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Monatshefte der Comenius-Gesellschaft, 15 Mai 1906, 15. Band, Heft 3

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Der Bezugspreis beträgt im Buchhandel und bei der Post jä h rlich 10 Mark.

Alle Rechte Vorbehalten.

Monatsschriften der G. G. XV. Band. Heft 5.

Monatshefte

der

Comenius- Gesellschaft.

Herausgegeben von Ludwig Keller.

F ü n f z e h n te r J a h r g a n g . 1906 .

Drittes Heft.

--- ---

Berlin 1906.

W e i d m a n n s c h e B u c h h a n d l u n g .

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Inhalt.

Seite

L ud w ig K eller, Die Schriften des Comenius und das Konstitutionenbuch 1*25 Dr. Karl R em bert-K refeld, Die Liederdichtung des sogenannten Ana-

baptismus. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte... 139 Dr. A. Langguth-B erlin, Zum Gedächtnis Benjamin Franklins . . . . 149 Dr. H einrich R om undt - Dresden - Blasewitz, Kants Person oder Kants

W e r k ? ... 156 Dr. Gustav A lb recht- Charlottenburg, Erzieher zu deutscher Bildung . . 169 Dr. Th. Fritzsch-Leipzig, Comenius und die Philanthropinisten . . . . 173 Dr. G. Fritz-Charlottenburg, S ch illersch riften ...175 Oberschulrat Dr. Brügel-Eßlingen, Die pansophischen Schriften des Comenius 179 B em erkungen und S tr e iflic h te r ... 183

V ersöhnung von G riechentum und C hristentum . — G oethe üb er die V ereinigung von K reuz u n d Bose. — P la to , K ejiler, F e c h n e r, P o rtig u. a. über die B eseelung d e r W elten. — Die u n terird isch en K u lts tä tte n d er L atom ien u n d d er H erooi (H eroa). — Die sym bolische G estalt d e r L ich tju n g frau . — Die K u ltv erein e m it w eltlichen F o rm en u n d die K irchengeschichte. — D ie S tellung d er K u ltv erein e u n d d er K irch en zu den K atakom ben. — T otschw eigen alB K am pfm ittel. — Die S tellung d er W ald en ser u n d T äu fer zum A lten T estam ent. — Die

„D eu tsch en G esellsch aften “ u n d ih re g esch ich tlich e B edeutung. — Die W o rte „ T o le ra n z “,

„ K u ltu r “ und „ H u m a n itä t“ bei Comenius. — Das neuenglische G roßlogen-S ystem u n d die V ersuche ä lte re r u n iv ersaler „ S y stem e “. — Die S ozietät „Zum P alm baum “ von 1017 und die Society of M asons von 1717. — D ie älteren u n d die n eueren S ozietäten. — D er H um anism us und d er ihm angeblich fehlende „G laube“. — Professor Dr. T röltsch-H eidelberg über L u th ertu m , H um anism us u n d Tiiufcrtum .

Ziele und Aufgaben der Comenius - Gesellschaft.

D ie C. G. h a t den Z w e c k , d ie E n tw ic k lu n g der r e lig iö s -p h ilo so p h isc h e n W e lta n sch a u u n g der a b en d län d isch en V ö lk er zu erfo rsch en und d am it d ie G eistes- G esch ich te zum R a n g e e in e s selb stä n d ig e n W is s e n s g e b ie te s z u erheben.

D ie C. G. b e a b sic h tig t in sb eso n d ere, d ie W e lta n sch a u u n g und d ie G rundsätze d es C om enius und der com en ian isch en G eistesrich tu n g , d. h. die G ru n d sätze der H u m an ität und d es H um anism us und d ie G esch ich te der K u ltg e se lls c h a fte n , die d eren T r ä g e r w a r e n und sind, w iss e n sc h a ftlic h z u u n tersu ch en und k la r z u s te lle n . D ie C. G. h a t sic h d ie A u fg a b e g e s t e llt , in d iesem G eiste bildend und erzieh en d a u f das h e u tig e G esch lech t z u w ir k e n und z u g le ic h e in e W is se n sc h a ft der V o lk se r z ie h n n g (S o z ia l- P ä d a g o g ik ) a ls se lb stä n d ig e n W is s e n s z w e ig zu

b egrü n d en . ____________

Jahresbeiträge gehen an das Bankhaus

Molenaar & Co., Berlin C., St. Wolfgangstrasse.

Die

Austrittserklärung

muß drei Monate vor Schluß des Kalenderjahrs erfolgen, widrigenfalls der Beitrag noch für das folgende Jahr fällig bleibt (§ 4 d. Satzungen).

Satzungen, Werbeschriften und Probehefte versendet auf Anfordern die

Geschäfts­

stelle der C.G., Berlin-Charlottenburg, Berlinerstrasse 22.

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XY. Jahrg. Berlin, den 15. Hai 1906. Heft III.

D ie M o n a tsh efte d er C. G. er sc h e in e n im Januar, März, Mai, S ep tb r.

u n d N o v em b er. D ie M itglied er erh a lten d ie H efte g eg en ih re J a h res­

b eiträ g e. B e z u g sp r e is im B u ch h a n d el u n d b e i d er P o s t M. 10,—.

E in z e ln e H efte M. 2,—. N achdruck o h n e E rla u b n is u n tersagt.

Die Schriften des Comenius und das Konstitutionenbuch.

Nach den Forschungen K arl C h r is tia n F r ie d r ic h K ra u ses.

Das neuenglische Großlogen-System, das sich seit 1717 unter dem neuen Namen der So e ie t y o fM a s o n s ausbreitete, hat sich im Jahre 1723 ein Grundgesetz oder eine K o n s t it u t io n gegeben, die die eigentliche Grundlage und das Gesetzbuch aller Organisationen geworden ist, die sich unter dem Namen der Society of Masons zusammenfanden. Diese Konstitution von 1723, die im Jahre 1738 eine wichtige Neubearbeitung erlebte, ist trotz mancher nach­

maligen Überarbeitungen im wesentlichen die gleiche geblieben und hat ihren grundlegenden Charakter behauptet.

Indem die Stifter der neuen Lehrart — der Hauptanteil gebührt dem Dissenter-Prediger James Anderson und dem reformierten Geistlichen Theophile Desaguliers — das Grundgesetz im o f f e n e n D ru ck herausgaben, .beschritten sie in einem der wichtigsten Punkte ihres Unternehmens, nämlich in der Kenn­

zeichnung ihrer letzten Ziele, den Weg der Ö f f e n t li c h k e i t und

■unterbreiteten ihre Sache der Beurteilung der gesamten öffentlichen Meinung. Unzählig sind infolgedessen die Äußerungen aller Parteien, die seit zwei Jahrhunderten über die Konstitutionen­

bücher von 1723 und 1738 laut geworden sind, und nicht wenige Forscher haben sich mit der wichtigen Frage beschäftigt, aus

M onatshefte d e r C. G. ltfOG. 9

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126

Keller,

Heft 3.

welchen Quellen die beiden englischen Geistlichen die Ansichten und Überzeugungen, die sie im Namen der Brüderschaft der Öffentlichkeit vorlegten, geschöpft haben.1)

Es ist ganz natürlich, daß die englischen Forscher der letzteren Frage am wenigsten näher getreten sind; für sie war die Über­

zeugung von der Originalität der englischen Verfasser nahe­

liegend und sie durften keineswegs hoffen, dem Selbstgefühl ihrer Landsleute den Gedanken wahrscheinlich zu machen, daß Anderson und Desaguliers ihr Grundgesetz im Anschluß an die Schriften von Ausländern entworfen hätten. Das ging sow eit, daß sie selbst gut begründete Ansichten außerenglischer Forscher, die die geistige Abhängigkeit der beiden Engländer von Ausländern behaupteten, einfach ignorierten oder, wo sie sie nicht ignorieren konnten, ohne weitere Begründung zu den Akten legten oder anzweifelten.

Und doch würde es aller Erfahrung und allen geschichtlichen Analogien widersprechen, wenn man die absolute Originalität des von Anderson geschaffenen Werkes annehmen oder behaupten wollte.

Aber eine solche Annahme widerspricht auch der ausdrücklichen Erklärung der beteiligten Männer selbst, die mit Bestimmtheit ausgesagt haben, daß, wie sie sich ausdrückten, „alle wesentlichen Pfeiler und Säulen des Baues“, den sie aufrichteten, bereits von ihnen vorgefunden worden sind2), und daß sie mithin den Wunsch hegten, nicht als S t i f t e r einer ganz neuen Sache zu gelten. Und haben nicht alle Nachfolger diesem Wunsche dadurch Rechnung getragen, daß jenen Männern niemals die Ehren zu teil geworden sind, die durch Erinnerungsfeste oder ähnliche Kundgebungen allen Ordensstiftern erwiesen zu werden pflegen?

Einer der besten Kenner der Schriften des Comenius einer­

seits und der Entstehungsgeschichte des neuenglischen Großlogen- Systems andererseits, die wir überhaupt besitzen, nämlich der als Historiker wie als Philosoph gleich ausgezeichnete K arl C h r is tia n F r ie d r ic h K ra u se hat in seinem berühmten Werke „Die drei ältesten Kunsturkunden der Freimaurerbrüderschaft“ (1. Aufl. 1810,

Über die Geschichte des Konstitutionenbuchs und über die sehr zahlreichen Ausgaben desselben, die bis in die neuesten Zeiten hinein er­

schienen sind, s. den Artikel „Konstitutionenbuch“ im Allgemeinen Handbuch der Freimaurerei. Dritte Aufl. Leipzig, Max Hesse’s Verlag 1900.

2) Näheres über diese Aussage bei K e l l e r , die Sozietät der Maurer und die älteren Sozietäten. Berlin, JVeidmann 1903.

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2. Aufl. 182<'/21) dieser Frage eine eingehende Untersuchung­

gewidmet, deren Ergebnis ist, daß d ie b e id e n e n g lis c h e n G e is t lic h e n s ic h in w ic h t ig e n P u n k te n an d ie S c h r ifte n d es C o m e n iu s a n g e le h n t h ab en .

Dieses Ergebnis Krauses hat seit nunmehr bald hundert Jahren die Zustimmung fast aller seiner Nachfolger, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, gefunden, bis ganz neuerdings in einer Schrift W. Begemanns eine Stimme laut geworden ist, die alles bestreitet. Es scheint uns unter diesen Umständen zweckmäßig, die bezüglichen Ausführungen Krauses von neuem bekannt werden zu lassen und eine erneute Prüfung seiner Gründe zu erleichtern. Es seien zunächst einige allgemeine Bemerkungen vorausgeschickt.

Wunderlicherweise haben einige Kritiker, die sich mit dieser Sache beschäftigt haben, der Ansicht Ausdruck gegeben, daß Krause und alle die, welche seine Beweisführung für zutreffend halten, B e z ie h u n g e n d e s C o m e n iu s zu d en F r e im a u r e r n behaupten oder annehmen. Krause wußte so gut wie seine heutigen Nachfolger, daß es ein grobes Mißverständnis wäre, etwas derartiges zu behaupten; denn der Name Freimaurer und die „Gesellschaft der Freimaurer“ ist erst mit dem Jahre 1717, also längst nach dem Tode des Comenius aufgekommen, und d ie a ls o b e n a n n te G r o ß lo g e u n d ih r e M itg lie d e r s in d n ic h t ä lt e r a ls 1717.

Man streut daher lediglich den Unkundigen Sand in die Augenr wenn man Krause in einem Sinne, den er nie gemeint hat, die Behauptung in den Mund legt, daß Comenius Beziehungen zu den Freimaurern besessen habe. Wer sich mit diesen schwierigen Fragen nicht eingehend beschäftigen kann, der sollte darin überhaupt nicht öffentlich das Wort ergreifen.

Comenius gehörte seit seinem Aufenthalt in England zu dem großen Freundeskreise, der sich in London seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts um den Erbauer der Paulskirche, das berühmte Mitglied der Royal Society, C h r is to p h W ren (geb. 1632)>

gesammelt hatte. Zahlreiche Briefe, die Comenius mit den Mit­

gliedern dieses Kreises gewechselt hat, ergeben die innige Geistes­

gemeinschaft, in der Comenius, der gleichzeitig von den recht­

gläubigen Theologen aller Kirchen heftige Anfeindungen erfuhr,, gerade mit diesen Männern gestanden hat. Als des Comenius Pansophiae Praeludium (Vorspiel der Pansophie) durch Vermittlung Samuel Hartliebs zu Oxford im Druck erschienen war, die im

1 9 0 6 . Schriften des Comenius und das Konstitutionenbuch. 1 2 7

9*

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128 Keller, Heft 3.

Kreise der Brüder — diese Freunde pflegten den Brudernamen

z u

gebrauchen1) — lebhafte Zustimmung fand, erhob sich unter den Theologen ein Sturm der Entrüstung. Comenius selbst erzählt uns, daß die gesetzliche Vertretung der Unität, der er angehörte, die Synode, ihn zur Rechtfertigung aufforderte; selbst hier, in der tolerantesten aller damaligen Religionsgemeinschaften, hatte die gegen ihn erhobene Anklage Glauben gefunden, daß er

„das Göttliche mit dem Menschlichen, das Christentum mit dem Heidentum, die Finsternis mit dem Lichte vermenge“. Der Zweck des „Vorspiels der Pansophie“ war, nach der Absicht und den Worten des Comenius, zu verkünden, daß die Zeit gekommen sei, einen mächtigen „ T e m p e l d er W e is h e it zu e r b a u e n , der dem Heil der Menschheit dienen solle.“

Wenige Jahre nach dem Erscheinen dieser Schrift verfaßte Comenius eine andere ähnlichen Inhalts über die „Verbesserung der menschlichen D in ge“, deren erster Teil unter dem Namen W e c k r u f ( P a n e g e r s ia ) seit dem Jahre 1666, wo er im Druck erschien, in England, den Niederlanden und Deutschland sehr bekannt geworden ist; noch im Jahre 1702 ist eine neue Ausgabe herausgekommen.

Als Krause diese Schrift gelesen hatte, drängte sich ihm die Überzeugung auf, daß der englische Dissenter Anderson die Schrift seines böhmisch-deutschen Glaubensverwandten gekannt haben müsse. Hören wir nun Krause selbst2).

„Die besten Aufschlüsse über des C om enius Plan zu Verbesserung der menschlichen Gesellschaft gibt seine P a n e g e r sia , welche im Jahre 1702 lateinisch erschienen ist; allein diejenigen Hellen, welche mit dem neuenglischen Konstitutionenbuche wör tl ic h, und gerade in den entscheidendsten Wörtern und Sätzen, einstimmen, sind in den Operibus d i d a c t i c i s , das ist: in dessen L e h r k u n s t s c h r i f t e n , zu finden.

H in sich tlich der P a n e g e r s i a oder A l l e r w e c k u n g v e r w e ise ich a u f m einen vo llstä n d ig en A u sz u g d ieser S c h r ift, den ich im T a g e - b l a t t e 3) gegeben, und fo lg e h ier nur dem H au p tin h alte d ieser m erkw erten S c h r ift, indem ich aus meinem A u sz u g e die G rundgedanken derselben aiishebe, und d iejenigen S te lle n besonders auszeichne, w elch e die U eber- ein stim m u n g der G edanken und P lä n e des C o m e n i u s m it denen, w elch e d ie neu en glisch e G roß loge zu L ondon s e it dem J a h re 1717 in allen

*) Comenius redet seinen englischen Freund Hotton in einem vertrauten Briefe vom 6. Februar 1642 „ E h r w ü r d i g e r B r u d e r “ an; s. MC G 1902, S. 254.

3) Krause, Kunsturkunden. 2. Aufl. 1820—21, H, 2, S 15 ff.

8) Gemeint ist Krauses „Tageblatt des Menschheitslebens“ , das im

Jahr 1811 erschienen ist.

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ihren K onstitutionenbüchern als G ru ndgesetz der M asonei a u fg e ste llt h a t , au gen sch ein lich dartun.

G leich anfangs erk lärt C o m e n iu s im V orb erich te: er habe die A b s ic h t , R a t zu geb en , w ie die m enschlichen D in g e allgem ein , durch um fassendere und k rä ftig ere M itte l, v erb essert w erden können. E r r a te , daß A l l e sich v erein en , um a l l e n V erderbnissen abzuhelfen;

und b ew eise, daß d ieses gesch eh en könne. D ie s e S ache sei so w ic h tig , daß es b esser sei, tausendm al die A b sic h t zu v e r fe h le n , als sie nich t tausendm al zu versuchen. — "Was A lle angeht, sollen A lle betreiben, w en ig sten s w issen . D a s L ic h t solle im N am en unseres ganzen europä­

ischen V aterlan d es den übrigen V ö lk ern angetragen w erden. V o rzü g lich bew egen ihn zum R eden die in E uropa m ehr als son st w o vorkom m enden B estreb u n gen seiner Z e it, die etw as B ew undernsw ürdiges gebären w olle, und sich zum B essern anschicke. E s s e i daher Z e it, etw a s ganz A l l ­ gem eines zu versuchen. — „E s s t e h t“, sa g t er, „dieser W e lt ih re K a ta ­ strophe schon bevor in dem S ch au sp iele der göttlich en W e is h e it a u f E rd en , und eine allgem eine R eform ation aller V ö lk e r is t k ü n ftigen Z eiten aufbehalten. K ein E in zeln er darf w egen allgem einer m ensch­

lich er Irrtüm er gesch m äh et w erden. L eh ren bed eu tet anleiten — eine m ilde, lieb reich e H andlung. D ie M enschen sind zu ru h iger g e se llig e r B esch au u n g der W a h r h e it ein zu lad en , dam it d iese m it ihren tiefsten W u rzeln san ft in sie dringe. Ich w ill m ich also bem ühen, von da au s­

zu g eh en , w o uns k ein e en tg eg en g esetzte M einung e n tz w e it, oder ein ­ ander v erd äch tig m acht; daß selb st ein J u d e , T ü r k e , H e i d e , um som ehr w ir , durch w a s im m er für M einungen g e te ilte C h r i s t e n , un gek rän k t diese S ch rift lesen m öge. — M ein V orhaben is t : dem M ensch en gesch lech te sein g a n z e s H e il (G u t) zu zeigen (om ne suum bonum ). Ich unternehm e das G rö ß te, w a s es u nter dem H im m el g ib t , w as a l l e s M e n s c h l i c h e b etrifft, und a l l e M e n s c h e n angeht, in a llse itig e r H in sich t für diese und für das zu k ü n ftige L eben.

Ich w ill die M e n s c h h e i t aus ihrem S ch lafe w ecken. - D ic h , o E w ig er, rufe ich an zum Z eu g en , daß ich m ich se it Jah ren g eä n g stet h ab e, ob ich d;is, w as m ir hierüber im m er lic h te r w u rd e, u n teid rü ck en , oder offen bekennen so llte: doch deine K ra ft in m ir ü b e r w ie g t, w elch e se lb st w id er W ille n h in reiß t, und nach

sich z ie h t .“ D e r u n glü ck lich e Z u stan d der M enschen z w in g t, a u f R e ttu n g zu den k en , sich g e se llig zu b era ten , sich zu n äch st m it dem G em üte zu v erein e n , und sich sch riftlich einander m itzu teilen . — M enschliche D in g e sind die, so zur E rh ab en h eit der m enschlichen N atu r, zum E benbilde G o ttes g eh ören , und sich a u f V erstan d und V ern u n ft, au f den W ille n und die au f alles sich erstreckenden w irksam en K r ä fte (fa cu lta tes) gründen: P h ilo so p h ie , als das S treben nach W e is h e it;

R e lig io n , als die V ereh ru n g und der Genuß des h öchsten G u tes; und S ta a tk u n st ( p o l it ia ) , als das stete S tie b e n , sich g e se llig so zu v e r ­ ein igen , daß sich A lle durch ihre T ä tig k e it n ich t hindern, sondern fördern. D ie s e s sind die h öchsten m enschlichen W e r k e , alles andere nur B e iw e r k e ; ih re F rü ch te sind: W e is h e it, F rö m m ig k eit des H erzen s und G o ttes W o h lw o lle n und F ried e und R u h e des L eb en s. Ohne diese D rei, B ild u n g der V ern u n ft, R elig io n und S taatk u n st, is t der M ensch U n m ensch; a lles andere is t ih n en , w ie k lein ere T e ile den größeren, w ie M ittel zum Z w e c k , unterzuordnen. N ach G o ttes A b sic h t so llte diese W e lt ein e S ch u le G o ttes v o ll L ic h te s , ein T em pel G o ttes v o ll A n d a c h t, ein R e ic h G o ttes v o ll Ordnung und G e r e c h tig k e it sein.

1 9 0 6 .

Die Schriften des Comenius und das Konstitutionenbucb.

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130 Keller, Heft 3.

kA llein die M enschen su ch en sich außer sich , die D in g e über sich, G o tt lu n te r sich ; denn sie suchen und ei dichten sich einen G o t t, n ich t von Idem s ie , sondern der von ihnen abhänge als D ien er ih res G elü stes.

• J e n e D r e i, die v erein t das g ö ttlic h e Ebenbild ausm achen, und den M enschen vollenden, sind bei den M eisten in u n selig er Trennung; und -<lie, so sich alle M ühe g eb en , in einem von jen en D reien v o rtrefflich zu se in , stim m en a u f k ein e W e is e unter sich überein. — V o n den v ie r H au p tsek ten der E rde, der jü d isch en , ch ristlich en , m uham edanischen und heidnischen, t e ilt eine jed e sich w iederum in m ehrere S ek ten . U nd k ein e utiter ihnen is t m it sich selb st so uneinig, als die, die sich des m eisten L ic h te s erfreu t, oder sich w en ig sten s zu erfreuen rühn.t,

— die ch ristlich e. W aru m so llten aber die M anschen die H ochachtung, w e lc h e sie irrend dem m it einem Schim m er von W a h r h e it verd eck ten Irrtu m e, sündigend dem m it dem S ch ein e des G uten gesch m in k ten B ösen , w e ih e n , n ich t v ie l m ehr noch dem w ahren W a h ren und dem w ah ren G u ten widm en, w enn sie es nur anerkenneten ?

Z u r A u sb ild u n g des M enschen g eh ö rt die Wissenschaft lieh e E rk en n tn is der S p rach en , als der D o lm etsch er der G eister . A lle in u n s feh lt noch gän zlich eine allgem ein e Sprache, als gem einsam es Band fü r unsere größte G esellsch a ft oder G en ossen sch aft (m axim i c o lle g ii)1), w e lc h e s das über die gan ze E rde verb reitete M en sch en gesch lech t ist.

A lle V o lk sp ra ch en , k ein e ein zige ausgenom m en, sind verw orren, un vollk om m en , dunkel barbarisch; keine g en ü g et dem U m fange der D in g e , und dennoch kann k ein e von irgend Jem anden je v ö llig v e r ­ standen, oder behalfen w erden. W a s die S ta a tk u n st betrifft, so is t es

■die h öch ste K u n st, den M enschen regieren ; allein dies kann nur durch das R ech t, und durch d a s, w as nach dem R ichtm aß (a d norm am ) is t, g esch eh en , und von solch en , die zu förd erst sich selb st zu regieren v e r ste h n , und den M enschen n ich t als M ittel zu ih re n eisen n ü tzigen .Z w ecken mißbrauchen. R egieren is t n ich t zw ingherrschen, und g esch ieh et n ich t m it S ch lägen , F esseln , S trick en , S ch w ertern u sw ., dergleichen m an gew öhnlich anw endet. „So is t alles erfü llt m it >ardanapalen, die sich i.ich t der R egieru n g, sondern der W o llu st ergeben, m it N im roden, die ohne G e se tz regieren, oder m it M a c c h ia v e iliste n . die des G esetzes K r a ft m it L is t v e r e ite ln , und so nach gem alten G esetzen h errsch en .“

So is t in den m enschlichen D in gen n ichts h e il, w e il der Z u stan d der W is se n sc h a ft, des S ta a tes und der R e li.io n durchs gan ze M enschen­

g e sc h le c h t verdorben ist. D ie m eisten M en sch en , ja in ein igen E rd ­ te ile n gan ze V ö lk er, leben, ohne K enntnis G o ttes, ihrer selb st vergessen , ih rer M en sch lich k eit (ih r e s M e n s c h t u m e s , h u m a n ita tis) unbew ußt, w ie die T iere des F eld es, ein w ah rh aft v ieh isch es L eben. — W ie m üssen w ir in G o ttes A u g e n ersch ein en ? W ie tie f sind w ir von der ew igen H arm on ie h era b g esu n k en ! 'l

Im m er haben sich dennoch die M enschen über die V erb esseru n g d e r m enschlichen D in ge beraten D ah in zielten die B estrebungen der w eiseren M enschen aller Z eiten , ja selb st die allgem eine M enge streb t bew ußtlos dahin. V ie le s is t dafür auch durch die E rforschung der W is s e n s c h a f t, das is t durch die P h ilo so p h ie , V ie le s auch durch die g e leh rten G e se llsc h a fte n , die öffentlichen L eh räm ter au f Schulen und

!) Welchem Freimaurer fällt nicht hierbei das Lehrzeichen des Vier­

eckes, mit seinen Erstreckungen (s. Kunsturkunden I, S. 209 Fr 87, ff.) ein, und der gewöhnliche sinnbildliche Ausdruck: die große Loge auf Erden? (Krause.)

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U n iv e r sitä te n , die durch die B uchdruckerei beflügelte L ite r a tu r , die n ie v ersiegen d e L e se lu st, geschehen, und die neuen L ehrm etoden haben v ie le s G u te b ew irk t. A u ch in den S ta a t- und R eligion sverfassu n gen is t d ieses S treben in den en tg eg en g esetztesten R ich tu n gen n ich t zu verkennen. O bgleich alles dies unsere K ra n k h eit v e r m e h it hat.

D en n och dürfen w ir unserem U n g lü ck e n ich t unterliegen. K önnte den M enschen ih r gan zes w ahres G u te g e z e ig t w erd en , könnte man d ie w ahren M ittel angeben, die gelähm ten K räfte b efreien , so w ürde ein e w ah re P h ilo so p h ie , R elig io n und S ta a ts Verfassung gefunden w erden. „D ie W e lt (die Erde) is t natürlich E in G a n zes, warum so llte sie es n ich t g e is tlic h (m oraliter) w erden? — W ir A lle leben ja au f Einem gem einsam en W o h n p la tze, Kin L ebenshauch d u rchglüht uns A lle ; w ir sind A lle M itbürger E in er W e lt : w as w ill uns w ehren, in E in G em ein w esen , unter dieselben G esetze uns zu versam m eln? — D a nun der E in e S ch öp ler und R eg ierer der W e lt, G ott, n ich t abläßt, sich von T a g e zu T age die W e lt ihm se lb st offner und durchgängiger zu m achen, w as w eh rt u n s, zu hoffen, es w erde endlich geschehen, daß w ir A lle E in w oh lgeord n eter, durch dieselben B ande derselben W issen sch a ften , G esetze und R elig io n w ohlverbundner V erein w erden?*

D ie se H offnung u n terstü tzt die A lle n gem einsam e, m enschliche N a tu r und die B etrach tu n g der g ö ttl chen G üte. So laßt uns denn D ien er der g ö ttlich en G ü te sein! — Schon je t z t sind w ir verbunden, alles W a h re und G u te Jed en zu leh ren , alles F a lsch e und S ch lech te aber zu entbehren G o tt h a t a u f u nser M itw irken in unserer A n g eleg en h eit gerechnet. W a s für unseren G ebrauch bestim m t ist, da-< wird nich t ohne uns bestim m t und angeordnet, und G o ttes W irk u n g sch ließ t verm ittelnde K räfte nich t aus. D a w ir nun w iss e n , daß die Z e it der W ied ergeb u rt da ist, so laßt uns m utvoll m it G o tt aufstreben.

— G ott reg iert jed e K reatu r durch sie selb st. D ie g ö ttlich e V orseh u n g erstreck t sich nur so a u f den M enschen, daß der M ensch, a u f G o tt vertrauend, die M ittel gebrauche, und die M ittel gebrauchend, au f G o tt vertra u e; daß in A llem , w as den M enschen angeht, der M ensch nichts verm ag ohne G o tt, und G o tt n ichts w ill ohne den M enschen. Man w en d et ein: J ed er für sic h , G o tt fü r A lle ; vielm eh r: W en n G o tt für A lle so r g t, so sollen w ir es auch; denn w ir sind G o ttes E b enbild.“

D ie M enschen und alle m enschliche D in ge in H arm onie zu b rin g en , h at uns G o tt einen d reifachen, le ic h te n , angenehm en, offnen W e g g e z e ig t: den W e g der E i n h e i t , der E i n f a c h h e i t (E in fa lt) und den W e g der F r e i w i l l i g k e i t (viam u n ita n s, sim p licitatis, e t spontaneitat is).

E in s (ein ig) nennen w ir, w as in allen seinen unter sicli w ohlver^undnen T eilen so zusam m enhängt, daß, w enn dus G anze sich b ew egt, a lle seine T e ile sich bew egen. E infach is t, w as innerhalb sein selb st n .ch t aus M ehreren b e ste h t, daher sich a ll-e its äh n lich , selbstgenügend, u n ­ veränderlich ist. F r e iw illig is t , w as durch sein e eigne B estim m ung (S ellistb estim m u n g), das ist frei, nach eign er N eigu n g, w ird oder w irk t.

D em Einen is t die getren n te V ie lh e it, dem E infachen das Z usam m en­

g e s e tz te , dem F r e iw illig e n das G ezw ungne en tg eg en g esetzt. S o is t denn m eine M einung, w ir sollen von der getrennten V ie lh e it zu r E in h eit, von den vielen V erw irru n gen zur E in fach h eit, von den G e w a l t t ä t i g k e i t zu der angeborenen F reih eit zurückkehren.

D ie E i n h e i t und die au f sie gegründete V e r e in :gung is t das E benbild der G o tth eit. D enn G o tt is t E in W e se n und doch A lle s , er 1 9 0 6 . D ie Schriften des Comenius und das Konstitu'ionenbucli. 1 3 1

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132 Keller, Heft 3.

is t A lle s und doch E in es. E in s is t er seiner W e se n h e it nach; A lle s seinen E igenschaften nach. A l s er alle D in g e außer sich en tfaltete, so verband er doch A lle s in E in e Ordnung, daß im W e lt a ll A lle s m it seinem G anzen verbunden sei und ihm diene. D aß aber u nter den M enschen eine allgem eine E in h eit ucd m itteilende V erein ig u n g b estehe, dazu h at G o tt selb st den unersch ü tterlich en G rund g e le g t durch die G em ein sam k eit seines E benbildes und die V erein ig u n g u nser A lle r au f einem in sich ab geschlossenen W o h n p la tze des H im m els. D ie s e s le g t uns die w esen lich e V erb in d lich k eit einer vollkom m nen V erein igu n g und m itteilenden W e c h se lw ir k u n g auf. — r S ie h e , so w o llte G o tt, der E in er A lle s ist, daß w ir, sein B ild , A lle E in er se ie n .“

D ie E i n f a c h h e i t heißt m it R ech t eine Spur G o ttes. D enn sow ie G o tt einfach, reine M acht, W e is h e it und G ü te is t , so sind auch seine W e r k e ganz einfach in B etra ch t au f ihn und au f uns.- Und w eil der M ensch selb st das v o llen d etste W e r k G o ttes i s t , so is t in ihm n ich t bloß eine Spur, sondern ein Ebenbild der g ö ttlich en E infachheit w irk lich , daß er von außen so w en ig als m öglich abhäDge, sich selb st n ächst G o tt gen u g sein m öge, daß er des G e iste s A u g e in sich h ab e, w om it er G o tt erkenne und A lle s anschaue und im U rteilen von w o anders her nich t abhänge: daß ferner der M en sch , G o tt ä h n lich , m it F r e ih e it w o lle, aber g ezw u n gen w erden n ich t w o lle ; daß endlich dem M enschen In k rä fte v erlieh en sind, w om it er das seiner N a tu r A n g em essn e bew irke, das is t, w as er ein sieh t und w ill, ausführe.

F r e i h e i t is t der C h arak ter der G o tth eit, w elch en G o tt seinem E benbilde, dem M enschen, ein ged rü ck t hat, daß er in den m annigfaltigen freien H andlungen desselben, als seines N ach b ild es, sich selb st, als das U rb ild m it W o h lg efa llen beschaue. G o tt erinnert den M enschen, G u tes zu tu n , aber er zw in g t ihn n ich t; und so w ie er selb st der m enschlichen N a tu r k ein e G e w a lt a n tu t, so is t es ihm zu w id er, w enn derselbe w o anders h er G ew a lt leid et.

W ir m üssen daher a u f den w ah rh aft k ö n i g l i c h e n , ja g ö ttlich en , öffentlichen, noch unversu ch ten W e g d e s L i c h t s , d e s F r i e d e n s u n d d e r S i c h e r h e i t zu rü ck k eh ren , a u f den W e g der E in h e it, E in fach h eit und F rt iw illig k e it. D e r W e g der E in h eit und A llg e m e in h e it (der A l l ­ um fassu n g, u n iv ersa lita tis) w ird uns leh ren , A lle s u nter sich zu verb in d en , w as verbunden w erden s o ll, das is t: A lle s in A lle n , a u f a lle W eise. A lle s , denn alles E in zeln e ste h t in w esen lich em Z usam m en­

h ä n g e, und das einzelne zu rü ck gelassen e V erdorbene b leib t sonst ein Sam en der K ra n k h eit. In A lle n , denn w ir A lle sind E in , in allen seinen G liedern zusam m enhängender L e ib ; u n verb esserte einzelne G lied er w ürden also dem G anzen verderblich bleiben; und nur w enn die V erb esseru n g a l l e M e n s c h e n um faß t, nur dann kann der P a r te ig e ist a u sg ero ttet w erd en , und E in G anzes w ürde uns A lle vereinen. A u f a lle W e is e , denn w ir m üssen uns aller M itte l bedienen, um die V e r ­ besserung a u f einen allumfassendötfv unersch ü tterlich en Grund zu erbauen. — D er W e g der E in fa ch h eit w ird uns leh ren , daß K ein er etw a s bejahe, außer das offenbar W a h re, noch etw as leugne, außer das offenbar F a lsch e; daß N iem and etw as b illig e , außer das offenbar G u te , n ich ts m iß b illig e, außer das offenbar S ch lech te; daß J ed er nur D a s unternehm e, dessen N o tw en d ig k eit, M ö g lich k eit und A u sfü h rb a rk eit er e in sie h t, und n ich ts a u fg eb e, w as er nich t für unm öglich oder unausführbar erkannt hat. So w erden w ir , von dem U m fange nach

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dem M ittelp u n k te1) g e h e n d , uns sam m eln, und zu erst uns selb st erkennen, regieren, v o r uns selb st sichern. D e r W e g der F r e iw illig k e it endlich su ch t zu erlangen, daß die M enschen aus eignem A n trieb e das W a h re erkennen, das G u te w o llen , d a s, w as zu tun is t , tun. D enn süß is t das L ic h t und den A u c e n erg ö tzlich (E ccl. 11, 7 ), und die F r e ih e it kann nur dann der M en sch h eit w iedergegeben w erd en , w enn die F in stern isse vor den A u g en zerstreu t sind. W a s auch nach den G rundsätzen der A llg e m e in h e it und E in fach h eit zusam m engesetzt sein m öge, ohne F r e iw illig k e it bliebe es eine to te M aschine.

D ie se r neue W e g w ird den h eu tigen P h ilo so p h ien , R e lig io n s­

begriffen und S ta a t Verfassungen n ich t zur Z erstöru n g gereichen; denn er streb t N ic h ts aufzuheben, sondern A lle s zu vervollkom m nen, er streb t nach V erein ig u n g des W a h r e n , des G u ten , der B estrebungen. W en n w ir a u f dem G rußde der allen M enschen gem einsam en U rbegriffe, U rtrieb e und U rk rä fte ein G anzes des W is se n s w ürdigen, des B eg eh ru n g ­ w ürdigen und A u szu fü h reu d en bilden, so hat davon P h ilosop h ie, R elig io n und S ta a t n ich ts zu fürchten. D enn des W ah ren , G uten und Sichern kann a u f diesem W e g e n ich ts u n tergeh n , sondern nur a lles in E inen gem einsam en S ch a tz v erein ig et w eid en .

J e d e s vernunftgem äß zu unternehm ende w ic h tig e W e r k se tz t einen E n tw u rf und g e se llig e B eratu n g voraus. E s sind also zu vörd erst z u v erlä ssig e G e se tz e für d iese B era tu n g a u fz u s te lle n 2). W erden diese allgem einen G ru n d gesetze a u f die von m ir vorgesch lagn e große B era tu n g an gew an d t, so ergeben sich dafür folgende H auptp u n k te.

1. W e il der G egenstand, a lle m enschliche D in g e, A lle angeht, so darf kein M ensch von dieser B eratu n g au sgesch lossen w erd en , oder sich au ssch ließ en , und 2. Jedem is t g e sta tte t, seinen R a t zu geben; 3. die B era tu n g so ll freundschaftlich, ohne Z an k und S tr e it sein, fordert also B esch eid en h eit, E rn st und A u fm erk sa m k eit A lle r — besonders, v o ll V ertrau en ohne U nterlaß zu G o tt zu beten. 4. E bendaher muß die B era tu n g offen sein ; daher ich auch mein ganzes V orhaben A lle n am allgem einen T a g lich te m itteile. Ich w erde die U eb el angeben, und die H eilm ittel. J ed er so ll m it eignen A u g en sehen, denn blos die Sachen, w e il sie D a s sind, w a s sie sind, können uns einstim m ig m achen „So kom m t denn A l l e , denen euer und eures G esch lech tes H e il am H erzen lie g t, die ih r G o tt fü rch tet a u s j e d e m V o l k , v o n j e d e r Z u n g e und S e k t e , denen die m enschlichen V erirrungen ein A b sch eu s i n d , --- laß t uns unsere hilfreich en A n sc h lä g e vereinen! — a u f daß A lle s , w as uns vom L ic h te des G eistes a u ssch ließ t, w as uns von G o tt trennt, und von einander u n g esellig absondert, aufgehoben w erde “ Ich habe m ir vorgenom m en, nur vorzuschlagen, w as allen durchaus w ü n sch en sw ert ersch ein t, dessen M ö g lich k eit bald A lle einsehen w erden; n ich ts zu v ersp rech en , außer w o zu schon geeb n ete, oder sich er und le ic h t zu ebnende, W e g e sich zeigen. W en n w ir dadurch auch nur E in iges

*) So sagt auch das erste Altgesetz in der Abfassung des neuenglischen Konstitutionenbuches (bei Krause, S 194 und S. 222): „daß“ (durch die von Comenius angegebenen Grundsätze, Gesinnung und Mittel) „die Maurerei der Mittelpunkt der Vereinigung werden solle“. (Vergleiche auch das Sinnbild II, S. 231, Fr. 175 und Note 170!)

2) Hiervon stellt Comenius an diesem Orte seiner Schrift wirklich einen in seiner Art vollständigen Entwurf auf, woraus ich im Tagblatte einen kurzen Auszug gemacht. Würden die dort angeführten Punkte bei Logen­

beratungen als vorläufige Norm angenommen, so würde man oft schnell zu einstimmigem Beschlüsse kommen. (Krause.)

1903. Die

Schriften des Comenius und das Konstitutionenbuch.

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Keller,

Heft 3.

erlan gen , so is t es doch gew iß h eilsam er, bis zu E inigem hindurch­

zu d rin gen , als A lle s za vern ach lässigen . U n sern W u n sch gan z zu verfeh len is t unm öglich — «V or allem aber erw ach et ih r , denen v erlieh en i s t , den m enschlichen D in gen vorzu steh en : ihr E rzieh er des M en sch en g esch lech tes, ih r P h ilosop h en ; ih r , die ih r iSeelen von der E rd e zum H im m el führt, ih r T h eo lo g en ; ih r ein stw eilig en B eh errscher der E r d e , ih r V e r w a lte r und S ta tth a lte r des F ried en s, ih r w eltlich en O berherren! Ih r alle zu g leich seid die A e r z te der M en sch h eit!“ L a ß t uns A lle m iteinander eiDen h eilig en V ertra g schließen! Z u erst, daß uns A lle n nur E ia Z ie l v o r A u g en steh e: d a s H e i l d e r M e n s c h h e i t ; — daß ferner d a s A n s e h e n d e r P e r s o n e n , d e r N a t i o n e n , d e r S p r a c h e n , d e r S e k t e n h i e r b e i g ä n z l i c h z u r S e i t e g e s e t z t w e r d e , dam it sich n ich t L ieb e oder H a ß , N eid oder V e ra ch tu n g , ein m isch e; — daß w ir ferner eine w ahre und w irk lich e V erb esseru n g unserer V erd erb n isse suchen. „Und da ich hoffen k an n : das sch ön ste U rbild eines besseren Z e ita lte r s vor A u g e n zu stellen (m elio r is denique seculi faciem form osissim am )“, so fo id e r e ic h , daß, W e r zu beschauen h ierh er kom m t, ein A u g e h erzu ­ b ringe — ein reines A u g e , einen freien B lic k , ohne A u g en g lä ser.

K ein er en tzieh e sich der Beratung, bevor n ich t a lle R a tsch lä g e g eh ört w orden sind. E n d lich bedinge ich m ir b ei diesem ganzen W e r k e von allen S eiten beru h igte, von S tr e itsu c h t reine G em üter; denn w ir w ollen a u f dem W e g e d ifse r brüderlichen B eratu n g n ich t streiten S o w erden uns D em u t vor G o tt, innige L ieb e gegen unsere M itbrüder, und reine W a h rh eitslieb e treu e F üh rer zu allgem einer U ebereinstim m ung s e in .“ A u ch en tzieh e s ic h , w egen abw eichender ein zeln er M einungen, N iem and der B eistim m u n g in allem U eb rigen bei diesem g a n zen , so harm onischen W e r k e . W ie störend solche V ersch ied en h eit der M einungen s e i, erfahren w ir in der E rken n tn is der D in g e , in der R eg ieru n g der M ensch en , in der V ereh ru n g der G o tth eit: daß eine ein zig e abw eichende M einung h öher g ea ch tet w ird , als tausend U ebereinstim m ungen. E n d lich fordere ic h , daß w ir a lle einm ütig G o tt bitten , daß d ieses unser B eginnen seiner M ajestät n ich t m ißfalle. D aß er uns g ü tig h e lfe , und m it erw ünschtem E rfolge kröne. D enn dies W e r k is t n ich t u n ser, sondern G o tte s, dessen sch w ach e K reatu r w ir sind. U nd w eil das R e ic h des L ic h te s dem R eich der F in stern is fein d lich is t, so w erden w ir hier auch einen harten K am pf zu käm pfen haben, n ich t allein m it der U n w issen h eit, sondern auch m it der B o sh e it, der V e r k e h r th e it ui;d der V e r s to c k th e it, w elch e ih re F in stern isse beschirm en und v erteid ig en . W en n w ir fü r das L ic h t, und für G ott, den V a te r des L ic h ts , w irken w ollen , so w erden w ir nur u n ter s e :ner L e itu n ? und u nter seinem S ch u tze w irk en können. A n ihn also w ollen w ir A lle uns w enden, und aus innerstem H erzgrunde sein unendliches Erbarm en anflehen.“

D ie s e s is t ein k u rzer, aber g etreu er, A u s z u g der P a n eg ersie des C om enius. N och in dieser, a lles R ed esch m u ck es en tk leid eten — nackten W a h rh eit is t des V erfa ssers tiefsin n ig er G e ist, seine schöne S eele, und sein lieb ev o lles, m ensch h eitin n iges G em üt erkennbar.

„Leser“, so fährt Krause fort, „welche sich mittels der in der vorliegenden Schrift abgedruckten Grundgesetze1), des Rituales2)

x) Kunsturkunden II, 1,

S.

190 — 245.

A. 0. 1,2,

S.

32 — 174.

(13)

und der wichtigen Tatsachen über die Stiftung des neuenglischen Großmeistertums mit den Grundsätzen und Eigentümlichkeiten ebendesselben vertraut gemacht haben, werden selbst bemerken, daß jene im Ritual und in den Konstitutionen der neuenglischen Großloge ausgesprochenen Grundsätze sämtlich, sogar mit denselben Kunstausdrücken und Redewendungen in des C o m en iu s P a n e g e r s ie enthalten sind“.

Krause gibt ferner einige Auszüge aus den pansophischen Schriften des Comenius, deren Beachtung wir allen denen empfehlen, die da meinen, Comenius sei in den Theorien der herrschenden Kirchen befangen gewesen, oder er habe alle Menschen im Sinne einer dieser Kirchen zu Christen, d. h. zu Kirchen-Christen machen wollen. Das Ziel, das ihm vorschwebt, bezeichnet Comenius selbst als die Erlangung des w a h r e n L i c h t e s , das diejenigen erreichen, d ie G o tt s u c h e n und fin d e n und die wie auf einer „ h e ilig e n L e i t e r “ „durch alles Sichtbare zudem unsichtbaren Gipfel aller Dinge, nämlich zur höchsten Majestät Gottes emporsteigen“. Die c h r is t lic h e Pansophie, sagt er, (gemeint ist die Lehre Christi wie er sie verstand) ist nur ein beständiger Anreiz, Gott überall zu suchen und ein Wegweiser,

den gesuchten überall zu finden.

Zu solcher Höhe und Allgemeinheit der Einsicht, bemerkt Krause mit Recht (II, 2, S. 31), haben sich selbst Anderson und Desaguliers nur teilweise erhoben. Er lehre n ic h t , sagt Comenius mit Recht, diese oder jene T h e o lo g ie , wie sie die Konfessionen lehren, sondern die a llg e m e in e W a h r h e it.

Danach muß man den Sinn seiner Worte verstehen und beurteilen, wenn er von der „ a llg e m e in e n G e m e in d e C h r i s t i “ spricht; er setzt diesen Ausdruck an einer Stelle (s. Krause a. 0^

S. 31) direkt gleich dem Namen^ T e m p e l der W e i s h e i t , den er

„nach den Gesetzen des höchsten Baumeisters bauen w ill“ ; diesen Tempel oder diese allgemeine Gemeinde Christi will er „ a u s a lle n S tä m m e n , V ö lk ern und S p r a c h e n s a m m e ln “. Dann fährt er fort: „Weil aber dieses Werk, nämlich der Tempel der Weisheit (Pansophiae Templum), nicht nur den Christen nützen soll, sondern allen, die als Menschen geboren sind, so daß es auch zur Erleuchtung und Überführung der Ungläubigen (falls es Gott gefällt) Kraft habe, so werde es vielleicht noch passender m e n s c h l ic h e P a n s o p h ie genannt werden können“.

1906. Die

Schriften des Comenius und das Konstitutionenbuch.

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Keller,

Heft 3.

Das Gebrauchtum der neuenglischen Großloge, wie es in Brownes and Prestons Bearbeitung vorliegt, zeigt nach Krause eine Stufe von Christlichkeit, über die sich Comenius bereits weit erhoben hat. A n p a ss u n g e n in den Wendungen freilich, wie sie das 17. Jahrhundert selbst für einen unabhängigen Geist wie Comenius bei öffentlichen Kundgebungen zweckmäßig erscheinen ließ, um seine Sache auch den Unmündigen und Befangenen zu empfehlen, kommen öfter vor; man muß sie nur richtig zu deuten wissen.

Das C h r is te n tu m , das ihm vorschwebte und zu dem er in der Tat alle Menschen führen wollte, fiel in seinem Wesen mit der Weltanschauung, die Herder H u m a n itä t nennt, zusammen. Zu welcher Kirche hätte auch Comenius, der selbst keiner herrschenden Kirche angehörte, alle Menschen führen wollen? „Gib, o G ott“, so schließt Comenius seinen Abriß der Pansophie, „daß wir hier auf Erden ein Abbild dessen sehen mögen, was Du von Deinem himmlischen Jerusalem offenbart hast: daß nämlich die Tore desselben den ganzen Tag offen stehen und hinfort das Dunkel der Nacht verschwinde“. Das L ic h t war seines Geistes höchstes Verlangen.

Diesen Ausführungen läßt Krause einige einzelne Stellen aus Comenius Schriften folgen, worin sich eine genaue Übereinstimmung mit dem neuenglischen Konstitutionenbuche in Gedanken und Worten zeigt. Nachdem Comenius in dem eröffneten Sprachtor (Opp. didact. P. III, p. 589, n. XCIV— XCVIII) die „vier Haupt­

religionen“, die heidnische, jüdische, christliche und mohamedanische, welche er einen klippenreichen vierfachen Weg nennt, geschichtlich kurz geschildert hat, schließt er also:

„E-* is t zu beklagen, daß w ir hierin n ich t Übereinkommen, w o es uns zukäm e, daß die größte U ebereinstim m ung stattfän d e: in der V e r ­ ehrung des E inen U rhebers aller D in g e. Ebenso u n zu lässig is t aber a u ch , w a s die L i b e r t i n e r tun: näm lich alle R elig io n en zu b illigen , und einer belieb igen anzuhangen: ‘denn dabei is t S e lb stb e tr u g , und der eifrig e G o tt w ill, daß w ir in sein er V ereh ru n g e ifr ig seien ohne L a u ig k e it.“

Diese Stelle wird ferner in der Schrift: Atrium rerum und linguarum so ausgeführt:

„ 0 b ek lagen sw erte S a 'h e ! daß uns G ott, die ew ig e W u r z e l der E in h e it, so w en ig v e r e in e t, daß w ir in n ichts anderem m ehr und zu größerem N a ch teile uneins sind als gerade hierin. N ic h t aber durch die Schuld D e sse n , der so w ie er se lb st E in er is t, auch w ill, daß alles E in es ( e in ig ) se ie : sondern durch unsere S ch u ld , die w ir von der E in h eit zu der V ie lg e s ta ltig k e it abgew ichen sind. D iesem U eb el streben

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v erg eb lich die L i b e r t i n e r ab zu h elfen , indem sie G le ic h g ü ltig k e it h in sich ts der R elig io n erlauben. D enn d ieser R a tsch la g is t n ich t aus G o tt, der sich einen eifrigen G o tt nennt, und von uns für die W a h r h e it und für seine V ereh ru n g E ife r fordert. D en n w er nich t E ife r hat, h at auch die L ieb e n ic h t.“

„Mit diesen Stellen“, fährt Krause fort, „vergleiche nun der Leser das erste Altgesetz (Old charge) des neuenglischen Konstitutionenbuchs vom Jahre 1723 und vom Jahre 1738“.

Dieses Gesetz lautet:

1723.

C oncerning God and R eligion .

A M ason is o b lig’d, by his Tenure, to obey th e m oral L a w ; and i f he r ig h tly understands th e A r t, he w ill n ever b i a stupid A t h e i s t , nor an irrelig io u s L i b e r t i n e . B u t th ou gh in ancient T im es M asons w ere charg’d in every C ountry to be o f th e R elig io n o f th a t C ountry o r N a tio n , w h a tev er it w as, y e t ’tis now th o u g h t more exp ed ien t only to oblige them to th a t R elig io n in w ic h all M en a g ree, lea v in g th eir p articu lar O pinions to th em selv es; th a t is , to be good M en and true, o r M en o f H onour and H o n e sty , b y w h a tev er D enom inations or P ersu a sio n s th e y m ay be d istin g u ish ’d, w h ereb y M asonry becom es th e C e n t e r o f U n i o n , and th e M eans o f con ciliatin g tru e F riendship am ong P erso n s th a t m ust have rem ain’d a t a perpetual D istan ce.

1738.

Concerning God and R eligion .

A M ason is ob liged , b y h is tenure to observe th e M oral L a w , a s a tru e N oachida; and i f he r ig h tly understands th e C raft, he w ill n ev er be a S tupid A t h e i s t , nor an Irrelig io u s L i b e r t i n e , nor act a g a in st C onscience.

In ancient T im es, th e C hristian M asons w ere charged to com ply w ith th e C h ristian U sa g e s o f each C ountry w here th e y tr a v e ll’d or w o r k ’d: B u t M a s o n r y being found in all N a tio n s , even o f divers R e lig io n s , th e y are now only charged to adhere to th a t R elig io n in w h ich all M en agree (le a v in g each B roth er to h is ow n particular O p in io n s) th a t i s , to be Good Men and T r u e , M en o f H onour and H o n e s ty , b y w h a te v e r N a m es, R elig io n or P ersu a sio n s th e y m ay be d istin g u ish ’d: F o r th e y a ll agree in th e 3 g rea t A r t i c l e s o f N o a h , enough to p reserve th e C em ent o f th e L od ge. T h u s M asonry is th e C e n t e r o f t h e i r U n i o n and th e happy M eans o f con ciliatin g P erson s th a t oth erw ise m ust h a v e rem ain’d at, a perpetual D ista n c e .“

Mit Recht weist Krause zum Schluß auf des Comenius Schrift „Vom Einzig Notwendigen“ hin und bringt daraus folgende Stelle bei:

„O , daß doch die m enschliche T h o rh eit der g ö ttlich en W e is h e it beystim m en und durch A bson d eru n g des n ichtsw ürdigen von dem kostb aren a lles b ö se, e itle und überflüssige abschaffen w o llte , w ie w ürde man in kurtzem einen gan tz ändern Z u stan d in allen Sachen, sow ol in der P h ilo so p h ie, als auch in der P o lic e y und R elig io n sehen.

D e n n die ein fä ltig ste, le ic h te ste und sich erste A r t der R eform ation oder 1 9 0 6 . D ie Schriften des Comenius und das Konstitutionenbuch. 1 3 7

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V erb esseru n g w äre diese, w enn w ir das U n n öth ige w eg th ä ten und nur allein m it dem N oth w en d igen v erg n ü g t sein w ollten . 3. E x . In der P hilosophie (W e lt- oder N a tu r -W e is h e it) so llte n ich ts sch lech terd in g s angenomm en w erden, a ls w a s gan tz au gen sch ein lich w ah r; n ich ts b estän d ig b egeh ret, als w as offenbar g u t; und n ichts erst vorgenom m en, als w as g a n tz gew iß m ö g lich , le ic h t und n ü tzlich w äre. So w ürde es um unsere H errsch aft über d ie irdischen D in g e w oh lsteh en . W o h l w ürde es auch steh en in der P o lic e y , w enn niemand in der W e lt etw as anderes w o llte, b esch lö sse und th ä te , a l s w a s a u f d i e g e m e i n e G l ü c k ­ s e l i g k e i t , u n d d a ß e s u m d ie g e s a m m t e m e n s c h l i c h e G e s e l l ­ s c h a f t w o h l s t ü n d e , a b zielete: W e lc h e s g e sc h ä h e , w enn a lle , ein jed er an seinem O rt in der Ordnung b lieb e, k ein er sich dem ändern m u th w illig vorzö g e oder k n ech tisch u n terw ürfe; doch ein jed er sich in alle sc h ic k te , und aus L ieb e zum F ried en und dem ändern fr e iw illig diente. D e sg leich en in der R e lig io n , w enn w ir alle n ich ts anbeten w o llte n , als den ein tzig en allein guten G o tt, von

■welchem allein uns alles g u te herkom m t; seine G ü tig k e it über alles lieb eten , daß er uns hin w ied er v ä terlich zu lieb en w ü rd ig te; und sein e M acht eh rerb ietig s c h e u e te n , dam it er n ich t dieselbe an uns m u t­

w illig en M enschen g erech ter W e is e ausübete: So w ürde er uds allen so w en ig sein e B a rm h ertzig k eit versagen , als er niem anden seine Sonne am H im m el en tzeu ch t.

Um die geistigen Zusammenhänge großer geschichtlicher Erscheinungen richtig abzuschätzen, bedarf es neben einer ein­

dringenden Kenntnis der historischen Tatsachen vor allem der Fähigkeit des Anempfindens und der philosophischen Durchbildung des Beurteilers. Ohne die letztere tastet der Forschende zwischen Worten und Wörtern hin und her, die, lediglich für sich betrachtet, niemals einen ausreichenden Schlüssel des Verständnisses darbieten. Krause hat für die Frage, die es hier zu prüfen und zu entscheiden galt, in ganz hervorragendem Maße die erforderlichen Vorbedindungen mitgebracht. In der Tat ist sein sachkundiges Urteil seit dem Erscheinen seines großen Werkes stets sehr hoch eingeschätzt worden. Die Forschungen, die über die gleiche Frage späterhin zahlreich angestellt worden sind, haben, wie oben bemerkt, Krauses Überzeugung lediglich bestätigt. Es ist bisher nicht gelungen, die vorgebrachten Gründe auch nur im geringsten zu entkräften, und es wird unseres Erachtens auch nicht gelingen.

Wenn alle die, die da hofften und hoffen, einst alle Menschen im Geiste Christi zu e in e m Tempel der Gottesverehrung vereint zu sehen, mit dem neuenglischen Großlogen-System von 1717 außer geistiger Gemeinschaft stehen, so sind aus deren Listen nicht nur die besten Namen — man denke an Herder — sondern die Stifter selbst, und vor allem die beiden Geistlichen Anderson und Desaguliers, zu streichen. Ludwig Keller.

138 Die

Schriften des Comenius und das Konstitutionenbuch.

Heft 3.

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Die Liederdichtung des sogenannten Anabaptismus1).

Ein Beitrag zur Geistesgeschichte.

Von

Oberlehrer Dr. K arl R e m b e r t in Krefeld.

Ein eigenartiges Kapitel aus der menschlichen Kultur- und Geistesgeschichte eröffnet sich dem, welcher die Liederdichtung der sogenannten Wiedertäufer — dieser Name ist nie Selbst­

bezeichnung, sondern nur ein Scheltname der Gegner gewesen — der Aufmerksamkeit würdigt, die sie verdient. Er wird bald entdecken, daß diese Lieder eine anziehende und bewegende G e s c h ic h te jener viel verketzerten, mit dem Namen wiedertäuferisch gebrandmarkten, weit- und zeitweise tiefgehenden Bewegung enthalten. Erschütternd muß die Beobachtung wirken, daß kaum einer der von den Brüdern besungenen Helden, kaum einer der Sänger selbst eines natürlichen Todes gestorben ist. Je mehr Energie die Behörden entwickelten bei der Verfolgung dieser zahllosen Gläubigen, die im 16. und 17. Jahrhundert in den anerkannten Staatskirchen nicht den Weg zu ihrem Gott und Heiland zu finden vermochten, je mehr Grausamkeiten Peiniger und Henker erdachten, sodaß allmählich der Boden von ganz Deutsch­

land und darüber hinaus sich von dem Blute der Märtyrer zu röten begann, desto größer wurde die Zahl aller jener, die Lieder singend und freudigen Blicks den Tod erwarteten. Wie in den Kindheitstagen des Christentums wirkten der Anblick des ver­

gossenen Blutes und die lebhaften Schilderungen der zahllosen

„Akte des Glaubens“ wie eine berauschende Suggestion auf Zuschauer und Hörer. Je härter die Verfolgungen wurden, desto mehr verbreiteten sich die Bedrückten, desto glühender lohte das Feuer ihres Bekehrungs- und Bekenntniseifers, wie sich an ihren Liedern deutlich verfolgen läßt. So heißt es in noch ungedruckten Liedern:

Wol auf, wol auf von hinen In Kampf, ihr Brüder wert, Den Streit wein wir gewinen In Harnisch, Schilt und Schwert,

J) Dr. R u d o lf W o lk a n : „Die Lieder der Wiedertäufer“. Ein Beitrag zur deutschen und niederländischen Literatur- und Kirchengeschichte. Berlin W., B. Behr’s Yerlag 1903, gr. 8, 296 S.

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Rembert,

Heft 3.

Mit dem wir wol gerüstet sind Alle in Gottes Gnad,

Davon Paulus geschriben find’t Zun Ephesern am fünften Orth.

Ein Lied des 1541 gestorbenen Erdforter auf einen folgen­

schweren Überfall endete zuversichtlich (S. 173):

Darumb wöln wir hoffen auf Gott Und kempfen mit Vertrauen;

Im Augenblick die gotlos Roth Wird Gott der Herr zerhauen Und seinen Kindlin helfen schon, Die ihn in Nötten rueffen an Und loben seinen Namen.

Lob, Ehr und Preiß mit höchstem Fleiß, Der uns auf dissen Weg hat gweist, Wer Gott recht liebt, sprech Amen.

W ie die Verfolgten zu leiden hatten, dafür statt vieler Proben die folgende (S. 174):

Man jagt mich hin, man jagt mich her, Mueß all’ Winkel aus schlieffen,

Verbirg mich hin, verbirg mich her In Berg, Klufft, Grueben tieffen;

Bey wilden Thieren in dem Wald Kan mir kein Platz gedeyen,

Man suecht so lang mit Spieß und Stang, Mit Hunden Hetz stellt man mir Netz, Biß sie mich doch erschleichen.

Natürlich überwiegen zur Zeit der Verfolgung die historischen Märtyrer-, Trost- und Kampflieder, mit denen sich in Perioden der Ruhe — eine solche goldene Zeit erlebten die mährischen Täufer von 1550— 1592 — dogmatische und lehrhafte Betrachtungen in ihren Liedern in immer größerem Umfang verbinden. Jene Gesänge aber wurden der unerschöpfliche Brunnen, aus dem die Bekenner in Glück und Unglück später Lebenstrost und Glaubens­

stärke schöpften, um so reicher, als statt fliegender Einzelblätter und Einzelberichte ganze Sammlungen in der Hand der zerstreuten Gemeinden sich befanden.

Was hatte nicht von allen den Emissären mündlich und

schriftlich berichtet werden können, die auf ihren gefahrvollen

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1 9 0 6 . D ie Liederdichtung des sogenannten Anabaptismus.

141 Missionsfahrten besonders um die Mitte des 16. Jahrhunderts nach der Münsterschen Katastrophe bald in Ungarn, bald am Rhein und in der Schweiz, bald in den Niederlanden und in Polen oder Schlesien neue Anhänger warben oder die Welt zu überzeugen versuchten von der Nichtigkeit der Vorwürfe, daß sie an allen Greueln des Westfälischen Zion schuld seien.

Lange Zeit nun hat man die Gesänge, Testamente und Vermächtnisse, gereimt und ungereimt, von jenen Verdammten als etwas Unreines ängstlich gemieden; das 17. und 18. Jahr­

hundert hat sich nicht um sie gekümmert; erst das 19. Jahrhundert schenkte ihnen seine Aufmerksamkeit und zog sie beim Studium der Geschichte des Kirchengesanges und des Volksliedes g e l e g e n t ­ l ic h zu Rate. Es ist nun nicht verwunderlich, daß in unseren Tagen, wo man sich der Geschichte der altevangelischen Gemeinden mit berechtigtem Interesse erfolgreich zugewendet hat, auch ihre Liederdichtung Gegenstand eingehenden Studiums geworden ist.

Besonders dankbar ist das gediegene Werk von Dr. R u d o lf W o lk a n zu begrüßen: „ D ie L ie d e r der W ie d e r tä u fe r . Ein Beitrag zur deutschen und niederländischen Literatur- und Kirchen­

geschichte“.

Das genauere Studium der in zahlreichen gedruckten und ungedruckten Sammlungen und Blättern vereinigten Lieder der Wiedertäufer vertieft unsere Kenntnis des inneren Wesens dieser wichtigen religiös-kirchlichen Bewegung in hohem Grade. Natürlich ist die Entwickelung ihrer geistlichen Dichtung aufs engste ver­

knüpft mit der ganzen Geschichte dieser Kultgenossenschaft. Der größere Teil dieser dichterischen Erzeugnisse bietet die ergreifende Leidensgeschichte der Täufer und der andere umschließt den Glaubensgehalt ihrer Lehren.1)

Einen ansehnlichen Bestandteil aller erhaltenen Lieder­

sammlungen machen die M ä r ty r e r lie d e r aus. Die Geschichte

*) Die wichtigsten älteren Sammlungen sind:

1. Lieder der Schweizer Brüder, vereinigt im: Außbund Etlicher schöner christlicher Geseng vom Jahre 1583. Im 2. Teile sind die ältesten Lieder, speziell der „Schweizer Brüder“ vereinigt unter dem Titel: Etliche sehr schone Christliche Gesenge, wie dieselbigen zu Passaw von den Schweitzerbrüdem in der gefengnuß . . . gedieht und gesungen worden. (Hier findet sich auch das älteste Lied, das die Täufer kennen, von den zwei Märtyrern Hans Koch und Lenbart Meister, 1524 zu Augsburg hingerichtet. Die W. T. nennen sie nicht in ihren Geschichtsbüchern, welche sonst ihre Brüder gerade aus den ersten Jahren mit Vorliebe in breiter Ausführlichkeit behandeln. Täufer im

M o natshefte d er C. G-. 1-906.

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