Die Zukunft
Herausgeber
Maximilian Harden
IN H A L T
S e x a g e s i m a ...
Vom Vatikan h e r a b ...
Im neunten H öllen k reis . . N u n wird Verklärung . .
Nachdruck verboten
Erscheint jeden Sonnabend
Preis vierteljährlich 35 Mk. Einzelheft 3,50 Mk.
BERLIN
ERICH REISS VERLAG
(Verlag der Zukunft)
1022
Seite
175 175 189
1QR
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M.
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aeu zu versorgen,,
DIE ZUKUNFT
Herausgeber: M a x im ilia n Harden
XXX. Jahrg. 18. Februar 1922 Nr. 21
Sexagesima
V om V a tik a n h e r a b
on sum dignus . . Jeder im Konklave Erwählte ant
wortet der Frage des im Purpur ältesten Kardinals, des D oyen im Heiligen Kollegium, ob er die W ahl annehme, er sei nicht w ürdig, den Stuhl des Apostels Petrus zu ersteigen;
und jeder schickt dem Zoll ehrlicher oder erkünstelter D em uth den entscheidenden Satz nach, daß er, dennoch, sich dem W illen der M ehrheit beuge. A us dem H irn Aller, die sich in den Schwsrm der W ählbaren, der Papabili, reihten, fiel die Entscheidung. U n d als so gewiß galt sie, daß vor der A ntw ort, schon nach V erkündung des M ehrheitbeschlusses, au f den W ink des Ceremonialpräfekten über allen Sitzen der Kardinale der Baldachin sinkt, n ur nicht über dem des Er
kürten. Diese symbolische H andlung bedeutet, dieSouverain- macht des Heiligen Collegii sei erloschen und über verblassen
den G estirnen leuchte wieder die Sonne, über die H eerde wache wieder ein H irt. D er Annahm e des Amtes, der N am ens
wahl und Beglaubigung durch den Apostolischen Protonotar folgt die Einkleidung in der Sakristei. Rothe Schuhe mit K reuzesabbild; Strümpfe, C horhem d, O berkleid, Käppchen weiß. In der Sixtinischen Kapelle, auf der gleißenden sedia gestatoria unter dem H ochaltar empfängt der Heilige Vater die Erste, bald danach die Zweite A nbetung der Kardinale. Jeder k ü ß t die H and, jeden segnet der M und, um faßt der Arm des Pappas. D er D oyen bringt ihm den Fischerring. M it großem G eleit kehrt der Papst, einmal noch, in die für die
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1 7 6 Die Zukunft
Z eit des Konklaves ihm angewiesene Zelle zurück und emp*
fängt hier, in der Enge, die H uldigung der W ürdenträger und Beamten des Hofstaates, der Vormänner aus nahen Kon«
gregationen, persönlicher Freunde. So wars seit U rvätertagen;
ju st so am sechsten Februar 1922. Achilles Ratti, Erzbischof von M ailand und erst sieben M onate K ardinal, war zum Konklave in einem A utom obil gefahren, w orin außer seinem Konklavisten der Siegelbewahrer der A postolischen Kanzlei saß, u nd hatte die ihm ausgedrückte M einung, diese Gesell«
schaft sei als gutes W ahl Vorzeichen zu wägen, mit dem heiteren W o rt abgewehrt: „Ich bin schon zu oft genannt worden. D as ist ein sicheres Schutzmittel/ 1 Ihm w urde vom Marschall die Zelle N um m er 36 angewiesen; un d er ist, w ider alten Spruch, Papst geworden, obw ohl ers nach Vieler V orurtheil schon beim Betreten des Vatikans war. Fünfundsechzig Jahre; noch aber nicht alt. M erktet Ihr, hieß es, daß er auf den hochlehnigen G oldstuhl, der in N r. 36 nun das Bett ersetzte, sich kaum für M inuten niederließ, stehend ein ganzes G ekribbel römischer N obili, D iplom aten, Offiziere seiner G arde, Beamte des Staats«
Sekretariates, Priester, Verwandte empfing, leichten Schrittes durch die Säle ging un d frischer noch als zuvor schien, da er in Raphaels Loggia die Fahne seiner Truppe geküßt, unter offenem Him m el die katholische Christenheit der Erde ge
segnet hatte? N o n videbit annos P etri? Dieser kann bis in das A lter des Apostels grünen, der unserer Kirche Felsgrund, Roms erster Bischof war. Trotzdem auf seinem W appenschild, unter dem unflügge kriechenden schwarzen A dler, das Kenn«
w ort „Raptim transit“ steht: „Im Fluge gehts dahin/* Bis
heute wars so in seiner Laufbahn. N u n mag er dauern. Ein
Reis aus kräftigem Stamm. D ie A hnen Seidenwurmzüchter,
Spinner, Seidenhändler. W eiß G ott, woher den guten Bürgern
der Einfall kam, ihren Knaben, eins von sechs K indern, auf
den kriegerischen N am en des Peliden taufen zu lassen. Seine
H eim ath ist Desio, das Städtchen im mailändischen Kreis
M onza, wo am A bend des dreizehnten Jahrhunderts der
G uelfenhäuptling Torriano, in uns bekannter Geschichte der
erste Träger des dann fatal gewordenen Vornamens N apoleone,
im Kampf gegen einen streitbaren Erzbischof Visconti M acht
und Freiheit verlor. Achilleus, N apoleon: solcher W ortschall äfft hier. D ie Rattis waren stets friedliche Bürger. D es neuen Papstes einzige Schwester, ein A ltjüngferchen, haust in der winzigen W o hn un g eines dritten Stockes in M ailand. Ein Bruder, Fermo, hat die Raupenzüchtung und Seidenspinnerei ererbt: und findet Achill, der, als Seminarist, ihm vor vierzig Jahren ermöglichte, den dreizehnten Leo thronen zu sehen, nun auf dem Apostelsitz, im Glanz petrischer M ajestät. D raußen schwatzen G ottlose von Demokratie. H ier ist sie; nur bei uns echte, die nicht viele W orte braucht. M orgen ist in der Sistina die D ritte A nbetung. Eine glitzernde, funkelnde Schaar, in Purpur, G old, Scharlach die Sendlinge zweier Erdtheile, beugt vor dem w eißen H irten in A ndacht das Knie. U n d D er die V ölker segnet, danach in erhabene Einsamkeit schreitet, ist ein schlichtes K ind des Bürgervolkes von Desio.
G eberdenspähern und Geschichtenträgern lächelte dies#
mal W ettersgunst. Zw ar: aus der W eissagung des M önches Malachia, der am M orgen des elften Christenjahrhunderts in der (später, durch den Beitritt Bernhards von Clairvaux, w eltberühm t gewordenen) Ordensgemeinschaft der Cister«*
cienser den W irkensinhalt aller künftigen Papstherrschaft in kurze W ortfolgen fügte, ist heute nicht viel zu machen. „C rux de cruce, des Kreuzes Kreuz": auf den neunten Pius, der den Kirchenstaat und dessen H auptstadt, Rom, der alle weltliche M acht an das national geeinte Italervolk verlor, mochte der Spruch passen; noch besser, wenn man ihn wortgetreu über- setzte: Kreuz vom Kreuze. In dem rothen W appenfelde des H auses Savoyen, das Pio N o n o die irdische G ew alt nahm, ragt das silberne Kreuz mit dem Königshelm und der eisernen K rone: un d dieses W appens Erbe w ard der Kreuzigung des Papstthum s geziehen. D aß der dreizehnte Leo, der einen aus reinem H im m elblau niederstrahl enden Kometen im W appen führte, „lumen in coelo“ , ein helles Licht am Firmament der Kirche, der zehnte Pius, als hitzig die in M odernismus ab
gesplitterte M annschaft vom Stamm wegbrennender Seelen
förster, „ignis ardens, Feuersgluth4* war, leugnet kein From
mer. N eu n Päpste nur sollten, nach Malachias A nkündung, folgen; nur neun, deren letzter, in der Zeit tiefster Kirchen«
13 *
178 Die Zukunft
noth, wieder Petrus selbst sein und die zersprengte, von H unger u n d D urst des Leibes, der Seele geplagte H eerde aus Weltunter»
gang noch einmal sammeln und vor den Stuhl des W eltrichters führen werde. U eber dem ersten der N eun dräute der Spruch:
, «Religio d epopulata* ‘. U nd Benedikt derFünfzehnte sah katho*
lische Völker wider einander in unerschaut grausamem Krieg, sah wirklich das G ebiet des Römerglaubens entvölkert und gerade dem Schoß, der breiten Scholle manches Volkes die Religion entwurzelt, die an der O berschicht nur, mit dünnen Fasern, noch hing. D em nächsten Papst aber schrieb der Cister»
cienser das M otto: „Fides intrepida“. D as sagt nichts. A u f un»
erschütterlicher G laubenstreue stand der Papst sogar, der als Inhaber höchster Schlüsselgewalt acht Söhne, acht Töchter zeugte u n d von G assenspott drum als der wahre Vater seines Volkes besungen, bepfiffen w urde. A us Malachias Prophetie w ar jetzt also nichts zu ernten. A ber Kardinal Ratti nennt sich Pius denElften: u n d deutet dam it an, „daß er ein religiöser Papst, nicht ein politischer, sein wolle.“ Kinderschwatz. D ie zehn Pius, schon die letzten zwei, waren aus ganz verschiedenem Stoff. D er fünfte und der zehnte Ketzerriecher. D er sechste u n d der siebente in den Krallen des bonapartischen Adlers, dem erst der W iener Kongreß den Kirchenstaat wieder ent«»
riß; in Selbstverbannung, W affenstillstand, K onkordat genö»
thigt. D er erste Pius: ein Bruder des Hermas, der im zweiten Jahrhundert nach Jesus den (von Renan oft erwähnten) apo»
kalyptischen H irtenrom an schrieb. D er zweite, Enea Silvio de’ Piccolomini, ist als H istoriker, Kosmo» und G eograph, Rechtsforscher, PaedagogeAeneasSylvius in hohem Gedächt«
nißrang. D er dritte hat drei W ochen, der achte zwanzig Mo»
nate gethront. D er vierte, in sechsjährigem Pontifikat, das unterbrochene Konzil von T rient wieder aufgenommen und dessen D ekrete bestätigt. D er sechste starb als Gefangener Frankreichs in Valence, der siebente wurde erst durch den Sturz Bonapartes, der von W ien aus, 1809, überlaut die weit»
liehe Papstherrschaft für beendet erklärt hatte, aus der H aft in
Fontainebleau befreit. D er neunte, der als Liberaler begrüßt
w orden war, verkündete die D ogm en von der Unbefleckten
Em pfängniß M ariae, von der U nfehlbarkeit des Papstes,
prangerte im „Syllabus“ die achtzig schlimmsten Irrlehren der Zeit an, riß das Recht des O bersten H irten in die Fin*
sterniß mittelalterlicher Pöntifikalgewalt zurück, m ußte 1848 nach Gaeta fliehen und zwanzig Jahre danach den Franzosen, dann dem H eer Victor Emanueis Rom un d den Kirchen»
Staat hingeben. „N ich t ohne W ürde wich der Papst. Er selbst gab den Befehl, auf der Engelsburg, da es nun einmal nicht anders war, die weiße Fahne aufzuziehen. D en T ruppen, die gekommen waren, ihn zu vertheidigen, gab er bei ihrem A bzug von der H öhe der Stufen von Sankt Peter seinen Segen. Er zog sich auf seine päpstliche A utorität zurück, deren ungehinderte A usübung ihm die Italiener allen anderen M ächten gegenüber garantirt hatten.“ (Ranke.) A n welchen Pius der Erkürte bei der Nam ens wähl dachte, hat kein Re«
porter 'ergründet. U n d der allerharmloseste, das Täubchen im Schwarm der Nachrichtenpicker, trug im Schnabel die M är, ein Papst könne auch „unpolitisch“ des Amtes walten.
D as zweite Gesprächsthema ist immerhin ernsthafter zu nehmen. Sogleich nach der Einkleidung hat Pius der Elfte von der A ußenloggia des Vatikans den Segen gespendet.
H inter dem großen G oldkreuz erblickten hunderttausend A ugen das weiße G ew and, die gehobenen, ins W eite ge*
streckten Arme mit blitzendem Ringschmuck auf den Fingern, die rothe, mit goldenen Fäden bestickte Stola u nd drüber den kräftig» freundlichen K opf mit grauschwarzem Borstenhaar, weißer Calotte und funkelnder Brille. In der Anzeige des Konklavemarschalls Chigi stand, der Papst habe sich in der A ußenloggia gezeigt, um zu bekunden, „daß sein Segen nicht nur der auf dem Petersplatz versammelten M enge, auch nicht nur dem Volk Roms und Italiens gelte, sondern allen Völkern u nd Ländern, als A usdruck heißen Sehnens nach Rückkehr des Friedens in unser W eltall“. Stand aber auch, Seine Heilig«
keit sei durch Schwur in W ahrung aller unverletzlichen Rechte der Kirche, aller Rechtsvorbehalte des H eiligen Stuhles ver«
pflichtet. Also auch u n d zunächst des Rechtes auf den Kirchen«
staat un d dessen Ewige H auptstadt; des Vorbehaltes, der da«
durch fühlbar w ird, daß der Papst, als Gefangener der Savoyer
und ihres w eißen Roms, nur im Mauergehege des Vatikans,
180 Die Z ukunft
nicht draußen je sich dem A uge zeigt. W eil D ieser heraus#
trat, wähnet Ihr, sei der wichtigste Vorbehalt gefallen? Alte Priester schütteln den Kopf. „Sonntag war auf dem Platze Sancti Petri das G edräng so dicht, die von hastiger Ergießung solcher M enschenfluth in den Innenhof, vor die Loggia der Segensspende drohende G efahr für Leib u n d Leben so offen«
bar, daß ein H ausprälat einen W arnzettel schrieb, der bis in des Konklaves Geheim nißstille drang un d den elften Pius be«
stimmte, von dem Brauch zu weichen, der seit den G rolltagen des neunten als heilig gilt.“ N u r der äußeren O rd n u n g wegen, um M enschenknochen zu schonen un d von der G eburtstätte neuen Pontifikates schwarzes O m en abzuwenden, wie N ikolai A lexandrow itsch am K rönungtag es über zerquetschten Kör«
p em aus dem C hodinkafeld bei M oskau, seinem Rom, auf«
dunsten sah? Alles nicht Greise weigert den G lauben. Mon»
tag, am W ahltag, war morgens Regenwetter; der Platz, bis über die M ittagstunde hinaus, gar nicht übervoll. Ihr, Alte, wollt nur das tief bedeutsame Symbolon entkräften. W ärs, wie Ihr wispert, dann hätte der C higi nicht die Ceremonial*
änderung in seinem Erlaß unterstrichen. D en aber hat der Heilige Vater selbst diktirt. Allen, wollte er, solle dieser G estus künden, daß die Gefangenschaft vorüber sei und das H au p t der Christenheit frei wieder, von jedem Blick um«
fangbar, himmelan rage. G erade Ihr Aelteren könntet doch
bis in den Juli 1881 zurück denken. Pio N o n o , der, seit
die T ruppen des Savoyers, am zwanzigsten September 1870,
durch die Porta Pia eingezogen und von ihrem M arschtritt
die päpstlichen Saekularrechte auf Rom zerstampft waren,
das vatikanische G ehöft nicht mehr verlassen, von keinem
Fenster noch A ußenbalkon sich der M enge gezeigt hatte,
war to t und sollte, nach seinem W illen, in San Lorenzo fuori
leM ura beigesetzt werden. In der von dem G roßen Konstantin
im vierten Jahrhundert über dem G rab des Heiligen Lorenz
erbauten, m it antiken Säulen geschmückten Kirche, die, nah
beim Q uirinalpalast, näher dem Viminalhügel, „außerhalb
der M auer“ Aurelians liegt. In der Julinacht des Begräbnisses
w urde arger T um ult; Handgemenge Schwarzer mit W eißen,
Päpstischer mit Königischen. D as war die letzte offizielle
181 Begegnung des Fapstthum es und der italischen „W elt". U nd die Kirchenverfassung, die Pius der Zehnte 1904, am Tag nach der W eihnacht, unterschrieb und der jeder Kardinal, jeder Papst sich durch Eidschwur verloben m uß, hindert V er
zicht auf irgendein Recht, einen Vorbehalt der Kurie. D en
noch hat der neue Papst nicht ohne vorbedachte A bsicht auf W irkung sich dem M enschengekribbel, der Inbrunst und der Gaffgier, auf dem PlatzPetri, gezeigt und diesen viel
beredeten A kt nach der K rönung wiederholt. N ach Krönung, die der O rgie knechtisch vor Bildgöttern zu H uldigung sich in Staub wälzender Asiaten mehr ähnelt als einem W eihfest euro
päischer Christen im zwanzigsten Jahrhundert. Veilchenfarbige Bischöfe, rothe Eminenzen, Seide, Sammet, Brokat, Damast, auf kirschrothen, purpurnen, grasgrünen, m arinblauen W af
fenröcken strotzende G oldstickerei; Geschmeide gürtet die H üften, blitzt von gepflegten H änden; ringsum eine Fuge aus G old und R oth; und auf goldener Ruhstatt, unter Pfauen
federn, zwischen silbernen T uben, die seinen Ruhm singen, in W eihrauch . . . der G o tt? D er weiße, von Edelsteinglanz schimmernde Folger des Kruzifixus. D as ist draus gew orden?
D am it Dieses werde, m ußte auf G olgatha der Reinste vor Schaupöbel in D urst verschmachten, der G ütigste in Q ual ver
gehen? V on solchem Prunkspektakel schritte er aufrecht, zu neuer Kreuzigung, den kahlen Sandberg hinan. Leset D osto
je w sk is unsterbliche Zwiesprache des Christus mit Einem, der sich C hristi Folger heißt: und lernet erkennen, daß es so werden m ußte. So wird, durch O pferung des Geistes und W ahrung der M acht, auf H öhen, in Tiefen, in Rom und M oskau, noch heute, „Erfolg“. U n d D er wohlig in G loria badet, hat zuvor dem üthig gestöhnt: „ N o n sum dignus . . . “ Achilles Ratti galt als der gelehrteste Bibliothekar der Römerkirche. Er hat die von dem Kardinal Borromeo, dem heilig gesprochenen Hexenverdammer, Ketzeraustilger und (trotzdem ) H umanisten, begründete, mählich mit kaum noch überblickbarer Fülle der herrlichsten Meisterwerke, Drucke, Gemälde, Stiche, Handzeichnungen, H andschriften ausge
stattete Biblioteca Ambrosiana in M ailand, danach die des Va
tikans geleitet, viele Aufsätze aus der W issenschaft des breiten
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D ie ZukunftKreises seiner Fachkenntniß veröffentlicht; 1 iestGriechisch un d Hebräisch, spricht Lateinisch, Französisch, auch D eutsch fast wie seine M uttersprache und kann sich mit Briten bequem ver*
ständigen (H atalsonochm ehrZ ungenals D eusdeditR athenau un d A dlons Portier.) D eshalb, u n d weil der Kardinal»Staats»
sekretär G asparri und der Jesuitengeneral Ledochowski den gelehrten Priester, der seine Sympathie mit den W estm ächten an keinem Kriegstag verbarg, m it starkem N achdruck em*
pfählen, schickte Benedikt XV. ihn als A postolisch Bevoll«
mächtigten in das von den W ehen des Abstimmkampfes durchkram pfte Oberschlesien, später als N u n tiu s nach War«
schau. D a bewies er persönlichen M uth: blieb ruhig, wäh«
rend manche Zierde der Slachta das theure Leben in Sicher»
heit barg, in der von Trotzkijs Rothem H eer nah gefähr«
deten Stadt und schnitt Lobsprüche mit dem W o rt kühlen Spottes ab: „Ich sehe hier falsche Polen, die mich gefähr«
licher dünken als ein Bolschewik; was von dem zu erwarten ist, weiß man ja.“ D en „echten“ Polen ward er brüderlicher Berather u nd Helfer. D ie (nicht immer übertreibende) Schil«
derung des Leides, das, in Friedens« und Kriegszeit, Deutsch«
lands Beamtenschaft und H eer der N ation und unzähligen Einzelwesen bereitet hatte, erschloß ihnen sein mitleidiges H erz und hürnte es so hartschwielig gegen deutschen Macht«
brauch, daß Benedikt selbst, der Franzosenfreund, ihn „ein Bischen zu polnisch“ fand. Niem als aber war ihm unbillige Parteinahme wider deutschen Rechtsanspruch nachzuweisen.
U n d in einer Stunde des Aergernisses lernte er die Jäheit polnischen Stimmungumschlages, die schwankende Erschein»
ung polnischer (n u r polnischer?) D ankbarkeit fühlen. N ach mehrwöchigem A ufenthalt in O ppeln besuchte er, ohne Furcht vor M ißdeutung, den breslauer Erzbischof, Kardinal Bertram, um vor der Heim kehr in die warschauer N u ntiatu r mit ihm zu besprechen, wie, zunächst, die Heerhaufen deutscher und pol«
nischer Klerisei, K inder und K ünder der selben Kirche, in fried«
lieh stille H altung zu überreden, sanft zu zwingen und
bald in Gemeinschaftempfinden zu versöhnen seien. N ach
langem Gespräch glaubte er sich mit dem deutschen Kardinal
im W ollen einig: und las am nächsten Tag in der oppelner
Zeitung einen H irtenbrief, von dem Bertram ihm nichts ge*
sagt hatte und der den Polen unhold ins O hr klingen mußte.
D er M ahnbrief war fertig, wohl schon in Satz: und der nur zu Erörterung dieses Gegenstandes nach Breslau gekommene Sendling des Papstes hatte kein W örtchen daraus, keins auch von solcher Absicht gehört. List oder Vergeßlichkeit? D en Polen war, Regirern, A del und Masse, nicht auszureden, daß der N u ntiu s zu dem ihnen widrigen Diözesanschreiben mit«
gew irkt habe. Statt dem W o rt des freundlich Bewährten zu vertrauen, hielten sie sich an das D atum und verschrien Mon«
signore Ratti als doppelzüngig. Eiskälte wehte in W arschau den Kömmling an. Im Reichstag (Sejm) w urde seine Aus«
Weisung, in der vatikanischen Staatskanzlei seine A bberufung gefordert. Zuerst, sprach er, lächelnd, doch ohne Herzens«
heiterkeit, „haben die Deutschen mich als verschmitzten Teufel gemalt «und jetzt thuns die Polen.“ Enttäuschung. Raptim transit? N icht ganz so rasch, wie der W appenspruch hoffen läßt.
N ach langem Bronchialleiden, das ihn ins Haus band, schied der N untius aus W arschau. W urde in Rom, durch Gasparris H uld, schnell und reichlich entschädigt: durfte das Veilchen«
kleid des Bischofs anziehen, auf den Priesterthron des Erz«
bisthum s M ailand steigen, den K ardinalspurpur tragen. Den G roll der Polen hat der ungemein kluge G raf Ledochowski,
„der Schwarze Papst", ge wiß längst, als rechtlos aufgewuchertes U nkraut, auFgejätet; und der ihm in der Societas Jesu unter«
thane Pater Ehrle, der in der Vatikansbibliothek Rattis Gesell war und Folger wurde, mag die M ißm uthsbleibsel wegge«
harkt haben, die den lom bardischen von dem schlesischen K ardinal trennten. N och ehe das Konklave begann, hat der Erzbischof von Breslau in Rom den von M ailand besucht, der danach einem Vertrauten sagte, die Schatten seien ge«
schwunden. U n d unter den ersten Audienzen, die der gekrönte Papst Pius zuließ, war eine dem Kardinal Bertram gewährte.
D eutschenfreund? A lte K naben, deren Starr blick in Deutschland, noch immer, den N abel des Universums be«
staunt, stellt die Frage und erstöbert ihr aus Geträtsch Ant«
wort. Pius, der frommen H aß des nach seiner (irrenden) M einung tief in Rebellion neigenden protestantischen Ketzer«
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184 Die Zukunft
thum es nie hehlte, w ird Gegenreformation in D eutschland nicht versuchen. D as w ird, unter der Deckschicht schon seit drei Jahren, von der K atholikenpartei regirt und ist im Innersten mehr rekatholisirt, von T on und Farbe lutherischer Staatskultur heute schroffer geschieden, als Kurzsicht noch ahnt. A uch Revolution (u nd was sich so nennt) opfert, die M acht oder mindestens den Personal erfolg ihrer M acher zu wahren, ohne zähes Sträuben den Geist. Als der m it Be*
w ußtsein ungelehrte, von der Volksschule n ur bis an die Pforte der O rthographie und O rthogram m atik geführte H err A dolf Hoffmann, der H öhner des Dekaloges, preußischer Kultusminister w urde, nahe T rennung der Kirche vom Staat ankündete (und H err Rathenau, der jetzt in A ndacht am G nadenborn des Centrum s kniet, von dem Plum pen die
„A usräucherung der verdammten Pfaffen“ erhoffte), sah w ohl N iem and voraus, daß bald danach der Reichstag deutscher R epublik aus Kanzlersmund einen H ym nus auf den Papst, der über „Luthers N iederlage“ frohlockt hatte, hören und nickend hinnehm en werde. A u f dieses D eutschland wird Pius nicht unfreundlich schauen. Seiner harrt andere Sorge.
D ie Versöhnung des Savoyerstaates mit der nachgewachsenen Kirchenmacht ist ein in der Stille halb schon gelungenes Parergon, das durch H ast und Lärm nur gehemmt, zerbröckelt werden könnte. Zwischen W est und O st den Glaubens«
spalt zu schließen, die römische un d die ihr vom Schisma entrückte graeco»slawische Kirche wieder in Einheit zu über«
kuppeln: hierhin w inkt die großePflicht; wer ihr genügte, darf sich, er allein, rühmen, das Katholikon zurückerlangt zu haben.
Dämm erte dem Paar Benedikt» Gasparri diese E rkenntniß?
Sein zweitgrößtes W erk war die G ründung des Römisch«
Orientalischen Institutes, auf dessen Vorsitz der Papst selbst stieg, für das er viel G eld hingab, dem er in dem Kardinal M arini, seinem Freund, den kundigsten Secretarius bestellte und, wider alles M urren und W ühlen der mächtigen Con«
gregatio de propaganda fide, die Aufgabe zu wies, Katho*
liken, O rthodoxe, dem Patriarchat und dem Exarchat unter«
thane O rientchristen mit gleicher Fürsorge zu betreuen. D aß
er zwar dem verkümmernden Klerus Armeniens ansehnliches
Almosen gewährte, nie aber gegen die Menschheitschmach des Armeniergemetzels mit der vom H au p t der Christenheit zu fordernden W ucht Blitz und D onnerkeil schleuderte, war von dem W unsch erwirkt, sich den Khalif nicht zu verfein*
den, auch M ohammedanern sich als väterlich milden Völker«
hirten zu empfehlen: un d wird von den Türken mit dem Plan bedankt, in Konstantinopel, nur aus M uslimspenden, dem fünfzehnten Benedikt einDenkm al zu setzen. (D as ist draus ge«
w orden? W ieder reckt sich die Frage. Das, von G nade der Kriegskonjunktur,aus dem C hristenthum der Kreuzfahrerzeit.
Piaster derjanitscharenenkel bauen in der den O stchristen ge»
raubten H auptstadt dem Erben U rbans die Ruhmespyramide.
D eus lo v ult?) D as der K urialpolitik allzu lange entfremdete England hat wohl gar nicht gemerkt, wie innig in Südost»
europa* und Vorderasien die pariser der päpstlichen Diplo«
matie gesellt war. Benedikts Versuche blieben „diplomatische Rekognoszirung“ ; und eine nach N o rd ost gerichtete war, vielleicht, auch das (künstlich um w ölkte) Ziel von Rattis polnischer Mission. D adurch w ürde erklärt, daß den Nun«
tius der Einzug der Bolschewiken nicht schreckte, die Ge*
legenheit zu V erhandlung mit ihnen nur lockte. In Polen, schrieb 1598 ein N u n tius nach Rom, „schien durch griechische un d preußische Ketzerei gestern unser G laube gefährdet;
heute trägt er den Ketzer wahn zu G rabe“. A us Polen kamen die Papstboten, die Rußlands Bekehrung vorbereiten sollten und deren im sechzehnten Jahrhundert letzter, Comuleo, von der Lippe des Zars Boris G odunow dem achten Klemens die freche A ntw ort zutrug: „M oskau ist jetzt das wahre Rom, der Fels rechten Glaubens, und auf meinen Befehl hebt meines Volkes G ebet mich als den einzigen wahrhaft christlichen Herrscher auf Erden an G ottes Ohr.'* In dem Falschen D m itrij blühte den Römern eine Hoffnung auf. Schützling des N untius Rangone, willig in Roms Religion bekehrt un d da*
für mit der A nerkennung als Zarssohn und, nach G odunow s T o d , als Zar belohnt, einer frommen Polin verm ählt, im Kreml von Jesuiten, Dom inikanern, Franziskanern um ringt:
morgen wird die weiträumige Rossija des römischen H irten
W eide. D och gerade das laut betonte Römerthum wurde
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D ie Zukunftder erste Stein, über den, wie im G utshof der blinde Bettler, dieser D em etrius strauchelte. Einen, der ihre Heiligen nicht ehrte, den Schoß eines nicht nach ihrem Ritus getauften W eibes besäte, in Bad und M ahl sich von ihnen schied, durften, wollten, konnten die Russen nicht auf Ruriks T hron dulden. N och heute würden sie, aus viel heftigerer Glaubens»
gährung, sich nicht gen Rom wenden. A us den hurtig schwel«
lenden Baptistengemeinden aber, aus fanatischer Inbrunst Verzweifelnder, von Popen, Synod,M etropoliten Enttäuschter, nach neuer H eilsbotschaft Lechzender ließe ins Patrimonium Petri sich wohl ein N othbtückchen zimmern. D ie in rothen Stein gemetzte W arnung, Religion sei „O pium fürs Volk“, hat die moskauer Beierfluth nicht gedämmt. W ird der be*
hutsam en Kunst des elften Pius tiefere W irkung gelingen?
Er w ar, wie Klemens V III., des Papstwillens Sprecher in Polen, hat dort den Ruch aus noch unverwehter Spur des Russenthumes eingesogen u nd konnte dessen Sonderheit und Seelenbedürfniß ahnen. D aß er (in allem Geschreibe fand ichs nirgends erw ähnt) ein Weilchen auf deutschem Boden, längerdicht an dessen alter Grenze gelebt hat,h ebt ihn aus der Reihe unserem Erinnern naher Päpste. Innen werth und Außen«
glanz aber kann sein Pontifikat nur aus O st erwerben: wenn es O rient und Occident wieder in einen G laubensring schließt.
Friedensschluß mit dem Königreich Italien ist Parergon.
A us Rankes wasserklarem G eist tauchte der Zweifel, ob der Papst ohne weltliche M acht seine „geistliche A utorität“ be«
wahren könne. N u r Taube hörten die A ntw ort noch nicht.
N ie war das schwarze Rom des weißen H irten mächtiger, niemals breiteres G ebiet seinem Einfluß offen als seit dem T ag des Piem onteseneinbruches durch die Porta Pia. W er plant heute „K ulturkam pf“ (dessen Feuer sich von Erinne«
rung an den Elendsjammer im Kirchenstaat un d von den Funken aus päpstlichen Scheltbullen, Schimpfreden nährte)?
W er wagt, Loyolas selbstlos tapfere, geistig stählern gerüstete
Söhne so zu malen, wie noch der junge Treitschke, selbst
H eyses helles W eltkindsauge sie sah ? Tröpfe nur schmähen,
als M üßiggänger, Zinsschleicher und H urer, die Mönche,
d enen die M enschheit zwiefache Rettung unersetzlich edlen
K ulturhortes u n d seitdem manche schimmerlose W o hithat zu danken hat. Viel zu weit schlug, wenigstens in D eutschland, das Pendel schon aus. Unsere Liberalen, bürgerlichen un d auf dem M arkt noch proletarisch vermummten Dem okraten umkriechen mit wedelnder Ruthe das C entrum und ver*
scharren mit Fuß und Pfote das G edächtniß des finsterem W ahn, eng gebundener W eltauffassung entkeimten Völker*
leides. Roms W ehstunde schlägt erst, wenn sein Trium ph sichtbarer, dem Gewimmel fühlbarer wird. D ann auch in Italien. W eisen Priestern ists nicht verborgen. D ie denken sich drum den Friedensschluß mit dem W irthsstaat nicht so simpel, wie ihn Zeitüngler auf Blockzettel kritzeln. W er mit Siegeskunde aus dem Vatikan, mit Alarmschrei von offizieller
„V ersöhnung“ Liberale, Sozialisten, sogar den unkirchlich völkischen Theil der Fascisten aufrüttelte, thäte dem Haus*
halt des H eiligen Vaters schlechten Dienst. W ozu denn Rück«
zug, V orbehaltsopfer, geschriebener und besiegelter P ak t?
W ozu in M ittagslicht die A usstellung staatlicher und kirch*
licher Sozietät, deren Anblick die Frage nach der Vereinbar*
keit katholischer m it modern«liberaler G rundlehre wecken m u ß ? Alles hat seine Zeit; und die Roma Petri, „patiens, quia aeterna“, konnte warten. N och dem dreizehnten Leo schien das V erbot nöthig, A bgeordnete zu wählen, W ahl an*
zunehmen; und die Frommsten gehorchten. Schon unter dem zehnten Pius war das V erbot entkräftet, veraltet. U nd Bene*
dikt w urde der Schöpfer, sein Vertrauensmann D on Sturzo der O rganisator der Katholischen Volkspartei, jeder Piiester ein W eiber un d W ahlagent für diese Popolari. N u n wählten die Frommen und wurden gewählt. Im ersten A nlauf er*
stürmten die Popolari ein Fünftel aller Kammersitze imCitorio«
palast; waren über N acht im Staat eine G roßm acht geworden und stellten den Kultusminister, dem alles geistliche G u t unterthan und die A usführung der dem H eiligen Stuhl ge«
währten Bürgschaftgesetze anvertraut ist. D as war nur ein Anfang. Ist aber dieses Italien des dritten Victor Emanuel noch das des zweiten, den Priesterm und Räuber und Kreuzes«
Schänder schalt? Kann ein auf die Popolari gestützter, von
ihren M inistern (schon warens zwei) mitregirter Staat der
188
Die ZukunftKirche feind sein, als ihr Erzfeind verschrien w erden? D on Sturzo ist mächtiger als irgendein N icola oder Bonomi; ists so lange, wie seine Partei selbständig, nicht in blinden Ge«
horsam s Pflicht gefesselt scheint: und hat deshalb von Bene«
dikt die Zusage erwirkt, Zw ang in G laubensbekenntniß und Planensunterwerfung habe kein den Popolari Zugehöriger je zu fürchten. Dieses starken, leis geschichteten Baues Grund«
mauer w ürde rasch brüchig, wenn Vatikan und Q uirinal lärmende H ochzeit hielten. D ie Regirung ließ drucken, auch diesmal sei ihr, sei dem Königshof keine amtliche M eldung vom T ode des Papstes zugegangen. Fürst Chigi m ußte die unverletzlichen Rechte, un verjährbaren Vorbehalte der Kirche dick unterstreichen. H inter Nebelschleiern w ebt feines Ge«
spinnst sich fester. D em von der A ußenloggia der Pontifikat«
pfalz die Völker Segnenden liegt, kleiner noch als dem Papst M ontecatinos ein Reich und ein Fürst, der Italerkönig zu Füßen; schrum pft er zum Knirps. Ist er morgen nicht mehr, w ird auch hier R epublik: nur der Papst ist auf dieser auch von Gott« N atur gesegneten Erde dann noch Sou verain. „Stat crux, dum volvitur orbis.“ Ehe der G laube verblüht, der in Prunk thronende Papst sei des armen galiläischen W anderrabis, des Gekreuzigten Statthalter, W illens voll Strecker, w ankt die Papstresidenz, der D om nicht von felsigem G rund. Pius wirds weislich besinnen. Er war in D eutschland. N u r eine Partei hat dort, seit der U m ordnung in Reich und Ländern, ihren Kahn leidlich klug gesteuert: die der Katholiken. Sie hat den Um«
stürz nicht gemacht, doch genutzt; und wenn morgen wieder Kaiserei würde, dürfte sie, die doch, nach eigenem G eständniß, nie zuvor schwächere Köpfe hatte, sich der Rettung alles 1918 noch Rettbaren rühmen. W ozu steter Frontalangriff, die Büffel«
Strategie hitzigen Anrennens wider D rahtverhau und feste Ver»
schanzung? Benedikts unverkuttetes Heer hat auf Strümpfen den von Crispinern un d G iolittinern eingelullten Staat be»
schlichen und ohne Geräusch und Freudenblinklicht, ein paar strategisch wichtige Posten besetzt. Alles nochU ebrige findet sich, ist die Zeit erst erfüllt. D eutschlands N ationalisten be«
schluchzen das M arthyrthum ihres allerdurchlauchtigsten,
allergroßmächtigsten Kaisers, Königs und H errn, zetern wider
die Anklage, W ilhelm , Bethmann und deren Gesinde seien, durchLügengewohnheit, wildesGefuchtel undTheaterdonner, der das G efurz in schon volle H osen Überdrohnen sollte, an dem A usbruch des früh in U nfruchtbarkeit verfluchten Krieges schuldig geworden, und möchten den M achtstand von 14 zurückerzwingen, mit Gewalt die Republik stürzen, den „Feindbund“ vernichten, den „Schmachvertrag“ inFetzen reißen, dem Armleutevolk die W onnen allgemeiner Wehr»
dienstpflicht und U nterthanheit sichern. Statt popolarisch vorzugehen,dem wieringer W ilhelm nachzusprechen, die Frage nach derStaatsform sei morgen und übermorgen belanglos, auch später nur von Mehrheitwillen zu beantworten, von Schuld und Schmach, endlich,zu schweigen, sich sacht in warme Verwalter«
nester zu setzen un d dem Sieger zu erweisen, auch mit ihnen sei, ju st mjt ihnen ein „effektives“ Staatsgeschäft zu machen.
Im n e u n t e n H ö l l e n k r e i s
W eil sie D as nicht thaten, weil sie immer nur Grimms«
gesichter und Faustgeball präsentirten, gelten sie den Ver»
tragspartnem als Rachekriegsbrüter un d wilde M änner, mit denen über G ew ordenes, W erdendes nicht zu verhandeln sei; hat sie, am achten Februar, H err Lloyd George im H aus der Comm ons wieder laut angeklagt, die deutsche Jugend in rachsüchtigen Erobererdrang zu verleiten und dadurch den Frieden des nächsten Europäergeschlechtes arg zu ge»
fährden. U nd wir können dem Right H onourable nicht ein»
mal barsch widersprechen. D unkler war unser Himmel noch nie. W ährend der Kriegs Wahnsinn w üthete, durfte aus schwärzester N acht noch H offnung aufflattern. Helle m ußte ja, m ußte bald das Ostgewölk säumen und Lerchenruf das N ahen des Taggestirns, den Aufstieg der Vernunft ankün»
den. M it D onnergang kam sie, im Sturm der H oren;
und in M illionen H erzen löste der Krampf alter Sehnsucht sich in laute, in heilig stumme Lieder überström ender Freude.
D ie aber war schon in W intersgrau vertont und klang
im M ärz dum pf nur noch, unhold wie N ebelhorn. D och
über ebbendes Wasser hob sich steil eine M öwe, schwebte
die H offnung auf neuen Sturm, der die Lügenpest wegwir»
190
Oie Zukunftbeln, nach dem ein reines D eutschland sein weide. Kaum Vor»
stellbares w urde seitdem uns Ereigniß: tiefer noch, hoher als vor dem N ovem ber 18 ist die H eim ath verschmutzt. Das, wie Jeder jetzt weiß, ohne Fatumszwang begonnene, drum die deutsche M enschheit entadelnde Massengemetzel hatte ge»
endet. Im Kleinen aber, im Engen währte der M ord weiter;
setzten die neuen Pfründner und Krippenfresser, gelehrig und munter, das alte Spiel fort. D ie schwerste Sorge, von allen die wehste, blickt nun nach der Jugend aus. Ist auch ihr Fittich lahm oder klebt er am Leim der Lüge, die Schlauheit dicht, wie ein im Schlammbach gewässertes Bahrtuch, über das Reich gespreitet hat? Entsetzende K unde bringt fast jeder Tag aus den Oberklassen der H öheren, den Hör»
sälen der H ohen Schulen und manchen Jugendvereinen der in „D em okratie“ umgeschminkten A sphaltpatterjohten von gestern. N irgends ein sanfter H auch n u r von D rang in Frei»
heit des Geistes, in Zrkenntniß wenigstens Dessen, was war, ist und werden m uß. D ie Sprudelköpfe, alle im schönen Jugendvorrecht des Schwärmens heimischen, seligen Geister werden gevehmt. N icht einmal den Schülern des Deutsch»
land, das vor hundert Jahren war, den glühenden Pantheisten, Republikanern, Bewunderern der H arm odios un d Aristo»
geiton, von denen Bismarck, zu greisenhaft spöttisch, erzählt, ähnelt das von A lten in blinde W u th verlogene, mit un»
sauberer Lymphe in N ationalzorn vergiftete Geschlecht, das heute erwächst. D en Bankeroteurs von gestern, die es aus der Pflicht zu Rechenschaftforderung verleiten, sich selbst in Ansehen und zinsender M acht halten wollen, jubelt, schnau»
benden Bonzen, deren Klitterschriften auf den A b tritt taugen, läuft es zu: und zeigt den paarM uthigen, die aufrecht in neue M enschheit streben, wie dem Stank aus H exenbreigefäß Rücken un d H intern. N u r den grauen Ordinarien, die exami»
niren, also selig sprechen oder verdammen dürfen, hängt die hastig in Amt, Pfründe, Bürgersbehagen vordrängende Ju*
gend an. Ist Deutschlands Volk Heiligem G eist verloren?
N icht seines Volkes Masse; fast sicher seine Bourgeoisie. Vom
Fluch gerechter G ottheit d o rrt sie; m uß im Schweiß des
Angesichtes sich Brot schaffen, in Kummerspein den Acker
191 bestellen und oft, statt nährenden Roggens, D orn und D istel ernten. U nrettbar ist sie verloren, wenn sie nicht in letzter Stunde noch aus Schandgenossenschaft sich löst. Ihr in allen Pfützen besudeltes Maul die W orthülse von Freiheit und Recht beschmatzen zu hören, ist so lächerliche Zum uthung, wie einst das feiste Erdreisten des Noskegenossen Ebert war, sich als Kämpfer „gegen Gewalt und U nterdrückung“ vor ge*
blendete A ugen zu pflanzen. W o der Profit, das Geschäft m it halb erst verdorbenen Erbsen oder Oeffentlicher Mei«
nung mehr gilt als W ürde, wird jeder Versuch, mit dem H inw eis auf metaphysische M ächte zu wirken, n u r als put«
ziger Zeitvertreib empfunden. D ie N ation, rufst D u, steht, die Volkheit vor der Frage, ob sie in Schande waten oder sich in Selbstachtungmöglichkeit retten w ill? Bist D u, Tropf, denn gewiß, daß Selbstachtung ihr A them bedürfniß ist? Von N utzen und Schaden, Vortheil und N achtheil m u ßt D u ihr reden: un d darfst sicher sein, daß sie Hoch«
gebirge erklömme, Ozeane durchschwömme, um von G rat oder Strand Tausendmarkscheine zu säckeln. D arfst aber nicht heischen, daß ihr, ihrer Demokratie, Republik, Rathenau«
wirthschaft sich die Jugend zuwende. Deren blutrünstiger W ahn noch überfliegt himmelhoch so eklen Schwarm. Laß ein Ideal aufleuchten: alle Sprudeljugend läuft ihm zu. W agst D u , den nationalistischen Jüngling zu schelten, der sich, in fadenscheinigem Röckchen, von Kolleg zu Kolleg durchhun«
gert und aus dem G raben der Verachtung, vom W all des Zornes auf die Reichspfründner, Staatsschlemmer blickt? W eil jeder Tag sie ihm vors A uge stellt, wirkt auf ihn die Lehre, von dem N ovem bristenfeld sei Heil nicht zu ernten, nur im Feuer feindlicherGeschützederG lücksreif.dieKronedeutscher Z ukunft zu schmieden und W ahrheit das W o rt Bonapartes am T hor der H absburgergruft: „M achtl Alles Andere ist W ahn.“
Vanitatum vanitas? „Jeder Tag, der uns nicht würdigem Frieden, vernünftiger Einordnung in die M enschheit nähert, ist verloren; dichtet das G erüst der von den drei West*
vormännern entworfenen Verträge ro c h fester. Verhandle,
R egirung; warte nicht auf das M orgenroth der öffentlichen
Konferenz, die dann Alles fertig fände. Erweise, daß_Deutsch»
192 Die Zukunft
lands M enschheit den Sinn des Krieges, der die letzten vier Kaiserreiche Europas und zwei D utzend Dynastien verschüttet hat,begreift, keine Schuld übertünchen, jede bestätigte sühnen, von dem W ahn des Gewaltrechtes sich in fromm en G lauben an die Allmacht gütigen Geistes bekehren will. Keine Lüge, kein H ehlerkniff je noch in D eutschlands D ienst 1 Das giebt sich nicht auf. M orgen flammt aus seiner Seele der M uth, das schwarze Verhängniß zu lieben/ 1 N och im Jahr des Zusammen«
bruches schrieb ich diese Sätze. V erhandlung wurde nicht, weder laut noch leise, erstrebt: und der siebente M ainachmittag 1819 fand in Versailles dann Alles fertig. D er einundzwanzigste sah auf Berlins Straßen in hunderttausend A ugen den amor fati aufglühen, den W illen zu Sühnung alles Sühnbaren, zu friedlicher M itw irkung zum M enschheitzweck und zu Ent*
bindung, Entfesselung des neuen D eutschlands, dem, noch immer, mit Lüge und H ehlerkniff genützt, das getäubt, in Stummheit gezwungen werden soll und das doch nach W ahr
heit, nach Zwiesprache mit dem W eltgewissen lechzt. W as hätte ihm dessen Stimme, was die V ernunft eines dantischen Vergils, des Führers durch H öllen, zu sagen?
„Laß D ir nicht von Ewig*Gestrigen und wüthenden N arren d en W ah n einschwatzen, an der A ntw ort auf die Frage, vor der D u stehst, hänge auch nu r das kleinste Stückchen D einer Ehre. D ie kann, ein von der Seele erworbenes, in die Seele gespeichertes G ut, kein Fremder D ir nehmen noch einer je ihr irgendein Q uäntchen zuwiegen. U n d wären die Friedens
bedinge zehnmal härter, als sie sind: im hellen Diadem Deiner Ehre erblindet kein Stein, weil D u dem Verlangen der Zwei
unddreißig D ich fügst. E hre, spricht D ein letzter W elt
philosoph, ist das äußere G ew issen, Gewissen die innere Ehre; sie kann Tugend (D as ist: tapfer angewandte V ernunft) nicht überleben, darf nicht, nach dem Spottw ort meines ver- lüderten Vetters Falstaff, als ein bepinselter Schild über einen Leichenzug ragen. D er aber wäre die Folge barscher A b
lehnung. G laube auch nicht, daß D eine W irthschaft in Dauer*
siechthum verdammt, unrettbar verloren sei. W as ihr fehlt,
hat der Krieg, nicht erst die N iederlage, ihr geraubt; hätte
Sieg, durch den weder der Innenhort D einer Ehre gemehrt
193 noch der anglo«amerikanische W ille zur Entzäunung der Be«
zugsquellen gezwungen w orden wäre, ihr niemals zurück«
gebracht. D ie Tüchtigen, die für fast alles unentbehrlich Scheinende im D ickicht der N o th ,Ersatz* fanden, werden G ew erbe und H andel in neuen, prunklos sich bescheiden«
den W ohlstand fördern. Lothringen, Luxemburg, Schweden, M arokko w ird Dir genug Erz kreditiren, um die Sechste«
lung Deiner Stahlproduktion zu hindern. In Rheinland Und W estfalen kannst D u , wenn fortan jedem Bergmann ein Theil des Arbeitertrages gegönnt w ird, die Kohlenförde«
rung so steigern, daß der Ausfall in W est u nd O st ver«
schmerzbar u n d , m it Braunkohle und W asserkräften, der (zunächst überall noch eng eingeschränkte) Bedarf durchaus zu decken ist. D ie Rinder, Schafe, M ilchkühe, deren Ab«
forderung D u so grell bezetern hörst, mindern Deinen Vieh«
stand um eins von hundert Stück, fallen für die Massen«
ernährung kaum schwerer ins Gew icht als für die Rohstoff«
einfuhr die Leistung D einer Kolonien; un d sind nur ein Theilchen des Belgiern un d Franzosen genom menen, von D einen Armeen aufgespeisten oder heimgesandten Viehs, an Z ahl ju st so groß nur wie die H eerden, die das kleine, arme Litauen D ir als T rib u t liefern m ußte. Frevelt der Sie«
ger, der sein Eigen vom Besiegten zurückheischt, und ist D ein Herz so weich, daß D u in N othstand auf die Rück«
gäbe geraubten G utes verzichten w ürdest, weil die Blöße des Räubers D ich jam m ert? A uch D u sprächest: ,M uß Einer von uns nackt frieren, so ziemt es Dem, der mir die H abe nahm*. D aß D u weder erfrierst noch verhungerst, son«
dern leidlich gedeihst, bis der U eberschuß D einer Waaren«
lieferung wieder das aus Eigenem nicht zu sättigende, zu kleidende Volksdrittel nährt, daß die Deutschen, die unter Polenherrschaft kom m en, nicht so rauh, so täppisch be«
handelt w erden, wie, fünf V ierteljahrhunderte lang, D ein
Preußen eine viel größere Polenschaar behandelt hat, daß der
Saarbezirk, das danziger Freihafengebiet, N ordostpreußen
nicht entdeutscht,gar deutschfeindlich werden: dafür und für
manches Andere bürgt mir der V ölkerbund (trotz dem Lord
Rathenau, der ihn .lügenhaft unheilige Alliance* schimpft.)
194 Die Z ukunft
Q uält D ich die G renzverrückung? Sie war gestern dem Besieg#
ten eingebranntes Schmachzeichen; ist heute der A nfang von Entstaatlichung, Internationalisirung, Sozialisirung: nenns, wie D u willst. Ist ein M ittel zur Verschmelzung von Völkern, die, weil sie einander nicht kennen un d hart im engen Raum stießen, H aß geschieden hat und die einander doch nütz«
lieh ergänzen können und morgen müssen. Ist ein Meilen#
merkstein auf dem in hohem Bogen über das Wildenvor«
urtheil gegen Frem dblut, Fremdglauben steilan bis in das Empyreum der M enschenbrüderschaft führenden W eg. Die»
sem jun g sprossenden G edanken, nicht einem U eberw inder, giebst D u Landstücke hin; und brauchst dam it für Erste nichts Anderes einzuhandeln als das Recht, die auf diesem Land (D ir erobertem Frem dland: denke dranl) siedelnden D eutschen in freier W ahl selbst ihr Schicksal bestimmen zu lassen, und die schleunige Aufnahme indenV ölkerbund. D ann bist D u geborgen. D urftest D u hoffen, der Kelch, aus dem alle Völker Bitterniß tranken, werde D einer Lippe, nu r ihr, vorübergehen? D urfte Gewissen in D ir diesen W unsch hegen?
D aß auch in anderen Reichen M achtgier u nd Ruhmsucht die in Damaskus und Tanger, Bagdad und A gadir, auf der Vogesenhöhe, an Englands Küste und dicht neben Rußlands Südostflanke angezündeten Feuer schürte, ist gewiß. W ischt aber nicht die Thatsache weg, daß der im A ugust 14 auf«
geflackerte Krieg an H avel und Spree beschlossen, entfacht, erklärt, begonnen worden ist. Deine Regirer, die mit dem Plan solchen Krieges schon ein Jahr zuvor gespielt hatten, ersannen die Lügen von Verschwörung und Ueberfall, Fliegerangriff und Grenzverletzung. Sie zu strafen, das G ift ihres Athem s auszuspeien, stand das von Taum el erwachte D eutschland zu Revolution auf. W ill es das Bekenntniß der Regirerschuld, die ihm das G rundrecht und die Ehrenpflicht zu Revolution gab, nun hehlen, weil auf seiner Zinne noch Reichswächter sitzen, die (nach dem versailler Zornw ort des sächsischen M inisters Schwarz), vier Jahre lang den Parteigenossen und Gewerkschaften beschworen haben, D eutschland sei schänd«
lieh überfallen worden*, und die um keinen Preis ihren Fehl,
Irrthum oderU nw ahrhaftigkeit, entschleiern m öchten? Auch
nicht, wenn nur dadurch die Heim ath zu retten ist? Deutsch«
lands Kaiserliche Regirung hat zuvor unahnbares, nie ganz tilgbares Leid in die M enschheit gesät. W enn das Vaterland solcher U nheilstiftung m it gesundem H irn und Herzen, nach Chirurgeneingriff, der kein H auptorgan verletzt, den Fall seiner W ehrm acht überlebt, taugt ihm Glockengeläut eher als schrille Beschwerde. D aß D u die Pest überdauerst, dankst D u der Leistung des Volkes. D aß es seitdem, wie D u selbst sagst, sich tief entsittlicht hat, wird durch den Lügennebel, worin man es hält, leicht erklärlich. Laß es erkennen, was ist, bekennen, was war, aus Selbstvergottung und Feindver«
teufelung in die Klarheit des W illens zu Sühne un d Läute«
rung steigen. D ann lernt es sein Schicksal, dessen schwarzes Verhängniß in der den Kömmling froh umfangenden Völker*
gesellschaft sich bald lichtet, als das W erk untrügbarer All«
gerechtigkeit lieben, langt, als nach der allein ihm frommen«
den Ehre, nach der Sühnmöglichkeit; und schreitet, erhobenen H auptes, mit hellem Blick, durch die neun Höllenkreise, über die sieben Büßerterrassen in das D ritte Reich edler M ensch
lichkeit, dessen T h or nur den von H ofart und Praßlust, N eid und Geiz, Lüge und H aß Unheilbaren sich niemals entriegelt.“
Sind wir schon im neunten Höllenkreis dantischer Vision?
Jede M ittagssonne treibt aus Schnee neuen Versuch, Deutsch«
lands Rückblick zu blenden. Im M ilitärwochenblatt (emp«
fängt es etwa noch „Subvention“ und wozu überlebt es, bei dem Lohn, Papier« und Druckpreis von heute, das in Ehre entschlafene H eer?) ficht der Heilige Erich für W ilhelms (der ihn grob hinausw arf) und Bethmanns (der ihn als „Deutsch«
lands bösen D äm on“ begreinte) U nschuld am Kriegsausbruch, als wäre sie ein Stück von ihm. Für diesen Unschuldbeweis, dem jeder zuvor Ueberzeugte, auf dem E rdrund kein An«
derer glaubt, auch nur lauscht, werden große Summen weg«
geworfen. Ein O ffizierbund w ähnt sich durch einen Artikel beleidigt, der, mit täppischer „violence ä froid“, kaltem Ge«
flacker, die Zahl der Stabsfrevel, Etapensünden fettig aufdunsen ließ; und wird mühsam nur, durch die Instanzensperre, ge«
hindert, den häßlichen Stoff noch einmal in grelles Licht zu
schleppen. EineKlammerfürdieselustig«lehrreiche Geschichte.
196 Die Z ukunft
Der berliner Staatsanwalt (Von Clausewitz) schrieb nach dem Strafantrag gegen den Totsünder: „Es ist auch keineswegs zu verkennen, daß derartige allgemein gehaltene und in be*
schimpfende Form gekleidete Presseangriffe geeignet sind, die um das Vaterland verdienten Offiziere des alten Heeres schwer zu kränken. Gleichwohl bin ich nicht in der Lage, die Anklage zu erheben, weil sie nicht durch das öffentliche Interesse ge*
boten ist. Es muß damit gerechnet werden, daß in der Haupt*
Verhandlung der Versuch gemacht werden würde, den Beweis der Wahrheit für die behauptete Thatsache durch Vorbringen einer großen Zahl von Einzelfällen zu führen. Bei der noch immer sehr gespannten innerpolitischen Lage würde unter diesen Umständen eine öffentliche Verhandlung der Angelegenheit nur geeignet sein, die politischen Leidenschaften aufzupeitschen und neue Mißstimmung gegen das Offiziercorps zu erregen, also weder in dessen Interesse noch in dem des Staates liegen. Ich bitte, den Mitunterzeichnern des Strafantrages, deren Adresse nicht angegeben ist, hiervon Mitteilung zu machen“. In der Beschwerde*
schrift an den Generalstaatsanwalt in Berlin sagen die Antrag*
steiler: „Wenn der Beleidiger wirklich den Versuch machen sollte, einen Wahrheitbeweis dafür anzutreten, daß das Offizier*
corps des alten Heeres schandbeladen sei, würde das Gericht diesen gesetzlich unzulässigen Antrag zurückweisen müssen. Wir haben so viel Vertrauen zu der Rechtsprechung der preußischen Gerichte, daß wir keinen Augenblick daran zweifeln, daß das Gericht die Unzulässigkeit derartiger Anträge ohne Weiteres erkennen und demgemäß beschließen wird. Es erscheint uns jedenfalls nicht angängig, die Verfolgung dieses unerhörten An*
griffes auf unsere Ehre lediglich deshalb zu unterlassen, weil das Gericht möglicher Weise einen rechtsirrigen Beschluß erlassen könnte. Das Gericht von einem derartigen verfehlten Beschlüsse zurückzuhalten, dürfte der Anklagebehörde sehr leicht fallen und sie wird sich dieser Aufgabe nicht von vorn herein ent*
ziehen dürfen.“ Der Generalstaatsanwalt antwortete: „Selbst wenn nur eine solche formale Beleidigung in Frage käme, würde der Wahrheitbeweis von Bedeutung für das Strafmaß sein können und daher von dem Gericht kaum abgelehnt werden. Aber es ist nicht unzweifelhaft, daß nur eine formale Beleidigung vor*
liegt; vielmehr kann sehr wohl auch der Standpunkt vertreten werden, daß die von dem Beschuldigten gebrauchte Wendung die Behauptung einer nicht erweislich wahren Thatsache ent
hält (§ 186 StGB). Dann würde aber der Wahrheitbeweis in
197 weitestem Umfang zuzulassen sein. Auf die nachtheiligen Folgen, die in diesem Fall die öffentliche Verhandlung mit sich bringen kann, hat der Oberstaatsanwalt bereits hingewiesen und daraus mit Recht den Schluß gezogen, daß die Erhebung der öffent«
liehen Klage nicht durch das öffentliche Interesse geboten ist.“
Aus der Beschwerde an den Justizminister: „Daß solche Einzelfälle gegenüber den tausend und abertausend Offizieren, die in treuster, aufopferndster Pflichterfüllung Leben und Ge*
sundheit für das Vaterland dahin gegeben haben, überhaupt * keine Rolle spielen können, muß selbst jedem Unbefangenen einleuchten. Es ist also völlig unverständlich, wie ein Gericht über derartige Behauptungen Beweis erheben sollte, die, selbst wenn ihre Richtigkeit unterstellt wird, für die Sache selbst ganz«
lieh unerheblich und belanglos sein würden. Derartige formal*
juristische Bedenken, die durch die wahren Thatsachen in keiner Weise gestützt werden, dürfen daher unseres Erachtens die Staats«
regirung nicht davon abhalten, die Ehre der Offiziere gegen öffentliche Beschimpfungen zu schützen. Anderen Falls würde man ihr Verhalten nur als einen Bankerot der Rechtspflege be*
zeichnen können.“ Der Minister antwortet: „Nach Prüfung des Sachverhalts trage ich Bedenken, im vorliegenden Fall ein öffent«*
liches Interesse an der Strafverfolgung anzunehmen. Ich sehe mich daher außer Stande, der Beschwerde Statt zu geben und die Staatsanwaltschaft zu einem Einschreiten anzuweisen.“
Im Instanzenzug ist die Satire geschrieben worden. D och die Entlastungoffensive w ählt fort. D ie Popolari Sturzos juckte niemals der W unsch, aus der Verwesung Schoß Werbe«
mittel zu holen, den stinkig schimmelnden Stoff aus der Z eit desPiem onteseneinbruches in unsere zu zerren. G enügt deut«
sehen N ationalisten nicht, daß, wie vor Kartoffeln verheißen*
den Kellerschildern die M enge sich, ganze Bürgerheere, jetzt zu einem Fritzenfilm drängt und beim Anblick einer pots«
damer Parade Langer Kerle, des in P urpur und Hermelin zum ersten M al im W eißen Saal Cercle haltenden Königs mit dem Jubel der Kehlen, H ände, Füße die benachbarten Raubthiere und Reptilien aus frommem Schlafe weckt? D aß in einem als Feier des aus Johannistrieb weggebrochenen Orchestermeisters Nickisch geplanten K onzert hundertm al mehr als von dem toten Slawodeutschen überall von der (ähn«
licher Paarung entbundenen) „K ronprinzessin“ gesprochen
198
Die Z ukunftw ard, „deren Anwesenheit den Festakt zu einem nicht nur künstlerischen Ereigniß machte“ : noch nicht genug? Lasset die Franzer, die M aikäfer in altem W ichs am G roßen Stern das Preußenlied spielen, aus Blech den Siegerkranz winden:
kein Shimmy, kein Angeilreigen ködert Euch solche Haufen.
D as ist draus geworden. Deutsche Republik. „W er hat denn von H öllenkreisen un d Büßerterrassen gequatscht?1*
N u n w ir d V e r k lä r u n g
Z u Einweihung der M odenw oche: Festmahl im Marmor*
saal des Zoologischen G artens. „Alle Schwarzseher mögen uns fernbleibenl“ H eymann, nicht H ohenzollern, spricht;
wilhelmisch zwar, doch nicht im M ajestätplural. „A uf dem durch fröhliche M usik und anm uthige Frauen in kostbarer Toilette verschönten Banket waren auch dieBehörden würdig vertreten“ ; und, versteht sich,die nicht m inder würdigen Mit*
esser der Presse. Die hat zwar erst ihren Ball hinter sich, für den W ochen lang alle Becken gerührt, Bücher, Bilder, Nadel«
und Federarbeit (von Menschen, denen die Presse Richters«
urtheil spricht), Parfüm und Leckerei in festlicher „Auf*
machung“ (von Firmen, die als Entgelt die jedes Inserat über«
trum pfende„Erw ähnung im redaktionellen T heil“ empfingen) erbettelt, alle O rden umgehängt oder eingehakt, Deutschen vierhundert, A usländern sechstausend M ark als Preis eines Logenplatzes abgefordert worden waren; hat aber schon wieder Theatervolk (das an ihrem G erichtsspruch fester noch klebt als der Schreiber und Bildner) zu W ohlthat für ihre Kasse eingegittert. W ann läßt der Richterverein die Cellys, Lolas und andere Sekt würzerinnen „Zum Besten seinerUnter«
stützungskasse“ in einem für diese Stunden von Miethzins befreiten Riesenraum hopsen? N och sind die Bilder vom Presseball, die ellenlangen Beschreibungen der „von weib*
liehen Sternen (Fixsternen und m obilen) der Kunst und Ge*
sellschaft entfalteten kostbaren und doch diskreten Eleganz“
(w er kotzt d a? Ich glaube, antwortet G alotti, ich wars selbst)
nicht tief vergilbt; doch jeder A bend ladet zu Dutzenden
öffentlicher, H underten privater Bälle. „Schwarzseher mögen
uns fern bleiben 1“ A uch Sozialistenbälle gabs. U nd jede
199 republikanische Excellenz wird vor jedes Tanz* oder Freß*
haus, von jedem, wärs in M orgengrau, im Staatsauto gefahren.
W ir habens dazu; und zetern, weil Studenten von so schweini*
schem Praß mit knurrendem M agen sich zu den alten Reichs«
färben kehren. Am A bend des Strikeausbruches waren die M inister Rathenauw irth (wenn der Erste sagt, sobald er den Rücken wende, mache der Zweite D ummheit, m uß er ihn frontal völlig beherrschen, m uß ich aus Zweien Eins kitten) Gäste auf einem Kostümball des Britenbotschafters. W oher ich D as w eiß? D er Philosoph, N ationalökonom , Soziologe, Professor D r. Ludw ig Stein, deutscher K ernpatiiot aus U ngarn un d jüdischer Präsident der krypto* antisemitischen „Mittwoch*
gesellschaft“, in der er, zwischen Generalen und Admiralen, oft auch H errn Rathenau, einem nie von Kabale und Liebe geplagten Präsidenten W alter, huldvoll „das W o rt ertheilte“, hats in der M ittagszeitung erzählt. D ie flog mir ins Haus.
D a nennt der treudeutsche M agyar, der Manchem, als Be#
sitzer sehr vieler berliner M iethkasernen mit buntem Belag, Haustauschprofessor, M anchem , in A ufstoßton, der Ull*
Stein heißt, von mir seit Jahren der letzte spekulative Phi*
losoph in „mechanisirter Z eit“ genannt wird, sich „Diploma*
ticus“. Nachdem er, in fast schon ausgestorbenem Reporter*
stil, alle in Berlin beglaubigten D iplom aten angehimmelt und eingespeichelt hatte (dieser M ist duftete dann aus Schwaden fluchender, schimpfender Artikelchen über die schändliche N iedertracht der Ententehäupter), belud er seine runden Schul«
tern mit dem Schwergewicht rastloser Barnumreklame für Un*
seren Rathenau (der ihn noch lustiger kaiikirt als seinen viel klügeren, nur in Uebereifer und A emterhäufung nichts Loh*
sisches ausschwitzenden Gönner*Kawassen aus dem Dunst*
kreis der Ull* und Stein* Tante). W eil mir geschrieben w ird, nächstens erscheine, zugleich m it einem Band rathenauischer Briefe an Tote und Lebende, eine Biographie, „dokumen*
tarisch belegt41, des Reportageprofessors, trenne ich mich fü r
heute von diesem G em üthvollen und schicke das Auge an
den Eingang zu dem Kostümball des Briten zurück. D er mag
und darf so viele Feste feiern, wie ihm beliebt. Deutsche
M inister, verantwortliche Regirer, die ihm gestern Deutsch*
2 0 0 Die Zukunft