xxll. Jahrg. Berlin,den 21.cifelituar1914. glkx21.
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Maximilian Hardem
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Drei-denkt Theater-. VonHe rb e r tE·nl e n b er·g.«...........252
Berliner Elklxakem Vonwalter Kurt Behren dt ......·.»..255
Manuer Gediklzkjuerk. DonS t efanZwei g.............257
selbst-Meigen. VonMojnmeRissen ,Maver-.K erler, KodasMeyrin k261 Maria Stein. Vonpanl Kalis ch........... ......266
Antwort VonRecksmalleckewen ............... 268 Kkkivnärwiinxrlxv. Vonc adon I.IsIsI.ss-II.III.
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WildungerKelenenquelle
wird seitJahrzehnten rnit-grosse-n ErfolgezurHaustrinkkur beiNierengries Sicht, Stein,Eiwejss undanderen Nieren- undBlasenleiden verwandt. Nach
den neuesten Forschungen istsie auch demZuekerkranken zurErsetszung
seines täglichenKalkverlustes anerster stelle zuempfehlen. —-Fürangehende Mütter undKinder inderEntwickelung istsiefürdenKnochenautbuu von
hoher Bedeutung-
1913Besuch: 14,664Personen. Versancli 2,278,876Flaschen.
Man verlange neue-te Literatur portokreivon den I FürstL Wildanger Plineralquellem BadWildungen 4.
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serlln W.9. Tel.:AmtLiitzow,No.6051. kotsdamerstr. läle
Sau faul-in Si erretten- lsVoehmJFteEe »O
Berlin, den 2l.Februar 1914.
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Theater.
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« . enZugshakefpearifcherKönigdramen,dender Kindesmörs derJohannführt,müßte aufderBühnedervondeneige- nen Kindern gemordeteLearschließen.Jn dieser langen Reihe (derenFlügelmänner zweiVastarde find:dervonKraftundWitz strotzendePhilippundderglatte,nicht feige SchuftEdmund)fun- keltsvonGold undvonStahlzfärbenBlutftröme sahlendenPur- pur;läutet»der greifeGlöcknerZeit,derkahle Küfter«, Krönung undHochzeit, SturzundBestattung ein; sfchmettertdieTrompete denJubeldesSiegers, dröhntvon derTrommel derdumpfe Ruf zuTrauergeprängindieLust.Würdigschreiten, hastig schwingen sichinEisen gefchienteMänner auf denThron·Vuntumsäumen vonVolksgunft gespendeteBlumen desEinen Fußkleidzder An- derewetzt,alswärensdieStufen einer alltäglichbegangenen Treppe,dieSohleanLeichen,über die dereinzigeWegaufdie ergierteHöheführt. Dieser strauchelt, rafst sich nocheinmal aus undstürztdanninNacht.Jenenwürgtunter hellemHimmelVer-- hängnifz.JohannundPhilipp, derzweite RichardundHeinrichs vonHereford,HeinrichundHeinz,Eduard undRichard Glofter, HeinrichderSechste,Duncan, Klaudius: ausDräuen und Win- ken,aus Gebot undGefeusz ist jedesHerrscherwefen,fast jedes-
«)S. »Zukunft«vom vierzehntenFebruar1914.
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·240 DieZukunft
instetenKriegesZeit mögliche,zuahnen.DochKeiner hatso tiefdasLeidunddieLüge,insolchemGraus desErlebens die ungeheuren SchlagwetterdesKönigsschicksalsgespürtwieLear.
BritaniensKönigwar er: undtaumelt einsamaus triefendem KornfeldausdieKlippeam-tosendenMeer. EineKrone truger:
undkränztdenalten,vonRegen nassen,vom Sturm gezausten KopfimMorgengrau mitWinden undKletten,Nesselblütheund Schierling,mitKukuksblumen undanderem Unkraut,daszwi- schendenAährhalmendesWeizensleisaufgewuchertist.Der Edlen Edelsterwar ihmzu blindem Gehorsam unterthan: und derAbhubdesGesindes weigert ihmnun denGruß.EinKönigs- drama;nichteinFamilientrauerspieLNicht,wieundankbare,lieb- loseKinderdes Vaters Lebenvernichten,sollunserAugeschauen, nichtdiesenbanalen Vorgang, derimPalastnichtgrößerschieneals imPserchgeduckterMenschheit, sonderndieEnttäuschung,Entkrö- nung desKönigs,derwähnte,als Fürst geborenzusein,alsehr- fürchtigbestaunterFürst hinzusterben,und mitdenKleinodien die Macht,mitdemGoldreifdieGeltungverliert, ohnedieseinver-
wöhntesHerznichtathmen,seinvordemAnhauch groberWahrheit allzulangebehütetesHirn nichtdes Denkens Amtbetreuen kann.
Das Königsdrama.Das fand derDichter nichtin altenVüs cherngnicht beiGeoffroyvonMonmouthnochbeiHolinshed.Nur eineKeltensagevonLeir,Valduds Sohn,derinUrvätertagen, alsJoas KönigvonJudawar,über Britanien herrschte.Eine Mär, derenEndlehre wiederholt, was wohlinallen Ländern, weilsinallenerlebtward,Alternden eingeschärftworden ist;Rü- sdigervonHünchhovenhatsindenReimspruch geformt: »Wer seinenKindern giebtdas Brotundleidetnochmals selber Roth, Denschlageman mitder Keule totl« Leir willseinReichdendrei Töchtern-schenkenDassgrößteStücksollDerwerden,aus deren Mund diezärtlichsteLiebespricht.GonorillaundNeganerschmeis cheln sichihre Theile.Cordeilla bringtkeinWort über diekeusche Lippe; wirddrum enterbtundverstoßen,abervomGallierherzog heimgeführt.Zuihr flüchtetderAlte,da dieschlimmen Töchter ihnmißhandelt,aufBettlerkostgesetzt haben;undeinGallierheer führtihndurchdie Trümmer britischerAufgebotsmachtaufden Thronzurück.3weiJahrenochsitzterimGlanz.AlsimfernenSüd- ost König JerobeamdieJsraeliterinVetheldasGötzenbildgol-
Theater. 241
dener Ochsenanbeten heißt,stirbtLein KöniginEordeilla wird nachkurzerHerrschaft,dadergallische Prinszemahl, derstarke -Schützer,ihr weggestorben ist,vondenNeffen entthrontund tötet sichimGefängniß.Diedürftige HistoriemagdenStoffsucheran -"Sidneys,desHöflings,Schäferroman »Arkadia«erinnert haben.
Jn diesem (vonder londoner Gesellschaft verschlungenen) Frag- ment wird erzählt,wieeinalternder FürstvonPaphlagonien, weiler derSchmeichelzunge seinesVastardslieberglaubtalsdem schlichtenWortdesehelichenundehrlichen Sohnes, Land,Heim- siälteundAugenlicht verliert;nur deneinen Wunschnoch hegt, aufeinenGipfel geführtzuwerden,vondemersichinTodes Gnade stürzen könne; dochanderLiebe desgeächteten,inMördershand gegebenenSohnes seinen Lebensabend nochwärmendarf. Jn diesen Parallelkreis hättemanches hübsche,dünne Talent einlehr- samesFamilienbildgerahmt.KeineAufgabefürdasmajestätische Wollen Eines,derschondieHeinrichs undRichards geschaffen,der alten TragikomoediedesKönigsvonGottes Gnade einneues Kleidgewirkt hat. RichardderZweite,dermüßiginderSchaar derGünstlingetändelt undpraßt,demVolksbedürfnißunddem WunschdesAdels selbst sein Ohr täubt,dasReichinschimpfliche Verträgekettetund wieeinen Gutshof, einererbtes Juwelin Pfand giebt,war dennoch,mitalldiesemMakel,einliebenswür- diger Mensch, dessen Edelsinn fühlbar wird,wenn Unglückden an SchmeichelsveiseGewöhnteninstrenge Sinnendiätzwingt.Jm WahnheiligenderErleuchtungschienerschlecht, wüst,gewissen- 1os.Der auf jedemGebiet dasüberWohlundWeh,Gewinn und VerlustentscheidendeWortsprechenwollte,war aufkeinemGe- bietejeheimisch geworden.Der allesRecht fürsichheischte,beugte sichniemals insJochderPflicht.Sonne will er, immererneutes Vergnügen;kanninSchattenundFronnicht gedeihen.DieEm- pfindung innerer Unsicherheit weichtnur, wenn das am Wink seinesAuges hängendeHofgesinde ihnhündischumwedelt.Dann dünkelt der allerWirklichkeitFernesichdenHeiland,von dem die bang auf ihnblickendeMenschheit Erlösunghofft.Undwillnicht ahnen, daßeinverwegenerBasall sichrüstet,mitkeckemGriffden Königzufällen,die Kronezupacken. Schonklammert sichHeinrichs Hand, noch Richardsum sie.Ward siezumBrunnen mitzween Eimermdieeinander füllen,der leereimmer tanzendinderLuft,
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242 DieZukunft.
der andere unten,ungesehn,vollWasser?DieGoldbuckel drücken demKönigdieLehre ein,daßerder bisandenRandmitThränen gefüllteEimerist,der imSinkennochdenanderensteigen sah;daß erseinLeid einschlürfenundHeinrichs Erhöhung schauen muß.
Fest schiener,wie inschroffe Felsen,indasBewußtseinköniglicher Unantastbarkeit verschanzt. JndenWolken, tiefer, hältmeinGott Heerschauüber dieSchaar,diemitSchwertundPestilenz einst dieBedrohungderKronmacht,denBasallenfrevelanheutenoch- ungeborenenKindern rächenwird. Aufhören soller,Königzu sein?WeilwiderihneinRebell Mannschaftwaffnet?Bordem OdemirdischerStreiter lerntedergeweihte Statthalter desHerrn niemals beben. GegenjedenMann, denBolingbrokeinWehr- dienstgepreßthat, stelltderHimmelsherreinen EngelinsFeld.
Und desOzeansFluthwüschenichtdenBalsamvom Leibdes Gesalbten.Undank? Wer einHügelchenerklomm,einHändchen füllen,einMenschlein herbergenkonnte, hatUndank geschmeckt.
Uralte Negcrsagekündet denEntschlußdesmitWohlthat Be- hätifte11,-denWohlthäterzutöten.AuchimBereich sanftererSitte späht derBeschenkte,freundlichGefördertegernnacheinerMöglich- keitstillen,unruchbarenMordes Wielöste erfonst sichaus lästiger Schuld,aus demZwangzumBekenntniß,daßereines Anderen Kraft,nichtdereigenen,dasBesteverdanke? SollHinz,bisdas braune Haupt ihm ergraut,durchjede Gasse posaunen,anjeder Eckeerlauschen, daßKunz ihnins Licht hob?Er mußdenSchen- ker morden;Antlitz ihmundSeele bespeien. Muß sichselbstein- reden, daßderKerleigentlich nichts Rechtes für ihn that,nur um Bewunderung buhlteoderseitdemzumWichtgeworden ist.Wäre HinznochderEhrenmann,als denersichalltäglichfilmt,wenner—
den argenKunz,wegenderBagatellevondamals,nichtdenHohn undSchimpf kosten ließe,denNiedertrachtverdient? Jn jeder- Sonne spiegeltsichsolchesBild.»Als Schmeichlersaugenwirdie Männer aus,aufdiewirGiftundHaßdoch speienwerden. Wer- trägt nicht,wenn man indasGrab ihn senkt,alsFreundesgabes Wunden?« Einewiges Thema; dochin derFugevonLearsSchick- sal nichtderHauptsatz. »Wennder alteHerrseinerJüngsten,dem:
guten Kinde,dasReich gegönnt hätte,wärsihmbessergegangen«::
dieseErkenntnißtrügenwiraus der»Tragoediedes Undankes«
heim. ErbärmlicheWeisheit.Was wäre unsderGreis,der die:
Theater. 243 eigene Brut, obwohl sie seit zweiJahrzehntenihmimNesthockt, so wenig kennt, daßergesüßtenGeifervonihrer LippewieHonig- seim aufleckt? Dem, dicht unterm Vaterange, dreiMädchen aus- wuchsen undimWesen dennochso fremd blieben, daßderplumpste Trug ihninlichtloseJrrnißverleitet? Derstreichelt,woerstra- fen,undflucht,woersegnen müßte?AlsNeichsvertheiler (nach Goethesfastdummem Wort) so absurd handelt, daßdieBor- rnundschaftderTöchternicht unnöthig scheint?EinSiecher,in GeistesschwachheitVergreister.Wann erstwirderunseremBer- stand verständlichundrecktsichbis indenWipfelunseres Mensch- heitempfindens?Wenn sein Königthum ihm Verhängnißward:
weilesihnindenWahn gottähnlicherAllwissenheitgepanzert, vom rauhen LuftstromdesLebens abgesperrtundniefürchten gelehrt hat, ihnkönne eines Sterblichen Mund, auchdenGe- salbteneinflinkesZüngleinbelügen.Undank? Stinkt nichtbis andenThron.Derweiße Verbernhengst, derRichards Liebling war,istnun stolz auf seinenneuen Reiter Heinrich Lancaster.
DennDerzieht heuteindie Stadt ein,diegesterndieResi- denz Richards des Zweitenwar; unddaKönig ist,wer König heißt,wenden Alle,dienichtimSchattenverkümmern wollen, Gunstsucher, Schleppenträger,MeuteundSchimmel,vonder ge- sunkenen sichzuraufsteigendenSonne. ElisabethliebtediesesKö- nigsdrama nicht;fandeswohl allzubitterundderMonarchie schädlichwieSchwammdemPalastgebälk. Auf ihrem Thron sitzt nunKingJames, derhäßlicheSohnderholdenMaria Stuart und ihres schönenBuhlen Darnley. (Wirklichtaus Darnleys Samen? Maria solltedenSängerundGeheimschreiberDavid Nizzio,trotzseinerFratze,aufihresLeibesWeidegeletzthabenzund Frankreichs vierterheinrichbespötteltedenHerrnVettervonBri- tanien undSchottland, dersichsalomonischeWeisheitnachrühmen ließ,als,,König Salomo,den SohnDavids «.)UnterdiesernJakob, derstrammen Jünglingen nichts weigern kannundseineBettwär- mer,dieCarr,Vuckingham,VilliersundEintagslustknaben,offen zurSchaustellt,verlüdertderHoftonraschKnechtseligkeitwälztsich inSchlamm. Sprossenvon altemAngelnstammerniedern sichin hündischeDemuth;findensichhochgeehrt,wenndesKönigsMund oderSchreibkielsiealsHündchen,alsbraveKöteranspricht.Jsts rathsam,insolcherZeit (die Macaulayund Swinburne derNeros
244 DieZukunft.
verglichenhaben)dieSchamdesKönigthumeszublöszeznk2Jst-Z möglich,diebrandigeWunde auf seiner BrustimHofschauspicls haus demPurpurzu entbinden? AllmachtwahnEines,derWahrs heitaus seinem Dunstkreis peitscht,über den vonSchmeichlern aufgetischten Schüsselnwollüstig schmatzt,dieHerrscherpflichthin- wirftundeinenTroßlungernderRitter hätschelt: JakobsTücke hätteAnspielungerschnüffeltundgrausam gerächt.Vernunftem- pfahl,dasKönigsdrama sestinsKleidderFamiliengeschichteein- zuwickelnzdesVaters WirrnißundLeidgrellerals desKönigs zubestrahlen.Das ist gelungen.Herdersieht »den gutherzigen Verschwender,denraschenUnbarmherzigen, denkindischenVa- ter«.Bischer »dieTragoediedermißhandeltenPietät«;einenver- weichlichten, launischen Greis,,,der Kindesliebe nachdenWorten messenundbelohnenwill, nachderSchönheitund demReichthunt derWorte,diesieübersichselbst machenkann«. Direktor Goethe hatdieeinzigeSzene,die denAlten alsKönigzeigt, weggestrichcn;
weilsiedochgarzuthöticht sei. SogarStrindbergs Eulenblick drangniemals auchnurbisinden oberstenSchachtdiesesDunkcls.
Dunkel istLears Reich.Dunkler alsirgendein anderes, in das Shakespeare Menschen zeugte.KeinLeuchtthurm; nichtdas schwächsteBlinkfeuer,demsichdasAugevertrauen könnte. Unter sternlosem Himmelbrüllt einunsichtbaresMeer auf,bäumtsich hintergraubraunenNebeln undschlingtStrand undDüne,Men- schen,ThiereundPflanzenindie ausSpeichelschaumvklaffende Nachenhöhle.Dann wirdesstill.EinbleicherMorgen lugt scheu ausschwarzen GewölkfetzenundhebteinenZipfelvomBildgrau- ser Verwüstung. Schmal warddasLand; kahl,wieeinvomRatten- zahnabgenagterKnochen,dieKüste.KeineMöwepfeiftdemKind, daßesaus ihrem Krondiesorglichgespeicherte fette Nahrung empfange. Zerwirbelte,zerquetschteFische, Wasservögel,Qual- len;zwischenabertausendFederchenundFlossenzerrupsteFlügel, geknickte Krabbenhülsenund Schneckengehäuse,abgescheuertes HolzundThiergebein.LeichengeruchverpestetdiedunstigeLuft.
EinSonnenstrählchenlocktHoffnungausdemSchlupfloch;flieht schnellaber,daaus allenRitzendesHimmelsthoresBlutregen quillt,ausdemKlippenspalt,demGeschlingvonTangundAlgen blutiger Schleim sickert.Und wieder wird, schonamMittag nun, Finsterniß.Kaum noch erträgliche.NieließderDichterunsin
Theater. 245 solcher Oede;nieohneeintröstendes, Frühling verheißiendes Knösplein.Batermord, Brudermord, Schwestermordlsahenwir bereiten. Der gespornteEisenschuheinesHerzogs zertrateines Grafen,einesgeknebeltenGreisesAugen.GistundDolch,Peitsche undQuälblockhaben jedesTreugesühlwieschmählichstenFrevel gestraft. ZweiSchwestern, Fürstinnen, Ehefrauen,spreiteten sich unter desselbenMannes kitzelndes Fell.EinKönigsgeschlecht starbbrutlos. Cordelia selbst,dieWahrhaftigste,derenSchweigen solieblich nichtwie Virgiliens,doch vonechterem,muthigeremAdel ist,Cordelia,dieunseremHosscnneuer Sonne GlanzübersMeer bringen sollte, verathmet nochvordemVater,derihrer SorgeKind gewordenist.KeinFortindr.1s, slllalcolim Nichmondbürgtfür hellereZukunft.NurEdgarlebtfort.GrasEdgarGlosterwird König heißen.Einuns fast Fremder-, denwir denirrenBettler spielen,dann denkrötengiftigenHalbbruder richten sahen.Der aberniesein Innerstes demVetmchter aufthatund denderDich- ternichtinGlanz geharnischt hat. JstereinKönig? Auf kahlem Strand neuen Lebens Schöpfer? OderwarLearderletzteim Land?
Derhat sichalsKönig gefühlt.Alseinen KönigderHeiden- zeit,dienochnicht, zwischenFroherVotschaftundKreuz, zweifeln, ängstlichzwinkern,unsicherschielen lernte.DerMitleidnochSünde, Entsagung einKinderspott ist.KeinHeilandkamihr;unddaß Einer,mitspitzemDorn undEisennägelnimFleisch, seine Lehre leben könne,würdesieniemals glauben.Götterkenntsie, üppig schwelgendeundmüde;undGöttern darf ihr König sich ähnlich dünken.JmaltenDramasprichtLearvonCherubimund Himmels-
wonne ;sprichtderWitwer auchvonderFrau,dieerbegrubund die
dendreiTöchternnunalsweiseBeratherin,denSchäfleinalsHir- tinfehlt. ,,Denn Söhnekann der Vater zwarregiren, dochMutter- weislheitmußdieTöchterführen«HättedetDichtersichmitdieserer- stenFassungdesSagenstosfes begnügt,dannwär·eseinemLeardas RüsselwortGoethes erspart geblieben.Was späterabsurdschien, isthierder KöderineinerMädchenfalle.Cordeliawillsichnurdem Mannvermählen,demzuvorsichihrHerzgab.Um demeigensinni- gen Kindinhaltbares Eheglückzuhelfen,willder Vaterdenzärt- lichenWettstreitderSchwestern, derihm gestatten wird,derJüng- stenzusagen:»DaDumirLiebeschworest, mußDeineJugendauch denGemahlnehmen,denichDirwählte.«(,,Dannkannsiemeine
2116 DieZukunft.
Bitte nicht verneinen, mußauchdie Arme stummeThränenxweis nen. Triumph reiftmir aussolcherlistigenThatundsiewird einem HerrninAlbions Staat.«) DieseNähte hat derPoet, alle,wieder aufgetrennt.WozueinenStoff,ausdem einKönigsmantelwer- denkann,an einHauskleid Vergeuden?AusLears Bewußtsein schwindetdieEngelschaar,ausLears GedächtnißdieMutter seiner Töchter.Lear traut sich,wie jedes Vermögen,die Gabe zu, eines Mädchens Herzzuergründen,undbrauchtsich,umeineJungfrau demrechtenMann zuverloben, nichtinkleinerMenschenListzu bücken. Bonden Göttern stammt seinAmt undGötterkraft pocht ihminden Adern. Solange erlebt,kannLugundTrugihnnichtbe- schleichen.ErwürdedenfalschenTon,denTon derFalschheitvers nehmen. DieZunge,dieerlöste,sprichtWahrheit;sonst risseersie ausdemGaumenschlund. Werwähnt denn,Götterzutrügen?
LearhebtdieWimper:undsiehtinderdüsterstenKluftdasJn- sektengekribbel.Lear winkt:und ausdemstörrigstenLeib redetun- verschleiertdieSeele. Denn erist König. Will, ohnedes Amtes Bürde,sichdesEhrenrechtesfreuen.DazubedarfernichtderKlein- odien undsichtbarenSymbole;auchkeinesLandbesitzesWären ApollonundHekate entmachtet,wenn ihnen beliebte,inGesinde- trachtüber die Erde zu wandeln? Schnell, Mädchen: reihetdie klingendeMünzeEures Gefühles aufeineblankeSchnur; nach derenLänge messeich EuchdenErbtheil. DerLebende,zu leben Willige beschenkt Euch;weileinKönig nicht kargtundweilein Königskindauswarmer Handlieberals auserkalteter nimmt.Du, Eordelia,weigerstdenZollderLiebe? Willst nichtzärtlicheWorte fiidelnundalsSchaustückumDeinesBaters Halsfurchenhängen?
Also jäteter, wiefeistes Unkraut, DichausundwirftDichübers Meer, daßDufern ihm seiestwiederraubthierischMenschen fressendeSkythe.Du, Dienstmann, willstmeinen Sinn erweichen undihrdieStrafewegbetteln?Meines Auges BlitzschlägtDich Rebellen inBann. Denn ichbinvon derGottheitGnade König.
WennaberGlaubedieGottheitflieht,wenn wieausgehungerte WölfedieMänner, wiebrünstige FliegendieWeiber nur dem Trieb nach Sättigung nochgehorchenundderUrstandderNatur wiederkehrt?DannistkeinKönigmehr;giltnichtAamenochEhrew recht. Ringsum istStreit ; undnur die Stärkesiegt.EinKönig ohne Land, ohne Heer, ohne Goldschatz,dasihmeinswürbe? Ein
Theater. 247
nackter König? (»Unroi n’est pas dans lanature;iln’yauraitpas de nu«: Vonaparte.) Mit derstarren Zuversichteines Nachtwand- .-lersistLearvomThron gestiegen; birschterjetztaneinesAbgruns deszackigenRändern. Herrisch schallt sein Spaßundsein Zorn, sScheltredeundGelächter.DieJüngstewar unkindlichundbe- kamdrum als einzigeMitgiftdesVaters Fluch. Die Aelteren sinnengewißimTraum noch,wiesiedasGebirgderWohithat demVater vergölten.Der heischt nichtsalswürdiges Obdach, Jagdrecht,GeräthundNahrung für sichundseine hundertNit- ter.- Diebrauchter. Wer jauchzte ihm sonstzu undverstummte vor seinerStirn Nunzeln? HinterderMeute und vor demBecher:
dergeho-rchende, jedes gnädige ZufallswortwieNektar schlür- fende Troß erst machtdenHerrn. Anderes sahLearauchvom
höchstenNeichssitzniemals. Unterthane,dieergesterngeadelthat, morgen gemeinenLeuten einreihenkann. Einer nur sprach ihm Wahrheit: derals Spaßersinner,als Hofnarrgemiethetward und den,wenn seine FrechheitdieLachlust nicht mehr weckt,die Peitsche striemt.Learhat,was erhatte,wasje seinBegehrwar.
Goneril wills ihm kürzen.Reganwill den Vater nichtherbergen.
Derthut ja,alsobernoch König wäreiWettertundtostund wehrt seinerMannschaft nichtdasGelümmel. »MeinEssen!« »Mein Narr-» Ersoll sichbescheiden-Mitkleinerem GefolgedieKrippe umlagern.DerAlte wirdkindischundmußin Zucht. SchirmtGott- heitdenGeweihten? MitdemGlauben starbendieGötter;und ihrerWeltdämmertbaldwohlderletzte Tag.Wider erträumte, aus Angstwehengeborene HerrschermachtstehendieElementeauf.
Feuerstrahl zucktdurchdieFinsterniß,desMeeres Geheulwird vom Donner überdröhnt,Sturm undRegen jagenundhaschen, zerstäubenundumschlingeneinander. Still,Donner! Nichtlän- ger,Blitz, wage,mein AugezuhöhnenisndenSack, Sturm, so- baldDudenHimmelreingefegtunddieSchwaden verweht hast, aus denen dienassen SträhnenrieselntNiemand gehorcht.Das OhrderGötter, derMenschen isttaub.Und Der,rief,war dochein König. Heimlos ister. DerZuchtrutheseinerTöchter,denen er beideHälftenseines Schläfenreifes,seiner Königsmacht gab,ents flohderGreis ineisige Wildniß,indieSchreckendesWinter- gewitt«ers.Soistder WeltLauf? Einerentgötterten,dieschon barst, fchoninunsaubereFluth sinkt.JndieseruntergehendenWeltmuß
-248 Die- Zukunft-
dergute Sohnsein tapferesHeerins Lumpenkleid eines tollen Strolches mummen. Wird dertreue Diener geprügelt,-inden:
Schandblockgespannt,mitlahmen,zerbeultenGliedern in über-—
schwemmteHaide gejagt. Zerstampfteines zeternden Schustes StiefeldieAugen desmitleidigenEdelmannesWürgt desHeu-—
kers Strang vor demAntlitzdesVaters das letzte,das einzige- Kind,dasihmzwiefachgebotene.Für diesesEndehatVerheißung.
uns aufgespart?Drum schrienwirbeimerstenBlick insLicht.
Jns RampenlichtdergroßenNarrenbühne,aufderdas Neu- geborene,wenns gehenundsichverstellen gelernt hat, mitspielen soll.Was? JstseinLämmchen,dengrimmenWolf,istseinlistiges Füchslein,dasträgsteSchaf;und dieschnurrendehauskatzemime unsden Löwen.WieerhieltenwirsonstdasAbbildumgestülpter Weltordnung? Unddaß sieausallenFugen ist, ihrenEdelstoff indiePfütze tauchtund denKehricht sonnt, weiß Lear, seitder Sturm ihmdieSchleierbindezertiß,dieschondemjungen Prinzen
um dieSchläfen,dieAugenthälergeknüpftwordenwar.Learhört.
Des KönigsWort klingt hohl,wienachgestümperteMünze,und wecktnirgendsinPflichtgefühlWiderhall. Aus Schurkenmund kommtehrbare Mahnung, aus derKehleverbuhlter,inGeilheit wüthenderWeiberderRufzusittsamemWandeL (,,Sehtdort die ziere DamethrAntlitz weissagtSchneein ihrem Schoß ;siespreizt
»sichtugendlichunddrehtsichweg,hört siedieLustnurnennem und doch sind Jltis nichtundhitzigeStute so ungestüminihrerBrunst.
BomGürtelniedersindsKentauren,wennWeiberauchvonoben.«) Belltein Hund,sospitzenAlle,Männer undFrauen,dasOhr;viel- leichtistsObrigkeit,diebefiehltoderwarnt,antreibtoderLohnbietet.
Hündischklängenur eines MenschenStimme den inhündisches Winseln,infeigesGekläff,insVettelduett vonSchwanzundPfo- tenGewöhnten.Schlage,König,DeinHaupt,dasTrugalsWahr- heit einließundsichverriegelte,wenn RedlichkeitandieDachpfor- ten klopfte.Dergedungene SchelmmitderKlingelkappeistein treuer GesellzderhalbnackteLandstreichermitderlallenden Zunge einWeiser.Learsieht. Zum erstenMal Wirklichkeit,nicht mehr Traumgebildundgeputztes,bebändertes Scheinwesen.Hört,sieht,.
fühlt, schmeckt,riechtdas Erlebniß gemeinerMenschheit.Soistder LaufderWeltundso ihre Ordnung?Das habenGöttergeduldet undKönigebegünstigt?Learlernt Mitleid mitallemLebendigenz