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Die individuelle Grundlage der sozialen Tugend:

System der individuellen Tugenden

4. Die individuelle Grundlage der sozialen Tugend:

Gerechtigkeit.

U nter G erechtigkeit als in d ivid ue lle r Tugend verstehen w ir, dem Gesagten zufolge, die auf die Gemeinschaft bezügliche Seite an aller Tugend des Individuum s. Daher muß jede der

andern individuellen Tugenden, sofern die Gemeinschafts­

beziehung in Frage kommt, etwas von dem Charakter der G erechtigkeit annehmen. So zeigt es sich in der T at: sofern die Regelung des Trieblebens in A rb e it und Genuß im Interesse der Gemeinschaft gefordert ist, w ird sie zu einer der haupt­

sächlichsten Forderungen der G erechtigkeit; ebenso Tapfer­

keit, sofern sie der Gemeinschaft dient, sofern sie besagt, daß jeder an seinem Posten, in seiner um der Gemeinschaft w ille n nötigen B etätigung aushalten und seine Sache nicht im Stiche lassen soll, is t eine P flic h t der Gerechtigkeit; endlich W a h r­

h a ftig k e it im Verhalten zum Andern, E h rlich ke it, R edlichkeit, wechselseitige Treue hat man von jeher zur Gerechtigkeit gerechnet; ihre Verletzung is t nicht nur persönliches, sondern soziales Unrecht.

Und zwar is t das Wesen dieser Tugend darin schon v o ll­

ständig enthalten, daß alles, was an sich s ittlic h gefordert ist, gleichsam noch einmal, in der T a t in neuem, erweitertem Sinne gefordert w ird im Interesse der Gemeinschaft. Eine eigene Materie hat diese Tugend also nicht aufzuweisen. A lle E rklärungen, die man von ih r zu geben versucht hat, sind denn auch rein form al; so die alte Formel, nach der sie „Jedem das Seine , was ihm zukommt oder gebührt, zuteil werden läßt, sein Recht und seine P flicht. Was dies Gebührende sei, läß t sich gar nicht anders als in H in sich t der drei Grund­

elemente der A k tiv itä t, m ith in gemäß den drei ersten Tugen­

den bestimmen. Die Erhebung der Gemeinschaftsbeziehung der sittlichen Forderung ins ausdrückliche Bewußtsein unsres Tuns is t das einzige Neue, was hinzukom m t; darin is t die E ig en tüm lich keit dieser Tugend erschöpft.

Soll man sie darum etwa überhaupt nicht zur Tugend des Individuum s rechnen? — W ir schieden individuale und soziale Tugend nach dem Subjekt, von dem sie ausgesagt w ird, und nach dem Ziele, w orauf sie sich richtet. In d iv id u a l also is t sie, wenn sie das Individuum , sozial, wenn sie die Gemeinschaft zum Subjekt hat; und die sittlich e Ordnung des In d iv id u a l­

lebens is t im ersteren F a ll, die des sozialen Lebens im letzteren ih r Ziel. Beides is t nun zwar untrennbar; aber die Beziehung

is t darum doch eine zweifache. Z ur sittlichen Ordnung des Individuallebens gehört aber auch die Ordnung der Beziehungen des Individuum s zur Gemeinschaft, s o w e i t sie von den Eigen­

schaften und W illenshandlungen des Individuum s abhängt.

Daß das einen Unterschied macht, t r i t t darin k la r zu Tage, daß ein gerechtes Verhalten vom Ind ividu u m auch dann gefordert w ird, wenn die Gemeinschaft, der es zugehört, einer gerechten Regelung entbehrt und vie lle ich t dem Einzelnen auch gar kein M itte l ü brig gelassen ist, auf eine gerechtere Gemeinschafts­

ordnung d ire kt hinzuw irken.

Auch läß t sich nicht behaupten, daß die Tugend der Ge­

re ch tigke it ih r Ziel schlechthin nur im Gemeinschaftsleben hätte, daß man gerecht sein sollte bloß um der Gemeinschaft, nicht auch um seiner selbst w illen. Zw ar fü r den, der durch irgend ein Verhängnis von aller menschlichen Gemeinschaft fü r im m er abgeschnitten wäre, würde diese Tugend ihre un­

m ittelbare Anwendbarkeit verlieren. A lle in schon in jedem Gedanken an die übrige Menschheit würde sie ihre Bedeutung auch fü r ih n behalten; es wäre fü r ih n selbst nicht gleichgültig, ob er sie auch da wegwürfe oder nicht. Aber auch wer in menschlicher Gesellschaft lebt, muß G erechtigkeit üben nicht nur im sittlichen Interesse der Gesamtheit, sondern ebenso sehr im höchsten eigenen sittlichen Interesse. Es hat also guten Grund, wenn Plato die G erechtigkeit als ebensowohl in d iv i­

duale wie soziale Tugend behandelt; n ur t r i t t in seiner A b ­ le itu n g der G erechtigkeit als individualer Tugend die unerläß­

liche Beziehung auf die Gemeinschaft allzu sehr zurück. Die G erechtigkeit als individuelle Tugend w ird ihm , wenigstens im

„S ta a t“ , zum bloßen Ausdruck des normalen Verhältnisses der seelischen G rundkräfte, also nur zu einem andern Namen fü r die Tugend überhaupt und als Ganzes, die ja eben in diesem normalen V erhältnis besteht. E r kom m t dadurch noch in die weitere Verlegenheit, daß er sie von der Sophrosyne, die auch die innere Harmonie der Gemütskräfte bedeuten soll, n ich t überzeugend zu scheiden vermag. Diesen V e rw ick­

lungen entgeht man, indem man sich besinnt, daß die Gemein­

schaftsbeziehungen in den Individuen doch wurzeln, also auch

die Tugend der Gemeinschaft auf der individuellen Tugend und zwar auf einer bestimmten, eben der Gemeinschaft zu­

gewandten Seite der individuellen Tugend beruhen muß. So hat man es eigentlich sonst immer aufgefaßt; auch Plato selbst an andern Stellen.

Der G r u n d dieser Tugend is t kein andrer, als der die A llg e m e in g ü ltig k e it des S ittlichen überhaupt, d. h. seine G ül­

tig k e it nicht bloß fü r alle Subjekte, sondern auch in Rücksicht aller, begründet. Es is t der Satz der reinen E th ik , den K a n t so fo rm u lie rt hat: daß in der Person eines jeden „die Mensch­

h e it“ d. i. die sittliche, die vernünftige Person, und diese unbedingt zu achten sei; denn es gebe nichts, das ohne E in ­ schränkung gut genannt werden könne, als allein den guten W ille n , fo lg lic h nichts, das w ürdig wäre, den letzten Zweck des S ittlichen auszumachen als die E rh altu n g des sittlichen W ille n s in jedem, der dessen überhaupt fähig ist, d. h. in jedem s ittlic h e r V e rn u n ft fähigen Subjekt, jeder „Person“ .

Das Moment der G l e i c h h e i t , das im B egriffe der Ge­

rechtigkeit u n fra g lich lie g t, is t nur hieraus k la r zu verstehen.

Denn von N a tur sind die Menschen nicht gleich und würden es nicht sein, auch wenn man sich die weitestgehenden Forde­

rungen an Gleichheit der äußeren Lebensbedingungen und vor­

züglich der äußeren Bedingungen geistiger E n tw icklu n g e rfü llt dächte. Der tatsächlichen Beschaffenheit der Menschen gegen­

über is t Gleichheit eine F ik tio n , kaum ein berechtigter Wunsch.

A ls sittlich e Forderung aber hat sie den klaren Sinn: daß jeder, auch wer tatsächlich auf der niedrigsten Stufe der Menschheit steht, des S ittlichen doch fähig is t oder befähigt werden kann, mindestens hätte befähigt werden können. Auch noch dem unheilbar Schlechten gegenüber (wenn es einen solchen g ib t) bedeutet die Gerechtigkeit, die w ir ihm schulden:

daß er fü r seine Schlechtigkeit nicht durchaus als Einzelner verantw ortlich zu machen is t; daß auch jeder, der sich besser glaubt, sich seiner M itschuld an a ller in der Gemeinschaft, der er zugehört, vorhandenen Schlechtigkeit bewußt sein muß. Auch der entartete Mensch d arf im Sinne s ittlic h e r G erechtigkeit nicht der Bestie gleich geachtet werden, auch der reinste sich

n ich t vor sittlichem Schaden sicher wähnen. Insofern g ilt die Forderung der Gleichheit in unnachgiebiger Strenge. In jedem ohne Unterschied is t s ittlic h nichts zu achten als allein der sittlich e W ille , dieser aber auch in seinem verborgensten Keim , auch als bloße, durch Nichtgebrauch vie lle ich t verkümmerte, aber an sich doch als vorhanden anzunehmende Anlage; und zwar unbedingt, ohne Vergleichung m it irgend einem bloß empirischen W ert.

Das is t nun aber sehr gewöhnlich und begreiflich, daß die B eurteilung eben auf die Vergleichung empirischer W erte ab­

ir r t. Daraus entspringt dann ein ganz andrer, von Gleichheit sich w e it entfernender Sinn der Gerechtigkeit, näm lich daß jedem zuteil werden solle, w a s e r w e r t i s t , dem Besseren Besseres, dem Schlechteren Schlechteres; das Gute, nein der Gute müsse belohnt, der Schlechte bestraft werden. Das h ält man vie lle ich t fü r die von Plato empfohlene „geometrische“

d. i. p r o p o r t i o n a l e Gleichheit. Es g ib t aber eine seltsame Proportion, wenn gut und schlecht dabei so ganz Verschiedenes bedeuten: das eine M al das Maß des G u t s e i n s , der persön­

lichen Tugend, das andere M al das Maß des G u t e n , d a s m a n g e n i e ß t , näm lich des A nte ils an äußeren Gütern und V o r­

teilen, an Besitz, Macht, Ansehen, öffentlicher Auszeichnung und allem, was von dieser Ordnung ist. Aber das hat wenigstens P lato n ich t gemeint, daß Tugend k ä u flic h sein sollte um solche Münze, daß äußere Ehre und klingender Lohn fü r Tugend der Sinn der G erechtigkeit sei; er hat das genaue Gegenteil davon m it schneidender Schärfe betont: daß das Gerechte gerecht is t auch verborgen vor Göttern und Menschen, und es bliebe, auch wenn man das Schlimmste darum leiden müßte. Sein Satz von der proportionalen G leichheit meinte etwas ganz Anderes. Plato war allerdings der A nsicht, daß der Tüchtige befehlen, der U ntüchtige gehorchen müsse; aber nicht, w eil jener größere Ansprüche an „G utes“ erheben dürfe, sondern aus dem ungefähr entgegengesetzten Grunde: w e il größere Leistungen von ihm zu verlangen seien. N icht als der persönlich Tüchtigere soll er größere persönliche V orteile genießen; das würde in kurzem seine T ü ch tig ke it zerstören; sondern dam it das W e rk gedeihe,

soll der S a c h v e r s t ä n d i g e befehlen. Der V orte il, der dabei zu suchen, is t nicht seiner, sondern derer, denen er befiehlt.

E r hat den Befehl, sofern er die Sache versteht; aber die Sache is t gemeinsam. Eine Sache, welche es auch sei, ausschließlich sein eigen nennen, is t ihm der In b e g riff des sozialen Unrechts, ein auf diesen B e g riff des Eigentums gebauter Staat das Gegenteil des s ittlic h geforderten. Vielm ehr sind beide, der Befehlende und der Gehorchende, Eigentum der Gemeinschaft, ih r Befehlen und ih r Gehorchen is t Dienst der Gemeinschaft.

Das is t der A ristokratism us Platos, der am Ende auch Demo­

kratism us heißen könnte, sofern darunter die Verneinung jedes Befehlsrechts einer Klasse als solcher und nicht lediglich des Tüchtigeren verstanden w ird. Dieser A ristokratism us ist m it der sittlichen Gleichheit wohl im E in kla n g ; denn diese besagt die fü r alle an sich gleiche Verpflichtung, die gegebenen K rä fte in den Dienst des Guten und, sofern das Gute Ge­

meinschaftssache ist, in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen;

welche an sich gleiche P flic h t sich empirisch m odifiziert nach dem Maße der F ä h ig ke it der Einzelnen. Da übrigens die menschlichen Fähigkeiten bildsam sind, so besteht auch wiederum die V erpflichtung, allen an sich gleiche M öglichkeit zur Ausbildung ih re r Fähigkeiten zu schaffen. Dabei aber s te llt sich nun, m erkw ürdig genug, eine A r t umgekehrter Proportion heraus: wie der K ranke mehr leibliche Pflege fü r sich fordern darf als der Gesunde, so hat der weniger Begabte Anspruch auf desto größere S orgfalt fü r seine B ildung. Die Formel, daß dem Bessern Besseres gebühre, dem Schlechteren Schlechteres, versagt hier v ö llig ; diese Proportion wäre hier schreiendste Ungerechtigkeit, sie würde sagen: W er hat, dem w ird gegeben, und wer nicht hat, dem w ird auch noch ge­

nommen, was er hat.

So kann die Gleichheit, die der B e g riff der Gerechtigkeit vorschreibt, sich empirisch äußerst verschieden ausnehmen;

Beweis genug, daß dieser B e g riff nicht aus der E rfahrung geschöpft ist. W ir folgern ih n ganz schlicht aus dem Gemein­

schaftscharakter des S ittlichen. D ie Idee der sittlichen Gleich­

heit is t m it dem entschiedenen W ille n sittlich e r Gemeinschaft

unzertrennlich verbunden. Sie kann nicht auf tauchen, wo nicht eine gewisse Gemeinschaft schon besteht. M it deren bloßem Bestände is t aber auch ihre sittlich e Gestaltung gefordert; und das schließt in sich, die sittlich e Gleichheit, die zuerst nur in

„ der Idee existierte, so vie l als m öglich zur T at und W ahrheit zu machen; denn die höchste, d. h. eben die sittlich e Gemein­

schaft kann nur auf dem Grunde der G leichheit bestehen.

Das Ind ividu u m w ird dabei aber nicht geopfert. M it der höchsten Tugend des Individuum s, die eins is t m it der E n t­

fa ltu n g seiner höchsten K r a ft und T üchtig ke it, fo lg lic h (auch nach P lato) m it seiner wahren G lückseligkeit, is t in der Tat nur diese H a ltu ng gegen dip Gemeinschaft, welche Gerechtig­

k e it heißt, vereinbar. N ur die Schlechtigkeit des Individuum s w ird geopfert, alles Gute an ih r kom m t bei dem (im ange­

gebenen Sinn) gerechten V erhältnis des Einzelnen zur Gemein­

schaft vielm ehr erst zur freien E n tfa ltu n g . Auch bedarf es, um das festhalten zu dürfen, nicht der gewagten Annahme einer prästabilierten Harmonie zwischen In d iv id u a l- und Ge­

meinschaftsleben, sondern es ergibt sich m it N otwendigkeit so aus der E insicht, die w ir vornehmlich Plato verdanken:

daß die Gestaltung des Individuallebens, gerade in sittlich e r H insicht, von der des Gemeinschaftslebens ganz so streng ab­

hängt w ie umgekehrt; daß nur das eine m it dem andern, keines fü r sich allein einer rein sittlichen Gestaltung fäh ig ist.

G erechtigkeit w ird daher v o m E i n z e l n e n gefordert schon im Interesse der sittlichen Gestaltung s e i n e s i n d i v i ­ d u e l l e n L e b e n s , näm lich hin sichtlich seiner (tatsächlich von ihm unabtrennbaren) B e z i e h u n g z u r G e m e i n ­ s c h a f t . Der Einzelne erreicht die Höhe s e i n e r menschlich­

sittlichen Bestimmung nicht ohne die m enschlich-sittliche Gestaltung seiner Beziehungen zur Gemeinschaft.

Es fo lg t ebenfalls aus unserer A bleitung, daß diese Be­

ziehungen alle Seiten der menschlichen A k tiv itä t: Trieb, W ille und V ernunft, zugleich umspannen müssen. Dadurch bestimmt sich das V erhältnis der Gerechtigkeit zu den drei ersten Grund­

tugenden.

Aus der praktischen V ernunft, die die unbedingte A llgem ein- verbindlichkeit des sittlichen Gesetzes besagt, is t unsere Tugend d ire k t abgeleitet, der V e rn u n ftw ille regiert also auch sie.

Insofern rü c k t sie der Tugend der „W a h rh e it“ sehr nahe; sie ist die W ahrheit des Gemeinschaftslebens. In Ausdrücken wie E h rlic h k e it, R edlichkeit, Treue (gegen den Andern) kommt dies * Moment deutlich zur Geltung. U ngerechtigkeit is t immer etwas wie Lüge, Untreue, V erra t; umgekehrt, Lüge hebt die sittlich e Gleichheit und fo lg lich die Gemeinschaft auf; der gleiche Boden, auf dem man sich gegenüberstehen soll, kann nur der der W ahrheit sein.

Deshalb is t die erste Lebensbedingung der Gerechtigkeit die sittlich e E insicht. Neigung zu G ew alttat oder Überlistung, zum Vordrängen blinder selbstischer Interessen auch in jeder verfeinerten Gestalt is t im m er ein Zeichen sittlich e r Verworren­

heit. W o irgend ein blinder In s tin k t die klaren Forderungen der Gerechtigkeit vergewaltigen oder in Vergessenheit bringen kann, geschieht j e d e r U ngerechtigkeit und dam it der Zer­

störung der Gemeinschaft Vorschub, auch in Dingen, die m it diesem besonderen In s tin k t nicht Zusammenhängen; denn jeder beliebige andere (persönliche oder Klassen-) In s tin k t fordert dann m it gleichem „R echt“ -— m it dem Rechte seiner Macht — in dem Grade als er (im Einzelnen oder einer Klasse) stark ist, sich durchzusetzen. Gerechtigkeit, Gleichheit werden zu leeren Namen, wo nicht mehr Anerkennung findet, daß in keinem Falle blinde Sympathieen und Antipathieen, oder allgemein die Stärke nun einmal vorhandener Strebungen und Gegen­

strebungen, das gegenseitige Verhalten außerhalb s ittlic h e r Rücksicht bestimmen dürfen. In der Leidenschaft des Rassen- und Nationalhasses, nicht minder des Klassenhasses is t gerade dies das Gefährliche, die wie systematische Untergrabung jedes Gerechtigkeitssinnes und dam it jeder M öglichkeit sittlich e r Gemeinschaft.

So genau hängt die Tugend der G erechtigkeit m it der K la r ­ heit der sittlichen Einsicht, also m it der Tugend der W ahrheit zusammen. Daß sie nicht minder die Energie des sittlichen W ille ns d. i. T apferkeit fordert, fo lg t schon aus dem eben

Gesagten, näm lich daß sich die Idee des s ittlic h Rechten nur in fortwährendem K a m p f m it der Gewalt natürlicher Strebungen und Gegenstrebungen, Sympathieen und A ntipathieen zu be­

haupten vermag. Sympathie und A ntip a thie is t nicht Sache des W ille n s ; ich fühle sie oder fühle sie nicht, ich kann nichts dafür oder dawider. Aber G erechtigkeit unverletzt zu behaupten auch gegen die u n w illk ü rlic h e n Sympathieen und A ntipathieen is t in den W ille n des Menschen gestellt. Aus der U n w illk ü rlic h k e it und angeblichen U nw iderstehlichkeit trie b artige r Strebungen und Gegenstrebungen einen Rechtsgrund und gar einen s itt­

lichen Grund des Verhaltens gegen den Andern machen zu wollen, bedeutet nicht bloß die Preisgebung der ersten Grund­

lage des sittlichen Urteilens, es bedeutet nicht minder die Gefangengebung des W ille n s an die Obmacht des blinden Triebs, den V erlust der sittlichen F reiheit, des hohen V o r­

rechtes, sich selber Gesetz sein zu dürfen. Das g ilt in Bezug auf den Einzelnen, es g ilt in verstärktem Maße gegenüber gesell­

schaftlich mächtigen Sympathieen und Antipathieen, gegen die die Sache der G erechtigkeit zu behaupten eine um so gestähltere Energie des sittlichen W ollens erfordert, je mehr das gesell­

schaftlich Mächtige die Tendenz hat, sich geradezu an die Stelle des S ittlichen zu setzen und fü r die wahre, konkrete S ittlic h k e it auszugeben.

Und wieder aus dem gleichen Zusammenhang der Begriffe versteht sich das V erhältnis der Gerechtigkeit zu unserer d ritte n Tugend. Sympathie und A n tip a th ie gehört unverkenn­

bar zum Gebiet des Trieblebens; also, nach den Anschauungen aller bis zur Höhe sittlich e r Reflexion entwickelten Völker, zum Gebiete dessen, was der Herrschaft sittlic h e r V ernu n ft und sittlich e n W ille n s unterworfen werden muß, nicht sie be­

stimmen darf. Sympathie und A n tip a th ie ist, so unüberwind­

lic h v ie lle ich t im Moment, doch an sich wandelbar, also le n k­

bar. Man kann vie lle ich t nicht umhin, sie augenblicklich zu haben oder nicht zu haben, aber wohl haben E insicht und W ille E influß darauf, sie zu behalten oder davon fre i zu werden, sie zu stärken oder zu mäßigen, sie zum Guten zu lenken und nicht zum Bösen. Jeder N aturtrieb hat zuletzt irgend etwas

Gutes oder wenigstens Unschuldiges zum Z iel: ein guter Mensch in seinem dunklen Drange is t sich des rechten Weges wohl bewußt; allein so lange n u r der dunkle Drang zu W orte kommt, kann man nicht wissen, oh er eines guten Menschen is t oder nicht, ob er also in s tin k tiv auf den rechten Weg leiten w ird oder auf den verkehrten. E r bedarf also jedenfalls der Regelung, der Ordnung, der Reinigung. G erechtigkeit z ie lt auf R einheit unseres Verhältnisses der Sympathie und A n tip a th ie zum Andern. Leidenschaftlicher, überhaupt blinder Haß, nicht minder blinde Liebe v e rfä llt unrettbar in U ngerechtigkeit; und dasselbe g ilt von jedem nicht oder verkehrt geregelten Zustand des Trieblebens.

H ierher gehört auch die ethisch interessante Frage nach dem V erhältnis zwischen G erechtigkeit und L i e b e . Spricht man von blinder Liebe, so setzt man voraus, daß es auch eine sehende g ib t; diese kann wohl nicht allzu w e it abliegen von der Gerechtigkeit. So nennt Leibniz die Gerechtigkeit die Liebe des Weisen. Das kann sagen wollen, daß fü r den Weisen die G erechtigkeit die Stelle der Liebe (die eigentlich unweise sei) vertreten müsse; aber es schließt doch wohl ein, daß Liebe und G erechtigkeit an sich nicht m it einander streiten, daß die höchste G erechtigkeit auch Liebe und die höchste Liebe Ge­

re ch tigke it sei. Soll Liebe der höchste Ausdruck gegenseitiger S ittlic h k e it sein, so muß sie offenbar besagen den unerschütter­

lichen W i l l e n z u r G e m e i n s c h a f t . Dann is t die höchste Liebe die, welche die Gemeinschaft im höchsten, d. i. im s itt­

lichen Sinne w ill; die sittlich e Tugend der Gemeinschaft aber is t die Gerechtigkeit.

Aber dam it erhielten w ir nur einen neuen Namen fü r dieselbe Sache. Das W o rt Liebe aber schließt noch etwas E igentüm ­ liches ein, näm lich einen starken Beisatz von G e f ü h l , der der G erechtigkeit an sich fremd ist. Die G erechtigkeit w ird auch b lin d vorgestellt, aber in ganz anderm Sinne als die Liebe; die B lin d h e it besagt hier die strenge U nparteilichkeit, die persönliche U nbeteiligtheit des Urteilenden bei dem S treite der Parteien, den es zu schlichten g ilt. A lle in muß man denn fühllos sein, um nicht parteiisch zu werden, parteiisch,

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