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Die Zukunft, 25. Februar, Bd. 26.

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Berlin, den 25.Februar 1899.

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Der Präsident

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siebenzehntenJanuar1895,als dergroßindustrielleFeudalherr Casimir-P(åriernachsiebenmonatigerPräsidentschaftin übler Laune demElysåe entlaufenwar, wurde imzweitenWahlgangederMarineminister FelixFaurezumPräsidentenderfranzösischenRepublikerwählt,weildie 184Wähler,dievorher fürHerrnWaldeck-Rousseaugestimmthatten,den politischunbescholtenen,als SwellvongutenManierenbekannten-Herrnaus HavredemdüsterundfeierlichblickendenradikalenTribunenHenriBrisson vorzogen.Brissonwardamals, eheerumraschverrauschtenEintagsruhm seinesämmtlichenGrundsätzeverleugnet hatte,einProgrammunderschien einWille;Faurewar einnetter,wohlhabenderMann,eingesättigterLeder.- rentier,dersicheinehübscheYacht hielt, gute englischeKravatten trug,bei keinem mondänen Vergnügen fehlteundbehaglichlebteundlebenließ.

Konnte denAbgeordneten-und Senatoren,dieausderSpitzederStaats- pyramideamLiebsteneineanmuthige Richtigkeitlungernsehen,dieWahl schwersein?VonBrisson hatten sie viel,vonFaure nichtszufürchten.

Zwarnannte dermit demsanftestenSozialismus äugelndeHerrGoblet den inVersaillesErwähltenunPräsidentdedroite,einenPräsidentenderRe- aktionäre,wiemanbei unssagenwürde;abererwurdeausgelachtUndwer

·daslehrreichekleineBuch liest,in dem LåonMuel eben dieGeschichtederfran- zösischenMinisterkrisenwährendderletztenvierJahre geschriebenhat,wird im Ernstnichtbehauptenkönnen,daßunterFaure,derBourgeoisundBrissonzur LeitungderGeschäfteberief,reaktionärePolitik getriebenwurde. DerNachfol- gerCasimir-P(årierstäuschtedieErwartung seinerWählernicht:-errepräsen-

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322 DieZukme

tirte undamusirteFrankreich,fügtesichderwechselndenPolitik seinerMinister und wäreimDezember1901wahrscheinlichwiedergewähltworden.Nunister plötzlichgestorben.Währenderwohl schonvonderEröffnungderWeltaus- stellungträumteundsichzu einerReiseansMittelländischeMeerrüstete, woerinMonteCarlo denZaren,inNizzadieKöniginvonEngland,in Beaulieu denKönig derBelgierundinBordigheradieKaiserinFriedrichbe- suchenwollte, machteeineGehirnhämorrhagieseinenbuntenPläneneinEnde.

UndnunfahmandasselbeSchaufpiel,dassichvorvierJahren abgespielthatte.

AmachtzehntenFebruar1899wurdezumPräsidentenderfranzösischenRe- publikderSenatspräsidentEmileLoubeterwählt,weildieMehrheitderAbge- ordneten undSenatoren in demfrüherenBürgermeistervonMonteålimar,der sichniedurch besondereJntelligenzoderWillenskraft lästiggemachthatte,ein gefügigeresWerkzeugzufinden hofftealsin demzähen,energischenund klugenHerrnMcåline,derihnenalsMinisterpräsidentgezeigthatte, daßmit ihm nichtzuspaßenist. JneinemPunktnur unterschiedensichdiebeiden Schauspiele:diesmal gabeskeinenBesiegten.DennHerrMtålinewarklug genuggewesen,garnicht erstzukandidiren;mochtendieFreundeihn noch sosehrbedrängen:erwußte,daßer, als einestarke,deutlicherkennbareIndivi- dualität,nichtderMannderMehrheitfeinkonnte,diefürdenelysäischenPalast einenstilleren Wirth suchte,undstimmte selbstfür Loubet,derihm politisch so nah stehtwiebei uns etwaHerrvonKardorffdemGrafenMirbach.Aber Miålines NamewareinenAugenblickgenannt worden;unddieseThatsache genügte,umalleRadikalenundSozialisten fürLoubet mobil zumachen,mit demsiepolitischnichtdiemindesteGemeinschafthaben.Unehaine com- mune vous unit,riefBismarck einstderrothenundschwarzenSchaar feinerGegnerzu; dasselbeWort konnteauchMålinesprechen,da«erdie TodfeindevereintfürLoubetstimmen fah,derJahre langderVertreter der reaktionärsten,denRadikalen verhaßtestenKörperschaftgewesenwar.

DiedeutschePressehat längstverlernt, französischeVorgängeinküh- lerGelassenheitzubetrachten. FürstHohenlohehatdenReichstagzu der mindestensüberflüssigenKundgebungeinerTheilnahme veranlaßt,die in Frankreich nichterwidert, sondernnur als einZeichenderSchwächeund ein Versuch sachterAnnäherunggedeutetwerdenwird,unddabeigesagt,der Deutschesehein demfranzösischenVolk»einen dergrößtenTrägerderCivilisa- tion«.DieseAnsichtmag derKanzlerin denselbenZeitungengefundenhaben, indenenderwitzigeHerrvonBülowdiedeutschenSympathienfür"dieVerei- nigtenStaatenentdeckthat.Wiranderen,vonamtlicherWeisheitnichterhellten

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DerPräsident. 323

Erdenbewohnerlesen seit JahrundTag, daßdiefranzösischeArmee von Gaunern, FälschernundMeuchelmörderngeleitetwird, daßskrupelloseund listigePfaffendasLandbeherrschenund das VolkindumpferKirchenzuchtund knechtischerKnutenanbetung völligverkommenist.Unssind auch jetztwieder

nur Gräuelmären ausdemFranzenreichberichtetworden.Weil diePariser einheißes,vonpolitischenEreignissenleichterregtes Temperament habenUnd leidenschaftlichauf politischeVorgänge reagiren,wird unserzählt,ander Seine hausedieAnarchie, alsobnichtsogardiehitzigsteUebertreibung despolitischenInteresses besserundnützlicherwäre als diestumpfeGleich- giltigkeit,die Allesregunglosübersichergehenläßt. Zudemneudeutschen System, dessenSegnungen selbstder Blindebaldspürenwird, gehörtaber nun einmaldasEigenlob,magesauchübelduften,und dieLästerungund VerhöhnungderNachbarn. Deshalb durftendieSens ationen,diesichinParis undVersaillesabspielten,nicht ungenütztbleiben:anihnenkonnte dergute Bürger,wieaneinemSchulbeispiel, lernen, daßnur imDeutschen Reich dasLebenschönundbekömmlichist.Undsowurdeihmdennmitgetheilt, Frankreichwerdenicht lange mehr Republik sein, sondern nächstenseinem kecken Soldaten alsDiktatorhuldigenzFaure seieineitlerNarr,ein Säbel- anbeterundAntisemit gewesen;und Loubetseizwar einhöchstehrenwerther Mann,werdeaber,da demPräsidentenkeineMachtgegebensei,gegen den JesuitengeneralunddieverpfafftenHeerführernichts ausrichtenkönnen.

MitsolchenGespenstergeschichtenschreckteman sonstallenfallsschläfrige Kinder insBett; jetztwerdenwache,erwachseneMännerdamit bewirthet.

DaßMarianne sehnsüchtigdenstarken, brutalenBändigersucht, hö- renwirseit fastdreißigJahrenWer genauhinsieht, mußmerken, daßdie AussichtenderPrätendentenschlechtergeworden sindund dieGewöhnung andierepublikanischeStaatsform sichimmerfestereingewurzelthat.Die herrschendeBourgeoisie,die überallfür profitlicheRuheundHändlerfrieden ist,willvoneinerUmwälzungnichtswissen,die, wiesieschließlichauchenden mag,stetsdieVerechnungenderKapitalisten stört.Das Proletariat,die MassederstädtischenBevölkerung,istfürdiesogenanntelegitimeMonarchie vonGottesGnadenso wenigwiefürdenCaesarismuszuhaben.Was bleibt? DieArmee,die aberdochkeineigenes,vomVolkgeschiedenesLeben führtunddie,trotzallemGerede,inFrankreicheineunvergleichlichbescheide- nereRollespieltals inDeutschland.DieSchauergeschichtevomJesuitenpater Dulac,derdasHeeramSchnürchenlenkt,würde in einemKolportage- roman garnichtübelwirken;imhellen LichtdesAlltages klingt sienur

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324 DieZukunft.

komisch.Sind dieMänner,diejetztdasHeergegen denAnsturmdesDreh- fusvolkes vertheidigen,finddieLemaitre, Bourget, Coppee, Sully-Prud- homme,Barres unddie anderenFührerdermehralsachtzigtausendder bestenNamenFrankreichsumfassendenLigaLaPatrie Francaise etwa IesuitenknechteundKasernenbewunderer? Sind sie nicht vielmehr,da siedengrößtenTheilderWissenschaftundhumanistischenBildungdesLan- desvertreten,«eheralsdasHäufleindermitihrerDecadenceprahlenden artistischenStutzer berechtigt,sichintellectuels undcerebraux zu nennen?

SiekämpfenfürdieRepublik,dereineernsteGefahr erst drohen wird,wenn dieProvinzen,wenn dieschwerfälligenBauernschaarensichgegendieparifer Schachermächlererheben; und wassie wollen, hatJules Lemaitre,Taines feinsterSchüler, neulich so ausgedrückt:Puisqueleparlementarisme, telquenous le voyons pratique,estl’impuissance,ledesordre et quelquefoislahonte, puisquenous n’av0ns rien äattendre ni de gouvernants quinegouvernent pas,ni depoliticiens quinesongent qu’äleurs interets electoraux,nousvoulons agiretnous gouverner nous-memes, en dehors etau-dessus d’eux. Nousferrons nous- memes leplusquenous pourrons denos affaires, puisqueceuxque nous encroyions chargesles fontsi peuousi mal.Sosprechennicht Knechte,die denHerrnsuchen, sondern freieundselbstbewußteMänner, diewissen,daßdieRepublikverlorenist,wenn anderSpitze Muthund Entschlossenheitnoch längerfehlen.UndweilsiedieRepublikrettenmöch- ten,deshalbhaben sie sichbemüht,fürdieWahleinesPräsidentenzuwirken, dessenWillenskraft auch durchdieFurcht nichtzubrechenwäre,erkönne in Parisunpopulärwerden undstattderHochrufeschrilleZifchlautehören.

EinsolcherPräsidentwarFelixFaurenicht.Er liebte denBeifall, liebte, wiemanchesgekrönteStaatsoberhaupt, geräuschvolleFeste,in derenMittel- punkter,ohne Schmähungfürchtenzumüssen,alseleganterHerrglänzen konnte. Manhat ihn, sehrthöricht,getadelt,weilerauf guteGarderobe hielt; erwar schonnachderbesten englischenMode-gekleidet,alserinHamburg nochseineGefchäftsfreundebesuchte,undkonnte alsPräsidentderBourgeois- republik dochnichtAnzügetragen,wiefiedemBiebersteiner oderdemGrafen Philipassend scheinen.Es magsein, daßereinBischeneitelwurde,seitder GossudarImperatorvonRußland ihn feinen Freund genanntundauf beide Backengeküßthatte,unddaßerimBekanntenkreis vonderKönigin Viktoria als von seiner »alten Freundin« sprach,mitdereretwaauf- tauchendeSchwierigkeitenschnellerledigenwerde.Jstes garso wunderbar,

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DerPräsident. 325 daßihm seinepersönlichenErfolge zuKopf stiegen?ErhatteTage langvon frühbisspätmit demmächtigstenAutokraten unddessenFrau verkehrt, hattediekleineZarentochter aufseinemRoturierknie reitenlassenundnie eine vondenTaktlosigkeitenbegangen,vordenenselbstdielegitimstenMonarchen nichtimmerbewahrt bleiben,undBismarck hatteihmalsSachverständigster dasZeugnißausgestellt:»HerrFaure,dereintüchtigerKaufmann gewesen sein soll garkeine übleSchule für Staatschefs—, scheintfürdieneue Mode derReisepolitikallerleinützlicheEigenschaftenmitzubringen:eristgegen Waggon-undKabinenftrapazenoffenbarabgehäriet,hateinengutenMagen undbenimmtsichinheiklenLagentaktvollundgeschickt,ohneschädlicheUeber- treibungenUndExzessederBeredsamkeit«...So leichtwie den Kronen- trägernwirdeinemfranzösischenPräsidentendasLebennichtgemacht;

erist auchalsPrivatmannderKritik, oftgenug derboshaftestenundrohesten, ausgesetzt,die Staatsanwälte stützensein Ansehen nichtundCarand’Ache wird, selbstwennerdenVertrauensmann derNationnoch so frechkarikirt, nichtinsGefängnißgesperrt.DaFelix FaureausallenAnfechtungenals einglücklicherLieblingderMassen hervorgegangenwar,konnteman ihm die naiveFreudeanseinen Siegen wohl nachsehen. Daßer, der dasStich- blatt derMonarchistenwarundbeiRevuenvondengraubärtigenTroupiers verspottet wurde, fürdie Diktatur des Säbels geschwärmthabe, isteine läppischeErfindung;daßerdemkatholischenKlerusnichtmit derwünschens- werthen Inbrunst huldige,wardiestete KlagederFrommen;unddaßer, trotzdemergernmit dergeistreichenMadame Gyp plauderte,kein Anti- semitwar,könnenseinejüdischenFreundeinHamburgbezeugen.Erwar einvorzüglicherPräsident,einMann nachMariannes Herzen,—nur eben kein MannstarkerAktion, keiner,der denMuth hatte, eineWeileunpopulär zusein.DasApplausbediirfnißhatte seinenpolitischen Charaktermit einer drückendenHypothekbelastet.Deshalbtraternieoffenmit-einerpersönlichen AnsichthervorundgebrauchtedieMacht nicht,dieihmanvertraut war. Esist eineLegende,daßderPräsidentderfranzösischenRepublikeinmachtloses Scheindaseinführenmüsse.ErhatdasRecht,demMinisterrathvorzu- sitzenund, so ofterwill,dasWort zuergreifen.Erverfügtüber die Ar- meeundbesetztallebürgerlichenundmilitärischenStellen. DieVerfassung giebt ihm,wie den beidenKammern,dasRecht,Gesetzevorzuschlagen,Undsie erlaubtihm, ihm allein,vondenKammerneine erneuteBerathungverabschie- deterGesetzezufordern,dieihm nicht verweigertwerdendarf.Er kannan

dieKammern Botschaftenrichten,die einMinisterinöffentlicherSitzung

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826 DieZukunft.

verlesenmuß,kannzweimalinjederSession auf jeeinenMonat beideHäu- ser vertagen und,wennderSenatihm zustimmt,dieDeputirtenkammerauf- lösen.KeinParagraph beschränktihnin derWahlderMinister;under kann,sobaldesihm nöthigscheint,durcheineBotschaftzum Landesprechen.

Diese nicht geringen Machtmittel hat Felix Faureebensowenigwie SadiCarnot benutzt.Beidewaren auch nicht gewähltworden,weilman sie für starkeMännerhielt, sondern,weil diepolitischenGeschäftsleutedie kor- rekteGleichgiltigkeitunddieehrsameSchwächegekröntsehenwollten.

Solchem Rufdanktnun auchHerrLoubet,den derKleinstadtwitz früher»dieschöneFatme« nannte,dasGlückseinerWahl.Ergilt fürbe- quem.Bei derVerfolgungderPanamaleutewarerrechtlau undzügelte, statt ihnzuspornen,denEiferdesStaatsanwaltes und derPolizei.Das habendieFleckigenvom Schlageder Clåmenceau undReinach ihmniever- gessen.Dazu kommt, daßerimmer,wenn ihmkeinebesserePhrase einfällt, die»großenGrundsätzevon1789«imMundeführt,dieja auch denCheck- politikern theuer sind, so theuer, daßsieihnennurumhohenPreis abge- kauftwerden können.DieMehrheitdernachMacht lüsternenBeute- jäger suchteeinenftillen, ehrbaren, nicht kompromittirten Mann,derihrals PräsidentdasSpielnichtverderbenwürde,undsie fandHerrnLoubet; sie konnteihn aufdenhöchstenSitz heben,weilnachderVerfassungvomJahre 1875 dieWahl, sobald derPräsidentenstuhlfrei geworden ist,immediate- ment vollzogenwerdenmußundinvierundzwanzigStunden dieStimme desLandesnicht hörbarzu werdenvermochte.Das Landhätteden Maire vonMontålimare nicht gewählt;esersehntdenprovidentiellenMann, der,wieeinst JesusimTempel,die Antwort aufdieFrage weiß: Quocl signumostendis nobisqujahaec facis? HerrEmile Loubetwird,um solchenneugierigenFragenzuentgehen,vielleichtgarnichts thunundsich begnügen,diegroßenGrundsätzevon1 789spazirenzuführen.DieersteBot- schaft,dieerins Landgehen ließ,schlängeltsichnur über dürre Gemein- plätzehinundverräthankeiner StelleeinestarkePersönlichkeitJnGe- sprächenmitZeitungleuten hatderneue-Herrfreilicherklärt,erwerdedurch kraftvollesAuftreten beiFreundenundFeindenStaunen erregen. Er wird baldzeigenkönnen,oberdenMuth hat,derPräsidentdernationalen Wünschezuwerden,odersich,demCaucus zurWonne,damitbescheiden will,einPräsidentwie andere Präsidenten seitGrövysTagenzufein.

II

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Diesoziale Bewegungin derKulturwelt 327

DiesozialeBewegunginderKulturwelt.’««)

Mlle

bisherigenRechtsordnungensindinletzterReiheausMachtverhält- nissen entstandenundhaben deshalbdenZweckverfolgt,denNutzen derwenigenMächtigenauf KostendergroßenVolksmassenzufördern.Die RechtssystemedesAlterthumes,dasgriechischeunddasrömifcheRecht,brachten diesesVerhältnißdadurch offenzumAusdruck,daßsieden weitüberwiegenden TheilderBevölkerungdurchdasInstitutderSklaverei denHerrenzurbe- liebigenAusbeutung überwiesen. AuchdiefeudaleGesellschaftordnung,die währenddes ganzen Mittelalters und bistiefindasachtzehnteundneun- zehnteJahrhundert ihreGeltung behauptet hat, besaßin derHörigkeitund LeibeigenschaftRechtsinstitute,die denselben ZweckundErfolg hatten. Auch diefranzösischeRevolution, unter derenNachwirkungennoch heutedie ge- fammteKulturwelt steht, hat dieses Mißverhältnißnurverdeckt,nichtbeseitigt- Zwar löstendiefranzösischeRevolution unddiemitihr zusammenhängenden BewegungendiepersönlicheAbhängigkeitderVolksmassenvon bestimmten Machthabern aufundgründetendiewirthfchaftlicheOrdnung aufdasSystem derVertragsfreiheit;dajedochdieseVertragsfreiheitnur einescheinbareistund bei den wichtigstenVerträgenReicheundArme,Mächtigeund Machtlofe einandergegenüberstehen,sobliebendieBesitzlofenauch nachAufhebungder HörigkeitdenReichenalsVolksklasse unterworfen. Trotz zahlreichenVer- suchen,dieseZuständein Staat undGesellschaftzuGunstenderVolksmassen umzubilden, isteinRechtssystem,dasdemNutzenderweitestenVolkskreise undnichtdemvon wenigen Mächtigendient, inTheorieundPraxis erst nochzuschaffen.

DieersteErhebungderunteren Volksklassen,dienach zahlreichenver- geblichenVersuchen wenigstenseinen äußerenErfolg hatte,war dieEnt- stehungdesChristenthumes.DerältesteChristenglaubehatte,wieDiesauch von einemProgrammderArmen nichtanders zuerwarten war, durchaus nicht jene fast ausschließlichauf dasUebersinnlichegerichteteTendenz,die ihm späterunter demEinflußder herrschendenKlassen aufgeprägtworden ist.Vielmehr hofftendieerstenChristen, daß ChristusinkurzerZeit glor- reichinden Wolkenwiederkehrenundeinherrliches irdischesReich gründen würde, einReich,indemdieLetztendieErsten seinwürden undjeder Ehrist, derumChristiwillenVermögenundFamiliehingegebenhätte,hundert- fältigenErsatz finden würde-W)DieursprünglichenEhristengemeindenstrebten k) Fragmentaus derinBearbeitungbegriffenen»NeuenStaatslehre«

desVerfassers-

M) Vgl.dasEvangeliumnachMatthäus19, 27—30;nachMarcus 10, 28—31;nachLukas18, 28—30;Apokal.20,4ff.;21,1ff-

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also,wie dieSozialreformerderneuenZeit,alsletztesZieleinen den Armen günstigerenGesellschaftzustandanundderUnterschiedbestehtnurdarin,daß nachaltchristlicherAuffassungdieHerbeiführungdesneuen Zustandes durchein Wunder erfolgen sollte-

Aber dieäußerenVerhältnisse,die beiEntstehungdesChristenthumesdie griechisch-römischeKulturwelt beherrschten,waren jenenBestrebungenkeineswegs günstig. Erwägtman,daßdamals eineeinzigePersondenbekannten Crdkreis unumschränktbeherrschte,daßüberall imrömischenReicheinerverhältnißmäßig geringenZahlvonFreieneineungeheureMassevonSklavengegenüberstandund daß auchdieFreien durchdieschroffstenGegensätzedesReichthumesundder Armuth geschiedenwaren, sokannesnichtbefremden,daßdieältestenChristen

»denMuth verloren, sicheinemsolchenOzeanvonUnrechtundGewaltthätigkeit entgegenzusetzenunddieRechtederArmen schonindiesemirdischenDasein zurGeltungzubringen.Deshalb,undweilauchdie wunderbare Wieder- kehrChristi nichteintrat, wurdesehrbalddasangestrebteGottesreichinein jenseitigesLebenverlegt,indem diemenschlichenGeschickeihregerechteAus- gleichungfindensollten. DadurchwurdedasChristenthumnichtnur seines sozialenCharakters entkleidet, sonderneswurdeauchdieAufmerksamkeitder VolksmassenvondenOrdnungen ihres irdischenDaseins abgelenkt,dasnun-

mehrblosalseinevergänglicheVorbereitung fürdasewige Gottesreichim Jenseitserschien.Undwirsehendennauch, daßdieBewegungenderVolks- massenindennächstenzweiJahrtausenden fast ausschließlicheinenreligiösen Charakteransichtrugen unddaßinihnendiesozialenStrömungeninBe- ziehung auf ZielundErfolg ohne großeBedeutungwaren.

Erst nachdemdiereligiösenGefühle durchdieReformationunddurch dieAufklärungperiodeeineerheblicheAbschwächungerfahren hatten, erwachten indergroßenfranzösischenRevolution dieunteren Volksklassenausihrem Todesschlummer. Zwarwar dieseVolksbewegung,ihrem vorherrschenden Charakter nach,einepolitischeAuseinandersetzungdesKönigthumesundder bevorrechtigtenStändemitdemaufstrebendenBürgerthum;dieökonomischen Fesseln,die diebesitzlosenVolksklassendrückten,wurden nur frisch bemalt, nicht gebrochen.AberzumerstenMal —- undDieswirdderfranzösischen Revolution füralleZeiten ihre Bedeutung sichern traten dieunteren Volksklassen,ohnevon religiösenTriebfedern bestimmtzusein,alsdie be- wegendeMachtimStaate aufunderlangten Erfolge,diespäternur zum Theilzurückgewonnenwerdenkonnten.

Seitdem habendieBestrebungenderbesitzlosenVolksklassen,eineihren Interessen entsprechendeRechtsordnungzuschaffen,niemalsvollständigauf- gehört.Bis zurJulirevolution verfolgtendieVolksbewegungen,ebenso wie dieerste französischeRevolution,vorherrschendpolitischeZiele, während

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Diedeutsche SchuleinBrasilien· 329

von dieserZeitan derSozialismus entschiedendieOberhandgewonnenhat.

Gegenwärtigerstrecktsichdiesoziale Bewegung schon auf Europa,Amerika undAustralien,und wenn man aus denvorhandenenKultur- undWirth- schaftverhältnisseneinenSchluß ziehen darf, sowirdsiebaldauch Asiener- griffen haben,wosichdieunteren Volksklassentrotz einer altenEntwickelungin besondersgedrückterLagebefinden. Jm zwanzigstenJahrhundertwird diesoziale Frage,darüber kann keinZweifel bestehen,eineFrageder ganzenMenschheitsein.

Wien. ProfessorAnton Menger.

Hex

Die deutsche Schule in Brasilien.

denhauptsächlichstenFaktoren fürdieErhaltungdesDeutschthumesim Aus-

»"7landegehörtdiePflegederdeutschenMuttersprache. AmWichtigstenist esnatürlich,daßinderFamiliedeutschgesprochen wird,damit dieKinder in dauernder Uebungbleiben. Aber auchdiedeutscheSchuleist nichtzuent- behren.DenndieEltern, selbstdiegebildeteren, besitzen seltendieFähigkeit, ihre Kinder überdieRegelnderGrammatik zuorientiren. Sind dieEltern garungebildet, solernendie Kindervonihnen zwarDeutsch,abereinschlechtes Deutsch. DasetztdieAufgabederdeutschenSchuleein, undsie hateinehohe

Kulturaufgabezuerfüllen. ·

Nur einkleinerTheilderDeutschenimAuslande istpekuniärinder Lage, feineKinder indieHeimathzusendenunddortunterrichtenzulassen- DieMeisten, kleine Kaufleute, Gewerbetreibende, Handwerker, müssendemLande, indemsie ihre Existenz gefunden haben, auchdieSchulausbildung ihrerKinder überlassen.Gewöhnlichbilden siedann einendeutschen Schulverein, sammeln Geld,miethen einsSchullokaloderkaufeneingeeignetes Gebäudeundenga- girendieLehrkräfteaufgemeinschaftlicheKosten.Bis-weilen bringendieSchul- vereine essogarzueinem stattlichenVermögen.DieLehrerwerdenmitVor- liebeausDeutschlandberufen. Inneuerer ZeitwerdenLehrermitseminaristischer Vorbildungbevorzugt-

Vielfach sinddiedeutschenSchulenimAuslande vonderdeutschenRe- girung durchZuschüsseunterstützt.DieMittel dazu werdenimEtatbewilligt.

Jm neuesten Etatsentwurf hatdiedeutsche Reichsregirung ihreSubventionen von 110000 aus150000 Markerhöht.Siebeabsichtigt, fortan auchderBe- schaffungguterLehrmittel ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. JmWesentlichen sollen allerdingsdieSchulenimAuslande sich selbst erhalten«

AufeinerReise durchSijd-Brasilienhabe icheineReihe interessanterBeobach- tnngen gemacht. JndendeutschenKolonien Brasiliens istdieSchuleder Mittelpunkt

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330 DieZukunft.

allernationalen Bestrebungen. Mögen auch sonst noch sostarkeGegensätzevor- handen sein:in demWunschetreffenalleDeutschen,dienicht abtrünnig geworden sind, zusammen, daß ihrenNachkommendiedeutscheSprache erhaltenbleibe.Sohabe ichdenn überallinBrasilien,woDeutscheingrößererZahl sitzen,einenlebens- werthen EiferfürdieSchule wahrgenommen.DieSchule istkulturell auch wirklichdas besteBindegliedzwischenKolonien undMutterland. Dieaus Deutschland gekommenenLehrerunddiedeutschenLehrmittel, besondersdieGe- schichtbücher,tragentigzurErhaltungdesdeutschenSelbstbewußtseinsbei.

DieUnterstützungdes eicheswirdüberallsehrgernangenommen undist schon moralischvonBedeutung.Nur könntendieZuschüssehöherseinundsollten mehr

denkleineren Schulenzu Gute kommen. »

Dort,wodieDeutscheninkompakter Massezusammenleben, ist freilich derUntergangdesDeutschthumes nichtzubesorgen.Mit derZeitwürdesich aberdocheinHeruntergehenderallgemeinen Volksbildung fühlbarmachenundder Zusammenhangmit derHeimathwürdesichlockern,wenndieSchule nicht eingriffe.

BeiDenen, dieselbst erst eingewandert sind,lebtmeistensdievaterländische Tradition ungebrochen fort; anders schonbeidenKindern. Darum hatdie deutscheSchuleinBrasilien eineheilige Missionzuerfüllen:dieErhaltung deutscher Kulturunter 400000 deutschen Stammesgenossen ist ihre hohe Auf- gabe;undnirgendssonst aufderWelthabenwirReichsdeutsche,wenn wirun- seren idealenPflichtennur einigermaßengerechtwerden wollen,eingrößeres InteresseanderErhaltungundFörderungdeutscherSchulen.

ZwischendenstädtischenSchulenunddenKolonieschulenbestehen große Unterschiede. Leiderbefinden sichdieKolonieschulenvielfach nochaufdemNi- veau derpreußischenSchulenunter FriedrichdemGroßen: ausgediente Feld- webelundUnteroffiziere sindderbesteTheilihresLehrerinaterialsNennens- werthe Erfolge erzielen überhauptnur diejenigen Kolonieschulen,indenender OrtsgeistlichedenUnterrichtübernommen hat. Häufig sindunter denLehrern

andiesenSchulenauchgestrandete Existenzen.So lernte ichinSanta Catha- rina einendrolligenMenschenkennen,der»wir«und»mich«verwechselteund einenKramladen nebst AusschankundNachtherberge hatte,dabeizugleichaber Lehrerwar undaushilfeweise predigte.BeiGelegenheittraterauch nocham AbendimCirkusalsClownauf.DiedeutschenKolonisten gehenbei derAnstell- ungihrer JugenderzieherleidervondemGrundsatze aus,daß,wersonstzunichts taugt,alsLehrerimmer nochbrauchbar ist.ObgleichsiezumgrößtenTheilrecht wohlhabendsind, besolden sieausübelangebrachterSparsamkeitdieLehrerüber- auskärglichWährenddiestädtischendeutschenSchulen,diemeistensvomDeutschen Reichesubventionirt werden,ganzvortrefflichgedeihenundeinBollwerkfürdie ErhaltungdesDeutschthumes bilden, liegtinFolgeDessendasSchulwesenauf demLandeargdarnieder. Deshalb solltedasDeutsche Reich auchdorthelfend eingreifen;dennaufdemGedeihendesDeutschthuinesindenKolonien beruht die KraftdesDeutschthumesinBrasilienüberhaupt-

BesondershäufigistindendeutschenKreisenBrasiliensderWunschlaut geworden, daßdeutschenLehrern,dieeinigeJahreinBrasilienzuunterrichten wünschen,vonden vorgesetztenBehörden wenigerSchwierigkeitenbereitetwerden möchten.Heute wirdderjunge Lehrer,dernach Brasilien geht, fastimmerausdem

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