Flugaufnahme d. Copacabana- u. Ipanema-Bucht
M adagaskar, in Tonking und anderswo schon erlitten hat. „W an n werden wir von den Engländern lernen, die wir seit dem 18. Jahrhundert in den Kolonial
kriegen ihre Lager und Baracken auf den Höhen auf- schlagen sehen ?“
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So also steht es um D akar, und man ist sehr ver
wundert, wenn man dann die Straße zu sehen be
kommt, die von D akar ins Innere führt; sie ist tadel
los, nach bester französischer Tradition gebaut, sie könnte in N euyork-B ronx oder in Rio de Janeiro nicht besser sein. W arum geht es denn hier ? fragt man sich, warum geraten denn Straßen, Parfüm s und Damenmoden den Franzosen so gut, bis zu einer der
artigen V ollendung? Sie machen offenbar immer nur das, was ihnen „lie g t“ , und die H ygiene liegt ihnen nun mal nicht, darum fangen sie erst gar nicht da
mit an.
W eniger erfreulich als die Straße ist die Landschaft, in die sie fü h rt; wenn m an gerade aus dem über
quellenden Brasilien kommt, erscheint sie besonders ärmlich: nicht eine einzige freundliche, ansprechende Linie, alles steppenartiger, graugrüner K am p ringsum, über dem vereinzelte Bäum e hoch emporragen — das typische afrikanische Landschaftsbild — , auf den mürrischen Hügeln in der Ferne schütterer Busch.
U nd der Boden ist so sandig, daß man sich fragt, wie denn die Gelbfiebermücke hier existieren kann, die
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doch bekanntlich W asser beziehungsweise Sum pf zu ihrer Vermehrung braucht.
W ir wenden uns durch kleine Gehölze im Bogen zurück zur Stadt. A u f einer A rt von Exerzierplatz, an dem uns der Zufall vorbeiführt, werden Negerbuben aller möglichen Altersstufen im „Pfadfindern“ oder einer ähnlichen militärischen Betätigung unterwiesen, m it französischen Kommandos der W eißen und viel W irrwarr und Unruhe bei den barhäuptigen Jungen, die lange, flatternde Hemden anhaben. Zwischen den letzten Negerhütten komm t uns nachher gar die Musik
kapelle dieser schwarzen Gesellschaft, die von F ran k
reich sicher einmal gegen W eiße gehetzt werden wird, entgegen. A lle die halbwüchsigen K erle sind mächtig stolz auf ihre europäischen Blasinstrumente, aber der europäische Marsch, den sie in den Him m el hinein
schallen lassen, der blau und geduldig wie vordem strahlt, ist trotz der sonstigen M usikalität der Neger trommelfellzerreißend schief in Ton und T a k t und so
m it von äußerster K om ik . . .
In den Eingeborenenvierteln Dakars, die entgegen allen Regeln des Kolonisierens unm ittelbar an die der Europäer grenzen, sind die Straßen und W ege gleich wieder schlecht, nein völlig miserabel. Sie bestehen einfach aus Gottes natürlichem Sandboden oder eigent
lich aus einem Gemisch von diesem m it Abfällen und Konservendosen aller A rt, die von den Negern offen
bar hingeworfen werden, wo gerade P latz ist — und vor der H austür ist ja so viel P latz . . . A b und zu
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sieht man hinter den Umzäunungen, die die Neger
hütten umgeben, eine Frau, die m ittels eines langen Holzes die Hirse in einem auf der Erde stehenden G e
fäß zu Brei zerstößt, aber im allgemeinen verschwinden auch hier die ursprünglichen Gewohnheiten der E in geborenen infolge der Berührung m it E uropa rasch und vollständig. Ihre H ütten sind nur noch zum aller
geringsten Teil aus dem ursprünglichen Rohrgeflecht, die meisten bestehen aus locker aneinandergenagelten oder gar nur gelehnten Proviantkistenbrettern, wenn nicht gar aus verrostetem W ellblech und sehen scheuß
lich aus. Dazw ischen aber steht dann wieder irgendwo, hochragend in die grell durchsonnte Duft, eine Palme, und Akazienbüsche blühen m itten im Dezember.
Und die Neger selbst: auf dem großen M arkt der Eingeborenen trifft m an alle T ypen des Sudans, das für A frika charakteristische Völkergemisch, aber nur die Frisuren der Frauen und ein paar N arbentäto
wierungen erinnern an die Zeiten vor dem Eindringen Europas, sonst sind sie alle von oben bis unten in euro
päische, bunt bedruckte K attu n e gehüllt. Der Ge
schmack aber, mit dem sie die Farben zusammen
zustellen wissen, ist erstaunlich und verrät die künst
lerische Begabung der R asse; hinzu komm t allerdings, daß gerade die grellsten, für die Europäerin unmög
lichsten Farben ihnen besonders gut stehen, sie machen das B raun oder Blauschwarz der H au t geradezu sch ön;
— kurz, in keinem Ballsaal Europas sah ich je ein Bild von so leuchtend bunter Pracht wie auf diesem
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M arkt in der Sonne Dakars. Viele der Frauen tragen ein K in d im R eitsitz auf dem Rücken, es wird durch das herumgeschlungene Obergewand festgehalten.
Die Perlenarbeiten, die feilgeboten werden, sind leider auch europäischen Ursprungs, und statt in den Ton
krügen der V äter holen sie ihr W asser in häßlichen Zinnkisten, den bekannten „tin s“ , dann aber tragen sie die F ast mit so viel Ueichtigkeit und Sicherheit des Ganges auf der Schulter oder auf dem K opf, daß man ihnen nachschauen muß, während sie, sich noch einm al umwendend, unsere Gesichter mit ihren merkwürdi
gen, warmen Tierblicken durchforschen.
Unter den Männern sieht man würdige Gestalten, Mohammedaner in Fes und K aftan , die wohl ortsfremd sind, weit aus dem Innern kommen, viele haben schwarze Regenschirme, unter denen sie Schutz gegen die Sonne suchen. Man sieht auch Neger m it dem Gesangbuch umherlaufen, sie wirken unfrei, um nicht zu sagen unecht. Den meisten aber scheint ein Tropen
helm das H auptziel ihres Lebens und ihr größter Stolz, und es m acht nichts, daß er schrecklich schmutzig ist und auch noch ein Doch hat, so daß die Sonne hinein
scheint auf den Wollschädel. Im übrigen ist auch an ihrer Kleidung wenig Ursprüngliches mehr, aber die A rt der Mohammedaner, sich anzuziehen, die sie mit dem Islam zusammen gelehrt bekamen, scheint wenig beliebt mehr; E uropa trium phiert auch hier. Alte schwarze Paletots, in dieser H itze getragen über einer weitfallenden, aus einem Uendenschurz improvisierten
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und durch eine Schnur zusammengehaltenenHose, sind noch das Gelindeste, was man sehen kann; wer ein ganzes europäisches Manschettenhemd sein eigen nennt, das er aber nicht in die Hose hineinstopft, sondern frei fallen läßt, ist hier schon ein Gentleman durch und durch; dafür gibt es dann wieder andere, in alten Cutawayhosen, deren H interteil vollkommen fehlt, so daß m an reichlich viel von dem schwarzen Fell sieht, wenn der K erl sich b ü c k t . . .
Drunten der H afen ist jetzt, um die M ittagszeit, in lebhafter T ätigkeit; der ganze K a i liegt voller W aren, die von Negern, unter A ufsicht von W eißen, hin und her getragen werden, meist auf dem K o p f; lenden
lahme alte Autos rattern dazwischen, wie ein mächtiger Block ragt unser Dam pfer aus dem Gewimmel der kleineren, die hohen Eisengerüste der Kohlenlade
maschinen stehen wie phantastische Auswüchse zu seinen beiden Seiten. A u f dem kohlenverschmutzten D eck halten mohammedanische Händler Dederwaren, W affen und andere Andenken feil, die meisten Passa
giere aber beschäftigen sich damit, dem K ohlen
bunkern zuzusehen und den Negern, die auf den Ge
rüsten herumturnen wie Affen. Diese Hafenarbeiter sind in ihrer H albzivilisation ein ganz fatales Gesindel, und die Schnelligkeit, m it der sie durch E uropa ver
dorben worden sind, ist es, die doch immer wieder den Zweifel auftauchen läßt, ob der Neger in A frika w irk
lich zu zivilisieren sei, so grotesk sind sie anzusehen, unverschäm t bis dort hinaus, dazu mit verdächtigen
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W unden bedeckt, besonders an den Beinen. A u f ihren Maschinen vor Prügeln sicher, glauben sie, allen ihren körperlichen Regungen vor zuschauenden weißen Frauen nachkommen zu dürfen, aber dann ist, aller
letzten Endes, in allem Zynismus so viel großartige Unbekümmertheit, daß es schwerfällt, sich das Bachen zu verbeißen.
E in letzter B lick noch, der das von D eck aus sicht
bare A frika um faßt, dies grell besonnte Band mit seinem schweren, dunklen Schweigen, ein B lick noch auf den gewaltigen Affenbrotbaum , der bis hierher erkennbar seine patriarchalisch m ächtigen Zweige drüben in einem Garten reckt, — auf dem Nachbar
dampfer läß t ein Matrose einen A ffen am Flaggenstock hochklettern. Man schüttelt den Kohlenstaub, mit dem alle weißen Anzüge schmählich überzogen sind, von sich, zufrieden, daß es nun w e iterge h t dann löst sich, umkreist von Raubvögeln, die an die von Santos erinnern, der Dam pfer langsam aus seiner Kohlen
staubwolke und vom K a i dieser traurigen und gro
tesken S t a d t . . .
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