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Die Tugend des Trieblebens: Reinheit oder Mass

System der individuellen Tugenden

3. Die Tugend des Trieblebens: Reinheit oder Mass

Es is t ein empfindlicher Mangel unsrer ethischen K u n s t­

sprache, daß ih r ein W o rt fehlt, das dem griechischen acocpQoovvr) recht entspräche. Die seit Schleiermacher gebräuchliche Über­

setzung „Besonnenheit“ t r i f f t nur e i n e , bei Plato vorzüglich w ichtige Seite dieser Tugend, aber unterscheidet sie kaum von der (pQovrjcug, die w ir m it „Besinnung“ Wiedergaben. Im Grie­

chischen is t das Unterscheidende im ersten Bestandteil des W orts, welcher „h e il, gesund“ heißt, wenigstens angedeutet;

bestim mter noch g ib t es sich kund in dem synonymen W o rt HÖOfuov. Das besagt nicht nur das äußerlich Anständige; der G rundbegriff is t vielm ehr der der inneren W ohlordnung, der geregelten und dam it harmonischen Verfassung der Seele; den Gegensatz bildet die Maß- und Gesetzlosigkeit der Triebe, vßqig.

A u f denselben B e g riff fü h rt die o ft gebrauchte, im W o rt acoq)Qo- ovvt] anklingende Vergleichung m it der leiblichen Gesundheit.

Den P u n k t der Vergleichung bildet das normale V erhältnis der Punktionen, in dem sie sich gegenseitig nicht stören, sondern unterstützen oder wenigstens streitlos m it einander bestehen.

Das setzt voraus, daß jede fü r sich das rechte M a ß innehält.

Und so w ird diese Tugend auch geradezu als die des Maßes, des

¡xstQiov bezeichnet. Das fü h rt dann wieder hinüber zur V er­

gleichung m it dem ästhetisch Schönen, „Sym m etrischen“ , be­

sonders aber m it dem Musikalischen, der Harmonie in eigent­

licher Bedeutung oder Symphonie, oder auch der E urhythm ie.

Vornehm lich im Sinne dieser Tugend g ilt den Griechen das S ittlich e als das Schöne (xahöv) der Seele. Bei den Lateinern, denen die Schönheit weniger im Gemüte liegt, verblaßt das zum honestum ; als ob die äußere Rücksicht auf den ehrlichen Namen, auf das decorum beim S ittlichen die Hauptsache sei.

Auch unser W o rt „ s ittlic h “ , das am öftesten von dieser Tugend im besondern gebraucht w ird, erinnert zunächst an die äußere Sitte, die aber dann sich v e rtie ft zum innerlich Gesetzlichen, Wohlgeordneten.

Stets aber w ird diese Tugend von den Griechen auf das Trieb­

leben bezogen, das, sich selbst überlassen, ohne Gesetz, Ordnung und Maß, ohne innere Zusammenstimmung bliebe. Daß das Ordnende die V ernunft, der vernünftige W ille ist, daß „B e ­ sonnenheit“ oder das ordnende W alten der V e rn u n ft über das Triebleben der eigentliche Grund dieser Tugend ist, aber auch die Energie des sittlichen W illens, die „T a p fe rk e it“ der Selbst­

bezwingung dazu gehört, is t die wesentliche Errungenschaft der Philosophie, vorzugsweise der Sokratisch-Platonischen.

D am it is t in der Tat das notwendige Zusammenwirken der drei Faktoren der A k tiv itä t in dieser Tugend ric h tig erkannt; die Beziehung a u f das Triebleben aber b le ibt vorwaltend.

Demnach lä ß t sich diese Tugend zutreffend als die des M a ß e s oder d e r s i t t l i c h e n O r d n u n g d e s T r i e b ­ l e b e n s bezeichnen. M it e i n e m W o rt kann man sie fü g lic h als R e i n h e i t benennen; wobei man nicht so sehr an das Negative: die F re ih e it von Sündenschmutz, von Befleckung der Seele, als an das Positive; die ungetrübte K la rh e it der inneren Gesetzesordnung denke. So spricht man in ästhetischer A n ­ wendung von reiner Harmonie, reinen Farben, R einheit der künstlerischen Form, der Sprache, aber auch von R einheit des wissenschaftlichen Verfahrens, endlich und besonders von R ein­

heit gem ütlicher und sonstiger Verhältnisse unter Menschen.

Das Gemeinsame in dem allen is t die gesetzmäßig überein­

stimmende und durch solchen E in kla n g befriedigende innere Verfassung, und zwar nicht als bloß gedacht oder angestrebt, sondern unm ittelbar im Stoff dargestellt; das is t genau der B egriff, den w ir brauchen.

Somit s te llt diese Tugend, auf der Grundlage der beiden andern, die Vollendung der persönlichen S ittlic h k e it dar. Sie lst die konkreteste der drei Tugenden; es is t darin das Ideal gedacht, daß die Triebe selbst dem Befehle der V ernu n ft so v ö llig gehorchen, vielm ehr von A nfa n g an einerlei R ichtung m it ih r nehmen, daß eine gefahrdrohende Anw andlung von Schlechtigkeit nicht mehr möglich ist. Der religiöse Name der H e i l i g u n g lie g t nahe und läß t sich in einzelnen A n ­ wendungen kaum umgehen; nur möchten w ir die religiösen

Assoziationen fernhalten, um den rein ethischen Charakter der Untersuchung in keiner Weise zu verwischen.

Auch diese Tugend hat eine negative und eine positive Seite, und bei ih r wie bei der T apferkeit drängt sich die negative oder kritische Bedeutung —- Abwehr der vßgig ■— zunächst auf; aber auch bei ih r is t vor der einseitig negativen A u f­

fassung zu warnen. Die ¿/jigarsio der Griechen, die Selbst­

beherrschung, die Eigenschaft sich in der Gewalt zu haben, d. li. seiner Triebe H err, n ic h t ih r Sklave zu sein, sie mäßigen oder zügeln zu können, g ilt wohl den Meisten als der eigentliche und ganze Sinn dieser Tugend. Das steigert man dann leicht zu der Forderung der E nthaltung, der Entäußerung, der E r­

tötung oder doch äußersten Abschwächung der Triebe. Es is t die Tugend der K y n ik e r und ih re r christlichen Nachfolger, der Asketen aller A r t: die Begehrungen so k le in wie m öglich zu halten; bei den ersteren m it der ausgesprochen hedonistischen Begründung, dam it man sie desto sicherer befriedigen könne;

so daß als das eigentliche Ideal völlige B edürfnislosigkeit erscheint. Aber gesunde Befriedigung des Triebs is t an sich so s ittlic h , so rein, so h e ilig wie die E nthaltung von unge­

sunder Befriedigung. Die Gesundheit des Trieblebens is t so wenig davon abhängig, daß man die Triebe selbst knapp hält, also das Triebleben überhaupt nach M öglichkeit abtötet, daß vielm ehr eben die Gesundheit des Trieblebens die Be­

dingung seiner kra ftvollste n und lebensfähigsten E n tfa ltu n g ist. Die A s k e tik is t ein unfehlbarer A rz t •— nur daß sie m it der K ra n k h e it zugleich dem Patienten den Garaus macht.

Gewiß is t „Selbstbeherrschung“ , d. i. H errschaft über die Triebe unerläßlich. Aber es is t die Weise schlechter Herrscher, die Untertanen so schwach wie möglich zu wollen, dam it sie sich desto leichter regieren lassen. Man übersieht, daß die H errschaft über kleine und schwache Triebe auch kleine und schwache Herrschaft ist. Die Gewalt über den Trieb is t erst die negative Vorbedingung, nicht das Ganze und Positive dieser Tugend; das Positive is t vielm ehr: Gebrauch des Triebes nach seiner w irklichen, natürlichen und sittlichen Bestimmung, nicht außerhalb dieser Bestimmung.

Man hat sich das Verständnis dieser Tugend am meisten dadurch erschwert, daß man fast ausschließlich an die gröbsten, auf das bloß physische Dasein bezüglichen Triebe gedacht hat, an den Ernährungs- und Fortpflanzungstrieb, und etwa noch an die abgeleiteteren, aber zuletzt auch lediglich auf Selbst­

behauptung im K a m p f ums Dasein gerichteten Triebe der

„Habsucht, Ehrsucht, Herrschsucht“ . Nun lie g t allen diesen doch auch etwas Gesundes zu Grunde. Weshalb läge auf Verschwendung und Schädigung des physischen Lebens und der M itte l und Bedingnisse der Lebenserhaltung ein schwerer s ittlic h e r Tadel, wenn nicht das Leben selbst und was seiner E rh a ltu n g dient, an sich etwas Fördernswertes wäre? Weshalb is t uns das V erhältnis von M utter und K in d rein und ehr­

w ürdig, weshalb konnte der Vatername sogar h e ilig genug erachtet werden, um der G ottheit beigelegt zu werden, wenn V ater- und M utterschaft an sich unrein wäre? Und so is t doch auch n ich t aller Besitz, alle äußere Ehre, alle Macht und H errschaft über Dinge und auch über menschliche A rbeits­

k rä fte an sich verw erflich. Verfügbare Energie des Triebs is t zu a ller und jeder menschlichen T ä tig k e it, sie is t vor allem auch zur A rb e it an der eigenen geistigen und sittlich e n E n t­

w icklun g erforderlich; wie sollte es also nicht auch s ittlic h gefordert sein, sie zu erhalten und zu stärken?

A m ärgsten is t wohl die V erw irrun g über einen B egriff, der ganz besonders hierher gehört, näm lich den der K e u s c h ­ h e i t . Man denkt dabei entweder bloß an das gesellschaftlich Anständige oder wozu einer sich ungescheut bekennen d arf;

wo dann wohl der bekannte Unterschied zwischen keuschen Ohren und keuschen Herzen zu Recht bestände. Oder wenn man denn diese Tugend bis ins Herz wurzeln läßt, so v e rfä llt man allzu leicht ins Asketische (wie in unserer Z eit wieder zwei so ehrliche Naturen wie Kjerkegaard und Tolstoj), und gerät dahin, selbst jeden Gedanken an die natürliche Be­

stimm ung der Geschlechter, jeden Wunsch ih re r E rfü llu n g unkeusch zu erklären. Da käme aber diese angebliche Tugend in schwierige K o llis io n m it der allerursprünglichsten, Unverl etzlichsten Tugend der W ahrheit. Es könnte dann am

^ a t o r p } Sozialpädagogik. 5. A r.fl. 9

Ende w ahrhafter und also sittlic h e r erscheinen, sie ganz und gar als törichte Menschensatzung über Bord zu werfen und das Naturgebot der Begierde zum unumschränkten Gesetz des Handelns und Denkens zu erheben. Oder endlich, man ver­

steht unter der Keuschheit des Herzens sogenannte Unschuld d. h. Unwissenheit über das Natürliche, wenigstens Ahnungs­

lo sig keit über die furchtbare Gewalt des Naturtriebs, ver­

bunden m it eigener Begehrungslosigkeit, also das Verharren im Kindesstande, auf den man selbst wie auf ein verlorenes Paradies zurückblickt, den man aber dem heranwachsenden, ja dem erwachsenen — Weibe zumutet. Denn dem Manne kann man sie nicht wohl zumuten; er soll doch den W ir k lic h ­ keiten des Menschendaseins ins Auge sehen lernen. Das heißt aber das W eib m it einer sehr zweifelhaften Tugend schmücken, um ihm zwei so zweifellose, unerläßliche Tugenden wie W a h r­

heit und T apferkeit des sittlichen W ille ns zu nehmen. Es is t eine unbedingt höhere Auffassung der weiblichen wie der männlichen Tugend, welche diese Unterscheidung und dam it diesen ganzen B e g riff der Keuschheit als „U nschuld“ ver­

w ir ft. W ahre Unschuld is t nur die, die das Schuldlose auch schuldlos nim m t, um so sicherer, je fremder ih r die wahre Schuld der Unkeuschheit ist.

Was is t denn nun der echte B e g riff dieser so schwierigen Tugend? E r is t so einfach wie alle Tugend, und dem s ittlic h Gesunden fast selbstverständlich. Sie besagt erstens, als V o r­

bedingung: sichere H errschaft über den N aturtrieb; sodann aber: Gebrauch des Triebes nach seiner w irklich en , natürlichen wie sittlichen Bestimnrang, nicht außerhalb dieser Bestimmung.

D ie natürliche Bestimmung is t die Fortpflanzung. Schon dadurch is t fü r den Gebrauch des Triebes eine unerbittliche Grenze gezogen, die Grenze, die die Unkeuschheit besonders n ich t anerkennen mag; sie zieht vielm ehr hauptsächlich daraus ihre Nahrung, daß sie den Trieb gebrauchen, aber seinen Zweck, die Fortpflanzung, umgehen w ill, w eil seine Anerkennung dem Gebrauch des Triebes offenbar Schranken auferlegt. Es is t hier, wie bei der Trunksucht, der Habsucht u. s. f., a u ffä llig {was man K a n t nicht hat glauben wollen), daß alle U n s ittlic h ­

k e it auf einen S e l b s t w i d e r s p r u c h des W ille ns hinaus- kommt. Dann aber und vornehmlich kommt im Geschlechts- yerhältnis die seelische Beziehung in Frage, und da erst recht zeigt sich der hohe, ganz positive Sinn der Herzensreinheit in der Tungend der Keuschheit. Es is t d ie Reinheit, der das Reine rein ist, indem es bezogen w ird auf das H e ilig tu m der Seele; der das physische Leben, und so auch seine W e ite r­

gabe, geheiligt is t durch seine Beziehung auf das seelische Leben, dem es dient; fü r die daher die Höhe des physischen Lebens — die Höhe, da es sich verewigt, indem es sich ver­

schenkt — zugleich zu einer Höhe des seelischen Lebens zu werden vermag. Und das um so mehr, als zugleich das V er­

h ä ltn is von Seele zu Seele in solcher Gesinnung sich zur ganzen W a h rh eit re in ig t: der Eine tra u t dem Andern eine Seele zu, erkennt in ihm wie in sich selber die sittlich e und nicht bloß die sinnliche Person, und diese als unverletzliches H e ilig tu m an, um auf dies H eiligste, wie sein ganzes Sein und Leben, so auch alles, was er gegen uns is t und tu t, uns g ib t oder von uns empfängt, zuletzt zurückzubeziehen. Das is t fre ilic h sinnlos, wenn man das Z ie l des N aturtriebs im Genuß des Augen­

blicks sieht; aber es erhält klaren Sinn, wenn man sich besinnt, daß es dem Menschen verliehen ist, „dem A ugenblick Dauer zu verleihen“ , ja in eine E w ig k e it hinauszublicken. Diese ste llt sich ihm menschlich und irdisch dar in der Folge der Ge­

schlechter, wodurch der Einzelne sein beschränktes Dasein an das Leben der ganzen Menschheit kettet. D ie Ü berlieferung des Menschentums von Geschlecht zu Geschlecht is t demnach das wahre, sittlich e Z iel der Fortpflanzung. So hat selbst Plato, der sonst einigermaßen zur A s k e tik neigt, die leibliche F o rt­

pflanzung darstellen können als die A rt, wie das Sterbliche an U nsterblichkeit, an E w ig k e it teilhat. Dieser Sinn der Keusch­

h eit is t v ö llig derselbe fü r Mann und W eib; der Mann und das W eib, das nicht in diesem hohen Sinne keusch ist, is t ge­

mein, oder bestenfalls ein gesundes unwissendes Tier. W iederum aber is t solche Keuschheit w eit verschieden von blöder Scham:

sie h ä lt es fü r reiner, die Scham in Liebe untergehen zu lassen als sie festhalten zu wollen. Keusche Liebe hat sich nie ihrer

selbst zu schämen, sondern allein der Unkeuschheit. Dem Weibe w ird also nicht mehr Unwissenheit um das N a tür­

liche und kindisches Grauen davor als Tugend angerechnet;

und der Mann nicht von seinem redlichen A n te il an dieser edlen Tugend entbunden, ja wohl der schwerere T e il der V erpflichtung und V e ran tw o rtlich keit dabei ihm auf erlegt.

E ndlich kom m t so erst die positive Seite der Reinheit zu voller Anerkennung. Es is t begreiflich, daß gegenüber dem gewaltigsten aller natürlichen Triebe der negative Sinn der OfocpQoavvr] sich vorzugsweise aufdrängte; im letzten Grunde aber erschöpft sie sich auch hier nicht im Unterlassen oder passiven Geschehenlassen, sondern entfaltet ihre ganze Tiefe erst in der Position, in der Energie des Tuns. Sie verneint nicht das Triebleben, sondern b rin g t es vielm ehr erst zu seiner gesunden und dam it kra ftv o lle n E n tfa ltu n g . Die Fortpflanzung der Menschheit in leiblicher und seelischer Gesundheit is t der keuschen, nicht der unkeuschen Liebe anvertraut. Auch diese Tugend is t eine der mächtigsten Beweisungen der Lebensenergie der Menschheit1).

Und so w ill allgemein unsere d ritte Tugend das Triebleben n ich t ausrotten oder entkräften oder bloß bändigen wie ein wildes Tier, sondern es nach M öglichkeit unversehrt in den Dienst unserer sittlichen Bestimmung stellen, die, nach ih re r wesentlichen, inneren Beziehung zur Natur, nicht auf einen vergeblichen K rie g m it dieser, sondern nur auf ihre gesunde und reine, d. i. ihrem innern Gesetz gemäße E n tfa ltu n g im Menschen zielen kann.

bo t r i t t denn durch diese Tugend die menschliche S ittlic h k e it in die unm ittelbarste überhaupt zulässige Beziehung zur N atur.

Sie v e rtritt, in konkreterem Sinne als eine der vorigen Tugen­

den, die Erhebung alles Natürlichen, soweit irgend es dessen fä h ig ist, zu sittlich e r Bedeutung. A Tl e s menschliche Tun und Streben hat aber eine der S innlichkeit zugekehrte Seite, es beruht nicht auf V ernu n ft und W ille n allein, sondern hat noch einen Naturgrund, den w ir allgemein m it „T rie b “ be­

1) V g l. zu der Trage den A u fsa tz „Ü b e r Sinnenglück und Seelen­

frie d e n “ , in der Z e its c h rift „D ie W a h rh e it“ , Bd. 8, S. 65 ff.

zeichnet haben; auf diesen, und zwar in allen seinen Gestal­

tungen, bezieht sich unsere d ritte Tugend. A u f den B e g riff des Triebs führten w ir den der A rb e it zurück; und so gehört alle eigentlich so benannte, unm ittelbar auf den Stoff gerichtete, auf Sinnes- und M uske lkra ft beruhende A rb e it unter die H e rr­

schaft dieser Tugend. Der große Satz, der m it steigender K u ltu r zu im m er höherer Bedeutung gelangt, von der H e i l i g ­ k e i t d e r A r b e i t ordnet sich ganz ih r unter und is t einer ih re r deutlichsten und positivsten Ausdrücke; an ih r besonders zeigt sich, daß diese wie jede andere ursprüngliche Tugend n ich t alle in oder zuerst in dem besteht, was man läßt, sondern in dem, was man tu t und wie man es tu t. L u t h e r , demselben, der nach der Z eit des Mönchtums wieder die R ein­

h eit der Ehe betont hat, danken w ir es, daß er die H e ilig k e it der A rb e it und dam it des „w e ltliche n “ Berufs zu Ehren ge­

bracht und so das Verständnis dieser hohen Tugend unserer N ation besonders tie f eingeprägt hat. D ie mächtige s o z i a l - e t h i s c h e Bedeutung, die darin lie g t und die m it der V e r­

schärfung der sozialen „F rag e “ sich nur erhöhen kann, leuchtet ein; fast die ganze E thisierung der sozialen Frage hängt daran; sie bezieht sich, ethisch angesehen, durchaus auf die V e rs ittlic h u n g des s o z i a l e n T r i e b l e b e n s in A rb e it und Genuß.

Überhaupt drängt sich in fast allen Betätigungen dieser Tugend ihre zugleich soziale Bedeutung besonders stark auf.

B egreiflich, denn je näher w ir den realen Bedingungen des menschlichen Daseins kommen, je konkreter w ir seine Tugend zu erfassen suchen, um so weniger lä ß t sich von den sozialen Beziehungen überhaupt absehen, um so dringlicher zeigt es sich, auch und vor allem diese durch und durch s ittlic h zu gestalten. Das darf nun wiederum nicht verleiten, den Grund und W e rt dieser Tugend etwa ausschließlich in ih re r sozialen Bedeutung zu suchen. Sie is t an sich von jedem gefordert, auch m it gänzlicher A bstra ktio n davon, welchen Dienst sie dem Andern oder selbst dem Ganzen leistet. Aber fre ilic h be­

steht das Gebot der Reinheit, wie jedes sittlich e Gebot, aus gleichem Grunde wie fü r den Einzelnen auch fü r alle und

erhält durch die gleichzeitige Beziehung auf die Gemeinschaft noch verschärften Sinn; ja es könnte überhaupt nicht davon die Rede sein, den Adel der Menschheit in der eigenen Person zu erhalten, wenn es keine Menschheit, keine menschliche Ge­

meinschaft gäbe. Auch is t diese höchste sittlich e Beziehung fü r diese Tugend so unerläßlich wie fü r jede andre. Sie lä ß t sich auf der Höhe ih re r Bedeutung nicht le d iglich auf den N aturtrie b zur G lückseligkeit (auch wenn er als zugleich sozialer Trieb ver­

standen w ird ), m it Umgehung eines Yernunftgrundes stützen.

Und so bestätigt sich auch wieder der unauflösliche Zu­

sammenhang sämtlicher Grundtugenden, demzufolge keine ohne die andern bestehen kann, jede, je nachdem man es ansieht, jede der andern zur Voraussetzung hat. Die sittlich e Ordnung des Trieblebens, wie sie sich uns darstellte, is t offenbar nicht zu erreichen ohne eine große K la rh e it der sittlichen E insicht und ohne v o ll entwickelte K r a ft und F estigkeit des sittlichen W illens. Umgekehrt is t Regellosigkeit und Ungesundheit des Trieblebens das Haupthindernis, zu fester s ittlic h e r Energie und unbeirrter s ittlic h e r E insicht und W a rh a ftig k e it jemals zu gelangen. Die Erziehung beginnt naturgemäß von unten auf, bei der D isziplinierung des Trieblebens; höhere Forderungen an die sittlich e Energie und E rkenntnis lassen sich überhaupt erst stellen, nachdem der Hauptwiderstand gebrochen ist, der sich von dorther gegen beide erhebt. A n der Y e rsittlich un g des Trieblebens erstarkt die K r a ft des sittlichen W ollens und der sittlichen E insicht, die dann wieder zur festesten Stütze fü r jene w ird. So helfen sich alle Tugenden und fördert jede die andere, indem sie zugleich aus jeder selbst neue K r a ft zieht.

Aber nicht minder helfen sich in verhängnisvollem Bunde alle Untugenden: Lüge und sittlich e Schwäche der Unordnung des Trieblebens und umgekehrt. Der wilde, regellose Trieb is t der gefährlichste Sophist und erbärmlichste Schwächling; um so sophistischer und erbärmlicher, je mehr er sich in das Ge­

wand der rechten W ahrheit und der rechten Forschheit zu

wand der rechten W ahrheit und der rechten Forschheit zu

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