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Wohnstraße in Rio

„GOTTGEWOLLTEN ABH ÄNGIGKEITEN“

an würde einem Brasilianer kein Komplim ent sagen, wenn man das Portugiesisch lobt, das er spricht. E r würde stolz ablehnen: seine Sprache sei das „Brasilianische“ . D ie Meinung von Portugiesen aus Lissabon hinwiederum über dieses Brasilianisch war alles andere als anerkennend, sie tadelten die schlechte Aussprache. E s scheint zwischen der Sprache des Mutterlandes und seiner ehemaligen Kolonie derselbe Entfrem dungsprozeß sich zu vollziehen wie zwischen dem Englisch in England und dem in Nordamerika.

Aber Portugiesisch hin, Brasilianisch her, — man spricht nicht umsonst die Sprache eines alten

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ischen Kulturlandes. D as bedeutet mehr als bloße Ge­

meinschaft von W orten, Gram m atik und Syntax, das bedeutet — die Brasilianer können leugnen soviel sie wollen — eine Abhängigkeit. W enn diese nicht mehr politisch und finanziell ist, so ist sie geistig, kulturell, sozial. D ie Abhängigkeit Brasiliens von den Lebens­

formen und von der „M entalität" jenes Landes am Westrand der Iberischen Halbinsel ist überall zu spüren.

Uber die Mischlinge, die Brasilien der portugiesischen Angewohnheit, sich m it Negersklavinnen zu kreuzen, verdankt, wie überhaupt über die Negerfrage, wird die Zukunft ein großes W ort zu reden haben. A uch dieser Prozeß dürfte ähnlich verlaufen wie in den U SA . W ährend die W eißen, als die schon müdere Rasse, kinderarm, wenn nicht steril sind — das K lim a, hier wie dort, tu t das seine dazu — , vermehren sich die Farbigen überall in einer kaninchenhaften Weise.

Wenn es nicht möglich ist, das zahlenmäßige Gleich­

gewicht durch weiße Einwanderung aufrechtzuer­

halten, wird der D ruck der Farbigen — und diese nehmen, wie Südafrika zeigt, sehr schnell auch die dt „höhere“ Zivilisation an — in jeder Beziehung schließ­

lich so groß, daß er auch durch noch so rigorose sei Maßnahmen nicht mehr eingedämmt werden kann, da Außerdem sind die Farbigen, wie bereits bemerkt, in i Brasilien den W eißen heute schon nicht nur dem 0 Buchstaben nach, sondern auch praktisch gleichbe-ops- rechtigt. —

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Portugiesisch ist vor allem die Stellung der Frau in Brasilien. Das etwas haremhafte, von irgendwelcher geistigen Anteilnahme nicht berührte Abgesperrtsein der Frau von allem wirklichen Deben, wie es vor 30 Jahren auch bei uns noch in bester B lüte stand, die Frau als zwitscherndes und ätherisches Uuxustierchen, Regiererin allenfalls der Dienstboten und Kinder­

gebärerin, und mit Schmuck und P utz bis zum Über­

druß behängt, während der Mann sich in nichts drein­

reden läßt, — das ist hier zumindest noch das „Id eal“ . H inzu kommen die Beschränkungen der persönlichen Freiheit, die auch heute noch, wenigstens zum Teil, Spezialität der Iberischen Halbinsel sind, zum Beispiel daß die Frau, besonders aber das junge Mädchen, nicht allein auf die Straße gehen darf, nur zu zw eit oder in Begleitung der Dueña. In Buenos Aires geht man noch weiter: keine Dam e darf allein m it einem Herrn im A uto zusammenfahren, der nicht ihr Mann, V ater oder Bruder ist, und wie bei solcher, hysterisch ängstlicher Absperrung ein junger Südamerikaner eine „ehrbare Annäherung“ an seine auserwählte Unbekannte zu­

stande bringt, blieb mir Zeit meines Aufenthalts Ge­

heimnis. W ahrscheinlich wird er monatelange abend­

liche Fensterpromenaden anfangen wie in Andalusien.

Ich habe sogar junge Deutsche gefunden, die diese Methode priesen. „A b er der E rfolg davon dürfte doch der sein, daß der immerhin erhitzte und auf so un­

bestimmte W artezeit gesetzte Jüngling sich vorerst einmal an anderen, w eit schlechteren und auch weit

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gefährlicheren Orten abreagiert", erlaubte ich mir zu erwidern, wobei ich an ein gewisses Viertel in Rio dachte, das dem in Säo Paulo an Ausdehnung nicht nachstehen soll.

Daß die Brasilianerinnen auch den Bubikopf tragen, der sich auf der ganzen W elt durchgesetzt hat, und möglichst neue und teure Pariser Moden, dürfte wohl nur in ihren eigenen Augen ein Zeichen von Moderni­

tät sein; denn von der Selbständigkeit, die sich die Engländerin, die Skandinavierin und vor allem die Am erikanerin erkäm pft haben, „spürest du keinen H auch“ , vielleicht verzichten sie sogar sehr gern auf die Mühe, selbst über sich zu bestimmen. Und die .iE gymnastischen K ünste, die seit 1920 in Europa in fc tausend komplizierten System en und mit ebensoviel ::i Versprechungen ewiger Jugend und Schönheit ver-mi hökert werden und deren m an allgemach schon ein i c i : wenig überdrüssig ist, wurden m it Bildern aus dem ur-i r alten U fa film : „W ege zu K ra ft und Schönheit“ gerade

zur Z eit meiner Anwesenheit in Rio von einer der tet größten dortigen Zeitungen als allerneueste Neuigkeit tsfe und E xtravagan z aus E uropa zur Kenntnis der

süd-lieh schönen, meist etwas zu dicken Eeserinnen ge- bracht. —

Einen nicht unbeträchtlichen Einfluß scheint sich die Dam enwelt dagegen in der Entscheidung der Frage, was schicklich ist und was nicht, Vorbehalten zu haben.

Die beinah w itzige und durch nichts aus dem K onzept , zu bringende Unlogik, m it der in diesen Dingen drüben

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dekretiert wird, läß t darauf schließen. Man fühlt sich jedenfalls etwas an die G ynäkokratie in Nordam erika erinnert, die sich sogar an einen K ünstler wie Chaplin heranwagte, um moralisch zu töten, und an der die U SA . vielleicht einmal zugrunde gehen werden, wenn die Neger es nicht vorher besorgen.

So ist es in Rio durchaus erlaubt, sich im Pyjam a am Fenster oder im Garten zu zeigen, was schauder­

haft schlampig aussieht, auch ist Rio bisher die einzige Stadt gewesen, in der ich Reute im Badem antel oder bloßen Badeanzug durch die Straßen nach dem Strand wandeln sah. D as geniert hier niemanden, aber man kann es erleben, daß man vom Schutzm ann angehalten wird, weil man bei bedecktem W etter ohne H u t umher- geht; ein eleganter Tennisanzug, weißes Hem d und weiße Gürtelhose, gilt als vollkommen „shocking“ , und in Argentinien wird man dam it einfach in die zweite Klasse der Tram bahn, unter die Arbeiter verwiesen.

Ich habe es selbst erlebt, daß in der Eisenbahn bei 30 Grad H itze der Schaffner kam und mich höfüch darauf aufmerksam machte, daß es nicht statth aft sei, in Gürtelhose und Manschettenhemd dazusitzen, wobei zu bemerken ist, daß in dem fast leeren W aggon gar keine Damen anwesend waren.

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