• Nie Znaleziono Wyników

Monatshefte der Comenius-Gesellschaft, September - Oktober 1897, 6. Band, Heft 7-8

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Share "Monatshefte der Comenius-Gesellschaft, September - Oktober 1897, 6. Band, Heft 7-8"

Copied!
76
0
0

Pełen tekst

(1)

* ' Monatshefte jg

■ Comenius-Gesellschaft. *

H erau sg eg eb en von L u d w ig Keller.

ig|t| Sechster Band. ||||

SjB ß S i e b e n t e s u n d a c h t e s H e f t . |Pmr|

S e p te m b e r— O k to b e r 1 8 9 7 .

fMVö/ß R . G a e rtn e rs V o r la g s b u c h lia n d lu n g wivjf

l u l l f $ H e r m a n n H e y f e l d e r .

D er Bezugspreis beträgt im Buchhandel und bei der Post jäh rlich 10 M ark.

Alle Rechte Vorbehalten.

(2)

Inhalt

d e s s i e b e n t e n u n d a c h t e n H e f t e s 1 8 9 7.

Abhandlungen. Seite

A d olf L a sso n , Ja co b Böhme. Rede zur Böhm e-Feier im Festsaale des Berliner R athauses am 4. April 1 8 9 7 ... 2 1 3 D r. H . Schw arz, D as V erhältnis von L eib und Seele 2 4 8

Kleinere Mitteilungen.

Die P län e des Com enius zur Gründung eines Collegium L u cis in U ngarn im Ja h re 1051 ... 2 7 2 Sebastian F ra n ck s U rteil ü b er die „W iedertäu fer“ und d eren an­

geblich aufrührerische A b s i c h t e n ... 2 7 5 D es Joh an n D uraeus Em pfehlung des Comenius an den schw edischen

H ofprediger D. Jo h . M atthiae. M itgeteilt von Lic. Dr. T o l l i n in M a g d e b u r g ... 27G

Besprechungen und A n z e ig e n ... 278 Das Pantheistikon des J o h n T o l a n d . Übersetzt und mit Einleitung versehen von Dr. L u d w i g

F e n s c h (Keller). — F r . B o s s e , Prologomena zu einer Geschichte des Begriffes „Nachfolge Christi“ (Karl Mümpel). — F r i e d r i c h T h u d i c l i u m , Promachiavell (J. Gmelin). — D e u s s e n , Jacob Böhme und K a w e r a u , Jacob Böhme (H. Romundt). — P a u l N a t o r p , Grundlinien einer Theorie der Willensbildung (L . M.).

N a c h r i c h te n ... 283

Auffindung einer Sammlung von H e r r e n w o r t e n . — Das Theatrum Universitatis Kerum von C o m e n i u s . — E m i l i o C o m b a über die ital. Protestanten vor der Reformation. — G e o r g B a n k r o t t und S t e p h e n B. W e e k s über die Quäker. — F . T h u d i c h u m über die Einführung der Reformation und die Religionsfrieden von 1552, 1555 und 1648.

Zuschriften b itten w ir an den V orsitzend en d er C. G r . , A rchiv-R at Dr. L udw . K e lle r, B erlin W .- C h arlotten b u xg, B erlin er Str. 22 zu rich ten .

D ie M onatshefte der C. G . erscheinen m onatlich (mit Ausnahme des Ju li und August). D ie Ausgabe von D oppelheften b le ib t Vorbehalten. D er Ge- samtumfang beträgt vorläufig 2 0 — 2 5 Bogen.

D ie M itglieder erhalten die H efte gegen ihre Ja h re s b e iträ g e ; falls die Zahlung der letzteren bis zum 1. J u l i nicht erfolgt ist, ist die G eschäftstelle zur Erhebung durch P o s t a u f t r a g unter Zuschlag von 6 0 P f. Postgebühren berechtigt. — Einzelne H efte kosten 1 M k. 2 5 P f.

Jah resb eiträg e, sowie einmalige und ausserordentliche Zuwendungen bitten wir an das Bankhaus Molenaar & Co., Berlin C. 2, Burgstrasse zu senden.

B estellu ngen übernehmen alle Buchhandlungen des In - und Auslandes, die Postäm ter — Postzeitungsliste Nr. 4 2 9 6 b — und die G e s c h ä f t s t e l l e d e r C o m e n i u s - G e s e l l s c h a f t , Charlottenburg, Berliner Str. 2 2.

F ü r die Schriftleitung verantwortlich: A rchiv-R at Dr. Ludw . K eller.

(3)

Monatshefte

der

Comenius-Gesellschaft.

VI. Band. 1897. s - Heft 7 u. 8.

J a c o b Böhme.

Rede

zur B öhm e-Feicr im Fcstsaalc des Berliner Rathauses am 4. April 1897 von A dolf Iiasson.

H o ch v e reh rte V ersam m lu n g !

E s is t n ich t d er Z u fall eines D atu m s, d er A b lau f ein er b e ­ stim m ten A n zahl von Ja h r e n oder die W ied e rk eh r eines b ezeich ­ nenden Ja h r e s ta g e s , was den A n lass geboten h a t, S ie zur F e ie r eines hervorragenden d eu tschen M ann es in d iese m it so d anken s­

w erter G ü te zu G e b o te g e stellten glänzenden R äu m e einzuladen.

D ie A nregu ng dazu is t ausgegangen von d er S ta d t G ö rlitz , der ehrw ürdigen H au p tstad t d er O berlau sitz, die Ja c o b B öh m es, des d eu tschen P h ilo so p h en , an S e g en und an K ä m p fe n , an F r u c h t und an M ü hen re ich es L e b e n d erein st in ihren M au ern h at v er­

lau fen seh en. D o rt soll dem b erü h m ten M itb ü rg e r, d essen die S ta d t als ein er d er ed elsten Z ierd en ih res g e sch ich tlich en L eb e n s m it S to lz und D a n k b a rk e it g e d e n k t, ein sein er w ürdiges D e n k ­ m al e rrich te t und d am it zu dem reich en S ch m u ck e , d er die schöne S ta d t auszeichnet, ein neues G lie d von b esond erer B ed e u tsam k e it hinzugefü gt werden. E s g ilt, fü r im m er die E rin n eru n g festzu ­ halten an den H eld en d er tie fste n G ed an k en arbeit, die den N am en d er S ta d t, in d er sie sich vollzog, als den einer gew eihten S tä tte rings auf dem E rd b o d e n b ek a n n t gem acht hat. S ta n d e s- und B eru fsg e n o sse n des h och verd ienten M annes sind in e rster L in ie fü r d iese E h ru n g eines glänzenden N am ens, d er ein h elles L ic h t

Monatshefte der Coiuenius-Gesellsehaft. 1897. 14

(4)

2 1 4 Lasson, H e ft 7 u. 8.

au f das gesam te d eu tsch e H and w erk a u sstra h lt, ein g etreten und sehen in dem zu errich ten d en D en km al ein e sie vo r allen anderen b e tre ffe n d e A n gelegen h eit. A b e r n ic h t die S ta d t G ö rlitz allein od er das Sch u h m ach ergew erbe und das d eu tsch e H an d w erk allein dürfen Ja c o b B ö h m e fü r sich in A n sp ru ch nehm en. A u f keinen besond eren O rt, k einen engeren K r e is b e sch rä n k t sich d er R uhm , d er diesen N am en u m g ie b t: die gesam te d eu tsche N a tio n , die d eu tsch e W iss e n s c h a ft und d er d eu tsch e P ro te stan tism u s dürfen sich des M ann es und seines W e rk e s fre u e n , und alle d iejen igen , die d eu tsches W esen , d eu tschen G e is t und d eu tsch e B ild u n g lieben und hochzuhalten en tsch lo sse n s in d , d ürfen sich h ier in einem gem einsam en G e fü h le und einer gem einsam en A u fg ab e vereinigen.

G erad e d er in d ie ser Z e it vorh errsch en d en g eistig en Ström u n g gegenü ber is t cs von b eson d erer W ic h tig k e it, das A ndenken Ja c o b B ö h m es leb en d ig zu erh alten und d afü r zu so rg e n , dass au ch in Z u k u n ft das W e rk sein es L e b e n s n ich t vergessen werde. D ie se grosse S ta d t ab er, d er M itte lp u n k t des erneuten d eu tschen R e ich e s und eine d er h au p tsäch lich sten W e rk stä tte n d eu tsch er G e is te s ­ a rb e it, d arf am w enigsten Zurückbleiben, wo es sich um eine all­

gem eine d eu tsch e A n g eleg en h eit hand elt. D en tie fe n D e n k e r zu ehren, d er d eu tsch e G e is te s a rt in ganz b esond ers k rä ftig e r W e ise zum A u sd ru ck g e b ra ch t hat, is t sich e r d ie d eu tsche, die p reu ssisch e H au p tstad t b eru fen vor an d eren , und d iese zah lreich e V ersa m m ­ lung bew eist, dass auch in diesem F a lle der A n ru f zur B eth ä tig u n g d er L ie b e zu d eu tsch er W is s e n s c h a ft und d eu tsch er G e sittu n g in u n serer lie b e n S ta d t einen k rä ftig e n W ied e rh a ll gefunden hat.

E in e B ö h m e -F e ie r an d ieser S tä tte und in d ieser U m gebung w ird andere G e sich tsp u n k te in den V o rd erg ru n d zu stellen haben, als wo von dem M an n e in den H allen d er W iss e n s ch a ft und vo r den V e rtre te rn fa ch m ässig er G esch ich tsk u n d e gehand elt wird. D as allgem eine In te re s se an B ö h m es G e s ta lt h a fte t v o r allem daran, dass d er M a n n , d e r, m ag m an so n st ü ber ihn u rte ilen , w ie man w ill, je d en fa lls im G e iste sle b e n sein er N ation und über die G ren zen sein er N ation hinaus eine bed eutsam e S te llu n g n ich t b loss vor­

übergehend, sondern m it n ach h altig er K r a f t eingenom m en hat, ein sc h lic h te r H a n d w erk er w ar, ein M ann ohne h öh ere schulm ässige B ild u n g . D a ra u f zu erst w ird sich u n ser A u genm erk zu rich ten haben. D ie G rö sse und E ig e n tü m lich k e it seiner L e is tu n g is t dann das z w eite, w as den G egen stan d u n serer E rö rte ru n g b ild en w ird

(5)

1 8 9 7 . Jaco b Böhme. Rede zur Böhm e-Feier etc. 2 1 5

innerhalb d er G ren zen , die uns die G eleg en h eit und ihre B e ­ dingungen auferlegen.

Ü b e r Ja c o b B öhm es äusseren L eb en sg an g dürfen w ir uns auf w enige A n gaben b esch rän k en . G e b o ren is t er 1 5 7 5 zu A lt­

seid en b erg , einem D o rfe b e i dem Städ tch e n Seid en b erg in d er L au sitz u n m ittelb ar an d er G renze B öh m en s, als Sohn gering b e ­ g ü terter B au e rsle u te. S c h u lu n te rrich t h a t er in der S tad tsch u le zu Seid en b erg g en o ssen , sch w erlich w eit ü b er das M ass hinaus, das dam als fü r einen zum H and w erk b estim m ten ju ngen M ann erfo rd erlich schien. D en n d er H an d w erk erb eru f w ar dem K n a b en w egen sein er schw äch lichen K ö rp e rb e sch a ffe n h e it zuged acht. In seinem vierzeh nten Ja h r e tr a t er als L e h rlin g in eine Sch u h m ach er­

w e rk statt zu S e id e n b e rg ; zehn Ja h r e sp äter erw arb er das M e iste r­

re c h t zu G örlitz. E r b e trie b sein G ew erb e fle issig und m it E r ­ fo lg b is 1 6 1 3 . D an n liess er sein H and w erk lie g en , um G o tt und seinen B rü d ern in einem anderen B e ru fe zu dienen u n ter grossen So rg en imd m an ch erlei V erfo lg u n g , ab er n ich t ohne A u s­

h ilfe und U n terstü tzu n g d urch eng verbundene F re u n d e und Jü n g e r. E in e S c h rift, die er v e rfa ss t h atte, ursprünglich nur fü r sich , ohne den G ed an k en an V e rö ffe n tlic h u n g , nur um dem was in ihm leb end ig gew orden w ar, A u sdruck und G e s ta lt zu geben, war durch einen F re u n d in m ehreren E x e m p la re n ab g esch rieb en und v e rb re ite t worden. Ih re W irk u n g w ar so g ro ss , d er K r e is von B ew u n d erern , d er sich um ihn sch arte, so au sged ehn t, dass er an seinem B e ru fe n ich t län g er zw eifeln konn te. I n reich em V e rk e h r m it M änn ern von A n seh en und G e le h rsa m k e it b ild ete er seine G ed an ken w eiter d u rch , und sein V e rm ö g e n , dem was ihn in n erlich b ew eg te , sch riftste lle risch e n A u sd ru ck zu geben, w uchs b is zu verh ältn ism ässig er M e iste rsch a ft. S o h at er von 1 6 1 8 b is zu seinem T o d e im Ja h r e 1 6 2 4 eine grosse A n zahl von S c h rifte n v e rfasst, die zun ächst nu r in A b sch rifte n auf engere K r e is e w irk te n , nach seinem T o d e im D ru ck e v e rb re ite t üb er D eu tschland s G ren zen hinaus sich v iele G em ü ter erob erten und in d er g eistig en B ew eg u n g des Z eita lte rs ein n ich t zu übersehend es E le m e n t bilden. U n d b is au f den heutigen T a g d auert ih re W ir ­ kung fo rt, die im W e c h s e l d er Z eiten wohl zuw eilen ab geschw ächt, ab er niem als v ö llig u n terd rü ck t w erden konnte.

D e r H a n d w e rk e r, d er als F ü h re r ein er ein flu ssreich en g e isti­

gen Strö m u n g auch litte ra risch e n R uhm gew innt und d urch den 14*

(6)

2 1 6 Lasson, H e ft 7 u. 8.

R e ich tu m tie fsin n ig e r G ed an k en die B lic k e d er W e lt au f sich g e fe ss e lt h ält, is t gew iss eine auffallend e, ab er im m erhin in jenem Z e ita lte r k ein e ganz v erein zelte E rsch ein u n g . D ie B ed eu tu n g des H and w erks fü r das g eistig e L e b e n d er deu tschen N atio n w ar se it dem 14. Ja h rh u n d e rt n ich t gering. D as Ü b e rg ew ich t der g e le h rte n , d er stu d ierten Stän d e h at sich e rst in den letzten Ja h rh u n d e rte n m it v o lle r E n tsch ied e n h eit h erau sgebild et. D a s H an d w erk b rach te n ich t b loss G ew inn und E h r e ; seine V e rtre te r w u ssten sich auch eine S te llu n g im städ tisch en R e g im e n t zu er­

ob ern und bew ährten sich durch T ü c h tig k e it e rn sth a fte r G esinnu ng au ch in d er L ite ra tu r. A ls dem gesunkenen R itte rsta n d e m it des äusseren L e b e n s B lü te auch die F ü h ru n g in d er P o e sie verloren gieng, da le b te ein N ach k lan g altein h eim isch er K u n stü b u n g b ei den M e istersin g e rn , in den G esan g essch u len d er H an d w e rk e r, fo rt.

A n den B ew egu ngen des R e fo rm a tio n sz eita lters h a t das d eu tsche H an d w erk sich in hervorragend em M asse b ete ilig t. S e it die H e rr­

s c h a ft des K le ru s in d er K ir c h e b e se itig t w ar, das A m t der P re d ig t und Sakram entssp end u ng im p ro testan tisch en D eu tsch lan d als A u sflu ss d es allgem einen P rie ste rtu m s angesehen wurde und die zur F ü h re rin d er ch ristlich e n G em eind e b eru fen e G e is tlic h k e it als „unser aller M u nd “ n ach L u th e rs A u sd ru ck g alt, da g r iff man, schon des M angels an stud ierten T h eo lo g en w egen, n ich t selten auch zu H an d w erkern von allerlei F ä c h e rn , zu B u ch b in d ern , S ch u h ­ m achern, Sch n eid ern , um das P red ig ta m t in v oller A usdehnung

zu b esetzen und e rte ilte ihnen die O rd inatio n. I n vielen G eg en ­ den D eu tsch la n d s, in d er S ch w eiz , in den N ied erland en zeigte sich gerade in H an d w erkerk reisen ein hoch g esteig ertes religiöses L e b e n , n ic h t ohne oftm als in w ied ertäu ferisch e Sch w ärm erei ein­

zum ünden. A u s Z w ickau stam m t der T u ch m ach e r N icolau s S to rch , aus S ch w aben die K ü rs c h n e r A u gu stin B a d e r und M e lch io r H o ff- m ann, die sich durch schw ärm erische P re d ig t w eitreichend en E in ­ flu ss und A n hang gew annen. A n d ere v ielgenannte M än n er sind d er B ä c k e r J a n M a tth y s , der G lasm aler D a v id Jo r is . S eb astian F r a n c k von D onau w örth, d er g eistv olle und edelgesinnte M y stik er, h a tte stu d iert und eine Z e it lang in der alten K ir c h e als G e is t­

lich e r g e w irk t; n ach h er n ährte er sich als S e ife n sied e r und B u c h ­ d rucker. N o ch in B öh m es Z eit m ach te d er Sp ro ttau er W e issg erb e r C h ristian K o tte r von L angen au durch sein P rop h eten tu m A u f­

sehen. ü b e r alle diese ra g t dann fre ilich der S c h u ste r Ja c o b

(7)

1 8 9 7 . Ja c o b Böhme. Rede zur BÖhme-Feier etc. 2 1 7 B ö h m e w eit hervor. V o r w enigen Ja h re n , 1 8 9 4 , is t überall in D eu tsch lan d die liebensw ürdige G e s ta lt des N ürnberger S ch u sters H ans S a ch s auf A n la ss der vierhun dertsten W ied e rk eh r seines G e b u rtstag es in d an k barer und lieb ev o ller E rin n eru n g g e fe ie rt worden. E s ist ohne Z w eifel ein hoher R uhm fü r das S ch u h ­ m achergew erbe, dass zwei so ausgezeichnete M änn er ihm angehört haben, wie der h erzliche, kluge, erfin d u n gsreich e N ürnberger P o e t und der tiefsin n ig e, g rü blerisch e, g o ttin n ig e T h eosop h von G örlitz.

P räg en w ir aber, w er von diesen b eid en tie fe r in das G e iste sle b e n d ieser drei Jah rh u n d e rte ein g eg riffen h a t, so w ird in d ieser B e ­ ziehung un zw eifelhaft Ja c o b B ö h m e die P alm e zu reich en sein.

D er alte M e istersän g er is t eine h ö ch st anziehende g esch ich tlich e E rsch e in u n g ; ab er uns un m ittelbar anzusprechen verm ag er n ich t m ehr. Ja c o b B öh m es S c h rifte n dagegen sind ein noch un er- scliö p fte r Q u e ll der B eleh ru n g und A nregung auch fü r die kom ­ menden G e sch le ch te r.

D a ss er ein H and w erker w ar, is t fü r die E ig e n tü m lich k e it seiner E rsch e in u n g d och n ich t ohne B ed eu tu n g . D en H and w erkern ganz allgem ein war in a lter Z e it d er g eistige W e r t ihres S ch a ffe n s in ahnungsvollem B ew u sstsein lebend ig und gegenw ärtig. D ass das H and w erk durch m ühsam e und k u n stfe rtig e B ea rb e itu n g der S to ffe , die die N atu r d a rb ie te t, m enschlichen B ed ü rfn isse n d ient und w irtsch aftlich en W e rt b esitzt, indem es nü tzliche oder e rfreu ­ lich e D inge g e stalte t, dam it is t doch seine B ed eu tu n g keinesw eges ersch öp ft. J e w eniger d er m echanische Z usam m enhang d er N atu r­

erscheinu ngen und die gesetzlich e W irk sa m k eit der N atu rk räfte sich d er denkenden R e fle x io n erschlossen h a tte ; je m ehr man in das B ild e n und S c h a ffe n , das dem M asch in en artig en und R a tio ­ n ellen noch fe rn , au f G ru n d herk öm m lich er Ü bung der persön­

lich e n B eth ätig u n g fre ien R au m liess, die eigene S e ele le g te : um­

som ehr b ew eg te man sich in der A hnung tie fe r G eheim nisse, und d er S ie g des G e iste s, der g e sch ick te n H an d und d er ü b erlieferten K u n s t üb er die N aturgew alten d rü ck te sich aus in tiefsin n ig en Sym b olen und F o rm e ln , m it denen sich das handw erksm ässige .Thun schm ü ckend und bed eutu ngsvoll um gab. M an fand sich d er ganzen Stim m u ng des Z eita lte rs g em äss ü b erall m itten in der äusseren E rsch e in u n g d er D in ge in einer G e iste sw e lt v o ller T iefen und W lind er. S o lä sst es sich als ein N achhall d ieser allgem ein in den K re ise n des H and w erks lebend en S in n esart bezeich nen,

(8)

‘2 1 8 Lasson, H e ft 7 u. 8.

was in den tiefg rab en d en G ed an ken g än gen des Sch u h m ach crs Ja c o b B ö h m e ein en o ft verw undersam en, bisw eilen m ach tv oll fesseln d en A u sd ru ck gew onnen hat.

D a s H an d w erk is t in die H ö h e gekom m en m it dem A u f­

schw ung städ tisch en W e se n s und b ü rg e rlich e r G esinnu ng üb er­

haupt, in e n g ster G e m e in sch a ft m it d er B lü te des H an d els und alles städ tisch en G ew erbes. D a s Z e ita lte r, in dem Ja c o b B ö h m e le b te , b eze ich n et in d ieser B ezieh u n g einen H ö h ep u n k t und zu­

g leich den A b sch lu ss. B öh m e h a t n och die ersten Ja h r e jen es fu rch tb aren K rie g e s geseh en , d er d reissig Ja h r e hind urch D e u ts ch ­ land v e rh e e rt und das b lü hend ste L a n d E u ro p as in eines der elen d esten um gew andelt hat. D a s 17. und 1 8. Ja h rh u n d e rt haben dann den N ied ergang alles städ tisch en L e b e n s und alles b ü rg er­

lich en G ew erb es e rb lic k t. E s begann die trau rige Z e it, wo fa s t nu r noch d er G e b u rtsa d el p ersön lich es A n sehen und g e se llsch a ft­

lich en W e r t verlieh. D a s H and w erk in sb eso n d ere v erlor in der allgem einen V erarm u n g und in dem Ü b e rg ew ich t des höfischen L e b e n s, in d er F rem d län d erei und d er V ersch lim m eru n g d er s itt­

lich e n Z uständ e au ch den gold enen B o d en , d er es frü h e r getragen und gen äh rt h atte. E r s t das Ja h rh u n d e rt, das je tz t au f die N eige geh t, h a t w ieder den frisch e re n A u fschw ung des H and w erks m it dem A u fkom m en aller b ü rg erlich en S tän d e überhau p t h erbeige­

fü h rt. E in erh öh etes Stan d esb ew u sstsein und ein frö h lich e s V o r ­ w ärtsstreb en in ern eu ten L eb e n sfo rm en h a t sich m itten in den g ro ssen p o litisch en und sozialen U m w andlungen h erau sg ebild et, nachd em das H and w erk, v e rjä h rte r F e ss e ln en tled igt, in dem völlig verän d erten äusseren L eb e n neuen A u fg ab en gegen ü b erg estellt war. A b e r nun h at das alte d eu tsch e H and w erk auch m it neuen M äch ten von frü h er nie g eah n ter S tä rk e den m ühsam en K a m p f zu b e ste h e n : m it der s te tig w eiter w achsenden G ro ssin d u strie, m it dem F a b r ik - und M aschinenw esen. Zu den a lte n , ü b erleb ten F o rm en zu rü ck zu k eh ren , is t unm öglich. D as G e b ie t des H and ­ w erks is t durch die neuen und segen sreich en E n tw ick lu n g en un­

w id erru flich eingeengt w orden. D en n o ch is t kein Z w eifel g e­

s ta tte t, dass das H an d w erk als die S tä tte fü r die B eth ätig u n g p e rsö n lich er G e s c h ic k lic h k e it, d u rch geb ild eten G e sch m a ck s und ein sich tig er E rfa h ru n g auch k ü n ftig und fü r alle Z eit eine h ö ch st bed eutsam e S te llu n g wie im w irtsch a ftlich e n , so im allgem einen K u ltu rle b e n d er N atio n zu behau pten im S tan d e sein w ird ; d er

(9)

1 8 9 7 . Ja co b Böhme. Rede zur Böhm e-Feier etc. 2 1 9

S tr e it d reh t sich allein um die F ra g e , w elche M itte l die geeig n et­

sten sind, um die allen erw ü nschte H eb u n g des H and w erks h er­

beizuführen und zu sich ern . I n d er H itze des K a m p fe s, den das d eu tsch e H and w erk eben je tz t um seine w irtsch aftlich e und ge­

se llsch a ftlich e G eltu n g fü h rt, is t ihm d iejen ig e S tärk u n g seines Se lb stg efü h les wohl zu g ön n en , d ie ihm die E rin n eru n g an die Stellu n g , die es d erein st im L e b e n d er N ation eingenom m en hat, zu gew ähren verm ag. I n d iesem S in n e m ag die F e ie r eines durch G eiste sg rö sse hervorragend en H and w erksm annes, w ie w ir sic heute beg eh en , auch au f die g eistig e B ed eu tu n g d er K ä m p fe , die eben je tz t in d er Ö ffe n tlic h k e it um die g eeig n etsten O rganisationen fü r eine neue B lü te des H an d els m it so g rö sser L e id e n s ch a ftlich ­ k e it g e fü h rt w erden, einen verklärenden Sch im m er w erfen und zu d eu tlich erem B ew u sstse in b rin g e n , um w ie hohe G ü te r es sich fü r die ganze N ation in d iesen K äm p fe n handelt.

W o rin ab er b e s te h t die L eistu n g , die J a c o b B öh m es N am en dauernden R uhm v e rs c h a fft h a t, die ihn auch noch fü r unsere Z e it und fü r alle Z u k u n ft d er E rin n eru n g w ert m a ch t ? D ie S ch w ie rig k e it, d arüber in ged rängter K ü rz e eine allgem ein v e r­

stän d lich e A u sk u n ft zu geben, d arf von dem V ersu ch e an d ieser S te lle und b ei d iesem A n la ss n ich t ab sch reck en . E s w ird d reierlei hervorzuheben sein : B öh m es B ed eu tu n g fü r die religiöse K u ltu r, sodann seine A nschauungen ü b er die letzten G rü nd e alle r W e lt­

erscheinung, end lich seine A r t der N atu rbetrach tu n g . U n te r diesen d rei G e sich tsp u n k te n , sch e in t e s , lä sst sich am eh esten das b e ­ deutsam e L eb e n sw e rk des d eu tschen P h ilo so p h en d arstellen und würdigen.

B ö h m es S tellu n g zu den religiösen F ra g e n w ird ch a ra k teri­

sie rt durch den ausgesprochenen G eg en satz zu der in d er K irc h e sein er Z eit zur H e rrs c h a ft gelangten R ich tu n g . D e r sch öp ferisch e Zug religiösen G e iste s, der die gro ssen R efo rm ato ren b ei d er E r ­ neuerung alles k irch lich e n L eb e n s getrieb en h a tte , w ar in je n e r Z eit län g st erm attet. D a s In te re s se an d er R e lig io n h atte sich in den w eiten K re ise n der organ isierten K ir c h e zurückgezogen au f den K a m p f um die rein e L eh re. M it einem ungem einen A u f­

wand von S ch a rfsin n h atte m an sich b em ü h t, d ie religiöse L e h re sy stem atisch durchzubilden und gegen alle abw eichenden A n sich ten ein fü r allem al fcstzu legen . B e te ilig t war d abei am allerm eisten der nü chterne V e rsta n d und seine äu sserliche K onsequenz. D ie

(10)

2 2 0 Lasson, H e ft 7 u. 8.

H e ilsg e sch ich te w ar zu rü ckgefü h rt au f eine b estim m te Anzahl von E re ig n isse n aus fe rn e r V erg a n g e n h e it, d er H eilsg lau b e auf die V erstan d esü b erzeu g u n g von b estim m ten, d urch die k irch lich e A u to ritä t vo rgesch rieb en en L eh rsätzen . D as an sich durchaus b e re ch tig te B e stre b e n , dem B ed ü rfn is d er K ir c h e n ach ein er ein ­ h eitlich en L eh rfo rm seine B efrie d ig u n g zu v e rsch a ffe n , h atte in die E in s e itig k e it v e rfü h rt, das schu lm ässig d u rch g eb ild ete L e h r- sy stem als den e ig en tlich en In h a lt alles k irch lich e n und religiösen L e b e n s zu b e tra ch te n und d arüber eben soseh r den A u fb au des inneren M en sch en wie die B eh errsch u n g d er th ätig en L e b e n s ­ äusserungen zu verabsäum en. D e r unendliche G e h a lt des religiösen V e rh ä ltn isse s zu G o tt in C h risto wurde h eru n terg ed rü ck t auf das N iveau ein er en d lichen V o rste llu n g sre ih e , die sich in b estim m te P arag rap h en fassen und g ed äch tn ism ässig aneignen liess. E s war ein Z ustand d er E rsta rru n g und V eräu sserlich u n g , der d och zu­

g leich die schlim m sten L eid e n sch a fte n unduldsamen H asses und fe in d se lig e r V erfo lg u n g ssu ch t e n tfe s s e lte ; d er K a m p f um th eo lo ­ gisch e M einungen ersch ien in dem L ic h te des S tr e ite s fü r die S a c h e G o tte s , und in verhängn isvollem Irrtu m m ein te man fü r d ie ch ristlich e W a h rh e it und fü r das H e il d er Seelen zu käm pfen, wenn man m it eigensinn iger U n b e le h rb a rk e it die eigene A u ffassu n g als die allein m ö g lich e, allein ch ristlich e b eh a u p te te , je d e A b ­ w eichung ab er als strafw ürdige K e tz e re i verdam m te.

In d e sse n , d er G eg en satz gegen d iese V erä u sserlich u n g des religiösen G e iste s w ar n ich t v erstu m m t, und es waren v ielfach d ie tie fe r angelegten G e m ü ter m it h eisserem B eg e h re n und höherem G ed an k en flu g , die sich u n b efried ig t von dem , was ihnen die o ffi­

zielle K ir c h e m it ih re r am tlich en V erk ü n d ig u n g bot, suchend und streb en d zu besond eren G em ein sch aften zusam m en sch lossen, um an e ch teren Q u ellen ih re H eilsb eg ierd e und ihren W ah rh eitsd u rst zu stillen . V o n den ersten Ja h r e n d er grossen B ew egu n g an, die zur R e fo rm a tio n d er K ir c h e fü h rte , sehen w ir d iese N eb en strö ­ m ung h eran w ach sen , von m anchen u n v eräch tlich en G e iste rn ge­

fö rd e rt, die in d er h errsch en d en A u ffassu n g von der G e sch ich te d ieser Z eiten im m er noch n ich t zu ihrem R e c h te g elan g t sind.

D e r H ass lind die V erfo lg u n g , die B efeh d u n g durch die g eistlich e und d ie U n terd rü ck u n g durch die w eltlich e G e w a lt, konnte sie w ohl zurück d rän g en , ab er n ich t v e rn ich te n , und se lb st die w ilde A u sartu ng, in die sie m anche v erfü h rte, hind erte n ich t, dass alte

(11)

1 8 9 7 . Ja c o b Böhme. Rede zur Böhm e-Feier etc. 2 2 1

Ü b erlieferu n g en im m er w ieder neu au fleb ten und einzelne und ganze M assen in tie fe re r A n d ach t um sich sam m elten. D iese M y stik e r, Schw ärm er, F a n a tik e r , wie man sie s ch a lt, bilden ein n ich t unw ichtiges E le m e n t in der G esam tstim m u ng des Z eitalters, und wenn m an g e rech t u rte ilt, stellen sie m it allen F e h le rn der U n k la rh e it und Ü b e rtre ib u n g doch der erstarrend en K irch e n le h re gegenü ber ein vorw ärts d rängend es E le m e n t dar, das ein erhöhtes g eistig es L e b e n wohl vorzubedeuten und vorzubereiten verm ochte.

U m die W en d e des 16. Ja h rh u n d e rts, in d er Z eit, wo Ja c o b B ö h m e seine Ju g en d b ild u n g em pfing, w im m elte es gerad e in den G egenden, in denen er seine A nschauu ngen und E rfah ru n g en g e­

w ann, in d er L au sitz und in S c h le s ie n , von solchen angeregten und suchenden G e m ü te rn , die sich von seh r v ersch ied en en S tan d p u n k ten aus in d er O p p osition gegen die h errsch en d e lu the­

risch e L eh rw eise b e g e g n e te n : .P h ilip p isten und K ry p to -C a lv in iste n , S ch w en ck feld er, W ie d e rtä u fe r und M y stik e r a ller A rt, dazu die A d ep ten a lch y m istisch er und a stro lo g isch er S c h w ä rm e re i; sic alle b ild eten zusam m en eine n ich t u n erh eb lich e M a s s e , säm tlich von g leich e r F e in d s c h a ft gegen die herrschend e O rth o d o xie b eseelt, u n ter einand er vielfach gesch ied en und nach ganz getrennten R ich tu n g en auseinander gehend. W ir sehen heute die ratio n a­

listisch e und natu ralistisch e O p p osition gegen die K irch e n le h re am W e rk e ; dam als entstam m te d er W id ersp ru ch anderen K rä fte n des G e m ü tes, aber er war fü r das B este h e n d e kaum m inder b e­

d rohlich.

In d ieser O pposition nun nahm Ja c o b B öh m e seine Stellu n g . G ew iss, n ich t au f diesem G e b ie te lie g t die sch ö p ferisch e O rig in a­

litä t des M annes, durch die er sich in die E rin n eru n g der M en ­ schen ein g ezeichnet h a t; ab er es is t eine h ö ch st bed eutsam e S e ite seines W e se n s, und die b esond ere A rt, wie er sich altü b erlieferter G ed an kenreihen b em äch tig t, die In n ig k e it und auch die B eso n n en ­ h e it, m it der er sie ern eu ert und ausgeprägt hat, verd ien t wohl den D an k sp äterer G e sch le ch te r. N iem and w ird die hohe B e ­ deutung verkennen w ollen, die seit dem letzten V ie r te l des 17.

Ja h rh u n d e rts d er P ie tism u s fü r die E rn eu eru n g der deutschen G e iste sk u ltu r gew onnen h a t: Ja c o b B ö h m e h at dem P ietism u s m äch tig v o rg e a rb e itet und d arüber hinaus d er fo rtsch reiten d en religiösen B ild u n g die w ertv ollsten A n trieb e g e b o ten , die durch tau send K a n ä le bis in unsere T a g e n ach w irken, auch wo man

(12)

2 2 2 Lasson, H e ft 7 u. 8.

von Ja c o b B ö h m e als d er Q u e lle , aus d er sie stam m en, n ich ts m ehr w eiss.

D e r G ö rlitz e r H and w erksm ann ord net sich in seiner S te llu n g zu den religiösen F ra g e n in eine R e ih e e rla u ch te r G e is te r ein, die e r in gew issem S in n e krönend ab sch liesst. E s is t d er alte Zug d es d eu tschen G e iste s zu ein er verg eistig en d en A u ffassu n g des C h risten tu m s, d er in dem M anne eine b eson d ers m äch tige G e s ta lt gew onnen hat. D en S ch a tz von G ed an k en und Stim m u ngen , der seine A n d a ch t und seine A nschauu ng d er g ö ttlich e n D in g e b e­

r e ic h e rt, h a t er allerd ings ü berkom m en; ab er die In n ig k e it und die K la rh e it, — dem herrsch en d en V o ru rte il g egenü ber m uss man diese au sd rü ck lich h ervo rh eben — m it d er er sie au sg ed rü ck t und fru ch tb a r g em ach t hat, is t sein E ig en tu m und sein V e rd ie n st. D ie alten G ed an k en d er deu tschen M y stik aus dem 14. Ja h rh u n d e rt h at er erneuert, in m ildem , frie d fertig e m G e is te ; er will n ich t sow ohl die vorhandenen k irch lich e n In stitu tio n e n b ekäm p fen , als v ielm ehr die em p fänglichen G em ü ter ü ber das V e rh a rre n in äusseren C e re - m onien und ü b er d ie B efrie d ig u n g an verstän d ig ausgeklü gelten L eh rfo rm eln em porheben zu dem in n ersten V e rstä n d n is des grossen G eh eim n isses und zu dem v e rtrau te ste n M itleb en m it C h risto in G o tt. D ie so tie fe s B e d ü rfn is n ic h t em p fin d en , die w ill er in ih re r b esch rän k ten A u ffassu n g n ich t stören. S o stark zuw eilen seine A u sd rü ck e sind, so w enig is t seine in sich g ek eh rte N atu r au f P o lem ik g e r ic h te t; ab er darin fin d et er seinen B e r u f, die höch sten Z iele der inneren E n tw ick lu n g den S e elen d er C h risten vorzu h alten, d am it sie n ic h t in dem N ied eren und G eringen das H ö ch ste schon zu b esitzen w ähnen und darüber ih ren eigen tlich en B e r u f verscherzen.

E s is t n ic h t u n w ahrscheinlich, dass ein u n m ittelb arer oder v er­

m itte lte r Z usam m enhang b e s te h t zw ischen Ja c o b B ö h m e und der böm ischen B rü d e ru n itä t und dadurch auch zw ischen ihm und den alten w ald en sischen A nschauungen. Im m erh in d eu tet schon B ö h m es N am e, d er au f seinen b öhm ischen U rsp ru n g sch liessen lässt, und die Ü b e rlie fe ru n g , dass sein V a te r ein er m ystisch en R ich tu n g an­

geh örte, w eit m ehr noch die dem b ö h m isch en L a n d e so nahe L a g e seines G eb u rtso rtes und d er S tä tte n seiner W irk sa m k e it au f solch e Zusam m enhänge hin. D a ss an d ererseits die G ed an ken C asp ar S ch w en ck feld s, S e b a stia n F ra n c k s , V a le n tin W e ig e ls ihm b ek an n t gew esen sin d , is t gew iss. E r selb er sa g t von s ic h , dass er viel

(13)

1 8 9 7 . Ja c o b Böhme. Rede zur Böhm e-Feier etc. 2 2 3 g elesen h a b e; auch d ie S c h rifte n der älteren M y stik e r werden wohl au f ihn g ew irk t h a b en ; d ie Spu ren solchen E in flu sse s sind d eu tlich genug. A b e r das m ind ert n ich t sein V erd ien st. U n v or­

b ere iteten , die seine Ä u sseru ngen vernehm en, m üssen sie überaus gew agt und o ft völlig frem d artig erscheinen. W e r ab er m it dem G edan kengang und d er A u sdrucksw eise der ganzen R ich tu n g einigerm assen v ertrau t ist, w ird b ei B ö h m e das S tre b e n nach B e ­ sonnenheit und M ässigu ng n ich t v erkennen und auch noch in dem v erw egensten A u sd ru ck die tie fe In n ig k e it einer gotttru n ken en A n d a ch t w ied erfind en, d ie allerd ings das M ass d er G ew ö h n lich ­ k e it w eit ü b ersch reitet. M it dem V o rw u rf des P an th eism u s oder der S ch w ä rm e re i is t h ier n ich ts g e th a n ; m an könnte den A p osteln P au lu s und Jo h a n n e s - den selben V o rw u rf m it grösserem R e c h te m achen. H ö ch sten s so viel w ird man zugeben d ürfen, dass hier ein M om ent, das in ch ristlich e r A n d ach t sein vo lles R e c h t hat, m it ein er gew issen E in s e itig k e it b eto n t und andere g leich fa lls b e re ch tig te M om ente d arü b er ein igerm assen z u rü ck g estellt w orden sind.

In d essen gerade darin h at B ö h m e das A m t eines B e fre ie rs geü b t und kü n ftig en E n tw ick lu n g en den W e g gebahnt. V o n ganz an d erer Stim m u n g aus h a t er G esinnu ngen und B estreb u n g en ge­

fö rd e rt, die m it d em , w as an der A u fklärung das Ä ch te s te und W e rtv o lls te ist, Ü bereinkom m en. D a s B ed eu tsam ste w ird sich in aller K ü rz e herausheben lassen. Z u n äch st dies. Ja c o b B ö h m e ste h t im ausgesproch enen G egen sätze zu d er zornigen S tr e it­

th e o lo g ie , wie sie in d er K ir c h e sein er Z eit das gro sse W o r t fü h rte, und v e r tr itt m it ebenso grö sser M ild e w ie ernstem N ach ­ d ru ck das P rin zip d er D u ld u n g , der D uld ung n ich t b loss fü r abw eichend e G lau b ensm einu ngen innerhalb der eigenen K irc h e und in n erh alb des C h risten tu m s, sondern auch fü r frem d e R elig io n en und K u lte . E r w eiss e b e n , d a ss, wie er sich au sd rü ck t, G o ttes G ab en ohne E n d e und Zahl sind, dass G o tt seine K in d e r wunder­

lich fü h rt und jed em seine G a b e v e rleih t v erschied en von der des anderen. K e in e G ab e d arf man v e ra c h te n ; freu nd lich und lie b re ich vielm ehr soll man den anderen unterw eisen. D ie G leissn er sind es, die Sto lzen , die alle fü r K e tz e r erklären, die ihren S ätzen n ich t zustim m en, und d iese Sä tz e un ter den Sch u tz des w eltlichen A rm es s te lle n ; eben darin erw eist sich , d ass, was sie G lauben nennen, b lo sser H istorien glau be, blosses V erstan d esw issen ist. Ih r

(14)

2 2 4 Lasson, H e ft 7 u. 8.

s tr e ite t um die R e lig io n , sag t e r , und in d er R elig io n is t doch kein S t r e it , nur in m anch erlei G aben ein G e is t; wie ein Baum v iele Z w eige h a t und seine F rü c h te v ielerlei F o rm e n , od er wie d ie E rd e als die einige M u tte r aller m an ch erlei G ew äch se träg t, K rä u te r und G e strä u ch . W ie die E ig e n tü m lich k e iten eines jed en R e ic h e s , so sind S p ra ch e n , S itte n und R elig io n en v e rsch ied e n ; w ie das V o lk ist, so is t sein G o t t ; G o tt h at sich jed em V o lk e nach sein er E ig e n tü m lich k e it offen b art. W a s die T ren n u n g d er L eh ren v ersch u ld et, das is t ü b erall das F e sth a lte n am B u ch sta b e n . D azu ab er is t das lebend ige W o r t in C h risto M en sch gew orden, d am it d er B u ch sta b e und das B ild sterbe. K ö n n te man nur die B ild e r a b th u n , so w ürde das eine lebend ige W o r t h erv o rtreten , und F rie d e würde herrschen s ta tt des S tre ite s . J e t z t ab er wird cs in B ild e r g e fasst, und um d iese B ild e r s tre ite t m an, w eil je d e r das seine fü r das b essere hält. — M an w ird n ich t leugnen d ürfen, dass solch e W o rte und Ü berzeu gun gen in je n e m Z eita lte r h öch st bed eutu ngsvoll sind und eine H öh e d er A n sch auu ng bezeichnen, die noch heute n ich t vielen zugän glich ist, dam als ab er zuku nfts­

re ich die seg en sreich sten W end ungen der m enschlichen G e sch ick e vorw egnahm . D enn auch au f H e id e n , Ju d e n und T ü rk en d ehnt B ö h m e die P flic h t d er D uldung aus. M an ch er Ju d e , T ü rk e oder H e id e , m ein t e r, wird eher ins H im m elreich ein geh en , als die C h risten . D enn d er C h ristennam e m ach t es n ich t. G o tt is t n ich t b lo ss d er C h risten G o tt. A u ch die an d eren , is t ihnen g leich B lin d h e it w id erfah ren , sehnen sich n ach G o tt und seinem H e il;

sie suchen nur n ich t an d er re ch te n S te lle . G o tt, d er allenthalben ist, s ie h t au f des H erzen s G ru n d ; w er b is t du, dass du sie ric h ­ ten w o llte st?

E n g d am it zusam m en h än gt die E n ts ch ie d e n h e it, m it der sich B öh m e überall gegen die ■ v eräu sserlichend e A u ffassu n g der R e lig io n w endet. Zu ch ris tlic h e r E rk e n n tn is, m ein t er, re ic h t der äussere B u ch s ta b e und seine b losse A ufnahm e m it dem V erstä n d e n ich t aus. D e r leb en d ig e B u ch sta b e , G o tte s au sgesp roch enes W o r t und W esen, m uss v ielm eh r im M en sch en selb st o ffe n b a rt und in seinem eigenen In n eren g elesen w erden. D as sind d och nur ge­

m alte C h riste n , die K irc h e n als H äu ser von S te in s tifte n , um darin zu stre iten und zu d ispu tieren. G lau b en is t n ich ts anderes, als den eigenen W illen m it G o tte s W ille n verein igen, in solch er W e ise G o tte s K r a f t und W ille n in das eigene W e se n aufnehm en,

(15)

1 8 9 7 . Ja co b Böhme. Rede zur Böhm e-Feier etc. 2 2 5 so dass b eid e eine Su b stan z und ein W esen w erden. C h ristu s is t n ich t e rst zu b estim m ter Z e it und durch ein bestim m tes E r ­ e ignis in d er M e n sch h e it w irksam gew ord en ; in den G e is te s - m cnschen h a t er von je g e le b t. D a s C h ristentu m war von A n fan g an erhaben über äussere F o rm e ln und C erem onien. D e r K a m p f zw ischen d er sich tb aren und u n sich tb aren K ir c h e , zw ischen dem Sch e in ch riste n tu m und den w ahren K in d e rn G o tte s is t so alt wie die W e lt. V ie le wollen es von aussen haben als eine H isto rie ohne K r a f t und lebend igen G e is t ; ab er n ich t die K in d e r der H is to rie sind die E rb e n d er G ü te r C h risti, sondern die, w elche aus seinem G e is te neugeboren w erden. D e r G e is t is t n ic h t ge­

bunden an F o rm en und an B u ch sta b e n . D a s is t d er G ru nd irrtu m , dass man sich G o tt v o rste llt als ein frem d es, fe rn e s W e se n , au sser­

halb d er W e lt, hoch über den G estirn en , dass C h ristu s fern e von u n s, räu m lich im H im m el zur R e c h te n G o tte s th ro n e, s ta tt in unserem H erzen , s ta tt dass w ir' G lie d er an seinem L e ib e sind.

D e r re ch te H im m el, da G o tt w ohnt, is t ü b erall und u m fasst auch die H ö lle , da die T e u fe l w o h n e n ; denn was k ö n n te au sser G o tt s ein ? M an d arf n ic h t fragen, w ie viel M eilen b is zu dem H im m el sind, wo C h ristu s w ohnt in d er H e rrlich k e it. D u kan n st aus der.

E rd e den H im m el m a ch e n ; gieb nur d er E rd e des H im m els Sp eise, au f dass sie des H im m els W ille n annehm e. W o lebend ige E r ­ kenntnis C h risti ist, da is t d er A lta r G o tte s an allen O rten , und da o p fert die S e e le das re ch te G o tt w ohlgefällige O p fe r im G e b e t.

W a s sind alle d iese B u ch sta b e n und F o rm eln , um die man s tre ite t!

A lle äussere F o rm is t nur A n leitung, das W esen is t der T o d d er S e lb sth eit. W e r au fgeh ört h a t sich selb st zu leben, der is t b ereits im H im m e l, und nur sein ausw endiger M en sch leb t noch in der ird ischen W e lt.

D an ach kann es niem anden verw undern, wenn e r sieht, m it w elcher E n tsch ie d e n h e it in diesem Z eita lte r v erfolgu ngssü chtiger K e tz e rm a ch e re i B ö h m e F r e ih e it d er F o rsch u n g in religiösen D ingen ford ert. Ih m sch ein t es v erb len d ete W illk ü r, das F o rsc h e n zu verb ieten. D a ss d er T e u fe l uns v e rb ie te t, sein R e ic h zu e rfo r­

schen, das is t ja v e rstä n d lich ; denn er fü rch te t, w ir m öchten ihm au f d iese W e is e entgehen. A b e r G o tt will erk an n t sein und fin d et im G e iste seine S tä tt e , in der er heim isch ist. D enn des M en ­ schen G e is t e rfo rsch t alle D in ge und sich selb st, und wenn er in sein eigenes C entrum ein g ek eh rt ist, so erk en n t er d aselb st G o tt,

(16)

2 2 6 Lasson, H e ft 7 u. 8.

aus dem e r stam m t. D aru m is t das V e rb o t d er fre ien F o rsch u n g die eig en tlich e K e tz e re i. E s fü h rt dahin, dass m an W o rte durch W o rte e rk lärt, ohne dass irgen d jem and je erfäh rt, was d er W o rte S in n und B ed eu tu n g sei.

B ö h m e sie h t das sch w erste Ü b e l darin, dass sich der C h rist sein Z iel zu nied rig s te c k e ; darum h ält e r es fü r seine w ich tigste A u fg a b e, den M en sch en an die H öh e seines B e r u fs zu erin nern und ihn zum S tre b e n nach dem höch sten Z iele zu entflam m en.

A us G o tt b is t du g e sch a ffe n , in ihm le b st d u ; aus ihm stam m t d ir K r a ft, S eg en , S p e ise und T r a n k ; in ihm b e ste h t deine W isse n ­ s ch a ft, und wenn du s tir b s t, w irst du in d iesen G o tt begraben.

D ie M e n sch en seele is t wie ein So h n oder ein kleines G ö tterle in in dem gro ssen u n erm esslich en G o tt. H im m el und E rd e m it allen ihren W e se n und G o tt selb er lie g t im M en sch en . G o tt s e lb st is t u n ser W isse n und S e h e n , w ir sind F u n k en aus seinem L ic h te . U m uns alles d ieses R e ich tu m s zu b em äch tigen , brauchen w ir nur in uns selb er einig zu w erden und d er E ig e n su ch t zu entsagen. D ie V ö g e l im W a ld e und die B lu m en au f der W ie se h alten dem G e is te G o tte s still und gönnen ih m , seine W e is h e it und K r a f t d urch sie zu o ffen b aren . S o sollen auch wrir thun.

E in O rg elw erk k lin gt, wie der M e iste r es sch läg t. N ur G leich e s fa s s t das G leich e . W e n n du die S e lb s th e it au fg ieb st, so w ird in d ir das ew ige Seh en , H ö ren und S p re ch e n o ffen b ar, und G o tt ist es, d er d urch d ich h ö rt und sieht. W e n n ich m ich selb er rech t lese, so lese ich in G o tte s B u ch , und ihr, m eine B rü d e r, seid alle m eine B u ch sta b e n , die ich in m ir lese. M ein G em ü t und W ille fin d e t euch in m ir ; ich w ollte von H erzen, dass ih r m ich ebenso in euch fänd et.

A u f d ieser G e m e in s c h a ft m it allen M en sch en in dem sre-o m einsam en g ö ttlich e n W e se n b eru h t nun auch das sittlich e L eb e n im V e r k e h r m it den anderen. A lle B eso n d e rh e it der M enschen stam m t aus ein er gem einsam en W u rzel. W ie kön n te sonst ein M en sch den and eren beim S ch a ll sein er W o rte versteh en ? W a s ein er red et oder sch re ib t, ich kann ihn im rech ten S in n e nur v er­

ste h en , wenn er den H am m er b e s itz t, d er m eine G lo ck e zum E rk lin g e n bringt. D aru m , wras w ir uns u n ter einander thun, das thu n w ir G o t t; w er seinen B r u d e r , seine S ch w este r su ch t und fin d et, d er h a t G o tt g e su ch t und gefunden. W ir sind in ihm alle ein L e ib m it vielen G lie d e rn , deren je d es seine eigene V e r r ic h ­

(17)

tu n g hat. D aru m soll je d e r des N äch sten N utzen und W o h l suchen, je d e r in seinem B e ru fe und B e s itz e sich als G o tte s A m t­

m ann fü hlen. D an ach b estim m t sich auch B öh m es A rb e it in den V erh ä ltn issen des staatlich en und g ese llsch aftlich e n L e b e n s. A u ch die H e rrs ch e r sind G o tte s A m tleu te, n ich t A b g ö tte r; d er O b rig ­ k e it ziem t n ic h t S e lb s ts u c h t noch U n terd rü ck u n g , sondern d er D ie n s t d er G esam th eit. S e lb s t das V o r r e c h t und der S to lz des A d els sch e in t B öh m en n ich t v erträglich m it c h ristlich e r L eb e n sa n ­ schauung, und die L e ib e ig e n s c h a ft h ält er fü r eine w id erch ristlich e In stitu tio n .

D a s e ch te g eistig e C h ristentu m is t n ach B öh m e d ie V o r ­ bed in gung aller V erb e sse ru n g auch d er ird isch en V e rh ä ltn isse . W ir können n ich t and ers m it uns se lb st w ied er eins w erden, ein V o lk , ein M e n s c h , eine S e e le und ein L e ib , als wenn w ir die B ild e r des B u ch sta b e n s in uns zerbrech en und tö ten und von G o tt nur zu w issen b egehren, was G o tt in und d urch uns w issen w ill. W ir m üssen W erk zeu g e des G e iste s C h risti werden. D ann sie h t d er G e is t C h risti in uns und durch u n s, was er w ill, und was e r will, das w issen w ir und sehen w ir in ihm . S o d rin gt B öh m e au f ein th ätig es C h risten tu m und au f einen G lau b en , der m ehr is t als das b losse Fü rw ah rh alten einer H isto rie. M an ch er Ju d e und T ü rk e is t m ehr ein C h ris t und G o tte sk in d , als ein er d er von C h risti L eb e n und S te rb e n die G e sch ich te w eiss; denn solches W isse n haben auch die T e u fe l. D em V erstä n d e is t B u c h ­ stab e und S c h r ift das H ö ch ste. D e r w ahre G lau b e ab er is t da, wo man C h ristu m in sich geboren w erden lä sst, sein e T a u fe , seine V ersu ch u n g , sein L e id e n und S te rb en s e lb st in sich erleb t. D ie äusseren G n ad en m ittel sind nur eine A n le itu n g ; S c h riftle se n und K irch e n g eh en und d ie A bsolution, d ie m an uns äu sserlich an­

kündigt, m achen es n ich t. D em w ah rh aft G läu bigen pred igt n ich t bloss die S c h rift, sondern alle K r e a tu r ; sein A b end m ahl fe ie rt er, indem sein inw end iger M e n sch den w ahren L e ib C h risti geniesst.

S o is t der w ahre G lau b e ein N ehm en und E s se n von G o tte s W e se n ; n ich t ein H än g en an b estim m ten A rtik e ln und V e rsta n d e s­

lehren, sondern ein E in sw erd en m it G o tt und ein W irk e n m it ihm, in n erlich fr e i, ab er in d er L ie b e th ätig . D e r M en sch als G o ttes W erk zeu g h at den B e r u f, die E rd e zu verklären und die A n g st des T o d e s umzuwfindeln in das him m lische Freu d en reich , b is die ganze E rd e zum G o tte sre ich w ird, eine H erd e und ein H i r t -j^ggy Ja co b Böhme. Rede zur Böhm e-Feier etc. 227

(18)

2 2 8 - Lasson, H e ft 7 u. 8.

I n der h errschend en L e h re sind es besond ers zwei P u n k te , die B ö h m e b e k ä m p ft: die äu ssere Z urechnu ng des V e rd ie n ste s C h risti und d ie G nad enw ahl. S ic h b loss m it dem C h ristu s fü r uns zu trö s te n , das s ch ilt er ein K itz e ln und H e u ch e ln ; C h risti V e rd ie n s t w ird e rs t w ah rh aft u n ser, wenn C h ristu s in uns leb t.

C h ristu s h at n ich t ein V e rd ie n st, er is t selb er das V e rd ie n s t; ihn m üssen w ir uns aneignen, n ich t von au ssen , dass w ir in frem d er W e se n h e it b lie b e n , sondern von in n en , dass w ir seine W e se n h e it an n eh m en ; nur C h risti eingeborene W e se n h e it kann die K in d s c h a ft ererben. C h ristu s is t unser H im m e l; er m uss in uns eine G e s ta lt gew innen, sollen w ir im H im m el sein. U n d ebenso b e s te h t B ö h m e au f d er F r e ih e it des M en sch en . G o tt is t n ich t U r s a c h e , dass jem an d verloren wird. W e r L ie b e im H erzen trä g t, b arm herzig und san ftm ü tig is t und w ider das B ö s e ankäm p ft, um zum L ic h te zu dringen, der le b t m it G o tt und is t ein G e is t m it G o tt. G o tt h a t den Ju d e n das G e setz g e g eb en , d am it sie an H e ilig k e it und L ie b e ein V o r b ild d er ganzen W e lt würden. A ls sie h o ffärtig au f ih re G e b u rt pochten und aus dem G esetze d er L ie b e einen V orw an d d er F e in d s c h a ft m achten, da stiess G o tt ihren L e u c h te r um und w andte sich zu den H eid en . J e t z t is t C h risti R e ic h d urch das C erem onienw esen v e rd e rb t zum P ra c h tre ic h d er G le is ­ n e re i; d er re ch te G lau b e und das re ch te V erstä n d n is is t verloren.

W o w ir n ich t um kehren und unseren B e r u f im G e is te erfassen , so w ird es uns g leich also ergehen.

D ie s e w enigen A ndeutungen m üssen an d ieser S te lle aus­

re ic h e n , um die R ich tu n g zu b eze ich n en , in d er sich B öh m es relig iö ser G ed an kengang bew egt. E r sch ä tzt sein en B e r u f n ich t gerin g ein. E s is t eine W en d e d er Z e ite n ; die N a ch t w eicht, d er T a g b e g in n t, und sich selb er fü h lt er als einen T rä g e r des L ic h t s , zw ar als das b esch eid en ste G e fä s s , kaum m ehr als ein e in fältig es K in d , das zur S ch u le g e h t; ab er was er h a t, das h at er von oben em p fan gen , und so d arf er die ihm au fgetragen e B o ts c h a ft au srich ten . E r is t in sein er inneren E n tw ick lu n g s te tig gew achsen, von d um pfer U n k la rh e it b is zu im m er b estim m terer E rk e n n tn is. V o n dem engen A n sch lu ss an die d u n k le, ab er­

g läu b isch e, zuw eilen absu rd e N atu rphilosophie des Z e ita lte rs , an A lch y m isterei und A stro lo g ie, is t er nie ganz lo sg ek o m m e n ; ab er w enigstens fre ie r ist er gew orden. In seinen letzten S ch rifte n hat er fü r den R e ich tu m sein er an d ach tsvo llen A nschauungen einen

(19)

1 8 9 7 . Ja co b Böhme. Rede zur Böhm e-Feier etc. 2 2 0 im m er innigeren, sch lich te re n , bisw eilen geradezu herzbew egenden A u sd ru ck g efu n d en ; v erg leich t man ihn m it den L eistu n g en seiner g eleh rten Z eitgenossen , so d a rf man ihm b e i aller B re ite und U m ­ stä n d lich k e it des A u sd ru ck s ein v erhältnism ässig hohes M ass auch sp rach lich er S ch ö n h eit zuerkennen. D ie T ie fe seiner kindlichen S e e le äu ssert sich in g lü ck lich e n , o ft hoch poetischen B ild e in aus dem G e b ie te des N atu rle b en s, w ie es v o r aller A ugen daliegt.

N ic h t je d e r S a tz , w ie er ihn in sch a rf zugespitzter P arad o x ie au ssp rich t, kann g e b illig t w e rd e n ; so m anche sein er A nschauungen, die eine tiefb e g rü n d e te religiöse E m p fin d u n gsw eise in ein seitiger A u ssch liesslich k e it gelten d m achen, is t w ohl im S tan d e zu ver­

wunden und zu verletzen. D en n och d arf man ihm in d er H au p t­

sache das V e rd ie n s t m ild er B eso n n en h eit und M ässigung n ich t ab sp rechen. W o sich die in je n e r Z eit so w eit v e rb re ite te unge­

sunde Sch w ärm erei an ihn d rängte, h at er sie k rä ftig abgew iesen und b ei allem M angel an verstän d ig er K r i t i k , b ei aller N ach ­ g ieb ig k e it gegen den herrschend en A b erg lau ben w enigstens ein n ich t erfolg loses S tre b e n au fgew and t, sich vor Ü b e rtre ib u n g und U n g eb ü h r zu wahren.

H artk ö p fig e V e r tr e te r d er O rth o d o x ie , wie sie sich dam als in der fa n a tisch b eto n ten rein en L e h re genügte, haben den edlen M ann v erfo lg t bis über das G ra b hinaus und ihm ein w irkliches M artyriu m a u fe r le g t; herzlose A b u rteilu n g d urch T h eolog en von äh n lich er R ich tu n g kann man noch bis in die G eg en w art hinein vernehm en. D en n och h at B öh m e im W e se n tlich en v o r der G e ­ sch ich te R e c h t b ehalten. D ie w eitergehend e E n tw ick lu n g hat v ie lfa ch gerade d iejenigen E le m e n te , die B ö h m e im K a m p fe w ider B a b e l, wie er so gern die herrschend e K irc h e b eze ich n et, in den V ord erg ru n d s te llte , aufgenom m en, um das geistig e L e b e n der K ir c h e und d er G läu b ig en dadurch zu bereich ern . ^ K ö n ig e auf dem T h ro n , w ie d er u n glü cklich e K a r l I . von E n g lan d , und K ö n ig e im R e ic h e d er W isse n sch a ft, w ie L e ib n iz und N ew ton, haben den M ann h o ch g eh alten ; S ch a a re n von ern sten und h och streb end cn C h riste n , S p e n e r vo r allem und d ie um ihn, haben von B öh m es S ch rifte n bed eutsam e A nregungen em p fan g en ; unzählige haben aus seinen S c h rifte n T r o s t und E rh e b u n g gesch öp ft. D a ss auch dum pfe Sch w ärm erei sich aus seinen S c h rifte n zusagende N ahrung gesogen hat, b eg rü n d et gegen ihn k einen T ad el. M an m uss ihn im Zusam m enhange sein er Z e it b e g re ife n , um ihn g e re ch t zu

M onatshefte der Comenius-Geacllscliaft. 1897. 1 5

Cytaty

Powiązane dokumenty

stellungsmitteln der Schrift ist dies so wenig der F a ll wie bei Luther oder den englischen Puritanern. So erhält seine Rede zuweilen eine feurige K raft, deren

„lag in der schroffen Abwendung des Reform ators von denjenigen seiner bisherigen Kampfgenossen und Schüler, welche, unbeirrt durch hier und da vorkommende

Diese aufopferungsvolle Liebe für die Interessen der geistigen Menschheit, wie selten findet sie so rein und so bescheiden sich wieder! Dieser Riesenfleiß, den

schaft mit einander haben, einmüthig auf den Anschlag gefallen wären, sich das Volk durch die Furcht vor den Göttern unter- thänig zu machen, und durch die

derselbe solle Gelehrte von den Universitäten Mainz, Köln, Erfurt und Heidelberg, ferner den Jakob Hochstraten, den Viktor von Carben und den Johann Reuchlin zu

Der Charakter und die Seelengröße Körners zeigten sich in dem Heldentum, womit er den furchtbarsten Schlag seines Lebensr den Tod seines Sohnes auf dem Schlachtfelde,

Daß Andreae von Campanella beeinflußt war, ist bereits früher b e to n t1); hier erklärt er selbst, daß er die neue Gemeinschaft auch unter dem von letzterem

Denn Liebe bringt Leid — und Leid bringt Liebe!“ (Meister Eckharts Schriften und Predigten.. Auf Bergeshöh’n, wo Wälder finster ranken, Nur find ich Ruhe;