• Nie Znaleziono Wyników

Wohnstraße in Rio

DIE VERLOBUXGSIXSEL

'nter den 70 Inseln der Bai, von denen mehr als eine einfach ein kahler Granithöcker über den W assem ist, sind einige doch recht bemerkenswert. D a ist die Ilha das E n xadas mit ihren Flugzeugschuppen, die in dieser Geschichte noch eine besondere Rolle spielen wird, auf anderen befinden sich die Quarantänestation, Kasernen, Arsenale, in der X ähe des anderen L'fers bei X ictheroy Hegt die Blumeninsel, auf der die deutschen Kriegsgefangenen viele, viele Monate lang interniert waren — manche von den Arm en wurden trotz der verhältnism äßig schönen und freien Unterbringung wahnsinnig und wurden dann irgendwo in Rio to t auf­

gefunden — , und da ist endhch die von den Fremden weniger besuchte Insel Paqueta, eine Stunde W asser­

fahrt von R io entfernt, das Sonntagsausflugsziel aller veriiebten Pärchen, daher vom V olke die Verlobungs­

insel genannt. Ich habe sie die Kokospalmeninsel ge­

tauft, denn nur hier in der ganzen L'mgebung von Rio fand ich diese echt tropische Pflanze, wahrscheinlich Hegt die Insel besonders warm.

D er W eg beginnt an der Praca 15. Xovem bre, in deren X äh e die K athedrale von Rio steht mit dem

im-glaublich barbarischen und hohen Betonturm , den eine unmögüche vergoldete Riesenstatue der J ungf rau krönt.

D ort fahren von den Caes de Pharoux die Dam pfboote ab, sie gehören oder gehörten einer englischen Gesell­

schaft, aber die Besatzung ist natürlich brasilianisch, und ich habe mit meinem Baienauge nie eine so völlig verdreckte Maschinenanlage gesehen wie auf diesen Fähren, die nach nordamerikanischer A rt ganz breit und flach gebaut sind und auf ihrem unteren Stockwerk einer guten Anzahl von A utos und Bastw agen P latz zu bieten vermögen. E ine Dünung kom m t vom Ozean herein durch die enge Öffnung der Bai, die Fähre gerät in merkliche Bewegung, allm ählich entwickeln sich über dem Häusergewirr die bekannten B erggestalten: Zuk- kerhut, Corcovado, „G ottesfinder“ ; das Orgelgebirge im Norden ist des Dunstes halber nicht zu sehen.

Die Insel selbst ist eine wunderbare Überraschung in dieser strenggesichtigen Bandschaft: ein B ild des Gepflegtseins, des Friedens, des gesunden, ungefähr­

deten und geruhigen Daseins vor allem, ganz bedeckt m it Gärten um villenartige Häuschen herum, und mit Palmen, immer wieder Palmen. Ich kenne die Märchen­

welt der Südseeinseln nicht, aber so, gerade so müssen die A tolle dort sein. W irklich, etwas weiches Verfüh­

rerisches, ja gefährlich Verführerisches Hegt über dem Eiland, ich merke das daran, daß ich abstruser- und gänzlich zusammenhangloserweise an die Stimmungen denken muß, die Aschenbach am Strande des Eido erlebt in Th. Manns merkwürdigem „T o d in Venedig“ ,

74 ,

— und da, an der nächsten Biegung des Strandweges, der die ganze Insel umzieht, ist auch schon ein Spiel brauner, köstlich wohlgestalteter Kinder, die sich in paradiesischer Losgelassenheit jagen und besser zu schwimmen scheinen als die Fische selbst. Merkwürdige Bäum e stehen an meinem W ege, der eine oder andere m it großen, tie f roten oder violetten Blüten, wieder andere hängen ganz und gar voll trockener, aufgeplatz­

ter Schoten vom vorigen H erbst, die wie Seide glänzen und bei jedem W indhauch ein sonderbares Rascheln hören lassen; die Sonne brennt, daß ich Kopfschm er­

zen bekomme und mir einen Tropenhelm herbeiwünsche, über den Gebirgen im Norden braut gewittriger W ol­

kendunst.

Und es endet damit, daß ich, zum erstenmal auf dieser Reise, Ruhe, Stim m ung und Sorglosigkeit genug finde, mich im Schatten auszustrecken, gedanken- und sinn­

los zu den grünen Nüssen der Kokospalm en hinauf- starrend; die Abendfähre kommt, und die ganze E in ­ wohnerschaft der Insel steht, wie in den kleinen Orten am Starnberger See, an der Landestelle, um zu sehen, wer ankom mt und wer abfährt, der Fleischbedarf der Insel für morgen wird ausgeladen nebst K örben voll der riesig großen Fische des tropischen Meeres, die untergehende Sonne hegt über einer W olke, zu der, ku ­ lissenartig gestaffelt, eine Gruppe von Bergsilhouetten auf steigt; das Rosa, das sich über den Himmel gießt, ist m it einem seltsam scharfen Strich von dem inten­

siven Grün darüber a b ge gren zt. . .

75

„BRASILIEN IST SO GROSS, DASS . .

S

o wächst allmählich das Bild der Um gebung dieser Stadt zu einem Ganzen zusammen, einem nie ganz begriffenen, enträtselten, immer etwas fragwürdigen Ganzen. B is man sich eines Tages wieder darauf be­

sinnt, ein wie winziges S tü ck diese B ai m it ihren 140 km U m fang ist im Vergleich zum ganzen Lande Brasilien, das 15 mal so groß ist als Deutschland.

Aber was nützt es zu sagen: so und so groß ist B ra­

silien? W as helfen statistische Zahlen, um die unge­

heure Ausdehnung der W ildnisse im Strom gebiet des Amazonas und seiner Nebenflüsse begreiflich zu m a­

chen ? W o doch selbst auf den neuesten K arten von Brasilien an vielen Stellen noch die W orte zu lesen sind: „W enigerforscht“ . W as sagen will, daß eigentlich noch niemand dagewesen ist, und was auch ganz be­

greiflich ist, wenn man an jene „schönen“ W aldgegen­

den an der peruanischen Grenze denkt, in die Brasilien seine Schwerverbrecher schickt und die man, vielsa­

gend und verschämt, die „G rüne H ölle“ zu nennen pflegt.

Brasilien ist so groß, muß man sagen, daß es erst in diesem Jahr eine Kommission ausgesandt hat, um end­

lich einmal seine Nordgrenzen gegen Venezuela genau feststellen zu lassen. Man muß sagen: Brasilien ist so groß, daß es trotz seiner ungeheuren Urwälder a n ---Holzmangel leidet, weil die zahllosen herrlichen N u tz­

hölzer, nach der Laune der N atur verstreut, oft tau ­ 76

sende von Kilom etern entfernt von den Orten stehen, wo m an sie dringend gebraucht. Brasilien ist so groß, daß m an die Teilnehmer der letzten Revolution noch heute nicht hat fangen können, weil die geschlagenen Rebellen, sich in kleine und kleinste Trupps auflösend, in den W ildnissen des Staates M atto Grosso ( = großer Urwald) verschwanden, als seien sie vom Erdboden verschlungen. U nd endlich: man kann es gar nicht besser, treffender sagen, als der brasilianische V olks­

mund es auszudrücken gew ußt h at in diesem ehr­

fürchtig-frommen und zugleich etwas fatalistisch seuf­

zenden W ort: „ G o tt ist groß, aber der M atto ist noch viel größer . . .“

ZUKUNFTSAUSSICHTEN

B

edenkt man, zu diesem R eichtum an Land, den Reichtum an W asserkräften, das heißt an E le k ­ trizität in den südlichen Teilen des Landes, den Reichtum ferner an Bodenschätzen, besonders im Staate Minas Geraes, wo ganze Berge von höchst­

prozentigem Eisenerz frei dahegen und bloß weg­

gebrochen zu werden brauchen, so beginnt man zu ahnen.

Man ahnt Entwicklungsm öglichkeiten, Zukunfts­

aussichten, denen gegenüber der über Gebühr bewun­

derte A ufstieg Nordam erikas nur eine klägliche Stüm ­ perei ist. W elch ein wirtschaftlicher und politischer

77

M achtfaktor von morgen, — nein, sagen wir lieber:

von übermorgen, denn die Brasilianer sind keine N ord­

amerikaner! Aber es muß ein stolzes Gefühl sein, daß man dazugehört; 900 Millionen Menschen sollte, sei­

nem Flächenraum nach, dieses Fand zu ernähren im ­ stande sein, falls man es so dicht besiedeln könnte wie Deutschland. Und es spricht wenig gegen diese Mög­

lichkeit; seine geil wuchernde Pflanzendecke ist A n ­ zeichen genug dafür, ist nur eine seiner K raftäu ße­

rungen, nicht letztes und alleiniges Resultat.

Groß, unheimlich groß, ein Schatten von fast be­

klemmender W ucht, beginnt der Nam e Brasilien auf­

zuwachsen hinter dem weitgeschwungenen B ergketten­

horizont rings um die S tad t Rio de J aneiro . . .

„ C I N Z A N O U N D P U N K T R O U U E R Ü B E R A D D . . . "

D

erweilen diese selbst nur an sich zu denken scheint, an das J etzt, das H eute und den A lltag, die von Europas und Nordamerikas Gnaden sind, da das Fand sichtlich nur m it den K apitalien arbeitet, die jene hin­

einzustecken sich einstmals herabließen. K ein Wunder also, daß die S ta d t nur den einen Ehrgeiz zu besitzen scheint, die Geldgeber zu kopieren, indem sie straßen­

lang all den flimmernden Talm iglanz unserer W elt­

städte in Fäden aufstapelt, den schlechtgesinnten Bom ­ bast unserer Bankpaläste im itiert und die kalte Ruhe

78

unserer W olkenkratzer im schmetternden Lärm der Verkehrsadern.

Indes geschieht das alles durchaus m it der M iene:

..B itte, meine Herren, das können wir hier auch, und vielleicht sogar noch besser als ihr. L'nd was wir nicht machen k ö rn en , kaufen wir eben von euch: Autos aus Nordam erika, B leistifte aus N ürnberg und Schmin­

ke für den ach so schnell gelb werdenden Teint unserer Damen aus Paris . . Cinzano und Punktroller über­

all, ist die D evise . . .

A ber die K opie wird bekanntlich um so schlechter, je genauer sie ist, das bedenken die Tüchtigen nicht, denn es wird eben immer nur von der W urzel Los­

gerissenes verpflanzt, dem die historischen Notwendig­

keiten, die es drüben wachsen ließen, hier fehlen. Und so bleibt die S tad t Konglom erat, halb Am erika, halb Europa, und ist fast nichts von dem, was sie sein sollte: Brasilien. E s ist, als ob die Brasilianer selber begonnen hätten, es zu spüren, denn m an redet seit längerem davon, die Bundeshauptstadt ins Innere, in den S ta at Elinas Geraes zu v e rleg en .

-So lärm t Rio de Janeiro, Oase eines wahllosen Im ­ ports von Zivilisation, in dem stillen und wilden Land, es trägt H ügel ab, um P latz für neue Geschäftsviertel zu gewinnen und mit dem gewonnenen Erdreich sump­

fige Uferstrecken in Anlagen und A utostraßen zu ver­

wandeln. E s arbeitet und schnauft und beeilt sich rechtschaffen, trotz der angeborenen Lässigkeit des romanischen Bluts, von dem so viel in ihm steckt, und

79

trotz der fatalen Eigenschaften des heißen Klim as. E s schwitzt mit Überzeugung und Ausdauer, es weiß, daß das dazu gehört und fühlt sich heilig verpflichtet, auch das Tem po seiner Vorbilder nach M öglichkeit zu er­

reichen.

DAS LAND DER UNBEGRENZTEN —