* ' Monatshefte jg
■ Comenius-Gesellschaft. *
H erau sg eg eb en von L u d w ig Keller.
ig|t| Sechster Band. ||||
SjB ß S i e b e n t e s u n d a c h t e s H e f t . |Pmr|
S e p te m b e r— O k to b e r 1 8 9 7 .
fMVö/ß R . G a e rtn e rs V o r la g s b u c h lia n d lu n g wivjf
l u l l f $ H e r m a n n H e y f e l d e r .
D er Bezugspreis beträgt im Buchhandel und bei der Post jäh rlich 10 M ark.
Alle Rechte Vorbehalten.
Inhalt
d e s s i e b e n t e n u n d a c h t e n H e f t e s 1 8 9 7.
Abhandlungen. Seite
A d olf L a sso n , Ja co b Böhme. Rede zur Böhm e-Feier im Festsaale des Berliner R athauses am 4. April 1 8 9 7 ... 2 1 3 D r. H . Schw arz, D as V erhältnis von L eib und Seele 2 4 8
Kleinere Mitteilungen.
Die P län e des Com enius zur Gründung eines Collegium L u cis in U ngarn im Ja h re 1051 ... 2 7 2 Sebastian F ra n ck s U rteil ü b er die „W iedertäu fer“ und d eren an
geblich aufrührerische A b s i c h t e n ... 2 7 5 D es Joh an n D uraeus Em pfehlung des Comenius an den schw edischen
H ofprediger D. Jo h . M atthiae. M itgeteilt von Lic. Dr. T o l l i n in M a g d e b u r g ... 27G
Besprechungen und A n z e ig e n ... 278 Das Pantheistikon des J o h n T o l a n d . Übersetzt und mit Einleitung versehen von Dr. L u d w i g
F e n s c h (Keller). — F r . B o s s e , Prologomena zu einer Geschichte des Begriffes „Nachfolge Christi“ (Karl Mümpel). — F r i e d r i c h T h u d i c l i u m , Promachiavell (J. Gmelin). — D e u s s e n , Jacob Böhme und K a w e r a u , Jacob Böhme (H. Romundt). — P a u l N a t o r p , Grundlinien einer Theorie der Willensbildung (L . M.).
N a c h r i c h te n ... 283
Auffindung einer Sammlung von H e r r e n w o r t e n . — Das Theatrum Universitatis Kerum von C o m e n i u s . — E m i l i o C o m b a über die ital. Protestanten vor der Reformation. — G e o r g B a n k r o t t und S t e p h e n B. W e e k s über die Quäker. — F . T h u d i c h u m über die Einführung der Reformation und die Religionsfrieden von 1552, 1555 und 1648.
Zuschriften b itten w ir an den V orsitzend en d er C. G r . , A rchiv-R at Dr. L udw . K e lle r, B erlin W .- C h arlotten b u xg, B erlin er Str. 22 zu rich ten .
D ie M onatshefte der C. G . erscheinen m onatlich (mit Ausnahme des Ju li und August). D ie Ausgabe von D oppelheften b le ib t Vorbehalten. D er Ge- samtumfang beträgt vorläufig 2 0 — 2 5 Bogen.
D ie M itglieder erhalten die H efte gegen ihre Ja h re s b e iträ g e ; falls die Zahlung der letzteren bis zum 1. J u l i nicht erfolgt ist, ist die G eschäftstelle zur Erhebung durch P o s t a u f t r a g unter Zuschlag von 6 0 P f. Postgebühren berechtigt. — Einzelne H efte kosten 1 M k. 2 5 P f.
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F ü r die Schriftleitung verantwortlich: A rchiv-R at Dr. Ludw . K eller.
Monatshefte
der
Comenius-Gesellschaft.
VI. Band. 1897. s - Heft 7 u. 8.
J a c o b Böhme.
Rede
zur B öhm e-Feicr im Fcstsaalc des Berliner Rathauses am 4. April 1897 von A dolf Iiasson.
H o ch v e reh rte V ersam m lu n g !
E s is t n ich t d er Z u fall eines D atu m s, d er A b lau f ein er b e stim m ten A n zahl von Ja h r e n oder die W ied e rk eh r eines b ezeich nenden Ja h r e s ta g e s , was den A n lass geboten h a t, S ie zur F e ie r eines hervorragenden d eu tschen M ann es in d iese m it so d anken s
w erter G ü te zu G e b o te g e stellten glänzenden R äu m e einzuladen.
D ie A nregu ng dazu is t ausgegangen von d er S ta d t G ö rlitz , der ehrw ürdigen H au p tstad t d er O berlau sitz, die Ja c o b B öh m es, des d eu tschen P h ilo so p h en , an S e g en und an K ä m p fe n , an F r u c h t und an M ü hen re ich es L e b e n d erein st in ihren M au ern h at v er
lau fen seh en. D o rt soll dem b erü h m ten M itb ü rg e r, d essen die S ta d t als ein er d er ed elsten Z ierd en ih res g e sch ich tlich en L eb e n s m it S to lz und D a n k b a rk e it g e d e n k t, ein sein er w ürdiges D e n k m al e rrich te t und d am it zu dem reich en S ch m u ck e , d er die schöne S ta d t auszeichnet, ein neues G lie d von b esond erer B ed e u tsam k e it hinzugefü gt werden. E s g ilt, fü r im m er die E rin n eru n g festzu halten an den H eld en d er tie fste n G ed an k en arbeit, die den N am en d er S ta d t, in d er sie sich vollzog, als den einer gew eihten S tä tte rings auf dem E rd b o d e n b ek a n n t gem acht hat. S ta n d e s- und B eru fsg e n o sse n des h och verd ienten M annes sind in e rster L in ie fü r d iese E h ru n g eines glänzenden N am ens, d er ein h elles L ic h t
Monatshefte der Coiuenius-Gesellsehaft. 1897. 14
2 1 4 Lasson, H e ft 7 u. 8.
au f das gesam te d eu tsch e H and w erk a u sstra h lt, ein g etreten und sehen in dem zu errich ten d en D en km al ein e sie vo r allen anderen b e tre ffe n d e A n gelegen h eit. A b e r n ic h t die S ta d t G ö rlitz allein od er das Sch u h m ach ergew erbe und das d eu tsch e H an d w erk allein dürfen Ja c o b B ö h m e fü r sich in A n sp ru ch nehm en. A u f keinen besond eren O rt, k einen engeren K r e is b e sch rä n k t sich d er R uhm , d er diesen N am en u m g ie b t: die gesam te d eu tsche N a tio n , die d eu tsch e W iss e n s c h a ft und d er d eu tsch e P ro te stan tism u s dürfen sich des M ann es und seines W e rk e s fre u e n , und alle d iejen igen , die d eu tsches W esen , d eu tschen G e is t und d eu tsch e B ild u n g lieben und hochzuhalten en tsch lo sse n s in d , d ürfen sich h ier in einem gem einsam en G e fü h le und einer gem einsam en A u fg ab e vereinigen.
G erad e d er in d ie ser Z e it vorh errsch en d en g eistig en Ström u n g gegenü ber is t cs von b eson d erer W ic h tig k e it, das A ndenken Ja c o b B ö h m es leb en d ig zu erh alten und d afü r zu so rg e n , dass au ch in Z u k u n ft das W e rk sein es L e b e n s n ich t vergessen werde. D ie se grosse S ta d t ab er, d er M itte lp u n k t des erneuten d eu tschen R e ich e s und eine d er h au p tsäch lich sten W e rk stä tte n d eu tsch er G e is te s a rb e it, d arf am w enigsten Zurückbleiben, wo es sich um eine all
gem eine d eu tsch e A n g eleg en h eit hand elt. D en tie fe n D e n k e r zu ehren, d er d eu tsch e G e is te s a rt in ganz b esond ers k rä ftig e r W e ise zum A u sd ru ck g e b ra ch t hat, is t sich e r d ie d eu tsche, die p reu ssisch e H au p tstad t b eru fen vor an d eren , und d iese zah lreich e V ersa m m lung bew eist, dass auch in diesem F a lle der A n ru f zur B eth ä tig u n g d er L ie b e zu d eu tsch er W is s e n s c h a ft und d eu tsch er G e sittu n g in u n serer lie b e n S ta d t einen k rä ftig e n W ied e rh a ll gefunden hat.
E in e B ö h m e -F e ie r an d ieser S tä tte und in d ieser U m gebung w ird andere G e sich tsp u n k te in den V o rd erg ru n d zu stellen haben, als wo von dem M an n e in den H allen d er W iss e n s ch a ft und vo r den V e rtre te rn fa ch m ässig er G esch ich tsk u n d e gehand elt wird. D as allgem eine In te re s se an B ö h m es G e s ta lt h a fte t v o r allem daran, dass d er M a n n , d e r, m ag m an so n st ü ber ihn u rte ilen , w ie man w ill, je d en fa lls im G e iste sle b e n sein er N ation und über die G ren zen sein er N ation hinaus eine bed eutsam e S te llu n g n ich t b loss vor
übergehend, sondern m it n ach h altig er K r a f t eingenom m en hat, ein sc h lic h te r H a n d w erk er w ar, ein M ann ohne h öh ere schulm ässige B ild u n g . D a ra u f zu erst w ird sich u n ser A u genm erk zu rich ten haben. D ie G rö sse und E ig e n tü m lich k e it seiner L e is tu n g is t dann das z w eite, w as den G egen stan d u n serer E rö rte ru n g b ild en w ird
1 8 9 7 . Jaco b Böhme. Rede zur Böhm e-Feier etc. 2 1 5
innerhalb d er G ren zen , die uns die G eleg en h eit und ihre B e dingungen auferlegen.
Ü b e r Ja c o b B öhm es äusseren L eb en sg an g dürfen w ir uns auf w enige A n gaben b esch rän k en . G e b o ren is t er 1 5 7 5 zu A lt
seid en b erg , einem D o rfe b e i dem Städ tch e n Seid en b erg in d er L au sitz u n m ittelb ar an d er G renze B öh m en s, als Sohn gering b e g ü terter B au e rsle u te. S c h u lu n te rrich t h a t er in der S tad tsch u le zu Seid en b erg g en o ssen , sch w erlich w eit ü b er das M ass hinaus, das dam als fü r einen zum H and w erk b estim m ten ju ngen M ann erfo rd erlich schien. D en n d er H an d w erk erb eru f w ar dem K n a b en w egen sein er schw äch lichen K ö rp e rb e sch a ffe n h e it zuged acht. In seinem vierzeh nten Ja h r e tr a t er als L e h rlin g in eine Sch u h m ach er
w e rk statt zu S e id e n b e rg ; zehn Ja h r e sp äter erw arb er das M e iste r
re c h t zu G örlitz. E r b e trie b sein G ew erb e fle issig und m it E r fo lg b is 1 6 1 3 . D an n liess er sein H and w erk lie g en , um G o tt und seinen B rü d ern in einem anderen B e ru fe zu dienen u n ter grossen So rg en imd m an ch erlei V erfo lg u n g , ab er n ich t ohne A u s
h ilfe und U n terstü tzu n g d urch eng verbundene F re u n d e und Jü n g e r. E in e S c h rift, die er v e rfa ss t h atte, ursprünglich nur fü r sich , ohne den G ed an k en an V e rö ffe n tlic h u n g , nur um dem was in ihm leb end ig gew orden w ar, A u sdruck und G e s ta lt zu geben, war durch einen F re u n d in m ehreren E x e m p la re n ab g esch rieb en und v e rb re ite t worden. Ih re W irk u n g w ar so g ro ss , d er K r e is von B ew u n d erern , d er sich um ihn sch arte, so au sged ehn t, dass er an seinem B e ru fe n ich t län g er zw eifeln konn te. I n reich em V e rk e h r m it M änn ern von A n seh en und G e le h rsa m k e it b ild ete er seine G ed an ken w eiter d u rch , und sein V e rm ö g e n , dem was ihn in n erlich b ew eg te , sch riftste lle risch e n A u sd ru ck zu geben, w uchs b is zu verh ältn ism ässig er M e iste rsch a ft. S o h at er von 1 6 1 8 b is zu seinem T o d e im Ja h r e 1 6 2 4 eine grosse A n zahl von S c h rifte n v e rfasst, die zun ächst nu r in A b sch rifte n auf engere K r e is e w irk te n , nach seinem T o d e im D ru ck e v e rb re ite t üb er D eu tschland s G ren zen hinaus sich v iele G em ü ter erob erten und in d er g eistig en B ew eg u n g des Z eita lte rs ein n ich t zu übersehend es E le m e n t bilden. U n d b is au f den heutigen T a g d auert ih re W ir kung fo rt, die im W e c h s e l d er Z eiten wohl zuw eilen ab geschw ächt, ab er niem als v ö llig u n terd rü ck t w erden konnte.
D e r H a n d w e rk e r, d er als F ü h re r ein er ein flu ssreich en g e isti
gen Strö m u n g auch litte ra risch e n R uhm gew innt und d urch den 14*
2 1 6 Lasson, H e ft 7 u. 8.
R e ich tu m tie fsin n ig e r G ed an k en die B lic k e d er W e lt au f sich g e fe ss e lt h ält, is t gew iss eine auffallend e, ab er im m erhin in jenem Z e ita lte r k ein e ganz v erein zelte E rsch ein u n g . D ie B ed eu tu n g des H and w erks fü r das g eistig e L e b e n d er deu tschen N atio n w ar se it dem 14. Ja h rh u n d e rt n ich t gering. D as Ü b e rg ew ich t der g e le h rte n , d er stu d ierten Stän d e h at sich e rst in den letzten Ja h rh u n d e rte n m it v o lle r E n tsch ied e n h eit h erau sgebild et. D a s H an d w erk b rach te n ich t b loss G ew inn und E h r e ; seine V e rtre te r w u ssten sich auch eine S te llu n g im städ tisch en R e g im e n t zu er
ob ern und bew ährten sich durch T ü c h tig k e it e rn sth a fte r G esinnu ng au ch in d er L ite ra tu r. A ls dem gesunkenen R itte rsta n d e m it des äusseren L e b e n s B lü te auch die F ü h ru n g in d er P o e sie verloren gieng, da le b te ein N ach k lan g altein h eim isch er K u n stü b u n g b ei den M e istersin g e rn , in den G esan g essch u len d er H an d w e rk e r, fo rt.
A n den B ew egu ngen des R e fo rm a tio n sz eita lters h a t das d eu tsche H an d w erk sich in hervorragend em M asse b ete ilig t. S e it die H e rr
s c h a ft des K le ru s in d er K ir c h e b e se itig t w ar, das A m t der P re d ig t und Sakram entssp end u ng im p ro testan tisch en D eu tsch lan d als A u sflu ss d es allgem einen P rie ste rtu m s angesehen wurde und die zur F ü h re rin d er ch ristlich e n G em eind e b eru fen e G e is tlic h k e it als „unser aller M u nd “ n ach L u th e rs A u sd ru ck g alt, da g r iff man, schon des M angels an stud ierten T h eo lo g en w egen, n ich t selten auch zu H an d w erkern von allerlei F ä c h e rn , zu B u ch b in d ern , S ch u h m achern, Sch n eid ern , um das P red ig ta m t in v oller A usdehnung
zu b esetzen und e rte ilte ihnen die O rd inatio n. I n vielen G eg en den D eu tsch la n d s, in d er S ch w eiz , in den N ied erland en zeigte sich gerade in H an d w erkerk reisen ein hoch g esteig ertes religiöses L e b e n , n ic h t ohne oftm als in w ied ertäu ferisch e Sch w ärm erei ein
zum ünden. A u s Z w ickau stam m t der T u ch m ach e r N icolau s S to rch , aus S ch w aben die K ü rs c h n e r A u gu stin B a d e r und M e lch io r H o ff- m ann, die sich durch schw ärm erische P re d ig t w eitreichend en E in flu ss und A n hang gew annen. A n d ere v ielgenannte M än n er sind d er B ä c k e r J a n M a tth y s , der G lasm aler D a v id Jo r is . S eb astian F r a n c k von D onau w örth, d er g eistv olle und edelgesinnte M y stik er, h a tte stu d iert und eine Z e it lang in der alten K ir c h e als G e is t
lich e r g e w irk t; n ach h er n ährte er sich als S e ife n sied e r und B u c h d rucker. N o ch in B öh m es Z eit m ach te d er Sp ro ttau er W e issg erb e r C h ristian K o tte r von L angen au durch sein P rop h eten tu m A u f
sehen. ü b e r alle diese ra g t dann fre ilich der S c h u ste r Ja c o b
1 8 9 7 . Ja c o b Böhme. Rede zur BÖhme-Feier etc. 2 1 7 B ö h m e w eit hervor. V o r w enigen Ja h re n , 1 8 9 4 , is t überall in D eu tsch lan d die liebensw ürdige G e s ta lt des N ürnberger S ch u sters H ans S a ch s auf A n la ss der vierhun dertsten W ied e rk eh r seines G e b u rtstag es in d an k barer und lieb ev o ller E rin n eru n g g e fe ie rt worden. E s ist ohne Z w eifel ein hoher R uhm fü r das S ch u h m achergew erbe, dass zwei so ausgezeichnete M änn er ihm angehört haben, wie der h erzliche, kluge, erfin d u n gsreich e N ürnberger P o e t und der tiefsin n ig e, g rü blerisch e, g o ttin n ig e T h eosop h von G örlitz.
P räg en w ir aber, w er von diesen b eid en tie fe r in das G e iste sle b e n d ieser drei Jah rh u n d e rte ein g eg riffen h a t, so w ird in d ieser B e ziehung un zw eifelhaft Ja c o b B ö h m e die P alm e zu reich en sein.
D er alte M e istersän g er is t eine h ö ch st anziehende g esch ich tlich e E rsch e in u n g ; ab er uns un m ittelbar anzusprechen verm ag er n ich t m ehr. Ja c o b B öh m es S c h rifte n dagegen sind ein noch un er- scliö p fte r Q u e ll der B eleh ru n g und A nregung auch fü r die kom menden G e sch le ch te r.
D a ss er ein H and w erker w ar, is t fü r die E ig e n tü m lich k e it seiner E rsch e in u n g d och n ich t ohne B ed eu tu n g . D en H and w erkern ganz allgem ein war in a lter Z e it d er g eistige W e r t ihres S ch a ffe n s in ahnungsvollem B ew u sstsein lebend ig und gegenw ärtig. D ass das H and w erk durch m ühsam e und k u n stfe rtig e B ea rb e itu n g der S to ffe , die die N atu r d a rb ie te t, m enschlichen B ed ü rfn isse n d ient und w irtsch aftlich en W e rt b esitzt, indem es nü tzliche oder e rfreu lich e D inge g e stalte t, dam it is t doch seine B ed eu tu n g keinesw eges ersch öp ft. J e w eniger d er m echanische Z usam m enhang d er N atu r
erscheinu ngen und die gesetzlich e W irk sa m k eit der N atu rk räfte sich d er denkenden R e fle x io n erschlossen h a tte ; je m ehr man in das B ild e n und S c h a ffe n , das dem M asch in en artig en und R a tio n ellen noch fe rn , au f G ru n d herk öm m lich er Ü bung der persön
lich e n B eth ätig u n g fre ien R au m liess, die eigene S e ele le g te : um
som ehr b ew eg te man sich in der A hnung tie fe r G eheim nisse, und d er S ie g des G e iste s, der g e sch ick te n H an d und d er ü b erlieferten K u n s t üb er die N aturgew alten d rü ck te sich aus in tiefsin n ig en Sym b olen und F o rm e ln , m it denen sich das handw erksm ässige .Thun schm ü ckend und bed eutu ngsvoll um gab. M an fand sich d er ganzen Stim m u ng des Z eita lte rs g em äss ü b erall m itten in der äusseren E rsch e in u n g d er D in ge in einer G e iste sw e lt v o ller T iefen und W lind er. S o lä sst es sich als ein N achhall d ieser allgem ein in den K re ise n des H and w erks lebend en S in n esart bezeich nen,
‘2 1 8 Lasson, H e ft 7 u. 8.
was in den tiefg rab en d en G ed an ken g än gen des Sch u h m ach crs Ja c o b B ö h m e ein en o ft verw undersam en, bisw eilen m ach tv oll fesseln d en A u sd ru ck gew onnen hat.
D a s H an d w erk is t in die H ö h e gekom m en m it dem A u f
schw ung städ tisch en W e se n s und b ü rg e rlich e r G esinnu ng üb er
haupt, in e n g ster G e m e in sch a ft m it d er B lü te des H an d els und alles städ tisch en G ew erbes. D a s Z e ita lte r, in dem Ja c o b B ö h m e le b te , b eze ich n et in d ieser B ezieh u n g einen H ö h ep u n k t und zu
g leich den A b sch lu ss. B öh m e h a t n och die ersten Ja h r e jen es fu rch tb aren K rie g e s geseh en , d er d reissig Ja h r e hind urch D e u ts ch land v e rh e e rt und das b lü hend ste L a n d E u ro p as in eines der elen d esten um gew andelt hat. D a s 17. und 1 8. Ja h rh u n d e rt haben dann den N ied ergang alles städ tisch en L e b e n s und alles b ü rg er
lich en G ew erb es e rb lic k t. E s begann die trau rige Z e it, wo fa s t nu r noch d er G e b u rtsa d el p ersön lich es A n sehen und g e se llsch a ft
lich en W e r t verlieh. D a s H and w erk in sb eso n d ere v erlor in der allgem einen V erarm u n g und in dem Ü b e rg ew ich t des höfischen L e b e n s, in d er F rem d län d erei und d er V ersch lim m eru n g d er s itt
lich e n Z uständ e au ch den gold enen B o d en , d er es frü h e r getragen und gen äh rt h atte. E r s t das Ja h rh u n d e rt, das je tz t au f die N eige geh t, h a t w ieder den frisch e re n A u fschw ung des H and w erks m it dem A u fkom m en aller b ü rg erlich en S tän d e überhau p t h erbeige
fü h rt. E in erh öh etes Stan d esb ew u sstsein und ein frö h lich e s V o r w ärtsstreb en in ern eu ten L eb e n sfo rm en h a t sich m itten in den g ro ssen p o litisch en und sozialen U m w andlungen h erau sg ebild et, nachd em das H and w erk, v e rjä h rte r F e ss e ln en tled igt, in dem völlig verän d erten äusseren L eb e n neuen A u fg ab en gegen ü b erg estellt war. A b e r nun h at das alte d eu tsch e H and w erk auch m it neuen M äch ten von frü h er nie g eah n ter S tä rk e den m ühsam en K a m p f zu b e ste h e n : m it der s te tig w eiter w achsenden G ro ssin d u strie, m it dem F a b r ik - und M aschinenw esen. Zu den a lte n , ü b erleb ten F o rm en zu rü ck zu k eh ren , is t unm öglich. D as G e b ie t des H and w erks is t durch die neuen und segen sreich en E n tw ick lu n g en un
w id erru flich eingeengt w orden. D en n o ch is t kein Z w eifel g e
s ta tte t, dass das H an d w erk als die S tä tte fü r die B eth ätig u n g p e rsö n lich er G e s c h ic k lic h k e it, d u rch geb ild eten G e sch m a ck s und ein sich tig er E rfa h ru n g auch k ü n ftig und fü r alle Z eit eine h ö ch st bed eutsam e S te llu n g wie im w irtsch a ftlich e n , so im allgem einen K u ltu rle b e n d er N atio n zu behau pten im S tan d e sein w ird ; d er
1 8 9 7 . Ja co b Böhme. Rede zur Böhm e-Feier etc. 2 1 9
S tr e it d reh t sich allein um die F ra g e , w elche M itte l die geeig n et
sten sind, um die allen erw ü nschte H eb u n g des H and w erks h er
beizuführen und zu sich ern . I n d er H itze des K a m p fe s, den das d eu tsch e H and w erk eben je tz t um seine w irtsch aftlich e und ge
se llsch a ftlich e G eltu n g fü h rt, is t ihm d iejen ig e S tärk u n g seines Se lb stg efü h les wohl zu g ön n en , d ie ihm die E rin n eru n g an die Stellu n g , die es d erein st im L e b e n d er N ation eingenom m en hat, zu gew ähren verm ag. I n d iesem S in n e m ag die F e ie r eines durch G eiste sg rö sse hervorragend en H and w erksm annes, w ie w ir sic heute beg eh en , auch au f die g eistig e B ed eu tu n g d er K ä m p fe , die eben je tz t in d er Ö ffe n tlic h k e it um die g eeig n etsten O rganisationen fü r eine neue B lü te des H an d els m it so g rö sser L e id e n s ch a ftlich k e it g e fü h rt w erden, einen verklärenden Sch im m er w erfen und zu d eu tlich erem B ew u sstse in b rin g e n , um w ie hohe G ü te r es sich fü r die ganze N ation in d iesen K äm p fe n handelt.
W o rin ab er b e s te h t die L eistu n g , die J a c o b B öh m es N am en dauernden R uhm v e rs c h a fft h a t, die ihn auch noch fü r unsere Z e it und fü r alle Z u k u n ft d er E rin n eru n g w ert m a ch t ? D ie S ch w ie rig k e it, d arüber in ged rängter K ü rz e eine allgem ein v e r
stän d lich e A u sk u n ft zu geben, d arf von dem V ersu ch e an d ieser S te lle und b ei d iesem A n la ss n ich t ab sch reck en . E s w ird d reierlei hervorzuheben sein : B öh m es B ed eu tu n g fü r die religiöse K u ltu r, sodann seine A nschauungen ü b er die letzten G rü nd e alle r W e lt
erscheinung, end lich seine A r t der N atu rbetrach tu n g . U n te r diesen d rei G e sich tsp u n k te n , sch e in t e s , lä sst sich am eh esten das b e deutsam e L eb e n sw e rk des d eu tschen P h ilo so p h en d arstellen und würdigen.
B ö h m es S tellu n g zu den religiösen F ra g e n w ird ch a ra k teri
sie rt durch den ausgesprochenen G eg en satz zu der in d er K irc h e sein er Z eit zur H e rrs c h a ft gelangten R ich tu n g . D e r sch öp ferisch e Zug religiösen G e iste s, der die gro ssen R efo rm ato ren b ei d er E r neuerung alles k irch lich e n L eb e n s getrieb en h a tte , w ar in je n e r Z eit län g st erm attet. D a s In te re s se an d er R e lig io n h atte sich in den w eiten K re ise n der organ isierten K ir c h e zurückgezogen au f den K a m p f um die rein e L eh re. M it einem ungem einen A u f
wand von S ch a rfsin n h atte m an sich b em ü h t, d ie religiöse L e h re sy stem atisch durchzubilden und gegen alle abw eichenden A n sich ten ein fü r allem al fcstzu legen . B e te ilig t war d abei am allerm eisten der nü chterne V e rsta n d und seine äu sserliche K onsequenz. D ie
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H e ilsg e sch ich te w ar zu rü ckgefü h rt au f eine b estim m te Anzahl von E re ig n isse n aus fe rn e r V erg a n g e n h e it, d er H eilsg lau b e auf die V erstan d esü b erzeu g u n g von b estim m ten, d urch die k irch lich e A u to ritä t vo rgesch rieb en en L eh rsätzen . D as an sich durchaus b e re ch tig te B e stre b e n , dem B ed ü rfn is d er K ir c h e n ach ein er ein h eitlich en L eh rfo rm seine B efrie d ig u n g zu v e rsch a ffe n , h atte in die E in s e itig k e it v e rfü h rt, das schu lm ässig d u rch g eb ild ete L e h r- sy stem als den e ig en tlich en In h a lt alles k irch lich e n und religiösen L e b e n s zu b e tra ch te n und d arüber eben soseh r den A u fb au des inneren M en sch en wie die B eh errsch u n g d er th ätig en L e b e n s äusserungen zu verabsäum en. D e r unendliche G e h a lt des religiösen V e rh ä ltn isse s zu G o tt in C h risto wurde h eru n terg ed rü ck t auf das N iveau ein er en d lichen V o rste llu n g sre ih e , die sich in b estim m te P arag rap h en fassen und g ed äch tn ism ässig aneignen liess. E s war ein Z ustand d er E rsta rru n g und V eräu sserlich u n g , der d och zu
g leich die schlim m sten L eid e n sch a fte n unduldsamen H asses und fe in d se lig e r V erfo lg u n g ssu ch t e n tfe s s e lte ; d er K a m p f um th eo lo gisch e M einungen ersch ien in dem L ic h te des S tr e ite s fü r die S a c h e G o tte s , und in verhängn isvollem Irrtu m m ein te man fü r d ie ch ristlich e W a h rh e it und fü r das H e il d er Seelen zu käm pfen, wenn man m it eigensinn iger U n b e le h rb a rk e it die eigene A u ffassu n g als die allein m ö g lich e, allein ch ristlich e b eh a u p te te , je d e A b w eichung ab er als strafw ürdige K e tz e re i verdam m te.
In d e sse n , d er G eg en satz gegen d iese V erä u sserlich u n g des religiösen G e iste s w ar n ich t v erstu m m t, und es waren v ielfach d ie tie fe r angelegten G e m ü ter m it h eisserem B eg e h re n und höherem G ed an k en flu g , die sich u n b efried ig t von dem , was ihnen die o ffi
zielle K ir c h e m it ih re r am tlich en V erk ü n d ig u n g bot, suchend und streb en d zu besond eren G em ein sch aften zusam m en sch lossen, um an e ch teren Q u ellen ih re H eilsb eg ierd e und ihren W ah rh eitsd u rst zu stillen . V o n den ersten Ja h r e n d er grossen B ew egu n g an, die zur R e fo rm a tio n d er K ir c h e fü h rte , sehen w ir d iese N eb en strö m ung h eran w ach sen , von m anchen u n v eräch tlich en G e iste rn ge
fö rd e rt, die in d er h errsch en d en A u ffassu n g von der G e sch ich te d ieser Z eiten im m er noch n ich t zu ihrem R e c h te g elan g t sind.
D e r H ass lind die V erfo lg u n g , die B efeh d u n g durch die g eistlich e und d ie U n terd rü ck u n g durch die w eltlich e G e w a lt, konnte sie w ohl zurück d rän g en , ab er n ich t v e rn ich te n , und se lb st die w ilde A u sartu ng, in die sie m anche v erfü h rte, hind erte n ich t, dass alte
1 8 9 7 . Ja c o b Böhme. Rede zur Böhm e-Feier etc. 2 2 1
Ü b erlieferu n g en im m er w ieder neu au fleb ten und einzelne und ganze M assen in tie fe re r A n d ach t um sich sam m elten. D iese M y stik e r, Schw ärm er, F a n a tik e r , wie man sie s ch a lt, bilden ein n ich t unw ichtiges E le m e n t in der G esam tstim m u ng des Z eitalters, und wenn m an g e rech t u rte ilt, stellen sie m it allen F e h le rn der U n k la rh e it und Ü b e rtre ib u n g doch der erstarrend en K irch e n le h re gegenü ber ein vorw ärts d rängend es E le m e n t dar, das ein erhöhtes g eistig es L e b e n wohl vorzubedeuten und vorzubereiten verm ochte.
U m die W en d e des 16. Ja h rh u n d e rts, in d er Z eit, wo Ja c o b B ö h m e seine Ju g en d b ild u n g em pfing, w im m elte es gerad e in den G egenden, in denen er seine A nschauu ngen und E rfah ru n g en g e
w ann, in d er L au sitz und in S c h le s ie n , von solchen angeregten und suchenden G e m ü te rn , die sich von seh r v ersch ied en en S tan d p u n k ten aus in d er O p p osition gegen die h errsch en d e lu the
risch e L eh rw eise b e g e g n e te n : .P h ilip p isten und K ry p to -C a lv in iste n , S ch w en ck feld er, W ie d e rtä u fe r und M y stik e r a ller A rt, dazu die A d ep ten a lch y m istisch er und a stro lo g isch er S c h w ä rm e re i; sic alle b ild eten zusam m en eine n ich t u n erh eb lich e M a s s e , säm tlich von g leich e r F e in d s c h a ft gegen die herrschend e O rth o d o xie b eseelt, u n ter einand er vielfach gesch ied en und nach ganz getrennten R ich tu n g en auseinander gehend. W ir sehen heute die ratio n a
listisch e und natu ralistisch e O p p osition gegen die K irch e n le h re am W e rk e ; dam als entstam m te d er W id ersp ru ch anderen K rä fte n des G e m ü tes, aber er war fü r das B este h e n d e kaum m inder b e
d rohlich.
In d ieser O pposition nun nahm Ja c o b B öh m e seine Stellu n g . G ew iss, n ich t au f diesem G e b ie te lie g t die sch ö p ferisch e O rig in a
litä t des M annes, durch die er sich in die E rin n eru n g der M en schen ein g ezeichnet h a t; ab er es is t eine h ö ch st bed eutsam e S e ite seines W e se n s, und die b esond ere A rt, wie er sich altü b erlieferter G ed an kenreihen b em äch tig t, die In n ig k e it und auch die B eso n n en h e it, m it der er sie ern eu ert und ausgeprägt hat, verd ien t wohl den D an k sp äterer G e sch le ch te r. N iem and w ird die hohe B e deutung verkennen w ollen, die seit dem letzten V ie r te l des 17.
Ja h rh u n d e rts d er P ie tism u s fü r die E rn eu eru n g der deutschen G e iste sk u ltu r gew onnen h a t: Ja c o b B ö h m e h at dem P ietism u s m äch tig v o rg e a rb e itet und d arüber hinaus d er fo rtsch reiten d en religiösen B ild u n g die w ertv ollsten A n trieb e g e b o ten , die durch tau send K a n ä le bis in unsere T a g e n ach w irken, auch wo man
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von Ja c o b B ö h m e als d er Q u e lle , aus d er sie stam m en, n ich ts m ehr w eiss.
D e r G ö rlitz e r H and w erksm ann ord net sich in seiner S te llu n g zu den religiösen F ra g e n in eine R e ih e e rla u ch te r G e is te r ein, die e r in gew issem S in n e krönend ab sch liesst. E s is t d er alte Zug d es d eu tschen G e iste s zu ein er verg eistig en d en A u ffassu n g des C h risten tu m s, d er in dem M anne eine b eson d ers m äch tige G e s ta lt gew onnen hat. D en S ch a tz von G ed an k en und Stim m u ngen , der seine A n d a ch t und seine A nschauu ng d er g ö ttlich e n D in g e b e
r e ic h e rt, h a t er allerd ings ü berkom m en; ab er die In n ig k e it und die K la rh e it, — dem herrsch en d en V o ru rte il g egenü ber m uss man diese au sd rü ck lich h ervo rh eben — m it d er er sie au sg ed rü ck t und fru ch tb a r g em ach t hat, is t sein E ig en tu m und sein V e rd ie n st. D ie alten G ed an k en d er deu tschen M y stik aus dem 14. Ja h rh u n d e rt h at er erneuert, in m ildem , frie d fertig e m G e is te ; er will n ich t sow ohl die vorhandenen k irch lich e n In stitu tio n e n b ekäm p fen , als v ielm ehr die em p fänglichen G em ü ter ü ber das V e rh a rre n in äusseren C e re - m onien und ü b er d ie B efrie d ig u n g an verstän d ig ausgeklü gelten L eh rfo rm eln em porheben zu dem in n ersten V e rstä n d n is des grossen G eh eim n isses und zu dem v e rtrau te ste n M itleb en m it C h risto in G o tt. D ie so tie fe s B e d ü rfn is n ic h t em p fin d en , die w ill er in ih re r b esch rän k ten A u ffassu n g n ich t stören. S o stark zuw eilen seine A u sd rü ck e sind, so w enig is t seine in sich g ek eh rte N atu r au f P o lem ik g e r ic h te t; ab er darin fin d et er seinen B e r u f, die höch sten Z iele der inneren E n tw ick lu n g den S e elen d er C h risten vorzu h alten, d am it sie n ic h t in dem N ied eren und G eringen das H ö ch ste schon zu b esitzen w ähnen und darüber ih ren eigen tlich en B e r u f verscherzen.
E s is t n ic h t u n w ahrscheinlich, dass ein u n m ittelb arer oder v er
m itte lte r Z usam m enhang b e s te h t zw ischen Ja c o b B ö h m e und der böm ischen B rü d e ru n itä t und dadurch auch zw ischen ihm und den alten w ald en sischen A nschauungen. Im m erh in d eu tet schon B ö h m es N am e, d er au f seinen b öhm ischen U rsp ru n g sch liessen lässt, und die Ü b e rlie fe ru n g , dass sein V a te r ein er m ystisch en R ich tu n g an
geh örte, w eit m ehr noch die dem b ö h m isch en L a n d e so nahe L a g e seines G eb u rtso rtes und d er S tä tte n seiner W irk sa m k e it au f solch e Zusam m enhänge hin. D a ss an d ererseits die G ed an ken C asp ar S ch w en ck feld s, S e b a stia n F ra n c k s , V a le n tin W e ig e ls ihm b ek an n t gew esen sin d , is t gew iss. E r selb er sa g t von s ic h , dass er viel
1 8 9 7 . Ja c o b Böhme. Rede zur Böhm e-Feier etc. 2 2 3 g elesen h a b e; auch d ie S c h rifte n der älteren M y stik e r werden wohl au f ihn g ew irk t h a b en ; d ie Spu ren solchen E in flu sse s sind d eu tlich genug. A b e r das m ind ert n ich t sein V erd ien st. U n v or
b ere iteten , die seine Ä u sseru ngen vernehm en, m üssen sie überaus gew agt und o ft völlig frem d artig erscheinen. W e r ab er m it dem G edan kengang und d er A u sdrucksw eise der ganzen R ich tu n g einigerm assen v ertrau t ist, w ird b ei B ö h m e das S tre b e n nach B e sonnenheit und M ässigu ng n ich t v erkennen und auch noch in dem v erw egensten A u sd ru ck die tie fe In n ig k e it einer gotttru n ken en A n d a ch t w ied erfind en, d ie allerd ings das M ass d er G ew ö h n lich k e it w eit ü b ersch reitet. M it dem V o rw u rf des P an th eism u s oder der S ch w ä rm e re i is t h ier n ich ts g e th a n ; m an könnte den A p osteln P au lu s und Jo h a n n e s - den selben V o rw u rf m it grösserem R e c h te m achen. H ö ch sten s so viel w ird man zugeben d ürfen, dass hier ein M om ent, das in ch ristlich e r A n d ach t sein vo lles R e c h t hat, m it ein er gew issen E in s e itig k e it b eto n t und andere g leich fa lls b e re ch tig te M om ente d arü b er ein igerm assen z u rü ck g estellt w orden sind.
In d essen gerade darin h at B ö h m e das A m t eines B e fre ie rs geü b t und kü n ftig en E n tw ick lu n g en den W e g gebahnt. V o n ganz an d erer Stim m u n g aus h a t er G esinnu ngen und B estreb u n g en ge
fö rd e rt, die m it d em , w as an der A u fklärung das Ä ch te s te und W e rtv o lls te ist, Ü bereinkom m en. D a s B ed eu tsam ste w ird sich in aller K ü rz e herausheben lassen. Z u n äch st dies. Ja c o b B ö h m e ste h t im ausgesproch enen G egen sätze zu d er zornigen S tr e it
th e o lo g ie , wie sie in d er K ir c h e sein er Z eit das gro sse W o r t fü h rte, und v e r tr itt m it ebenso grö sser M ild e w ie ernstem N ach d ru ck das P rin zip d er D u ld u n g , der D uld ung n ich t b loss fü r abw eichend e G lau b ensm einu ngen innerhalb der eigenen K irc h e und in n erh alb des C h risten tu m s, sondern auch fü r frem d e R elig io n en und K u lte . E r w eiss e b e n , d a ss, wie er sich au sd rü ck t, G o ttes G ab en ohne E n d e und Zahl sind, dass G o tt seine K in d e r wunder
lich fü h rt und jed em seine G a b e v e rleih t v erschied en von der des anderen. K e in e G ab e d arf man v e ra c h te n ; freu nd lich und lie b re ich vielm ehr soll man den anderen unterw eisen. D ie G leissn er sind es, die Sto lzen , die alle fü r K e tz e r erklären, die ihren S ätzen n ich t zustim m en, und d iese Sä tz e un ter den Sch u tz des w eltlichen A rm es s te lle n ; eben darin erw eist sich , d ass, was sie G lauben nennen, b lo sser H istorien glau be, blosses V erstan d esw issen ist. Ih r
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s tr e ite t um die R e lig io n , sag t e r , und in d er R elig io n is t doch kein S t r e it , nur in m anch erlei G aben ein G e is t; wie ein Baum v iele Z w eige h a t und seine F rü c h te v ielerlei F o rm e n , od er wie d ie E rd e als die einige M u tte r aller m an ch erlei G ew äch se träg t, K rä u te r und G e strä u ch . W ie die E ig e n tü m lich k e iten eines jed en R e ic h e s , so sind S p ra ch e n , S itte n und R elig io n en v e rsch ied e n ; w ie das V o lk ist, so is t sein G o t t ; G o tt h at sich jed em V o lk e nach sein er E ig e n tü m lich k e it offen b art. W a s die T ren n u n g d er L eh ren v ersch u ld et, das is t ü b erall das F e sth a lte n am B u ch sta b e n . D azu ab er is t das lebend ige W o r t in C h risto M en sch gew orden, d am it d er B u ch sta b e und das B ild sterbe. K ö n n te man nur die B ild e r a b th u n , so w ürde das eine lebend ige W o r t h erv o rtreten , und F rie d e würde herrschen s ta tt des S tre ite s . J e t z t ab er wird cs in B ild e r g e fasst, und um d iese B ild e r s tre ite t m an, w eil je d e r das seine fü r das b essere hält. — M an w ird n ich t leugnen d ürfen, dass solch e W o rte und Ü berzeu gun gen in je n e m Z eita lte r h öch st bed eutu ngsvoll sind und eine H öh e d er A n sch auu ng bezeichnen, die noch heute n ich t vielen zugän glich ist, dam als ab er zuku nfts
re ich die seg en sreich sten W end ungen der m enschlichen G e sch ick e vorw egnahm . D enn auch au f H e id e n , Ju d e n und T ü rk en d ehnt B ö h m e die P flic h t d er D uldung aus. M an ch er Ju d e , T ü rk e oder H e id e , m ein t e r, wird eher ins H im m elreich ein geh en , als die C h risten . D enn d er C h ristennam e m ach t es n ich t. G o tt is t n ich t b lo ss d er C h risten G o tt. A u ch die an d eren , is t ihnen g leich B lin d h e it w id erfah ren , sehnen sich n ach G o tt und seinem H e il;
sie suchen nur n ich t an d er re ch te n S te lle . G o tt, d er allenthalben ist, s ie h t au f des H erzen s G ru n d ; w er b is t du, dass du sie ric h ten w o llte st?
E n g d am it zusam m en h än gt die E n ts ch ie d e n h e it, m it der sich B öh m e überall gegen die ■ v eräu sserlichend e A u ffassu n g der R e lig io n w endet. Zu ch ris tlic h e r E rk e n n tn is, m ein t er, re ic h t der äussere B u ch s ta b e und seine b losse A ufnahm e m it dem V erstä n d e n ich t aus. D e r leb en d ig e B u ch sta b e , G o tte s au sgesp roch enes W o r t und W esen, m uss v ielm eh r im M en sch en selb st o ffe n b a rt und in seinem eigenen In n eren g elesen w erden. D as sind d och nur ge
m alte C h riste n , die K irc h e n als H äu ser von S te in s tifte n , um darin zu stre iten und zu d ispu tieren. G lau b en is t n ich ts anderes, als den eigenen W illen m it G o tte s W ille n verein igen, in solch er W e ise G o tte s K r a f t und W ille n in das eigene W e se n aufnehm en,
1 8 9 7 . Ja co b Böhme. Rede zur Böhm e-Feier etc. 2 2 5 so dass b eid e eine Su b stan z und ein W esen w erden. C h ristu s is t n ich t e rst zu b estim m ter Z e it und durch ein bestim m tes E r e ignis in d er M e n sch h e it w irksam gew ord en ; in den G e is te s - m cnschen h a t er von je g e le b t. D a s C h ristentu m war von A n fan g an erhaben über äussere F o rm e ln und C erem onien. D e r K a m p f zw ischen d er sich tb aren und u n sich tb aren K ir c h e , zw ischen dem Sch e in ch riste n tu m und den w ahren K in d e rn G o tte s is t so alt wie die W e lt. V ie le wollen es von aussen haben als eine H isto rie ohne K r a f t und lebend igen G e is t ; ab er n ich t die K in d e r der H is to rie sind die E rb e n d er G ü te r C h risti, sondern die, w elche aus seinem G e is te neugeboren w erden. D e r G e is t is t n ic h t ge
bunden an F o rm en und an B u ch sta b e n . D a s is t d er G ru nd irrtu m , dass man sich G o tt v o rste llt als ein frem d es, fe rn e s W e se n , au sser
halb d er W e lt, hoch über den G estirn en , dass C h ristu s fern e von u n s, räu m lich im H im m el zur R e c h te n G o tte s th ro n e, s ta tt in unserem H erzen , s ta tt dass w ir' G lie d er an seinem L e ib e sind.
D e r re ch te H im m el, da G o tt w ohnt, is t ü b erall und u m fasst auch die H ö lle , da die T e u fe l w o h n e n ; denn was k ö n n te au sser G o tt s ein ? M an d arf n ic h t fragen, w ie viel M eilen b is zu dem H im m el sind, wo C h ristu s w ohnt in d er H e rrlich k e it. D u kan n st aus der.
E rd e den H im m el m a ch e n ; gieb nur d er E rd e des H im m els Sp eise, au f dass sie des H im m els W ille n annehm e. W o lebend ige E r kenntnis C h risti ist, da is t d er A lta r G o tte s an allen O rten , und da o p fert die S e e le das re ch te G o tt w ohlgefällige O p fe r im G e b e t.
W a s sind alle d iese B u ch sta b e n und F o rm eln , um die man s tre ite t!
A lle äussere F o rm is t nur A n leitung, das W esen is t der T o d d er S e lb sth eit. W e r au fgeh ört h a t sich selb st zu leben, der is t b ereits im H im m e l, und nur sein ausw endiger M en sch leb t noch in der ird ischen W e lt.
D an ach kann es niem anden verw undern, wenn e r sieht, m it w elcher E n tsch ie d e n h e it in diesem Z eita lte r v erfolgu ngssü chtiger K e tz e rm a ch e re i B ö h m e F r e ih e it d er F o rsch u n g in religiösen D ingen ford ert. Ih m sch ein t es v erb len d ete W illk ü r, das F o rsc h e n zu verb ieten. D a ss d er T e u fe l uns v e rb ie te t, sein R e ic h zu e rfo r
schen, das is t ja v e rstä n d lich ; denn er fü rch te t, w ir m öchten ihm au f d iese W e is e entgehen. A b e r G o tt will erk an n t sein und fin d et im G e iste seine S tä tt e , in der er heim isch ist. D enn des M en schen G e is t e rfo rsch t alle D in ge und sich selb st, und wenn er in sein eigenes C entrum ein g ek eh rt ist, so erk en n t er d aselb st G o tt,
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aus dem e r stam m t. D aru m is t das V e rb o t d er fre ien F o rsch u n g die eig en tlich e K e tz e re i. E s fü h rt dahin, dass m an W o rte durch W o rte e rk lärt, ohne dass irgen d jem and je erfäh rt, was d er W o rte S in n und B ed eu tu n g sei.
B ö h m e sie h t das sch w erste Ü b e l darin, dass sich der C h rist sein Z iel zu nied rig s te c k e ; darum h ält e r es fü r seine w ich tigste A u fg a b e, den M en sch en an die H öh e seines B e r u fs zu erin nern und ihn zum S tre b e n nach dem höch sten Z iele zu entflam m en.
A us G o tt b is t du g e sch a ffe n , in ihm le b st d u ; aus ihm stam m t d ir K r a ft, S eg en , S p e ise und T r a n k ; in ihm b e ste h t deine W isse n s ch a ft, und wenn du s tir b s t, w irst du in d iesen G o tt begraben.
D ie M e n sch en seele is t wie ein So h n oder ein kleines G ö tterle in in dem gro ssen u n erm esslich en G o tt. H im m el und E rd e m it allen ihren W e se n und G o tt selb er lie g t im M en sch en . G o tt s e lb st is t u n ser W isse n und S e h e n , w ir sind F u n k en aus seinem L ic h te . U m uns alles d ieses R e ich tu m s zu b em äch tigen , brauchen w ir nur in uns selb er einig zu w erden und d er E ig e n su ch t zu entsagen. D ie V ö g e l im W a ld e und die B lu m en au f der W ie se h alten dem G e is te G o tte s still und gönnen ih m , seine W e is h e it und K r a f t d urch sie zu o ffen b aren . S o sollen auch wrir thun.
E in O rg elw erk k lin gt, wie der M e iste r es sch läg t. N ur G leich e s fa s s t das G leich e . W e n n du die S e lb s th e it au fg ieb st, so w ird in d ir das ew ige Seh en , H ö ren und S p re ch e n o ffen b ar, und G o tt ist es, d er d urch d ich h ö rt und sieht. W e n n ich m ich selb er rech t lese, so lese ich in G o tte s B u ch , und ihr, m eine B rü d e r, seid alle m eine B u ch sta b e n , die ich in m ir lese. M ein G em ü t und W ille fin d e t euch in m ir ; ich w ollte von H erzen, dass ih r m ich ebenso in euch fänd et.
A u f d ieser G e m e in s c h a ft m it allen M en sch en in dem sre-o m einsam en g ö ttlich e n W e se n b eru h t nun auch das sittlich e L eb e n im V e r k e h r m it den anderen. A lle B eso n d e rh e it der M enschen stam m t aus ein er gem einsam en W u rzel. W ie kön n te sonst ein M en sch den and eren beim S ch a ll sein er W o rte versteh en ? W a s ein er red et oder sch re ib t, ich kann ihn im rech ten S in n e nur v er
ste h en , wenn er den H am m er b e s itz t, d er m eine G lo ck e zum E rk lin g e n bringt. D aru m , wras w ir uns u n ter einander thun, das thu n w ir G o t t; w er seinen B r u d e r , seine S ch w este r su ch t und fin d et, d er h a t G o tt g e su ch t und gefunden. W ir sind in ihm alle ein L e ib m it vielen G lie d e rn , deren je d es seine eigene V e r r ic h
tu n g hat. D aru m soll je d e r des N äch sten N utzen und W o h l suchen, je d e r in seinem B e ru fe und B e s itz e sich als G o tte s A m t
m ann fü hlen. D an ach b estim m t sich auch B öh m es A rb e it in den V erh ä ltn issen des staatlich en und g ese llsch aftlich e n L e b e n s. A u ch die H e rrs ch e r sind G o tte s A m tleu te, n ich t A b g ö tte r; d er O b rig k e it ziem t n ic h t S e lb s ts u c h t noch U n terd rü ck u n g , sondern d er D ie n s t d er G esam th eit. S e lb s t das V o r r e c h t und der S to lz des A d els sch e in t B öh m en n ich t v erträglich m it c h ristlich e r L eb e n sa n schauung, und die L e ib e ig e n s c h a ft h ält er fü r eine w id erch ristlich e In stitu tio n .
D a s e ch te g eistig e C h ristentu m is t n ach B öh m e d ie V o r bed in gung aller V erb e sse ru n g auch d er ird isch en V e rh ä ltn isse . W ir können n ich t and ers m it uns se lb st w ied er eins w erden, ein V o lk , ein M e n s c h , eine S e e le und ein L e ib , als wenn w ir die B ild e r des B u ch sta b e n s in uns zerbrech en und tö ten und von G o tt nur zu w issen b egehren, was G o tt in und d urch uns w issen w ill. W ir m üssen W erk zeu g e des G e iste s C h risti werden. D ann sie h t d er G e is t C h risti in uns und durch u n s, was er w ill, und was e r will, das w issen w ir und sehen w ir in ihm . S o d rin gt B öh m e au f ein th ätig es C h risten tu m und au f einen G lau b en , der m ehr is t als das b losse Fü rw ah rh alten einer H isto rie. M an ch er Ju d e und T ü rk e is t m ehr ein C h ris t und G o tte sk in d , als ein er d er von C h risti L eb e n und S te rb e n die G e sch ich te w eiss; denn solches W isse n haben auch die T e u fe l. D em V erstä n d e is t B u c h stab e und S c h r ift das H ö ch ste. D e r w ahre G lau b e ab er is t da, wo man C h ristu m in sich geboren w erden lä sst, sein e T a u fe , seine V ersu ch u n g , sein L e id e n und S te rb en s e lb st in sich erleb t. D ie äusseren G n ad en m ittel sind nur eine A n le itu n g ; S c h riftle se n und K irch e n g eh en und d ie A bsolution, d ie m an uns äu sserlich an
kündigt, m achen es n ich t. D em w ah rh aft G läu bigen pred igt n ich t bloss die S c h rift, sondern alle K r e a tu r ; sein A b end m ahl fe ie rt er, indem sein inw end iger M e n sch den w ahren L e ib C h risti geniesst.
S o is t der w ahre G lau b e ein N ehm en und E s se n von G o tte s W e se n ; n ich t ein H än g en an b estim m ten A rtik e ln und V e rsta n d e s
lehren, sondern ein E in sw erd en m it G o tt und ein W irk e n m it ihm, in n erlich fr e i, ab er in d er L ie b e th ätig . D e r M en sch als G o ttes W erk zeu g h at den B e r u f, die E rd e zu verklären und die A n g st des T o d e s umzuwfindeln in das him m lische Freu d en reich , b is die ganze E rd e zum G o tte sre ich w ird, eine H erd e und ein H i r t -j^ggy Ja co b Böhme. Rede zur Böhm e-Feier etc. 227
2 2 8 - Lasson, H e ft 7 u. 8.
I n der h errschend en L e h re sind es besond ers zwei P u n k te , die B ö h m e b e k ä m p ft: die äu ssere Z urechnu ng des V e rd ie n ste s C h risti und d ie G nad enw ahl. S ic h b loss m it dem C h ristu s fü r uns zu trö s te n , das s ch ilt er ein K itz e ln und H e u ch e ln ; C h risti V e rd ie n s t w ird e rs t w ah rh aft u n ser, wenn C h ristu s in uns leb t.
C h ristu s h at n ich t ein V e rd ie n st, er is t selb er das V e rd ie n s t; ihn m üssen w ir uns aneignen, n ich t von au ssen , dass w ir in frem d er W e se n h e it b lie b e n , sondern von in n en , dass w ir seine W e se n h e it an n eh m en ; nur C h risti eingeborene W e se n h e it kann die K in d s c h a ft ererben. C h ristu s is t unser H im m e l; er m uss in uns eine G e s ta lt gew innen, sollen w ir im H im m el sein. U n d ebenso b e s te h t B ö h m e au f d er F r e ih e it des M en sch en . G o tt is t n ich t U r s a c h e , dass jem an d verloren wird. W e r L ie b e im H erzen trä g t, b arm herzig und san ftm ü tig is t und w ider das B ö s e ankäm p ft, um zum L ic h te zu dringen, der le b t m it G o tt und is t ein G e is t m it G o tt. G o tt h a t den Ju d e n das G e setz g e g eb en , d am it sie an H e ilig k e it und L ie b e ein V o r b ild d er ganzen W e lt würden. A ls sie h o ffärtig au f ih re G e b u rt pochten und aus dem G esetze d er L ie b e einen V orw an d d er F e in d s c h a ft m achten, da stiess G o tt ihren L e u c h te r um und w andte sich zu den H eid en . J e t z t is t C h risti R e ic h d urch das C erem onienw esen v e rd e rb t zum P ra c h tre ic h d er G le is n e re i; d er re ch te G lau b e und das re ch te V erstä n d n is is t verloren.
W o w ir n ich t um kehren und unseren B e r u f im G e is te erfassen , so w ird es uns g leich also ergehen.
D ie s e w enigen A ndeutungen m üssen an d ieser S te lle aus
re ic h e n , um die R ich tu n g zu b eze ich n en , in d er sich B öh m es relig iö ser G ed an kengang bew egt. E r sch ä tzt sein en B e r u f n ich t gerin g ein. E s is t eine W en d e d er Z e ite n ; die N a ch t w eicht, d er T a g b e g in n t, und sich selb er fü h lt er als einen T rä g e r des L ic h t s , zw ar als das b esch eid en ste G e fä s s , kaum m ehr als ein e in fältig es K in d , das zur S ch u le g e h t; ab er was er h a t, das h at er von oben em p fan gen , und so d arf er die ihm au fgetragen e B o ts c h a ft au srich ten . E r is t in sein er inneren E n tw ick lu n g s te tig gew achsen, von d um pfer U n k la rh e it b is zu im m er b estim m terer E rk e n n tn is. V o n dem engen A n sch lu ss an die d u n k le, ab er
g läu b isch e, zuw eilen absu rd e N atu rphilosophie des Z e ita lte rs , an A lch y m isterei und A stro lo g ie, is t er nie ganz lo sg ek o m m e n ; ab er w enigstens fre ie r ist er gew orden. In seinen letzten S ch rifte n hat er fü r den R e ich tu m sein er an d ach tsvo llen A nschauungen einen
1 8 9 7 . Ja co b Böhme. Rede zur Böhm e-Feier etc. 2 2 0 im m er innigeren, sch lich te re n , bisw eilen geradezu herzbew egenden A u sd ru ck g efu n d en ; v erg leich t man ihn m it den L eistu n g en seiner g eleh rten Z eitgenossen , so d a rf man ihm b e i aller B re ite und U m stä n d lich k e it des A u sd ru ck s ein v erhältnism ässig hohes M ass auch sp rach lich er S ch ö n h eit zuerkennen. D ie T ie fe seiner kindlichen S e e le äu ssert sich in g lü ck lich e n , o ft hoch poetischen B ild e in aus dem G e b ie te des N atu rle b en s, w ie es v o r aller A ugen daliegt.
N ic h t je d e r S a tz , w ie er ihn in sch a rf zugespitzter P arad o x ie au ssp rich t, kann g e b illig t w e rd e n ; so m anche sein er A nschauungen, die eine tiefb e g rü n d e te religiöse E m p fin d u n gsw eise in ein seitiger A u ssch liesslich k e it gelten d m achen, is t w ohl im S tan d e zu ver
wunden und zu verletzen. D en n och d arf man ihm in d er H au p t
sache das V e rd ie n s t m ild er B eso n n en h eit und M ässigung n ich t ab sp rechen. W o sich die in je n e r Z eit so w eit v e rb re ite te unge
sunde Sch w ärm erei an ihn d rängte, h at er sie k rä ftig abgew iesen und b ei allem M angel an verstän d ig er K r i t i k , b ei aller N ach g ieb ig k e it gegen den herrschend en A b erg lau ben w enigstens ein n ich t erfolg loses S tre b e n au fgew and t, sich vor Ü b e rtre ib u n g und U n g eb ü h r zu wahren.
H artk ö p fig e V e r tr e te r d er O rth o d o x ie , wie sie sich dam als in der fa n a tisch b eto n ten rein en L e h re genügte, haben den edlen M ann v erfo lg t bis über das G ra b hinaus und ihm ein w irkliches M artyriu m a u fe r le g t; herzlose A b u rteilu n g d urch T h eolog en von äh n lich er R ich tu n g kann man noch bis in die G eg en w art hinein vernehm en. D en n och h at B öh m e im W e se n tlich en v o r der G e sch ich te R e c h t b ehalten. D ie w eitergehend e E n tw ick lu n g hat v ie lfa ch gerade d iejenigen E le m e n te , die B ö h m e im K a m p fe w ider B a b e l, wie er so gern die herrschend e K irc h e b eze ich n et, in den V ord erg ru n d s te llte , aufgenom m en, um das geistig e L e b e n der K ir c h e und d er G läu b ig en dadurch zu bereich ern . ^ K ö n ig e auf dem T h ro n , w ie d er u n glü cklich e K a r l I . von E n g lan d , und K ö n ig e im R e ic h e d er W isse n sch a ft, w ie L e ib n iz und N ew ton, haben den M ann h o ch g eh alten ; S ch a a re n von ern sten und h och streb end cn C h riste n , S p e n e r vo r allem und d ie um ihn, haben von B öh m es S ch rifte n bed eutsam e A nregungen em p fan g en ; unzählige haben aus seinen S c h rifte n T r o s t und E rh e b u n g gesch öp ft. D a ss auch dum pfe Sch w ärm erei sich aus seinen S c h rifte n zusagende N ahrung gesogen hat, b eg rü n d et gegen ihn k einen T ad el. M an m uss ihn im Zusam m enhange sein er Z e it b e g re ife n , um ihn g e re ch t zu
M onatshefte der Comenius-Geacllscliaft. 1897. 1 5