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Die Zukunft, 25. März, Bd. 26.

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ssetqu-

Berlin, den 25.März 1899.

ff- · III Äq«

Der MarquiS de Sade.

denvompsychologischenund ärztlichenStandpunkt merkwürdigsten

o-

,·9 psychosexualenPhänomenengehörenwohl jene krankhaftenAbirrungen undAusartungendesGeschlechtssinnes,die inderfranzösischenFachliteratur unter derKollektivbezeichnungdes,,Sadismus« zusammengesaßtzu werden pflegen, währendbeiuns, nachdemVorgange Krafft:Ebings,dieses Wort invielengererundschärferumschriebenerBegrenzung, füreine ganz bestimmte AeußerungweisepsychosexuellerAbnormität,literarisch gebraucht wird. Mögenwirnun denAusdruck»Sadismus« indiesemengeren oder (wie ichesgerademitRücksichtaufdenUrsprungderBezeichnungfür rich- tiger halte)in eineinweiteren Sinne anwenden: immer wirddurch ihn unsere AufmerksamkeitzurückgelenktaufdenMann, nachdemdieserAus- druckgeprägt ist, aufden,,c(ålebreMarquis«,derinseinerPersönlichkeit wieinseinenhinterlassenenGeistesprodukteneinderpsychologisch:ärztlichen Betrachtung nicht nnwerthes,ingewissemSinn vielleichteinzigartigespsycho:

pathologischesProblembietet. Jch sehedabeinatürlichabvon demschaurig beklemmenden Reiz,denansichschondie vollendeteVerkörperungdesnicht

nur Unsittlichen, sonderndirektWidersittlichen,desBösen, Satanischen wiesieuns inreiferkünstlerischerAusprägungetwaindenBühnengestalcen einesRicharddesDritten,Jago, FranzMoor, Cencientgegentritt auf die zumGruseln willig erhitztePhantasie empfänglicherGemüther auszuüben vermöchte.Fürdiewissenschaftliche Denkweise giebtesauch hiernur einObjekt und einProblem desErkennens Jchmeine,daßesdem FreundederSeelenforschung,namentlichwennerzugleichArzt ist, wohlals eine nicht abzuweisende,ingewissemSinne verlockendeAufgabe erscheinendarf, auchin dieseSeelenabgründehineinzuleuchten,indieGedankenwelt eines

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solchenaus demGleichgewichtgebrachtenGehirns eines,,dezsequilibre5«, wie dertreffendefranzösischeAusdiucklautet einzudringenodereinsolches Eindringen doch wenigstenszuversuchen.Und dazibietetuns derviel- genannteVerfasservon »Justine«und,,Juliette« in den unendlich breiten undredfeligen,mitoffenbar-erVorliebe behandelten lehrhasten Exkursen,die nahezudieHälfteseineszehnbändigenHauptwerkes einnehmenund das geistigePortrait desAutors innaiver Selbstgefälligkeitvon allen Seiten zurückspiegeln,einunvergleichlichcsund inseiner Artunübertreffliches,in gewissemSinne fastRausseausConfossions andie SeitezustellendesMittel.

Der Grundton allerdieser mitvielphrasenhafter Rhetorikundmit professoralem UnfehlbarteitdünkelvorgetragenenRaisennements ist freilich biszureinförmigsten,erinüdendsten Monotonie immer undimmer wieder unaufhörlichder selbe. Einunsals wahnwitzigoderverruchterscheinender, brutaler, unerbittlicher,über jedesmenschliche Maß hinaus-wachsender

man möchtesagen:absoluter Egoismus feiert hierseinegrauenerregenden Orgien. Ganz ausschließlichdaseigene Jch istdaseinzigzumTaseinBe- rechtigte-,Reale,undallesUebrigefällt,im Grundegenommen, indenGesichts- kreisdiefesJch überhauptnur soweit,wieesalsvorgesetztesGenußmittelzur BefriedigungderegoistischenAntriebe undGelüstezudienen undalsOpfer dafürzu bluten bestimmt,naturgemäßprädestinirtist.Wenn aufdemvon kantischerEthik durchtränkten,absolut-idealistischenStandpunkteeinesFichte dieWeltbekanntlichdas»versinnlichteMaterial unserer Pflicht« ist, soer-

scheint hieraufdemäußerstenethischen GegenpoldieWelt nur als das versinnlichteMaterial eigenen bestialischen Genußtriebes. MaxStirners

»Einziger«undNietzsches»Uebermensch«erscheinen hier nichtnur antizipirt, sondern selbstindenäußersten,barockstenKonsequenzen ihrer Entwickelung noch schauerlichweit man möchteglauben,inparodistischeinUeberinuth überboten. Aber auchdieaus einemmißverstandenenundauf Abwegege- rathenenDarwinismus neuerdings hierunddaentnommenen rohen Kraft- konsequenzensinddortschon lange vorausahnendgezogen, sodaßgeradein dieserHinsichtdasStudium deSades aufsomanche,dasnackteGewalt- rechtdes Stärkeren proklamirendeundjede altruistischeRegungals Rückfall in überwundenegeistigeKinderkrankheitverhöhnendeGeistesoffenbarungunserer

»Jüngsten«eingrell aufzuckendesLicht wirft.

Obgleichich inVerfolgungdermitdemnetvenärztlichenGebieteviel- fach soengzusammenhängendensexualpathologischenProbleme seitJahren derPersönlichkeitund denWerkendeSades eineingehendesStudium ge- widmethabe,wüide ich mich dochkaumveranlaßtfühlen,darübercoram

publioodasWortzuergreifen,wenn ich nichtdieBemerkunggemacht hätte, daßin derbetreffendenFachliteraturzwar überaushäufigvon deSade

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undseinenSchriftendieRedeist,daß aberso ziemlichAlles,was man da- rüberzuhörenundzu lesen bekommt,von dervollkommenstenUnkenntniß desbehandelten Objektes Zeugniß giebt. In derThat darfman sagen, daß sowohl LebensgangundCharakterdesAutors wieForm undInhalt seiner Werke zu den,,bestunbekannten«Dingen gehörenundauchDenensehr häufig fremd gebliebensind,diesichdarüber mitoft verblüsfenderZungen- undFedergewandtheitverbreiten. Das istaber keinsoganz gleichgiltiger Umstand.Es ist dochnicht zu verkennen,daßwiresbeideSade nicht mitdemersten bestenpornographischenAutorgewöhnlichenSchlageszuthun haben, sonderndaßessichhierum eineganzungewöhnlichepersönlicheund literarischeErscheinung,um eine, ich möchte sagen, direkt aus dem UrquelldesBösen schöpfendeantimoralische Krafthandelt.Aufder anderenSeitelassensichauchmannichfacheBeziehungenzu verwandtenRichtungen undphilosophisch-literarischenBewegungenunsererZeit nichtin Abredestellen.

Wenn auchbei der erweitertenKenntniß unseremenschlicheTheilnahme nichts zugewinnen hat,so wirddochunserderkrankhaften Einzelerscheinung zugewandtes wissenschaftlichesInteresse durch eindringendeAnalyseUnddurch AufdeckungderFäden,dieauch jenemitMenschenundDingen ihrer Zeit undUmgebungverknüpfen,invollerem Maße befriedigt.

Das Leben.

Donatien Alphonse Franeois, MarquisdeSade wurdealsderSpröß- lingeiner der vornehmstenund ältestenprovenealischen Adelsfamilienam

zweitenJuni1740 inParis geboren. Jndielange Reihe seiner Vorfahren gehört jenemitHugodeSade vermählteLaura von Noves,diePetrarca aneinemCharfreitag,amsechstenApril1327,inderKircheSanta Chiara zuAvignonzumerstenMaleerblickte. JhrevonderPoesieverklärteLicht- gestaltwar es, die denOheimundErzieherunseresMarquis,dengelehrten Abbe deSade (gestorben1778),zuseinen einst hochgeschätzten»Memoires sur lavie dePetrarque« (indreiBänden,1764 bis1767) begeisterte.

Eingrausamer WitzderLiteraturgeschichtehat sodieObjektivation selbst- losester, fast unirdischer LiebessehnsuchtunddenliterarischenHauptvertreter unerhörtestererotischerAusschweifungundVerirrung-inderselben Familie zugreller Kontrastwirkungvereinigt.DerVaterunseresMarquiswar Di- plomat,die Mutter EhrendamederPrinzessinvon Conde,inderenHause derjungedeSade geborenwurde. Seine ersteErziehungleitetejener gelehrte OheiminderAbteiEbreuil;von dortkamderKnabe aufdasCollege Louis leGrand inParis, trat nach damaligerSitte schonmitvierzehn Jahrenbei denChevauxlegersein und wurde derReihe nachUnterlieutenant,

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Licutenant,KapitänbeiverschiedenenKavallerie:Regimentern;in dieserEigen- schaft hatteer auch Gelegenheit,denSiebenjährigenKrieg bekanntlich keinenbesonderen RuhmestitelderfranzösischenArmee mitzumachen.Nach Pariszurückgekehrt,heiratheteermitsechsundzwanzigJahrendieTochterdes PräsidentenMontreuil. Sie sollvon einnehmendemAeußerenundsanftem Charakter gewesensein, wußte ihren Gemahl jedochoffenbarwenigzufesseln, so daßer,wieesheißt,-I«)schonvomJahrederVerheirathungan sicheinem ausfchweifendenLebenhinzugeben anfing. Er lebteauf seinem Schlosse Eontat miteinerSchauspielerin,dieerfür seine Frau ausgab. Derim nächstenJahre (1767) erfolgteToddesVaters verschasstedeSade dieNach- folgealsGenerallieutenant für Bresse, BugeyundValromey; doch mochte

erzudieser Zeit schonzusehrindenStrudel sinnlicher Ausschweifungen versunkensein,um füreineernster-eLebenhaltungundPflichterfüllungnoch dienöthigeBefähigungzubesitzen. Gleichimdarauf folgendenJahrelenkte

er durcheine Skandalaffaire,dieauch zu gerichtlichemEinschreiten Anlaß gab,dieallgemeine Aufmerksamkeitauf sichundlieferteeineProbe Dessen,wasvonseinerLebensführungund derenspätererliterarischerFruktifikation nocherwartet werden durfte.Erhatteamdritten April1768 durch seinen Kammerdiener,denVertrauten allerseiner Ausschweifungen,zweiFreuden- mädchennacheinemihmgehörigenHausein Arcueilführenlassenundaußer- demselbsteine Frau,dererzufälligbegegnetwar, RosaKeller, die Wittwe einesPastetenbäckers,dahin gelockt,sie eingeschlossenund mitvorgehaltener Pistolegezwungen,sichvollständigzu entkleiden,ihrdieHändegebundenund sie bisaufsBlut gepeitschtzdarauf hatteersieindiesemZustande verlassen,

umsichzudenbeidenMädchenzubegebenund dieNachtmit ihnenin.

einerQrgiezuverbringen.AmMorgenwar esderEingeschlossenenge- lungen, sichvon ihrenBanden zubefreienunddurchsFensterzuspringen;

eskam zu einemgroßenAuflaufzman dranginsHausund fand denMarqnis unddieGenossenseiner Lüstesinnlosbetrunken. De Sade wurdeverhaftet,- die Kammer vonTournelle leiteteeineUntersuchungein, die aberaufkönig- lichen Befehl eswar dieZeit LudwigsdesFünfzehntenundderStern derDubarryeben imAufgehen!—- alsbaldniedergeschlagenwurde, nachdem der Marquis seinem Opfer,derRosaKeller, ein«Schmerzensgeldvon100LouisJ’or bezahltunddamitseine »Schuldgesühnt«hatte.

Jn dieserAffairetrittschondeutlichausgesprochenjenecigenthümlicheForm der Kombination vonWollustundGrausamkeit hervor,diefreilichnichtvölligDem-«

jenigenentspricht,wofürmandenAusdruck»Sadismus« im engeren Sinne geprägt qc)Eserscheintdoch,wiewirsehenwerden,nichtausgeschlofsen,daßeineGeistes- störungsichdamalsentwickelteodereineschon vorhandenesichdeutlicher manifestirte.

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hat,insofern dieVornahmegrausamerHandlungendabeinichtalsSelbstzweck,son- dernwesentlichalspräparatorischerAkt,als Stimulus derWollustbefriedigung,zu dienen bestimmtist:denn diePeitschungderRosaKellerhatte allemAnscheinnachden Zweck,deSadezumVerkehrmit denbeidenMädchenin»Stimmung«zubringen.

Uebrigensbewirkte derVorfall in derLebensweisedeSadeskeineersichtlicheAender:

ung. Erknüpftemit derihm,wieesscheint,wahlverwandteren Schwesterseiner FraueinVerhältnißanundmachteinderenBegleitungeinelängereReise nach Italien. Wirmögeninden beidenungleichen Schwestern wohldie UrtypenvonJustineundJuliettevor uns haben,wiewirauch die Reise nach Italieninder,,Juliette«vom Endedesdritten bis zumsechstenBande, mitphantastischenAusfchmückungennatürlich, ausgiebig benutzt finden. Auf derRückreisegabdeSade inMarseille (imJunil772)durcheinenneuen Skandal zum Einschreitender Behörden Veranlassung;er hatte bei einer von ihm veranstalteten Orgiedendazuentbotenen Freudenmädchen kantharidenhaltigePastilleninsolcher Dosiszuessengegeben, daß zweider Mädchenan denFolgendesGenussesstarben. Diesmal erging sogar von demParlament inAixgegendeSade undseinenKammerdiener, die erstnach Genfnndvon daauf savoyischesGebietnachChamberygeflüchtet waren, einKontumazurtheil,dasBeidewegen Sodomie und Giftmord zum Todeverurtheilte; dochwurdediesesUrtheil nachsechsJahren,die dieSchuldigen zumgroßen TheilimAuslande zubrachten, kafsirtundineine dreijährige VerbannungvonMarseilleundfünfzigLivresGeldstrafe umgewandelt.Aus Vincennes,woman ihn vorläufigeingesperrthatte, wußtedeSademitHilfe seiner Frau (imAugust1778) zuentspringen.Nun erfolgte ziemlichbald einneuer, nochgrößererSkandal, diesmalinParis selbst, dessenEinzelheiten invielfachabweichenderWeisedargestelltwerden. Wiederum sollessichum

schrecklicheFolgenderKantharidenvergiftungbeieingeladenenBallgästenaus den Kreisen der vornehmen Welt HerrenundDamen gehandelthaben.

DerMarquisundseine Schwägerin diehierimmerunverhüllteralsdas Originalder Juliettehervortritt sollenbeimAusbruchdersichentwickelnden Schreckensszenen,diemehrereDamen dasLebenkostete,schleunigstdasWeite gesuchthaben. NacheinervondemhervorragendenfranzösischenJrrenarztBrierre de Boismont (inderGazette me"(ljcale)gegebenenSchilderung sollman ferner—esistnichtklar,obvor odernachdiesemverhängnißvollenBall- souper in einemHauseeiner abgelegenenStraßevon Paris einetief ohnmächtigejunge Frau angetroffenhaben,dersanverschiedenenStellen des KörpersdieAdern geöffnetundzahlreicheEinschnittemitderLanzettebei- gebrachtwaren und die, mitMüheins Lebenzurückgerufen,denMarquis,der siein dasHausgelockthabe, nebst seinenLeuten alsUrheberdiesesVerbrechens anschuldigte. Auch hier hatten,wieesscheint,dieaus seinenBefehlund

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und vorseinenAugen vollzogenenBlutentziehungendemMarquisalswol- lusterregenderReiz,alsvorbereitender Akt dereigentlichengeschlechtlichenBe- friedigung—- diesmal andemOpfer selbst dienenmüssen.DasAben- teuer klingt auchinJustiue etJuliette wieder, im dritten undvierten BuchderJustine,inderSchilderungdesGrafen Gernande, jenesMono-

manen derAderlässeundanifionen, dessen blutgieriger Passion schon sechs

Frauen zumOpfer gefallen sind.Wieesnun mitderGleichzeitigkeitder beidenEreignisseauch stehenmag:jedenfallswurdedeSade daraufhinvon Neuem verhaftetunderst nachVincennes,dann(im Jahre1789)nachder Bastille gebracht,zuderenletztenJnsassenoder imSinne derRevo- lutionschwärmer unglücklichenOpfernersichzählendurfte. Denn erst kurzvor demberühmtenBastillensturmwurde erinFolgeeinesWort- wechselsmitdemGouverneur Delaunay (dem nachherigenOpferderVolls- wuth) nachdemJrrenasyl Charenton übergeführt,sonstwürdeauch ihmdie Volksmengeanjenem blutigen vierzehntenJuli1789 dieFreiheit verschafft haben,dieernun erstneun Monate später erhielt, durchdenBeschlußder Konstituirenden VersammlungvomsiebenzehntenMärz1790,der-diesofortige Befreiungallerdurch,,1ettre deeael1et«Verhaftetenanordnete.

DerdankbareMarquisstürztesichdennauchmitBegeisterungin denStrudel derrevolutionären Bewegung;erließ mehreredieserRichtung huldigende Theaterstückeaufführenund trat späterdemKlub derPiken:

männer (soeiete populajredeIaseetion despiques) bei,als deren Se- kretäreramneunundzwanzigstenSeptember1793einenocherhalteneRedehielt, die denManen deredlenVolksheldenMarat undLepelletier geweihtund ganz undgarmitdemschwülstigenPhrasengewäschdesDemagogenthumes jener Tage,indassichde Sade offenbar geschickthineinzufindenwußte,er-

füllt ist. AuchinderJuliette, anderde Sadedamals arbeitete undim Geheimendruckte,fehltesnichtan bluttriefendenTiraden gegendie»Th- rannen« undaneinemultrarevolutionären fanatischenHaßgegenKönigthum undmonarchifcheInstitutionen,dernur durchdenHaßgegenReligionund Kirche nochüberboten wird. BeiAlledem vermochte sichdeSade —- wie esscheint,wegeneinigerzur Rettung seines SchwiegervatersMontreuil unternommenen Schritte demMißtrauenderrevolutionären Machthaber nichtzuentziehen;erwurde als»verdächtig«denunzirt,imDezember1793 verhaftetunderhielt erst nachdemSturze Robespierres,imOktober 1794, seineFreiheitwieder. Bessere Zeiten brachenfür ihnunter demDirectoire an,alseinWüstlingundSchwelgerwie Barras mitseinen Gesinnungsgenossen dieGeschickeFrankreichsleiteteundunter demAushängeschildderRepublik dieSittenzuständespäträmischerDeeadenee wieder heraufführte.Damals durftedeSade eswagen,nichtnur 1796 dievollendeteJuliette, sondern

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auch1797 sein gesammtes zehnbändigesHauptwerkundzugleicheineneue veränderteAuslagederJustine mitKupferstichen erscheinenzulassenund von diesem Werke denfünf MitgliederndesDirektoriums eigens abgezogene VelinexemplarezuüberreichenAberdieseschönenZeitenkonntennichtdauern.

Bald kamdasSäbelregimentBonapartes,dasKonsulatzundalsdeSade auchdemErsten Konsul seinebeidenWerkeinderebenneu erschienenen Gesammtausgabe zuzuschickenwagte,kamerschlimman. Bonaparte soll, nachdemerwenige Zeilen gelesen hatte,dieBücher,trotzihren reichenEin- bänden, ins Feuergeworfenhaben. Jedenfalls ließer(1801)die ganzeAuf- lage konfisziren,denVerfasser nochindemselbenJahre verhaftenunderst nachSainte-Pr-Slagie,dann(1803)nach Charenton führen,woeralsun- heilbarerundgefährlicherGeisteskrankerbiszuseinemLebensendefestgehalten wurde. Allerdings scheintbei der gegen de Sade beobachtetenStrenge auch derUmstandmitgewirktzuhaben, daß DiesereingegenJosephineundihre Freundinnen gerichtetes Pasquill unter demNamen Zolocåetsesdeux acolytes (Turin1800) inUmlauf gesetzthaben soll.Aus denletzten LebensjahrendrsMarquis aus derZeitseinesAusenthaltesinCharenton, besitzenwirverschiedene,vonAugenzeugenherrührende,allerdings nichtvon Widersprüchenfreie Schilderungen. NacheinerdavonerscheintdeSadealsein kräftiger,dieGebrechendesAlters nichtansich tragenderGreismitschönem wxißenHaar,vonwürdevollemAussehen, liebenswürdigemundüberaushöf- lichemBenehmen,derdabeiaber ausjedeAnredemitsanftesterStimme schmutzigeWortehervorsprudelteundbei seinenSpazirgängenimHofeob- szöneFigurenin denSand zeichneieEr arbeitete emsigan Schriften ähnlichenInhalts und ließausderBühnedesJrrenhausesselbstversaßte TheaterstückezurAusführungbringen; spätersollerauch, mitGenehmigung des offenbarsehrtoleranten Anstaltleiters, desAbbeEulmier, Bälleund Konzertearrangirt haben,dieendlichderdabeistattgehabtenMißbräuchehalber aus ministeriellenBefehl (am sechstenMai1813)untersagtwurden. Merk- würdigist,daß einsehr hervorragenderJrrenarzt,derärztlicheDirektorvon Charenton,Royer:Collard, ausdasDringendstedieEntfernungdeSades aus derJrrenanstaltforderte,daer ihnnicht fürgeisteskrankhieltund seinenüberausschädlichenEinfluß ausdiewirklichenGeisteskrankeninwieder- holtenEingabenbetonte,während dagegenmehrerevornehmeDamen sich lebhaft fürdeSade verwandten unddessenVerbleibeninCharenton,woeres augenscheinlichsehrguthatte,bei demPolizeiministerFouchtåerbatenunddurch- setztenSostarbdennde Sade alsvierundsiebenzigsährigerGreis, nachdem

er nochdenSturz NapoleonsunddieRestaurationerlebthatte,indem Asyl, dessenBewohnererseit nahezu zwölfJahrenwar, amzweitenDe- zember1814. Vonseinen Zeitgenossenhaben ihm namentlich Råtifde la

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Bretonne (inden»Nuits de Paris« undindernochzuerwähnendenAnti- Justine),sowieCharlesNodier inseinenHsouvenirs« derinihmein UnglücklichesWillküropferdesKonsulatsunddesKaiserreichserblickte! literarische Aufmerksamkeit gewidmet. Später hatJulesJanin ineinem zuerst1835inder Revue deParis erschienenenundinden,,Cataeombes«

wiederabgedrucktenAufsatzüber dasLeben unddieWerkedeSades ge- schrieben,wobei jedochmannichfache Jrrthümermitunterliefen. Weitere, zumTheil werthvolle biographischeNotizen sindindemanonymerschienenen Buche,,DeMarquis deSeide-· (Brüssel, GayL-Douee, 1881) enthalten.

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Die Werke-

DasgroßeHauptwerkde Sades,dieUrsacheundQuelleseiner herostrati- schenUnsterblichkeit,bestehtauszweimiteinander engzusammenhängenden, wenn auch UrsprünglichgetrenntherausgegebenenTheilen.Dererste Theil,

»Justine«,erschienanonymzuerst1791, dieFortsetzung,»Juliette«, ebenfalls anonym 1796, dasGanzeinzehnBanden inHolland1797. Diesemir vorliegendeGesammtausgabeträgt inihrenvierersten BändendenTitel:

,,Hist—0jredeJustine ou les malheurs delaVertu par leMarquis deSeidecc (en Hollande 1797)unddas bezeichnendeMotto: ,,()n11’est point eriminel pour faire la pejnture des bizarres penehants qu’inspire lanaturetc Die sechs folgendenBände führendenTitel:

,,Hist0jre deJuliette oules prosperites duvjee parleMal-gingde Sade«. DruckangabeundMottosinddieselbenwiefrüher. Auffälligist, daßauf demTitelblatt, alszurJustinegehörig,vierundvierzig,zurJuliettesechzig,

imGanzen also einhundertundvier—- Stiche bezeichnetwerden,während dagegen thatsächlichnur einhundert Stiche (zehn für jeden Band) vor- handen sind,derenZugehörigkeitzuderbetreffendenAusgabe durchdie bei- gedrucktenBand: undSeitenzahlcnevidentist.Uebrigens ist ganzab- gesehenvon derSchauerlichkeitdesDargestellten derkünstlerischeWerth dieser Jllustrationen überaus gering. Grabe Fehlerder Zeichnung,der Perspektive,gänzlicherMangelanJndividualisirung, dürftige,fast ärmliche ErfassungderSzenerie srappirenbei derMehrzahlder Bilder,denenman

höchstensdiekompositionelleTreue inAnlehnungandieoft rechtkomplizirten GruppenbeschreibungendesTextesalseinimmerhin zweifelhaftesVerdienst zusprechenkönnte. Hier hättees,wenn dennschon Derartiges überhaupt gewagt werden sollte,der entfesseltenund vornichts zurückschaudernden Phantasie bedurft,mitderein Dore dieGestaltenvon Dantes Inferno nachzuschaffengewußthat.

DerInhalt odervielmehrdie dasGanzebeherrschendeGrundtendenz

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DerMarquis deSade. 505

ist schondurchdieNebentitel ,,1es malheurs delavertu« nndJes prosperitesduviee« genügendgekennzeichnet.Mit zähesterVeharrlichkeit wirddurchallezehnBändehindurchimmerundimmerwiederdasThema variirt,daßesder»Tugend«,geradeebenweilundso langesieTugendist und seinwill,nothwendig höchstelendergehenunddaßdas,,Laster«eben sonothwendig florirenundobenaufkommen muß.DieVertreterinnen der entgegengesetztenMoralextremesinddiebeiden Schwestern, Justineund Juliette. Wir findensiezuerstinnoch sehrjugendlichemAlter, ebenver- waistund durchdenBankerott ihresVaters indürftigenVerhältnissen:

Justine, festentschlossen,unter allenUmständentugendhaftzu bleiben,und dieältere Julietteebensofest entschlossen,sichdemeineglänzendeKarriere verheißendenLasterin dieArme zuwerfen.So trennen sich ihre Wege.

Wir begleitennun vierVändehindurchdietugendhafte Justine auf ihren Jrrfahrten, wobeiesihrimmer jammervoller ergeht, ihrVertrauen immer schmerzlichenttäuscht,ihre Gutherzigkeitimmer an Unwürdigeund an

Bösewichteverschwendetwird,ihreWohlthatcn jedesmalzuihrem eigenen Verderben ausschlagen, ohne daß sie dochzurErkenntnißihrer grenzenlosen Thorheit,nachdesVerfassersStandpunkt, durchzudringenvermag, was ihre aufgeklärtenGegner,dieGroßinquisitorendernatürlichen Vernunft, mitFugnndRechtgegensieerbittert. Schließlichwird siewegen einer ihr fälschlichzugeschriebenenBrandstiftungzumTodeverurtheilt,entkommt aberausdemGefängnißund gelangt zufälligaufdasSchloß ihrer Schwester, die sievoneiner ebensoglänzendenwiefrivolen Gesellschaftumgebenan-

trisft.SieerzähltJuliette ihre Geschichte,die einenderZuhörerzuder Be- merkung veranlaßt:,,v0iläbien icilesmalheurs deIa vertu« und,auf dieanwesendeJuliettedeutend: ,,1i’t,mes amis,les prosperites duvice«.

Juliette, diees inzwischenzugroßemReichthumundzumRangeeiner Gräfin Lorsanges gebrachthat, trägtnun ebenfalls ihreGeschichtevor, die zugleichdieGeschichteihrer wachsendenErfolge ist;siedebutirtcharakteristischer WeiseimKloster,kommtdannzu einerKupplerin,wirddieGeliebtedes allmächtigenMinistersSaint:Fond und dieüberunbegrenzteMittel ver- fügendeAnordnerin undLeiterin seinerheimlichenOrgien. Ein einziger RückfallindieTugendodereinallzu strupulösesBedenkenzieht ihrden Verlust dieserStellungzuundnöthigtsiezurFlucht;der treffliche Graf Lorsangesrettet und heirathet sie,wirdvon ihraberseinerlangweiligen Tugendboldigkeithalberverabscheutund bald vergiftet, worauf siein Begleitung ihres Liebhaberseine anAbenteuern reiche Reise nachJtalicn antritt. Tie einzelnen Etappenwerden sehrgenaugeschrieben,namentlich derAufenthaltamHofedesGroßherzogsvonToseana (des späterenKaisers LeopolddesZweiten),am päpstlichenHofeund amHofedesLazzaroni-

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