Theologisches Literaturblatt
Unter M itw irkung
zahlreicher V ertreter der th eologischen W issenschaft und Praxis
heraasgegeben von
Dr. theol. L u d w ig I h m e ls
^Dr. theol. E rn st S o m m e r la th
Landesbischof in Dresden. Professor in Leipzig.
}
Nr. 20. Leipzig, 27. September 1929. L. Jahrgang.
E rscheint vierzeh n täg ig F re ita g s. — Zu beziehen durch alle B uchhandlungen und P ostäm ter sowie vom Verlag. — In lan d -B ezu g sp reis: Rm. 1.25 m onatlich, B ezugspreis fü r das A u sla n d v ie rte ljä h rlic h : Rm. 3.75 und P o rto ; bei Z ahlungen in frem der W ährung is t zum T ageskurse um zurechnen. —A n zeig en p reis: die zwei
g espaltene P etitz e ile 40 G oldpfennige. — B eilagen nach U ebereinkunft. — V erlag und A uslieferung: Leipzig, K ö n ig str. 13. P ostscheckkonto Leipzig Nr. 62873,
Behn, F ried rich , Das M ithrasheüigtum z u Die
burg. (Kittel.)
Noth, M artin, Lic. theol., Die israelitischen P er
sonennam en im Rahm en der gem einsem iti
schen N am engebung. (H errm ann.) Dobschütz v., E rn st, D., Der A postel P aulus.
(Preuß.)
Z e itsc h rift fü r K irchengeschichte. (Theobald.)
Blanke, F ritz , Lic. theol., Der verborgene G ott bei L uther. (Doerne.)
Schlunk, M., P rof. D., Von den Höften des Oel- berges. (Gerber.)
Böhme, F ra n z, D. D r. ju r., Die sächsischen K ir
chengesetze. (Oeschey.)
Pfennigsdorf, E., D eutsche Theologie. (Jelke.) Liidemann, Herm ann, D. D r., System ch ristlich er
D ogm atik. (Bachmann.)
KUnneth, W alter, Dr. Lic., Die L ehre von der Sünde d a rg estellt an dem V erhältnis der L ehre Sören K ierkegaards z u r neuesten Theologie. (Köberle.)
Kant, Im m anuel, E rste E in leitu n g in die K ritik der U rte ilsk ra ft. (Doerne.)
N eueste theologische L ite ra tu r.
Z eitschriften
Behn, Friedrich, Das Mithrasheüigtum zu Dieburg (Rö
misch-germanische Forschungen, herausgegeben von der römisch-germanischen Kommission des deutschen Archäologischen Institutes zu F rank furt a. M., Band I).
Mit 52 Textabbildungen und 2 Tafeln. Berlin-Leipzig 1928, W alter de G ruyter & Co. (47 S. fol.)
Die Gegend der hessischen Bergstraße hat schon viele wichtige Funde zur Kenntnis des M ithrasdienstes geliefert.
Die von S tockstadt und Heddernheim sind besonders b e
kannt; letzteres hat allein drei M ithräen gehabt. Diesen ä lteren Funden stellt sich der neue von Dieburg zur Seite.
Anläßlich eines Neubaues w urden im Sommer 1926 R este eines Mithräums gefunden. Der hessische Landeskonser
v ato r F riedrich Behn hat dieselben in genauer U nter
suchung aufgenommen. Es w ar ein Heiligtum von 5,45 : 10— 12 m, fast genau w est-östlich orientiert, wie es dem orientalichen Sonnengott entsprach. Die Lage war außerhalb der alten röm ischen S tadtm auer; wahrscheinlich gehörte es der arm en Bevölkerung an. Ein Brunnen lag un
m ittelbar neben dem Tempel, um das für kultische W aschungen erforderliche W asser zu liefern. Das weitaus wichtigste Stück der zahlreichen Einzelfunde ist das doppelseitige Kultbild. Beide D arstellungen sind von höchster Bedeutung für die Erkenntnis der geistigen und religionsgeschichtlichen Zusammenhänge, in die der Mi- thraskult tra t. Die V orderseite stellt M ithras auf dahin
galoppierendem P ferde dar, mit fliegendem M antel, im Be
griff, einen Pfeil vom Bogen abzuschießen. B egleitet ist er von drei Hunden, die gleichfalls wild dahinstürm en. In fast allen Darstellungen anderer M ithräen steht an dieser Stelle der stiertötend e M ithra. M ithra zu P erde kommt gelegent
lich auch sonst vor. Dagegen gibt es bisher keine Analogie zu dieser Auffassung des mit dem Bogen dahinjagenden M ithra als Jäger. Behn dürfte recht haben, wenn er v er
m utet: überall sehen wir, wie M ithra sich den einhei
m ischen Lichtgottheiten assim iliert; so hat er hier, auf ger7 manischem Boden, sich mit der G estalt W odans verbunden, des germanischen Licht- und Himmelsgottes, d er noch heute im Odenwaldgebiet als der „wilde Jäg e r" fortlebt.
So zeigt also dies Denkmal in einer fast einzigartigen A n
schaulichkeit, wie der spätantike Synkretism us hier in Germ anien zu einer Verbindung des iranischen mit dem germanischen Kult führen konnte. Die R ückseite des K ult
bildes stellt der thronenden Helios dar, d er dem Jüngling P haeton den Sonnenwagen gew ährt. Auch hier ist der Zu
sammenhang lehrreich. In der Phaetonsage führt die Sonnenfahrt des Jünglings zur K atastrophe und zum W eltenbrand; in der M ithraslehre führt M ithras selbst die K atastrophe herbei, indem er vom höchsten G ott den W eltenbrand erb ittet. Das heißt: es ist ein eschatolo- gisches Bild, in dem die mithrische Vorstellung vom Ende in die Form des griechischen M ythos gekleidet ist,
G e r h a r d K i t t e l - Tübingen.
Noth, M artin, Lic. Theol. (Privatdozent in Leipzig), Die israelitischen Personennamen im Rahmen der gemein
semitischen Namengebung. (Beiträge zur W issen
schaft vom A. und N. T., herausgegeben von R. K ittel.
D ritte Folge, Heft 10.) S tuttg art 1928, W. Kohlhammer.
(XIX, 260 S. gr. 8.) 12 Rm.
Daß das Interesse an d er Erklärung der alttestam ent- lichen Personennam en sehr alt ist, ja bis ins A. T. selbst zurückreicht, ist bekannt. Auch die neuere Forschung h at sich mannigfach m it diesem G ebiet beschäftigt, seit N est
les H aarlem er Preisschrift von 1879 auch unter religions
geschichtlichem Gesichtspunkt. Daneben geht in den letzten Jahrzehnten die Erforschung der außerisraelitischen semi
tischen Namengebungen her. M artin Noth will das israe
litische M aterial in möglichst große Zusammenhänge ein- ordnen. Er behandelt zum ersten Mal die israelitische Namengebung als Glied der gemeinsemitischen, und zw ar nicht nur so, daß Einzelnamen mit Einzelnamen zusammen
gestellt w erden, sondern auch so, daß die israelitische Namengebung als ganze m itten in die Geschichte der ge
meinsemitischen hineingestellt wird. Dazu soll das israe
litische M aterial an Personennam en bis etw a zum Beginn der hellenistischen Zeit erschöpfend herangezogen werden, einschließlich des außertestam entlichen, und auch bei der
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zusammenfassenden Behandlung derselben soll der ein
zelne Name innerhalb seiner größeren inhaltlichen Zusam
m enhänge betrach tet w erden. Bei der Bearbeitung faßt Noth von vornherein Fehlerm öglichkeiten ins Auge, deren Vermeidung er ständig seine A ufm erksam keit zuw endet;
nur dann kann die schwierige Aufgabe befriedigend gelöst werden, wenn peinliche philologische S auberkeit gewahrt, jede W illkür in der Verwertung der überlieferten Namens
formen, alle religionsgeschichtlichen Phantasien (primitive Elem ente, theophore Bestandteile!) und psychologischen Unw ahrscheinlichkeiten verm ieden werden.
Der Untersuchung selbst sind vier K apitel Prolegomena vorausgeschickt. Aus ihnen seien besonders das zw eite und dritte herausgehoben; jenes (Die gramm atische S tru k tur der semitischen Personennamen) will nicht nur eine breite philologische Grundlage für die Erklärung der isra
elitischen Namen schaffen, sondern zugleich durch Auf
zeigen der Verbreitung der einzelnen Nam entypen die E r
örterungen von Kap. 3 vorbereiten, in welchem der V er
fasser versucht, auf grund der formalen S tru k tu r die Schichten innerhalb der semitischen Namengebung festzu
stellen; was sich ihm ergibt, stimmt mit dem, was wir sonst über das geschichtliche A uftreten und die gegen
seitigen Beziehungen der semitischen Völker wissen und verm uten können, gut zusammen.
Die Untersuchung selbst gliedert sich in zwei H aupt
teile. Im ersten w erden die t h e o p h o r e n E l e m e n t e in den israelitischen Personennam en behandelt: V erw andt
schaftsw örter; el; Jahve; theoph. Elem ente kanaanäischer H erkunft; unsichere theoph. Elem ente. Im zw eiten H aupt
teil w erden die israelitischen Namen als Ä u ß e r u n g e n d e r F r ö m m i g k e i t untersucht; unter diesem G esichts
p unkt gliedern sie sich dem Verf. in Bekenntnisnam en, V ertrauensnam en, Danknamen und W unschnamen. H andelt es sich bei alledem um die religiösen Personennam en, so w erden die Namen von nichtreligiösem, profanem Inhalt in einem Anhang nur kurz zusammengestellt. Es folgt das R egister der israelitischen Personennam en, das w eit über 1400 Nummern umfaßt.
Schon des Verfassers sehr interessante Abhandlung in ZDMG N. F. 6, S. 1—45 über gemeinsemitische Erschei
nungen in der israelitischen Namengebung ließ von dem vorliegenden W erk gutes erhoffen. Diese Erw artung wird erfüllt. So selbstverständlich es ist, daß Noth nicht alle Fragen löst, die der ungemein prom blem reiche Gegenstand im einzelnen wie im großen bietet, und daß der eine dies, d er andere jenes anders ansehen wird, so gewiß darf man das Buch zu den w ertvollsten und ergebnisreichsten P u
blikationen rechnen, die wir in den letzten Jah ren auf alt- testam entlichem G ebiet erhalten haben; seine Bedeutung reicht in verschiedener Hinsicht w eit über dieses Spezial
gebiet hinaus.
J o h a n n e s H e r r m a n n - M ünster i. W.
Dobschütz v., Ernst, D. (Professor d er Theologie an der U niversität Halle-W ittenberg), Der A postel Paulus.
I. Seine weltgeschichtliche Bedeutung. Mit 21 Abb.
II. Seine Stellung in der Kunst. Mit 35 Abbildungen und einem Titelbild in Vierfarbendruck. Halle 1926 und 1928, Buchhandlung des W aisenhauses. (VII, 64 S.; VII, 88 S. gr. 8.) 5 Rm. und 8 Rm.
Die beiden Bände sind aus einem Hallischen, in E rfurt gehaltenen Ferienkurs hervorgew achsen und wollen, was d ie theologische Seite des Paulus betrifft, nichts grund
legend Neues sagen, sondern bloß den derzeitigen Stand der Paulusforschung für ein w eiteres Publikum zusammen
fassen. Neu und w eiterführend dagegen ist die B erück
sichtigung der Kunstgeschichte. W ährend der erste Band auf Grund seines Lebens und seiner Persönlichkeit die w eltgeschichtliche Bedeutung des Völkerapostels w ieder
gibt, bringt der zw eite einen ausführlichen Bericht über Paulus in der K u n s t . Schon im ersten spielt dies fo rt
w ährend mit herein — oft m itten in die nüchternste D ar
legung — es scheint, daß dem Verf. w ährend der A usar
beitung desselben der kunstgeschichtliche Stoff so an
schwoll, daß er sich zu einem zw eiten Bande entschloß — dafür spricht auch die sonst unerklärliche Anordnung der Abbildungen innerhalb der beiden Bände. Das Schw er
gewicht des Kunstgeschichtlichen wird aber erst der d ritte bekommen, der die Ikonographie der Paulusbilder mit etw a 3000 Nummern zusamm enstellen wird, worauf wir dankbar w arten. Der zw eite Band e rö rte rt zunächst die
„V orfragen”: das Äußere des A postels in der altch rist
lichen Literatur, seinen Platz im Apostelkollegium (rechts oder links von Christus), Verwechslungen und V ertau
schungen mit anderen, Paulusszenen, A ttribute. Es folgt sodann das Paulusbild im W andel der Zeiten. Der Verf.
zeigt, wie die Individualisierung des Apostels etw a um die M itte des vierten Jahrhunderts einsetzt: seitdem hat sich eine unerschöpfliche Fülle in den wechselnden Paulus
typen ausgeschüttet, die nun durch die H auptepochen hindurch verfolgt wird: durch die alte Kirche (diese in überw iegender Ausführlichkeit), die byzantinische, die ro manische Zeit, das spätere M ittelalter, die Renaissance, das 17., das 18. Jahrhundert, die Neuzeit. Die größte M annigfaltigkeit erreicht die Pauluskunst im ausgehenden M ittelalter und dann, was die Zahl der Szenen betrifft, im 19. Jahrhu nd ert „mit seinem Biblizismus und seinem histo
rischen Sinn". Der H auptw ert der erstaunlich gelehrten Untersuchung (doch zählt der Verf. eine Reihe von M it
arb eitern auf, die mit suchen halfen) besteht in der bisher nie erreichten Zusammenstellung dieses so w eit verzweig
ten Stoffes. Das hat natürlich dem Ganzen den C h arak ter eines kritischen Kataloges gegeben, der nach rein kunst- geschichtlichen, stilkritischen, optischen G esichtspunkten den ungeheuren Stoff sichtet, weniger nach theologie- oder frömmigkeitsgeschichtlichen, wie doch das V orw ort in Aus
sicht stellt. Die volle Auswertung für die Geschichte der Fröm m igkeit steht noch aus, aber sie hat nun eine groß
artige Basis, auf der sie gründliche A rbeit wird tun können.
Die Zurückstellung der frömmigkeitsgeschichtlichen In ter
essen sieht man z. B. deutlich m it daran, daß die für die r e f o r m a t o r i s c h e Psyche so wichtige Umstellung des Paulusbildes mit in die Überschrift „R enaissance“ einbe
zogen ist, was ein V erständnis in jenem Sinne von vorn
herein erschw ert, ja verbaut. — Das Gesam tergebnis ist:
es gibt keinen durchgehenden Paulustyp, nur die byzanti
nische Kunst läßt in ihrer relativen Einheitlichkeit des Paulusbildes ein norm atives Vorbild vermuten. Sonst herrscht die größte M annigfaltigkeit, die allerdings doch dadurch wenigstens zu einer inneren Einheit gebunden er scheint, daß sich die m eisten D arstellungen bemühen, dem A postel die Züge von W eisheit und Mut zu verleihen.
W enn der Ü berblick im zw eiten Band die w ichtigsten P aulus
bilder registrieren w ollte, dann dürfte vielleicht auch d er schone Pauluszyklus des älteren Holbein nicht übergangen w erden (Augsburg, 1504). Von neuesten D arstellungen d u rfte n nicht feh
len die grandiosen Linoleum schnitte d er Ida S tröver in dem
Buche „B ekenner" (1927), eine Bilderfolge zur A postelgeschichte,
809 310
in denen Paulus eine fortlaufende Rolle spielt, auch an die ein
drucksvollen Paulusbilder der P aula Jo rd an (1927, Jugendbibel) m ußte erinnert werden. Die vorhin angem erkte Vermischung von R eform ation und Renaissance zeigt sich auch in dem Übergehen der feinen Paulusbilder in den H olzschnitten zur Lutherbibel (W ittenberg, 1522— 1546), wie sie Schramm gesammelt hat; ferner sei verw iesen auf das Paulusbild in der S tadtkirche zu Pirna (1546) m it der reform atorischen U nterschrift: Röm. 1, 16. Die Bemerkung Seite 81: „Bei dem sicher vorreform atorischen Cha
ra k te r d er Pfeilerfiguren des Domes [zu Halle] wird man zur V orsicht gemahnt, die Buchhaltung auf den L utherbildern zu stark im reform atorischen Sinn auszudeuten“, zeigt, wie der Verfasser nicht erkannt hat, daß die B ereitschaft zur reform atorischen G e
sinnung in der Kunst schon vor Luther ganz deutlich da ist in Plastik, M alerei und G raphik. Bei den Angaben über D ürer fin
den sich einige V ersehen: S. 83. D er H ellersche A ltar in F ra n k furt ist kein Original, sondern eine überaus traurige Kopie. Eine B ekehrung Pauli von D ürer in Florenz kenne ich nicht, es findet sich auch keine in dem neuesten kritischen Gesam tverzeichnis d e r W erke D ürers von F. W inkler (1928) angegeben, S. 32 red e t d er V erfasser von den „durchdringenden Augen“ des V ierapostel
paulus: D ürer läßt aber nur e i n s sehen. Warum ist der P au luskupferstich D ürers von 1514 so vergrößert w iedergegeben?
W as für einer „A postelfolge“ soll er angehören? Ihm steht für das J a h r 1514 nur e i n e P arallele zur Seite, und die nächsten K upferstichapostel folgen erst 1523. Zum Zw eischw erter
attrib u t des A postels führt d er V erfasser Luk. 22, 38 an, aber w arum w urden es gerade auf Paulus übertragen? Ob die (in der Regel) zwei Schlüssel des Petrus Vorbild w aren? Hier sei auch auf den Zw eischw erterpaulus in d er Kirche zu K alchreuth bei N ürnberg hingewiesen (Tonfigur um 1400), der bartlos ist, eine P arallele dazu im Germ anischen Museum. W ie ist das R ätsel zu erklären? Ersetzung des ursprünglichen Kopfes durch einen (parallel dazu vorhandenen) Johanneskopf? A ber warum dann dies auch in N ürnberg? S. 45 ist zu lesen: W A T R 2, N r.
1245. Z u der Liste von P etrus-P auluskirchen k an n noch die K lo sterk irch e von St. G allen angefügt w erden, deren Plan (820) b ei der Id e a litä t desselben doppelt bed eu tsam ist.
H, P r e u ß - Erlangen.
Zeitschrift für Kirchengeschichte. XLVII. Band. Neue Folge X, I. und II. Heft. 1928. Begründet von Theodor Brieger f. In Verbindung mit der Gesellschaft für K irchengeschichte herausgegeben von Leopold Zschar- nack und Heinrich Bornkamm. Gotha 1928, Leopold Klotz. (S. 1—304. 8.) 10 Rm.
Aus der reichen Stoffülle kann hier nur auf folgende Stücke näher eingegangen w erden: Paul Willem Finster- w alder, F rankfurt a. M., W ege und Ziele der irischen und angelsächsischen Mission im fränkischen Reich (S. 203 bis 226. Der Abhandlung liegt die A ntrittsvorlesung zu Grunde.
Vielleicht w äre noch größere Zurückhaltung hinsichtlich der irischen Frühm issionare am Platz gewesen). — F ritz Blanke, Königsberg i, Pr,, Die Entscheidungsjahre der Preußenmission (1206— 1274). (S. 18—40. Der auf der T a
gung der Gesellschaft für Kirchengeschichte in Eisenach am 19. O ktober 1927 gehaltene Vortrag liefert den ersten V ersuch zu einer K irchengeschichte des Deutschen Ordens.
W ährend bisher die D eutschordensgeschichte fast nur u n ter dem staatspolitischen G esichtspunkt b etrach tet w urde, die Missionsgeschichte aber außer acht blieb, wird hier die Frage aufgeworfen: W ie w eit und wann hat der M achtwille der R itter ihren Missionserfolg an den Preußen durchkreuzt und durchkreuzen müssen?) — Theodor W otschke, Pratau, Löschers Bemühungen um einen Theo
logenbund (S. 145— 161. In den Jahren 1719—27 dachte Löscher daran, dem infolge der politischen Zersplitterung, der theologischen Zerrissenheit und der G ebundenheit an die w eltlichen G ew alten darniederliegenden P ro testantis
mus durch einen Bund aufzuhelfen, der die einflußreichsten U niversitäten, die führenden Theologen und die angesehen
sten städtischen M inisterien umfassen sollte. Als Quelle benützt W otschke den Briefschatz F. S. Cyprians). — Karl Aner, Halle, Die Historia dogmatum des A btes Jerusalem (S. 76— 103. Jerusalem hat 1747 in einem Briefe an G o tt
sched, zum ersten Male auf deutsch-evangelischem Boden, die Idee einer Dogmengeschichte ausgesprochen. Hier wird dargelegt, wie er dazu gekommen und an welchen Dogmen er etw as auszusetzen hatte. Der Plan blieb unausgeführt.
Auf Grund des neutestam entlichen Teils seiner B etrach
tungen über die vornehm sten W ahrheiten der Religion kann man sich vorstellen, wie seine Dogmengeschichte aus
gesehen hätte). — Johannes Bauer, Heidelberg, Briefe Schleierm achers an W ilhelmine und Joachim Christian Gaß (S. 250—278. Als 1852 Wilh. Gaß den Briefwechsel seines V aters mit Schleierm acher herausgab, ließ er aus Schleier
machers Briefen persönliche Stellen weg oder veränderte sie; auch unterliefen ihm Lesefehler. L etztere w erden hier verbessert. Auch w erden einige Lücken ausgefüllt. Die H auptsache ist, daß sieben unbekannte Briefe Schleier
m achers, nämlich einer an Gaß, fünf an dessen G attin und einer an eine unbekannte Empfängerin, mit kurzen Ein
leitungen und wo nötig mit Anm erkungen zum Abdruck kommen. Die ersten sechs sind 1852 wegen ihres persön
lichen C harakters ungedruckt geblieben; der sechste ist auch wichtig für Schleierm achers Stellung zur Union).
T h e o b a l d - Nürnberg.
Blanke, Fritz, Lic. theol. (Privatdozent der Kirchenge
schichte in Königsberg i, Pr.), Der verborgene Gott bei Luther. Berlin 1928, Furche-Verlag, (23 S.)
Die sorgfältige, nam entlich das M aterial aus Luthers Frühzeit ausgiebig verw ertende Studie über den Sinn der Aussagen des Reform ators vom Deus absconditus stellt eine w ertvolle Ergänzung zu K attenbuschs grundlegender A rbeit „Deus absconditus bei L uther" dar. Nicht erst in der Erlösung, sondern schon in d er Schöpfung (und R e
gierung) der W elt handelt G ott als d er Verhüllte: alle K reaturen sind seine „Mummerei". Nur als sich verhüllen
der G ott kann er, gerade indem er die M öglichkeit des Ärgernisses gibt, den Menschen zum Glauben führen. So ist der tiefste Sinn der (mit der Offenbarung immer v er
bundenen) Selbstverhüllung G ottes seine Liebe. „G ott verhüllt seine Liebes- und Gnadenoffenbarung deshalb in den Schein des Zornes, dam it der Mensch immer zugleich mit der Erfahrung der Liebe G ottes die Zerbrechung seines eigenen W illens erfahre." Diese Glaubenserkenntnis hält Luther auch angesichts der tiefsten und anstößigsten V er
hüllung Gottes, der doppelten Prädestination, fest. Daß dieser Gott, der so viele verdam m t und so wenige selig macht, dennoch der gnädige G ott ist, in dieser Erkenntnis kommt der Glaube zu seiner höchsten Reife. — W ir dan
ken es der trefflichen, wohlfundierten A rbeit Blankes, daß sie uns die organische Einheit sehen lehrt, in d er dieser eigenartige, in unseren Tagen w ieder neu beachtete und gewürdigte G edankenkreis vom Deus absconditus mit Luthers christozentrischer und soteriologischer G esam t
haltung (Th. Harnack!) verbunden ist. Gegenüber einer ge
wissen populären M ißdeutung des Deus absconditus als eines vom Deus revelatus verschiedenen G ottes wird sie heilsamen Dienst tun, D o e r n e - Lückendorf,
Schlunk, M., Prof, D. (Tübingen), Von den Höhen des Öl
berges, Bericht der deutschen Abordnung über die
M issionstagung in Jerusalem . 8 Bildtafeln. S tuttgart
und Basel 1928, Ev. Missionsverlag und Furcheverlag.
(221 S. gr. 8.) Geb, 6 Rm.
Das Buch ist nicht nur als fesselnd geschriebener Reise- und Erlebnisbericht der deutschen Delegation bei der Jerusalem konferenz, nicht nur als Mosaikbild der gegen
w ärtigen Problem stellung und Situation der evangelischen Weltmission, nicht nur als M ittel, die Verbindungslinien und Trennungsstriche zwischen der anglikanisch-am erika
nischen und deutsch-kontinentalen Theologie neu zu sehen, als geschichtliches Dokument in m ancherlei Hinsicht von außerordentlicher Bedeutung, sondern es ist zugleich zur C harakteristik unserer religiösen, kirchlichen, kulturellen Lage von höchstem W erte. Dazu tragen die einzelnen Bei
träge der Teilnehm er an der Jerusalem konferenz, so sehr jeder sein eigenes Gepräge hat, in gleicher W eise bei. Die Aufsätze aus acht verschiedenen, wirklich verschiedenen, F edern weisen diese Einheit auf, weil die deutschen D ele
gierten alle, und nicht die deutschen allein, von dem gleich starken „Bewußtsein um die W elt Verantwortung“ beseelt w aren und sind. Daß einer Reihe von B erichten etw as Un
befriedigendes anhaftet, liegt an der Schwierigkeit der in Jerusalem behandelten Gegenstände und an der Unabge
schlossenheit der Verhandlungen. Zur Einzelkritik, die ge
wiß auch diesem Buche gegenüber einzusetzen hat, fehlt hier der Raum, Die kritische Würdigung der Konferenz, die Schlunk auf den letzten 16 Seiten bietet, ist das W ich
tigste in dem Buch, G e r b e r - Leipzig.
Böhme, Franz, D. Dr. jur, Die sächsischen Kirchengesetze betreffend die Verfassung und Verwaltung der Evang.- Luth. Landeskirche, U nter Berücksichtigung der Reichs- und Landesgesetzgebung. (Juristische Hand
bibliothek Nr. 351.) 3. Auflage, Leipzig 1928, Roß
berg, (XII, 545 S. 8.) Geb. 18 Rm.
Des nunm ehr im R uhestand befindlichen sächsischen K onsistorialpräsidenten D. Dr. Böhme verdienstvolle und treffliche Sammlung sächsischer Kirchengesetze mußten wir lange vermissen. Nun sie nach vierzehn Jah ren neu — in d ritter Auflage — ausgeht, ist sie dem Inhalte nach ein neues Buch geworden. W ar doch die Evangelisch-Luthe
rische Landeskirche Sachsens vor den anderen deutschen Landeskirchen besonders ausgeprägt Staatskirche, „G e
blieben ist aber der Zweck, allen denen, die aus irgend einem Grunde veranlaßt sind, sich mit den sächsischen K irchengesetzen zu befassen, einen Überblick über die grundlegenden Normen der sächsischen evangelischen Kirchengesetzgebung zu bieten." Geblieben ist aber noch Eines, oder besser gesagt eine Einheit von Vielem, und das m öchte der B erich terstatter ausdrücklich jenem Satze des Herrn H erausgebers hinzufügen: geblieben ist die auf scharf und w eit umschauendem Blick beruhende vor
treffliche Auswahl, die alles W esentliche und W ünschens
w erte bringt; geblieben ist die Sorgfalt und Akribie, welche die T exte b etreut; geblieben ist das reiche W issen und Können, welches in knappster Form Anm erkungen zu geben vermag, die zw ar „nur praktischen Zwecken dienen"
sollen, aber in ihrer Treffsicherheit doch nur als Geschöpf intensivster wissenschaftlicher Beherrschung möglich sind.
So findet Lehre und Anwendung in dieser Sammlung alles, was sie über den vorgezeichneten G egenstand aus dem G ebiete der Reichs-, S taats-, Kirchengesetzgebung als tägliches Handwerkszeug braucht. Daß mit dem Erscheinen un ter dem Datum des 15. Mai 1928 das kommende S taats- Gesetz über die Religionsgesellschaften nicht gebracht
w erden konnte, w ird jeder hinnehmen, der von der drin
genden Notwendigkeit der neuen Ausgabe überzeugt ist.
Sie w äre um mindestens ein w eiteres Ja h r verzögert worden. A ber vielleicht gibt uns der H err Herausgeber, wenn es einmal so w eit ist, dieses nicht nur grundsätzlich, sondern auch im Einzelnen (Mitgliedschaft, A ustritt, bracchium saeculare usw.) so wichtige Staatsgesetz dann noch als Anhang oder in einer selbständigen Ausgabe.
Jedenfalls aber danken w ir ihm heute aus langer E nt
behrung heraus seinen praktisch wie wissenschaftlich gleich w ertvollen Codex juris ecclesiastici Saxonici,
R u d o l f O e s c h e y - Leipzig.
Pfennigsdorf, E. (o. Professor in Bonn), Deutsche Theo
logie. Zw eiter Band, Bericht über den zweiten deut
schen Theologentag zu Frankfurt a. M. (Herbst 1928).
Göttingen 1929, Vandenhoeck & Ruprecht. (144 S.
gr, 8.) 6 Rm.
Der Bericht über den zw eiten deutschen Theologentag, der uns mit unserem Buche vorgelegt wird, ist heraus
gegeben von dem Leiter dieser Tagung, dem derzeitigen Dekan der theologischen F ak u ltät zu Bonn, Prof. D. Pfen
nigsdorf. Das besonders zu bem erken, treib t mich der Ge
danke, daß Pfennigsdorf als Leiter doch sicherlich nicht nur die äußerliche Aufmachung, sondern ebenso auch die ganze innere Einstellung w esentlich bestim m t hat. Darf man das vermuten, dann wird man die ebenso geschickt gew ählte wie energisch durchgeführte K onzentration auf das Zentralthem a der Erlösung, die den diesjährigen Theo
logentag charakterisierte, ohne Zweifel als ein in erster Linie Pfennigsdorf zuzuschreibendes V erdienst ansehen dürfen. In diesem Sinne ist dann der ganze Bericht nicht nur als Zusammenstellung, sondern ebenso auch als theolo
gische Leistung Pfennigdorfs W erk.
In der T at ist die A rt und Weise, wie man den Begriff der Erlösung in den M ittelpunkt der ganzen Tagung ge
stellt hat, etw as B ew undernsw ertes. Bereits die drei Voll
versammlungen, welche die drei Vorm ittage der Tagung ausfüllten, boten etw as in sich Geschlossenes, indem die historische (Der christliche Erlösungsgedanke bei Luther, Hermelink-M arburg), die neutestam entliche (Der Begriff der Erlösung im Urchristentum , Lohmeyer-Breslau) und die system atische (Der Erlösungsgedanke in der gegenwärtigen Glaubenslehre, Lütgert-Halle) Seite nebeneinander traten . D arüber hinaus bot dann aber auch die A rbeit in den ein
zelnen Abteilungen durchgehends neue V ertiefungen und Ergänzungen des einheitlichen Themas. Auch die syste
m atische (Die Aufgabe der Dogmatik, Jelke-H eidelberg) und die missionswissenschaftliche (Das Missionskonzil in Jerusalem , Richter-Berlin) sind hiervon im Grunde nicht auszunehmen, sofern es sich in diesen Themen letztlich doch auch um Begründung und A usbreitung des Erlösungs
gedankens handelt. Die übrigen, die Erlösung unm ittelbar behandelnden Abteilungsthem en w aren im Neuen T esta
m ente: Erlöser und Erlösung im Spätjudentum und U r
christentum (Jerem ias-Berlin) und Erlöser und Erlösung im U rchristentum und Hellenismus (Deißner-Greifswald); im A lten Testam ente: Der Erlösungsgedanke im A lten T esta
m ente (Procksch-Erlangen); in der praktisch-theologischen Abteilung: Der Erlösungsgedanke im Religionsunterrichte, (Niebergall-M arburg); und in der religionsgeschichtlicheit Abteilung: Der Erlösungsgedanke in der Religionsge
schichte (Clemen-Bonn).
313 314
Man sieht, welch eine Fülle wissenschaftlicher A rbeit hier einem einzigen, allerdings zentralen Problem e zuge
dacht ist. In dem uns vorliegenden B erichte ist freilich bei einigen R eferaten an Stelle des W ortlautes eine Zusammen
fassung des Inhaltes getreten. Immerhin is{ dadurch doch d e r Eindruck des Ganzen kaum beeinträchtigt. Auf jeden Fall bekom m t man aus dem Berichte nicht bloß einen Ein
druck von dem Ernste, mit dem die heutige Theologie sich unserem speziellen Problem zuwendet, sondern ebenso auch eine Vorstellung von der Fülle der Gesichtspunkte, die die heutige Theologie bei der wissenschaftlichen Verteidigung des Christentums geltend zu machen weiß. Überaus e r
freulich ist dabei zu sehen, wie die Theologie auf dem besten W ege ist, von überspannten und einseitigen M etho
den, von aller Inflationstheologie sich abzuwenden, um
■wieder ehrliche und gediegene A rbeit zu leisten, J e 1 k e - Heidelberg.
Lüdemann, Hermann, D. Dr. (ord. Professor der Theologie an der U niversität Bern), System christlicher Dogma
tik (= Christliche Dogmatik II). Bern und Leipzig 1926, Paul H aupt (M, Drechsel). (XVIII, 624 S. gr. 8.) 20 Rm.
Im Jah re 1924 hat Lüdemann seine „Grundlegung christ
licher Dogmatik" veröffentlicht. Sie sollte die Dogmatik
«rkenntnistheoretisch und religionswissenschaftlich fun
dieren. Das eine geschah in Auseinandersetzung mit Kant, und zwar so, daß L. über den dualistischen Phänomenalis- mus Kants hinaus in das metaphysische G ebiet vorstößt, einen qualitativen (spirituellen) Monismus als den eigent
lichen C harakter des Gesamt-Seins aussagt und dem Sein
«inen W ertch arak ter zumißt, dessen Entfaltung von den dem Geiste im manenten Normen logischer, ästhetischer und ethischer A rt beherrscht wird. Im Verhältnis des Ich zu diesen Normen w irkt sich sein Verhältnis existentieller B edingtheit zu der allen Seinselem enten im m anenten ab soluten R ealität aus, womit für das E rkennen der Übergang von Erkenntnislehre und M etaphysik zur Religionsphilo
sophie gegeben ist. L etztere ergibt, im Anschluß an Schleiermacher, wiewohl in kräftigerer Betonung des Vor
stellungselem entes der Religion, daß die Religion das G e
fühl S c h le c h th in n ig e r A b h ä n g ig k e it (kraft e in e r ,,apriori
schen Erfahrung“ des Subjekts von den Grundzügen und N orm en seines eigenen Wesens) ist und als solches d er en t
scheidende Inhalt des geistigen Seins überhaupt. Das C h r is te n tu m e n d lic h stellt sic h dar als die Vollendung der Religion oder als ihre norm ative G estalt, gegeben durch die volle Reinigung des religiösen und des sittlichen Ele
m entes aller Religion und die w ahre und w esentliche V er
bindung beider m iteinander.
Es m ußte auf den Inhalt dieses ersten Bandes in Kürze zurückgegriffen w erden; denn es ist klar, daß mit jenem auch schon die Entscheidung über den Inhalt des zw eiten Bandes, also des eigentlichen Systems der Dogmatik, ge
geben ist. Dieser zweite Band ist die Bemühung, die ge
gebene Grundauffassung an Schriftlehre und K irchenlehre bezw. in kritischer Reinigung der Schrift- und K irchenlehre zu bew ähren. A ber
e r s c h ö p f e n dist dieses U rteil nicht. Es steh t daneben das andere, daß im zw eiten Teil das christ
liche Bewußtsein seinem G ehalte nach entfaltet und mit
<der Freudigkeit einer sicheren und großen Überzeugung, nicht m inder aber mit eindringender G eistigkeit darge
boten wird.
Eine Einleitung untersucht den Begriff Offenbarung. Sie lä ß t ihn gelten, stellt aber in die M itte die unm ittelbare
innere Offenbarung als das für die Entstehung der Religion konstitutive Element, nämlich das (unter den Reizungen der religiösen Gemeinschaft geschehende) Erw achen der religiösen Anlage zur A ktualität. Den dogmatischen Stoff gliedert L. in Aussagen des christlichen Bewußtseins über seine Seinsanschauung und in solche über seine Heils
anschauung. Betont wird die Immanenz G ottes (des p e r s ö n l i c h e n Gottes) im Sein überhaupt als ein die ganze W irklichkeit beherrschendes Prinzip, so daß von einer göttlichen Annäherung aus der Transzendenz heraus nicht gesprochen w erden kann. Die Sünde ist für den mit der Anlage zur G ottesebenbildlichkeit ausgestatteten M en
schen unumgänglich, wenn anders er in den Bereich des S e l b s t - Seins emporgelangen soll. W ährend die M en
schen aber durch die Sünde in die G ottesscheu und in ge
setzliche Religiosität hineingebannt werden, ist Christus derjenige, der — nicht ohne Berührung mit der Sünde, aber in stetiger Überwindung derselben — den freien Zugang zu Gott, dem V ater der Liebe, entdeckt hat und von da aus auch, auf einem nicht mehr gesetzesreligiösen Wege, in sittlicher Vollkommenheit gelebt und geliebt hat. Sein Tod war heilbringend und notwendig insofern, als er erst die volle Bewährung dafür bringt, daß der gottinnige Mensch allen sittlichen Aufgaben gewachsen sei. Indem wir durch die M acht dieser Selbstdarstellung des religiösen Prinzips in der Person Christi dazu angeregt werden, daß in uns selbst die religiöse Anlage erw acht und sich in der Freiheit und Reinheit des Glaubens an Gnade verwirklicht, w irkt Christus an uns als Versöhner; indem in dem Besitz und Genuß dieses religiösen Verhältnisses neue sittliche Motive und K räfte in uns erwachen, w irkt Christus an uns als E r
löser. Das Heilsprinzip und die Person Christi sind durch
aus nicht m iteinander zu identifizieren; jenes ist ja im Grunde nichts anderes als die schöpfungsmäßige Anlage des Menschen für Gott, Christus aber ein, wenn nicht zu
fälliger, so doch auch nicht objektiv oder metaphysisch no t
wendiger Träger jenes Prinzips. Prinzip und Person ge
hören aber doch zusammen, sofern jenes ohne diese nicht zur (starken!) W irksam keit kommt.
Man sieht, welches die G rundtendenz des Ganzen ist:
Befreiung der Selbstaussage des Christentums von allem heilsgeschichtlich-objektiven (nicht bloß seinem „mytholo
gischen“) und transzendent-m etaphysischen Bestand und Reduktion aller Inhalte des christlichen Bewußtseins auf psychologische T atbestände und ihre Entfaltung, Der Glaube ist psychisches Erlebnis, Versöhnung ein Vorgang in der Seele, G ottessohnschaft Christi sein aus der Tiefe seines Inneren hervorbrechendes Gottes-Bew ußtsein, Offen
barung das Aufleuchten d er Gottesgem einschaft im Herzen, usw. Der Gewinn, den L. dabei bucht, ist der: Ausglei
chung oder Synthese zwischen Christentum und Religions
wissenschaft, Christentum und M etaphysik, „theologisch
w issenschaftliche“ G estaltung aller Aussagen zu solchen, die einerseits das W esen der Religion w ahren und voll
ziehen und andererseits vom Konflikte m it der W issen
schaft frei, ja der W issenschaft homogen sind.
Ohne Zweifel: K ant und Schleierm acher sitzen mit an dem Tische, an dem L. sein System christlicher Dogmatik schreibt. A ber üb er jenen geht L. hinaus durch seinen m etaphysischen Realismus (spiritueller A rt) und durch seine Vorordnung des Religiösen vor das Sittliche, ein Grundsatz, der mit erfreulicher Folgerichtigkeit festge
halten und ausgew ertet wird; über diesen geht er hinaus
durch seine stärk ere Betonung des gedanklichen Elements
in d er Religion, durch seine Einbeziehung der Normen und W erte in das religiöse G runderleben, durch seinen auch hier in B etracht kommenden Realismus.
L.s Buch fesselt durch seine Folgerichtigkeit und seine K larheit und den E rnst sowohl seiner K ritik wie seines positiven Aufbaus. Es ist eine, und zw ar eine ungebro
chene, große Linie durch alles hin. A ber ist die „W issen
schaft“ eine so eindeutige Größe, daß sie sich auf die philosophischen und religions-philosophischen Prinzipien festlegen läßt, die L. für seine Erfassung von Theologie und Christentum bedarf? Der „Synthese“ w ird hier doch ein zu großes und im Grunde vergebliches Opfer gebracht. Und was die Verbindung von Prinzip und Person anbetrifft, so ist sie im „alten Dogma“ klar und sinnhaft; aber wie soll man es denn „w issenschaftlich“ begreifen und anerkennen, daß der entscheidende F ortschritt von der unvollkom
m enen zur vollkommenen Verwirklichung der religiösen Anlage nur an einem einzigen P unkt der G eschichte getan w urde? Geschichts-philosophisch ist das doch ein Rätsel.
Und ist es nicht auch eine A rt von W iderspruch, das Reli
giöse, w orüber wir uns freuen, als ein V erhältnis (nicht bloß als ein Verhalten) zu fassen, den göttlichen Pol dieses V erhältnisses aber gänzlich bewegungslos zu lassen, so daß alle Bewegung des Verhältnisses ganz auf die menschlich
psychische Seite zu liegen kom m t? Das alles nun im Sinne einer „im m anenten“ Kritik. Sie soll aber so wenig, wie der w eite dogmatische A bstand zwischen dem V erfasser und dem Leser, uns den Blick verküm m ern für die gerade in der gegenwärtigen Lage der system atischen Theologie so bedeutungsvolle Erscheinung dieses Buches. Es regt zu ernsthafter Durchprüfung biblischer und dogm engeschicht
licher Tatbestände, die oft genug interessant beleuchtet w erden, und erst recht zu entscheidender Besinnung über und auf letzte Prinzipien an. B a c h m a n n - Erlangen.
Kfinneth, W alter, Dr. Lic., Die Lehre von der Sunde dar>
gestellt an dem Verhältnis der Lehre Sören Kierke
gaards zur neuesten Theologie. Gütersloh 1927, C.
Bertelsmann. (VIII, 274 S. gr. 8.) 9 Rm.
In der von Ja h r zu Ja h r umfänglicher w erdenden K ierkegaard-L iteratur verdient das vorliegende W erk einen achtbaren Platz. Der Verfasser weist sich aus als ein Theologe von stark system atischer Begabung, der in d er dogmatischen L iteratur der G egenw art wie des 19. Jahrhunderts gleich gut und urteilssicher bew andert ist.
Daß die in den letzten Jahren auffallend selten behandelte Lehre von der Sünde zum Ausgangspunkt für die U nter
suchung K.s und der m odernen Theologiegeschichte ge
w ählt wurde, wird dem Buch für die kom m ende Zeit zweifellos V erdienst und Anziehungskraft sichern. Die christliche Erkenntnis weiß nach K ünneth je und je um einen doppelten Sündenbegriff. Der eine ist geistig-volun- taristisch, religiös-sittlich, entsprungen aus der persön
lichen Spannung und Schulderfahrung vor dem Zorn G ot
tes, wie er im Kreuz aufbricht, wovon nach Paulus zum erstenm al die R eform atoren w ieder eindeutig klar geredet haben. Die andere Auffassung ist die m etaphysisch
kosmische, die in der Endlichkeit, in d er K reatürlichkeit, in der N aturgebundenheit substantiell-spekulativ das V er
derben sieht und die in ihren letzten Konsequenzen beim Platonism us, in der Gnosis und bei M arcion landen muß.
J e nachdem das eine oder andere Elem ent überwiegt, ge
stalten sich von daher grundsätzlich verschiedene Auf
fassungen in den Fragen: Urständ, Urfall, Erbsünde, „Sünde
und Übel“, Tod und K reaturenleid. All diese Problem e w erden mutig und tiefeindringend angepackt. Dabei kommt der V erfasser zu dem Ergebnis, daß bei K ierke
gaard, B arth und Heim d er geistig-sittliche, persönliche Sündenbegriff nur e i n Elem ent in ihrer Hamartologie ist, zu dem als zw eite G edankenreihe b reit und mächtig die kosmisch-metaphysische, übergeschichtliche Spekulation tritt. Dadurch aber sieht Künneth das biblische V er
ständnis von Schöpfung, Zeit und Raum, N atur und K ultur gefährdet. Mit R echt wird auf den reform ierten G rund
ch arakter dieser Gesam tanschauung aufmerksam gem acht, nur müßte meines E rachtens Karl Heim noch stärker, als es schon geschieht, von der dialektischen Theologie an dieser Stelle abgerückt w erden. Seine in den letzten Jah ren ständig wachsende Besinnung auf N atur und Schöpfung, auf die „K oordinate des heiligen G eistes“ e r
laubt nicht, ihn den N euplatonikern und M arcionisten so nahe zu rücken.
Mit R echt hat K ünneth aufs Neue eindrücklich groß ge
macht, daß Sünde die geistig-verantw ortliche T at des p e r
sönlichen, sittlichen Ichs ist und bleiben muß. A ber in der Befreiung der Sünde und ihrer Erklärung aus irgend
w elcher m ateriellen Substanzgrundlage hat er sich selbst wohl zu einer zu schroffen, „reform ierten“ Trennung von G eist und Natur, von Seele und Leib hinreißen lassen. G e
wiß, die Sünde hat ihren Grund nicht in der geschöpflichen N aturanlage des Menschen, aber die Sünde bew irkt deren Zerstörung. Am deutlichsten wird, daß hier noch ein letztes fehlt, an den Ausführungen über das Problem des Todes (S. 200 ff.), die den paulinischen Aussagen von R ö
m er 6, 23 mir nicht voll zu genügen scheinen. Der schm erz
liche Zusammenhang von Schuld und Leid, Sünde und Tod, gefallener Sittlichkeit und verdorbener Sinnlichkeit darf nie um gekehrt w erden; denn der geistige A kt des m ensch
lichen Ungehorsams ist und bleibt das allein Anstoßgebende zum Verderben. W eil aber dieser „innerliche“ A kt das äußere, leibliche Leben stets in die Zerstörung mit hinein
reißt, darum kann und darf beides auch nie voneinander in diesem A eon konkret getrennt werden, vorausgesetzt nur,, daß man es in der rechten, sittlichen Reihenfolge zu
sammen sagt. K ö b e r l e - Leipzig.
Kant, Immanuel, Erste Einleitung in die Kritik der Ur
teilskraft. Nach der Handschrift herausgegeben und mit Einführung und Anm erkungen versehen von G er
hard Lehmann. (Der Philosophischen Bibliothek Band 39 b.) Leipzig 1927, Felix Meiner. (XIII, 83 S. kl. 8.) 2,50 Rm.
Neben der bekannten Einleitung in die K ritik der U r
teilskraft gibt es von Kants Hand noch eine frühere und ausführlichere. Das M anuskript dieser „ersten Einleitung“, das sich in einer von K ant selbst durchgesehenen Abschrift im Besitz der R ostocker U niversitätsbibliothek befindet, ist im Jah re 1793 von J. S. Beck excerpiert worden; u n ter verschiedenen Titeln ist es dann durch die K antausgaben des 19. Jahrhunderts gegangen. E rst die Cassirersche K ant
ausgabe (Bd. II, 1922, H erausgeber 0 . Buek) hat den u r
sprünglichen T ext w ieder zugänglich gemacht. Diesen T ext ediert nun G. Lehmann auf Grund genauer Vergleichung mit dem Original, die ihn zu manchen K orrekturen d er B uekschen Ausgabe geführt hat. Von der Sorgfalt dieser Edition gibt der textkritische A pp arat S. 64—83 Zeugnis.
Die Einführung charakterisiert die Eigenart dieser ersten
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Einleitung und sucht zu zeigen, daß sie von K ant nicht nur um ihrer W eitläufigkeit willen (68 Folioseiten M anuskript) .zurückgestellt w orden sei, sondern auch deshalb, weil sie
„nur einen Durchgangspunkt in der Entwicklung des Kantischen Denkens darstelle“. G erade dies, meint L., m acht ihre Kenntnis nur um so notwendiger. Über die neuen G esichtspunkte genetischer Interpretation des K antischen Denkens, die diese Schrift erkennen läßt, wird man, nachdem diese dankensw erte V orarbeit geleistet ist,
"von philosophischer Seite wohl bald Näheres hören, D o e r n e - Lückendorf,
Neueste theologische Literatur.
U n ter M itw irkung d er R edaktion
zusam m engestellt von O berbibliothekar Dr. Runge in G öttingen.