Theologisches Literaturblatt.
Unter Mitwirkung
zahlreicher V ertreter der th eologisch en W issen sch aft und Praxis
herausgegeben von
Dr. t h e o l . L u d w i g I h m e l s
Professor der Theologie in Leipzig.
Nr. 1. Leipzig, 6. Januar 1911. XXXII. Jahrgang.
Erstheint vierzehntägig Freitags. — Abonnementspreis jährlich 10 Jt. — Insertionsgebühr pr. gesp. Petitzeile 30 4. — Expedition: Kfinigsstra9se 13.
Dogmatik und Predigt. I.
Prorkseh
, D. O ., Die kleinen Prophetischen Schritten vor dem Exil.B e rth o let, D. Allred, Das Ende des jüdischen Btaatswesens.
Scellgmüller,
Dr., War Paulus Epileptiker?H eiser, Dr. Johannes Evang., Die Epistel des heiligen Jakobus.
Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium.
Scriptores Syri.
Enodt, Prof. D. E., Die Bedeutung Calvins und des Calvinismus für die protestantische Welt.
Panlns, Nikolaus, Hexenwahn und Hexenprozess.
Letters to his Holiness Pope Pius X.
Ziegler, Leopold, Das Weltbild Hartmanns.
KaUmeyer, Theodor, Die evangelischen Kirchen und Prediger Kurlands.
Stange, Professor D. C., Akademische Predigten.
Neueste theologische Literatur.
Zeitschriften.
Dogmatik und Predigt.
Zur psychologischen Fundamentierung der Predigt.
1.
Reinhold Seeberg hat in einem schönen Worte geurteilt, dass diejenige Dogmatik den Sieg behalten werde, die am besten predigen lehre. Man kann dem nur lebhaft zustimmen. Aller
dings soll die Dogmatik Wissenschaft im strengen Sinne sein, und sie wird ihre Aufgabe um so sicherer lösen, je weniger sie zugleich darauf ausgeht, direkt erbauen zu wollen. Umgekehrt darf die Predigt keine Dogmatik sein, auch nicht eine populari
sierte Dogmatik, sie soll nichts als ein schlichtes Zeugnis vom Evangelium sein; nicht das Dogma, sondern das Evangelium schafft Qlauben. Aber für die Weise, wie die Predigt des Evan
geliums zum Glauben ruft, wird notwendig die Dogmatik, über welche der Prediger verfügt oder auch nicht verfügt, von ent
scheidender Bedeutung sein. Denn die Dogmatik, welche ihre Aufgabe im Sinne der Reformation erfasst, darf nichts anderes sein wollen als eine Entfaltung derjenigen Erkenntnis, welche dem Glauben aus dem Evangelium bzw. der Offenbarung er
wächst. Indem sie daher überall deutlich die Fäden zieht, welche die christliche Erkenntnis mit dem Glauben verbinden, ermöglicht sie ein Zeugnis vom Evangelium, in dem, psychologisch an
gesehen, alles auf eine Wirkung des Glaubens abgesehen ist.
Kann und muss aber die Predigt von der Dogmatik lernen, so liegt darin auch das Umgekehrte eingeschlossen, dass die Dogmatik von der Predigt der Kirche zu lernen hat. Für den Standpunkt der Bewusstseinstheologie ist das ohne weiteres deutlich. Wenn anders hier die Dogmatik nicht zum blossen Monolog werden, sondern im Namen der Gemeinde reden soll, muss sie auch in der Predigt der Kirche das Bewusstsein dieser gläubigen Gemeinde zu fassen versuchen. Aber auch da, wo man diesen Ausgangspunkt ablehnt, wird man so lange nicht ver
schmähen dürfen, von der Predigt der Kirche zu lernen, als man es in der Dogmatik auf eine Herausarbeitung der Glaubens
erkenntnis abgesehen hat. Theodor Kolde hat mit Nachdruck die Bedeutung betont, welche dem kultischen Handeln für die dogmengoschichtliche Entwickelung zukommt. Nun versteht sich aus mehr als einem Grunde von selbst, dass die Predigt der Kirche für die Geschichte der Dogmatik nicht die gleiche Be
deutung beanspruchen kann, wie sie den liturgischen Bildungen 1
zukommt. Aber insofern jedenfalls muss der Geschichte des Dogmas aus einer intensiveren Beschäftigung mit der Predigt der Kirche reicher Gewinn erwachsen, als in ihr die Verbindung, welche jedesmal zwischen dem Dogma und dem religiösen Leben der Gemeinde besteht, besonders unmittelbar ins Licht tritt.
Welch lehrreiche Beobachtungen lassen sich allein dadurch ge
winnen, dass ein bestimmter Predigttext oder auch ein bestimmtes Predigtmotiv durch die verschiedenen Zeiten und Kirchengemein- schaften verfolgt wird. Hier kann ebenso der Dogmatiker wie der Symboliker lernen, aber — freilich vor allem werden solche Untersuchungen dem Praktiker für eine psychologische Funda
mentierung der Predigt reichen Gewinn bringen müssen.
Daher begrüsse ich mit Freuden, dass die jüngste Zeit eine Reihe von Versuchen gebracht hat, zunächst besonders im Blick auf die gegenwärtige Predigt den Zusammenhang von Dogmatik und Predigt zu untersuchen. Ich hebe aus ihnen drei Schriften evangelischer Theologen heraus und stelle mit ihnen zwei Schriften katholischer Theologen zusammen, die zwar zunächst an einem anderen Interesse orientiert sind, aber gerade auch für unsere Frage lehrreichen Ertrag versprechen.*
Unter den unten genannten Schriften hebt das Buch von Niebergall den Gedanken der Erlösung heraus, um seine zweck
mässige Behandlung in Unterricht und Predigt zu besprechen.
Das ist zweifellos ein glücklicher Griff. Es ist zu zaghaft ge
urteilt, wenn der Verf. die Forderung, von der Erlösung zu predigen, gelegentlich damit begründet, dass sie nun einmal zum Evangelium gehöre. In einem bestimmten Sinne ist das ganze
* N i e b e r g a l l , Lic. F . (Professor in Heidelberg), D ie p a u l i n i s c h e E r l ö s u n g s l e h r e im K onfirmandenunterricht und in der Predigt.
2. A uil Tübingen 1910, J . C. B. Mohr (156 S.). 2. 80._
S c h u b e r t , D r. EruBt (Kaiserlicher Botschaftsprediger in Rom), U n s e r e P r e d i g t v o n d e m a u f e r s t a n d e n e n H e i l a n d . (Studien zur praktischen Theologie, herausgegeben von D. D r. Clemen. 4. Band, 1. Heft.) GieHsen 1910, Alfr. Töpelmann (85 S.). 2.40.
B a c h m a n n , D. Ph. (Prof. in Erlangen), G o t t u n d d ie S e e le . Untersuchungen zur Lage der evangelischen K irche und Theologie in der Gegenwart. 1. Heft. Allerlei Predigtproben. Leipzig 1910, A.
Deichertache Verlagsbuchhandlung (72 S.). 1.20.
B i e d e r , D r. D. E a rl, Z u r
i n n e r k i r c h l i c h e nK r i s i s d e s
h e u t i g e nP r o t e s t a n t i s m u s . E ine O rientierung über
modern»Evangeliumsverkündigung.