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Wohnstraße in Rio

EIN BISSCHEN G ELB FIEBER

I

m Südwinter 1928, etwa in den Monaten März bis September, war wieder einmal eine kleine Gelbfieber­

epidemie in Rio zu verzeichnen gewesen. K lein ist auch nur ein optimistischer Ausdruck, denn es kam so weit, daß Argentinien die europäischen Dam pfer nicht mehr landen lassen wollte, wenn sie vorher brasilianische H äfen angelaufen hatten. N atürlich erkundigt man sich neugierig und auch etwas persönlich interessiert, wie es jetzt um die Dinge stehe, aber man erhält als A ntw ort nur ein achselzuckendes Schweigen auf der ganzen Dinie. E in Schweigen, das alle Möglichkeiten offen läßt. Die K ran kheit sei schon seit W ochen von Am ts wegen als erloschen gemeldet, und auch die Zei­

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tungen schweigen — und das ist alles, was man fest­

stellen kann. Schließlich läß t man die Sache auf sich beruhen.

B is einem dann eines T ages die Sanitätsautos auf­

fallen, von denen man, zu allen Tageszeiten, immer wieder m al eins in einem tollen Tem po die Strand- aveniden entlangrasen sieht. In keiner S tad t sah ich je so auffällig viele dieser etwas fatalen Fahrzeuge.

Man weiß von der Grippeepidemie 1918 her, mit welcher brutalen Schnelligkeit hier der K ranke ab­

geholt, m it welcher Rigorosität er von allem schrift­

lichen und mündlichen Verkehr isoliert wird, und daß man ihn, falls er stirbt, nie wieder zu sehen bekommt, nicht einmal seine Asche. — Und man denkt gleich wieder an das offiziell erloschene Gelbfieber.

Neue Versuche, den T atbestand zu eruieren. Aber die offizielle Stelle, an die ich gerate, antw ortet mir mit einem weitausladenden Vortrag, in dem Sinne etwa, daß m an sich h alt fatalistisch einstellen m üsse:

wen es treffen solle, treffe es doch, trotz aller Vorsicht;

und das Gelbfieber sei doch nur eine K ran kheit der ärmeren, unterernährten Schichten, ein richtig ge­

nährter, also widerstandsfähiger Organismus werde sich schon der Ansteckung zu erwehren wissen. Was, nach meinem laienhaften Dafürhalten, vielleicht für eine A nzahl von harmloseren Infektionen, etw a mit Tuberkeln, gilt, aber nicht für Gelbfieber.

E ine exakte A ntw ort zu erhalten, ist unmöglich, und währenddem arbeitet das Carnegie-Institut

unermüd-Keilpflug 97 7

lich weiter an der Mückenbekämpfung, aber durchaus wie in normalen Zeiten. O ft sieht man es m itten aus dem Asphalt der Straßen, aus den Gullys, rauchen: die Kanalisation wird ausgegast. Und jede W oche zweimal steckt vorm ittags eine kleine weiße Fahne m it dem roten Genfer K reuz an meinem Hause, und daneben lehnt eine Ueiter. D as bedeutet, daß eine Kommission von zwei oder drei Gesundheitsbeamten im H ause ist, die alle W inkel durchsuchen und Petroleum auf jede verdächtige Wasserlache spritzen, sogar in die W asser­

bassins der W .C .’s. —

Eine Anzahl von N ächten hatte ich sorglos bei offe­

nem Fenster geschlafen. Sind eigentlich Mücken im Zimmer ? — D ie Frage ist leider zu bejahen, also findet jeden Abend vor dem Zubettgehen eine kleine Jagd statt, ein schweißtreibendes Geschäft, das aber ver­

hältnismäßig einfach ist, wenn m an die Gewohnheiten der Tiere kennt, sich im D unkeln summend dem B ett zu nähern und sich in der N ähe schnell hinzusetzen, so­

bald Dicht gem acht wird. — Ob die spezifischen Gelb­

fiebermücken darunter sind, kann ich nicht m it Be­

stim mtheit erkennen, aber es scheint mir so. Ich töte also m it vielem E ifer jeden Abend zwei bis drei der Tiere und werde von zwei weiteren, die ich übersehen habe, dann im Schlaf gestochen.

Denn da ist ein sehr mißlicher U m stand: es hat keinen Zweck, zur Abenddämmerung, wenn die Mücken zu fHegen anfangen, die Fenster zu schheßen, weil die untersten Rechtecke derselben, zufolge einer

baupoH-iaj zeilichen Verfügung, die in Rio fast überall durchge-11® führt ist, nicht aus Glas bestehen, sondern aus einem D:| Holzladen m it horizontalen, nach unten gerichteten

¿k Öffnungen. D urch diese können die Mücken natürlich

t hereinspazieren, wann und sooft es ihnen beliebt, reit Man sollte nun denken, die Brasilianer würden sich

®a die kleine Mühe machen und Gaze hinter die Holzläden ss nageln. Oder sie würden ein übriges tun und Moskito-i'fi netze über den B etten montieren. W eit gefehlt. K ein raa Mensch denkt daran, und gar bis zu der hierzulande

stets überm äßig hohen Zimmerdecke hinaufzusteigen, um den N agel einzuschlagen, an dem das N etz hängen E; muß, fä llt niem and auch nur im Traum ein. Die B ra ­

silianer tu n ’s nicht, um keinen Preis; wenn man darauf drängt, wird man ausgelacht als banger Neuling oder als weiß ich was. Sie wollen unter allen Um ständen so tun, als lebten sie im gesündesten E uropa und nicht in . dieser ehemaligen Gelbfieberhölle. D as ist ihr Spleen, jp und sie halten daran fest.

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ife „F R IE D E ERN Ä H RT . . .“

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aß die N achricht vom Gelbfieber in Rio überhaupt in die Zeitungen kam und sogar in europäischen Blättern zu lesen war, war ein K unstfehler; es schädigte den Frem denverkehr Rios sehr, da die reichen

Argen-'IN- tinier im W inter nach dem wärmeren Norden hinauf zu

.

gehen pflegen, wenn ihnen eine Reise nach E uropa

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mal zu zeitraubend oder geschäftlich untunlich er­

scheint. Und all das ist dem Unfrieden zu verdanken, der bekanntlich verzehrt. Der neue Bürgermeister von Rio war es, der sich den Zorn der Presse zugezogen hatte, denn er hatte bei seinem A m tsantritt, als schwerreicher Mann, zwar die ausstehenden Gehälter der städtischen Beam ten aus eigener Tasche bezahlt, dann aber ange­

fangen, rücksichtslos „abzubauen“ , wahrscheinlich weil ihm der Spaß auf die Dauer doch zu teuer wurde. Auch die paar städtischen M ückenjäger wurden davon be­

troffen, was wenig ins Gewicht fiel, da Rio jährlich nur ein Zwanzigstel oder noch weniger für die Mücken­

bekäm pfung ausgibt als das Carnegie-Institut. D a aber der ganze A bbau der Presse nicht paßte, schrie sie:

„Sieh st du, nun hat uns deine A m tstätigkeit das gelbe Fieber beschert!“ —

In Argentinien war man um dieselbe Z eit in einem ganz ähnlichen F all w eit disziplinierter. Der deutsche A rtist, der mir diesen Bericht gab, ein glaubwürdiger Mann, m ußte etw a im Juli 1928 zum A n tritt eines E n ­ gagements von Buenos Aires nach Tucum än fahren.

A us nichts, nicht aus dem leisesten Gerücht, aus keiner Andeutung in den Zeitungen war zu ersehen gewesen, daß er auf dem W eg dahin durch eine S tad t namens Santiago del Estero (das aber m it dem chilenischen Santiago nicht zu verwechseln ist) kommen würde, in dem gerade die Eungenpest herrschte. Man erfuhr das erst auf der Reise, wenige Stunden, bevor man den Ort erreichte.

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X u n ist Ltmgenpest, m uß man wissen, so ungefähr die fürchterlichste aller Infektionskrankheiten; Pest an sich tö te t schon m it ziemlicher Sicherheit, und die Ansteckung mit dieser Form der K rankheit geschieht noch dazu durch bloßes Einatm en der überall in der E uft umherwirbelnden Bakterien. Die argentinische Regierung hatte daher, wie sich herausstellte, Santia­

go durch einen M ilitärkordon aufs allerschärfste gegen jeden Verkehr m it der Außenw elt abgesperrt. Aber was ta t sie, um den Zugverkehr m it dem Xordwesten nicht unterbrechen zu m üssen? A n ein Umleiten der Züge, in E uropa eine K leinigkeit, ist bei dem völligen Mangel an Xebenstrecken in den Pam pas nicht zu denken. E s gib t immer nur die eine Bahnlinie.

Man w ar daher auf eine in ihrer Einfachheit gerade­

zu geistreiche Idee verfallen. A u f der letzten Station vor Santiago wurden hinter der Eokom otive zwei Gü­

terwagen eingehängt, auf denen sich, nebst allerhand geheimnisvollen Vorrichtungen, mehrere m it Gasmas­

ken versehene Männer von entschlossenem Aussehen befanden. U nd während der Zug, natürlich ohne an­

zuhalten und m it geschlossenen Fenstern, Santiago passierte, bliesen diese Männer auf ihren W agen m äch­

tige Chlorgaswolken ab, die infolge des Fahrwindes am Zug entlangtrieben und ihn völlig in eine desinfizierende Gasschicht einhüllten. A u f der nächsten Station mußten dann säm tliche Passagiere noch einmal durch die aus den Güterwagen ausströmenden Reste des Gases hin­

durch. — D ie Seuche h at denn auch, soviel ich fest-IOI

stellen konnte, nicht weiter um sich gegriffen, — ein wirklich begrüßenswerter Trium ph der modernen, sonst so berüchtigten G astechnik!

(F R E I N A CH GOETH E)

elcher Angehörige eines amerikanischen Staates würde nicht behaupten, sein T and sei „das Tand der Z ukunft“ ? Und welcher würde es zu Unrecht be­

haupten, welchem würde m an es nicht ohne weiteres glauben? Besonders, wenn das Gespräch an O rt und Stelle stattfindet. Der Augenschein dort überzeugt so­

fort und widerspruchslos, wobei aber unter Zukunft die wirtschaftliche E ntw icklung verstanden werden

Tediglich wirtschaftliche Entw icklung und nichts weiter. W ir in Europa, das sich in einem ungeheuer­

lichen K rieg geschwächt hat und das daran geht, sich in einem nächsten K rieg sein eigenes Grab zu graben, schauen viel zu viel nach drüben, über die Ozeane, ob da wohl etwas zu finden wäre, was uns aus unserer M ißlichkeit heraushilft. — Diese unsere Tendenz und der plötzlich grell in Erscheinung getretene Reichtum der Vereinigten Staaten von Nordam erika sind die Gründe, warum dieses Tand in der letzten Z eit so ungeheuer populär bei uns wurde. Indessen aber liebt man statt

„AMERIKA, HAST DU ES BESSER ATS UNSER KONTINENT, D ER A T T E ?“

muß.

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der U S A . ein Traum- und W unschbild, das man sich von ihnen gem acht hat, nicht die W ahrheit, die hier nur wenige kennen. W er wissen will, wie die U m ­ stände drüben w irklich sind, wie närrisch, abstrus und scheußlich, wie kulturlos im letzten Sinne sie sind, der lese die ausgezeichneten Schilderungen seiner Reise­

eindrücke in den U S A . von Jakob Wassermann. Aus den Aufsätzen, die er 1928 in einer Berliner illustrierten Zeitschrift veröffentlichte, möchte ich ein paar Stellen, die sich auf hier Erw ähntes beziehen, kurz und ohne K om m entar zitieren.

„D a ß die Juden sich in das staatliche Gefüge ein­

leben und als V olksteil von der N ation auf genommen werden, leidet keinen Zweifel. Anders steht es m it den N e g e r n . Ihre stets zunehmende Zahl bildet ein ern­

stes Problem für das Land. W enn ein Am erikaner von der Rassenfrage spricht, meint er die Negerfrage, und man fühlt, daß ihm nicht ganz wohl dabei ist. Sie sind still, fügsam, sehr g e s itte t. . . ihre repräsentativen K ünstler sehr kultivierte Leute, geistige Köpfe, dabei voll Melancholie, m it einer elementaren D unkelheit im W esen . . .

D ie H älfte aller Läden in den Straßen sind solche für Dam entoiletten. D as ganze öffentliche L eben A m e­

rikas ist auf die F rau zugeschnitten. Die unsinnige Über­

heizung aller W ohnräum e ist für die F rau und ihre leichte K leidung berechnet, die Männer müssen schwit­

zen und tun es widerspruchslos und achselzuckend. Sie zucken überhaupt gerne die Achseln . . .

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Der unwiderstehliche gesellschaftliche Herdentrieb ist hier im W esten noch bemerkbarer als im Osten. Zu sagen, was nicht alle sagen, fällt bereits unangenehm auf. N un erst zu tun, was nicht alle tun . . .

Alle kleiden sich zur gleichen Zeit gleich. Individu­

elle Lebensformen gibt es nicht. Liebhabereien darf sich nur der sehr reiche Mann gestatten . . .

W enn zum Beispiel ein Mann auf dem Lande am Sonntag nicht regelmäßig in die K irche geht, ist ein­

fach seines Bleibens nicht. E r verfällt der Ächtung. A uf eigene F aust selig werden kann er nicht. A u f eigene F aust reich werden, das allein kann er . . .

H. gab mir ein B uch: ,W ealth against Common­

w ealth1, von einem gewissen L loyd, eine R arität. Als es vor 25 J ahren erschien, ließ Rockefeller alle E xem ­ plare aufkaufen und den weiteren D ruck verhindern.

E s stellt auf mehr als 500 Seiten in nüchternen Fakten den Verbrechensweg dar, auf dem der alte Rockefeller das Ölmonopol durchsetzte. E in W eg, der tatsächlich über Leichen ging, denn es verschwanden unter ande­

rem Leute, die unabhängig genug waren, seine Absich­

ten zu durchkreuzen, einfach aus dem Leben, ohne daß man je ergründen konnte, wohin sie gekommen waren.

D as ungeheure Verm ögen ist im W ortsinn aus B lu t ent­

standen . . . Der je tzt 50 Jahre alte Sohn Rockefellers ist als strenger und lauterer Charakter geachtet

U nd nun noch, als Gegensatz zu dem Bilde des Mil­

liardärs, das erschütternde B ild des Lebens, wie es drü­

ben in Am erika für die Millionen Armer ist. A us Bronx, 104

dem J udenviertel von X euyork, wobei zu bemerken ist, daß jeder fünfte Mensch in X euyork Jude ist.

„ I n diesem G etto ist nichts Heiteres . . . Der bloße A spekt ist zermalmend. E ine Mischung von orienta­

lischem Schm utz und moderner Industrie. M arktstände in den Gassen, häßliche eiserne Feuerleitern an allen Fassaden von B alkon zu Balkon. A u f diesen Balkons schlafen in den unleidlich heißen Sommernächten Xeuyorks ganze Fam ilien, zehn bis zw ölf Personen auf einem Raum , nicht größer als einEisenbahnkupee.

In den unendlich langen Straßen . . . tummeln sich T a u ­ sende von bleichen, schmutzigen, großäugigen Kindern von morgens bis m itternachts. D as Pflaster ist bedeckt mit greulichem U nrat, in den Häusern wohnen die Men­

schen so dicht wie die Bienen im Stock, in z ahllose W ohnungen dringt überhaupt kein Tageslicht, die V er­

finsterung wird bew irkt durch die Hochbahn, die un­

mittelbar vor den Fenstern vorüberdonnert. Ich habe mit vielen von den L eu ten gesprochen, und sie haben mir gesagt, daß sie richtigen Schlaf seit J ahren nicht mehr kennen . . .

W ozu dies Leben, fragt m an sich, im Sum pfdickicht der Riesenstadt, zwischen H äusertrichtem , baumlos, himmellos, freudlos ? W as findet die geplagte K reatur an solchem Dasein ? Jeder dieser nach L ich t und L u ft gierenden Menschen h a t eine Seele, an der er haftet, jeder h aftet vor allem an sich selbst. In jedem Leben gibt es wahrscheinlich jeden T a g zwei bis drei Minuten relativen Glücks, der H offnung und Zuversicht. Also

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entscheiden W irklichkeiten keinesfalls, denn eine W irk­

lichkeit wie diese müßte sonst zur vollendeten V er­

zweiflung und zum Selbstmord führen

Besser und überzeugender kann das wohl nicht ge­

sagt werden, und aus eigener E rfahrung hätte ich diese Berichte nur in dem einen Punkte zu ergänzen, daß ich Nordamerika als ganz junger Mensch, ein Jahr vor dem Kriege, P un kt für P un kt genau so empfunden habe;

es hat sich drüben in den letzten 15 Jahren offenbar nichts gebessert, eher ist es schlimmer geworden. Wäre ich damals auf die Idee gekommen, über meine E in­

drücke zu schreiben, hätte ich es in demselben Sinne tun müssen.