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Wohnstraße in Rio

DAS „ABEN TEU ER DER LANDSCHAFT“ '

D

ie Strandaveniden von Rio sollte man zu F uß ent­

langwandern, denn die Autos hier fahren sie viel zu schnell hinunter, Geschwindigkeiten von 60 bis 70 Kilom eter sind fast die Regel, auch bei den zahlreichen Autobussen. Aber vom Ende der H auptgeschäftsstraße von Rio, der A venida Rio Branco, bis dahin, wo an der G avea-Bucht die Straßen aufhören und die unberührte W ildnis anfängt, sind es 10 oder 20 Kilom eter — ich weiß es nicht genau — , und bei dem K lim a in Rio über­

legt man sich eine solche Fußwanderung denn doch.

Dagegen macht das A uto m it seiner Geschwindigkeit den ununterbrochenen und höchst interessanten Szenen­

wechsel eindrucksvoller, sinnfälliger, indem es seine einzelnen Phasen zeitlich näher aneinander rückt.

Zuerst, an den W indungen der Bai der Ausblick auf die 68

blauen Gebirgsketten links drüben am Ufer von Nic- theroy und auf den schmalen Zugang zum Ozean, der­

weilen rechts von diesem der Zuckerhut seinen etwas gekrümmten Rücken fortwährend hin und her dreht.

Dann am Ozean, völlige Veränderung des Bildes; links die Meeresweite, die kapriziöse N adel des Corcovado schießt rechts drüben über steilen Abhängen empor, und an der Ipanem a-Bucht und auf der A venida N ie­

meyer droht die wundervoll geschnittene G avea vom Ende ihrer B u ch t herüber, ein dunkel-eigensinniger G ran itw all. . .

A ls einer der intensivsten landschaftlichen Über­

raschungen gedenke ich eines Spaziergangs ins U n­

gewisse hinein, unternommen vonirgendeiner Endhalte- Cst- stelle des Bond in einem unbekannten Villenviertel, das

sich durch besondere Ü ppigkeit seiner Gärten aus­

zeichnet. Die Straße, scheinbar ins Innere des Bandes führend, windet sich den Berg hinauf durch das üb- afe liehe dunkelgrüne, der Schlangen wegen nur m it V o r­

sicht zu betretende und zum Glück meist gänzlich

¡ntc undurchdringliche W alddickicht, immer m it den wun­

dervollsten Rückblicken auf den Corcovado und den [ß. Zuckerhut in einer besonders eigenartigen drohenden

Regenwolkenstimmung. Inw elcherfatalenW aldw ildnis und in welcher Sintflut von oben wird das wohl enden ?

!e!. war die neugierige und etwas bängliche Frage dieser Stunde, die sich aber alsbald auf eine ganz unvermutete, ja aufregend überraschende Weise löste. D enn nach dem Durchschreiten einer A rt von kleiner Paßhöhe

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tu t sich die Landschaft nach vorn auf, m it einer fast erschreckenden Jähheit sich verwandelnd, und unten in der Ferne flimmert im Sonnenlicht des N achm ittags

— der Ozean m it seinen Felsinseln, rechts begrenzt von der Gavea, die im Schatten der letzten darauf lastenden W olken riesig und düster emporwächst.

Ich hatte alles andere eher erwartet, als diesen mir schon vertrauten Berg zu sehen und ans Meer zu ge­

langen.

Die Aussicht, die breite, schwere W olke, die die Sonne und den burgartigen Berg beschattet, neben der lichten Ferne der Meeresbucht, hat eine derartige, fast magi­

sche Anziehungskraft, daß ich nicht widerstehen kann,

— ich beginne, die Serpentinen der Straße durch den totenstillen W ald hinabzumarschieren. — E tw as zö­

gernd freilich, indem ich zuerst auf die Uhr schaue, denn ich habe keine Möglichkeit, abzuschätzen, wie weit es bis zum Meere drunten sein mag, aber es ist ja noch fast zwei Stunden T a g , die U hr zeigt erst fünf. So­

dann ist es hier, überlege ich, so etwas wie ein gesell­

schaftlicher fau x pas, ein öffentliches schlechtes B e­

nehmen, wenn man, als W eißer und Fremder, eine Landstraße zu F uß entlangwandert, und sei es auch in Tennisschuhen und weißem Anzug. U nd endlich werde ich drunten im T al ein Negerdorf passieren müssen, das sich dort zwischen Bananengärten versteckt, und ich weiß, daß man das ohne Begleitung nicht tun soll, denn es geht das Gerede, daß schon mehr als ein A uto mit Insassen aus Rio in solchen Dörfern spurlos

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®t den sein soll, natürlich meist Nachts; die Messer und R evolver sitzen hierzulande überhaupt sehr locker, die Reute greifen um ein Nichts darnach oder viel­

mehr nach dem Rasiermesser, das sich noch weit oi größerer Beliebtheit erfreut und das, m it ungeheuer

kt raschen Schleuderbewegungen gehandhabt, eine furcht-HD bare W affe ist, zum al in Anbetracht der leichten Kleidung, die m an hier das ganze Jahr hindurch trägt. —

ode Aber das alles erscheint mir kein Grund, mich jener Its fernen Lockun g nicht zu überlassen, also gehe ich

ge-mächlich fürbaß, die H itze ist durchaus erträglich, und a> ich freue mich sogar über die Leere und Verlassenheit

der Straße — ich begegnete an diesem N achm ittag kaum einem halben D utzend Autos — , irgendwo am Je Bergabhang kom m t ein T rupp Arbeiter daher, dann äs überhole ich einen Jungen, der eine jener riesengroßen 3CC Früchte, die unm ittelbar aus dem H auptstam m des

St Baumes herauswachsen, durch den Staub der Straße st rollt, das Negerdorf ist völlig verlassen und still, doch

& mag der K u ck u ck wissen, von wieviel A ugen ich be-G obachtet werde. — Drunten im Talkessel halte ich links den Bergabhang entlang neben einem Wasser, das in einen typischen Mangrovesumpf mündet, in dem wohl noch K aim ans hausen mögen, und dann stehe ich am Ozean, auf der berühm ten A venida Niemeyer, von einer herrlichen Brise begrüßt, und beobachte, wie der T ag sich in einem unendlich leichten und glückhaften ,ir. Abend auf löst und wie die am klar gewordenen Himmel

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absinkende Sonne Farben von so samtener Zartheit er­

zeugt, daß dieses V iolettblau tief unten am Horizont, mit dem R ot der selig-schmalen W olkenbänke dazwi­

schen, und das Rosa weiter oben in der Höhe des H im ­ mels mir die „Farben der D urchsichtigkeit selbst“ zu sein scheinen. D as Meer brandet m attblau und leicht an den in sehr tiefes W asser abfallenden, schrägen und glatten Granitplatten der leichtgewundenen Küste, ab und zu raschelt etwas in dem Gestrüpp, m it dem die steilen Hänge links über mir bedeckt sin d; ein kleiner E ngpaß bleibt noch zu durchschreiten, der eine wun­

derschöne kleine Palm enbucht m it Sandstrand um­

schließt, und dann bin ich wieder an der Ipanem a-Bucht m it dem Bewußtsein, den eigenartigsten Spaziergang meines Bebens getan zu haben, gerade als es dunkelt und die vierfache K ette der Dichter aufflam m t an der überbreiten Autostraße dicht neben der weiten, ele­

ganten K u rve des Strandes . . .

Bei anderen Ausflügen, etw a nach T iju k a oder Säo Francisco, erlebt man dann ähnliche „Abenteuer der B andschaft“ , aber dann weiß man schon, daß immer Unerwartetes kommt, und man fragt sich nur, was es diesmal sein wird.

E s sind fast immer dieselben Berggestalten, um die, wie um ruhende Pole, die Bandschaft ewig wechselnd sich gruppiert, ohne daß man aber sagen könnte, daß sie dasB ild beherrschten, ohne daß man imstande wäre, die A rt ihres Daseins auf eine schlagwortartige Weise zu charakterisieren. Und dieses gewissermaßen lau t­

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lose A uftauchen und Wiederverschwinden, diese Un- berechenbarkeit gibt dem Landschaftsbild etwas B e­

fremdendes, etw as Drohendes f a s t . . .