Berlin, den U. August I901.
fj -4» If
Tote Männer.
Mrei
Männer,die denMinistertitel getragenundvon denenzweimit demTitelauch politischeMacht gehabt hatten, sindimLanderletzten Wochengestorben: Francesco Crispi«Desider SzilagyiundRobert Bosfe.UeberCrispi ist hier oft geredet worden, wird,wenn seineTagebiicherver-
öffentlichtsind,vielleichtauchschonfrüher,nochgeredetwerden.EinBanditen- temperament,einzäherWille zurMacht,dem derZweckjedesMittelheiligte, undeine inihrerWildheit manchmal fast erschreckendepolitischeLeidenschaft schuervereinteineMischung,dieinteressant,aberhöchstgefährlichwar.
Crispi fühltesichalsdenprovidentiellenMann,derbestimmt sei,Italien dasHeilzubringen.ErverwechseltedieeigenenBedürfnissemit denen des Vaterlandes.Weilerstärkerwar,erfahrener,vonweiterem Blick undflinke- rerAuffassungalsdiemittelwüchsigenLeute,die nebenundnach ihmMi- nisterhießen,wähnteer,ohne ihnkönneJtalien nichtleben undihm sei,als derHeimath letztemHort,Alleserlaubt,— Alles, mochteesnachdenBe- griffenderAlltagssittlichkeitauch NiedcrtrachtundVerbrechen sein«Dabei brauchtman noch nichteinmalansein Privatlebenzudenken,anseineun- saubere VersippungmitBankoieben undBörsenpiraten: antisozial,also verbrecherisch,war auch seine Politik,sein megalomanischesMühen,das schlechtgeeinteKönigreichin dievordersteReihederGroßmächtezurücken, undderschnödeSchwindel,denerinAfrikatrieb.Wennereinenparla- mentarischenEffektbrauchte, heischteervondenKolonialfeldherrengefälschte Siegesdepeschenundscheutesichnicht, feinerEitelkeit ganzeRegimenterzu
22
298 DieZukunft.
opfern.WennersichdemKönigalsSchützerderDynastie empfehlenwollte, kam esihm nichtdaraufan,durchJnszenirungvonStraßenaufständenund Attentaten dasreizbareVolk inKrämpfezuschrecken.StattinstillerArbeit vom Süden,demerentstammte,nachdemNorden eine Brücke zuschlagen, dieLebensbedingungenUndBedürfnissederverschiedenenRegionenzuer- forschenund demReichdenGewinn dermoderneandustriekultur Europaszu sichern,triebereine ebensoglänzendewieunsinnigePolitikdergloireund des Prcstige nachdemMusterdeskleinenNapoleon,derimmerhinabernocheine ernsthaftere,zurErfassung politischerAufgaben fähigereGestaltwar als derSizilianer.WasfürLouisNapoleondermexikanische,war für seinen EpigonenderabessinischeFeldzug:einfrivol gewähltesMittel,dieGährung desVolksgeistesnach außenzulenken,die murrende Mengeüber dieGrenze zuhetzen.DasWerk desvom GeniebedientenEhrgeizes hatTaine die LebensleistungBonapartes genannt,desErsten,derdenKorsennamen in dieWeltgeschichteschrieb. Crispis Ehrgeizwar nur vomTalent bedient- voneinemunruhvoll irrlichtelirendenGeist,derimmerneneWegezurMacht suchteundfand.SoverschiedendasWesenbeider Männerwar: man muß anGladstone denken,wenn man in derneustenGeschichtenachdemBeispiel einesMinisters späht,der, währenderweltberühmtwurde, seinemLande solches Unheil heraufbeschwor.AnGladstone,denDemokraten,derdem DemosdasWahlrecht versagte;anGladstone,denfrommen Gottesmann, derAlexandrienbombardiren ließ;anGladstone,denMehrerdesReiches, der,um sichneuen Anhangzuwerben,denJrendie desReichesEinheit zerreißendeHoffnungaufHomerule gab und,Umseinenhageren Puseyiten- halsauseinergefährlichenSchlingezuziehen, durcheineruchlos leichtfer- tige Politikdie ganzesüdafrikanischeMisereüberGroßbritannienherauf- beschwor.Nicht ihm freilich, der, trotzoderwegen derAehnlichkeitihres Wirkens,denSignor Francesco,alseinenlibertin, rechtunfreundlichzu beurtheilen pflegte, hatman denSizilianer verglichen:denitalischenBis- marckhatman ihn genannt. Auch Crispi hatteeinenbuschigenweißen Schnurrbart, einenvorn kahlen Schädel, einilenchtendes, leichtimZorn aufloderndes Auge·Damit aberwar dieAehnlichkeiterschöpft;und in demAugedesMannes ausRibera sah Niemand jeeinFünkchenmensch- licherGüteaufglimmen. SelbstderTodfeind müßtezugeben,daßBismarck stetseineSachegewollt hat; hätteersichnur gewollt,nur dieMachtzu be- wahren gewiinscht,erwäre in den Sielen gestorben,alskämpfcnderKanz- ler:erbrauchtezu Allemnur Jazusagenund gelassenstehenzubleiben,
ToteMänner. 299
bis derjäheImpuls vorüber,einneues Interesse erwacht,zuneuen Ufern dieKahnfahrt begonnenwar. Deutschlands ersterKanzler hatteeineWelt- anschauung,dieManchemrückständig,Manchemunheilvoll scheinenmochte, von derenRichtungliniederStarkeaber,ohnepersönlichemVortheil, ohne derPopularität jemals nachzufragen,nie wanktenoch wich. Crispi hatte nur die eineUeberzeugung: daßesbesserist, Ministerpräsidentzuseinals Advokat, bequemerundeinträglicher,amZollzusitzenundreichzuwerden, alsmit anderen beredtenRobenträgernumfetteHonorarezuraufen.Eines Staatsmannes Lebensleistung muß,wieeines guten Dramas Inhalt,in einemSatzezuresumiren sein.WoistdasLebenswerkFrancescosCrispi?
Hatersvollbracht,alsernebenMazziniundunter Garibaldi gegendie Bourbonenherrschaft kämpfte,bei einemBankier erstunddannbeieinem Bombenfabrikantenin dieLehre ging?Als er,anderSchwellederFünf- zig, nicht mehr alsoimFrohgefiihl holder Jugendeselei,einfürAlle gleichesWahlrecht, Ministerverantwortlichkeit, billiges Brot, Biirgermiliz stattdesstehendenHeeresundanderedemokratischeReformenmitzürnen- derTribunenstimme verhieß?Als er,uminguteGesellschaftzukommen, geistlosundganzvonBismarcks suggestiverKraft hypnotisirt, Robilants Dreibundvertrag abschrieb und,was füreinebestimmteStunde gedacht, nur für dieseStunde nöthigundnützlichwar, zumSchaden Italiensver- einigenwollte? AlserdaserythräischeAbenteuer,dieThateinesTollen, unternahm?Odergar,alsergegendieproletarischenGenossenschaftendas Volksheermobilmachteund— deralteskeptischeGauner,demnieeinGott gesprochenhatte!—- zumKampf fürReligion,Sitte undOrdnung rief, in Neapel,woereben einembetrügerischenBankdirektor einehalbeMillion alspersönlichenTribut abgepreßthatte? Arm, muthlos, ohnedenalten Ruhm militärischerTüchtigkeit,wirthschaftlichmorsch,vonParteiwuthzer- klästet,vom sickerndenEiter derKorruption zerfressen, fast völlig schon rebarbarisirt ließerseinLand,als ein diesirae,diesilladesneunzehnten März1896,FavillasZuhälter wegfegte.EnergieundTalent darfman ihm nicht absprechen,ihn nichtzu den Kleinenwerfen.KeinBismarck,aber in größerenVerhältnisseneinStambulow,einMann,dermitungewöhnlicher FähigkeitundWillenskraftimmerthat,wasergeradenicht thun’durfte,die LebensbedingungenundLebensbediirfnisseseinesVolkesimmerverkannte.
Jn jedem Beruf hätteersichdurchgesetzt,feinenWillenzurMacht ansZiel gefiihrtzundes warnichtnur spaßhastgemeint,als derfrommeSatiriker Albertario,derin demRiberesendenRationalistenundFreimaurer haßte,
· sag-r-
300 DieZukunft.
schrieb, Crispi wäre,wenn einZufall ihnin dieLaufbahndesKlerikers gedrängthätte,einesTages vielleichtPapst geworden.Warum nicht? Auf PetriundBorgias Stuhl ist gut ruhen, ist fürdenSkrupellosen noch mehr- zu verdienen alsin derKonsulta;und Donna Linahätte sichgegenhohen LohnmitderRollederillegitimenPäpstin begnügt;Undkonnteernicht Alexandersein,derLuftseuchenheilige:warumnichtJohnLaw oderRinaldini,.
Cornelius HerzoderFraDiavolo? Der KrankevonBournemouthwarja.
feinlieberFreundgewesen;und alsFra FrancescoinJtalien fertigwar, konnteauchersichswie Sardous politischerAdvokatRabagas, sagen: Für meinesGeistesSaatist diesesFeldzuklein; ichmuß nach Paris. Jm Paris derPanamiften hättefeinWeizen geblüht,hätteman ihm noch mehr Leichen verziehenals dieCavallottis,Baratieris und derniedergeknallten1avorat0rj- Aber mit denFranzosen hatteersichunklugverzankt,weilernicht begreifen wollte, daßItalien auf Frankreich angewiesen,derBund derlateinischen VölkeraustiefererWurzel erwachsenistals einkünstlichesDiplomatenge- bilde.DieserJrrthum führteihnindenZollkrieg,in demnichtJtaliennur, in dem der Dreibund geschlagenwurde ; und einnichtmindergefährlicher Wahn,diegewissenloseUeberschätzungderwirthschaftlichenundwehrhaften KraftdesBaterlandes, riß ihnbisnachAduaundAbba-Karima. Längst schon,eheessoweitkam, hörteichausBismarcks Munde dasWort: »Ich fürchte,dieerythräischeGeschichtebrichtdemarmen CrispidenHals«.Und- Bismarckwar damalsein denGeschäftenentrückterPrivatmann.Dochder- Sizilianer kämpfteumseinesNamensGlorie, kämpfteals einKorsar,dems umdieBeutegehtundderheutenicht bedenkt,was morgen sein,morgen vergessenwird,was gesternwar ...UnsereOffiziellen habendenToten höchlichgeehrt,GrafBülow,dersvonMinghettiherdochbesserwissenkonnte, hatihninschwächerStunde sogareinen»opferwilligenPatrioten«genannt.
Als derLebende mitseinemKönigimMai1889 nachBerlinkam, schenkte derKaiser ihmeinePhotographiemit derWidmung:Agentjlhomme genthhomme,ä corsaire corsaire et demj. Ganz bestürztliefderEm- pfängermit demBild insAuswärtigeAmt, dessenLeiterMühe hatte,dem ZweifelndendieGewißheitzugeben, daßWilhelmderZweite ihn füreinen Gentleman, nicht füreinenKorsarenhalte.UnterdemOrangebandedes HöhenOrdens vomSchwarzenAdlerverharschtedie Wunde dannbald.
etc Ilc
ToteMänner. 301
AuchSzilaghiwar, wieCrispi, Rechtsanwaltgewesen, eheerMinister wurde. AberseinePraxiswar kleiner;und derstolzeMaghar hatte wohl nichtdasbehende,nievondesGewissensfeiger Farbe angekränkelteTalent, dasihnals Anwalt derMacht empfohlen, ihmdiefaulsten unddeshalbzur Ausbeutung geeignetstenKunden zugeführt-hätte Vielleicht schätztendie auskömmlichemimmerhin abtr.begrenztenVerhältnisse,in denenererwuchs,- ihnvor derGewöhnunganeinenLebensluxus,dieso oftschonPolitikern Unheil gebrachthat.EristsechsJahre lang ungarischerJustizministerge- wesen.UeberseineThätigkeitist nichtviel zusagen.DenndieKulturkampf-- gesetze,alsderenUrheberergepriesenwurde,hättejedeliberaleNullnach berühmtemMusterzuersinnenunddurchzubringen vermocht;undkein NiichternerwirddieBehauptungwagen,beidiesem Kampfgegen Klerus undKirche sei fürdieKultur desungarischenGlobusWesentliches heraus- gekommen.Eswar dasalteGesellschaftspiel,mitdem,vonFalkbisauf Waldeck-Rousseau,derunfruchtbar gewordeneLiberalismus recht häufig schonden Völkern dieZeitzu vertreibenundsievonderErörterung wichtigerer Dinge abzuhalten gesuchthat.Manthut,alsseidieHerrschaftderKlerisei
— dieinWirklichkeitvondermoderncren MachtdesKapitalismus längst ans derBelctagederFrohnburg verdrängtist— dieschlimmsteallersicht- barenGefahren,undsammeltdieMenge,derenMuthwille sichsonstani Ende gar mitsozialenRechtsfragen beschäftigenkönnte,umdaslichteBanner der widerrömischeFinsternißfechtendenFreischaar. NichtAlle, diezu solcher FehdeeinFähnlein führen, sind bewußteTräger-;überallgiebtesgute JdeologenundschlechtePolitiker,diegläubig daran schwören,derKrieg gegendenschwarzenFeind seidiebeträchtlichsteAufgabeimBannkreis bourgeoiserWeltordnung. Zu ihnenmagSzilagyi gehörthaben.Ersah um sichundfandAllesgut:diefrecheMagnatentyrannis,dassorgsam einerwinzigenMinderheitPrivilegirter vorbehaltene Wahlrechtundeine jederJungfernschamledigeKorruption, derStimmenkauf sonatürlichschien wie dieVeruntreuung öffentlicherGelder. Wurde derSkandal zugroß, wieunterTisza undBanffy,dannließderFreundApponyis seinepathetischc BeredsamkettönenddurchsLand rollenundrügte, daßesschließlichdoch besserwäre,wenn in den Kammern nicht nurBankdirektoren, Aufsichträthe undJndustrieparasitensaßen.Sonstblieberruhignndrührtesichauchnicht, wenndieStaatsraison gebot,Nationalitäten zuzertretenundhungernde Proletarierniederzuschießen.ZornigwurdederMann,dersichnichtscheute, derKollegederHerrenTiszaund Wekerle zuheißen,nur, wenn ihndie pa-
302 DieZukunft.
pierneVerfassungunddieFreiheitder Glaubenslehre bedrohtdünkte·. Dann konnteersowild werdenwiein derDekabristenzeitdiebewaffnetenMushiks, diemitBarbarengebrüllnacheinerfabelhaftenConstitutio langten. Also einwirthschaftlichblinderMusterliberaler,wieerimABC-Buch für frei- sinnige Wähler steht.Unddennoch so berühmt,vonArpads Söhnenso hoch, fastbis zurSonnenhöhederLegendenhelden,erhoben?EinMann,
,dernie einenschöpferischenGedankengehabt,nieseinemVolk zu einemneuen Ziel auchnur denschmalstenFußpfadgebahnt hat? Woher, wofür solchen RuhmesGlanz?Die Antwort isteinfachundmuß Jeden doch,der die be- sondereFarbe magyarischerKultur nicht kennt, überraschen:Desider Szila- gyiwar einungarischerPolitikerundeinehrlicherMann. Erwar sechs Jahre MinisterunddreiJahre Kammerpräsidentundist nicht gekauft, nicht eineinzigesarmes Malbestochenworden. Staunend blicktenaufihndie Parteigenosfen,staunend schaute auchaus anderenLagerndieehrenwerthe Magnatenschastzusolchemsonderbaren Schwärmerempor. L’incorrup- tible war er,der zu der Rolle einesRobespierredochgarnichtdasZeug hatte;undein unlösbares Räthselschien,was erdenneigentlichaufder politischenGaleerewolle,daNiemand ihn doch jebei derZuckerbüchse,den PökeltonnennochanderSchatnlledesZahlmeisterssah. Jst solcheGene- siseines übersGrabfortwirkendenLebensruhmes nicht allerliebstundbe- leuchtet sie nichtmitgrellem Scheineines ganzen SumpflandesKultur?
UeberdenDurchschnittsliberalenSzilagyi, denVerfassungwächterund Pfaffenbefehder,durfteman schweigen;derMann, derberühmtwurde, weilerkeinfeiler Schuftwar,mußteerwähntwerden. Auf seinenGrab- stein hatdasritterliche TransleithanieninhymnischerHochstimmungeine unvergeßbareSelbstanzeige geschrieben.Wieleichtwäre dem Gattender- Donna LinaBarbagallodaspolitischeLebengeworden,wenn seineWiege, stattinRibera,inDebreezin gestandenhätte!Jm ItaliendesPanamino wurdeihmdie,,moralischeFrage« gestellt; seinem Jdealwäre das Land reif gewesen,woeinMinister angestaunt wurde,weilernicht stahl.
si- -s-
di-
VorüberistdasalteJahr!
Obs fröhlichDir,obstraurig war, ObDugeweint,obDugelacht, ObDugeschlummert,obgemacht, ObDudieZeit geniitzet hast Odervergeudetundverpraßt,
ToteMänner-. 303
DasJahr, daseinst so langDir schien, Vorüberranscht’es,hin ist hin:
Vorüber,voriiberl
Vonwemist dieseerbaulicheStrophe?Stammt sieausdemgläubigen GemiitheinesDorfpfarrers?HateinKanzleirath,eingreiserKüster sieder Enkelin in dasvomWeihnachtmann gebrachteStammbuchgeschrieben,auf dasersteBlatt gleichhinterdemrothen Peluchedeckel?Nein: derMann, derdieseFibelverse ersonnenundveröffentlichthat, hießRobert Bosseund war siebenJahre lang preußischerKultusminister, sieben langeJahrein PreußenvonAmteswegen derhöchsteWahrerderKunst,dervom Staate KantsandieersteStelleberufeneVertreter wissenschaftlichenGeistes.Banale Gedankenschlechtzureimen, istkeinVerbrechen;wenn aberHeinrichvon Mühler verhöhnt ward,weil er, einKultusminister,alsDichter flotter KneipliederdasKommersbuch zierte,dannsollteman dochauchfragen,ob fürRobert Bofse solcheReimereinicht noch charakteristischerwar alsfür seinen VorgängerderSangvonderwunderlichaussehendenStraße.Die Antwortkannnichtzweifelhaftsein.Daß ein denerstenGelehrten undKünst- lcrnamtlich vorgesetzterMann,derimStreit ernsterundfröhlicherWissen- schaftdasosfiziellentscheidendeWort zusprechenhatte, dieseVersedrucken ließ, zeigteinenMangelankritischerKraft,derinseinemWirkenVieles verständlich,Allesentfchuldbarmacht.HerrvonBoetticher,derklugimmer bemühtwar,möglichstvieleRcssortsunterdieScheinherrschaftdankbarer KinderseinerGunstzubringen, hatte,alserderbismärckischenKontrole ledig war,Bosse, seinenUnterstaatssekretär,erstzumChefdesReichsjustizamtes, dann zumpreußischenKultusministerbefördert.UndBosseblieb dankbar:er entwarfdasberühmteAttest,das desVegünstigersministeriellesLebenfristete.
EinenDienstaberhattederMächtigedem treuenManne nicht erwiesen.
VossewarzumMinisterialdirektor geboren;erdurfteniemehrwerdenals llnterstaatssekretär,nie zuselbständigerLeistungverpflichtetsein.Er ge- hörterdentüchtigenundbescheidenenSubalterngeistern,die Alleskönnen, wenneinhöhererWilleihnendieRichtung weist,undderenExcellenzBismarck einmalmitdem Spottwort geprägthat: »Sie stellensichjedenMorgenvorden SpiegelundwundernsicheineWeile, daß siewirklichMinister find.«Bei BossefingdasWundern wohl schonimReichsjustizamtan.Erhatte esim Justizdienstbis-zumAssessorgebracht,wardannin denVerwaltungbereich übergetretenundsolltenun,dreißigJahrenach seinemScheidenausjuristi- scherThätigkeit,derReichsjustizHüterseinund derKommissionvorsitzen,
304 DieZukunft.
derdieAusarbeitungeinesEntwurfeszumBürgerlichenGesetzbuchübers- tragenwar. AlsersichdortvierzehnMonategewundert hatte,wurdeer Kul- tusminister.Daswarim altenPreußenRodbertus gewesen;inzwischenaber hatteman sichanderSpreeindieSittedesFigaroreichesgewöhntund ein- sehengelernt,daßdieStelle,dieeinen Rechnerfordert,einemTänzeranver- trautwerdenmuß.DieNekrologikerderPresse haben gesagt,dasAmtdes preußischenKultusministerssei»schwierigundundankbar«. Gewiß,wenn derMinister sichbegnügt,Privatdozenteneinemanuifitorengerichtzuun- terwerfen,eines sterbendenGlaubensAgoniemitstimnlirendenMitteln künst- lichzuverlängernunddiePolen durchunwirksameVerfügungenzuärgern.
Erstens istdie ArbeiteinesMinistersheutzutage überhauptleichterund mit geringeremTalentzuleistenals die des LiitersgroßerGeschäfte;undzwei- tenskanngeradederKultusministerinPreußen,auf fast nochUnbebautem Boden,in kaumbegrenzterFülleNützlichesschaffen.Er kann derbedächtige ExponentmodernerWeltanschauung sein,dielähmendeHeucheleibannen,die einevonkeinemHandelndenbekannteSittlichkeitals eindieGeisterbindendes Dogma aufrecht erhältundder demStaatgefährlichenSozialkritikdie brei- teste Angriffsfliichebietet;erkannvom RedenzumThun endlichdieBrücke schlagen.RobertBossewarsiebenJahre lang Kultusminister. Erhatdie Umsturzvorlage unterschrieben, HerrnLeo Arons aus derDozentenstelle gejagtundHerrnKarlFrenzelalsberufenen NachfolgerLessingsgepriesen.
Sonst istüber dengutniiithigenMann nichtszusagen. Jm September 1899hörteerauf, Ministerzusein.Warum schondamals? Warum da- mals erst?»NnrHeliosvermagszusagen,deralleserische bescheint.«
:E«. Tit
Dis
WarumMinisterkommen undgehen:dieFrage gehörtnichtzudenen,anf die desUnterthanen beschränkterVerstandAntwort zuheischenhat.Diesetrö- stendeGewißheithatebenunswiedereinVorgangerneut,dessenSchauplatzdie wunderschöneStadt Straßburgwar. Dasaß seit JahrzehnteneinMann ausdempolitisch begabten GeschlechteDerervonPuttkamer. Ertrugden TiteleinesStaatssekrctärs, regirte aber,daseitManteuffels Scheidendie Statthaltersichmit derErfüllung repräsentativerPflichtenbegnügten,fast selbständigdasReichsland.Ein erobertesLand,demvomSiegereineRegi- rung aufgezwungenwar. UnddieserLeiter derGeschäfteeinesannektirten GebieteshattesichinsolchemMaßedenRufeinesfähigenFörderersder
ToteMänner- 305
Landesinteressenerworben,dieZufriedenheitmit den neuen, früherunter lautemMurren ertragenen Zuständenso gemehrt, daßbeinahealleParteien inihmdenVertrauensmann sahen.Einem auf so schwierigem Posten bewährtenManne pflegtman erst,wenn er völlig verbraucht zist, dieRuhedesEntamteten zugönnen.Herrvon Puttkamerwurdedurchbe- fehlendausgedrücktenWunschzurEinreichungdesAbschiedsgesuchesgenö- thigt.Warum? Ersoll inUngnade gefallensein.DerGunstdesMonarchen durfteer, wieEingeweihteinMetzwußten,sichschonlängstnichtmehrfreuen, alsdieHerrenHohenloheund KöllerdiehistorischeEilfahrt nachBerlinan- traten. Trotzdemwar ihmdasErbeBoettichersundSchellings angeboten worden. Jetzt, plötzlich,mußteerdieThätigkeitlassen,anderermit allen Lebensfasernhing,undseinNachfolger ist Herr Ernst MathiasvonKöller.
Welches Glück,daßdemBürgerdieSorgeerspart bleibt, nachden Gründen zuforschen,die einerhochwohllöblichenRegirungweisesWalten bestimmen!
Wer imKreise preußischerBeamtenUmschau gehaltenunddenfürdiekom- plizirten VerhältnissedesReichslandes ungeeignetsten gesuchthätte,Der hätte wahrscheinlichdenNamen desHerrnvonKöllergenannt. Erhätte gröblich geirrt;denn der neue HerrüberStraßburgundUmgegend sagt ja selbst,daßerfürdiegestellteAusgabebessertaugtalsirgendein An- derer· DurchdasMedium desBerliner Lokalanzeigershaterder deut- schenMenschheitdiesenTrostübermittelt. Er war,sagter, inSchleswig- Holsteinhöchstbeliebt— so gut, sagter,wirdsauchjedem Nachfolgerer- gehen,derenergischauftrittunddenGeistKöllers fortwirken läßt— und ist schonjetztinElsaß-Lothringennichtminderbeliebt. Natürlich;dennrr wardortUnterstaatssekretärundhatdasLand mit dem»liberalstenGesetz, dassiedorthaben«,beschenkt.Er? NichtHol)enlohe, nicht Puttkamer, vonderenWeisungerdochganzabhängigwar? Sogenaumußmans nicht nehmen.Herrvon Köller·wird garargverkannt. Vierdunkle Männer, sagter,hetzendie ganzePressegegen ihn,derfürdieAuf- gabendesPublizisten doch »Wohlwollenund Verständniß« hat. Ließ erbeim kielerKanalfestdieZeitungschreiber nicht reichlich fütternund mitSektcheckbüchernausstattenP Hater nichteinenHerrn,derauch Puttkamerhieß,demHerausgeberder»Zukunft«insHaus geschicktund diesemBösewicht,fallserdenMinisterdesJnnern nicht mehr angriffe,
»wichtigeNachrichten«aus demMinisteriumanbietenlassen?Das sagt erzwarnicht;abererkönnteessagen.MitgrößeremRechtalsdieun-
freundlichen,allengutenUeberlieferungen preußischenBeamtenthumes
306 DieZukunft.
widersprechendenWorte,in denenseinalterGrollgegen denihm früher vorgesetzten-HerrnvonPuttkamer endlichzuunverhülltemAusdruckkommt, und als dieSätze,dieseineliterarischeBildungvorAnfechtungschützensollen.
Erist—immerauanstigationeines dervierKöllerhasser—gescholtenwor- den,weilerKellersNovelle»RomeoundJulie aufdemDorfe«einesozial- demokratischeHetzschriftgenannt habe.Sosagter; undfügthinzu: »Alsob dieHerrenirgendwieimZweifeldarüberwären, daßichnichtvonderNovelle, sondernvoneinerihnen sehrwohlbekanntenTendenzschristsprach,derenVer- sasserlediglichdenkellerischenTitelsich angeeignet hatte!«Schade, daßein Mann vonsovielenGraden einso schlechtesGedächtnißhat.Die,,Ten- denzschrift«,von dererimJanuar1895 imReichstag sprach, trug nicht den TitelderMeisternovelle Gottfrieds Keller, sondern hieß:»Haßund Liebe.«HerrvonKöllerhatdamals selbstdenTitelgenannt,aberverschwiegen, daßessichumeineplump proletarifirende BearbeitungderNovelleKellers handelte.Jch habe, ohneBeihilfeeines dervierVermummten, denJrrthum entdeckt undnachgewiesen,daßdieDarstellung,die derMinister voanhalt undFormderGeschichtegab,inallenfünfalsentscheidendangeführten PunktenfalschwarunddaßerdiedrängendeNothwendigkeiteinerVerschär- fungderStrafgesetzemit demHinweisaufeinharmlosesMachwerkbegründet hatte,in demjeder einigermaßenLiteraturkundigenachdenerstenSeiten eine BerstümperungderNovelledesgroßenSchweizerserkennenmußte.Gott- friedvonZürichhätteihmdenSeldwylerstreich lächelndvergeben.Unddaß in derStadteinesanderenGottfried geradeernun dieHochkulturgermani- schenGeistesgegenFranzenfirlefanzvertreten soll, istebenSchicksalsfügung und alssolchedemMenschenermessenentrückt. DerKaiser sah ihnungernaus demMinisterium scheiden,hättelieberzweiStaatssekretariateundeinMini- steriumneubesetzt,wirdihnaberjetztnichtnachBerlinzurückrufen.DerSieg überBronsartGCo. wardlängstverwirkt.»Ich schreib’ihnzu den Toten.«
se di-
IX-
Jn ihren bleichenSchemenreigen gehörtauch derMann, dessenRed- nereiwährendderletztenWocheneinsolautes Echoweckte:Graf Alsred Waldersee,General-Feldmarschall,RitterderhöchsteneuropäischenOrden.
AucheinVerkannter, auch Einer,derseine Thaten nicht scheudemgierigen Blick derGaffer verbirgt.EreinHyperkonservativervonderschwarzen Talarsärbung?Eristin seinesHerzensSchrein nationalliberal, schwärmt
ToteMänner. 307 für ExportpolitikundbringtHandelundWandel eben»sovielWohlwollen undVerständnißentgegenwie dernichtminderliberaleHerrvonKöller dem Zeitungwesen.Beide inStraßburgvereint:eswäre zuschöngewesen;viel- leichtsollesnochsein,wennderLangenburgerzumVerschnaufenZeit gehabt hat.Oder ist auchdieBehauptung nicht wahr, Graf Waldersee wünsche, Statthalterzu werden? Nicht wahr, trotzdem unbescholteneMänner be- schwörenwollen, sie hättendieses WunschesAusdruck von denLippendes Marschalls gehört?Dem armen Grafenwird sovielFalsches nach- gesagt,vonLeutensogar,denenmans eigentlichnicht zutrauen sollte.Bis- marckerzählte,derNachfolgerMoltkes habesichausParisgeheimediplo- matischeBerichteschickenlassen,dieerdemKönig vorlegte,unddamitin denMachtbereichdesKanzlers eingegriffen,derihnviaClausewitzin die SchrankendesMilitärressorts zurückweisenmußte.UndBismarcks Freunde behaupteten steifundfest,von demselbenStrategen stammedas Wortüber Seiner MajeftätglorreichenAhnherrn,der demVolk nieFrie- richderGroße gewordenwäre,wenn er einesMinisters Allmachtge- duldethätte.Allesnicht wahr,Allesleichtfertig erfunden.Graf Alfred Waldersee isteinbiderber Haudegen,dersichum Politikniebeküm- mert hat.Alser demFreiherrnWilhelmvonHammerstein,derda- malsChefredakteurderKreuzzeitungwar, Geldlieh-und demausdem Tausch-Prozeßbekannten HerrnNormann-Schumann Geld schenkte, thatersnichtetwa,um in derpolitischenPresse Dienstleutezuhaben, son- dernnachdemGebotmitleidiger Nächstenliebe;undeswar nur Zufall, daßgeradediesoreichlichbedachtenSchreiberihrenPatron auch fürpolitische Retterthaten empfahlen. NichteinmaldieergötzlichenReden, derenWortlaut dererprobteStenographdes W.T. B.auf seinenEidnehmen will, hatder Feldmarschallgehalten.AnseineSohlen heftetsichdasVerhängniß Lange wollteernurSoldatsein,nichts als Soldat. Nach Chinaaberkamerzuspät, umdieGesandten befreienzukönnen,undfand militärischnichts mehrzu thun;denninChinaist,mögenauchnochsovieleMünchhausenmärchenherum- getragen werden, seitdenTagenvonTakuundPeking überhauptnichtmehr ernsthaft gekämpftworden. Nunhießes, derarme Waldersee habe sein— nochin keinemKriege bewährtes—Strategengeniezwarauchdiesmalnicht zuzeigenvermocht,sichaberals einenDiploinaten ersten Range-s erwiesen.
EindiplomatischerVertreter desDeutschen Reiches,HerrMumin von Schwarzenstein,wardemKreuzfahrerheer vorangeeilt;wenn man aber fragte,warum unter solchenUmständenderMumm derHitzeausgesetztund