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Die Zukunft, 14. November, Bd. 45.

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Berlin, den H. November 1903.

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Nietzscheund Rohde.

Waseinem Bilde, das dieMitgliederdesleipziger PhilologischenVereins darstellt(Winter1866X67), sallenbei genauererBetrachtungvonden zehnum einenTisch gruppiiten jungenLeutendemBeschauer zwei auf,die einenvielbedeutenderen Eindruck machenalsihreKommilitonem an der linkenEcke dersofort kenntlichezweiundzwanzigjährigeNietzsche,heiterund nachlässigwieEiner, derdiefeierlicheProzeduralseinenScherz ansieht;

ganzrechtsanderEcke einJünglingvoneinemsonderbar ernstenundstolzen Ausdruck inGesichtundHaltung;derfeineKopf merkwürdigschmal;hinter demsichemporwölbendenScheitelwird einmächtiger,starkausgerundeterHinter- schädelsichtbar,eineKopsbildung,wiebegabteMenschen,besonders Musiker,sie oftzeigen;das Kinnist trotzig;dieBackenknochentretenenergisch,dochnichtun- edelhervor;dasAugenpaarblicktfastschwermüthigineineunbestimmteWeite.

Deralso DargestellteistErwinRohde, NietzschesbesterFreund.

EinBildRohdes schmücktauchdieschöneBiographiedesMannes, mitderProfessorCrusius dienicht sehrgroßeZahl werthvoller Gelehrten- biographienumein Werkvon gründlichkrKenntniß, anziehenderDarstellung underquickenderHerzenswärmebereichert hat.DieZügedesDreißigjährigen sind nochbedeutendergeworden; stärkerwölbtsichdie Stirn, trotziger sind dievon einemschmalenschwarzenBarte beschatteten Lippen aufgeworfen;

eineunausdrückbareIdealität liegtüber derErscheinung;aus dendüsteren Augen spricht schmerzlicheEntsagung,aberzugleicheineunbedingte, harte Wahrhaftigkeit,diesichdemBeschauerinsHerz bohrt.Ein seltsamer Zauber UUVZWMg gehtvon diesen sorschendenAugenaus;sienöthigenEhrerbietung ab,sie heischenLiebe.

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242 DieZukunft.

Erwin Rohde ist geliebtworden. Nichtvon seiner reinen undglück- lichen Ehe sei hierdieRede:wer dasBuchvonCrusius liest,wirdmanch- malergriffen innehalten,wenn erauf rührendeDenkmale dieserLiebestößt.

AberbevorRohde sicheinenHausstand gründete, hatteerJahrzehnte lang inFreundschaftmitNietzschegelebt.Keiner vonDenen,dieNietzscheihren Freundnennen durften; ist ihm soganznahgekommen.Keinerwarseinem Wesen so verwandt«AnKeinem hingNietzschemittreuerer Liebe. Nun liegtderBriefwechselzwischenRohdeundNietzscheineinemstattlichenBande vor. Professor Fritz Schöll hatdieBriefedesFreundes,Frau Elisabeth Förster-NietzschediedesBruders herausgegeben Sichkennenundlieben gelerntzuhaben, empfandendieZweialseintiefesGlück. DiesesGlück mitzuerleben, gewährtderBriefwechseldenFreunden der Freunde.

»Rohdeist jetzt auch Ordentliches Mitglied,einsehr gescheiter,aber trotzigerundeigensinnigerKopf«, schreibt NietzscheimSeptember1866 an denFreiherrnvon Gersdorff Eshandelte sichum denauf RitschlsAn- regung gestiftetenPhilologischenVerein. Bald waren NietzscheundRohde dieFlügelmännerderjungen Gesellschaft.Jn NietzschessechstemSemester, OsternbisHerbst1867zuLeipzig,wurdedieFreundschafteng undherzlich;

Beide sahensichmit einemMale allein,»aufeinemJsolirschemel«,wie Rohde sagt; siewaren überihre mitstrebendenAltersgenossenhinausgewachsen undaufeinander angewiesen.FreundRohdewar es, zu demNietzschemit demfertigen Manuskript seinerPreisaufgabedefontibus DiogenisLaertii indunklerRegennachtstürmte; feierlich bewegt,trankensieeineFreudenflasche zusammenundredetensichvonHoffnungenundEntwürfendieKöpfe heiß.

»Ich habeesbisjetztnur dieseineMal erlebt«,notirteNietzscheeinJahr später, »daßeinesichbildendeFreundschafteinenethisch-philosophischenHinter- grund hatte.Einigwaren wirnur in derJronie und imSpottgegen philologischeManierenundEitelkeiten. Fürgewöhnlichlagenwiruns in denHaaren, ja,esgabeineungewöhnlicheMengevonDingen,über die wir nichtzusammenklangen.Sobald aberdasGesprächsichindieTiefewandte, verstummtedieDissonanzder«Meinungenund esertönte einruhigerund vollerEinklang.«WieeinEcho schallteszurückaus demersten Brief,den wirvonRhodeanNietzschebesitzen:»Ich denke,01dboy, daß auchDu mit Vergnügenanso manche Augenblickeinnigster HarmonieindenGrund- stimmungendesDenkensundSeins zurückdenlst.Die herzlicheTheilnahnxe, dieDu mirquerköpfigenund abstoßendenKerlerwiesen hast, empfinde ich

um sowärmer und tiefer,weil ichnur zu genauweiß,wiewenigmeine ArtzunähererTheilnahme auffordert. VorAllemdenkeichmitFreude zurückandie Abende,woDu mirimFinstern aufdemKlavier vorspieltest:

ich fühltedenAbstand zwischeneinerproduktivenNatur undmirohnmächtig

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NietzscheundRohde. 243 wollendenHalbhexen,aberdie Seele schloßsichdochaufunter denTönen und gingeinensomewhat elastischerenSchritt.« Dieser Brief isteinSelbst- portrait,ineinemanderen Sinn allerdings,alssein Schreiberesgemeint hatte.Man errätheinevornehme,schamhaste,hochstrebendeSeele, mit einer unseligen Veranlagung, sichzuquälenundBitternißausdenBlüthendes Lebenszusaugen;einendüsterenundleidenschaftlichenGeist, leichtverwund- barundschwermuthvoll,derdasGeheimnißseiner Zartheit ängstlichhinter der Maske einesbärbeißigenHumors verhehlt;einenFreund,derbeialler unbedingten Verehrung Spuren leiser Eifersuchtnichtganzverbergenkann:

derreicherundallseitig begnadeteGenosse ist ihmeinwandervolles Glück und einschmerzlichschürsenderStachelzugleich.SoweicheKlängedieser sprödenSeele zuentlocken:Daserforderteeinen SeelenkünderwieNietzsche;

ersah durch FaltenundSchleierdiehüllenlose,ineinsamerSehnsucht sich verzehrendeSeele. Wie einmühsamverhaltener Jubel braustesdurchRohdes Jugendbriese. Gelegentlich,wieindemherrlichen WeihnachtbriefevomJahre 1868,springenalleRiegel dieses verschlossenenHerzens aufundwieaus tiefen,lauterenBrunnen quilltdieEmpfindung: »Diralleinverdankeichdie bestenStunden meinesLebens; ich wollte,Du könntestinmeinemHerzen lesen,wieinnigdankbarichDirbinfürAlles,wasDuihm geschenkt; der DumirdasseligeLand reinster Freundschaft erschlossenhast,indasich, mitliebedurstigemHerzen, früherwieeinarmes KindinreicheGärtenge- blickthatte.Derichvon je her einsamwar,ich fühlemich jetztvereintmit derBesten Einem;undDukannst schwerlichverstehen,wieDasmeininneres Lebenverändert hat;beimeinem tiefen Bewußtseinmeiner Härtenund SchwächenerquicktmichLiebeundMildewieetwasUnverdientes unsäglich.«

Noch sindeszwei jugendlicheundharmloseMenschenkinder,die ein- anderdieschwärmerischenBrantbriese ihrer Freundschaftschreiben;noch haben sichnichtdiedrohendenSchattendesLebensauf ihre sonnigeExistenzgelegt;

ihrgernbetonter Pessimismus hatetwas jünglinghaftTheoretisches:die müde undschmerzlicheWeisheit Schopenhauersist ihneninHirnundHerz gedrungenundgläubigbetensiedemMeister nach;derihremGeistedas auszeichnendeStigmaderPhilosophieausgeprägthat.Sieberatheneinander inihren philologischenStudien, schwärmenvonObjektivatioudesWillens, von derplatonischenJdeealsObjektderKunst,von Bejahungund.Ver- neinungdesWillens zumLeben. Daneben aberfreuensiesich kindlich aus einepariser Reise,diesiezumachen gedenken,und Nietzscheschreibtin schekzhitfterRenommistereivon dergöttlichenKraftdesCancan undvom gelben Gift Absynth.Der selbevierundzwanzigjährigeNietzscheistentzückt über seineQualifikationzumLandwehrlieutenant, die-ihm»vonäußerstem Werth«zusein scheint,angesichtsdertäglichen,immerdrohenderenKriegsgefahr.

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244 DieZukunft-

DiegleichzeitigausgesprocheneHoffnung »an spätereartilleristischeThätig- leit«klingtdemLeser ominös,dersichderWerke derachtzigerJahreerinnert- Siebenmal wirdSuschenKlemm,diezierlicheNaive desleipzigerStadt- theaterszujener Zeit,imBriefwechselderFreundeerwähnt; sie haben ihr dasphilologische,spätgriechisch-galanteKost-PseudonymGlaulidion gegeben;

Nietzscheberichtet triumphirend, daßersie nach Hause begleitendurfte; er suchtimganzen Theater,obsieanwesendist;erweiß,wievielGage,wie vielZulage sievonLaube bekommt; seineStube ist »so glücklich,besagtes Wesenmitihrer hübschenSchwestereineStunde zubeherbergen.Undes war eitelTäixcugundTHE-strick

Zum Zeichen Dessen,wasmitdemausdrücklichenHinweis auf diese unschuldigeHerzensneigung süreinenanmuthigen Theaterbacksischbeabsichtigt ist, seiendreiJahreszahlen hier verzeichnet.Das Jahr,indemdieseBriefe geschriebenwurden: 1868; dasJahr,indem»Menschliches,Allzumensch- liches"«erschien: 1878z endlichdasJahrdes»Fall Wagner«,der»Dionysos- Ditl,yramben«,der»Götzendämmerung«,des»Antichrist«,des»Ecce Homo«, der,,UmwerthungallerWerthe«:1888. WelcherWeg, welcheEntwickelung inzwei Jahrzehnten!

1868: Dernormale hoffnungvolle Jüngling; heiter, sorglos,lebens- lusiigz sehr strebsam,aus gutemHause: Pastorssohn,miteinemDutzend gutmüthigbemutternder Tanteu. Scheinbar nichts Außergewöhnlichcsistan ihm; gewißisterbegabt, sogar sehrundvielseitig;aberderum einJahr jüngereRohde macht fasteinen reiferen,ernsterenEindruck. Gründung- philistereines Vereins gescheiter Philologen, Ritschls Günstling; dieser Nietzschewirdvermuthlicheineglänzende,wenn auchdurchaustypischeaka- demischeKarriere durchlaufen:erwirdbravund sittsamalsPrivatdozent anfangen,wirdzumExtraordinarius,zumOrdentlichen Professor vorrückenz vielleicht bringters sogarzumGeheimenRathund sicherbleibtihmder

RotheAdlerorden vierterBerdünnungnichtaus. ErwirdeinWeibnehmen undseine TöchteranweisePrivatdozenten verheirathen;erwirdzweioder drei grundlegendeWerke und eineUnzahlZeitschriftenartikelschreiben, Allessehr gediegen,sehrwissenschaftlich,mit Eiiaten,Anmerkungen,Hinweisen,Varianten, mitkritischemApparat...

1878: Er ist thatsächlichProfessor geworden,abnorm früh,unter ungewöhnlichehrenvollen Umständen.Abererhat sich durch heilloseVer- quickungvonPhilologieundWagnerianismus Lkompromittiry für ernsthafte Philologen existirternicht mehr,dennerist nichtwissenschaftlich;man hat, wieessich gehört,seine Katheder boykottirt, angehendeJüngerderPhilologie vorihm gewarnt. Seiteiniger Zeit liesternicht mehr, sonderntreibtsich, angeblichausGesundheitrücksichten,irgendwoinJtalien herum,inbedenklich

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NietzscheundRohde. 245 internationaler Gesellschaft.Sein neustesWerk, lauterAphorismen, zeigt, daßer sichtotalausgeschriebenhat...

1888: DieserNietzsche,aufdengewisseLeutevor fünfzehnJahren soübertriebeneHoffnungen gesetzt hatten, istsogutwieverschollen.Er führteinNomadenleben: Oberengadin, Thüringen,Venedig,Riviera. Er sollimmer nochschreiben,aberkeinMensch liest ihn,Niemand kauft,Nie- mand bespricht seine überspanntenBücher,diejedes Jahr den Verleger wechseln.Eins davon soll sehr unmorakisch sein, hataberdennochkeinen Erfolg gehabt; schonderTitel läßtallerleiAbscheulichesvermuthen. Ein anderes handeltvonpersischerMythologie,wieman hört.Umsichinteressant zumachen, hatereinPamphletgegenWagnerverfaßt... Halt, gerade kommt eineganz unglaubliche Zeitungnachrichtüberihn:»Dievon dem DozentenDr. GeorgBrandes im größtenHörsaal gehaltenen öffentlichen Vorlesungenom den tijske Hiosof Friedrich Nietzsche habenenormen Zulauf; jedesmalüberdreihundert Personen.«Wie? DasAusland nimmt Notizvon demManne? Sollte derMann amEndeernstzunehmen fein?

DreiDingewaren NietzscheundRohde gemeinsam:Liebe zum Alter- thumhatte sie zusammengeführt,Begeifterung für Schopenhauer brachte sie einander näher, Hingabean diewagnerifcheKunst besiegeltedenBund- Rohde istderPhilologietreu gebliebenund hat Glänzendesinihr geleistet;

erhatnieWagnerden Rückengekehrt,obgleichaucherdenweihrauchschwülen Quovadismus desParsifal ablehnte;am Lockerftenwurde sein Verhältniß zurPhilosophie,wenn erauchinseinenbeidenMeisterwerkenphilosophischen Problemen durchaus nichtaus demWege ging.Nietzschelöst sichvon Philologie, SchopenhauerundWagner entschlossenlos: siewaren ihmnur Wegweiserzusichselbst gewesen.AllesinseinemLebendrängtescheinbar darauf hin, daßerRichard Wagnereine ArtvonPaulus würde:einejunge Sekte brauchtdenVermittler,dersieinBeziehungzudenvorhandenen Kulturmächtensetzt;Wagner hatte,wiekeinKünstlervorihm,einenskrupel- lolenEhrgeiz,mitAllem,was irgendwoeinmalinderGeschichtegroßwar, inBeziehungzustehen; Jnderthum,Griechenthum,Christenthum,diealte Tragoedie,derHeiligeFranzvonAssisi,Dante, Shakespeare,Ealderon,Goethe, Schiller,dieRomantik,Schopenhauer, Beethoven,germanischer Mythus, ritterlicheEpik, bretonischeFabulirlust:dasAllessolltein dieWeltanschauung Wagners hineininterpretirtwerden, undzwarso, daßeserstinunddurch Wagner seine VertiefungundVollendungzufinden schien. Nietzscheschien so recht geschaffen,dergriechischeKirchenvaterdesneuen Glaubenszuwerden;die Umständekonntennicht günstigerzusammentreffen;seine Berufung nach Basel wiesihm deutlichdieRichtung. »Luzernistmirnun nicht mehr unerreichbar«,

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heißtesindemBrief,indemerRohde seinen Ruf mittheilt. Sosaher derneuen Professur froh,wenn auch nicht ohne Sorge entgegen. Rohde fühlte dunkel, daß ihnenBeiden einLebenssommervollMüheundSchwüle bevorstehe; »in ergreifendenWorten nahmer Abschiedvom Jugendgenossen und vom Frühling ihrer Freundschaft: »An diesemtrivium unsererLebens- pfade laß michsDirnocheinmal sagen, daßNiemandimLeben mirwohler undliebergethanhatalsDuund daß ichDas empfindemitallen Fibern meinesWesens.«

Basel istdieentscheidendeWendunginNietzschesLebenslauf.Er wird unvermittelt undunvorbereitet ineinenBeruf hineingeworfen,denerunter normalen Umständeninlangem geduldigenWarten undVorbereiten erreicht hätte;derUnterrichtam Pädagogiumvermehrte bedenklichArbeitlastund Verantwortung.Die freienStunden waren einererstaunlichenProduktion gewidmet:Alles,was dererste,neunte undzehnteBand derGesammtaus- gabe enthalten, istinBasel entstanden.EinausgedehnterBrieswechsel,auf- regende MusikunddieBesucheinTribschenbeiRichard Wagner sind nicht zuvergessen.Mit derBerufung nach Basel scheintNietzschesLebensschiffchen indasidyllischeSeitengewässereinerfriedlichenGelehrtenexistenzzusteuern;

inWirklichkeittreibtessacht,aberunaufhaltsam hinausin den Strom. Denn inBasel wuchs Nietzschenur zubaldüber dasganzeUniversitätwesenhin- aus. Zunächstverlor erden engenpersönlichenKonnexmitRohde; lange Briefewaren einkümmerlichesSurrogat. NeuenAnschluß fandernicht leicht.Der spätervertrautere VerkehrmitJakob BurckhardtundOverbeck beschränktesich anfangs auf freundlichesGrüßen.SodrängteAllesdarauf hin, NietzschederMachtindie Armezutreiben,die denMenschenjähund gründlichwandelt: derEinsamkeit.Sie verleihtvon nun an seinemLeben undseinenWerkenFarbenndGlanz.DieEinsamkeit istdasletzteKrite- rium fürallesHervorbringenzsie istdasAuszeichnendeundUnterscheidende;

man fühltessofort,wenn einWerk»aus derFremde« kommt,ausHöhe undStille; seltsamund adelig stehtesda. Beethovens letzte Quartette, SchopenhauersHauptwerk,Jbsens letzteDramen habenalle einenHauchund Duftderstrengen Einsamkeitan«sich,indersie entstanden sind.Nietzsche, von Natur aus wieStendhal geneigtä-se singulariser, wurdedurchein sonderbares Zusammenwirken verschiedenerUmständeausBerufundAmt, aus« Tradition undsozialemLebenhinausgedrängt,unmerklichbeinahe,aber unaufhaltsam. Man kannSchrittvorSchritt verfolgen,wie-erdieWohn- stättenderbehäbigin Alltagund GemeinschaftLebendenverläßt,wieer immerhöherseinenBerg hinansteigtundimmereinsamerwird. Wohl preist sein Sonnenhymnus,daZarathustra aufdemGipfel stehtundsüßenHonig opfert,inentzückterWeiherede seiner Einsamkeiten siebenteundletzte.Aber

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NietzscheundRohde. 247

zuanderen Zeitenentlockteihm dasGefühl, nichteineneinzigenMenschen zuhaben,derihnliebendverstand, bitterlicheKlagen.

«

Kaum war NietzscheeinJahrinBasel,alserRohde schonganz revolutionäre Brieseschrieb:einradikales Wahrheitwesen seianeinerUni- versität nicht möglich;etwas wirklich Umwälzendeswerdenievon hieraus seinen Ausgang nehmen können;erwerdediese Lustnicht mehr langeaus- halten.UmausdieserNoth herauszukommen,erwogNietzschein vollemErnst einen Gedanken, der zu allenZeitenfeinere GeisteralsseligeUtopiegereizt hat:deneines weltlichenKlosters,in der ArteinerPlatonischenAkademie oderderThelemitenabteidesweisenMeistersRabelais. Erbereiteteeinen Aufrufvor ,,-anallenoch nicht völlig ersticktenund inderJetztzeitver- schlungenenNaturen.« AufRohdesundRomundts Mitwirkung rechneteer zuversichtlich,imStillen wohl auch aufdieDeussens, Burckhardts,Ober- becks. Erfingan,seine Bedürfnisse auseinMindesteseinzuschränken,um einenkleinenRestvonVermögenfüralleFälle zubewahren;erwolltein dieLotteriesetzen, für seine BücherdiedenkbarhöchstenHonorare verlangen.

Rohde mahnte besonnen ab;erfand sich nicht produktivgenug zusolcher Welteinsamkeit. »MitLeutenwieSchopenhauer, Beethoven, Wagner istes eine ganzandereSache; auchmit·Dir, lieberFreund.«Die Stelle ist interessant: hier alsokommtRohde schon nicht mehr mit;erhat nichtmehr dienöthigeElastizität.Undwelche sonderbareGleichstellungvon Nietzsche, dernochkeineseinergrößerenSchriften veröffentlichthatte,mitSchopen- hauer, Beethoven,Wagner! WelchenEindruck vonGröße muß Nietzscheauf Rohde stets gemacht haben, daß DiesereinesolcheNebeneinanderstellung wagte,ohnezufürchten,sichunddenFreundlächerlichzumachen!

Nietzschefühlte sich unbehaglichinAmtundFach.Nun tritt ein Ereignißein, dasinseiner einzigartigen Wichtigkeitfür NietzschesEntwicke- lung noch nichterkannt worden ist:derbasler ProfessorderPhilosophie Teichmüllernimmt einenRuf nach Dorpatan. Nietzschehateinesolche Sehnsucht, seinenRohdewieder beisichzuhaben, daßerordentlich-erfinderisch wird: erträgt sichmitdemWunsch, sichum dievakanteProfessurzube- werben, damit seine eigene fürRbhdefreiwerde. JnLugano,woerseine Erholungsucht, wiegtersichingoldenenTräumen gemeinsamenWirkens

an der baslerHochschule;sichselbstaber undDasistdasEntscheidende kannersichnur mehralsPhilosophen vorstellen: so fest hatersichschon indieseneue Hoffnung hineingelebt. »VonderPhilologielebeichineiner ÜbekmüthigenEntfremdung,diesichschlimmergarnichtdenkenläßt.Bald seheicheinStückneue Metaphysik,baldeineneue Aesthetikwachsen.«Es war derletzte Versuch,das idealeKlosterzugründen.Deretwas spätere Plan, Rohde wenigstensandieNachbaruniversitätZürichzubringen,zerschlug

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sich,weilRohdemit Kielunterhandelte.Man darfdiefundamentale Wichtig-.

keitdieser vergeblichenBemühungennicht übersehen:jetzt ist NietzschederPhilo- logieganzentfremdet,sie ist ihm,wieerselbstimnächstenBriefebekennt,

»einEkel.« Siehatnur nocheinenWerth für ihn,wenn siesichinden DienstdesLebens,derhohenKultur, dergroßenKunststellt; dieseRolle weist ihr »DieGeburt derTragoedieaus demGeistederMusik«an. Als dasWerkerschienenwar undvon einem jüngerenPhilologenvom Stand- punktderWissenschaftaus ungestümangegriffenwurde, stellte Rohdesich resolut aufdieSeite desFreundes. Ob auchderSache, ist zweifelhaft.

ZwarhaßteRohdedie,,fatalegöttingerWeisheitvonderHeiterkeitdes echten Griechenthumes«ebenso grimmigwieNietzsche;auchersahdieZeit tiefster rnystischerErregungzwischenHomerundAeschylos; »purifizirtenAltenweiber- protestantismus«nennterdiezünftigeDarstellung griechischerWeltanschauung.

AberNietzsches erstes Buch enthielt Kühnheitenund Vorahnungen seiner späterenEntwickelung,die einem sorgfältigenLeser nicht entgehenkonnten.

JmJuli1876 erhielt NietzschedieAnzeigevon Rohdes Verlobung.

Sogleich schriebereinenherzlichenGlückwunschbrief,derjedocheinemerk- würdigeStelle enthält: »Ja, ichwerde ruhigeran Dichdenkenkönnen:

wenn ichDirauchindiesem Schritt nicht folgen sollte. DennDu hattest die ganz vertrauende Seeleso nöthigundhast sieunddamitDich selbst auf einerhöherenStufe gefunden.Mir gehtesanders. Mir scheintdas Alles nicht sonöthig, selteneTage ausgenommen. Vielleicht habe ichdaeine böseLücke in mir. Mein VerlangenundmeineNoth ist anders; ich weiß kaum,eszusagenundzuerklären.« Erahnte wohl selbst nicht, welchen klaffenden AbstandermitdiesemBekenntnißzwischensichunddemFreunde konstatirte; auch Rohde scheintdie Stelle »Du hattestdieganzvertrauende Seelenöthig«nicht verstandenzuhaben; nocheinmal flammt,zumletzten Male undamHöchsten,seineLiebeauf:»Mein Freund, ja, wahrlichmein FreundundBruder! Eins denke immer: daßinmeinem zukünftigenHause Dir HerzundHerd allezeitzurVerfügungstehen; nichtwieeinGeschenk- sondernwie DeineigenerundrechtmäßigerBesitz! bleibe Dein inun- veränderterLiebe.«

Dieser Brief steht aufSeite 534desBandes;dann folgennur noch fünfzigSeiten. Wann schreibtman einemMädchendieglühendstenBriefe?

Wenn man sichunbewußtmit demWunsch trägt, ihrdenAbschiedzugeben.

Zwei Dinge giebtes,die denMenschen entjüngen;sie schneidenseine Entwickelungab: Amtund Ehe.Sie sinddesDurchschnittsmenschenLos undGlück, auchdessehr begabten.DemPhilosophenaberistjedesAmt eineKetteunddieEheeinVerhängniß;erversagt sichBeidesausInstinkt.

Schondem vierundzwanzigjährigenNietzsche-—stand dieser Satz fest. »Ich

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NietzscheundRohde. 249 habe hierGelegenheit,mirdieJngredienzieneinesglücklichenFamilienlebens inderNähe anzusehen: hier istkeinVergleichmit derHöhe,mitderSingu- laritätderFreundschaft.Das GefühlimHausrock,dasAlltäglichsteund Trivialste überschimmertvondiesembehaglichsichdehnenden Gefühl:Das ist Familienglück,dasvielzuhäufigist,um vielwerth seinzu können.« So ungefähr sagtDas einmal jederJüngling;man erinnere sichderköstlich frischenEingangsszenevonStifters ,,Hagestolz«.Nietzschehat seineJugend- anschauungüber dieEhe festgehalten; sie ist ihmimmer strengerundent- schiedenergeworden.Wundervoll besangerimZarathustradasGlück der EheunddieSeligkeitderElternschaft,aberervergaßkeinenAugenblick, daßesnicht für ihnund ernicht füresgeschaffensei. Fürs,,dumpfe deutscheStubenglück«vollends hatteer nur höhnendeVerachtung,undals er demfrommund mürbgewordenenWagnerdie Summe seiner Existenz zog,schrieberanauffälligeStelledenbösen Satz: »Die GefahrderKünstler, derGeniesliegtimWeibe;die anbetenden Weibersind ihrVerderb.« Nicht inderunglücklichenEhe saherdieGefahr: ohne Xanthippekein Sokrates- Das »BehagenzuZweien«war ihmdaszuFürchtende,daseigentlichUn- philosophische.JndemGlückwunschbriefdeuteteersRohdein einemzarten Symbolan: EinWandrer geht durchblaueNachtund lauschtinweicher Wehmuthdersüßen WeiseeinesVogels.AberderVogel spricht:

»Nein, Wandrer,nein! Dichgriiß ich nicht MitdemGetön!

Jch singe,weildieNacht so schön:

DochDusollstimmer weitergehn UndnimmermehrmeinLiedverstehn!...

Leb wohl,Duarmer Wandersmann!«

Rohde hatte vielleichtalsErsterdieaphoristischeTechnikNietzsches erkannt. »Du deduzirstzuwenig«,schrieberihmüber diezweite Unzen- gemäßeBetrachtung; »Du überlässestdemLeser mehr,alsbilligundgut ist, dieBrückenzwischenDeinen Gedanken undSätzenzufinden.Zuweilen habe ichdenEindruck,alsobeinzelneStücke undAbschnittezuerst für sich fertig gearbeitetworden wärenunddann, ohneindemFlußdesMetalles völligwiederaufgelöstwordenzusein,demGanzen eingefügtworden wären.«

AlsNietzschein demAphorismenbande »Menschliches,Allzumenschliches«

gänzlichaufdieEselsbrückenverzichtete,in denenphilosophirendeFlachköpfe dasSystemeinerPhilosophie erblicken,war Rohde wenigervon derneuen

Formalsvon dem.neuen Jnhalt überrascht:»So mußessein,wenn man

direktaus demoaldarjum in eineiskaltes frigidarium gejagtwird-«

Schmerzlichbefremdet,fanderzu viel Rtåe in dem Werke. Sosehrerden

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rücksichtlosenWahrheitstrieb,diekühleund strenge Zerlösung religiöser, metaphysischerundkünstlerischerJllusionenbewunderte: ergabnur die rela- tiveWahrheitderSätze zu undfanddenGehaltdesBuches mehrim Ein- zelnenalsimGanzen. Seltsam klingtderSchluß: »Nichts,Dessen sei gewiß, soll michDir jeimJnnern entfremden.«So schreibtmannur, wenn dieEntsremdung thatsächlichschon begonnen hat. Rohde mußte blitz- artig erkennen, daß seinundNietzschesWeg schonweitauseinandergingen.

Daßernicht,wieWagner,dasBuchen bloc verwarf, zeugtevonFreiheit desGeistes. Daßerihmnur zumTheilzufolgen vermochte, lagdaran, daß NietzschesEntwickelungein ganz anderes Tempo annahm,nachdemer seinen Beruf aufgegebenhatteund nur noch sich selbstlebte. Rohdewar durchAmtundEhedavorbewahrt,einreinkontemplativesLeben zuführen.

Vonnun anwirdauchderTonNietzschesinseinen Briefen anders;

ganz langsamund allmählich,aberdeutlicherkennbar. Esist,alsober aus derHöhe spräche;eineeigenthümlicheUeberlegenheitundNachsichtklingt leise durch. Die Antwort auf Rohdes Brief zeigt schon dieseneue

Weise;wer genau hinhorcht, hört durchalleHerzlichkeitdocheinenTon selbstbewußterJronie. Nietzscheerklärt dem Freundekurzundbündig,das Buch sei fertigundzu einemguten Theil schonreingeschriebengewesen,ehe

erüberhauptRåesBekanntschaftgemacht habe. ,,Dadurch erscheine ichDir vielleichtnoch fremdartiger, unbegreiflicher? FühltestDunur, was ich jetzt fühle,seitdem ichmeinLebensideal endlich aufgestellt habe,diefrische,reine Höhenluft,diemildeWärme um mich, Du würdestDich sehr, sehr Deines Freundes freuenkönnen.Undeskommtauchder.Tag.« Wirklich fand RohdemitderZeit sich besserindieWandlung hinein;immer mehr erfaßteerdie Souverainetät desBuches: »Du wohnstinDeinem eigenen Geist,wirAnderen aberhören·solcheStimmen sonstnie,nicht gesprochen, nicht gedruckt:undso gehtesmir, wievonje her,wenn ichmitDirzu- sammenwar, auchjetzt: ichwerdefüreineZeit langin einenhöherenRang erhoben,alsobich geistig geadeltwürde.«

Leiderfehlenuns mehrere BriefederspäterenKorrespondenzMan könnteander-Hand dieserverlorenenDokumente denFinger aufeine Stelle nachderanderen legen, durchdiesichdasFremdwerden offenbart.Denn fremderwerdensichimmer mehrdiefrühersoinnig Vertrauten,derenGe- hirneund HerzenwieGeschwistergewesenwaren. Aus dieserdrückenden Empfindung herausbittet Nietzsche, Rohdewolleihm dochetwas recht Persönlichesschicken,damiternichtimmernur denvergangenenFreundim Herzen habe, sondern auch »den gegenwärtigenund was mehr ist den werdendenundwollenden: ja,denWerdenden! den Wollenden!«Nietzsche hatDas sichernicht bösegemeint;aberderHieb saß. Sosort entschuldigte

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