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Technik und Kultur : Zeitschrift des Verbandes Deutscher Diplom-Ingenieure, Jg. 20, H. 10

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Technik und Kultur

□ □

E J O

Z E I T S C H R I F T D E S V E R B A N D E S D E U T S C H E R D I P L O M - I N G E N I E U R E

□ 0

□ □

S c h r if tle ite r : © i p l.- O tig . K . F . S t e i n m e tjz

H E F T 10 B E R L I N , 15. O K T O B E R 1929 2 0 . J A H R G A N G

O b e r-R e g .-R a t P r o fe s s o r

Cr.Cwg. S . f>.

K A R L O . H A R T M A N N ,

H eid elb erg:

G E I S T E S W I S S E N S C H A F T L I C H E G R U N D L A G E N I M F O R S C H U N G S - U N D L E H R G E B I E T D E R

T E C H N I S C H E N H O C H S C H U L E N F orschung und Lehre sind die Aufgaben der

Hochschulen. Die Universitäten übernehmen sie in der Gesamtheit der Wissenschaften, die Tech­

nischen Hochschulen in der Technik. Unter „T e c h - n i k“ pflegt man im allgemeinen die planmäßige Be­

wältigung und Ausnützung der Natur für die Zwecke des Menschen, für die Wohlfahrt der Gemeinschaft und des einzelnen zu verstehen. Ihre Aufgabe ist Förderung, Gestaltung, Energieumwandlung, Stoff­

umwandlung und in weiterem Sinn auch Abwehr der Angriffe elementarer Naturkräfte auf den Menschen und seine Werke.

Die Geschichte lehrt uns, daß die Technik schon in ihrer einfachsten Form, auf der Stufe der schöpfe­

rischen Handarbeit, die Grundlage bildet für alle materielle, gesellschaftliche und sittliche Entwicklung der Menschheit. Sie bildet auch die Grundlage der Wissenschaft; denn alle Wissenschaft begann mit der Anwendung. Das Zählen und Rechnen entstand aus der Deckung der Bedürfnisse des täglichen Lebens, die Geometrie aus denen der Landwirtschaft. Berg­

leute begründeten die Geologie, Hüttenmänner und Färber die Chemie usw. Wir können diesen Vor­

gang bis in unsere Tage verfolgen. Wissenschaft und Technik stehen in engster Wechselwirkung zuein­

ander. Sie bedingen und befruchten sich gegenseitig.

Der Wert und die Bedeutung der Wissenschaft für die Technik beruhen auf dem Umfang und der Sicher­

heit, mit der sie künftige Geschehnisse vorauszusehen ermöglicht. Sie erreicht dieses ursprünglich durch die Entdeckung, Einsicht und Erfahrung, daß in der Natur sich gewisse Erscheinungen oder Verhältnisse wiederholen, sobald gewisse Voraussetzungen gegeben sind, daß die Naturvorgänge sich unter einer be­

stimmten Gesetzmäßigkeit vollziehen. Auf dem Um­

stande, daß die Kenntnis der Naturgesetze im Laufe der Zeit immer mannigfaltiger und umfassender wird, beruht die Entwicklung der Wissenschaft. Sie macht uns immer freier, selbständiger, unabhängiger gegen­

über den Gesetzen und Einflüssen der Natur. Auch die Geschichte, der Ablauf der Geschehnisse, erhält ihren großen Wert dadurch, daß sie uns aus der Kenntnis der Vergangenheit Richtlinien entnehmen läßt für unser Verhalten in der Gegenwart.

Die hier etwa erhobene Einwendung, die Wissen­

schaft sei nicht etwa wegen ihres Nutzens, sondern um ihrer selbst willen zu pflegen, hält ernsthaften Erwägungen gegenüber nicht stand. Darüber kann gar kein Zweifel bestehen, daß wir auch in der Pflege der Wissenschaften alles nur um u n s e r e r selbst willen tun. Denn jede Tat, auch die scheinbar selbst­

loseste, ist ein Willensakt, der seinen Weg durch unser Selbst nehmen muß, in und durch uns auf den Erfolg beurteilt wird und dementsprechend zum Voll­

zug gelangt oder abgelehnt wird.

Die Wissenschaft gibt uns schon seit ihren ersten Anfängen bei den primitiven Völkern in den Er­

fahrungen der Jagd, des Fischfanges, der Zähmung von Tieren, dem Anbau von Früchten, der Her­

stellung von Gefäßen, Wohnungen, Werkzeugen usw.

einen Reichtum für das Leben, der auch in seiner sozialen Bedeutung von keiner anderen Errungen­

schaft übertroffen werden kann. Deshalb hat auch die Menschheit, haben die Völker, die Volksgemein­

schaften, die Staaten das höchste Interesse an ihrer Entwicklung.

Den Weg zur Förderung der Wissenschaft er­

schließt uns die F o r s c h u n g . Sie ermittelt mit Hilfe sorgfältigster Beobachtungsmethoden die gesetz­

mäßigen Zusammenhänge zwischen Voraussetzung und Erscheinung, zwischen Ursache und Wirkung und erläutert die Entwicklungsformen des Entstehens, Werdens, Seins und Vergehens der Dinge, die in Raum und Zeit von uns wahrgenommen werden. Aus den in einer bestimmten Sache gewonnenen Erkennt­

nissen entsteht das Wissen; aus dem Inbegriff von Erkenntnissen, die sich auf ein umgrenztes Gegen­

standsgebiet beziehen, nach festen Grundsätzen ein­

heitlich geordnet und miteinander zu einem folge­

richtig aufgebauten System verknüpft sind, entsteht die Wissenschaft.

Solange das Wissen sich auf den Einzelmenschen beschränkt, bleibt es persönlich und ist sterblich wie dieser. Sobald es anderen, den Gliedern einer Ge­

meinschaft mitgeteilt wird, bleibt es als deren Besitz­

tum erhalten. Nur durch den Untergang der Gemein­

schaft kann es zerstört werden. Um ihm eine un­

begrenzte oder, besser gesagt, eine für das Dasein

(2)

178 K . 0 . H a r t m a n n : Geisteswissenschaftliche Grundlagen T echnik u. K u ltu r

d es M en sch en g esc h le ch ts b e r e c h n e te D a u er zu geb en , ist es n o tw en d ig , das vo n den e in z e ln e n F o rsch ern erw o rb en e W issen in ein e r so lc h e n W eise m itte ilb a r zu m ach en und m itz u te ile n , daß d ie gan ze M en sch ­ h e it je d e r z e it v o n ih r K e n n tn is n eh m en k ann . D ieses g esc h ie h t d urch d ie L e h r e und d urch d ie V e r ­ ö ffe n tlic h u n g der in d er F o rsch u n g g ew o n n e n e n E r­

g eb n isse.

D u rch den A u sta u sch der v o n d en ein z eln en F o r ­ sch ern er w o rb en en E in sich te n und E r k e n n tn isse, d urch d eren Sam m lu ng und E in b au in das System ein e r W issen sch a ft, er fä h r t d iese e in e u n g e m e in e B e ­

re ic h e ru n g und ein e n o ft bis in s k le in ste durch- g efü h r te n , in sich g esch lo sse n e n G efü g eb a u . ,

D ie W issen sch a ft g ew in n t n ich t nur ein e h o h e a ll­

g em e in e , son d ern au ch ein e gro ß e so zia le B e d e u tu n g d adu rch, daß ih re E r ru n g e n sch a ften der gan zen G e­

se llsc h a ft zu g u te k o m m en und d eren L e b e n sg esta ltu n g b efr u c h te n . D ie se B e d e u tu n g w äch st in dem G rade, w ie es der F o rsch u n g g elin g t, ein e rse its d ie te c h ­ n isch en , fü r uns v er w er tb a re n M ö g lich k e iten , d ie in u n serem V erh ä ltn is zur N atu r n o ch v e r ste c k t sind, a u fz u d e c k e n und a n d erseits d ie E rg eb n isse der E in z elfo rsch u n g in ein e au f an d ere, n a m en tlich auch au f d ie A llg e m e in h e it ü b ertragb are F orm zu b rin gen .

D aß h ie r fü r d ie S p rach e des tä g lich en L eb en s sehr v ie le U n v o llk o m m e n h e ite n a u fw eist, m a ch t sich so ­ w o h l d en e r n sth a ften F o rsc h e rn w ie au ch d en d eren W issen a u fn eh m e n d en P e r sö n lic h k e ite n b ald b em er k ­ bar, und zw ar se lb st dann, w en n d iese in ih rem a ll­

g em ein en E r k e n n tn isv e rm ö g en au f ein e r v er h ä ltn is­

m äß ig h o h en S tu fe steh en . V ie lfa c h m uß d ie W issen ­ sc h a ft ih re e ig e n e S p rach e sc h a ffe n — d en k en w ir an d ie M ath em atik und an d ie C hem ie. A u fg a b e der G e se llsc h a ft, d ie in m ö g lic h st w e ite m U m fa n g an den E r ru n g e n sch a ften der W issen sch a ft teilh a b e n w ill, ist es dann, d afü r S orge zu tragen , daß ein e m m ö g lic h st g ro ß en K reis ih rer M itg lied er das V erstä n d n is der S p rach e der W issen sch a ften er sc h lo ssen w ird . —

W ir m u ß te n uns d iese G r u n d v o rstellu n g en und G e­

d a n k en g ä n g e in E rin n eru n g b rin g en , um ein e n E in ­ b lick in d ie V o ra u sse tz u n g en und G ru n d legu n gen zu g ew in n en , a u f d en en d ie H o c h sc h u le a u fzu b au en hat, w en n sie d ie A u fn a h m esu ch en d e n in d ie ein z eln en W issen sch a ften m it E r fo lg e in fü h r e n soll.

Im V o rd erg ru n d der ak a d em isch en F orsch u n g ste h t, d urch das gan ze V er h ä ltn is d es M en sch en zu sein er U m w e lt b ed in g t, d ie N a t u r w i s s e n ­ s c h a f t . D ie se b e fa ß t sich m it der B e sch re ib u n g der M a n n ig fa ltig k eit und O rdnung der M aterie im Raum und in der Z eit. A us ih r g eh t d ie N a tu rg e sch ic h te h ervor. W eite rh in su ch t d ie N a tu rw issen sch a ft die E n tw ick lu n g und G e setzm ä ß ig k e it der E rsch ein u n gen d er M aterie zu erk en n en ; sie e r m itte lt so d ie N a tu r­

th e o rie . S ch ließ lic h fü h rt sie d ie M a n n ig fa ltig k eit u nd O rdnung der M aterie au f d ie ab strak t erk a n n ten G e setze zu rü ck d urch d ie N a tu rerk lä ru n g . N a tu r­

b esc h r eib u n g , N a tu re rk en n tn is und N atu rerk läru n g sin d im w e se n tlic h e n d ie M eth o d en , w e lc h e d ie N a tu r ­ fo rsc h u n g im gan zen w ie in d en e in z e ln e n T e il­

g e b ie te n b e fo lg t.

M it den E rg eb n issen der N a tu rw issen sch a ft b e ­ g rü n d et u nd b e fr u c h te t d ie G e m e in sch a ft, d ie G e se ll­

sc h a ft, ih re L e b e n sg esta ltu n g , ih re K u ltu r. D as v ie l­

g eb ra u ch te -— und le id e r v ie l m iß b ra u ch te -t— W ort

K u ltu r b e z e ic h n e t im u rsp rü n g lich en S inn A n b au , L a n d w ir tsch a ft, U rb arm ach u n g, w e ite r h in V e r e d e lu n g des M en sch en d urch E n tfa ltu n g se in e r A n la g en . Im p h ilo so p h isc h e n und h isto r isc h e n S p rach geb rau ch b e ­ d e u te t K u ltu r d ie e in h e itlic h e n , d u r c h g e b ild e te n und a u sg ep rä g ten E ig e n tü m lic h k e ite n in d en L e b e n s­

äu ß eru n gen , d en Z w e ck h a n d lu n g en ein e s V o lk e s. Es ist in d essen h ö ch ste m I n te r e sse g e le g e n , d iese Z w eck ­ h an d lu n gen in ih ren U rsa c h e n , d en e ig en en A n lagen und D a sein sb ed in g u n g en zu erg rü n d en und sie zu p lan m äß iger, sin n v o ller L e b e n sfü h r u n g in ein e n wohl- g e o r d n e te n w isse n sc h a ftlic h e n Z u sam m en h an g zu b rin gen .

D ie se A u fg a b e ü b ern im m t d ie K u l t u r w i s s e n ­ s c h a f t . S ie h ält ä h n lich e F o rsc h u n g sm e th o d e n ein w ie d ie N a tu rw issen sch a ft. D ie K u ltu r w issen sc h a ft b e sc h r eib t d ie S c h ö p fu n g en und D a sein sfo rm en des M ensch en in ih rer ä u ß e rlic h e n , in R aum und Z eit b estim m b aren O rdnung (K u ltu rg e sch ic h te). Sie e r ­ k en n t d ie E n tste h u n g und E n tw ick lu n g der K u ltu r­

le istu n g e n als T ä tig k e ite n des W illen s ih rer U rh eb er u nd als W irk u n g der aus der E ig e n g e se tz lic h k e it ihrer V eran lagu n g sich erg eb en d e n G ru n d sätze u nd R egeln (K u ltu rth e o rie). S ch ließ lic h erk lä rt d ie K u ltu rw issen ­ sc h a ft aus d ieser E ig e n g e se tz lic h k e it d ie k u ltu r­

h isto risc h e n T a tsa ch en (K u ltu rerk lä ru n g ).

D ie E r k e n n tn isse, aus d en en d ie N atu r- und die K u ltu r w issen sc h a ft ihr L e h r g eb ä u d e errich ten , k ö n n en nur dann als w isse n sc h a ftlic h g e w e r te t und w a h rh aft fru ch tb ar w erd en , w en n sie in ih rem System fo lg e r ic h tig und re stlo s bis zu E n d e, b is zu ihren u n tersten G ru n d lagen d u rch g ed a ch t w er d e n . D ie N a tu rfo rsch u n g hat g ew isse a llg e m e in e G rundlagen zur V o ra u ssetzu n g , d ie das Z u sta n d ek o m m en ein e s E r­

k en n tn iszu sa m m en h a n g es erst er m ö g lic h e n , d. i. eine S um m e von re in en B e g r iffe n und o rd n en d e n G rund­

sätzen , d ie tra n szen d en t v o r o d er ü b er d er d urch die F o rsch u n g zu g ew in n en d e n E rfa h ru n g lie g e n m üssen.

O hne G ru n d b eg r iffe und d eren O rdn un g k e in e Er­

k en n tn is. D ie u n te r ste n G ru n d lagen d er K u ltu r­

w isse n sc h a ft sin d d ie Ä u ß er u n g en d es m en sch lich en W illen s, der d er E r fü llu n g b estim m ter E rw artun gen (Z w ecke) zu stre b t. S ie sin d stets m it Ä u ß er u n g en des G efü h ls und zum m in d e ste n au ch m it T e ilv o rg ä n g en d er E r k e n n tn isb ild u n g (m it V o r ste llu n g e n ) v erb u n d en .

E rk en n en , F ü h le n und W o lle n sin d d ie E l e ­ m e n t a r v o r g ä n g e d e s m e n s c h l i c h e n G e i s t e s l e b e n s . A lle E r sc h e in u n g e n d er K u ltu r­

w elt er h a lte n ih ren S inn als so lc h e d er K u ltu r erst aus d er K e n n tn is ih rer E n tste h u n g , aus d er W irk u n g s­

w e ise , der E ig e n g e se tz lic h k e it d es m en sch lic h e n G eistes. H ie rin lie g t d ie g r u n d l e g e n d e B e ­ d e u t u n g d e r G e i s t e s w i s s e n s c h a f t e n fü r d ie F o rsch u n g und L e h r e in d en K u ltu r w isse n ­ sc h a fte n u nd, da d ie T e ch n ik e in e o rg a n isc h e T e il­

er sc h e in u n g d er K u ltu r e n tw ic k lu n g b ild e t, fü r die F o rsch u n g und L e h r e in d en g esa m ten tec h n isc h e n W issen sch a ften .

A u s d em gro ß en G e b ie t d er G e istesw isse n sc h a fte n sin d d rei T e ilg e b ie te fü r d ie G ru n d legu n gen u n d den A u fg a b e n k re is d er te c h n isc h e n W issen sch a ften vo n b eso n d e re r B e d e u tu n g : d ie E r k e n n tn isle h r e , die L o g ik und d ie P sy c h o lo g ie . D ie E r k e n n t n i s ­ l e h r e fra g t n ach d en E n tste h u n g sg rü n d en , d em U r ­ sp ru ng, d en B ed in g u n g e n , d em U m fa n g , der G eltu n g

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20 (1929) Nr. 10 K . 0 . H a r t m a n n : Geisteswissenschaftliche Grundlagen 179

und den Grenzen der Erkenntnis, als der näheren Be­

stimmung von Gegenständen der wissenschaftlichen Forschung und Lehre mit allgemeingültigen Merk­

malen. Sie steht in engem, wechselseitigem Zu­

sammenhang mit der L o g i k , die auch, wenn auch nicht ganz zutreffend, als Denklehre oder als Dia­

lektik (Kunst des logischen Disputierens) bezeichnet, von der neueren Philosophie aber mehr als eine Methodenlehre für die wissenschaftliche Forschung angesehen wird. Die Logik ist das Wissen von dem folgerichtigen, gesetzmäßigen Ablauf der Denk­

vorgänge zur Ermittlung wissenschaftlicher Erkennt­

nisse. Sie ist nicht nur grundlegender Teil der Geisteswissenschaften, sondern auch Einleitung und Führung für alle Wissenschaften. Auch um reine Naturwissenschaften wie Physik und Chemie erfolg­

reich zu studieren, muß man Logik verstehen oder zum mindesten bei Ermittlung und Aneignung der Wissensinhalte den gesetzmäßigen Ablauf der Ge­

dankengänge einhalten.

Die Fähigkeit des logischen Denkens ist jener ent­

wickelte Hauptbestandteil der geistigen Veranlagung der einzelnen Menschen, den man mit Verstand zu bezeichnen pflegt. Aus einer Summe von logischen Verstandeserkenntnissen geht die Vernunft hervor.

Diese vereinigt die Erkenntnisse hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der Zweckdienlichkeit des eigenen Wollens und Handelns.

Ungleich wie alle Güter sind Verstand und Ver­

nunft, in ihrem Zusammengehen auch als Intellekt bezeichnet, unter die Menschheit verteilt; ungleich ist so das den einzelnen mit der Veranlagung ver­

liehene Rüstzeug, sich mit Verstand und Vernunft im Leben zurechtzufinden. Die einen werden selb­

ständige Persönlichkeiten; die anderen bedürfen der Führung.

Die P s y c h o l o g i e umfaßt die Gesamtheit der geistigen Tätigkeiten und seelischen Zustände des Menschen, also auch das für sein Verhalten bedeu­

tungsvollere und wirksamere Gefühls- und Willens­

leben. Spranger sieht in der Psychologie die Wissen­

schaft vom sinnerfüllten (inhaltserfaßten) Erleben.

Sie ist eine beschreibende, nicht normgehende Wissen­

schaft. Ihre Erkenntnisse ermittelt die Psychologie aus der Beobachtung der Einwirkungen des Geistes auf die Lebensäußerungen seines Trägers in den Einzelpersonen und den Gemeinschaften, da nur aus diesen die Eigengesetzlichkeit geistiger Zustände und Tätigkeiten und die Art des Erlebens (Innewerdens) äußerer Vorgänge objektiv bestimmt werden kann.

Die Psychologie bildet schon seit langem eine an­

erkannte Wissenschaft im Studiengang und der Lebensbetätigung solcher Personen, die mit der Ein­

flußnahme auf die Menschen, mit ihrer Behandlung und der Verwaltung ihrer Angelegenheiten zu tun haben, das ist bei Lehrern, Richtern, Verwaltungs­

beamten, Ärzten usw. Ihre Feststellungen lassen er­

kennen, daß die Mannigfaltigkeit, in der die Grund­

kräfte der Natur von Urbeginn an sich auswirken, auch in den Geisteskräften zur Geltung kommt. Wohl zeigen die Funktionen des Verstandes, der Denk­

fähigkeit, ganz allgemein eine große Übereinstim­

mung. Dieser steht aber eine um so vielseitigere Gliederung des Willens gegenüber. Aus ihr geht die große Verschiedenartigkeit des Interesses und der

Einstellung der einzelnen Menschen zu den Tätig­

keiten in der Natur oder an den Menschen unter sich hervor. Sie bestimmt die Einzelbefähigungen für die Ausübung der Künste und der Technik und in letzter Linie die Eignung für bestimmte Berufe. So wird die Psychologie zu einer Wissenschaft von dem Ein­

satz an Geistes- und Willenskräften, den einzelne Menschen oder eine Gruppe, eine Gemeinschaft, ein Volk aufzubringen vermögen für die verschiedenen Berufstätigkeiten.

Damit tritt die Psychologie in den unmittelbaren Interessenkreis unseres wirtschaftlichen, sozialen und nationalen Lebens. Unter der Gesamtbezeichnung A n g e w a n d t e P s y c h o l o g i e hat sich eine ganze Anzahl von Sonderzweigen ausgebildet, u. a.

die Psychologie des Kindes-, des Jugend-, des R eife­

alters, die Individual-, Völker-, Wirtschafts-, Rechts-, Arbeits-Psychologie usw. Ganz in den Dienst der Wirtschaft stellt sich die P s y c h o t e c h n i k . Diese leitet aus psychologischen Einsichten Maßnahmen ah zu bestmöglicher Verwendung und Erhaltung der Arbeitskräfte. Sie übernimmt die Feststellung der psychischen Berufsanforderungen, die Analyse der menschlichen Arbeit, der Arbeitsbewegungen, des Arbeitserlebnisses. Weiterhin übernimmt die Psycho­

technik die Ermittlung der Anlagen und Fähigkeiten des Berufsanwärters, der psychischen Einwirkungen der Umwelt, der Isolier- und Gruppenarbeit, der Er­

müdungszustände auf die Arbeitsleistung u. dgl. m.

Dadurch wird die Psychotechnik zur Grundlage einer sachgemäß durchgeführten, des Charakters der Zu­

fälligkeit und Systemlosigkeit entkleideten B e r u f s ­ b e r a t u n g . Diese begünstigt und sichert eine treffende B e r u f s w a h l , die nicht nur eine der Schicksalsfragen im Lehen der einzelnen Menschen ist, sondern auch zu einer Schicksalsfrage für unsere Gesamtwirtschaft werden kann. Mehr denn je ist diese darauf angewiesen, eine bestmögliche Verteilung der verfügbaren Arbeitskräfte auf die verschiedenen Berufe vorzunehmen, so daß jeder einzelne dem­

jenigen Berufsgebiet zugeführt wird, in dem er seine Anlagen und Kräfte am ergiebigsten zur Entfaltung bringen kann. Welche Bedeutung ernst durchgeführte psychotechnische Untersuchungen für die wirtschaft­

liche Erschließung bestimmter Landesteile durch Gründung geeigneter Gewerbezweige gewinnen kön­

nen, läßt sich an der Entwicklung einheimischer Industrien ermessen, die durch die besondere Ver­

anlagung der arbeitenden Bevölkerung bodenständig geworden sind.

Wir müßten diese knappen, sehr zusammenfassenden Gedankengänge noch weiter verfolgen, um die engen Kausalverbindungen der technischen Wissenschaften mit den Geisteswissenschaften völlig aufzuhellen. Sie würden auch die Technik selbst in einem noch strah­

lenderen Licht erscheinen lassen, als in jenem, das ihr durch ihre Stellung im Einzellehen und im wirt­

schaftlichen und nationalen Leben der Gesamtheit verliehen wird. Ihr Wesen hat wohl am treffendsten Max E y t h gekennzeichnet, indem er den deutschen Ingenieuren erklärte: „Technik ist alles, was dem menschlichen Wollen eine körperliche Form gibt.

Und da das menschliche Wollen mit dem mensch­

lichen Geist fast zusammenfällt und dieser eine Un­

endlichkeit von Lebensäußerungen und Lebensmög­

lichkeiten einschließt, «o hat auch die Technik, trotz

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180 W. v. P a s i n s k i : Von der Technik zur K u ltu r T echnik u. K u ltu r

ihres Gebundenseins an die stoffliche Welt, etwas von der Grenzenlosigkeit des reinen Geisteslebens überkommen.“ Dieses Bekenntnis Eyths, des aus­

gezeichneten Kenners und Philosophen der Technik, gibt gerade in unseren Tagen, in denen wir auf allen Gebieten einer Vertiefung unseres Wissens, einer Er­

gründung des Ursprungs und Werdens aller Dinge des Seins zustreben, einen Fingerzeig auf die hohe Bedeutung der geisteswissenschaftlichen Grundlagen in der Forschung und Lehre der Technischen Hoch­

schulen.

Der Ruhm der deutschen Hochschulen war von jeher beschlossen in der Qualität ihrer Leistungen an Forschung und Lehre. So werden auch fernerhin unsere Technischen Hochschulen vorwärtsschreiten in der Vertiefung der Forschung und in der Heran­

bildung bester Ingenieure und technischer Lehrer, die von einem hohen Standpunkt aus ihr Arbeitsfeld überschauen und als ebenso tiefblickende Persönlich­

keiten mitwirken an der Hebung des deutschen Volkes, dessen Gesundung und Wiedererstarkung die Sehnsucht unserer Zeit ist.

©ipl.^ng. WILHELM VOM PASINSKI, D ü sseldorf:

VON DER TECHNIK ZUR KULTUR

II Ein Beruf A ls vor zwei Jahrzehnten der Verband Deutscher Diplom-Ingenieure (VDDI) gegründet wurde, schwebte allen Gründern eine gefühlte Not­

wendigkeit dieser Gründung vor. Trotzdem war es schwer, diesem Fühlen einen sprachlichen Ausdruck zu verleihen, dieses Fühlen durch die Sprache in kurzen Worten zu übertragen. Natürlich wurden Zweck und Ziele der Gründung „formuliert“, aber wohl keinen befriedigte restlos die endlich gewonnene Fassung. Es gab noch etwas, was nicht auszudrücken war, was jeder fühlte, wußte und kannte, aber jede sprachliche Fassung war unmöglich. Und blieb auch unmöglich. Trotzdem wurde die Entwicklung vom Unterbewußtsein zielsicher gesteuert. Alles Ver­

fechten von Äußerlichkeiten, aller Kampf mit äußeren Widerständen hinderte nicht das sichere Fortschreiten auf dem Wege zum erkannten, inne­

wohnenden Ziel.

Wir mußten mit Worten kämpfen, um äußere An­

erkennung kämpfen und wurden demgemäß als

„Eigenbrötler“ und als „Titelverband“ bekämpft.

Wir selbst aber kämpften gegen Eigenbrötler (Bau­

meisterfrage) und suchten der Welt klarzumachen, daß der VDDI die gesamten Interessen des akademi­

schen Ingenieurstandes vertreten will. Damit traten uns andere Vereine entgegen. Ein Teil war industriell (zivilisatorisch) eingestellt und glaubte, Ingenieur­

interessen durch die Förderung der Beschäftigung mit rein fachlichen Dingen weit besser vertreten zu können. Ein anderer Teil war gewerkschaftlich ein­

gestellt und glaubte, die Interessen akademischer Ingenieure durch ausschließliche Betonung der Brot­

frage restlos zu erschöpfen. Beide Richtungen wurden nicht bekämpft, aber zielsicher vom VDDI abgelehnt, denn sie hatten mit der Aufgabe nichts zu tun, lagen daneben und boten keine Aussicht auf Lösung der gestellten Aufgabe.

Die grundverschiedene Auffassung trat besonders in der Behandlung der Hochschulfrage hervor. Hier ist es aktenkundig geworden, wieweit die Grund­

anschauungen voneinander abwichen. Während die andere Seite die Hochschulreform als eine industrie­

ähnliche Erweiterung auffaßte, sich, kurz gesagt, auf zivilisatorischem Gebiete bewegte, zeigen die Hoch­

schulreformvorschläge des VDDI das Bestreben der

* Vgl. „Technik und Kultur“ , 20 (1929), 99— 102.

*

ohne Raum

äußeren Konzentration und inneren Vertiefung des Studiums: Die Erreichung einer wissenschaftlichen Tiefe und höherer Einblick in Lebensvorgänge wird für das Studium wertvoller erachtet als industrielle Verbreiterung und Spezialisierung. Kurz gesagt streben die Hochschulreformvorschläge des VDDI einer K u l t u r h o c h s c h u l e zu, während die andere Seite Hochschulen zivilisatorischen Charakters erstrebt.

Immer deutlicher tritt aus dem Unbewußten die Aufgabe des VDDI hervor. Was man früher nicht in Worten ausdrücken konnte, heute kann man es schon andeuten, und bald wird man es auch jeder­

mann verständlich aussprechen können: D e r V D D I s u c h t d i e K u l t u r . Wie zielsicher aber aus dem Unbewußten gearbeitet worden ist, geht nicht nur aus der Ablehnung der fachtechnischen Richtung, der gewerkschaftlichen Richtung und der Art der Auf­

fassung der Hochschulfrage hervor, sondern auch aus dem Titel dieser Zeitschrift: „Technik und Kultur“.

Dieser Titel war mit einem Male da, war der Aus­

druck eines Strebens und stammt aus einer Zeit, in der wir uns alle dem Untergang näher glaubten als dem Aufbau zur Kultur. Wer aber da glaubt, daß dies alles Zufall sei, daß hier kein einheitlicher Wille des Unterbewußtseins vorliege, der sehe sich die Entwicklung großer Gedanken in der Mensch­

heitsgeschichte an, wie sie intuitiv erfaßt, sich langsam aus dem Unterbewußtsein wieder heraus­

arbeiten, um am Ende des Weges als Selbstverständ­

lichkeit jedem begreiflich zu erscheinen.

Tatsache ist, daß die ganze Ingenieurwelt danach strebt, daß ihr Gebiet, das man immer noch „Tech­

nik“ nennt, als Kulturgebiet nicht nur anerkannt wird — das wäre zu wenig gesagt, denn mit der Form ist hier gar nichts getan — , sondern als Kultur auch in unseren Bewußtseinsinhalt übergeht. Die Behauptungen, daß „Technik“ Kultur sei, sind zahl­

los, sie ist von den berufenen Sprechern C. W e i h e und C. M a t s c h o ß häufig in Wort und Schrift dar­

gelegt worden. G. v. H a n f f s t e n g e l leistete durch sein Werk: „Technisches Denken und Schaffen“

wesentliche Pionierarbeit, und Hermann W e i n -

r e i c h wollte durch sein Werk: „Bildungswerte der

Technik“ die Geisteskultur der „Technik“ gleichsam

beweisen.

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2 0 ( 1 9 2 9 ) N r . 1 0 W . v . P a s i n s k i : V o n d e r T e c h n i k z u r K u l t u r 1 8 1

D ies alles ist n o tw e n d ig , sonst w ü r d e es n ich t im m er w ie d e r g e ta n w e rd e n . A b e r w esh alb m u ß es getan w e r d e n ? W e s h a lb m üssen w ir im m e r w ie d e r betonen, was f ü r uns se lb stv e rstä n d lich ist?

W ir In g e n ie u re wissen, daß w ir ebenso G e is t e s ­ w issen sch aftler und K u l t u r t r ä g e r sind wie T h e o lo g e n , Juristen, M e d izin er und P h ilo lo g e n . W i r w issen es auch, daß die T ä tig k e it hei den G e r ich te n , die U n t e r ­ r ich tu n g der Jugend, die A u s ü b u n g der ä rz tlic h e n P ra x is eine ebenso z iv ilisa to risch e T ä t i g k e i t ist w ie die eines Ingenieurs in B u r e a u , B e t r i e b od er W e r k - leitu n g oder eines K a u f m a n n s in H a n d e l o d e r In­

dustrie. N un sagen w ir das aber m al ein em Juristen, P h ilo lo gen od er M e d izin er. S o f o r t w e r d e n w ir e n t ­ rüstet etwas v o n der hoh en, eth isch en V e r a n t w o r t u n g seiner T ä t i g k e i t e rzä h lt b e k o m m e n , und er w ird zu beweise n ve rsu ch e n , daß seine B e r u f s a r b e i t K u l t u r ­ arbeit ist und nicht mit der m ech a n isch e n T ä t ig k e it anderer B e r u f s a r t e n v e rw e c h s e lt od er g a r a u f eine S tu fe gestellt w e r d e n d arf. Das b ra u c h t m an nicht zu glauben, a be r er sagt es, w e il er es so ge le rn t hat. U n d er k a n n es sagen, w e il er den ö f f e n t lic h e n G lau b e n fü r sich hat.

Sagen w ir nun dasselbe dem ersten In ge n ie u r einer B rü ck e n h au firm a od er dem E r b a u e r ein er G r o ß k r a f t ­ anlage. B e id e w e r d e n es als selb stv e rstä n d lich finden, daß sie Z ivilisa tio n sa rb eit leiste n und nichts vo n hoh er ethisch er V e r a n t w o r t u n g und dem K u ltu r - träg ertum ih rer T ä t i g k e i t erzäh le n. V e r g le ic h e n w ir nun aber mal die V e r a n t w o r t u n g eines R ic h te rs m it der eines dieser In ge n ie u re ! W ü r d e n B r ü c k e n , K r a n e , T ü r m e un d K r a f t a n la g e n nich t m it pe in lich e r Sorgfalt und sta rke m V e r a n t w o r t u n g s b e w u ß t s e in g e ­ baut, so w ü rde n Z u s a m m e n b r ü c h e , U n g l ü c k e und Todesfälle entste hen, w ie F e h lu r t e ile und Justiz- irrtü m e r, w obei noch b e a c h t e t w e r d e n m uß, daß letztere nur in ganz besonders g e a r te te n F ä lle n der Ö ffe n tlic h k e it b e k an n t w erd en .

Die ganze E rz ie h u n g des In ge nieu rs zu r V e r a n t ­ w o rtu n g ist deshalb schon eine g r ö ß e r e , als bei den anderen B e r u fe n , w e il seine V e r a n t w o r t u n g sofo rt zum T r a g e n kom m t. Seine F e h l e r ge h en nich t unter in ve rsch w ie g e n e n A k t e n , w e r d e n n ich t d u rch V e r ­ füg ung en „a n lä ß lic h eines S p e z ia lfa lle s “ v e r d e c k t , sondern e r b lic k e n in je d e m F a lle das L ic h t der W elt.

A b e r der In ge nieu r r ed et n ich t vie l vo n seiner hohen, ethischen V e r a n t w o r t u n g g e g e n ü b e r M e n s c h ­ heit und K u lt u r . E r b eh a n d e lt diese V e r a n t w o r t u n g als selbstverständlich. D esh alb n e h m e n sie andere auch als selb stverständ lich hin un d m einen, sie w äre gar nicht da. Das ist doch nur M e ch a n ik , T e c h n ik und nicht v e rg le ic h b a r m it w isse n sc h a ftlic h e r K u l t u r ­ arbeit. U n d die W e lt , der das im m er v o rg e r e d e t wird, g la u b t es.

Hierin liegt die m an g e ln d e E in sc h ätz u n g der

„ T e c h n i k “ als K u lt u r g e b ie t . D e r In g e n ie u r hat au f seiner H o ch s ch u le n ich t g e lernt, den hoh en ethischen W e rt seiner T ä t i g k e i t a p olog etisch a u szu w e rte n , hat es vo n seinem H o c h s c h u lle h r e r n ich t g e lernt, daß er G e iste sw isse n sc h a ftle r ist und zum K u l t u r p i o n i e r b e ­ ru fen, w ie j e d e r andere A k a d e m i k e r . E r hat k e in e E n t w ic k lu n g s g e s c h ic h te seiner W isse nsch a ft gehört.

H a t nie in einem K o l l e g gehört:

„ A l l e ö f f e n t lic h e n U n te rric h tsa n s talte n w e rd e n du rch B e d ü rfn is s e der G e s e lls ch a ft h e r v o r g e b r a c h t , und z w a r zu nächst d u rch t e c h n i s c h - p r a k ­

t i s c h e B e d ü r f n is s e .“ . . . „ S o ist die U n iv e rsitä t eine V e r e i n i g u n g T e c h n is ch e r H o c h s c h u le n1 fü r G e is t lic h e , R e c h t s g e le h r t e und Ä r z t e , zu denen die artistisch e (philosophische) F a k u l t ä t sich als all­

g e m ein -w isse ns ch a ftlich e V o r s c h u le v e rh ie lt , bis im 19. J ah rh u n d e r t au ch sie etw as v o n dem C h a r a k t e r ein er p r o fe s s io n e lle n H o ch s ch u le , n ä m lich f ü r die B ild u n g des h ö h e re n L e h r e rs ta n d e s , ann ah m .“

„ D i e G lie d e r u n g in F a k u l t ä t e n ist n ich t aus dem G e s ic h t s p u n k t ein er th e o re tisc h e n E in te ilu n g der W isse nsch a ften , son d ern aus den B e d ü rfn is s e n der G e s e lls ch a ft und ih r e r g e s c h ich t lic h e n L e b e n s f o r d e ­ ru n g e n entstanden, sie b ra u c h te und b ra u ch t noch he u te w isse n sch a ftlich g e b ild e t e G e istlich e , R ic h te r, Ä r z t e , L e h r e r . D ie U n iv e r s itä t ist also, so b e ­ tr a c h te t, nich ts als ein V e r b a n d v o n F a c h s c h u le n .“ . . .

„ A u s n e u e n g e se llsc h aft lic h e n B e d ü rfn is s e n sind die z a h lre ic h e n n eu en F o r m e n der H o ch s ch u le n h e r v o r ­ ge gang en , die je t z t n ebe n den U n iv e r s itä te n stehen, w eil eine R e ih e n e u e r B e r u f e entstand, die eine hoch- s ch u lm äß ig e A u s b ild u n g e r f o r d e r t e n . “ (F. Paulsen.)

„ D i e A b z w e i g u n g der T e c h n is ch e n H o ch s ch u le n w ar ein u n g e h e u re r F e h le r . B e id e H o ch s ch u le n haben d u rc h die T r e n n u n g rein m a te rie ll, d. h. in b e zu g a u f ihre o rganisato risch e E n tw ic k lu n g , gr o ß e V o r t e ile g e ­ habt, sie sind ä u ß e r l i c h a u fg e b lü h t, aber au f K o s t e n ihres ge istige n G eh altes. Das B eisp ie l der T e c h n is ch e n H o ch s clm le hat dann n och andere b e r u f ­ liche H o ch s ch u le n e rz e u g t. U n t e r dieser Z e r ­ g l i e d e r u n g , die dem W e s e n d er W isse nsch a ft k e in e sw e g s entsp rich t, hat die E in h e it u n serer B i l ­ dung sehr g e lit te n .“ (C. H. B e c k e r.)

„ F ü r diese T r e n n u n g w a re n teils g e sch ich tlich e G rü n d e , teils eine gewisse N e ig u n g m a n c h e r a k a d e m i­

schen K r e is e , a u f das te ch n isch e W issen und K ö n n e n als a u f eine i n fe rio r e Sache h e r a b z u b lic k e n (F. P a u l ­ sen), m a ß g e b e n d .“

So F r it z D r e v e r m a n n in „ N a t u r e r k e n n t n is “ , V e r la g M ü lle r & K ie p e n h e u e r , P otsd a m , 1928.

D esh alb w ird sich d er In ge nieu r selten des ebenso u n iversellen C h a r a k t e rs seiner B ild u n g b e w u ß t wie der Stu d en t der U n iv e r s itä t und nim m t die Z u r ü c k ­ s etzung im ö ffe n t lic h e n L e b e n und in der V e r w a lt u n g als selb stv e rstä n d lich hin, läßt sich als T e c h n i k e r b e ­ zeich n e n und b e z e ic h n e t sein G e b ie t selbst als T e c h n ik , ob g le ic h ihm der M iß b r a u c h dieses v i e l ­ d eu tigen W o r te s häufig g e nu g vo r A u g e n ge halten w ird . N u r m an ch m al p r o te s tie r t er, w e n n es zu d eu tlich w ird , w ie das n eu lich in der K o n t r o v e r s e

®r.»3n9- K o e n e m a n n m it dem R e ic h s k u n s tw a rt D r. R e d s 1 o b , „ V d l - N a c h r i c h t e n “ , N r. 19, 5. Mai 1929, der F all w ar. A b e r m an u n te r n im m t nichts zu r g r u n d le g e n d e n Ä n d e r u n g dieses Zustandes, w e d e r a u f dem G e b ie t e der H o c h s c h u lr e fo r m n och au f d em ä u ß e rlic h e n des S p r a c h g e b ra u ch s des W o r te s

„ T e c h n i k “ .

Solange w ir die T e c h n is c h e H o ch s ch u le im m er w e ite r z u r S p e zia listen -H o ch sch u le h e ra b s in k e n lassen und unser ge sam tes A r b e it s g e b ie t im m er w e ite r als

„ T e c h n i k “ b e ze ic h n e n , w ird m a n es der a nd eren Seite w enig v e r ü b e ln k ö n n e n , w e n n sie T e c h n i k und

„ T e c h n i k “ n ich t u n te rsch e id e n kan n und vo n der je d e r m a n n b e k a n n t e n tech n isch en V e r r i c h t u n g auf die te ch n isc h e W isse n sc h a ft (sch re ck lich e s W o r t!) , die T e c h n is ch e H o ch s ch u le und den In g e n ie u r als T e c h ­ n ik e r, als D ie n e r ein er Ziv ilisation , und nich t als

(6)

1 8 2 Z u r F r a g e d e r E h r e n p r o m o t i o n T e c h n i k u . K u l t u r

b e r u f e n e n K u l t u r p i o n i e r b e isp ie lt, um d ann s c h lie ß ­ lich alles d u r c h e in a n d e r z u w e r f e n : T e c h n i k u n d I n ­ d u strie.

So w e it sind w ir, n a c h d e m v o r ü b e r h u n d e r t J ah re n die erste n T e c h n is c h e n H o c h s c h u le n a u f d e u ts ch e m B o d e n ins L e h e n g e r u f e n w u r d e n . H ie r h a b e ich nich t die E n t w i c k lu n g der T e c h n is c h e n H o c h s c h u le n in N o r d d e u t s c h la n d im A u g e , so n d ern die T e c h ­ n is ch e H o c h s c h u le W i e n und T e c h n is c h e H o c h s c h u le K a r l s r u h e , die v o n v o r n h e r e in als w is s e n s c h a ftlic h e In stitu te n ac h dem V o r b i l d der É c o l e p o ly t e c h n i q u e g e g r ü n d e t w u r d e n , w ä h r e n d die É c o le p o ly t e c h n iq u e aus der p h ilo s o p h isc h e n F a k u l t ä t d er U n iv e r s it ä t P a r is h e r v o rg in g . W i r sind fo r t g e s c h r i t t e n in d er B r e it e , die r e la t iv e T i e f e h at v e r lo r e n . I n d e r V e r t i e f u n g l i e g t a b e r d i e K u l t u r .

U m das A u g e n m e r k a u f diesen K e r n p u n k t e r n e u t w ie d e r z u len ke n , h a b e ic h diese A u f s ä t z e g e ­ sch rie be n . V i e l e n I n g e n ie u r e n u n d m a n c h e m H o c h ­ s c h u lp r o fe s s o r m a g dies als u n p r a k t is c h e B e t r a c h t u n g e r s c h e in e n oh n e g r e i f b a r e s Z ie l, le d ig lic h als Spiel m it W o r t e n . D e s h a lb m ö c h t e ic h n ic h t un terlasse n, a u ch a u f ein ig e p r a k t is c h e A u s w i r k u n g e n h i n z u ­ weisen.

Im ö f f e n t l i c h e n L e b e n , a u f n ic h t f a c h t e c h n is c h e m G e b ie t , in d e r P o l i t i k u n d P re s s e a rb e ite n in D e u t s c h ­ land seh r w e n ig In g e n ie u re , w e il ih n en d er E in t r it t

in diese G e b i e t e seh r e r s c h w e r t w ird , w e il w ir es b is h e r n ic h t v e r s t a n d e n h a be n , d e n I n g e n i e u r a l s e i n e n M a n n m i t e b e n s o u m ­ f a s s e n d e r A l l g e m e i n b i l d u n g w i e a n ­ d e r e A k a d e m i k e r i n d a s B e w u ß t s e i n d e s V o l k e s e i n z u f ü h r e n . B e i m I n g e n ie u r d e n k t j e d e r an Z ie g e ls te in e , Z a h n r ä d e r o d e r a s p h a l­

tie r te S t r a ß e n ; die V o r s t e l l u n g des e in s e itig e n F a c h ­ m annes ü b e r w ie g t h e i w e i t e m die d e r A l l g e m e i n ­ bild u n g. D as w i r k t sich a u ch a u f d e m S t e lle n m a r k t aus. D ie S te lle n als S y n d ik u s b e i V e r b ä n d e n , bei Industrie- u n d H a n d e ls k a m m e r n und H a n d w e r k s ­ k a m m e r sind den In g e n ie u r e n so g u t w ie ve rsch lo ss en.

V o n der Staats- u n d S t a d t v e r w a lt u n g ganz z u s c h w e i­

gen. — E i n B e r u f o h n e R a u m ! — So b le ib t a u ch der a k a d e m is c h e I n g e n ie u r a u f das enge G e b i e t in d u s t rie lle r F a c li a r b e i t b e s c h r ä n k t , w ä h re n d a n d e re B e r u f e ih r e n A r b e i t s m a r k t w e i t u m ihr e ig en tlich e s F a c h g e b i e t h e r u m a u sdehnen. D e s h a lb k ö n n e n w ir a u ch die r u n d 22 000 S tu d ie r e n d e n d e r T e c h n is ch e n H o c h s c h u le n n ic h t u n t e r b r in g e n , m ü sse n sie in u n te re S te llu n g e n a b g le ite n lassen, w ä h r e n d die 80 000 S tu ­ d ie re n d e n der U n iv e r s it ä t U n t e r k o m m e n finden. Das sind a be r n u r e in ig e der p r a k t is c h e n A u s w i r k u n g e n , die m it der F r a g e : T e c h n i k o d e r „ T e c h n i k “ und d e r H o c h s c h u l r e f o r m Z u sam m en h äng en. J e d e r mag leich t n o ch a n d e re finden.

Z U R F R A G E D E R E H R E N P R O M O T I O N

Vorbemerkung der Schriftleitung

I

n „Technik und K u ltu r“ wurde bereits darauf hin- gewiesen, daß der Senat der T e c h n i s c h e n H o c h s c h u l e B e r l i n neuerdings sich mit der Frage der Ehrenpromotion beschäftigt hat und „äußerst strenge Richtlinien“ für die Verleihung des Ehrendoktors aufstellte1. Inwieweit die übrigen Technischen Hoch­

schulen, aber auch die Universitäten, diesem Beispiel ge­

folgt sind, ist nicht bekannt geworden. Wir wissen, daß im Verband der Hochschulen wiederholt über die A n ­ gelegenheit verhandelt wurde. Das Ergebnis ist nicht der Öffentlichkeit klargelegt worden.

Daß bei der Verleihung der Doktorwürde Ehren halber von den verschiedenen Hochschulen nach sehr ve r­

schiedenen Grundsätzen verfahren wird, ist sicher. E i n ­ h e i t l i c h e G r u n d s ä t z e , d i e a l l g e m e i n b e ­ k a n n t s e i n s o l l t e n , t u n n o t ! Nur dadurch kann der Mißstimmung in weiten Kreisen und den viel­

fachen Angriffen gegen die Hochschulen gesteuert werden, deren Ansehen in der Öffentlichkeit leidet. Sind doch schon wiederholt Verleihungen des Ehrendoktors Gegen­

stand der Witzblätter geworden! Wir haben in „Technik und K u ltu r“ mehrfach auf diese Dinge hingewiesenJ.

Nachdem neuerdings in der P r e s s e die Frage er­

örtert wurde, sind uns zahlreiche Zuschriften aus dem Kreise unserer Mitglieder zugegangen, da hei diesen E r ­ örterungen besonders auch die T e c h n i s c h e n H o c h ­ s c h u l e n in den Vordergrund gestellt wurden. Von diesen Zuschriften geben wir nachstehende als besonders bem erkenswert wieder, ohne uns ihren Inhalt im ein­

zelnen selbst zu eigen zu machen.

1 „ T e c h n ik u n d K u l t u r “ , 20 (1929, 149.

2 Z u m B e i s p i e l : „ T e c h n i k u n d K u l t u r “ , 1 8 (1 9 2 7 ) , 1 5 1 ; 1 9 (1 9 2 8 ) , 181.

I

®t.=3itg. Georg S i e m e n s , Essen:

Der Ehrendoktor '

Im Deutschland der Vorkriegszeit war die A rt und Weise, wie der letzte deutsche Kaiser sein A m t führte, häufig der Gegenstand lebhafter und heftiger K ritik, und an dieser waren nicht zum wenigsten diejenigen Kreise beteiligt, von denen man es nicht hätte erwarten sollen.

Nur daß die K ritik von jener Seite sich nicht frei und ungeschminkt in der Öffentlichkeit äußerte, wodurch sie von selbst sachlich geworden wäre, sondern im geschlos­

senen Kreise von Mund zu Mund weiterging: andeutend, witzelnd, spöttelnd, nicht nachprüfbare Behauptungen und Geschichten weitertragend. Hätte es damals mutige Männer genug gegeben, die ruhig und sachlich, aber un­

zweideutig ausgesprochen hätten, was sie dachten, so wäre manche bittere Stunde erspart geblieben.

An diese Dinge muß man denken, wenn man sieht, wie bei uns zur Zeit die F r a g e d e s E h r e n d o k t o r s behandelt wird. Jeder Kundige weiß, daß es sich dabei um einen ganz bösen Mißstand handelt, aber niemand von denen, die es zunächst angeht, nämlich von den aka­

demisch gebildeten Kreisen des deutschen Volkes, wagt es, das heiße Eisen anzufassen. Hinter der vorgehaltenen Hand werden augenzwinkernd Geschichten erzählt, Witze gemacht, über Titelsucht, Käuflichkeit und Schlimmeres geschmäht, aber einer offenen Aussprache geht alles scheu aus dem Wege. Ist es z. B. richtig oder ausreichend, wenn die üble Geschichte, die sich an einer süddeutschen

3 D ie s e A u s f ü h r u n g e n s in d b e re its E n d e M a i 1 9 2 9 g e ­ sch rie b e n , k o n n t e n a b e r w e ge n b e s o n d e r e r U m s t ä n d e e rst jetzt v e r ö ffe n t lic h t w e rd e n ; sie b e r ü c k s ic h t ig e n d e sh a lb n ic h t die n e u e re n E r ö r t e r u n g e n , die teilw eise in d e r zw e ite n Z u s c h r if t a n g e zo g e n w erd en .

(7)

2 0 ( 1 9 2 9 ) N r . 1 0 Z u r F r a g e d e r E h r e n p r o m o t i o n 1 8 3

Universität abgespielt hat, auf Seite 181 des 19. Jahr­

ganges dieser Zeitschrift mit einem Scherz abgetan wird?

Oder wenn man auf Seite 151 des 18. Jahrganges der­

selben Zeitschrift eine Zeitungsnotiz erwähnt findet, nach der Agenten sich zur Vermittlung derartiger „Geschäfte“

anbieten, und dann die Bemerkung liest: „Man muß er­

warten, daß, wenn die Notiz auf Wahrheit beruht, dieser Unfug abgestellt wird.“ Mit solchen Bemerkungen neben­

her wird man wohl kaum etwas an den Dingen ändern4.

Es muß gerechterweise erwähnt werden, daß diejenigen, die sich von Amts wegen mit der Frage beschäftigen müssen, nämlich die Hochschullehrer, auch schon einmal öffentlich ihre Auffassung von den Dingen bekannt­

gegeben haben. Man kann das Referat, das S e e b e r g auf dem 5. Deutschen Hochschultag zu Aachen im Oktober 1927 dem Verband der deutschen Hochschulen erstattet hat, wohl als Willensmeinung dieses Verbandes auffassen. Es heißt da („Mitteilungen des Verbandes der deutschen Hochschulen“ , VII. Jahrgang, S. 178 ff.):

„Endlich muß noch ein Wort über den Ehrendoktor gesagt werden. Es ist auf diesem Gebiet vielleicht etwas besser geworden, als es gleich nach dem Kriege und in der Inflationszeit war. Aber trotzdem laufen immer wieder Klagen über die allzu große Freigebigkeit bezüg­

lich der Promotionen h. c. ein. Ich will nicht von den Jubiläumspromotionen reden. Hier wie auch sonst bei Festen tut man in der Freude des Herzens leicht des Guten zu viel. Das mag hingehen. Aber immerhin sollte hier wie erst recht bei anderen Gelegenheiten die Regel nicht beiseitegeschoben werden, daß der Ehrendoktor nur geistig eingestellten Menschen verliehen werden darf, die nicht nur willkommene Geldgeber sind, sondern auch geistigen Sinn und geistige Leistungen aufzuweisen haben.

Noch immer wird man das keineswegs von allen Ehren­

doktoren behaupten dürfen. Das ist ein wunder Punkt in unserem akademischen Leben, der das öffentliche Urteil über Sinn und Wert akademischer Würden emp­

findlich beeinflußt.

Man bedenke nur, was für ein einerseits verlockendes, andererseits den Hohn herausforderndes Licht auf die frechen öffentlichen und privaten Anerbietungen fällt, den Doktor Ehren halber auf Grund bestimmter Spenden oder Stiftungen für eine Universität zu verschaffen. Der Fall H o 1 1 s t e i n hat in letzter Zeit viel von sich reden gemacht. Wir wissen nichts von Erfolgen derartiger A n ­ erbietungen. Aber schon, daß sie bei uns möglich sind, sollte zu äußerster Vorsicht auf diesem Felde mahnen.

Ein anderes Gebiet, das in akademischen Kreisen stärkste Bedenken ausgelöst hat, betrifft die Ehrenpromo­

tionen von Ministern und hohen Ministerialbeamten. Die politische Richtung der betreffenden Herren bleibt ganz außer Betracht. Ebenso ist es außer Zweifel, daß, wie auch in der früheren Zeit, wirklich hohe Verdienste um Wissenschaft oder Kultu r auch bei Staatsmännern von seiten der Hochschulen bei besonders festlichen Anlässen durch eine Ehrenpromotion geehrt werden mögen. Aber niemand wird in Abrede stellen, daß wir heute nicht ganz selten weit über die Gewohnheit der alten Zeit hinaus­

zugehen bereit sind.

Es ist die wertvolle Anregung ausgesprochen worden, der Hochschulverband möchte uns doch auch eine Sta­

tistik der Ehrenpromotionen zugänglich machen. Das wäre sehr wichtig, um zur grundsätzlichen Klarheit über Zweck, Umfang und Sinn dieser Promotionen zu gelangen.

Hieran fehlt es uns vielfach. Aber die Gemeinsamkeit des akademischen Interesses fordert gebieterisch, daß wir auch in dieser Hinsicht zu einer gewissen Einheit der maßgebenden Grundsätze gelangen. Es geht wirklich

4 D e r V D D I h at in d ie se r A n g e le g e n h e it s e in e rz e it S c h ritte hei d e m V o r o r t d e r T e c h n isc h e n H o c h s c h u le n u n te rn o m m e n , d e r d iesen T ite ls c h a c h e r v e rfo lg t u n d ab gestellt hat. E s h a n ­ delte s ic h u m den „ F a l l H o l l s t e i n “, d e r in dem S ee b e rg- sch e n R e fe r a t e rw ä h n t w ird . D ie S c h riftle itu n g .

nicht an, daß persönliche Beziehungen, Dankbarkeit, poli­

tische Übereinstimmung, Nachgiebigkeit gegen höheren Ortes geäußerte Wünsche oder ähnliche Motive in diese ernste Sache eingreifen. Je häufiger derartige Ehrungen werden, desto mehr werden sie entwertet. Das heißt aber, daß die Hochschulen bei diesem Eingreifen in das öffentliche Leben immer mehr sich selbst eines Mittels, wirklich auf dies Leben einzuwirken, berauben.“

Das klingt alles recht schön, abgesehen von der keines­

falls zu billigenden Meinung, daß es „hingehen mag“ , wenn man bei Festen in der Freude des Herzens des Guten leicht etwas zu viel tut. Wenn man so viele Feste feiert wie wir Deutsche von heute, und dabei jedesmal des Guten etwas zu viel tut, dann kommt man eben aus der Völlerei überhaupt nicht mehr heraus. Aber davon abgesehen, ist Seebergs Hoffnung, daß die Ehrendoktor­

inflation bei uns allmählich zurückgehen werde, durch die Tatsachen keinesfalls gerechtfertigt. Ich entnehme mangels einer einwandfreien Statistik, deren Fehlen See­

berg bei dieser Gelegenheit bemängelt, die nachstehenden Zahlen den „Mitteilungen des Verbandes der deutschen Hochschulen“ . Die Zahlen sind etwas zu niedrig, da die Zeitschrift wiederholt darüber klagt, daß nicht alle Hoch­

schulen ihre Meldungen erstatten, geben aber wenigstens eine Vorstellung von der Größenordnung der Dinge. Da­

nach entfielen auf 24 reichsdeutsche Universitäten, 11 Technische Hochschulen und 10 sonstige Hochschulen in den letzten drei Jahren (für das Wintersemester 1928/29 liegt die Statistik noch nicht vor) folgende Ehren­

promotionen:

W.-S. 1925/26 W.-S. 1926/27 W.-S. 1927/28 S.-S. 1926 S.-S. 1927 S.-S. 1928

Universität . . . 61 77 139

Techn. Hochsch. 51 53 93

Sonst. Hochsch . 7 9 9

Zusammen . . . . 119 139 241

Durch Extrapolation dieser Kurven ergibt sich, daß wir voraussichtlich noch in diesem Sommersemester den Zustand erreicht haben werden, bei dem arbeitstäglich ein Ehrendoktor erzeugt wird.

Grotesk ist auch folgende kleine Zusammenstellung:

Läßt man bei den rite-Promotionen der Technischen Hochschulen diejenigen der Architekten, Chemiker und Studierenden der „Allgemeinen Wissenschaften“ außer acht und zählt als Doktor-Ingenieure nur die Ingenieure im engeren Sinne, also die Bauingenieure, Maschinen­

ingenieure und Elektrotechniker, denen man dann die von der betreffenden Hochschule geschaffenen Ehren­

doktoren gegenüberstellt (man darf das vielleicht tun, weil die Ehrendoktoren der Technischen Hochschulen meist — nicht immer — dem Beruf des eigentlichen Ingenieurs zum mindesten nahestehen), so ergibt sich für die Hochschulen Karlsruhe, Dresden und Breslau im Sommersemester 1928 das nachstehende Bild:

Hochschule rite-Doktoren Ehren-Doktoren

K a r l s r u h e ... 4 5 D r e s d e n ... 9 21

Breslau 1 15

V om Doktor-Ingenieur kann man wirklich ohne Über­

treibung sagen, daß, wenn die Entwicklung so weiter­

geht — und sie scheint so weiterzugehen — , die Zahl der jährlich ernannten Ehrendoktoren ebenso groß oder größer sein wird als die derjenigen, die sich die Würde auf Grund des vorgeschriebenen Prüfungsverfahrens er­

worben haben. War das der Sinn der Gründungsurkunde, die da lautet: „ . . . auch Ehren halber als s e l t e n e A u s z e i c h n u n g an Männer, die sich um die Förde­

rung der technischen Wissenschaften h e r v o r ­ r a g e n d e V e r d i e n s t e erworben haben . . .“ ?

Das sind zunächst die Tatsachen, in Zahlen aus­

gedrückt. Geht man nun den Gründen nach, die zu dieser beklagenswerten Entwicklung geführt haben, so

(8)

1 8 4 Z u r F r a g e d e r E h r e n p r o m o t i o n T e c h n i k u . K u l t u r

findet man den Urgrund des Ganzen wohl in dem unaus­

rottbaren Titelbedürfnis des deutschen Volkes. In diesem Verlangen nach Titeln braucht man gar keine schlechte Eigenschaft zu erblicken. Einem Volke, das jahrhunderte­

lang nach Ständen streng gegliedert war und aus dieser Gliederung ein gut Teil seiner K u ltu rkraft gezogen hat, kann nicht von außen her plötzlich vorgeschrieben werden, daß es sich seelisch so einzustellen habe wie ein Kolonialvolk nach Muster der Amerikaner, die bar aller Tradition im Gelde den einzigen Unterscheidungsmaß­

stab für die gesellschaftliche Stellung des einzelnen in der Volksgemeinschaft erblicken. Wir können nicht ge­

waltsam alle gleichgemacht werden — in irgendeiner Form muß sich das Unterscheiduugsbedürfnis äußern, und dem kam früher das Titelwesen klug entgegen. Daß dabei manche Albernheit mit unterlief, ändert nichts an der grundsätzlichen Berechtigung der Sache.

Dem hat leider die Weimarer Verfassung in ihrem Art. 109 keine Rechnung getragen. Aus der Ideologie der damaligen Zeit, die häufig zu gut gemeinten, aber schlecht gedachten Entschlüssen führte, stammt die B e ­ stimmung: „T itel dürfen nur verliehen werden, wenn sie ein Amt oder einen B eru f bezeichnen; akademische Grade sind hierdurch nicht betroffen.“ Dieser Verfassungs­

artikel oder vielmehr seine heutige Auslegung — man könnte ihn nämlich auch anders auslegen — ist höchst ungerecht. Er leugnet das Titelbedürfnis durchaus nicht, gestattet aber nur zwei bevorzugten Gruppen, es zu be­

friedigen: der Bürokratie und den graduierten A k a d e ­ mikern, indem die Fiktion aufgestellt wird, die erstere führe nur „Amtsbezeichnungen“ , und die letzteren trügen

„akademische Grade“ . Bei Lichte besehen sind beides natürlich Titel, d. h. schmückende Beiworte zum Namen, die namentlich in der Anrede gern verwandt werden und den Träger aus der Masse der Unbetitelten herausheben.

Die im Titelwesen angeblich so puritanische Republik hat mit der Schaffung von neuen wohlklingenden Titeln eine Fruchtbarkeit entwickelt, mit der sie das Kaiserreich weit übertroffen hat, und sie scheut sich auch gar nicht, hei amtlichen Anlässen ihre Beamten in aller Form mit deren Titel — Verzeihung, Amtsbezeichnung — anzu­

reden: „Hochgeehrter Herr Minister.“ Zwischen diesen beiden Gruppen befindet sich nur die große Zahl der Nichtbeamten und Nichtgraduierten und ärgert sich mit Fug und Recht darüber, daß sie gar keine Möglichkeit hat, sich auch so ein Epitheton ornans zu verschaffen.

Früher konnte einer, der etwas leistete, oder etwas aus sich gemacht hatte, darauf rechnen, durch einen Orden oder wohlklingenden Titel die staatliche Anerkennung zu finden; heute wird er zwangsweise zur Nüchternheit an­

gehalten wie der Bürger der Vereinigten Staaten durch die Prohibition. Aber die Natur läßt sich nun einmal nicht vergewaltigen; der Rote Adler und seine A r t ­ genossen sind tot, der Kommerzienrat ist tot, es lebe der Ehrendoktor!

Man braucht sich gar nicht darüber zu wundern, es mußte so kommen, und die klugen Väter der Weimarer Verfassung hätten sich das auch sagen können, wenn sie weniger Ideologen gewesen wären.

Man könnte nun einwenden, und es ist das auch schon gesagt worden: Zugegeben, daß der Ehrendoktor sich all­

mählich zu einem Ersatz für die heute verpönten Titel der früheren Zeit entwickelt hat. Aber da er dergestalt eine zweifellos vorhandene Lücke ausfüllt und die Dinge nun einmal diesen Lauf genommen haben, soll man sie weiterlaufen lassen. Das wäre ein §ehr oberflächlicher Einwand, denn er übersieht, was alles gegen eine solche Regelung spricht. Zunächst, um das am wenigsten Wichtige vorwegzunehmen, fühlen sich durch die augen­

blicklich betriebene Praxis alle diejenigen geschädigt, die den Doktortitel rite erworben haben, und unter diesen besonders die Doktor-Ingenieure. Denn man hat seiner­

zeit durch die Promotionsbestimmungen aus guten

Gründen die Erwerbung des Grades eines Doktor- Ingenieurs den Kandidaten nicht bequem gemacht, und die Hochschulen haben verständigerweise an dieser A u f ­ fassung festgehalten; mit recht gemischten Gefühlen sieht daher der „richtige“ Doktor-Ingenieur die Zahl der K o l ­ legen, die leichter — wenn auch nicht billiger — die gleiche Würde erworben haben, ins Unübersehbare wachsen. Soll der allen Ernstes schon gemachte V o r ­ schlag durchgeführt werden, daß nächstens auf B rief­

bogen und Besuchskarten die Bezeichnung erscheint:

(nicht E. h.)“ ? A ber noch viel schwerer er­

scheint das Unrecht denen gegenüber, die früher einmal, ehe die Ehren-Doktor-Inflation über uns kam, wegen wirklich hervorragender Verdienste den Grad als wirk­

lich seltene Auszeichnung erhielten. Der Takt verbietet diesen großenteils noch lebenden Männern, das auszu­

sprechen, was sie denken. A ber wir können uns lebhaft vorstellen, was sie empfinden müssen, wenn sie die stets häufiger erscheinenden und stets länger werdenden Listen zu Gesicht bekommen, und ihr Urteil, auf das wir alle doch etwas geben sollten, müßte eigentlich allein schon den Fakultäten sagen, auf welch schiefe Ebene sie sich begeben haben. Tun die Hochschulen nicht dem geistigen Kapital gegenüber das gleiche, was der Staat in der Inflationszeit dem materiellen Kapital gegenüber gemacht hat? Endlich, und das ist die Hauptsache: wer hat den Hochschulen eigentlich das Recht gegeben, einen durch das Staatsgrundgesetz unglücklicherweise geschaffenen Fehler auf ihre Weise auszugleichen? Das Recht, Titel und Orden, kurz gesagt: staatlich anerkannte, allgemein­

gültige, von jedermann zu achtende Auszeichnungen zu verleihen, stand und steht jederzeit und überall nur dem Souverän zu. Bei uns ließ er es früher durch bestimmte, zwar bürokratisch, aber gewissenhaft und unbestechlich arbeitende Behörden ausüben, und dadurch war eine starke Gewähr dafür geboten, daß Mißgriffe nach Mög­

lichkeit vermieden wurden. Jetzt wollen anscheinend die deutschen Hochschulen diese Aufg abe übernehmen. See­

berg macht in seinem obenerwähnten R e ferat mit Recht auf die Gefahr aufmerksam, in die sich die Hochschulen dadurch begeben, daß sie sich zu einem solchen Amte drängen:

„Das heißt aber, daß die Hochschulen bei diesem Ein­

greifen in das öffentliche Leben immer mehr sich selbst eines Mittels, wirklich auf das Leben einzuwirken, be­

rauben.“

Hier deutet er verschiedenes nur an. Eine der größten Gefahren für die Hochschulen sehe ich bei Fortsetzung des jetzt eingerissenen Verfahrens darin, daß gewisse politische Gruppen, die ohnehin den deutschen Hoch­

schulen nicht günstig gesonnen sind, sich der Sache be­

mächtigen und auf der Parlamentstribüne zum Schaden des deutschen Ansehens die manchmal wenig erfreulichen Einzelheiten der gegenwärtigen Praxis ans Tageslicht zerren. Wollen wrir es erleben, daß A nträge zur Gesetz­

gebung gestellt werden, die unter dem Vorgehen. K o r ­ ruption und Klüngel bekämpfen zu wollen, darauf ab­

zielen, das Selbstbestimmungsrecht der Hochschulen und ihre Unabhängigkeit von den herrschenden politischen Ge­

walten weiter einzuschränken? Wenn ja, dann brauchen wir nur auf diesem Wege wreiterzuschreiten.

Was ist nun gegen das Übel Entscheidendes zu tun?

Das ein letzter Grund in dem Mangel an Titeln für die Nichtbeamten liegt, müssen für diese wieder Titel ge­

schaffen werden. Das ist auch ohne eine Änderung der Reichsverfassung möglich, wenn man sich nur auf eine entsprechende Auslegung des Art. 109 einigt, denn dieser spricht ja nicht nur von Amts-, sondern auch von B erufs­

bezeichnungen. Und irgendeinen B eruf hat doch heute ein jeder — also kann er auch eine Berufsbezeichnung bekommen. Eine Zusammenstellung von sorgsam ab­

gestuften, alle Bedürfnisse des öffentlichen Lebens um­

fassenden Berufsbezeichnungen zu schaffen, ist nicht

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