde rufen: Es brennt da draußen.

Er hatte eine halbe Stunde zu gehen, und es eilte ihm nicht. U ngefähr auf dem halben W eg blieb er bei der M otorw erkstatt vo n K leven stehen, einem niedrigen Steinhaus m it eisernen Fensterrahmen.

E r konnte sich noch ausgezeichnet darauf besinnen, als K leven vo r fünfzehn Jahren m it einem ändern M ann zusammen ein Haus baute, daß er drei oder vier kleine Maschinen dahin brachte und zw ei kleine Schlippe herstellte, auf denen er Segelboote baute. Er begann damit, B ootsm otoren zu reparie­

ren. Das Haus hatte sich nach und nach um das

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— 33 —

Vielfache vergrößert, es w ar eine W erkstatt ge­

worden, in der er Motore baute. D ie neue, breite Schlipp für M o torbo ote lag fein gestam pft und beinahe fertig da. K leven brachte es m it der Zeit zu etwas, obgleich er nur eine Volksschule auf dem Land und einige W inter hindurch einige Stun­

den einen technischen Abendkursus besucht hatte.

Aber dafür w ar er ein tüchtiger Schmied und Mechaniker und unglaublich zähe. E r hatte nur ein einziges Interesse im Leben: M otore. U nd vielleicht Geld, dachte Barder.

Der Briggschoner des alten Sim on trieb m it schlaf­

fen Segeln auf der blanken Fläche. Er und seine A lte w ollten süd- und westwärts segeln, um auf den vielen kleinen und großen Ortschaften längs der Küste altes Eisen und Schrott zu sammeln.

Wenn sie ihr Boot vollgeladen hatten, segelten sie nach irgendeinem ändern O rt, um es d ort wieder zu verkaufen. Ein paar Menschenalter hindurch waren sie auf diese W eise gesegelt. Barder schlug dem A lten, als er v o r mehreren Jahren an der M ole m it seiner B rigg lag, vo r, sich einen M o to r an­

zuschaffen. A b er Sim on lächelte, nahm die Pfeife aus dem M und und sagte: Ich habe Z e it genug.

Die Z eit kostet mich nichts, Barder, mein Junge, ö l und M o to r aber kosten viel G eld und machen viele Scherereien m it den Reparaturen. Ihr Jungen könnt euch m it M otoren befassen, ich gehöre der

3 Omre, I ntermezzo

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alten Zeit an, und das genügt mir. W enn ich jetzt bald achtzig werde, mache ich vielleicht Schluß — ach nein, ich w eiß w ahrhaftig nicht, warum ich schon Schluß machen soll, denn die Brigg, die A lte und ich fühlen uns w ohl dabei, und überall w arten sie auf uns. W in d gibt es genug, das w eißt du ja auch, Barder, mein Junge.

Es w urde behauptet, daß der alte Sim on schon im m er unmenschlich faul und kein Seemann ge­

wesen wäre, obgleich er schon so viele Jahre hin­

durch m it seiner Brigg, die älter w ar als er und seine Frau, segelte. T ro tzd em w ar er auf eine ge­

heim nisvolle W eise reich geworden. D ie geheimnis­

volle W eise konnte vielleicht dem minimalen V e r­

brauch v o n Kleidung und Essen zugeschrieben werden, und die Zeit spielte fü r Simon keine R olle.

Sie kostete ihn nichts. Etwas sparte er jedes Jahr, und w ährend der fü n fzig Jahre wuchs das Ersparte zu einem V erm ögen an. Unglück; hatte er nie ge­

habt, denn er kannte jede Schäre längs der Küste.

Bei zunehm endem W in d reffte er die Segel und nahm seine Zuflucht in irgendeinem Loch an der Küste. H ier blieb er liegen, solange es nötig w ar.

Vielleicht bot sich ihm hier auch die Gelegen­

heit, Schrott, K arto ffeln und Fisch zu kaufen.

Sim on und seine Frau lebten vo n K arto ffeln und Fisch, Priem und K affee, das w ar alles. D er einzige

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Genuß während all der vielen Jahre w ar der Tabak in der Pfeife.

Barder schaute auf die B rigg und dachte dabei an die Zeit, als er m it seinen Freunden auf dem Deck umherstrolchte und in die alte, m erkw ürdige Kajüte achtern hineinguckte. Ein mißhandeltes M ahagoni­

paneel legte Zeugnis vo n den W ohlstandstagen der Brigg ab, als sie noch eine Jacht w ar. Ein m erk­

würdiges und märchenhaftes Fahrzeug, das in Bar- ders Phantasie herum spukte. Simon, der kleine, von W ind und W etter ausgedörrte M ann m it rötlich­

grauem, dichtem H aar, und die alte, knochige Frau, die immer freundlich gegen die Jungen w ar, w u r­

den ein Seeräuberpaar, die Last zu Goldbarren.

Drei große Stücke H o lz und eine T o n n e trieben in eine Bucht der N ebenström ung. Er schnitt schnell einen Stecken vo n einem Erlengebüsch und zog das H olz und die T o n n e ans Land, setzte sich still auf einen Stein und sah dem Spielen der kleinen Fische im T an g zu.

Als er durch das Tannenwäldchen oberhalb des Strandes ging, sah er die beiden Jungen vo n Steines, David und G oliath, die auf dem A cker auf der Rückseite des Treibhauses hackten. Es wäre ihnen sicher sehr unangenehm, w enn sie bem erkt hätten, daß er sie an einem Sonntag arbeiten sähe. E r bog vom W eg ab und kam ungesehen an Hum m erns weiß angestrichenem, w ohlgepflegtem Haus vorbei

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3*

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und erreichte sein H eim , ein niedriges, graues G e­

bäude m it zw ei hintereinanderliegenden Schuppen.

Barders V ater, der mit der Zeitung auf der Treppe saß und aus seiner P feife paffte, lächelte und sagte:

Botten hat heute wieder einen Baumstumpf gehabt.

D u warst lange fort, Barder. D u bist w ohl hungrig.

D er K affee steht auf dem H erd. Das ruhige, regel­

mäßige und verwitterte Gesicht beugte sich wieder über die Zeitung. D er kurze, dunkle Bart und das dichte, hellblonde H aar harmonierten gut mit den grauen Seemannsaugen. Barder dachte plötzlich, daß er noch jung w ar, obgleich er schon die Fünfzig über­

schritten hatte. Barder konnte kein graues H aar entdecken. D ie breiten Handgelenke unterhalb der weißen Hemdärmel zeugten von Stärke, die G e­

stalt w irkte sehnig und drahtig. Barders G roßvater w ar jetzt bei bestem W ohlbefinden achtundachtzig Jahre alt.

Barder sagte: Es könnte nichts schaden, wenn die Häuser auch mal gestrichen würden.

N anu! Gestrichen? Ja, warum nicht. Ich habe nie­

mals darüber nachgedacht. Dies ist harziges K iefern­

holz, das keine Farbe braucht. R o t mit weißen Fenstern oder ganz weiß. E r sah von der Zeitung auf und lächelte mit einem verschmitzten Ausdruck in den Augen und sagte auf diese Weise ohne viele W orte, daß das Haus dann so w ie alle ändern Häuser werden würde. Dies w ar seine A rt, Barder

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37

%

zu bitten, einen V orsdilag für eine andere Farbe zu machen.

Gelb vielleidit? Eine kräftige gelbe Farbe ist schön.

Mach ganz, wie du w illst, Barder. N u r — wenn man mit dem Malen erst anfängt, muß man immer au f­

passen. A n der W etterseite w ird die Farbe ständig abblättern. Es ist altes harziges K iefernholz. Es überlebt uns und noch ein paar Generationen. Es hat schon zw ei, drei Generationen vor uns aus­

gehalten.

W ir können W asserfarbe mit Leim nehmen, dann braucht man nur einmal zu streichen, und es kostet nicht viel.

A ll right, mach ganz, wie du w illst, aber nimm reichlich Leim, daß die Farbe nicht abfärbt. Es w ird spaßig sein, das Haus mal anders zu sehen.

Ich fand eine Tonne und drei Stück Treibholz, ich werde sie herholen, ehe die Steines-Jungen sie nehmen.

Bist du nicht hungrig?

Nein, ich bin nicht hungrig.

Er hatte seit mittags um eins nichts gegessen, aber er hatte keinen Hunger. Er ging ins Haus, die Treppe hinauf und zog sich eine alte Hose und einen alten P ullover an.

Er holte die Tonne und nachher das Treibholz, eins nach dem ändern, und legte alles ordentlich über K reuz auf einen Stapel hinter den Schuppen.

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W enn er nun noch einige trockene Tannen aus dem W a ld bei Steines holen würde, hätten sie reichlich Brennvorrat für den W inter.

Hinterher setzte er sich an den Küchentisch, aß dicke Scheiben B rot und trank K affee. Er wusch dann die Tassen ab und rückte die irdene Schüssel mit dem Brotteig näher an den H erd, damit er besser aufginge.

V om W ohnzimmerfenster aus sah er die Brigg w eit draußen mit schlaffen Segeln treiben. A n Bord waren also der alte Simon und seine Frau, beides gute Menschen, die er kannte. Um ihn herum auf Steines wohnten Menschen, die er auch kannte, alle waren sie ganz nett, und alles w ar gut.

D er V ater rief ihm von der Treppe aus zu: Spiel doch etwas, Barder.

Er nahm die Geige von dem H aken unter dem Bild der M utter, hing sie aber gleich wieder an ihren P la tz und holte die Ziehharm onika aus der Truhe.

D er V ater hörte am liebsten Ziehharmonika. V ie l­

leicht w eil Barder die Geige nicht ganz beherrschte oder w eil er auch die H arm onika am liebsten mochte.

Er spielte einen alten schwedischen W alzer in D ur, tremolierte etwas dabei, w ie es seine Gewohnheit w ar. Es ging leicht und spielend, ohne daß er dar­

über nachdachte. Er konnte den V ater sehen, der

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die Hände um die K nie geschlungen hatte und auf die See hinaussah.

Er zog die Ziehharm onika zu einem langen, gleich­

lautenden T o n aus und setzte dann mit Tönen, die ganz von selber kamen, die M usik fort, während er gar nicht daran dachte, daß er spielte. Es w urde eine monotone Melodie. E r sah über die blanke Meeres­

fläche hinaus und erlebte noch einmal den schönen Sonntagnachmittag, die stille, sonnenerfüllte Stadt, empfand noch einmal den Augenblick, da er von der Einsamkeit bedrückt w ar, dachte an das Z u ­ sammentreffen, begleitete das Mädchen an den Zug und wanderte den W eg nach Hause. Geistesabwesend sah er in die Luft. Alles zog an ihm vorbei, w äh ­ rend er mechanisch auf die Tasten drückte und eine Melodie aus Gedanken und Bildern komponierte.

Der V ater drehte sich um und sagte: Hübsch, Bar- der! W ie heißt es?

Barder erwachte. Ja, ich w eiß nicht. D ie „Stimme eines Mädchens“ glaube ich.

Spiel es noch einmal.

Barder sah auf die Tasten herunter, übte noch einige Male und nahm die M elodie wieder auf, monoton, etwas dunkel und vibrierend.

Hübsch, sagte der V ater.

Gustav Engelsen hatte Barder das Geigen und Zieh­

harmonikaspiel beigebracht und meinte, daß er ein ausgezeichnetes Gehör habe.

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— 4 ° —

Er konnte morgens, gleich wenn er die Augen ge­

öffnet hatte, ehe sich das Gehirn in T ätigkeit setzte, oft eine kleine Melodie, die ihn an nichts, was er früher gehört hatte, erinnerte, vo r sich hin summen.

W enn er sie sofort spielte, konnte er sie sich später zu jeder Zeit wiederholen. W enn er sie nicht auf diese W eise — durch das Spielen — festhielt, ver­

schwand sie ganz, und er konnte sie niemals w ieder­

finden. W enn er bew ußt versuchte, eine M elodie zu komponieren, entstanden nur schlechte Variationen über bereits bekannte Melodien. Sie mußten ganz von selber kommen, ohne daß er das geringste daran arbeitete. E r hatte das G efühl, als nähme er die T öne aus der Luft, als durchströmten sie ihn, als sei er nur ein Medium, wenn er nach einem traum ­ losen Schlaf vö llig ausgeruht w ar. N icht ein einziger Gedanke durfte ihm dabei kommen, denn dann stürzte das G anze w ie ein Kartenhaus im W ind zusammen.

Diese kurzen Stunden am Morgen konnten ihn un­

ermeßlich erfreuen, und er wunderte sich sehr dar­

über. Er sagte zu G ustav: Ein Kom ponist tut eigent­

lich nichts anderes, als daß er aufschreibt, was ihm geschenkt w ird. Ich wünschte, daß ich N oten schrei­

ben könnte, aber ich habe keine Zeit dazu.

G ustav redete über Inspiration und Harmonielehre und vieles andere. A ber Barder sagte: D u w eißt nicht, was ich meine. Ich glaube bestimmt, daß alles

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Neue aus sich selber heraus kommen muß. Das andere ist nur angelernt. V iele beschäftigen sich ja damit, Variationen über das N eue zu machen. Es ist vielleicht so mit jeder originalen Kunst und mit jeder w ertvollen Schöpfung. Sie entstehen aus sich selbst. Ich weiß es nicht. Vielleicht ist die Inspiration nur ein T e il davon. Gustav, der nachts schlecht schlief und eigentlich immer müde w ar, konnte ihn nur halb verstehen.

Diese Melodie, die er die „Stimm e eines Mädchens“

genannt hatte, kam also ganz aus sich selber, w äh ­ rend er nach einem behaglichen Nachm ittag und nach einem, wie ihm schien, angenehmen Zusammen­

treffen geistesabwesend im W ohnzim m er stand. Er hörte deutlich, w ie sie „Barder“ aussprach, mit einem kleinen Knidt zwischen dem „ a “ und dem „ r “ , einer Veränderung des Lautes im H als, und dasselbe kam in einem T eil der M usik wieder.

Er spielte sie wieder, zw eim al, dreimal — es w ar wirklich eine kleine, originelle Melodie. Sein V ater kam ins W ohnzim m er und legte die Zeitung auf den P latz. Ich lege sie hierher, sagte er. W arst du in der Stadt?

Ich bin umhergeschlendert und habe meine A u f­

gaben gelöst. Ich dachte schon daran, bei G ustav hereinzuschauen, ließ es aber dann doch sein. Ich sprach mit Elias. Morgen früh werde ich eine Spritz­

tour an das R iff machen, um Schellfisch zu holen.

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Streng dich nur nicht zu sehr an. Denke jetzt im letzten Semester an die Schule. Ich habe nodi etwas Geld. W ir kommen gut damit aus. T u , was du kannst, und mach es besonders gut. Ich habe gehört, daß du zu den Besten gehörst. Ist dir jemand voraus?

Einer oder der andere vielleicht.

Das spielt ja keine Rolle, aber mach es so gut wie möglich. — Elias?

E r steht gut, sehr gut. Er ist so furchtbar ruhig. In der Schule wissen sie gar nicht, w ie tüchtig er ist.

Bei weitem nicht.

Barder wunderte sich über den V ater, der sonst niemals viel redete. Er w ar einmal Steuermann ge­

wesen, sprach aber auch darüber nicht. Man sagte von ihm, daß er K apitän hätte werden können, wenn er gew ollt hätte. Er besaß den R u f eines be­

sonders tüchtigen Fischers, aber er machte sich jetzt nichts mehr daraus, m it den ändern zusammen zu fischen. A ls Barders M utter noch zu Hause w ar, betrieb er die Fischerei in größerem Stil.

W ährend er die Kastenuhr in der Ecke aufzog, sah er Barder, der an der T ü r stand, lächelnd an.

Er sagte: D u bist größer als ich. D u wirst lang. D u mußt versuchen, etwas dicker zu werden. Bist du nicht ziemlich viel allein? Gehe ein wenig unter Menschen und amüsiere dich. Es ist gesund, wenn es mit M aß betrieben wird.

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Oh, gerade jetzt? Ich bin ja den ganzen T a g in der Schule mit den Jungen zusammen. D u besuchst ja auch nicht gerade viele Feste, V ater. Barder lachte.

Mir genügt Hummern und die in unserer Ecke wohnen. Ich bin ja auch der Jüngste nicht mehr. D u bist jung und jünger als die meisten deines Alters.

Geh doch öfter mal zum T a n z. D u bist jung, Barder.

Ich bin doch bald dreiundzwanzig!

D er V ater lächelte schnell. Ja, ja, sagte er. W enn du mit der Schule fertig bist, mußt du erst einmal ordentlich Ferien machen, etwas mit mir auf dem Wasser liegen, wie? Ich habe über etwas nachgedacht.

H ast du nicht einmal mit Hummern über die Hoch­

schule gesprochen? H ast du Lust dazu?

Lust? Das kostet viel Geld. Ich dachte . . .

Ein großes D am pfschiff fuhr an der Brigg vorbei. D er V ater sagte: Simon kommt heute auch nicht weiter.

Das ist ihm aber ganz einerlei. W ir bekommen heute nacht W ind von N orden, und dann ist er schon vo r dem frühen Morgen w eit unten. Das weiß er ganz genau, der Alte. Ich wünschte, daß es dir gelänge. Kom m st du mit ein paar H undert im M onat aus?

Ein paar Hundert? So viel brauche ich gar nicht. Ich kann billig leben. Vielleicht bekomme ich auch einen Job nebenher.

Nein, nein, nicht so. N icht vier Jahre hindurch. D u

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kannst da oben für hundert schon eine vernünftige U nterkunft bekommen. Ich kenne jemand, der ein ordentliches Haus hat. D u hast Bücher und Schul­

geld, und etwas mußt du ja auch nebenher haben.

V ier Jahre macht zehntausend. Ich glaube, daß ich es machen kann. Ich bin nicht ganz blank. W ir werden es schon schaffen, Barder, wenn du Lust hast.

Lust? Ich dachte. . . Es wäre ja das beste, wenn ich nach den Ferien gleich weitermachen könnte. Dann bin ich erst siebenundzwanzig, wenn ich fertig bin. Ich zahle dir selbstverständlich alles zurück, was du für mich auslegst. Es kann ja auch eine Zeit vergehen, ehe ich eine ordentliche Stellung be­

komme, selbst wenn ich die Hochschule besucht habe. M an hat aber dann größere Aussicht. Ja, und dann möchte ich auch soviel wie möglich lernen. Es gibt soviel, was ich nicht w eiß."

D er V ater lächelte und sagte: Ja, es geht dir w ohl so, Barder. Schon als kleiner Junge fragtest du mich fast tot. Einigen geht es so. Er zeigte plötzlich mit dem Pfeifenmundstück auf das Bild der Mutter.

D u siehst ihr ähnlich, Barder. Ihr habt viel gemein­

sam. Sie w ar gefühlvoll und spielte auch nicht schlecht.

— A lso die Hochschule. Ich möchte, daß es dir glückte. Ich habe vielleicht das Geld, vielleicht auch noch etwas mehr. A ber es ist nicht nötig, darüber zu reden. Das geht niemand etwas an. Außerdem

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kann ich noch mehr arbeiten. U nd ich w ill ja auch nicht in einem goldenen Sarg ruhen. W er sollte dir denn sonst helfen, wenn nicht ich? D u bist gerade von der A rt, die solche Schulen besuchen müssen.

Viele, die hingehen, sollten es eigentlich nicht tun.

Barder wunderte sich. Sein V ater hatte noch niemals so viel auf einmal mit ihm gesprochen. Er erwähnte die M utter nie. Es kam w ohl daher, w eil das Examen vor der T ü r stand und er anfing, ihn als erwachsen zu betrachten.

Barder dankte ihm. Das wäre fein, sagte er. Dann murmelte er: Ich w ar heute nachmittag in der Stadt. Ich traf ein Mädchen. W ir tranken in Tornes Konditorei K affee. Sie w ar nett.

Ja, das ist all right. Ein bißchen Mädchen ist gar nicht so schlecht. Lade sie doch einmal hierher ein.

W enn sie nicht zu fein dazu ist, fügte er hinzu, lachte und ging in das langgestreckte Schlafzimmer, das neben dem W ohnzim m er lag. Er hielt die T ü r­

klinke in der H and und sagte: Gute Nacht, Barder, ruhig und freundlich wie immer.

W ieder mußte Barder denken, daß dieser Mann, sein V ater, doch erstaunlich jung w ar für fün fzig Jahre, das Barder als ein sehr reifes A lter erschien.

Er nahm die Zeitung und ging die Treppe hinauf.

V on seinem Zimmer mit dem schrägen Dach, dem niedrigen Bett, dem Bücherbrett und einem alten Tisch am Fenster sah er nach Süden über den W ald

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und den Strand hinweg auf die See hinaus. Er las kurz die Überschriften der Zeitung und dann einen kleinen A u fsatz von Botten. Botten schrieb beinahe jeden T a g einige Zeilen, und mitunter waren sie amüsant. Botten konnte so schreiben, als glaube er selber, nicht amüsant zu sein. Es gab auch Menschen, die ihn langweilig fanden. Er schrieb über ganz alltägliche Dinge. Barder las die Zeilen von heute:

D er Fuhrmann V iken hat vom Zigeuner Frederik- sen ein neues P ferd gekauft. Sie haben die Pferde getauscht, und Zigeuner Frederiksen hat das alte, das schon lahm w ar, bekommen. A ller Wahrschein­

lichkeit nach hat V iken zubezahlt. W enn nur der Fuhrmann V iken nicht ein anderes lahmes Pferd bekommen hat! W arum steht ein solcher Pferde­

tausch nicht unter Staatskontrolle? W o bleibt die Obrigkeit?

Barder hatte schon amüsantere Sachen von Botten gelesen. D ie meisten würden diesen A rtikel ernst nehmen, und Barder freute sich schon jetzt auf die Antw orten, die nachdenkliche Leute für und gegen eine Staatskontrolle beim Pferdetausch einsenden würden. Botten würde über diese Frage mit Leuten auf der Straße und in den Geschäften ernsthaft dis­

kutieren und würde nachher mit einem ständigen Grinsen in der Stadt umherlaufen. Mitunter gelang es Botten, die Leute so aufeinanderzuhetzen, daß die Fetzen flogen. W ie damals, als er vorschlug, die

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Freikirche an Wochentagen als Herberge zur H eim at zu benutzen. Er schrieb: Vorschlag i und Vorschlag 2, Vorschlag 3 und Vorschlag 4. U nd jeder Vorschlag hatte seine einzelnen Gesichtspunkte, und die E r­

widerungen brachten neue Gesichtspunkte, bis Bot­

ten das herrlichste Sammelsurium, das er sich w ün­

schen konnte, beisammen hatte. D ann machte er plötzlich Schluß und kam mit einer neuen Sache.

Barder legte die Zeitung in einen großen A kten­

deckel unter das Bücherbrett. E r sammelte Zeitun­

gen und hatte bereits viele Jahrgänge davon auf dem Boden. Er hatte o ft Verw endung dafür, denn immer wieder kam jemand, um etwas in Barders alten Z ei­

tungen nachzusehen.

Barder trug die Aufgaben ein und schrieb sie schnell nieder, ohne eine Zahl zu ändern. D ann holte er sich einen Zeichenbogen und schwarze Kreide. A b und zu übte sich Barder an H and eines großen Lehr­

buches im Freihandzeichnen, das er nicht in der Schule lernte. N u n gelang ihm eine Ähnlichkeit bei seinen Porträtzeichnungen schon schneller. Vorher hatte er sie o ft drei- oder vierm al zeichnen müssen.

A m besten wurden die Zeichnungen, wenn ihm die Ähnlichkeit sofort gelang, und zw ar frühmorgens, genau wie mit den Melodien.

Er heftete die Skizze mit H eftzw ecken über das niedrige Bett und fand, daß dies das beste Bild war, das er jemals gemacht hatte. M it wenigen Strichen

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stand sie vor ihm, mit welligem H aar unter einem weißen Stoffhut, mit großen Augen und einem Lächeln in dem feinen, runden Gesicht. D er weiße Kragen gab ihr ein frisches Aussehen.

Er ging immer früh zu Bett, selbst im Sommer. Der V ater mußte früh auf stehen, und er stand auch früh auf.

Heute allerdings konnte er noch nicht schlafen und stieg die Treppe leise hinunter und ging hinaus.

Hoch oben in der Eiche hinter dem H aus pfiffen die Stare ihr Lied. Er setzte sich auf den Steinhaufen im niedrigen Birkengehölz und ahmte ihnen nach.

Sie antworteten und glaubten, das er auch ein Star wäre.

D ie Dienstleute auf Steines, Berta und O lu f, gingen zusammen auf dem W eg, der etwas oberhalb im Tannenw ald an Barder vorbeiführte. O lu f lachte und griff nach ihr. Aber sie wich jedesmal zur Seite. Plötzlich schlug sie ihm mit der flachen H and ins Gesicht, so daß es knallte. O lu f stand gebückt da und lachte.

Aus dem Schornstein von Hummerns Haus stieg dicker Rauch empor, und Barder wußte, was H um ­ mern jetzt tat. Hummern steckte seinen w eißhaari­

gen, schmalen K o p f zur T ü r hinaus und blickte mißtrauisch zu Barder herüber, der feststellte, daß Hummerns Gesicht stärker gerötet w ar denn je.

Vertrocknet und gebeugt trat er auf die Treppe,

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ging auf den Steinhaufen zu und murmelte im Gehen:

W as zum T eu fel sitzt du hier herum?

Schönes W etter. Ich konnte nicht schlafen, darum sitze ich hier.

Hm ! W illst du ein Buch haben?

Jetzt nicht. Vielleicht komme ich morgen mal her­

ein. I ch habe übrigens in der nächsten Zeit viel zu tun.

Ich w ill vierzehn T age in Ruhe gelassen werden.

Verstanden?

Sicher verstehe ich das.

Das tust du gar nidit, du langes Laster. D u ver­

stehst nichts. H örst du, was ich sage? D u verstehst nicht ein bißchen.

Bist du verrückt, Hummern? Ich verstehe wirklich n ich t. . .

Hm ! D u kannst einen Augenblick herüberkommen, und dann w ill ich vierzehn T a ge in Ruhe gelassen werden. Ich habe eine wichtige Schreibarbeit vor.

Mach nicht solch ein Gesicht! D u kannst glauben, was du w illst. Ich sage dir ja, daß ich mit einer Schreibarbeit beschäftigt bin.

Hummern lief gebeugt durch das Birkengestrüpp Barder voran, drehte sich nach ihm um, sah ihn mit unbeweglichen Augen an und ging die Treppe hinauf.

In Hummerns Zimmer, das das halbe Erdgeschoß des Hauses einnahm, lag vor einem schwarzen

4 Omre, I ntermezzo

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