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Der Hauptmann aus dem Niemandsland.

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Clemens Laar

31. S)ahl

^ssen ~ Mtaarzopf 3luf'm Qarlenstuck 22

Der Hauptmann

aus dem Niemandsland

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Einband und Schutzumschlag von Grethe Jiirgens

Copyright

by Adolf Sponholtz Verlag Kom.-Ges., Hannover Druck: C. Ermacora, Hannover

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INHALTSVERZEICHNIS

Seite

Zum Geleit ein Weg zuriick... 7

Im Westen keine besonderen Ereignisse... 18

Panzerturm 1... 23

„Alarm bei Pćre Maginot"... 31

Feldpostnummer 13 798 ... 41

Das Schicksal tragt Feldgrau... 50

Eine Frau wird warten... 61

Minensperre fur Abschnitt K... 65

Urteil im Niemandsland... 73

Soldatenfrau... 93

Der Hauptmann kampftl... 105

Einholung eines Helden... 147

Tranen sind kein Erbe... 170

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Zum Geleit ein Weg zuriick . . .

W

ahrend servestellung der Zeit,zuriickgezogen da das Bataillonwar, hauste die in die Re- Gruppe in einem Schweinekoben. Ein Unteroffizier und neun Mann.

Es war der einzige Raum des Gehóftes, der noch gebrauchsfahig war. SeineGewolbedeoke maBan der hochsten Stelle zwei Meter fiinfzig, und damit war auch das Problem der Heizung am zweckmaBigsten gelost. Wir heizten selbst; Brennstoff war das, was unsere miiden, frostklappernden Kórper an Warme abgeben konnten.

Und das war nicht viel an der Westfront im Winter 1939.

Wir hatten eine erstklassige Raumeinteilung.

Jeder verfiigte iiber einen Streifen, der genau so breit war wie der Waschebeutel, der am Kopfende an die Wandgestelltwar. Dannkamen anschlieBend Tornister, Brotbeutel, Feldflasche und Kochgeschirr.

Nach links wurde erdurchden Spaten, nach rechts durch Koppel und Seitengewehr begrenzt. Am FuB- ende standen die Gewehre zwischen Stahlhelm und Gasmaske. Werinder Nacht ummehr als zehn Zen- timeter herunterrutschte, stieB mit automatischer Sicherheit gegen den Gewehrkolben. Nach nie ge-

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klarten Fallgesetzen traf die umfallendeKnarre pra- zis die Schienbeine oder Kniescheiben. Nagel in die Wand zu schlagen, ware miiBig gewesen, denn die gewólbten Wandę gestatteten kein Aufhangen. Licht gab es auch nicht, aber das erhóhte die Romantik der Umstande. Wenn morgens unser Oberjager — denn wir waren ein Jagerbataillon — die Taschen- lampeaufflammenlieB, glitzerte es marchenhaft von den Wanden. Sie waren dick bereift von unserem Atem.

Deshalb nannten wir unsere Behausung auch mit vielem Stolz den „Kristallpalast".

So wie diese eine Gruppe, so hausten tausende des deutschen Feldheeres in diesem schlimmsten Winter seit hundert Jahren. Weit vor den ersten Bunkerlinien lagensie und waren noch nicht einmal die erste Bastion des Westwalls, der die Heimat schiitzte. Vor ihnen lag noch eine andere Schanze aus warmen, leidensfahigen Menschenleibern, die Gefechtsvorposten in den Panzerdeckungslóchern, in den Schiitzenlóchemund MG.-Nestern.

Wir waren stolz auf unseren „Kristallpalast” und verlernten das Lachen nicht, trotzdem es verflucht schwer war, Woche um Woche, Monat um Monat nur auf den nachsten Tag zu warten, auf das ferne Drohnen der schweren Geschutze des Werkes Hackenberg der Maginotlinie zu hóren, auf die schneidige Antwort der eigen en Feldhaubitzen, die unglaublich weit vorn standen, und auf das regel- maBige Dammerungskonzert der Flak. Ein Spah-

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truppuntemehmen war der Gipfel kriegerischer Mógliohkeiten, eine gewaltsame Aufklarung oder gar der Einbruch eines starkeren StoBtrupps etwas, von dem wir alle traumten.

Doch wir wurden hart bei diesem Dasein der ewig grauen Farben. Es gab nichts, was den Mut hochriB, und nichts, was Ausblick und Ende ver- hieB. Wirverlemten auch bald, fiber Ziele und Móg- lichkeiten zu sprechen. Immer stiller wurde jeder einzelne von uns, und nur wer selbst die gewaltige Nervenprobe dieses Wartens ansich erlebthat, der weiB, wie schwer es war, sich Tag fiir Tag und ganz allein die Zuversicht zu erkampfen und den Willen.

Grau und glanzlos war das Licht, und unsere Ge- sichter wurden hart und schmal, aber von jeder Schlacke ausgegluht auch wurde der Wille, das Notwendige zu tun und zu bestehen. Ich glaube, der Soldat, der dann iiber die Grebbelinie stiirmte, der hinwegfegte iiber Lys und Schelde und Maas, der in unvorstellbaren Marschleistungen — in den Leistungen der auBersten Selbstverleugnung — zum Kanał vorstieB, der an derSomme und ander Aisne durchbrach, der Sieger auf dem Balkan und auf RuBlands Boden, der wurde in jenem Feldzug der starken Herzen geboren.

Das Schicksal fiihrte mich jetzt dorthin, wo da­ mals der Krieg auf der Lauer lag. Ich ging zuruck auf alten Spuren, die schon verschollen waren von dem ungeheuren Geschehen, das sich auf sechs Wochen konzentriert hatte.

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Den Krieg von damals suchteich, seine Stimmung und sein Gesetz. Ich wollte den eisig stahlemden Atem dieser Monate noch einmal spiiren und noch einmal die Statten sehen, wo wir damals kampften.

Wo wir ahnend spiirten, welche Krafte uns beweg- ten und beseelten. Krafte, die wir staunend ahnten, wenn es zurBegegnung im Vorfeld kam, und die im Mai und Juni aus tiefverborgenem Glauben be- schwingte, himmelsturmende GewiBheit wurden.

Wie wir damaLsden Krieg undsein weltgeschicht- liches Gesetz begreifen lemten, so verstand ich jetzt auf dem stillen Weg nach riick warts das un- aufhaltsame Gebot der Zukunft.

Ich schritt in den Frieden.

Da war im Dreilandereck das Bahnwarterhaus, in dem wir eine Nacht verbrachten. Eigentlich hatten wir es stiirmenwollen, denn im Morgengrauen noch hatte ein Spahtrupp es von franzósischer Kolonial- infanterie besetzt gefunden. Als wir dann kamen, hatte der Franzose abgebaut. Zuriickgelassen hatte er ein Bild sinnloser, irrer Verwiistung.

Als ich jetzt durch den tauenden Schnee auf das Streckenhaus zuschritt, da ging der Gefreite Meer- mannnebenmir.Ich dachte daran, wie er damals in­

mitten deswiderlichverdreoktenChaos niederkniete, ein Kinderlesebuch aufnahm und sorgsam und zart- lich dieSeiten glattstrich.Er war auch der erste, der muhsam anting, Ordnung zu schaffen, statt sich irgendwo in die Ecke zu hauen. Die andem machten 10

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es ihm dann nach. Das Haus blinkte vor Ordnung, und im verschneiten Garten fegten zwei Jungen den Steinweg zur Haustiir frei. Ein kleines Madchen schob einen Kinderwagen hin und her und sang.

Bestimmt hatte ihm das Lesebuch gehort.

Ich ging nicht hinein. Es hatte mich sonist viel­ leicht gedrangt, diesem Kind zu sagen, daB irgend­ wo an der Aisne der Gefreite Meermann unter einem Kreuz von der Heimat traumt, die wieder im Frieden liegt. Das Kind hatte es wohl noch nicht verstanden, daB der Gefreite Meermann fur sie und ihr frohes kleines Lied unter dem friihlingshaften Himmel gefallen war.

Ein Dorf fand ich, das damals ein Ruinenfeld zwischen den Stellungen gewesen war. Noch stan- den die Ruinen, aber dazwischenwuchsenschon die neuen Mauern. Ueberall arbeiteten die Manner, und die Frauen schichteten Steine und fuhren sie im Kinder- oder im Leiterwagen zum Bauplatz. Am Dorfausgang stand eine Feldkuche der NSV. Zwei junge Madchen trugen einen groBen Kessel zu den Arbeitenden und sangen dabei. Es war kein Sol- datenlied, sondern ein simpler Schlager statt eines Volksliedes, aber das machte wohl nichts aus. Es war so viel Kraft von Zuversicht und Freude am Kommenden, die dahinter steckte. Erst als das Dorf mit seinen frohlichen Menschen zwischen den Ruinen langsthinter mir lag, entdeckte ich, warum ich in diesem Liedchen vom unerschrockenen See- mann so viel mehr als einen Schlager gespurt hatte.

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Der lange Stammer, dess en unverwustlicher Opti- m ismus so manche gedrtickte Stun.de verscheucht hatte, der sang es. Es gab nichts, was seinen strahlenden, glaubigen Jungensblick auch nur ein wenig triiiben konnte. Was auch immer geschah an kleinen Argernissen und schweren Dingen, immer war er zutiefst davon iiberzeugt, daB es gerade so und nicht anders richtig war. Im Mai brauchte ihn die Heimat; seine Entlassungspapiere lagen schon fertig auf der Schreibstube und seine Frau daheim in Berlin schickte sich wohl schon an, zum Bahnhof zu gehen. Er aber lachte und blieb bei der Kom­ panie. Nach vier Wochen hatte auch er sich dem groBen erhabenen Marsch derer angeschlossen, die das Letzte fiir das Land gegeben hatten. Ich weiB ganz sicher, daB er in der Minute der hochsten Bewahrung wiederum fróhlich nach oben geblickt hatte und heilig iiberzeugt war, daB es genau so, wie es geschah, gut und richtig war.

So viele Kameraden gingen mit mir den Weg zu- riick. Oder ich ging ihnfiir sie, weil es ihnen selbst nicht mehr gegónnt war. Da war noch das Hasel- nuBgestriipp, in dem wir Andreas May vergessen hatten, als wir in einer klirren, frostigen Mondnacht auf das Bataillon warteten, das wir einweisen woll- ten. Die Stellung war im letzten Augenblick etwas geandert worden, und so kam es, daB wir erst beim Sammeln entdeckten, daB ja der Oberjager May fehlte. Der Zugfiihrer hatte die veranderte Ein- weisung iibernommen.

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Wir dachten, daB er erfroren sei, aber als wir uns dann vorsichtig zu ihm hinauspiirsohten, da fanden wir ihn mit den Augen am Feind und belebt und erwarmt von einem tiefen Gliick. Wir machten Witze, wie das so Soldatenart ist, aber fuhlten uns doch einwenig feierlich geriihrt. Etwas vom starken, zukunftsfrohen Glanz der tiefen Steme lag in seinen Augen. Vor zwei Tagen war er vom Urlaub zuriickgekommen, der ihm die langersehnte Ehe ge- bracht hatte. Welche marchentiefe Kraft hat doch die Heimat und das biBchen Menschengliick.

Im Juni hat er dieses Gliick bezahlt, weil er es freudig schiitzte.

Und Baronsky, derstille Gelassene, Lehmann, der stets bereitwillig und wortlos alles tat, wenn es einem anderen Kameraden nur ein wenig Erleich- terung schaffen konnte, Karau mit seiner unver- wustlichen Lebenskraft, der nur noch fiir die Kom­

panie dachte und lebte und alle anderen MaBstabe des Daseins vergessen hatte, und Else . . .

Wir begannen damals das Lied von Lóns emeut zu singen:

„Reich mir Deine Hand, Deine weiBe Hand . .

Immer sang er Arabesken mit, >und immer, selbst wenn es ganz dreckig zuging und wir auf dem Marsch gerade noch vom Willen gehalten weiter- torkelten, immer war es sein gescheit bewuBter Ubermut, der uns die Nase nach oben hob. Wenn

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beim England-Lied die Stelle kam, an der die Schiffsglocke klingt, dannschmetterte er laut „ping, ping" hinaus, und immer wieder muBten wir alle lacheln.

Solange das Lied ertónt, werden wir alle, so glaube ich, hóren, wie ganz leise von droben der Kamerad Else „ping, ping" macht.

Schritt fiir Schritt gingen sie alle mit mir den Weg in jene karge Welt, in der sie monatelang den Krieg ohne die groBe, berauschende und befreiende soldatische Tat tragen muBten. Monatelang, auf daB sich dann in wenigen Tagen ihr Schicksal erfiillte.

Es ging auch mit uns unser bester Kamerad, der uns ein immer wieder staunend erfaBtes Vorbild gewesen war und vor dessen begreifender kraft- voller Giite so vieles in uns zerschmolz, was klein und erbarmlich, was allzu menschlich, kurzum, was Schlacke war. Er ging mit uns, wie wir ihn so oft erlebt batten, straff und federnd mit seinen grauen Haaren, schlich t und stark in Blick und Wort, Offizier und Fiihrer, Vater, Freund und Kamerad von tausend Mannem.

Und keiner unter ihnen, der ihm nicht irgend etwas zu verdanken hatte. Keiner unter ihnen, der nicht das Gefiihl hatte, der da kennt dich mit all deinen schlechten und guten Gedanken. Er kennt dich und schatzt dich doch, er sorgt fur dich allein, er denkt nach iiber dich, er wird dich halten und fiihren. Die Alteren nahmen seine Gedanken und seine innerliche Haltung an; die Jiingeren, ohne es

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zu wissen, seinen Gang, seine Art zu sprechen und den verwegenen Sitz seiner Feldmiitze.

Unser Kommandeur! Unser Major von F.

Der Weltkrieg hatte ihn verschont, und heute wissen wir, daB es so war, weil wir ihn brauchten.

Nun fiel er an der Aisne im Augenblick des Sieges.

Nein, den Krieg fand ich nicht mehr, aber das Wissen fand ich, daB damals im winterlichen Rin- gen und Warten im Vorfelddes Westwalls der Geist geboren wurde, der die Kameraden dann im Friih- sommer siegen und uberwinden lieB. Diesen Geist fand ich all uberall, und nirgends spiirte ich ihn starker, als in jenen geheimnisvollen Stunden, da ich aus den Schanzen der Maginotlinie dorthin blickte, wo wir damals gelegen haben.

Ich ging durch die franzósischen Panzerturme und Gesohiitzstande, durch die Kasematten und Bereitstellungsraume, durch die Kraftwerke und Lazarette im Bauch der Erde, fuhr im klirrenden Lift wieder hinauf und preBte das Auge an das Okular der Zielgerate, die uns vonhier aus damals den Tod schicken woli ten.

Ich tat es fiir die andern, und wenn die fran- zosischen Offiziere Erklarungen sprachen, dann sah ich sie hinter uns stehen undstill lacheln, und hart im engen Raum der Panzerkuppel standen neben- einander der Soldat von hiiben und driiben. Es be- gegneten sich derGeistvom Westwall und jener der

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Ligne Maginot, und klar und selbstverstandlich be- greifbar wurde der deutsche Sieg.

Hier in der Ligne Maginot war es auch, daB ein anderer sich unserer unsichtbaren Kavalkade an- schloB, der Pionier-Hauptmann X.

Ein elsassischer Artillerieoffizier beschwor sein Gedachtnis herauf, als er davon sprach, daB einmal im Winter 39, einige hektische Tage hindurch, der Krieg der beiden Armeen nur ein Ziel gekannt zu haben schien: Die Leiche eines deutschen Ofliziers.

Ja, da trat er zu uns, der Hauptmann X, und alles, was an Geruchten und Erzahlungen um jene ab- sonderliche Episode damals an der Front umging, was uns seltsam an die Herzen riihrte und was jeder so empfand, als ginge es auch ihn, ihn ganz per- sónlich an, das stand wieder auf. Die Geschichte vom Pionier-Hauptmann.

Ich erinnerte mich, wie uns damals die legendare Wucht dieser Geschehnisse hochriB, aber erst hier zwischen franzosischen Offizieren und Kanonieren, die ihre Gefangenschaft mit der Instandhaltung der Werke ausfiillten,hier begriff ich, warum es so war.

Denn dieser Hauptmann X und sein Schicksal, sie waren die Verkorperung des Gesetzes, das uber unserem Scheitel stand. In dieser Legende der Front, geschrieben von der Feder der Wirklichke.it, spiegelte sich jener Geist, zu dem ein ganzes Heer sich emporzwang und kampfte. Heldentum ohne Pathos, unbegriffen heldisches Handeln als selbst- verstandliche niichteme PfEcht.

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Die deutsche Front.

Und nun will ich die Geschichte vom Haupt­ mann X erzahlen, so wie sie sich, aus Erinnerungen von damals und zuriickschreitend auf neu gefunde- nen Tatsachen, wohl abgespielt haben mag:

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1

Im Westen keine besonderen Ereignisse.

E

s war das Gliick des Gefreiten Knodler, daB er gerade den Spaten in der Hand hielt. Da un- mittelbar vorher der regelmaBige Mitternachtssegen uber ihn hinweggerauscht und wieder verstummt war, hatte ihm das Gewissen geschlagen. Mit dem Mitternachtssegen deckten die Franzosen mit ihren Langrohren vom Hackenberg her in schónerGleich- maBigkeit die Stelle ein, an der in grauen Vorzeiten die Feldkuche des Nachts zu haiten pflegte. Es war also 12 Uhr, undin einer Stunde wurde abgelóst. Es gehorte sich, daB man diesem schlammgefiillten, buttenhaften Gebilde unter dem zerschossenen Kirschbaum wenigstens einigermafien das auBere Geprage eines vorschriftsmaBigen Schutzenloches wiedergab.

Nach den wohlgezahlten 25 SchuB des franzó- sischen Feueruberfalls rauschte die regenfeuchte Stille der Nacht wie ferner Meereslaut in seinen Ohren, aber trotzdem horte er unverkennbar von links, vom Doppelposten her, einen unterdruckten Aufschrei und ein dumpfes Gepolter.

Sein erster Gedanke war an den Feind, aber da

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der Mensch im Grunde nicht an den Tod glaubt, so glaubt er auch nicht an den Feind. Bis zu dem Augenblick, da er ihn erfahren hat, und seit das Pfalzerregiment die vor ihnen hier-liegenden Meck- lenburger abgelóst hatte, hatten sie auBer der fran- zosischen Artillerie nichts vom Feinde zu spiiren bekommen. Nur daB dann und wann in der Gegend der franzósischen Stellungen erhaben und spiele- risch zugleich Leuchtkugeln aufstiegen undschmerz- lich feierlich zergingen.

Angestrengt horchte er in die Nacht hinaus. Das Dunkel vor seinen Augen begann zu flieBen.

Denen wird das Loch eingestiirzt sein, dachte er befriedigt. Er hatte es absolut miBbilligt, so steil und tief in die Erde zu gehen, wie die es driiben getan hatten. Bei dem ewigen Regen konnte -das auf die Dauer nicht halten. Und zum Abstiitzenmit Faschinen kam man nicht, Dazu lag der Franzose wieder zu nahe. Es war iiberhaupt eine dreckmaBige Stellung. Fast iiberall konnten die von driiben ein- sehen. Man lebte nur noch auf dem Bauch.

Die Stille, von der er nicht wuBte, daB es das eigene Blut war, rauschte inden Ohren. Scharf und unheimlich diinn pfiff es in den Luftlóchern des Stahlhelms.

Da . , .

Das war unmittelbar hinter ihm,

Ein dumpfes Klatschen, unmerklich fast, als wenn ein Kórper sich schnell auf die feuchte Erde ge- worfen hatte.

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In einem wilden, gluhendheiBen Erschrecken fuhr er herum und hatte, ohne es zu wissen, dabei die rechte Hand mit dem Spaten hochgehoben.

Aus dem Dunkel vor ihm wuchs sprunghaft ein Schatten auf, und im gleichen Augenblick spiirte er einen seltsam fremdartigen, modrigen und ran- zigen Geruch. Eine jahe, instinkthaft schnelle Er-

kenntnis. Schwarze. Im gleichen Sekundenbruchteil dazu die Erinnerung an den Thiiringer Kanonier, der ihm in Kaiserslautern in der „Roten Lateme"

erzahlt hatte, wieseine Abteilung damals hinter der angreifenden Division die Franzosen uber die Grenze geschmissen hatte. Der Franzose hatte sich damals unbemerkt losen wollen, aber sie blieben ihm auf den Hacken. Die Infanterie und sie, die bespannten Feldhaubitzen. Uber den Daumen hatten sie zum SchluB gerichtet, und nachher muBten sie den Franzosen die Graberbuddeln. Alles Schwarze.

Senegalschiitzen. Der Gestank, Kinder. Wie in einer Gerberei, wo die Felle lagern . . .

Alles das drangt sich in einem einzigen halben Atemzug demGefreitenKnodler zu einemzerreiBen- den, wahnwitzigen Gefiihl des Grauens zusammen, und ehe er weifi, was er wirklich tut, schlagt er mit dem erhobenen Spaten.

Er schlagt dem unheimlichen Angreifer aus dem Dunkel genau auf die Faust, die mit dem breiten Buschmesser schon erhoben war; er hbrt das schrille Klingen von Metali auf Metali, spurt das etwas kraftlose Abgleiten des Hiebes, und als er 20

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jetzt das zweite Mai blitzschnell ausholt und zu- schlagt, da geschieht es mit BewuBtheit und ziel- sicherer Wut.

Ein Kórper fiel kraftlos gegen seine Beine. In wil- dem Ekel versuchte er, ihn fortzustoBen. Er begriff sogleich die Unmóglichkeit in dem engen Schiitzen- loch und stand einen Augenblick hilflos da.

Oberall war jetzt die Nacht lebendig geworden.

Er hórte das dumple Patschen von laufenden FuBen vor sich, hórte es zur Rechten und zur Linken, wollte zu den Handgranaten greifen, und begriff jetzt erst, daB er mit verkehrter Front stand.

Weit vor ihm, also hinter ihm, begann jetzt ein Maschinengewehr in bósartigen rasselnden StóBendie Nacht zu zerschlagen. Ein zweitesund drittes setzte ein. Die Maschinengewehre an den Abschnitts- grenzen der Kompanie schossen mit Leuchtspur- munition.

Damit wurde ihm alles klar.Sie, die Horchposten, waren umgangen oder niedergemacht, aber an dem ersten Feldpostenschleier holten sichjetzt die Fran­ zosen blutige Kópfe.

Ob es alles Schwarze waren?

Wahrscheinlich!

Der dumpfe Laut springender, jagender FiiBe wurde immer vielfaltiger um ihn herum. Er hórte knurrende, halbabgerissene Laute, dann sogar, un- mittelbar neben ihm zur Linken drei scharfe Triller- pfiffe. Hinten rasten in atemlosen FeuerstóBen die eigenen Maschinengewehre.

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Ein wilder, besinnungsloser Jubel ffillte ihn aus.

Am liebsten hatte der Gefreite Knódler laut hurra gebrfillt.

Er hatte es ruhig tun kónnen, denn was er nun tat, war genau so selbstverraterisch, genau so be- sinnungslos pflichttreu.

Mit einem einzigen Ruck befreite er seine FfiBe von der Umklammerung der zusammengefallenen dunklen Masse am Boden des Schfitzenloches. Es wurde ihm nicht bewuBt, daB er rucksichtslos auf diesem zerschlagenen Menschenkórper herumtrat.

Er griff zu seinen Handgranaten, horchte mit fiber- wachen Sinnen in die Nacht, und wenn eine Rich- tung und eine Entfernung ganz zweifelsfrei fest- standen, dannpackteer den schon heraushangenden Knopf genau wie vor den Augen seines Ausbilders auf dem Obungsstand zwischen Zeige- und Mittel- finger, stieB vorschriftsmaBig die Rechte mit dem Stil nach unten, horchte kurz auf das leise Zischen und warf dann mit langem Schwung fiber Schulter und Kopf die Granate, Kfihl bis ans Herz hinan, von den Zehen bis zum Scheitel nichts als Ziel und Wurf. Vier Handgranaten hatte er, und alle vier durfte er werfen, und weil er im Orangeblitz der letzten Detonation ein ganzes dichtes Rudel von Schatten wahmahm, kam das zurfickgepreBteHurra nun doch fiber seine Lippen und ubertónte, jeden- falls fiir ihn, die drei Pistolenschfisse, die ihm galten.

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II Panzerturm 1.

E

s rochwerkes Hackenberg. nach heiBer ÓlfarbeDer Turm hatte, im Turm 1 deswie Ost-all- nachtlich, aus den automatischen Zwillingsrohren seine 25 Lagen gefeuert, und wie immer hatte der Aufzugsmotor gerade diese Arbeitsleistung ertragen.

Er war, wie gewohnt, nach dem vierundzwanzigsten SchuB ins Stocken geraten, der Anzeiger war an genau der gleichen Stelle wie immer, kurz iiber dem Wort „Eclipse" stehen geblieben, und es hatte ge- miitlich angefangen zu schmoren.

Niemand regte sich mehr auf dariiber. Solche Dinge gehórten einfach zum Programmablauf des Alltags in der Maginotlinie, und der Versuch, durch besserePflege des Geschiitzaufzuges etwa Abhilfe zu schaffen, ware auf tiefste Verwunderung gestoBen.

Wozu auch? Der Turm hatte die Aufgabe, zur bestimmten Stunde eine bestimmte Anzahl Schiisse abzugeben, und das geschah. Wozu eine unnótige Miihe, fiir die kein ersichtlicher Grund vorhanden war?

Selbst der Kommandant des Turmes, der blasse und etwas wirraugige Oberleutnant Mathieu Kette-

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rer, der eine gewisse bochehafte Geschaftigkeit nicht ablegen konnte, hatte sich inzwischen daran gewohnt, daB Befehlein dieser Richtung einem ent- gegenkommenden: „Certainement, mon Comman­

dant, ęa 'ra t'a 1'heur!" begegneten, aber niemals befolgt wurden.

Was sollte er tun?

Jetzt saB er auf seinem Drehstuhl in der Beob- achtungskuppel und starrte in die Nacht hinaus. Es war vollig unsinnig, denn es gab uberhaupt nichts zu sehen, aber ein geheimnisvoller Zwang trieb den Oberleutnant Mathieu Ketterer immer wieder an das Okular, ob es Tag war oder Nacht, ob der Dienst es erforderte oder nicht. Er stand unter einem Bann, der ihm jede freie Willensbestimmung, jedes anderslaufende Geftihl, jeden abseits gelege- nen Gedanken nahm.

Dort driiben, wo am Tage im violetten Dunst in Schieferblau und manchmal — wenn Sonne war — in kraftigem Griin sich Hóhenztige schwangen, da lag das Schicksal. Sein Schicksal und das der ganzen Welt. Dahinten lag schweigend und uner- griindlich das deutsche Heer.

Seit Mitte Juli 1939 steckte der Oberleutnant Mathieu Ketterer in diesem Turm, seit dem Juli lebte er in dieser Panzerrundung von knapp drei Meter Durchmesser. Die Kulissen, in denen er sich bewegte, das Panzerwerk selbst, war so gut wie nicht vorhanden fur ihn. Er lebte driiben in jener magisch belebten, gespenstisch leblosen Landschaft,

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die das Schicksal barg. Selbst im Traum sah er sie vor sich. Er kannte jeden Hóhenzug und jede Tal- senke, jede Kuppe, und jeder Sattel in den Wein- bergen jenseits des grofien Grenzflusses war ihm bekannt.

Noch nie hatte er in jener magischen Landschaft einen deutschen Soldaten gesehen, noch nie das Mundungsfeuer eines deutschen Geschiitzes fest- gestellt. Nichts hatte er gesehen, als dann und wann einmal am Himmel der Dammerstunde die grauen Reihentupfen der deutschen Flak, wenn ein eigener Aufklarer sich verspatet hatte. Man schickte ja auch nachts die Aufklarer iiber die Grenze, aber noch nie hatte einer einigermafien greifbare Resul- tate mitgebracht.

Nur er, der Oberleutnant Mathieu Ketterer, der seitBeginn des Krieges noch keinen deutschen Sol­ daten leibhaftig erblickt hatte, er sah bildhaft und mit zwingender Kraft, was drtiben vor sich ging.

Er sah die Divisionen des grauen, stahlernenHeeres die Walder fiillen, erblickte blutnahe die tausend und abertausend Gespanne, die des Nachts auf heimlichen Waldwegen die Nahrung des Todesher- anschleppten, er hórte das schnalzende Rollen von Millionenvon Pneumatiks auf den funkelnagelneuen strategischen StraBen. Er hórte das urwelthafte Klirren der Raupenketten zahlloser Panzer. Er sah dies stahlerne Meer sich heranschieben, er sah in ihren Luken die schwarzen Ritter stehen, die ihre Herren waren. Starr und ehern den Blick nach

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Westen gerichtet. Er hórte das Brtillen der Motore auf den Feldflugplatzen und immer wieder und uber allem den zerstórenden, das Herz stocken machen- den Marschtritt eines ganzen Volkes in grauem Tuch und grauem Stahl.

Im Wachen undSchlafen sah er diesen ungeheuer- lichen Robot, diese gigantische erbarmungslose Ma- schine vor sich, und oft stóhnte er im Traume auf.

Sein Bursche hatte ihm einmal versichert, daB er hurra geschrien hatte. Ein hartes und preuBisches Hurra, aber das war unmóglich. Seit der Oberleut­ nant Mathieu Ketterer ein Junge von acht Jahren gewesen war, hatte er nicht hurra gerufen. Erhatte es verlernt, als diese gleiche hassenswerte, lebens- feindliche, erbarmungslose und satanische Maschine den Vater in die Glut des Hardoumont geworfen hatte, um ihn auszutilgen ohne Spur und ohne ein Stiick, an das sich die Erinnerung hatte klammern kónnen. DerVater war ein StraBburger Handwerker und einpreuBischer Unteroffiziergewesen undhatte an diese Maschine geglaubt. Ein Narr seines Her­

zens. Die Mutter hatte geweint und war irre ge- worden vor Jammer, und eines Tages war sie mit einem Berliner Textileinkaufer auf und davon ge- gangen und hatte es den Verwandten iiberlassen, den kleinen Mathieu zu einem Franzosen zu machen.

Sie hatte ihn nur heimatlos gemacht, aber das wuBten weder sie noch Mathieu, Nicht einmal jetzt wuBte er es, und nur ganz heimlich tauchte dann

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und warm eine Ahnung in ihm auf, ob der HaB, der ihn mit brennenden Augen nach Osten starren lieB, nicht etwa Sehnsucht war.

Unter ihm im Turm spielten sie Faro. Siestritten sich und beschuldigten den Korporał, falsch ge­ geben zu haben. Es war ein gutmutiger Streit. Man nahm es dem Korporał nicht iibel, denn er hatte recht. „Du weiBt, mein Alter, es sind lausige Zeiten.

Man muB sehen, wo man bleibt."

Eine Ordonnanz brachte in einer alten verbeul- ten Waschschiissel die abendliche Verpflegung fiir den Turm. Er hatte eigentlich schon am spaten Nachmittag kommen miissen, aber wahrscheinlich war die Bahn von der Verpflegungszentrale bis zur Bergbasis wieder einmal nicht gegangen, und der Mann hatte mit Recht abgelehnt, 4 Kilometer hin und 4 Kilometer zuriick zu laufen, nur um einigen Leuten, die doch schliefen, ihre Olsardinen zu bringen.

Auf den Kopf kamen zwei halbe Flaschen Pernod, ein WeiBbrot, eine Biichse Langusten und zwei Biichsen Ólsardinen. Man beschloB, dem Oberleut­ nant Ketterer eine halbe Flasche Pernod und eine Biichse Olsardinen zu iiberlassen. Die drei Zigarren

„Diplomates" sowie die kleine Zinnbiichse mit eng- lischen Zigaretten, die zur Offiziersverpflegung ge- horten, wurden selbstverstandlich grundsatzlich ein- behalten.

Ganz wohl war ihnen nicht, denn heute waren ihreAbstriche an der Verpflegung des Kommandan-

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ten besonders umfangreich, und so iibernahm es der Korporał selbst, die Verpflegung in die Beobach- tungskuppel hinaufzubringen.Der Kommandant tele- fonierte und schien so gefesselt zu sein, daB der Korporał heftige Anwandlungen des Bedauerns nicht unterdriicken konnte. Eine halbe Flasche Per­

nod hatte es auch getan.

Ketterer sprang auf: „Ich muB zum Colonel.

Lassen Sie den Stand besetzen. Am besten bleiben Sie selbst hier, mein Braver."

Er polterte die Wendeltreppe hinunter und horte nicht mehr das Geschimpfe des Korporals in seinem Lothriniger Patois: „Mer tonneres! Po' ques ques on es fat s'guerr? Qu'es besan d'enne zit . . . n'orrai se fat enne Hitlerlo just-instant!"

Es bedeutete ungefahr: „Verfluchter Mist! Wozu hat man bloB diesen Krieg angefangen? Wer hat diese ,Sch . . uberhaupt gewollt. War’ schon besser gewesen, man war' rechtzeitig Hitlerist ge- worden . .

Inzwischen rollte der Oberleutnant Mathieu Ket­

terer vier Stockwerke tieferauf einer Draisine zum Sudflugel des Werkes, wo die Raume des Werk- kommandanten lagen. Im rótlichgelben Dammerlicht des Tunnels tauchten dann und wann schemenhaft Gesichter auf. Mechanisch beantwortete Ketterer gelegentlich Ehrenbezeugungen. Poltemdund quiet- schend rollte ein Zug mit Lebensmitteln voruber.

Aus den offenen Loren stieg ein Geruch von Blut und leicht angegangenem Fleisch auf. Ein Offizier

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mit Baskenmiitze und einem hellblauen Schal um den Hals trat an die Draisine:

„Sieh da. Mathieu. Wie geht es, mein Alter?"

„Hallo, Caspar! Hast Du Betriebsdienst?"

„Zum Teufel, ja, es ist genau so widerlich wie alles andere. Hoffen wir, daB es bald voriiber ist.

Wann werden die Koumstesser verhungert sein?"

„Am 23. November, mittags 12 Uhr", sagte Ket­ terer emsthaft. „Ich weiB es aus beater Quelle. Du weiBt, ich habe Beziehungen nach oben."

Beide Offiziere lachten, aber es klang sehr bitter.

Vor einigen Wochen war ein Deputierter im Werk gewesen und hatte ihnen versichert, daB der Krieg unmóglich langer als acht Wochen dauern konne.

Die Deutschen seien jetzt schon am Verhungem.

Man hatte ihm often ins Gesicht gelacht.

„Willst Du auch zum Alten?" fragte Caspar schlieB- lich niichtern.

„Ja, er hat es sehr eilig gemacht. Was ist denn los?"

„Ich weiB es nicht. Wieder einmal einegroBartige Besprechung. Vielleicht wieder einmal ein Korps- befehl mit unerhórten Neuigkeiten, die es schon gestem nicht mehr waren. Vielleicht ist aber wirk- lich etwas los. Die 12. Kolonialen sollen heut nacht angegriffen haben. Vielleicht haben sie das deutsche Heer mit ein paar Sardinenbuchsen aus der Sieg- friedlinie gelockt.”

Die Draisine rollte an. Der Fahrer hielt es nicht furnótig, einen Befehl abzuwarten. Ketterer winkte

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lassig zuriick. Ihn frostelte. Vielleicht hórt man wirklich einmal etwas Gutes, das kein Schwindel ist, dachte er, ohne daran zu glauben. Die Draisine schwenkte in einen Quergang. In der Feme gleiBte freundlich und hell weiBes Licht ausgroBen Kohlen- lampen. Der Tunnel weitete sich zu einem kleinen bahnsteighaften Vorplatz. Eine Reihe von Olfizieren, auch einige Unteroffiziere darunter, standen umher.

Ein hochaufgeschossener Hauptmann mit einer schwarzen Hornbrille und einem Seehundbart schrie Ketterer ein heiseres „salut" entgegen.

„Meine Braven, auch der Held der Mitternacht ist da. Gehen wir hinein und erfahren wir, daB die Alliierten wieder einmal eine Schlacht gewonnen haben."

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III

„Alarm bei Pere Maginot"

er Adjutant des Werkkommandanten nahm sie

•L' in Empfang. Er hatte nur einen Arm und trug die Auszeichnungen der Weltkriegsteilnehmer. Er sahblafiund ein wenig aufgeschwemmt aus, wie sie alle, die seit Wochen kein Tageslicht gesehen hatten."

„Haben Sie alle Ihre Karten mit, meine Kame- raden?"

Es erwies sich, daB nur zwei Sergeanten Stel- lungskarten bei sich trugen. Man kannte ja nach- gerade diese ewigen Besprechungen mit ihren vagen Andeutungen und tausendfach wiederholten All- gemeinplatzen.

Der Adjutant machte ein bedenkliches Gesicht:

„Ich glaube, heute handelt es sich wirklich um kon- krete und schwerwiegende Dinge. Einige Karten sind noch vorratig. Vielleicht, wenn immer zwei von Ihnen, meine Kameraden . .

Eine Rolltiir flog ziemlich heftig zur Seite. Der Kommandant.

Oberst Mengin war fullig untersetzt, energie- 31

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geladen. Er zeigteeine verbliiffende Ahnlichkeitmit Joffre und tat alles, sie durch kleine AuBerlich- keiten zu unterstreichen. So trug er beharrlich Ga- maschen und sprach niemals anders als mit schrag in die Hiiften gestemmten Handen.

Im Gegensatz zum ersten franzósischen Ge­

neralissimus zeichnete ihn hingegen eine aus- gesprochene Redseligkeit aus. Seine Offiziere hatten ihn zuerst „Tartarin Joffre" genannt, dann in „Tar­ tarin Joff" abgekiirzt, um es blinzelnd zum SchluB bei „Tartarin Juif", dem „judischen Tartarin" be- wenden zu lassen. Einige seiner jungen Leute woll- ten wissen, daB er wirklich Judewar, und das recht tiefgrundige Wort des Hauptmanns Creuille le Fer, der Oberst Mengin sei nur deshalb fiir einen sofor- tigen Frontalangriff gegen die Siegfriedlinie, um endlich eine geeignete Klagemauer zu finden, hatte dazu gefiihrt, daB der Kommandant den jungen Ka­

pitanmit ausgesprochen persbnlichemHaB verfolgte.

Jetzt stand er in bewahrter Joffre-Haltung, leicht auf den FuBballen wippend, vor seinen Offizieren.

„Meine Kinder", sagte er sonor und iibersah mit Anstrengung das unverschamte Feixen auf dem Ge- sicht des Kapitans Creuille le Fer. „Meine Kinder, die Stunde der Entscheidung steht nahe bevor. Es ist mein Wille, Sie alles wissen zu lassen, und so kann ich Ihnen heute erklaren, daB unsere Armee- fiihrung Nachrichten daruber erhalten hat, daB der seit Wochen erwartete deutsche Angriff in Kiirze, und zwar in unserem Abschnitt erfolgen wird.” Er 32

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machte eine Pause und sah forschend umher. Seine Offiziere sahen ihn mit unbewegtem Gesicht an.

Es war ungefahr das zehnte Mal im Verlauf von acht Wochen, daB ihnen Mengin diese Offenbarung machte.

Mengin selbst schien sich daran zu erinnern.

„Ich weiB, es hatmanchen vergeblichen Alarm ge- geben, aber die Griinde liegen auf der Hand. Unser Nachrichtendienst hat bisher — ich bedaure sehr, dies sagen zu miissen — nahezu restlos versagt. lin Gegensatz zum Weltkrieg. Jetzt haben wir durch verlaBliche Agentenaussagen GewiBheit, daB seit den letzten Oktobertagen im Raume Trier, Kaisers­

lautern, Pirmasens zwei neue deutsche Armeen ver- sammelt werden. Die 16. deutsche Armee unter dem General Busch hat ihren Aufmarsch zu dieser Stunde wahrscheinlich schon beendet. Meine Kin­ der, Sie wissen, was dies allein zu bedeuten hat...”

„Ich bitte, mein Oberst, eine Frage stellen zu diirfen."

Creuille war ein wenig vorgetreten. Mengin sah ihn unbehaglich an.

„Fragen Sie, Kapitan."

„1st die Nachricht von dem Aufmarsch der beiden deutschen Armeen das Resultat eigener Aufkliirung oder stiitzt sich diese bedeutungsvolle Information auf Agentenmeldungen?"

„Es ist nicht die Gewohnheit der Armeefiihrung, den untergeordneten Dienststellen mitzuteilen, auf welchen Unterlagen ihreInformationen basieren.Ich

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bin jedoch in der Lage, Ihren Wissensdurst zu be- friedigen, Kapitan. Die Informationen sind Agenten- meldungen."

,,Aha,“ sagte Creuille hohnisch. „Mein Onkel hat mir vor wenigen Tagen verraten, daB so ziemlich alle Agentenmeld ungen, die wir erhalten, reiner Unfiug sind oder sich auf judische Mittelsmanner stiitzen."

Es war eine offene Herausforderung. Alle hielten den Atem an, aber Mengin steckte den Hieb ein.

Er muBte wohl. Die zweifache Erwahnung des

„Onkels" hatte ihren Grund. Creuilles Onkel war Unterstaatssekretar im Kriegsministerium, war In- haber der Aktienmajoritatder Hispans Laira-Werke und auBerdem der Regierungsbeauftragte fur die Baudurchfiihnung der unterirdischen Rustungsan- lagen bei Paris. Kurzum, eine der anonymen Ge- walten, die Frankreich regierten, und wie weit sein Arm reichte, erkannte man am besten am jungen Creuille. Ein anderer hatte schon ein dutzendmal wegen eingestandenem Defaitismus sich vor dem Kriegsgericht zu verantworten gehabt.

Mengin machte einen sohwachen Versuch zu einem Gegenschlag.

„Auch Ihnen, Kapitan Creuille, sollte es eigent- lich bekannt sein, daB die militarische Fiihrung sich nicht wahllos auf Agenten-Nachrichten verlaBt,son- dern sie jederzeit mit alien gegebenenMitteln veri- fiziert."

„Demnach ist der Himmel fiber dem Moselraum

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schwarz von unseren Aufklarern?" sagte Creuille erbarmungslos.

Die andern wurden unruhig. Jetztginig Creuillezu weit. Uber diese Dinge sprach mannicht. Es grenzte an Wiirdelosigkeit,derart offen auf die eigene Ohn­ macht zu deuten. Sie alle wuBten, wie katastrophal es um die franzosische Luftwaffe aussah. Sie muB- ten dem Schicksaldankbar sein, daB die Deutschen noch keinen Gebrauch von den Legionen ihrer Bombenflugzeuge gemacht hatten.

„Unsere Aufklarungsflugzeuge tun ihre Pflicht", sagte Mengin abweisend, „aber der Luftaufklarung sind Grenzen gesetzt."

„Unserer Aufklarung", sagte Creuille hart. „Die Deutschen fliegen."

„Es ist nicht unsere Sache, dariiber zu urteilen.

Wenn die Tatigkeit unserer Luftwaffe eine andere ist, als sie militarisch zu erwarten war, so hat dies hohere politische Griinde."

„Das kann man wohl sagen", brachte jemand er- bittert heraus. Diesmal war es nicht Creuille.

Mengin wurde ernergisch.

„Ich bitte jetzt, meine Kinder, von Abschweifun- gen abzusehen. Wir miissen mit der Tatsache rech- nen, daB uns gegeniiber zwei deutsche Armeen in aller Stille aufmarschieren. Ichgebe zu, daB es eine ausgezeichnete Leistung meiner Herren Kameraden von driiben ist."

„Er kommt sich tatsachlich wie Joffre vor", sagte einer halblaut.

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Mengin muBte es gehórt haben, aber er verstand es ausgezeichnet, uber diese Disziplinlosigkeit hin- wegzusehen.

„Ich bitte, meine Kinder, jetzt die Karten zur Hand zu nehmen. Ich beginne: Eigene Aufklarung, ich unterstreiche, eigene Aufklarung hat im Ab- schnitt Sankt Avolt das Auftauchen neuer, un- zweifelhaft suddeutscher Truppen festgestellt. Das gleiohe gilt fiir den nbrdlichen AnsohluB Bouson- ville und fur unseren eigenen Abschnitt. Ich weiB, diese Dinge sind fiir uns als Kampfer des verewig- ten Heroen Maginot zunachst bedeutungslos. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns damit zu befassen, und doch, meine Kinder, miissen wir es tun. Denn wir sind das Schild, das unser Vaterland, das Herz der Kultur der ganzen Welt, das Zentrum der Zivili- sation, vor dem Ansturm der Barbarei zu schiitzen hat. Wir miissen vorbereitet sein, und darum habe ich Sie hierhergebeten. Ich weiB, es ist ungewohn- lich, aber die GróBe unserer Aufgabe verlangt das Ungewóhnliche. Das GroBe ist immer ungewóhn- lich . .

Stolz sah er sich um.

„Welch tiefschiirfender Geist", fliisterte Creuille Ketterer zu. Der sah ihn an, als ob er aus tiefem Traum erwachte. Creuille bemerkte es und wurde emst.

Recht hatte er, unser kleiner verhinderter Boche, dachte er in schmerzlicher Wut. Traumen ist ein

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Ausweg. Die Augenschliefien und nichts bemerken.

Esist jedenfalls wiirdiger, als sich fiber das lustig zu machen, was einem heilig sein sollte und was die Mengins mit und ohne Uniform verdrecken und zer- stóren und entwerten.

Mengin hatte durch seinen Adjutanten die Ab- schnittskarte und den Feuerplan der Werkgruppe entfalten lassen. Er sprach von Befehlen, die er schriftlich erlassen wiirde, er sprach ausschlieBlich von Dingen, die zu tun waren und die man tun wiirde. Niemand hórte mehr hin. Jeder war mit eigenen Gedanken beschaftigt.

Zwei neue deutsche Armeenunmittelbar vorihren Rohren. Das konnte doch nichts anderes heifien, als daB die Deutschen wirklich angreifen wollten. Aber hatte ihnen die oberste Fiihrung nicht vor wenigen Tagen erst das genaue Gegenteil versichert? Der Ministerprasident war in der Linie gewesen und hatte— wie er beteuerte — mit authentischen Zif- fem die Ohnmacht der Deutschen zu jeder Offen­

sive nach Westen bewiesen. Aber war er nicht schon mit Winston Churchill im Spatsommer er- schienen? Hatten beide groBen Manner damals nicht mit gleicher iiberzeugender Art erklart, daB, falls es zum Krieg kommen wiirde, die Masse des deutschen Heeres sich in einem mindestens zehn- monatigen Ringen gegen die moderne polnische Armee zermiirben wiirde? Hatte Churchill nicht auch behauptet, der Grundtyp des deutschen Sol- daten sei ein schlecht bewaffneter, unterernahrter

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und widerwillig kampfender Mensch, der die erste Gelegenheit zum Oberlaufen wahrnehmen wiirde?

Hatte man in alien Zeitungen nicht immer wieder gelesen, daB eine Kriegserklarung in Deutschland identisch mit der Revolution und der Fortfegung das Naziregimes sein werde?

Man fiihrte bald ein halbes Jahr Krieg, aber von Revolutionen da drubenwarnicht mehrdie Rede.

Es wurde auch nicht mehr gesprochen von der modernen, jungen heroischen polnischen Armee, die den unfahigenNazigeneralen vor den Toren Ber­ lins ein Cannais bereiten wiirde.

Und den deutschen Soldaten, den hatte man in- zwisohen im Vorfeld kennengelemt. Der lustlose, widerwillige und immer undisziplinierter werdende Kampfertyp, der trug Khaki und nicht Feldgrau.

Konnte man es ihm verdenken? Konnte man noch als Soldat fiihlen und handeln, wenn einem die Mengins und die zetemden Advokaten jeden Glau- ben und jedes Vertrauen nahmen? Zwei deutsche Armeen!

Wenn sie wirklich da waren, dann waren es be­

stimmt vier, und wennsie angriffen . . .

Plótzlich aber horchte dieser und jener auf. Men­ gin hatte, offenbar ganz nebenbei, etwas erwahnt, was wirklich interessant war. Endlich einmal eine Tatsache, ein klares unmiBverstandliches Faktum:

Die 97. Kolonialbrigade sollte morgen um 20 Uhr in ihrem Abschnitt zwischen Lauensdorf und Rettin- gen in ganzer Breite eine gewaltsame Aufklarung

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durchfiihren. Mengin faselte bereits von einem DurchstoB bis nach Merzig.

Sollte man heulen oder lachen?

Nun, gleichgiiltig. Es wurde angegriffen, und man wiirde, so oder so, GerwiBheit haben. In der Nacht, also genau vor zwei Stunden, hatte man ein Ba- taillon Senegalesen in die Minenfeldervon derdeut- schen HKL. gejagt.

Etwas Unerwartetes war geschehen. Es gab keine Minen dort. Nach Tartarin waren die Senegalesen weder auf Minen noch auf ernsthaften deutschen Widerstand gestoBen, hatten einen dunnen deut­ schen Infanterieschleier durchstoBen, waren bis in die Feldstellungen der deutschen Haubitzbatterien gelangt und hatten sogar einige Bautrupps nieder- gemacht, die kurz dahinter mit der Betonierung neuer Bunker beschaftigt waren.

Das konnte unter Umstanden sogar stimmen. Bei tiefhangenden Wolken sah man dann und wann nachts hinter der deutschen Linie helle Lichtreflexe, und es war offenes Geheimnis, daB dort die Deut­ schen entweder mit unwahrscheinlicher Einfalt oder mit einem gleichstarken ruhigen KraftbewuBtsein bei Scheinwerferlicht Bunker bauten. Unter BeschuB konnte man sie nur mit schwerster Steilfeuerwaffe nehmen, und die gab es in Frankreich nur auf dem Papier.

Und Bombenangriffe?

Mein Gott, wie zitterte man vor der Vergeltung.

Wo steckten aber die beiden sagenhaften deut-

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schen Armeen, wenn in einem wichtigen Abschnitt ein einzigesBataillon Schwarzer beinahe zehn Kilo­ meter tief in die deutschenLinien eingebrochen sein wollte. Selbstwenn man zufallig auf eine Nahtstelle gestoBen sein sollte, so war es doch im hóchsten MaBe unwahrscheinlich, daB die Deutschen eine Be- reitstellung gróBerer Mengen von Kampftruppen, ja, den Aufmarsch ganzer Armeen nicht anders als in so klaglicher Weise sichern sollten. Der Feldzug in Polen hatte bewiesen, daB die da driibenvon keinen Mengins befehligt wurden.

DaB Mengin nicht selbst merkte, welchen un- wahrscheinlichen militarischen Unsinn er verzapfte.

Aber es kam ihm ja nur auf die Suade an. Augen- blicklich kramte er auf seinem Schreibtisch herum.

Es sei ihm auf Grund seiner freundschaftlich- kameradschaftlichen Beziehungen zum Stab der Ko- lonialbrigade gelungen, ein hóchst interessantes militarisches Dokument seinen tapferenKindern zur naheren Kenntnis zu bringen. Wenn die helden- miitigenschwarzen Sóhne der groBen MutterFrank- reich auch unglucklicherweise keine Gefangenenzu- riickgebracht hatten, so ware ihnen doch aus den Taschen der Toten manches Interessante in die Hande gefallen. Hier halte erden Brief eines deut­

schen Soldaten in der Hand, Unzweifelhaft wiirde er Dinge gróBerer Tragweite offenbaren. Wenn der Herr Oberleutnant Mathieu Ketterer, der ja Deutsch wie seine Muttersprache beherrsche — auBerst gif- tig kam dies heraus —, die Giite haben wolle . . .

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IV

Feldpostnummer 13798,

K

etterer schien nicht gehórt zu haben. Creuille stieB ihn an.

„Du sollst ubersetzen. Aber das sieht diesen Schweinen ahnlich. Der Brief miiBte langst beim Armeekommandoliegen. So geht es bei uns zu. Die Hauptsache, man macht sich wichtig!"

Ketterer nahm etwas zógernd den Brief.

Er liebte es nicht, wenn man ihn immer wieder als besonders guten Kenner deutscher Verhaltnisse herausstrich.

„Ubersetzen Sie, mein Braver", ermunterte Men- gin bieder tuend. „Seien Sie sich bewuBt, daB Sie móglicherweise Informationen in denHanden halten, die fiir unsere Sache Tonnen Goldes wert sind."

Einige verzogen die Lippen. Die meisten sahen starr geradeaus. Auf fast alien Gesichtern der OEfi- ziere lag feindselige Abwehr. Tonnen Goldes! Das offenbarte alles. Vom Blut wurde nicht gesprochen.

Wenn etwas einen Wert darstellen soli, dann wird es mit Gold verglichen.

„Das ist ein Brief an einen deutschen Soldaten", sagte Ketterer abweisend und starrte auf den

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blauen zerdriickten Umschlag. „An den Soldaten Alfons Knódler. Feldpostnummer 13 798.“

Es trat eine Pause ein.

„Sie haben bekanntlich drtiben Feldpostnum- mern“, sagte er erklarend und schamte sich, daB offenbar er allein es wuBte. „Man hat auf der an­

deren Seite im Weltkrieg gelernt. Damals wurden alle Sendungen mit dem genauen Truppenteil adres- siert. Es war sehrwertvoll fiir unserenInformations- dienst."

Er drehte unschlussig den Umschlag. „Abgesendet ist der Brief von einer Frau ThereseKnódler aus...

Hirschhorn am Neckar . .

„Das ist in Suddeutschland?" fragte einer der Kameraden.

„Ja.” Alle nickten. Es war ziemlich bedeutungs- voll, daB eineFrau Therese Knódlervom Neckar an ihren Mann geschrieben hatte. Er war sicher ein guter Soldat gewesen, der tote kleine Boche. Er hatte, wie das druhen bei denen in der erstenLinie ublich war, alles zuriickgelassen, was auch nur den geringsten Hinweis auf seinen Truppenteil hatte er- lauben kónnen. An den Brief hatte er nicht gedacht.

Vielleicht hatte er sich auch nicht von ihm trennen kónnen. Sie alle begriffen das. Sie waren ja Sol­ daten. Ein Brief aus der Heimat, das war Licht und Warme, ein schwacher Schimmer von Gliick am Horizont. Man hatte dieses Licht hinter sich ge- lassen, aber wenn man es dann leuohten sah, dann

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glaubte man doch, daB man wieder darauf zumar- schierte.

„Das ist ja alles uninteressant", erklarte Mengin groBartig. „Oberselzen Sie den Brief."

Ketterer sah ihn entsetzt an. Sein Gesichtsaus- druck war so beredt, daB ein paar jiingere Offiziere im Hintergrund leise lachten. Hier war einer, der immer noch iiber Tartarin staunte.

Ketterer straffte sich. Es war ja unmoglich, daB Mengin nicht begriffen haben sollte, was die Adresse auf dem armseligen blauen Umschlag be- deutet. Es konnte ja einfach nicht sein, daB ein Oberst der franzósischen Armee unter der Intelli- genz eines Schulbuben stand.

Oder zumindestens unter dessen geistiger R-eg- samkeit und interessierter Anteilnahme.

Er nahm den Brief aus dem Umschlag, und der Teufel trieb ihn, dem Oberst das blaue Stuckchen Papier bedeutungsvoll hinzureichen. Mengin ballte das Couvert zusammen und warf es in die Ecke.

Bose sah er Ketterer durch die Hornbrille an. Er wirkte mit seinem krausen, seitlich gestraubten Haar wie ein gereizter alter Kakadu.

Ketterers fassungsloses Entsetzen schlug iiber in ein Gefiihl hemmungsloser Erheiterung. Er muBte ein irres Gelachterniederkampfen,als er unterdem strafenden und zurnenden Blick des Tartarin Hal- tung annahm.

„Wollen Sie endlich beginnen, mein Herr Ober­

leutnant."

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„Jawohl, mein Kommandant."

Ketterer bat sich einen Augenblick Geduldaus, um den Brief zunachst zu iiberfliegen. Er werde dann laut ubersetzen.

Eine absonderliche Empfindung von Leere und Gewichtslosigkeit erfiillte ihn. Alles rings um ihn schien plótzlich beziehungslos geworden zu sein. Er begriff jetzt Creuille und die anderen. Da es einem verwehrt war, ernst zu nehmen, was ernst genom- men sein muBte, gab eskeineVerbindung mehr vom Menschen zur Sache. Es war ganz einfach: die- jenigen, die die Aufgabe gehabt hatten, die Sache zu vertreten und zu verkorpem, waren im besten Fall Scharlatane mit Ehrgeiz; in den meisten Fallen waren sie nichts als Nullen. Ihre Posten verdankten sie dem allgemeinen Prinzip der Cliquenwirtschaft, vielleicht auch dem Prinzip der riihrigen dunklen Krafte, die das Schicksal Frankreichs bestimmten, wie die Wirtschaft und die Kunst, so auch die Armee des Landes sich zum Werkzeug zu machen.

Nein, man konnte keinen Anteil nehmen. Er noch weniger als die andern. Irgendwann und irgendwie mufite einmal das Ende konnnen. Bis dahin blieb nichts als das Lachen.

Er hatte minutenlang aufden Brief gestarrt, ohne etwas zu sehen. Die andern hatten ihn in einer un- interessierten Abart von Respekt gewahren lassen.

Immerhin, immerhin, Ketterer verstand Deutsch. Es war etwas . . .

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Tartarin erwartete die Sensation des Jahres. Er sah bereits das groBe Karree aus zwei Infanterie- regimentern und den eigenen Mannschaften, er horte das dreimalige schmetternde Frohlocken der Clairons, er spiirte, wie der Generalihn in die Arme zog, wie die Wangen sich beriihrten. Und die Zei- tungen schrieben ...

Nicht einen Atemzug lang dachte er daran, daB der Brief nicht ihm gehórte. Es hatte auch nichts geandert, wenn ihm das eingefallen ware. Man lebte in einer Demokratie, in einem Staate des freien Wettbewerbs. Das freie Spiel der Krafte gab den Ausschlag. Man muB klug und verwegen sein und jede Chance niitzen.

Ketterer begann plótzlich laut:

„Es steht nichts darin, was irgendwie militarisch von Nutzen sein kónnte. Es ist der Brief einer ein- fachen Frau an ihren Mann, der fiir das Vaterland in das Feuer gegangen ist. Ich will ihn aber iiber- setzen, denn ich glaube, daB es niitzlich ist, ihn zu kennen. Er wird wohl einer von vielen Tausenden

M

sein . . .

Ubergangslos begann er zu lesen:

„Lieber Mann!

Deinen Brief und auch das Geld erhalten, aber Du sollst doch nichts schicken, denn die Unter- stiitzung ist gut, daB man immernur wieder stau- nen kann, wie sie das machen. Mit Mariechen muBte ich gestern zum Zahnarzt, und das wird 45

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extra bezahlt. Auch wenn ich einmal etwas habe, aber ich habe nichts, und der Husten ist auch ganz weg. Auch die Raten fur die Nahmaschine und den Kochherd bekomme ich, und deshalb sollst Du Deine Lbhnung behalten. Mal ein Gias Bier mit Kameraden und vielleicht gibt es auch w.as zu essen zu kaufen. Man weiB ja nicht. Wir kommen gut aus. Knapp ist es ja, aber man ge- wóhnt sich. Nachste Woche kann ich Dir sogar was Fettiges schicken. Wenn Du man bloB gesund bleibst, dannwollen wir schonalles ertragen, denn es ist ja schwer, allein zu sein. Wenn die Kinder im Bett sind, dann habe ich manchmal richtig Angst, weilesso still ist, und dann denkeich, jetzt passiert ihm etwas, aber es ist ja gut, daB alles so still ist. Herr Muller meinte auch, die Franzosen sind verniinftig und schieBen nicht und da schie- Benwirauch nicht, denn wir wollen ja nichts von ihnen. Eine Zigeunerin soil gesagt haben, und das war schon zu Maria Himmelfahrt, daB der Krieg kommt und daB Polen in wenigen Tagen ganz kaputt ist und wir dann Freundschaft mit Frank- reich machen, und die Englander holen ihrenalten Kbnig zuriick und machen auch Freundschaft mit uns, und am 11. 11. ist der Krieg aus. Es ist ja auch alles eingetroffen, bloB das mit dem 11. 11.

noch nicht und der Freundschaft, aber so genau kann man das ja aus den Karten auch nicht ver- langen. Wenn es man bloB wahr ware. Ich gehe schon jeden Tag in die Kirche und betedafiir und

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viele machen. es so, aber wenn es nichts wirkt, dann werden wir das auch ertragen. Lehrer Schmalz sagt immer, der Fiihrer verlanigt schon nichts von uns, was nicht nótig ist, und das sagen ja auchalle. Und man fuhlt es ja auch.

Wenn ichabendsmanchmalsoAngsthabe,dann sage ich mir das immer laut her, und dann bin ich gleich wieder ganz ruhig. Wenn Du man nur gesund bleibst, alles andere ist schon gut und richtig wie es ist und wie es kommt.

Die Kinder und ich beten fiir Dich und Selma kann schon ganz gutsprechen, und wenn ich sage, der Vatel kommt bald, dann fangt sie vor Freude an zu weinen. Bleib nur gesund

Deine Frau.

In das Feldpaket leg ich auch eine kleine Wurst. Wir kónnen es ganz gut."

Ketterers Stimme schwankte zum SchluB ein we- nig. Er wollte auch den Brief dem Oberst reichen, aber der nahm ihn nicht.

„Nun und", sagte Mengin scharf.

Gliihend heiB iiberkam es Ketterer. Erst jetzt merkte er, daB er unbewuBt den Brief deutsch vor- gelesen hatte. Verwirrt begann er eine nuchteme Ubersetzung. Es warschwer, es war unmóglich, ihn zu ubersetzen. Nur fiir den Satz vom Fiihrer land er einige gute Formulierungen.

Mengin war tief enttauscht. „Altweibergewasch.

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Sie sind sicher, daB Sie nichts Wesentliches iiber- sehen haben."

„Ich bin ganz sicher, mein Kommandant."

„Nichtssagend, auBerst nichtssagend. Ein Brief wie Łausend andere."

„Ein Brief, wie Millionen andere, mein Komman­

dant."

Creuille sah ihn seltsam an.

Die Enttauschung mit dem Brief hatte Mengin jede weitere Lust zur Fortfiihrung der Konferenz genommen. Mit dem Bemerken, daB seine Kinder noch nahere Befehle im Hinblick auf die zu erwar- tende deutsche Offensive und zunachstin bezug auf den Angriff der Kołonialbrigade erhalten wurden, entlieB er die Offiziere. Fróstelnd undmiide und mit ein paar lahmen Witzworten zerstreuten sie sich.

Zuriick blieb Kapitan Creuille le Fer. In vollen- deter militarischer Form bat er, aus „informa- torischen Griinden" dem Angriff der Brigade bei- wohnen zu diirfen. Mengin lehnte es ab. Er lehnte grundsatzlich Bitten und Vorschlageseiner Offiziere ab, da er in der Illusion lebte, es starkę seine Autoritat.

Einehalbe Stunde spater wurde Creuille vomAd- jutanten telefoniach aus dem Schlaf geholt. Mengin hatte es sich anders iiberlegt, Creuille le Fer war fiir die Dauer des Angriffes zum Brigadestab kom- mandiert.

Es war Mengin eingefallen, daB es an vorgesetz- ter Stelle einen guten Eindruck machen wiirde,

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wenn man erfuhr, daB der Oberst Mengin so stark in seiner Pflicht lebte, daB er sogar Beobachter zu Unternehmunigen entsandte, die keineswegs zu sei- nem Aufgabenkreis gehórten.

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V

Das Schicksaltragt Feldgrau.

D

ie Pioniere lagen ziemlich weit zuruck in einem Weindorf, das eigentlich nur aus einer lang- gestreckten Reihe ireundlich hunter Hauschen be- stanid. Im Frieden hatten die Bewohner die idylli- sche Lage des Dorfes in einer tiefsich in die Wein- berge einkuschelnden Senke zu einer bescheidenen Fremdenindustrie ausgenutzt. So zeigten die Hauser die schuchterne Andeutung des Ehrgeizes, fiir mehr genommen zu werden als Bauemhauser. Dort prahlte eines mit stadtischem Verputz, dort hatten andere glasverschalte Alkoven angebaut, hier und da hatte ein anderer tollkiihn Erkerchenangeklebt, und die Wege der sauberen Vorgarten waren alle- samt mit Kies bestreut. In manchen Garten standen noch erlrorene Astern, Georgien und Herbstzeit- losen, und die Dorfschanke hatte sogar einen Ein- gang aus Kunstmarmor, und mit groBen roten Blechbuchstaben stand daruber „Kasino und Cafe- Restaurant". Als das Dorf geraumt werden muBte, hatten die Bewohner olfenbar etwas mehr Zeit als im allgemeinen zur Verfugtmg gehabt, und so glaubte die Kompanie, geradewegs in ein Schmuck-

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kastchen zu marschieren. Der anfangliche Traum, daB jede Gruppe ein Haus bewohnen kónnte, war zwar schnell ausgetraumt, denn noch am gleichen Tag kam ein Baubataillon anmarschiert, und kaum hatte man sich mitdemgeeinigt, erschieneneine Ab- teilung Arbeitsdienst und ein starkes Aufgebot der OT.

Die OT. baiutesich zwar mit Windeseile Baracken und wurde auch sonst mit verstarkter Sympathie begriiBt, da sie einen beschrankten aber doch wie einGnadengeschenk begriiBten Kantinenbetrieb mit- brachte, aber es hieB immer mehr zusammenrucken.

Auch die Seligkeit mit den Unterkiinften erwies sich bald als ein ausgesprochener Fall von Trug- schluB. Wie hatten die Pioniere zuerst gejubelt, als sie blitzsaubere Wohn- und Schlafraume und Ku­ chen benutzen durften. Wie hatten sie sich mit freudeglanzenden Augen in die Seite gepufft und mit dem Ausdruck beschenkter Kinder vor Einrich- tungen gestanden, die blendendweiBe Deckel und sogar Wasserspiilung besaBen.

Jedes Paradies hat einen Erzengel mit flammen- dem Schwert, und wenn es ein Soldatenparadies gibt, so tragt der dort amtierende Erzengel Kolben- ringe an den Armeln und heiBt Hauptfeldwebel.

Taglich zweimal kontrollierte er die Quartiere, und die Freizeit der Pioniere war damit ausgefiillt, Tischplatten zu polieren, an denen sich schon um die Jahrhundertwende die GroBmiitter der Besitzer vergeblich versucht hatten, ein Staubkorn auf dem

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Spiegel, ein alter, langst verjahrter Fleck in der Gardine, fiihrten zu Angstzustanden. Einige Grup- pen hatten esbereits vorgezogen, sich Stroh zu be- sorgen und ausschlieBlich in der Futterkiiche zu hausen. Die Angelegenheit „Unterkunft" war es auch, die zu einer halb ernsten, halb scherzhaften Unterredung zwischen dem Hauptmann X und sei­ nem Hauptfeldwebel fiihrte.

Hauptmann X hatte mit einem von Arger nicht ganz freien Lachen die Handschuhe auf den Schreib- tisch des Geschaftszimmers geworfen:

„Hóren Sie einmal zu, Wecker. Sie diirfen die Leute nicht verscheuchen. Der Kult, den Sie mit den Quartieren treiben, geht schon ein biBchen zu weit. Ich weiB ja, es ist das unis anvertraute Gut von Volksgenossen, aber ich hab' da vorhin den Gefreiten Klostermann angetroffen, wie er sich vor der Haustiir die Stiefel ausgezogen hat. Er wollte keine Schrammen machen, meinte der Knabe, als ich ihn stellte. Die Jungs haben tatsachlich die Flie- sen des Hausflurs mit Verschmierfett gewachst, da- mit ja der Herr Hauptfeldwebel nichts auszusetzen findet. Jetzt laufen sie im ganzen Haus auf den Socken herium. Das geht natiirlich zu weit,Wecker."

„Jawohl, Herr Hauptmann, das geht zu weit."

„JetztwollenSie mich wohl auf den Arm nehmen, was?"

„Nein, Herr Hauptmann. Ich meine auch, daB es zu weit geht, aber man muB nun eben mal zu weit gehen, um dahin zu kommen, wo man will."

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Der Hauptmann X muBte lachen. „Stehen Sie be- quem, Wecker. Wie oft soli ich Ihnen das eigentlich noch sagen. Und dann erklaren Sie mir mal Ihre tiefe philosophische Gedankenwelt."

Auch der Hauptfeldwebel grinste jetzt. „Es ist furchtbar einfach, Herr Hauptmann. Ich habe gestern die ganze Gruppe Schnittler mit drei Tagen KartoffeLschalen bestraft wegen Staub auf der Fri- siertoilette im Schlafzimmer. Und wegen Zahn- cremeflecken am Spiegel. Es war gar kein Staub da, und die Zahncremeflecken waren so ein- gefressen, daB man sie nur weggekriegt hatte, wenn man den Spiegelrahmen zerschrammte. Aber be­

straft werden muBte doch . . ."

„Nun werden Sie man nicht damonisch, Wecker."

Wecker muBte selbst lachen. „Das ist im Grunde ganz einfach, Herr Hauptmann. Nachher bestrafen, das hat gar keinen Zweck, dann ist das Malheur ja schongeschehen. Aber wenn ich vorher bestrafe, gewissermaBen ein Malheur bestrafe, das noch kein Malheur ist, dann kommt nachher auch kein Mal­

heur, Herr Hauptmann. Dann nehmen sich die Bur- schen schon in acht. Und deshalb greife ich erstmal durch, Herr Hauptmann, bevor es wirklich Spiegel- scherben gibt.‘‘

Hauptmann X griff zur Zigarrentasche. Er wahlte sorgfaltig und bot sie dann seinem Feldwebel an.

„Na, Sie feldgrauer Platon, ich weiB ja, daB Sie es gut meinen, und die Leute wissen es auch. Ihr philosophisches Prinzip von der Strafe zur Vermei-

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dung der Strafe in alien Ehren, aber machen Sie mir die Jungs nicht kopfscheu. Leicht haben sie es sowieso nicht, wenn wir auch als einzige von der ganzen Division nicht in Stellung liegen. Wenn das mit dem Krieg in dieser Form weitergeht, dann braucht man uns uberhaupt nicht mehr, machen alles die Baukompanien, die OT.-Leute und der Arbeitsdienst und wenn’s hochkommt die Festungs- pioniere. War' ichman bloB zur Marine gegangen ...

Was gibt's denn Neues in Ihrem Laden hier?"

Der Hauptfeldwebel machte die Andeutung eines gekrankten Gesichts. Er liebte es nicht, wenn man von seinem Laden sprach. Ungliicklicherweise hatte es der Hauptmann eingefiihrt, und um Haaresbreite hatte es sogar Kneipe geheiBen. Denn man hatte das Geschaftszimmer der Kompanie im verlassenen Schankraum des „Kasinos" eingerichtet, Es gab zwar keine geistvollen Flaschen mehr, aber, wie Hauptmann X gemeint hatte: „Die ganze Atmo- sphare paBt so gut zu unserm SpieB."

Wecker dachte manchmal, daB der Hauptmann es nicht geniigend schatzte, wie sehr er ihn von Klein- und Schreibkram befreite. Mehr als sonst ein Kompaniechef konnte derHauptmann sich drau- Ben beim AuBendienst aufhalten. Der Ausbildungs- stand der Kompanie bewies, wie giinstig diese ent- schiedene Arbeitsteilung war. Fur den Innenbetrieb muBte man auch, wie Wecker selbst es ausdriickte, ,,den Mut zur Kleinlichkeit" haben. Etwas, was der Hauptmann nie aufgebracht hatte, und ohne ein

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auBerstes MaB an Pedanterie lief nun einmal die ebenso plumpe wie ungeheuer mannigfaltige Ma- schinerie des Kompaniebetriebes nicht.

„Was gibt's Neues?"

„Einige Termine, Herr Hauptmann. Und dann hat die Division angerufen. Herr Hauptmann móchte doch gleich einmal Herrn Hauptmann Bluthner an- rufen. Es ware dringlich."

Der Hauptmann lachte. Seit er als Stellvertreter des kranken Kommandeurs die Bataillonsgeschafte fiihrte, gab es von seiten der Division nur dring- liche Geschafte.

„Na, was die schon dringlich nennen. Neue Rund- fragen. Verbinden Sie mich mal, Stuve . . ."

Der blasse und elegische Schreibstubenunter- offizier, von der Kompanie der „ungekrónte Kónig”

genannt, murmelte ein traumerisches Jawohl und brachte es fertig, fast auf Anhieb die Division an den Draht zu bringen. Bei gewohnlichen Sterblichen dauerte essonst zwei bis drei Stunden, aber Stuve gelang alles auf Anhieb. Ewig in versonnener Me­ lancholie, gab es nichts, was er nicht scheinbar miihelos fertiggebracht hatte.

„Hier Haselhuhn. Bitte Herrn Hauptmann Bluth­

ner fur Herrn Hauptmann X . . . einen Augenbliok bitte, Herr Hauptmann, ich verbinde.”

„Grofiartig Stuve”, Hauptmann X grinste. „Wie im Zentralbiiro eines groBen Betriebes. Nur geht's da nicht ganzso friedlich zu.”

S)ahl cSssen - Sftaarzopf

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Er meldete sich, und plótzlich schien sich seine Gestalt zu straffen.

„Jawohl, ich komme sofort . . . Nein, ist nicht nótig, ich habe ja mein Krad." Er legte hart den Hórer auf, „Weoker, lassen Sie sofort mein Krad fertigmachen. Ich muB zur Division . . . Ubrigens, das GeschieBe heut nacht war nicht das ubliche Theater um die Feldkuche. Die Piou's-Piou's hatten ernsthaftwasvor. Sind natiirlich abgeschmiert wor- den. Aber trotzdem . .

Er griff eilig zu Miitze und Handschuhen. „Habe nichts dagegen, wenn es unter den Leuten bekannt wird. HebtgewissermaBen die Stimmung, wenn man hórt, daB man doch nicht ganz umsonst hier herum- liegt. Wenn es auch uns nicht direkt betrifft."

Hauptfeldwebel Wecker tratmit ihm vordie Tiir.

Der Spatherbst, der tief in den November hinein laue, friihlingshafte Luft und einen ewig veilchen- farbigen Himmel gebracht hatte, war nach kurzeń Regentagen in einen jahen und harten Winter um- geschwenkt. Die Kompanie stand frierend und stampfend vor der Feldkuche im hohen Schnee.

„Ich werde doch besser fiir Herrn Hauptmann einen Wagen von der 3. Kompanie anfordern", sagte Wecker beflissen. Hauptmann X hórte nicht hin.

Plótzlich sagte er abwesend:

„Sehen Sie, Wecker, die Jungs da haben alle noch nicht einen SchuB gehórt, ich meine einen SchuB, der ihnen gait. Und trotzdem sind es alles Kerle.

Soldatender eine wie derandere. Wenn man pathe-

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tisch ware, kónnte man sagen, sogar Helden. Vom ganzen Krieg erleben sie nur die hafilichste Form.

Eintonigen Dienst, vielerlei Entbehrungen, Harte und die dauernde Selbstverleugnung, die nun einmal vom Soldaten verlangt wird. Es sind fast alles Re- servisten, Manner, die sich ein Leben aufgebaut hatten, und die etwas in der Welt bedeuteten . . . Sie wissen ja selbst, was wir in der Kompanie haben. Und jetzt sind sie seit Monaten alle ein Garnichts, aber hinter sich spiiren sie die Sehn- sucht ihrer Frauen, die Einsamkeit ihrer Familie, und vielen bricht alles zusammen, was sie in Jahr- zehnten verbissener Arbeit aufgebaut haben. Alle Fiirsorge kann da manchmal nicht helfen . . . Nie- mals spiiren sie direkt die positiven Seiten des sol- datischen Lebens. Den Kampf, die Bewahrung, den Sieg. Niemals spiiren sie den lebendigen Sinn ihres Opfers. Denn ein Opfer ist es schlieBlich, wenn ein Universitatsprofessor oder ein Patentanwalt jetzt monatelang nichts tut, als immer wieder den Dienst, der beim einfachen Mann doch nun einmal primitiv und stur sein muB, solang nicht der direkte kampfe- rische Einsatz dahintersteht. Und dann Drillichzeug waschen, Leder schmieren, Latrinen raumen,Schnee schippen. Ewig unfrei, immerfremdem Willen unter- worfen ... ist schon eine Sache, Wecker, wenn da einer bei der Stange bleibt. Ich glaube, daB der be- riihmte moralische Schweinehund diesem trostlos grauen soldatischen Einsatz gegeniiber schwerer unterzukriegen ist, als wenn es hart auf hart geht.

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Fiir Manner ist die Gefahr immer leichter zu er- tragen, als die sinnlose Monotonie."

Der Hauptfeldwebel machte ein verkniffenes Ge- sicht. GewiB, der Alte hatte recht, aber hatte auch wieder unrecht. Dienst ist schlieBlich nicht monoton, Dienst ist nicht eine Sache grau in grau . . . Nein, da ging er nicht mehr mit.

„Hoffen wir, daB es bald losgeht", meinte er ver- sóhnlich. SchlieBlich traf er sich mitseinem Chef in der Uberzeugung, daB die Leute, einer wie der an- dere, „prima, prima" waren.

Man lebte seit Monaten in einer Atmosphare niichterner Harte.Dader letzte, groBe Einsatznicht gefordert wurde, wuchs eben der militarische Alltag zum Daseinsgesetz uber jeden einzelnen Soldaten.

Es fehlte jede Begeisterung. Einjeder der feldgrauen Millionen im Westen haBte diesen Zustand und be- jahte ihn trotzdem.

Der Hauptmann X fiihlte plótzlich ein absonder- liches Gefiihl der Gehobenheit, als er sich mit zackelndem, empórt aufheulendem und gleich darauf wieder beruhigt brummendem Motor durch die Schneewehen kampfte. Oberall waren Soldaten. Sie standen unter tiefgeduckten Obstbaumen und iibten Ladegriffe, sie robbten in weiten Schleiern fiber die weiBen Hange, sie zerstampften den Schnee der Rubenfelder bei der Nahkampfausbildung, iibten mit StóBen von selbstverfertigten Ubungshandgranaten immerwieder den gleichen Wurf aus der Schiitzen- mulde, sie schleppten ihre Pak- und Infanterie-

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geschiitze im Mannschaftszug durch Bachgriinde und Hohlwege, iiibten mit den schweren Maschinen- gewehren immer wieder denWechsel aus der einen in die andere Stellung, sie wuschen an Dorfbrunnen mit feuerroten Handen ihr Drillichzeug und standen beim Appell wie die Baume. Trotz 15 Grad unter Nuli.

Von feme grollte das Duell der Artillerie.

Nein, begeistert war keiner, aber jeder ent- schlossen, das Notwendige zu tun. Und das Not- wendige war immer das, was gefordert wurde.

Seltsam,wie eine Erkenntnis den Menschen plotz­ lich iiberfallen kann, dachte der Hauptmann X. Die Gewohnheit und die Selbstverstandlichkeit, mit der seit Jahren alles bei uns geschieht, hat einem ein- fach den Blick genommen. Es ist eigentlich etwas Einmaliges, etwas ungeheuerlich GroBes, daB Mil- lionen von Mannem, ja ein ganzes Volk mit tiefer und wortloser Uberzeugtheit alles, was geschieht, als notwendig auf sich nehmen. Keiner wuBte, was noch geschehen wiirde. Keiner konnte sich vor- stellen, was ihm noch befohlen sein wiirde, aber sicher war, daB er ihm gehorchte.

Eine tiefe, klare Ruhe, wie er sie so eindringlich noch nie gespiirt hatte, iiberkam den Hauptmann X.

Es ist gut, wenn man sein Leben unter einem Be- fehl fiihren kann. Es ist herrlich, wenn auBerer und innerer Befehl sich decken.

Befehlist nichtWillkiir; Befehl ist Notwendigkeit.

I

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