XXXI. J AH RG AN G . DARMSTADT. DEZEMBER 1920.
D A S D E U T S C H E B U CH IM I N N E N R A U M
A U F D E R A U S S T E L L U N G » D A S D E U T S C H E BU C H « IN F R A N K F U R T A . M.
A ls selbständiger K örper stand im G anzen der x \ . »Frankfurter H erbstm esse 1920« d ie A u s
stellung » D a s d e u t s c h e B u c h « . Veranstaltet ward sie von der »Deutschen G esellschaft für A u s
landsbuchhandel« — unter Leitung des rührigen Direktors H einrich Pfeiffer — deren zw eifach es Z ie l ist: H eranziehung des ausländischen Käufers, Unterrichtung des deutschen Erzeugers. D ie h ervorragende A usstellung diente außerdem auch zw anglos der Aufklärung jed es geistigen Menschen über den Stand unserer deutschen Bücherpro
duktion. Ein gew ich tiger K atalog mit über 350 S eiten T ex t und V erlagsanzeigen erm öglichte es, d iesen Ü berblick zu vervollständigen...
Einem w irtschaftlichen Z w e c k mit kultur
politischem Hintergrund hatte also d iese Veran
staltung zu dienen. Man konnte d ieser A u fgab e zur N ot schon dadurch genügen, daß man die deutsche Verleger-Tätigkeit, nach Firmen geordnet, auslegte. A b er bei solchen G elegenh eiten, w o M enschen an ihrem Interesse, an ihrer A ufnahm e
fähigkeit gepackt w erden sollen , erreicht man den w irtschaftlichen Z w eck sicherer, w enn man über das eigentliche O bjekt hinaus ein Mehr b ietet; ein Mehr an s c h a u b a r e m , sinnlichem
Stoff, der kräftig in die V orstellungsw elt des B e
schauers dringt und sich dort als plastisches G e
bilde behauptet. A lle modernen A usstellungen verfahren nach diesem — erstmals auf der Darm
städter K ünstlerkolonie-A usstellung 1901 von A le x . Koch programmatisch betonten — Grundsatz.
S ie zeigen nicht nur den eigentlichen, an sich trockenen G egenstand; sie führen in den Prozeß seiner dinglichen Entstehung ein, sie stellen seine geschichtliche Entwicklung dar, sie machen an
schaulich, w ie er sich ins »tägliche L eben« ein
fügt und es gestalten hilft. So wird auf die E in b ild u n g s k r a f t des Beschauers mit faßlichem und dauerndem Eindruck eingewirkt. D ie S tütze d ieses Verfahrens ist die festgegründete p sych o
logische Einsicht, daß ich einen M enschen erst dann für meine Z w ec k e gew onnen habe, wenn ich mich seiner Einbildungskraft bem ächtigt und seiner L u s t am S c h a u e n und E r l e b e n Nahrung gegeben habe. Insofern ist jen es Mehr kein Überfluß, sondern ein richtig ein gesetzter, w irt
schaftlich vollkom men gerechtfertigter A ufw and.
D er künstlerische L eiter der Raum -Buch-Aus- stellung, Hofrat A l e x a n d e r K o c h , verhalf d ie sem G edanken auch im vorliegenden F alle zur
1830. XU. 1.
382 INNEN-DEKORATION
A nw endung. Er gab die A nregung, das d eutsche Buch nicht bloß in V erleg er-A u sla g en vorzu
führen, sondern daneben d ie verschiedenartigsten
» B i b l i o t h e k s - R ä u m e « herzustellen, in denen das Buch als w ich tigster B estandteil eines geistig
räumlichen G anzen wirksam wird. Es ist die dram atisch-sinnliche Vorführung d es Buches, seine Einfügung in die U m g e b u n g , in der es erst zu l e b e n anfängt, sein H inaufstellen auf die Bühne, auf der es faktisch sein e R olle spielt. Erste Raumkünstler und M öbelfirmen, die dem L eiter als opferw illig bekannt w aren , w urden gew onnen, d ie dann die A rbeitsräum e eines Kunstfreundes, ein es Ingenieurs und A rch itek ten , einer Dam e, ein es H auptschriftleiters, eines Kunstschriftstellers usw. auf bauten, und in d iesen künstlerisch g e d iegen und zw eckm äßig ausgestatteten Räumen w ard d ie entsprechende Literatur sinngemäß untergebracht. Man gew ann dadurch G eleg e n heit, zu zeigen , w ie das Buch zu H olz und G las in B eziehung tritt, w ie es als S ach w esen zur G eltung kommt und auch W esen tlich es zum Schm ucke d es Raum es beiträgt. S o kam eine a u sgezeich n ete Ergänzung der einzelnen V erleger
auslagen zustande, die den Begriff »Buch« erst endgültig im Sinnlichen verfestigt. K ein Z w eifel, daß dadurch d iese Veranstaltung außerordentlich an Zugkraft gewann. Sehr glücklich fügte sich d ieser R aum -A bteilung die gen etisch e A b teilu n g an, die das h i s t o r i s c h e W e r d e n d es Buches (M anuskripte, alte D rucke) und seine t e c h n i s c h e E n t s t e h u n g : T ypenschn itt, R eproduktionsver
fahren, Satz, Korrektur, Umbruch, Satzbild, Druck, Einband usw. m ustergültig in Vitrinen, so w ie in einem künstlerisch gem alten Fries, vorführte. . . D er Eindruck, den das Durchwandern dieser B ibliothek-R äum e hinterließ, gab A nlaß, mit herz
lich er Freude w ied er einmal des G ew in nes b e wußt zu w erden, den die neue E n t w i c k lu n g d e r R a u m k u n s t uns gebracht hat. Eindrucks
voll tritt hervor, w ie breit die Ergebnisse d ieses jahrzehntelangen Ringens um räumliche G estaltung d es deutschen L eb en s ins A llg em e in e ü berge
gangen sind. Ein B eleg dafür fand sich in dem
»Ingenieurzimmer« der Firma Z e i ß - Frankfuit a.M., einer Spezialfirma für Büro-Einrichtung, für deren Produktion in erster Linie die z w e c k l i c h e n G esichtspunkte m aßgebend sind. S ch lich teT yp en - Bücherschränke in E ich en holz, ein e angenehm e, stum pffarbige S treifentapete: vornehm empfunden, trotz aller Sachlichkeit. — D eutlich wird hier der hohe Stand der geschm acklichen Bildung fühlbar, auf dem wir angelangt sind. Man sieht und spürt:
das G ute ist uns selbstverständlich gew orden, d ie alte U nterscheidung zw isch en Schönheit und Z w eck lich k eit ist für uns gegenstandslos gew orden.
In den Räumen von F r it z A . B r e u h a u s — K ö ln (Ausführung: H öm ig - H önningen a. R h.) hingegen
ein Reichtum an Einfällen, der d iesen geistvollen und mondänen Künstler von jeher au sgezeichn et hat. D ie A rt, w ie je d e s M öbel einen aparten G edanken verwirklicht, w ie die S tücke auf fein abgestim m ter T a p ete stehen, w ie ein Raum gegen den ändern farbig a b gesetzt ist, hat etw a s sehr A n zieh en d es. D ie eine große T ugend, zu interes
sieren, zu unterhalten, haben die Schöpfungen d ieses Künstlers in jed em Falle. D er leb en sprühende G eist des Rheinlands spricht aus ihnen, die gute gesellsch aftlich e Manier alten Kultur
b odens mit seinem Sinn für A u ftreten und salon
fähige Haltung. B r e u h a u s ’sch e Räume sehen immer so aus, als seien sie einer bestim m ten schönen Frau auf den L eib ged ich tet. Boudoir
stimmung ist in ihnen, auch haben d ie M öbel, so neu erdacht sie sind, immer einen zärtlichen S ch leier von Ererbtheit, von H istorie um sich, als blickten sie irgendw ie in eine V ergangenheit mit einem vornehm en, aristokratischen Lächeln.
Es sind L eistungen, über die sich stundenlang plaudern ließ e, so gesprächhaft ist ihr W esen .
W esen tlich zurückhaltender ist d ie A rt d es A rch itek ten A . L i e b i g — L eipzig. D en Breuhaus’
sehen Räumen, auch dem , der sich »Raum einer kunstliebenden Dam e« nannte, fehlt die »A rbeits«- Stimmung. S ie findet sich ausgiebig in den ändern.
A rch itek t L ieb ig und O ber-R egisseur W . Brügmann haben das »Zim m er eines T heaterleiters« ganz als W erkstatt gedacht, deren Charakter nur da
durch ins B ehagliche g ezo g en wird, daß S essel und S ofa usw. auch auf d ie gesellsch aftlich en Funktionen d ieses Raums (E m pfänge, Beratungen) hindeuten. G ute, gefällige A nordnung, ged ieg en e G esam tstim m ung ist hier das W esen tlich e. H eiter und hell w ar der Eindruck d es »Kinderzimmers«
vom gleichen A rch itek ten . D ie »Bücherei eines A rztes« nach Entwurf von A rch itek t Hartmann mit M öbeln nach Entwürfen von P rofessor B e r n d l (A u sf.: H . u. S. L angenbach— Frankfurt), der »Bibliothekraum eines Bücherfreundes« von Prof. R i c h a r d R i e m e r s c h m i d (mit den im M aiheft gezeigten zusam m ensetzbaren Bücher
schränken, A usf.: D eutscheW erk stätten -H ellerau ), der »Raum ein es H aupt-Schriftleiters« von Prof.
P a u l S c h u l t z e - N a u m b u r g (S a a leck er-W erk stätten), ergänzen sich geg en seitig so glücklich, stamm en aus so gleichartiger, beruhigter E instel
lung, daß alle fast als Schöpfungen d es gleichen Künstlers gelten könnten. H ier steht E rprobtes und G esättigtes; nirgends ein halbgelungenes E xperim ent, nirgends ein Vordrängen des ehr
geizigen Ich; alles N iveau und gesicherter Form besitz, L eistungen, an d enen die H ö h e unserer W ohnkultur ganz direkt ab g elesen w erd en kann.
M ehr ins E igen e ging der A rch itek t eines »G arten
p avillons mit B ibliothek«, — von Prof. E d u a r d P f e i f f e r , in Verbindung mit den Pössen b ach er-
A N O R D N U N G D ES V O R R A U M E S V O N A LEX A ND ER K O C H »G A R T E N Z IM M E R - IN C H A M O ISW E IS SE N T Ö N E N ; T A P E T E V O N G . C . L E H M A N N -K Ö L N
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INNEN-DEKORATION
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H E IN R IC H Z E IS S -F R A N K F U R T . »B IB LIO TH EK E IN E S IN G E N IE U R S U . A R C H IT E K T E N « M IT U N IO N -B Ü C H E R S C H R A N K E N
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P R O F . P A U L S C H U L T Z E -N A U M B U R G . A U S F Ü H R U N G : SAA LECKER W ERKSTÄ TTEN •W O H N - U N D ARBEITSRA UM EIN ES H A U P T -S C H R IF T L E IT E R S.
388 INNEN-DEKORATION
F .A .B R E U H A U S SEKRETÄR M IT S C H N IT Z W E R K A U S F : H Ö M 1G
W erk stätten -M ü n ch en erstellt; er läßt b ei aller S chlichtheit ein e künstlerisch - heitere Laune durchschimmern. Ein dem G artenpavillon v o r
gelagerter quadratischer Raum w urde mit den in Farbe und Form einfachsten M itteln nach A n gaben von A l e x a n d e r K o c h als heiter und w ohnlich w irk en d es »G artenzim m er« — unter B e
tonung d es breiten Fensters mit farbig abgestim m tem, blühenden Pflanzenschm uck — ausgestattet.
D er »Musiksalon« von K a r l P f a r r (Firma G eorg
H erw ig-Frankfurt) b reitet sich schön und voll B ehagen aus in satten, w oh lhab en d en Form en von feiner geistiger Kultur. D er Erfrischungs
raum »Zur Bücherkiste« w urde unter den H änden d es M alers O t t o L a n g e - D r e s d e n — von dem auch das A usstellungs - Plakat herrührte — zu einem k eck en fröhlichen Raum scherz, der das M otiv des B uches sehr niedlich in der D ekoration verw en d et.
A u ch die künstlerisch h och steh en d e deutsche T a p e t e n - I n d u s t r i e kam auf d ieser A usstellung
F. A. B R E U H A U S -C Ö L N . .B IB LIO TH EK SZIM M E R EIN ER K U N S T L IE B E N D E N D A M E«. A U S F : H. H Ö M I O - H Ö N N I N G E N
I NN EN- DEKOR ATI ON 393
vorteilhaft zur Geltung. B esonders vonBurchardt Söhne-B erlin, der neuen Kölner Tapetenfabrik G. C. Lehmann, ferner von A ug. Schütz-W urzen, H .S trau ven -B on n , G. L. P ein e-H ild esh eim waren reizvollste neue Erzeugnisse zu sehen, die durch das Frankfurter Tapetenhaus Philipp Jungmann Nachf. (Caspar W olff) für säm tliche Räume b e reitw illigst zur Verfügung gestellt wurden. . . . W a s die hier aufgezählten Räume — ein Teil nur aus dem dort G ezeigten — boten, berechtigt
uns, d iese Buch-A usstellung in die R eihe jener Veranstaltungen einzufügen, die der sinnlich
räumlichen G estaltung des deutschen L ebens dienen. D ieser eine große Z w ec k steht ja doch überall im Hintergrund all unsres Mühens. D as Zusam m entreten von » B u c h u n d I n n e n r a u m « ist ein Sonderfall des Zusam m enwachsens von M ensch und Ding, M ensch und Raum, G eist und Form, Sinn und Sache, um das es sich b ei allem neudeutschen Formbemühen handelt, h e i n r . r i t t e r .
F.A .B R E U H A U S SC H R E IB TISC H G E Ö F F N E T . A U S F : H Ö M IG
1930. XII. 3.
394 INNEN-DEKORATION
F. A. B R E U H A U S —C Ö L N . A U S F Ü H R U N G : H . H Ö M 1G B Ü C H E R - U . M A P P E N S C H R A N K IM W O H N Z IM M E R
D A S B U C H A L S G E S E L L S C H A F T E R
B
ücher sind gute G esellschafter. W e r in ein Zim m er eintrilt, in dem sich Bücher befinden, den scheinen sie, noch ehe er sie aus den Regalen nimmt, anzureden, zu begrüßen, . . . dem scheinen sie zu sagen, daß Etwas von ihren Einbänden umschlossen w ird, das ihm nützlich sein kann, und daß sie nichts besseres wünschen, als esi h m m i t z u t e i l e n . ... g l a d s o t n e.
*
Man muß die Bücher eigen haben, die man recht lesen w ill; namentlich die ganz guten Bücher, die unbestritten zum G eisteserbe d er M enschheit gehören, wo immer möglich selbst zu besitzen, sollte man sich zur Pflicht und zur E hre r e c h n e n ... h i l t i g .
*
Eine auserlesene Bücher-Sammlung ist der vortreff
lichste H a u s r a t... . p e t r a r c a .
*
In den Büchern ist soviel, was wir zum Leben brau
chen, eingefangen, daß sie uns eine N otw endigkeit ge
w orden sind. Lebensbetätigung ohne ihre M ithilfe gibt es nicht. S ie verm itteln uns unentbehrliche Kenntnisse d e r Technik, d er W issenschaft und geben uns, sow eit sie Erzeugnisse d er K unst sind, etw as, w as durch nichts an
deres ersetzt w erden kann. O hne Buch keine Kultur, ohne Buch keine Kulturm öglichkeit. . . p e r n e r s t o r f e r .
D ie nützlichsten Bücher sind diejenigen, w elche den L eser z u i h r e r E r g ä n z u n g auffordern. . . . V o l t a i r e .
X-
Es ist doch sonderbar und geeignet, nachdenklich zu stim m en, daß eine B ücherei, und sei sie noch so klein, das kleinste Zim m er w o h n l i c h m acht, gleich
sam als wenn ein anderes lebendes W esen den W ohn-
r a u m m i t d i r t e i l t e ...p. Hö c k e r.
*
Ein Zim m er o h n e B ü c h e r — ist w ie ein K örper ohne Seele...c i c e r o .
*
W e r keine Bücher liest, ist m eist ein armseliger Ignorant, dessen U nterhaltung w eiter nichts ist, als ein bedeutungsloses G eschw ätz...h e r s c h e l .
*
Es schickt sich nicht, gute Bücher, in deren Genuß man sich setzen will, zu leihen, . . . wenn man die M ittel zur Anschaffung h a t...f e l i x d a h n .
*
Eine Bibliothek ist eine Versam m lung von geistigen Persönlichkeiten, zu G ast geladen vom Besitzer, der in d e r A usw ahl sich selbst ausprägt. Eine Bibliothek ist ein w irklicher W ohnraum für Bücher und ein W ohnraum für das geistige Leben des E ig e n tü m e rs.. . w i l h . m i c h e l .
F. A. B R E U H A U S . A U S F Ü H R U N G : H. H Ö M IG —H Ö N N IN G E N » W O H N - U . B IBLIO TH EK SZIM M ER«. A U S S T E L L U N G : »D A S D E U T S C H E B U C H «
lNNEN-DEKORATIÖtf
F. A . B R E U H A U S . SC H R E IB T IS C H U N D S O F A IM » W O H N - U . BIBLtOTHEKSZIM M ER«
A NTIKE W O H N R A U M E G . M . B .H .- B E R U H . W A R TER A U M M IT B Ü C H E R O E ST E L L U . Z IM M ER LIN D E
INNEN-DEKORATION 3 9 9
» A N T I K E W O H N R Ä U M E «
S
uchen w ir noch nach einem »Stil unserer Z eit«? Ich fürchte, grade die Besten trachten jetzt mehr danach, unserer Z eit zu entfliehen. Dieser Z eit voll Unstäte, Betrug, Ü bertreibung, Vergewaltigung. V or dem, was ihr wahres A ntlitz geradezu und ohne Umschweif aus- drücken w ürde, möchten w ir uns wohl eher mit Grausen abwenden. W ir suchen heute vor allem nach Festem, Gegründetem , Tröstlichem , Gesundem. W as wir noch festhalten können an gewordenem Besitz, das wollen w ir uns bew ahren. A uch in unseren W ohnungen sehen w ir je tz t gern w ieder die Zeugen entwichener, beruhigter Kunstepochen um uns. W ir fühlen uns behaglich und wie aufs neue aufgefrischt unter wirklich solidem altem H ausrat, d er mit Linien von geprägter Schönheit und gesicherter W ürde zu uns redet. N ur w eit weg von unserer Z eit, der ewig a u f g e r e g te n ...M it Gefühlen dieser A rt durchschritt ich w ieder ein
mal die stattlichen und wohlau*gestatteten Gemächer in d er Berliner Bellevuestraße, die daselbst die Firma »A n
tike W ohnräume« in repräsentativer W eise ausgerüstet hat. Schon vor zweiundeinhalb Jahren habe ich von den Bestrebungen dieses der Innenraumkunst gewidmeten
Hauses hier berichtet und stärker noch als damals fühle ich heute, daß Frau Michels-Fougner, die künstlerische Leiterin der genannten Firma, auf den richtigen W egen sich befindet. Eine kluge Frau fühlt oft eher als der schwerfälligere Mann, wobin der Zeiger der Stunde weist.
Instinktiv begreift sie die Bedürfnisse d e rZ e it und kommt ihnen entgegen. »Schaffe den Menschen Behaglichkeit
— und sie werden D ir dankbar sein«, sagte sich Frau M ichels-Fougner. Diesem Leitw ort verdankt sie die E r
folge, auf die sie zurückblickt; wird sie die vielleicht größeren verdanken, die noch vor ihr liegen...
Doch moderne W ohnräume m it antikem H ausrat aus
zustatten, ist keineswegs eine leichte und einfache Sache.
Nur in den seltensten Fällen finden sich alte Zimmer-Ein
richtungen vollständig und unbeschädigt zusammen. Zu allermeist heißt es: ergänzen, ummodeln, neu zueinander
ordnen, Bestehendem anpassen. Man kann die alten Dinge nicht so, wie der Zufall sie einem in die H and spielt, aufs G eratew ohl irgendwohin stellen und dann sagen: man sei »antik eingerichtet«. Daraus entsteht Dilettantismus und Stümperei. Zweierlei wird nötig sein:
daß eigene W erkstätten zur V erfügung stehen, in denen
A N TIK E W O H N R Ä U M E G .M .B .H .- B E R L I N M UStK ZIM M ER . B Ü C H E R SC H R Ä N K E : M A H A G O N I
■400 ¡NNEN-DEKORATION
A N T IK E W O H N R A U M E O . M. B. H .- B E R L I N W E ISSER S E ID E N B E H A N G M IT STIC K ER EI
die G egenstände neu aufgearbeitet und ergänzt w erden, auch als M odelle für Neuschöpfungen und V ervollstän
digungen dienen; und ferner, daß, in einem M enschen verkörpert, ein lebendiger und wohlerzogener Geschm ack vorhanden sei, der den W ohngem ächern C harakter und Harm onie verleiht. Nach
beiden Richtungen ist Frau M ichels-F ougner tätig. F ü r das Z w eite steh t sie ein mit eigener Person — darin besteht ihre individuelle L e i
stung — und für das E rste hat sie sich W erk m eister und geschulte A rbeit er verpflichtet,die ihreW inkeund A ufträge erledigen. A uf diese W eise ist sie in der Lage, nicht bloß in allen Einzelheiten solide und sachverständige A rb eit zu leisten, sondern auch ganze Z im m er- und W ohnungseinrichtungen zu übernehm en, in denen sie mit einem G rundstock alter M öbel, Teppiche, G ew ebe, G eschirre ein neues wohnliches Zuein
ander schafft, das auf den Geschm ack und das Seelenbedürfnis m oder
ner M enschen gestimmt ist. — D a ist etw a ein M u s i k - Z i m m e r (A b bildung S. 399). Es w irkt ganz als einheit
liche Schöpfung. Man fühlt den geschlossenen R hyth
mus, der hindurchgeht. Fenster, T ür und Schränke har
monieren zusammen im gleichen Spiel und V erhältnis der V ertikalen und Horizontalen. Man beachte, w ie die beiden seitlich aufgestellten hohen Bücherschränke aus
der D irecto ire-Z e it in dem zwischen den Fen
stern postierten niedri
gen Büchergestell ihre kontradiktorische F o rt
setzung finden. Ferner w ird d er Gardinenstoff in gem ustertem engli
schem C retonne, der durch sein buntes Blu
m en -M o tiv belebend w irkt, dann auch für die Polst erungaufs neue ver
w endet. — Im S c h l a f z i m m e r (S. 401) mit dem großen H im m elbett w erden Hell und Dunkel w ider- und zueinander geführt. H ell ist d er G esam t-E in d ru ck , zu
mal durch die B ettvor
hänge und die m it ge
blümtem englischem C h intzgesteppteD ecke;
hierzu schaffen der Ma- hagoni-T oilettet isch, der Sessel und die U bervor
hänge einen dunklen G egenton. D as andere Schlafzimmer (S . 402) ist vorw iegend auf G elb und W eiß gestimmt, wie der abgebildete Salon
A N T IK E W O H N R A U M E -B E R L IN . S T U H L P O L S T E R . A U B U S S O N -W E B E R E I
INNEN-DEKORATION 401
A NTIKE W O H N R A U M E G . M. B. H .-B E R L IN
(S. 404) auf Hellblau und W eiß. Dieser ist, einschließ
lich d er alten Bilder, nach einheitlichem Plane zusammen
gestellt. H ier wirken vor allem zu den hellblauen W änden die weißen, ins Perlgraue schillernden China
seiden-Stoffe, mit denen die alten Möbel neu überzogen sind . . . Daß auch im Freien kompositorische Eigen
schaften stimmunggebend mitwirken, zeigt der im G arten aufgestellte Teetisch (S. 407) m it altem Porzellan: ein m it malerischen A ugen gesehenes Bild...
Doch alles dies mag man Regisseur-Geschicklichkeit nennen. Es ist sehr wesentlich; aber machtlos, wenn Dicht im Kleinen und Einzelnen wirklich vorzügliches M aterial zur Verfügung steht. H ier muß das A lte mit dem Neuen Zusammenwirken. Beides in der richtigen W eise zu beschaffen, ist die A ufgabe. Daß die künst
lerische Leiterin der »A ntiken W ohnräume« hierin eine gute H and h at, beweisen die Abbildungen. Aubusson- Teppiche und -W ebereien, zarte Blumenstickereien auf w eißer S eide aus der Louis X V I.-Z eit, Rokoko- und Empire-M öbel in feiner A uslese, kristallene Kronen und Seitenlüster, V asen, Mappen, Kissen, Gläser, vom Hauch alter Z eit überschw ebt, stehen zur A uswahl bereit und harren der Stelle, w o sie w irken können. A ll dieses aber
SC H L A FZIM M ER . H IM M ELB ETT U . T O IL E T T E -T IS C H
muß fortlaufend durch eigene Schöpfungen ergänzt und vervollständigt w erden. A lte Stuhlgestelle erhalten neue Polsterungen — es ist hierfür eine eigene reiche A b tei
lung eingerichtet— und ein ganzes Lager von Überzügen in gem usterter Seide und Cretonne erlaubt reichste Variierungen. K l e i n m ö b e l aller Ar t , stabile Tisch
chen in Edelhölzern, — wie die abgebildeten, — für Blumen, kostbare Vasen u. dergl. werden mit besonderer Sorgfalt von den »Antiken W ohnräumen« angefertigt.
Eine besonders glückliche Neuschöpfung aber ist die einer Düsseldorfer Künstlerin, der Frau Professor Sohn- Rethel, unterstellte W e r k s t a t t f ü r L a m p e n s c h i r m e aller A rt. Eine ganz eigenartige und höchst erfinderische Phantasie lebt sich hier aus. G eschweifte und grade, gefältelte und gebuckelte, gekräuselte und eingezogene Formen treten uns entgegen und w erden, je nach d er A rt des Lam pen-Postamentes, verw endet. Einfarbige Seide, Karton mit H andm alerei, W eberei und Stickerei oder auch duftiger blütenweißer Mull sind die verw erteten Stoffe. W e r da w eiß, daß ein geschmackvoll gewählter Lampenschirm in einer Zimmereinrichtung manchmal wie das Tüpfelchen auf dem »i« w irkt, w ird Einfälle dieser A rt aufrichtig zu schätzen wissen. . . d r . f r a n z s e r v a e s .
O INNEN-DEKORATION
ANTIKE W O H N R A U M E—BERLIN. SCHLAFZIMMER. VILLA W .—MÖNCHEN
INNEN-DEKORATION 403
D E R M O D E R N E B E L E U C H T U N G S K Ö R P E R
D
as Charakteristische des modernen B e l e u c h t u n g s g e r ä t s liegt darin, daß sich der eigentliche A pparat d er Licht-Erzeugung dem A uge m ehr oder w eniger verbirgt. In dieser Richtung führen alle Fortschritte der modernen Beleuchtungstechnik folgerichtig zu dem E r
gebnis, w ie w ir es schließlich bei der vollkommensten Form des modernen Lichts: bei e l e k t r i s c h e m L i c h t vor uns haben. A uch die Flamme selbst, deren Anblick bei den alten Beleuchtungsformen ein so wesentliches Elem ent der Stimmung war, schaltet hier für die unmit
telbare künstlerische W irkung aus. Um auf das A uge an
genehm zu wirken, muß sie irgendwie verschleiert w erden.
¥
F ür die k ü n s t l e r i s c h e G estaltung des modernen Beleuchtungskörpers haben sich daraus Schwierigkeiten besonderer A r t ergeben. D er Formgebung fehlt die feste m aterielle Grundlage. Beim alten Beleuchtungsgerät w ar sie in d er Sache selbst gegeben. So ergaben sich stilvolle Form en, für die z. B. das ölfassende Becken der Lam pe oder d er kerzentragende A rm des Leuchters den A usgangspunkt bildete. T e c h n i s c h e Form und k ü n s t l e r i s c h e Form w aren hier noch Eins. Beim modernen
Licht entzieht sich d er technische Teil d er A ufgabe über
haupt der künstlerischen Fassung. D afür setzen aber die Eigenschaften des elektrischen Lichts der Unterschiebung dekorativer Scheinformen um so w eniger Schranken.
D er dünne, biegsame Leitungsdraht und der leichte Glas
körper m it der fast immateriellen Flamme: dam it kann man alles und nichts anfangen. Man kann das elektrische Licht als eine einfache Birne an einem D raht herabhängen lassen, oder man kann es auf das anspruchsvollste Deko
rationsgerüste irgend einer entlehnten Stilform montieren, etw a einen romanischen R adleuchter oder einen Rokoko
lüster daraus machen und dabei selbst die Form der Kerzen Vortäuschen — wie das üblich geworden i s t . . . .
Das sind freilich nur Scheinlösungen, die das eigent
liche Problem umgehen. Die Lösung, w ie sie die k ü n s t l e r i s c h e Gestaltung des elektrischen Beleuchtungskör
pers verlangt, muß von der Sache selbst ausgehen. W eil der technische A p p arat der Lichtquelle kerne G rundlage bietet, so bleibt dafür nur noch das notwendige, also technisch ebenfalls bedingte B e i w e r k der Lam pe: vor allem die V erkleidung der Lichtquelle m it ihren tragenden und stützenden G liedern. So w ird der S c h i r m zum
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i m H L 8.
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S O F A E C K E 1H E IN E M E M P F A N G S Z IM M E R A N T IK E W O H N R A U M E G . M. B. H . —B ERLIN
wesentlichsten G egenstand und T räger d er Form . W eil das elektrische Licht w eder zündet noch erhitzt, so ge
nügt dafür das L eichteste und Z arteste von M aterial:
Seide oder sonst ein durchscheinender Stoff, der entw eder glockenförmig über ein D rahtgestell gespannt w ird oder lose an einem dünnen M etallreif hängt. Jedes schw ere A ufgebot von Form und M aterial — namentlich von M etall — w ird dadurch überflüssig. A ls T räger des Schirms genügen bei einer elektrischen Hängelam pe dünne K etten, die auf einer Scheibe zusammenlaufen und durch G ew ichte zum A uf- und N iederziehen d er Lam pe eingerichtet sein können. Bei d er Stehlam pe kom m t zum Schirm noch der Sockel, durch den zugleich d er Leitungs
draht läuft. H ier hat man einen etw as freieren Spielraum in Form und M aterial. Die Sockel können aus Metall, H olz oder Keramik gebildet sein. Keramischen Sockeln gibt man mit V orliebe die Form von leuchterartigen Säulen, Kandelabern u. dergl. oder man gibt ihnen V asen
form. H olzsockel — neuerdings vielfach verw endet — können bei reicher A usstattung und künstlerischer A u s
führung auch mit Schnitzerei verziert sein. A uch F rag
m ente alter M öbel w erden m itunter dafür verarbeitet.
In jedem Fall aber w ird die F a r b e das H auptgew icht d er künstlerischen W irkung tragen. D as farbenschöne
M aterial des Schirm s, einfarbig oder in künstlerischem D ekor gem ustert und durch die Transparenz-W irkung des brennenden Lichts gesteigert, bildet den H auptschm uck der Lam pe. H ier hat das helle elektrische Licht in der T at ein neues w esentliches Elem ent der f a r b i g e n S t i m m u n g in unsere m odernen W ohnräum e gebracht.
In d er vielfältigen G estaltung d er bunten oder einfarbigen L a m p e n s c h i r m e ist auch d er neuzeitliche Formwille schon deutlich in Erscheinung g etreten ...
W ährend indes die elektrische Steh- und Hängelam pe als die normale Beleuchtung des alltäglichen W ohnraum s in der äußeren Form noch m ehr oder w eniger an die Tradition d er alten Zim m erlam pe anknüpft, hat das elektrische L icht in der D e c k e n b e l e u c h t u n g etw as völlig N eues gebracht. A us dem öffentlichen Festraum , dem K onzertsaal, dem R estaurantsaal u. dergl. ist sie auch in die G esellschaftsräum e des reichen Privathauses aufgenommen w orden. A ls festliche Beleuchtung des Tanzsaals, des Musiksaals, des Speisezim m ers (hier als Ergänzung der intim enTischbeleuchtung durch elektrische Stehlam pen) bildet sie den H öhepunkt des modernen Beleuchtungskom forts. M it d er neuen A r t der A nw en
dung des Lichts haben sich hierfür auch völlig neue Form en der B eleuchtungskörper herausgebildet. H alb-
INNEN-DEKORATION
ANTIKE WOHNRÄUME—BERLIN. TISCH- U. STANDLAMPEN. HOLZ UND KERAMIK
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' ■'
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kugeln oder laternenartige K örper aus G las oder farbigem Stoff umschließen die Lichtquelle, die unm ittelbar an der D ecke oder an der W an d angebracht, auf eine dem Tageslicht ähnliche W irkung berechnet ist. Eine beson
ders festliche Form der D eckenbeleuchtung sind auch die korbartigen L ü ster aus aufgereihten G laskugeln und Glasprismen, in denen die G lühbirnen emgeschlossen sind. D ie A nregung zu dieser V erw endung des G lases haben die K ristall-K ronleuchter des Rokoko gegeben.
So haben sich aus den Eigenschaften und dem G e
brauch des elektrischen Lichts in der T at Form en er
geben, in denen sich m ehr oder m inder klar die G edanken einer neuen Entwicklung, eines »Stils« des m odernen Be
leuchtungsgeräts ankündigen. Ist das elektrische Licht
der H auptträger dieser Entw icklung, so finden w ir die Ü bergänge und A nfänge dazu natürlich auch bei den ändern, dem elektrischen L icht zum Teil vorausgehenden Erfindungen auf dem G ebiet der modernen Beleuchtungs
technik: so vor allem beim G a s l i c h t . A uch das Gaslicht w ird aus einer unsichtbaren Q uelle gespeist. Doch bildet hier das M aterial d er Leitung, d er metallne G asarm eine viel w ichtigere Rolle für die Form -G estaltung als der elektrische D raht. Je m ehr sich indessen das G aslicht technisch vervollkom m net,das heißt dem elektrischen Licht nähert, desto ähnlicher w erden auch die Formen. Damit h at das elektrische L icht auch in der Stilentwicklung allmählich die Führung bekommen. Ihm gehört die Z u kunft — technisch w ie künstlerisch, p r o f . k a r l w i d m e r .
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V O N T E E - U N D K A F F E E - T A S S E N
A
uswahl ist A lles: — das Richtige für den richtigen _ A ugenblick wählen, heißt Geschm ack! Eine A u swahl weise gew ählter K a f f e e - u n d T e e g e s c h i r r e wird dem K ulturzustande eines H auses Ehre machen und ist für eine gesellschaftliche Regie-Kunst unentbehrlich.. . .
*
Ein frisch behagliches Kaffeegeschirr, das D ir den braunen Frühtrank bringt, ist die Dominante für die Laune eines Tages, w enn es Dich entzückend anspricbt, ebenso kann ein häßliches dem Empfindsamen schon die K röte sein, die nach Zola jeder Mensch morgens verscheuchen muß.
*
D as Kaffee- und T eegeschirr hat seine Magie, seine tausend M öglichkeiten; möchten sich die Hausfrauen dessen bew ußt w erden zum Segen häuslicher Harmonie.
Es gibt nichts, was nicht Symbol wäre, nichts, das nicht etw as verraten könnte über seinen Besitzer, und w äre es auch nur die Tatsache, daß es von Nichts spräche und dam it der W ahlkunst jenes ein schlechtes Zeugnis aus
stellte. Schöne Tassen haben i h r e S p r a c h e , sie tragen eine bereichernde N ote in die U nterhaltung, sie erfüllen uns mit glücklichen Vorstellungen, sie entrücken aus dem A lltag durch das Glück bunter Farbe oder edler Form. W arum diese Eigenschaften nicht a nwe n d e n ? . . . Im O s t e n gab es eine T assen-K unst, wie nirgendwo sonst auf der W elt und in der Geschichte. D ie j spanischen
Teem eister, w er entsänne sich ihrer nicht und ihrer Tassen
wahlkunst für P oesie-gew eihte Teestunden, in denen man durch geschickte A uswahl der Tassen die Stimmung vorbereitete für den Genuß der verfeinertsten Lyrik 1 W elche künstlerische Schulung sie Generationen von Töpfern angedeihen ließen und welchen Einfluß sie auf das japanische Kunstbandw erk ausübten, — das ist ein goldenes Blatt im Buche der M enschheitskultur...
*
V ornehm e Japaner haben mir ihre Schatzkammern geöffnet. W asw a rd a rin ? Nicht G old, nicht D iam anten—
nicht Perlen — : T e e - T a s s e n , hunderte von Jahren alt, geweiht durch die Lippen eines großen Dichters und ge
adelt durch die Kunst einesTöpfers, der sein ganzes Sinnen, T rachten und Fühlen ihrer Herstellung gew eiht hatte. In Seide gehüllt, in Lackschreinen verw ahrt, stellten sie ihren Besitzern die höchstmöglichen W erte dar und nicht nur ihnen, sondern auch allen ihren Landsleuten. Glückliches Volk, das ein Alltägliches zu Heiligtümern steigern kann 1
*
Ein A nfang zu solcher Entwicklung war auch bei uns einmal. D enken wir an Großm üttercbens Glasschrank und die Tassen mit den Schattenrissen lieber Freunde . . Vielleicht finden w ir w ieder zum Kultus der schönen Kaffee- und T eetasse zurück? Es w äre eine Bereicherung und zw ar eine M ö g l i c h e i k u n o g r a f v o n H a r d e n b e r g .
A N TIK E W O H N R A U M E O . M. B. H .-B E R L IN TE E T IS C H IM PARK M IT A LTEM PO R Z E L L A N
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D I E S C H E I N T O T E L A M P E
U
nter den H änden des A rbeiters h atte sie geatmet.
A ls das glühende E rz sich in die Form ergoß, als das M e
tall unter H ammer, Punzen, Feilen vibrierte und aufzu
leuchten begann, als seine H ärte sich mit dem gleißen
den Fall der Seide verband.
K onzentriertes Leben erfüllte die Lam pe bei ihrer G eburt in d er belebten W erk statt. . .
*
A b er je tz t hängt sie im Magazin, in R eih’ und Glied mit H underten gleich ihr ent
w urzelter Schw estern: Sie ist nichts w eiter als ein M uster, die Illustration zu einer P reis
liste. D u siehst nicht das Eigenleben ihrer Form en und ihres Metalls, nur U nterschiede der Zusammensetzung, der Zeichnung. Ein H andelsob
jekt, eineW arel Man schmeckt nicht die Feinheiten d er A r beit, man schätzt ab und rech
net nach. H ier 100 Gramm Bronze mehr, d o rt etw as längerer Seidenvolant, ausgeglichen durch Einsparung von A rbeitszeit an anderer Stelle. Man vergleicht in G edanken mit der W are der Konkurrenz, und w ieder w ird gerechnet, w ie lange die Lam pe schon hier hängt und w elcher Zinsverlust daraus m ag entstanden sein.
Ein grauenhaftes System ist d as, diese A ufstapelung von W aren, die nicht m ehr sind als Rechen- und Speku
lationsobjekt. So schreitet man in den gefüllten Gängen solcher M agazine w ie durch Leichenhäuser. H ier zu wählen und zu kaufen, ist für den Empfindsamen eine Qual.
Und trotzdem erw acht die m ißhandelte L a m p e w ie
der zum Leben. W enn sie in ein » H e i m « eingeführt
A N T IK E W O H N R A U M E —B ER LIN . K R ISTA LL-LÜ STER
w ird und nun leuchten darf in einem ihr eigenen Raum und über »ihre« Familie. Da schwellen ihre G lieder von K raft, das M etall blinkt auf und die Seide erglüht im Prunk ihrer Farben. W ie ganz anders sind aber auch die Blicke, die jetzt die Lam pe empfängt. Man begrüßt sie als Kam eraden und H ausge
nossen, m it jed er Linie und jedem Schmuck an ihr ist man vertraut. Man liebt ihren W uchs, man hat R espekt vor d er kraftvollen W ü rd e ihres Metalls. — So ist die Lam pe im »Heim« lebendig m it den Lebendigen, strahlt heiter den F esten und leuchtet ernst in die T rauer. Fragen w ir nicht m ehr, was sie g ek o stet, oder was sie je tz t »bringen« w ürde.
Freuen können w ir uns nun der neugew onnenen, neuge
borenen Lam pe m it ihrem un
schätzbaren , weil unbezahl
baren Leben 1 . . . A . j a u m a n n .
£
D
ER S C H A F F E N D E muß den starren Stoff v ermenschlichen. D as was w ir Kunst nennen, ist nichts anderes, als die unbew ußte Kraft , die M aterie m it menschlichem Gefühl zu durchtränken . . . »Kunst«
ist der Inbegriff alles Persönlichen, »Technik« dagegen der des Unpersönlichen. »M echanisierung« und »Kunst« — das ist eine gründlich unnatürliche Zusammenstellung.
*
U
nter allen M itteln d er V olkskultur ist der A n s t a n d i m G e r ä t des täglichen Lebens vielleicht das M ächtigste, weil es dasjenige ist, das d er Lebenshaltung absichtslos den Stem pel aufdrückt. D er G eist, der in den G eräten steckt, ist d er G eist der Z eit. . . s c h u m a c h e r .A N T IK E W O H N R A U M E G . M . B. H .—B ERLIN. S C H R E IB M A P P E U . T O lL E T T E K tS S E N
INNEN-DEKORATION 4 0 9
AHT1KE W O H H - R A U M E -B E R U N . Z1ERT1SCHCH EN
» E I N S I C H T U N D V E R T R A U E N «
Z
eitliche und überzeitliche Schwierigkeiten bedrücken die Kunst. Die zeitlichen betreffen die Stoffe, die Verarbeitung, den M arkt; die überzeitlichen den inwendigen Prozeß der Formung. Dies muß eingesehen w er
den. U nd keinem ist es zu verwehren, wenn er diese Schwierigkeiten sorgend bedenkt, keiner ist zu schelten, wenn er von da aus zu dunklen Zukunftsbildern gelangt.
*
A b e r in die S p h ä r e d e r T a t sollen diese Bedenken nicht hineinreichen. Niemals darf Einsicht zur Hemmung der schöpferischen A rb eit werden. Bedenkt, Mitmen
schen: überall sind wir heute gebunden, nur in der W e r k s t a t t sind w ir frei. Indem wir uns als denkende Men
schen eine dunkle Zukunft errechnen, sollen wir immer daneben wissen, daß wir niemals a lle s berechnen können.
W ir haben bei unserm Rechnen nie die Gewähr, daß w ir alle F aktoren richtig in die Rechnung eingestellt haben. Das ist so richtig, daß wir sagen können: Jede
Berechnung, die zu einer fatalistischen Ergebung in ver
meintlich U nabwendbares führt, ist f a l s c h. Keine Klug
heit ist Klugheit, wenn sie den Menschen unfrei macht und seine T atfreude lähmt. Es gibt gewiß nichts Unabwend
bareres, nichts Gewisseres, als daß Jeder einmal sterben muß. Dennoch hat ein großer Denker gesagt: »W ir müssen so leben, als ob wir niemals sterben müßten«.
*
Türm en sich Schwierigkeiten, verdunkelt sich die Z u kunft, so heißt es der tiefen W ahrheit Goethes gedenken:
»W as ist deine Pflicht? — die Forderung des Tages.«
Dieser Pflicht zu genügen, ist i m m e r möglich, der großen Pflicht, die uns heißt, Tag für Tag zur W erk statt zu gehen, zu s c h a f f e n ohne Unterlaß, zu formen, zu ge
stalten, unbekümmert um den G ang der Planeten und G eschicke, stets getrieben von dem einen hohen G e
danken: das W eltgeschehen mag draußen s e i n e A rbeit tun, hier in der W erk statt tue ich die me i n e . A lles an
dere ist Selbstbetrug; hier im V ertrauen ist die W ahrheit, die uns erlöst und alle G ötter zu Helfern macht, w. m i c h e l .
410 INNEN-DEKORATION
A R B E I T - W I L L E Z U R Z U K U N F T
D
ie Schicksals-Frage ist die: welchem V olk w ird es gelingen, den Q u a l i t ä t s g e d a n k e n mit dem W i l l e n z u r Z u k u n f t zu v e r b i n d e n ? . . Q ualität ist nicht Sache des Entw urfs, Q ualität ist das Endergebnis d er A rb eit, die K ünstler, Geschäftsm ann und A rb eiter gemeinsam leisten . . . W ille zur Q ualität ist die G rundlage für die gefestigte V erbindung all derer, die mit d er W a re zu tun haben. A u s dem Q ualitätsgedanken heraus gewinnen w ir eine neue Schätzung d er M enschen
kraft. Siegt d er Q ualitätsgedanke, so richtet sich d er W e rt des M enschen nach seiner A r b e i t . D ie A rb eit muß einer tun um d er A rb e it willen. D as innere V e r
hältnis zur A rb e it m acht den W e r t d e s M e n s c h e n aus.
G ilt im L ande nur gute und gediegene A rb e it, so w ird
das Bedürfnis, die H and zu rühren, ein entscheidender F aktor im V olksleben w e rd e n .. . D er Mensch ist nie un
glücklicher, als wenn er nichts zu tun hat. In d er not
w endigen H inw endung zur A rb eit, im Z w ang zur geistigen V e r t i e f u n g liegt d er T ro st des Besiegten. Seine A rb e it ist heilig, denn er ist arm. W eil er eingeengt ist an Produktionsm itteln, muß er sein Schaffen, sein W erk auf G ü t e , S c h ö n h e i t und E h r l i c h k e i t einstellen.
G u t e A r b e i t träg t den Keim d er W eiterentw ick
lung in sich, gute A rb e it h at die K raft, aus sich heraus n e u e T r a d i t i o n zu bilden. In Z eiten gewaltigen Um
schwungs darf man nichts hem m en, w as den starken W i l l e n z u r Z u k u n f t in sich t r ä g t . . . H eilig ist alle A rb eit, die Z ukunft in sich trä g t e d w i n r e d s l o b . R A TH & B A L B A C H -K Ö L N . E N T W U R F : C . M Ü LLER W O H N Z IM M E R . T Ä F E L U N G M IT E IN G E B A U T . V IT R IN E N