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Die Zukunft, 31. August, Bd. 36.

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Berlin, den ZKQAugust 190x.

f I sxs F

Dragoner Marien

WerfrühereUnteroffizier,dann durch kriegsgerichtlichenSpruchde- gradirte DragonerMarten istvom OberkriegsgerichtinGam- binnendesandemRittmeistervouKrosigkverübten Mordes schuldigers kanntundzum Todeverurtheiltworden. »UnterAllen,die in derZeitung dieBerichteüber denProzeßgelesenhaben,undselbstunterDenen,die per- sönlichalsZuhörer anwesendwaren,wirdauchnichtEiner diesenAusgang desProzesseserwartet haben«.DieserSatz standin derVosfischenZeitung;

undähnlichklangenausfast allenBlättern,vonderDeutschenTageszeitung bis zumVorwärts,dienur in derTonstärkeverschiedenenStimmenhervor, Ueberallhießes, dieVerurtheilungMartens seiganz unerwartet gekommen, vonkeinemMenschenvorausgesehenworden.Wirklich? DerZufall hat mich,ehein Gumbinnen dieEntscheidungfiel,mit demanErfolgenreichsten deutschenKriminalanwalt zusammengeführt;erstellte, nachdenBerich- ten,diePrognose:Marien wirdverurtheilt,der alsMitthäter angeklagte Sergeant HickelwirdfreigesprochenAus den»Stimmungbildern«,die, nach schlechterMode,imBerliner Lokalanzeiger—- einemderwenigen Blätter,die einen»Spezialberichterstatter«nachGrimbinnengeschickthatten

demneugierigen Auge geboten wurden, ging deutlich hervor, daßder BotschafterderGroßmachtScherldieVerurtheilungMartens für wahr-«

fcheinlichhielt;dennerließfrüh schondieGewittermaschine.arbeiten,..di"chst sichund immer dichterüber desAngeklagtenHauptdie Wolkenzusammen- ziehenundhättezumSonnenjubeleinesFreispruchesnur schwernochden

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passendenUebergang gefunden. NachallenRegelnderReportertechnikwar keinZweifelmöglich: dieserHörerderHauptverhandlungrechnete aufein schuldigsprechendesErkenntniß.Als drittenZeugen muß ichmichselbstvor- führen;in einer dreiTagevorderVeröffentlichungdesUrtheils, zweiTage vor demGesprächmit dem Kriminalanwalt geschriebenenNotiz habe ich dieErwartungangedeutet,Marten werdeverurtheilt,Hickelfreigesprochen werden.Das waralsodieVoraussichteinessehr erfahrenen Kriminalisten undzweierLaien;undesist nichtanzunehmen, daßwirDrei imweitenReich dieEinzigendiesesGlaubenswaren. Nachherfreilich,alsdie ganzePresse Alarmgeblasenhatte,war die communis opiniowundervolleinig.Keiner hatteeineVerurtheilung für möglich,fürim Traum auchnur denkbarge- halten.Das beweistnatürlichnichtdasGeringste.Wennichüber vierver-(

breiteteZeitungen frei schaltenkann,willichin dreiTagendieöffentliche Meinung machen,derTürkensultanseieinhehrerJdealist, Graf Waldersee einweltfremder Träumer, derKrach deutscherFabrikenundBanken beendet undallesWeh durchdiefortzeugendeErbsündedesSchutzzollsüber die Menschheitgekommen.Exempla-docent. UndihreLehrcnlegtenNietzsche, demeinsamen Rechthaber,dasWitzwort ausdieLippe,daßöffentlicheMei- nungenprivate Faulheitensind. OeffentlicheMeinungwar1862inPreußen: Bismarckisteingewissenloser,wirrköpfigerAbenteurer undKönig Wilhelm einsiirdasRegeutenamt untauglicher Drillmeister. OeffentlicheMeinung war 1892 inDeutschland:Bismarcks Entlassungwar für Reich, Nation, Dynastieein Glück undsein Nachfolger isteinesittlichePersönlichkeitund einstaatsmännischesTalent erstenRanges.Undsoweiter.Eineöffentliche Meinung entsteht heutzutage gewöhnlichdadurch, daßeinZeitungbesitzer dieMeinung,die er, imInteresse seines Geldbeutels, seiner Parteioder sozialenGruppe,verbreitet zusehenwünscht,für schonallgemein verbreitet erklärenläßt.WenndreiTagelangansichtbarerStelle gedrucktwordenist, die,,breiten SchichtenderBevölkerung«dächtensoundso, oder, »in poli- tischenKreisen«herrschedie und dieAnsicht,dannistdieZahlDererstets klein,diesichdieZeit nehmenundnehmen können,denSachverhalt nachzu- prüfen,unddie denMuth haben,«dermhstischhinterdemHolzpapierwalten- denMachtzuwidersprechen.Dann denken die»breitenSchichtenderBe- völkerung«baldwirklichso,wiesie angeblich schon vorhergedacht haben sollen;und die»politischenKreise«,die esnicht giebt,niegabundniegeben wird, schließensichwenigstensin desLesersPhantasiereinemingeheimniß- vollerAllweisheitleuchtendenRundDer norddeutscheBachfischhatallmählich

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DragonerMarien- 339 dasUnwesenangenommen, dasih1n,alsseinesWesens natürliche,anmuthige Art,vondenLindau, Schönthan,BlumenthalimZerrspiegelgezeigtwurde;

derZeitungleserlerntleichtglauben,wasihmdieMosse,S·cherl,Lesfingals seinenGlaubenservirten.WeileinpaarpariserPreßmanagergoldigeMorgen- luft witterten,wurdedasDreyfus-Dogma fürJahreHauptbestandtheilder öffentlichenMeinungEuropas. Nehmenwireinmalan, derBeherrscherdes LokalanzeigershätteeinenSohn,dergeradevordemOffizierexamensteht;

oder,diehöherenChargendesHeereslieferten ihmdiewichtigsteKundschaftz oder,ihm seibeiweiteremWohlverhaltenderAdelversprochenworden, kurz: erhätteirgendeinbeträchtlichesInteresse daran,dengumbinner Prozeß nichtvonderDemokratenfaustgepackt,sondernim SinnmilitärischerAutori- tätbeleuchtetzusehen.Dann hätteein Winkgenügt. DerBotschafter dieses Fabelscherlhättevom ersten BerhandlungtageandenDragonerMarten

»im höchstenGradeunsympathisch«gefunden; spätersein »spitzes,leichen- fahles Gesichtmit demscheuen,tiiekischenBlick« demKopfeines vomJäger bedrohtenRaubvogels verglichen;undendlichfür ZeitundEwigkeitfestge- stellt, der-Angeklagtesei,»trotzseineraneinemso jungenMenschengeradezu erschreckendeneynischenFrechheit,unterderWuchtderBeweislast zusammen- gebrochen«.Dasläßt sichmachen, läßtsichnichteinmalalsSchwindeler- weisen.Elendficht jederdes MordesAngeklagtenach langerUntersuchung- haftausundfastjederwirdausder Sünderbank heutewüthendunddreist, morgenabgespanntundängstlichundin derletzten,entscheidendenStunde verwirrt undbedriiektsein.Solches »Stin1mungbild«hättendannetliche hunderttausendAugen betrachtetundinetlichehunderttausendHirnewäre dieangenehmeGewißheiteingezogen,daßMatten einentmenschterMörderist.

Mit Alledem sollnichtdieBehauptung gestütztwerden,man müsse dasUrtheildesOberkriegsgerichtesbilligen.Mansoll sichnur dieMühe nehmen,eszuverstehen;man sollesnichtalseineAbnormität, sondern als einlehrreichesBeispielderNormbetrachtenundnichtausderTiefedesGe- miithes ScheltwörtergegendenGerichtshofschöpfen,dersich wenn die Berichtenichtfalschodersehrlückenhaftwaren-in derHauptverhandlung höchstkorrektverhaltenundkeineSpur irgend welcherVoreingenommenheit gezeigt hat.Hiermuß icheineParenthese machenundeinenimvorigen HeftbegangenenJrrthum berichtigen. AuchdiebürgerlicheStrafprozeß- ordnung läßtdemRichterdieMöglichkeit,denAngeklagten,dessenGegen- wart nach derAnsichteinesanderEntscheidungMitwirkenden einenZeugen anunbefangenerBekundung wahrgenoinmener Thatsaehenhindern könnte,

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für dieZeit dieserAussageausdemSaalzuentfernen. DieseBestimmung ist fast schonobsoletgewordenundwirdnur selten noch angewendet.Wird aberauf siezurückgegriffen,dannmußdemAngeklagtennach seinerRück- kehrin denSaalderInhaltderAussagemitgetheiltwerden. DaßinGum- binnen,wodieAngeklagtenrecht oftausdem Saal geführtwurden,nach- her stetssolcheMittheilung folgte, istin denBerichtennichterwähntworden.

EinbegründeterVorwurfgegendenGangderHauptverhaudlung konntebisher nicht erhoben werden;undmit derthörichtenVerdächtigung, fünf OffizieremüßtenvonStandes wegen alsRichtereinesMenschenschul- sals wenigergewissenhaft seinalsfünfRäthe,Landrichter,Afsessoren,braucht man sichernsthaftnichtzubeschäftigen.GenauderselbeSpruch konnte,bei genaudemselbenThatbestand,demselbenErgebnißderBeweisausnahme, von einerStrafkammer(wennsie überhaupteinemdesMordes Beschul- digtenRechtzusprechenhätte)oderbürgerlichenJurh gefälltwerden.

Ziethen, Koschemann,Moritz Levy sind aufviel dünneremJndiziengrund reif fürdasZuchthaus gefunden worden;undbeinahe täglichverkündet irgendwoimdeutschenVaterlande einVorsitzendereinUrtheil,dasviel größeresStaunen erregen müßtealsdasinGumbinnen gefüllte.Die öffentlicheMeinungaberrührt sichnicht.DerAngeklagtewar ja »soun- sympathisch«;magerindiesemFall schuldigoderunschuldigsein:verdient haterseineStrafe sicher.SosprichtdievolksthümlicheSentiment- und Ressentiment-Justiz,diehöchlichzufrieden ist,wennderihrmitRechtekel- hafteHerrSternberginsZuchthaus mußundfürJahre, vielleichtfür immer, ausderListeder Lebendengestrichenwird,weil er, in krankemSexualtrieb, eineWinkelprostituirte,dieälteraussah,alssiewar,mitderHand unzüchtig berührthatund weildas Gericht, ohneirgend welchenBeweis und imGegen- satzezubeschworenenAussagen, glaubt,erhabemiteinem Kindebeischlaf- ähnlicheHandlungenverübt. Daß SympathieundAntipathie nichtder Frage nach Schuld oderUnschulddie Antwortzusuchenunderst recht nicht dieStrafnormzubestimmen haben, scheintganzvergessen;undvon sonst verständigenLeutensogar hörtman dieFrage: »Wiekönnen Siesichnur für diesen verdrehten Anarchisten Koschemann,diesen schmierigenGauner Sternbergerhitzen«?«Dazu kommt, daßein etwaaufflackernderZornkein rechtesZiel findet.Werweißdenn,wie imBerathungzimmerdasStimm- verhältnißwar? DasKollegialprinzip isteine inVerwaltungundJustiz gleich vortrefflichwirkendeErrungenschaftmoderner Staatsweisheit; es entbürdet denEinzelnenvonderschwerstenLast persönlicherVerantwort-

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DragonerMatten. 341 lichkeitundschwüchtdieSchlagkraft jederKritik. EinenMinister, Bürger- meister, Richter, Aufsichtrath,dersichmuthigmitseinerMeinung heraus- stellt,kannman haftbar machen und,wenn esnöthig scheint,bis zu den Schatten verfolgen.EinKollegium...DerGetadelteziehtBrauenund Schultern hoch: »Ichbinüberstimmtworden!«WirhättenandereRechts- zustände,wenn unsereRichtereine andere sozialeStellungundeinehöhere persönlicheHaftpflichthättenundJederdem überdieStraße gehendenRechts- pflegernachsagenkönnte: DasistderMann,dergesternHinzinsZucht- haus geschicktundvorgesternKunzunters Beilgebrachthat!Aber derherr- schendeLiberalismuswillfünfStrafkammerrichterundzwölfGeschworene, damitEiner sichaufdenAnderenverlassen,EinerdemAnderendie Verant- wortungzuschiebenkann;undseinWillegeschieht.

Er willauch für StrafkammersacheneinezweiteJnstanz."Fast istes schonzurLebenspflichteineswahrhaft liberalenMannes geworden, fürdie

»Berufung«zuschwärmen.Zwar hatdieFrage,ob übereineStrafsache einmaloderzweimalverhandeltwerdensoll,mit demBekenntnißpolitischen Glaubens ebensowenigzuthunwie die andere:ob die Tonne Kornfünfund- dreißigoderfünfzigMarkZoll tragen soll. Zwar habendieangesehensten Kriminalisten, TheoretikerundPraktiker, sichbeinahe einstimmiggegen die Berufungerklärt undvondenguten Gründen,dienamentlichder demzweiten StrafsenatamReichsgerichtpräsidirendeFreiherrvon Viilowangeführt hat, istkeineinziger widerlegtworden. Thut nichts;magin derzweiten InstanzauchdieUnmittelbarkeit desEindruckesabgeschwächt,mögen wich- tigeRechtsgarantiengeopfertundinbeträchtlichemUmfangdiemündlichen ZeugenaussagendurchdieVerlefungunbeglaubigter, unprüfbarerProto- koleersetztwerden: dieBerufungbleibtdesMannesstrebens höchstes,wür- digstes Ziel. Jetzt ist undsogaruntervollerWahrungderMündlichkeit desVerfahrens—- amgemeinen LeibeeinesDragonersdasExperiment wieder einmalgemachtworden: Marten wurdein derersten Instanz frei- gesprochen,in derzweitenzum Todeverurtheilt.Als demAngeklagtennütz- lich hatdieBerufung sichhier also nicht erwiesen.DieMängeldesVorver- fahrenstraten deutlicherhervor,dieFrischedererstenWahrnehmungwar abgewelkt,SuggestionundAutosuggestionhatten Zeit gehabt,in dunklen HirnenihrWerk zu vollenden. Anwälte,die biszumerstenOktober 1879 nochmitderBerufung gearbeitet haben,wundern sichdarübernicht; sie wissen, daßman, wenn dielange schon lagerndeNovellezurStrafprozeß- ordnungGesetzwürde,mitdemvon ihr beschertenRechtsinittel nochviel

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üblereErfahrungen machenkönnte. Eine davon würdewahrscheinlicheine neueSchwächungdesVerantwortlichkeitbewußtseinszeigen;bequeme,lässige oderüberlasteteRichter könntenleichtdahin kommen,in derersten Instanz tröstendsichzusagen:DieSachekommtja dochnochmal zurVerhandlung, undin derzweiten:DieSache ist javonfünf Richtern schonmalgründlich geprüftunderörtertworden. ZudenfürdieBerufung Schwärmendenge- hörenerstensdie mitforensischenSittenundBedürfnissenganz unbekannten OpfereineröffentlichenMeinung;zweitensKriminalanwälte,dievonder EinführungeinerneuenStrafsacheninstanzmitRechteineSteigerung ihrer Einnahmenerwarten ; drittens Leute,derenmehroderminder bewußtem Denkeneinparlamentarischer JuristdieZunge lieh,alserimPrivatgespräch sichdenSatz entschlüperließ:zwar könneauchernicht bezweifeln, daßdie Berufung dieStrafrechtspflegeverschlechternwerde;daessichaberumeine populärc Forderung handle, müsseeralsPolitiker für sie stimmen.Alle nichtimBannkreise solcherVorurtheile undJnteressenLebendenwissen,daß nichteinevonzumTheil unvermeidlichrn UebelständenbegleiteteHäufung derInstanzen,sondernnureinegründliche,bei derersten Ermittelungarbeit beginnendeAenderungdesVorverfahrens sichereBesserungbringenkann.

WiewardiesesVorverfahrennun imFallMarien?

AneinemJanuarnachmittag,dreißigbisfünfzehnMinuten vorFünf, wurdein derReitbahndergumbinnerDragonerkasernederRittmeistervon KrosigkdurcheinenSchuß getötet. WährendeinerReitübung; anwesend warenaußerderMannschasteinOberlieutenant,einWachtmeisterund Unteroffiziere.DerSchußkannnur durcheins der in derBandenthürvor- handenen Löcherabgefeuertwordensein;zwischendieserThürund demThor, dasdie Reitbahn nach außenöffnetundschließt,ist cin Raum,in demsich derMörderaufgehalten haben muß.KeineSpurzu entdecken.Sicher ist nur,daßKrosigkvonUnteroffizierenundMannschast gehaßtwurde. Ein launischer,oftharterHerr,derwegenMißhandlungschonbestraftwar;nicht ohneAnwandlungenderberGntmüthigkeit,aberohneSelbstdisziplin, ohne sittlicheStärke undinnereWahrhaftigkeit, ohne AchtungvordemEhrgefühl ihm nntergebener Menschen. IndenAugen seinerLeute ein,,Schinder«, ein,,Aas«,demman vonHerzenwünscht,»derDeibelmöge ihn holen«.

Leichtist also dieFragebeantwortet:Cni bono? VorgesetzteundKameraden sindin deinGlauben einig,der Mörderseinur in derSchwadrondesRitt- meisterszusuchen; der-Gedanke,einfrüher dienstlichdemRittmeisterunter- stellter Mann,derinzwischenvielleichtineinenanderen Truppentheilver-

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DragonerMatten. 343 setzt,JnvalideoderHalbinvalidegeworden,abkommandirt oderaus dem Heergeschiedenist,könne derThäter sein, scheintsie nicht lange beschäftigt zuhaben.DerRegimentskommandeurläßtdieSoldaten derviertenSchwa- dronantreten undmahnt siemitstrengemWort andiePflicht,zur Er- mittelungdes Mörder-s dasMöglichezuthun;einOberlieutenantwieder- holt dieseMahnungmitallem durchdieSchweredesVerbrechensgebotenen Nachdruck.UndwirklichwendetderVerdachtsichbaldaufeinenMann der viertenSchwadron:denDragoner Skopeck,derin derNähedesThatortes umdieZeitdesMordes gesehenworden unddurchdreinichtzuerschüt- terndeZeugnissebelastet ist.Waren dieseZeugenaussagen objektivrichtig, dannmußteSkopeckmindestensderBeihilfeleistungschuldigsein. Schnell aber warddieseSpur vermischt.DennderKriminalkommissarvonBaeck- mann, dervonBerlin nachGumbinnen entsandtunddortderLeiter des Ermittelungverfahrenswurde,hieltSkopecknichtfür schuldig;vielleichtfand erdenMann, derals »unterdenDümmstenderSchlauste«bezeichnet wird,zubeschränkt,zuwenigentschlossenfiir solchefurchtbare That.Er vernahm,in der beidiesenBeamten üblichenzwanglosenArt,ohneProtokol- fiihrer, höchstensmit demNotizbuchinderHand,untervierAugendie Be- lastungzcugenzunddieseZeugen,dieso lange fest gebliebenwaren,erklärten nun,esseidochmöglich,daßsie geirrt hätten.Damit war dieSchuldSko- peckszunächstunerweisbargeworden.DerKommissarvcrnahmauchAndere, UnterosfiziereundGemeine;ermußsichdabeiwohlmitErfolg bemühthaben, denKasernentonanzuschlagen,denncinzelneLeutebehaupteten,erhabesie»an- geschnauzt«,undsicher ist,daßereinemUnterofsizierbeisolcherVernehmung denTiteleines»Oelgötzen«verlieh.DasErgebnißseinerNachforschungenwar, daßerdenUnteroffizierMartenund denSergeantenHickelfiirdieLeutehielt, diegemeinsamdenMord verabredetundausgeführthätten.ZweiSchwägerz MartenderSohneinesalten,vielfach militärischausgezeichnetenWacht- meisters,der unterKrosigksLaunen langeschwergelittenundendlichseine Versetzungbeantragtunderreichthatte.Und wie derVater, sowar auchder SohnvondemRittmeisterarggeschliferundgeschuhriegeltworden. Festzu- stellenwar: MartenhatteGrund,zuglauben,erseivonKrosigkbesonders auszorn genommen; undferner:kurzvordemMord hatte derRittmeister gerade Martenzweimal dienstlichin einerWeisebehandelt,die der Unter- offizieralsDemüthigungempfinden mußte.Aussehr hartemHolzwar dieseJndizienbriickenicht gezimmert.HerrvonBaeckmannaberwar,seit etsie betrat, felsenfestüberzeugt:Marten istder MörderundHickelMit-

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thäter im Sinn derreichsgerichtlichenSpruchpraxis,dienichtaktiveTheil- nahineverlangt, sonderndieBedingungenderMitthäterschasterfüllt sieht, wenn dienormwidrige Thatals in denbewußtenWillenaufgenommener- wiesen ist.Undeswärenur natürlich,nur menschlich,wenn derinseiner Ueberzeugungso festePolizeibeamte sichan»seinen«Mördergehaltenund mitseiner unentwurzelbaren GewißheitderUntersuchungdasGepräge gegeben hätte, um so natürlicherundmenschlicher,alseinKriminal- kommissarfür solchenBeruf jawederwissenschaftlichnochforensischgebildet istundnur »im polizeitechnischenSinn«,wie derhamburgerSenator Burchard sagen würde,einKriminalistgenanntwerdenkann.Ein Namens- vetter diefesHerrn,derRechtsanwaltBurchard, hatals Vertheidiger Martens imSchlußvortragüber Art undMethodederUntersuchungge- sagt: »UndwiegingesDenen,die zuGunstenderAngeschuldigtenaus- sagten? JmVorverfahrenwurden SergeantHickelundUnterofsizier Domnik,informatorisch«vernommen. Domnik konnte damals noch garnicht wissen,daßHickelalsAngeschuldigterinBetracht kam;undals ereineAussage macht,dieHickelentlastet,wirderohneWeiteres derBe- günstigungangeklagt,alsoineinePosition gedrängt,in derman ihm nichts glaubt,undalsZeugekaltgestellt.DerSergeantSchneider,dermitSkopeck einreinesPrivatgesprächhatteunddurch dessenBekundungdasKriegsge- richtersterInstanzvonderUnglaubwiirdigkeitSkopecksüberzeugte,hateinen ,förmlichenVerweiswegenunbefugterEinmischungindenGangderUnter- suchung«von seinemRegiment erhalten;undderGendarm Melzer,der ebenfallseinPrivatgesprächmitSkopeckbekundete,istvomDragonerregiment vonWedellderGendarmeriebrigadedenunzirtworden. (Dem Sergeanten SchneiderundeinemWachtmeister soll außerdemmitgetheiltwordensein, mitihnenwerdederKapitalantenvertrag nicht verlängert.) Mußteunter diesenVerhältnissennicht jederSoldat geradezu Angst haben,Etwas zu GunstenderAngeklagtenauszusagen,oder zumMindesten befangen sein?

UndmußtennichtdieLeute,dierechtvielBelastungmaterial beibrachten,der Ansichtsein, sichdadurchdasWohlgefallenihrer-Vorgesetztenzu erwerben?«

WenndiefeBehauptungen richtigsind—- undman hatnichtgehört, daßihnen auchnur widersprochenwurde-, dannwäreschonhiereinstarkes ArgumentgegendieKorrektheitdesVerfahrens gegeben. Nichtgegen die KriegsgerichtealsJnstitutionzdennzumWesenderMilitärjustizgehört nicht, daßdieTruppenführerin dieVorunterfuchung eingreifenunddaß Zeugen,denen malafidesnicht nachgewiesenkann,iibleFolgen ihrerBe-

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DragonerMartin. 345 kundungenfürchtenmüssen.Dieselben unerfreulichenVorgängewären in einembürgerlichenVerfahrendenkbar.Nehmenwir an, in den Werken eines Stumm derTypus, nichtdasbestimmteJndividuum,kommtja ziemlich häufigvor seieinhöhererBetriebsbeamter ermordet worden undder Verdacht,alleinodermit einesanderenHilfedasVerbrechen begangenzu haben, falle aufeinenArbeiter,dendieserBeamtekurzvordemMordhart behandelthatundindessenWohnung sozialistischeundanarchistischeSchriften gefundenwerden. WürdenichtauchderWerkbesitzerseineArbeiterzusammen- rufenundermahnen,zurEntdeckungdes MördersdasMöglichezuthun?

Würdenicht wahrscheinlichauch erJeden mißtrauischansehen, vielleichtaus derFabrik wegschicken,derdenVersuch machte,denAngeschuldigtenzuent- lasten?Einordentlicher Mensch,würdeerdenken, giebt sichnicht dazu her, einemAnarchisten Beistandzuleisten.UndhatderLohnarbeiterdasMiß- fallendesDienftherrn wenigerzufürchtenals der Soldat dasdesVorge- setzten?EinUnterschiedscheintfreilich sichtbar:der wegen einer·Zeugenaus- sage bestrafteArbeiter könnte beiseiner Partei,bei derOrganisation,derer angehört,Beschwerdeführen.ErstensaberstehtdieserWegauchdenSoldaten offen; auch für SchneiderundMelzer giebteseineBerufunginstanz,auch siesogarkönnenihren Fallin denReichstag bringenund derAbgeordnete Bebel wirdfür sienichtleiserredenalsfürdasOpfereinesneuen Feudal- l)er1«n.Zweitens ersetztdasEintreten derGewerkschaft,desLokalausschufses, derFraktion nichtdenVerlustderStellung;und derArbeiter, dessenName alseinesFabrikmärtyrers durchdieZeitungen gezerrt ist, pflegtebenso wenig wirthschaftlichenVortheildavonzuhaben wiederSoldahder in einen öffentlichenKonfliktmit einemVorgesetztengerathen ist.Unddrittens fehlt esimbürgerlichenRechtsleben nichtanFällen,woauchsolcherScheineines Unterschiedes schwinden muß; welchestarke Organisationträte dennfür einenBeamten,Lehrer, Kaufmann, Schriftsteller ein,derseinBrotverlöre, weilerein demArbeitgeberunangenehmesZeugniszabgelegthat? Wirhaben solcheFälle mehralseinmal erlebt; meist istderKausalznsammenhang zwischenAussageundBestrafunggarnichtnachzuweisen.Die Militärbe- hörden find offenerundverbergen nicht ängstlich,wassiezurWahrungder Autoritätthunzumüssenglauben.Jen’approuve pas: jeconstate. Die FormensozialenZwangeswechseln,dochinjedemDienstverhältnißist seine Wirkungzuspürenundeswäreunklug,dasSymptomtiefimGesellschaft- körpersteckendenKrankheitstoffeseinspezifischesGiftzu nennen, dasnur im Militärgerichtsverfahrenundsonstnirgendsverherendweiterfrißt.Immer-

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hinwirdman sagen dürfen:DerAnblick,denimkonkretenFallMartendie VerbindungderbedenklichenSeiten zweierVerfahrensarten bietet, istdem Auge nicht wohlgesällig.DieOffizieredesDragonerregimentes konnten, gerade weilKrosigkihrKameradwar unddieZeugen ihnenuntergeben sind, die Arbeit derUntersuchungdemdazuausersehenenundvorgebildetenKriegs- gerichtsrath überlassen;undHerrvonBaeckmann...Diese Herrenund dieihnenPräsidirendensindallgemachsehrempfindlichgeworden.Abermuß esin denheikelstenFällendennimmereinberlinerKriminalkommissar sein, der dieFäden anknüpftundschürzt,beiLeckert-LützowwiebeiGuthmann, beiSternbergunddenHarmlosen,inKonitzundinGumbinnenP

Manmuß gerecht seinundsagen, daßdieUeberzeugungdesHerrn

vonBaeckmann durchnicht unwesentlicheJndizien gestütztwar. Dazuge- hörennichtdieWahrnehmungen, dieser UnterofsizierundjenerMann habe

»blaßausgesehen«undvor derLeiche»ein unruhigesWesenandenTag gelegt«;auf sodünner EisdeckeistkeinBeweisgeriistzu bauen.Aberesgab auchernsthaftereVerdachtsgründe.MartenwarkurzvorderThatin dem Ka- sernenganggesehenworden,womorgens derKarabinerstand,ausdemnach- mittags dertötendeSchußabgegebenwordensein soll;undda, sagteneinzelne Zeugen,.habeerDienstm iitzeundMantelgetragen.Skopeck dervorher selbst derThat verdächtigtwar bekundete,erhabekurzvorderZeitdesMordes anderBandenthür,durchderenSchartenoderLöcherderSchuß gefallensein soll,zweimitsteifenMützen,wiedieUnteroffizieresietragen,undMäntelnbe- kleidete Männer gesehen.Als diediensthabendenvondendienstsreienUnter- offizieren gesondertwurden weil diein derMordesstunde dienstlichbe- schäftigtenjakeinVerdachttresfen konnte, hatteMarten sichzu dendienst- habendengestellt,trotzdemerwährendderinFragekommendenZeit dienstsrei gewesenwar. AlsihmdieThatsachedesMordesmitgetheilt wurde, äußerte erZweifelanderRichtigkeitderMeldung.Alsersiezumzweitenunddritten Malhörte,verriethermitkeinemWort, daßsieihm nichtneusei.Ersoll gezögerthaben,andieLeicheheranzutreten.Und alserangeschuldigtwar, konnteerden versuchtenAlibibeweis nicht vollständigführen; überAufent- haltnndBeschäftigungin einemZeitraumvonsechsoder«achtMinutenver- mochteersichnicht glaubwürdigauszuweisenundgerade dieseZeitspanne ließsichalsdieherausrechnen,in der dasVerbrechen begangenwar. Das Alleswiegt leichtundkann dieWagschale,wenn eineruhigeHanddenGriff hält,nichtzum Sinkenbringen.DieAussagenderZeugen,die imKasernen- korridorundanderBandenthürEtwas gesehenhaben wollen,bedeutennicht

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viel; auch dieseZeugen müssendienstfreigewesensein— sonst hätteihrWeg sie nicht durchden Korridor undandieBandenthürgeführt—,konntenalso selbstin denVerdachtderThat kommen;dieFurchtvorsolcherVerdächti- gungschärftaberrecht oftdieFähigkeit,Erinnerungbilderzuschaffen.Und konnteMarten nicht wirklichdurchdenKorridorgegangen sein,konntennicht zwei UnterosfiziereanderBandenthürgestandenhaben,umderReitübung zuzusehenundKrosigkweitern zuhören?Wardamitbewiesen,daßderEine oderdie Anderenzu dem Mordirgend welcheBeziehunghatten?Sie würden natürlichleugnen,dieandenverdächtigenStellen gesehenenPersonenzu sein,weilsieAngst hätten,schondurch dieses»Zugeständniß« sonennen, mitgerunzelter Stirn, unsereJuristengerndieBestätigungjedes sie erheb- lichdünkendenUmstandes gegensichselbsteinBelastungmomentzu lie- fernundin einaufregendesundaufreibendesVerfahren verwickeltzuwerden.

DergemeineMann hat, imCivil wie imMilitär,von derUnfehlbarkeit undhellsichtigenGüte derJustizkeinenallzu hohenBegriffundscheutjede Berührungmitihrwie dasleichtingesundesFleisch abgleitendeMesserdes Arztes. Nicht auf entlegenen Dörfernalleinistdie Redensart heimisch,die im Vollston diehärtesteKritikderRechtspflegeenthält: ,,Nur nichtsmit demGerichtzuthun haben!«DaherstammtdieHauptschwierigkeit,Zeugen zumReden,zubestimmterAussagezubringen.Undnachdemman, trotz denvonFeuerbachundimNeuenPitavalausgezähltenJustizmorden, so oft auf schmalenJndizienbrückenzuverurtheilendenErkenntnissengelangt ist, darfman sichnichtdarüberwundern, daßselbstdiewinzigstenJndizien selten freiwillig »zugestanden«werden. Jn diesencirculus vitiosus kann auchMarten gerathen sein.Erwar,wieerbehauptetundKameraden be- zeugen,andemMordnachmittagvonAlkoholdünstenumnebelt,·abernoch nüchterngenug,umsichzusagen: »Du bist,alsoftvomRittmeistergerüf- selt,derErste, aufdenderVerdacht fallenkann.HalteDein Maul! Spiele denUnbefangenen,denanderThat überhauptzweifelndenSpötterlDu solltestandemNachmittag ja eigentlichDienst thun: also stelleDichzu den diensthabendenUnteroffizieren; schlimmstenFalls hastDuDich verhört, warst zerstreut, durchdasVerbrechenerregt.Und dadieAngst, verdächtigt zuwerden,DirinsAuge treten,DeinGesichtfärben,NervenundStimme bebenlassenkann:meide, so langeesgeht, DichdemLeichnamzunähern!

Alle werdenauf Dich gucken,Duwirst befangen sein;werweiß,wieschnell Duden Strick umdenHals hast?Giebauch nichtzu,daßDuden Ritt- meisterhaßteft;sageimGegentheil,DirseiermeisteinguterHerrgewesen.

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