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Wochenschrift des Architekten Vereins zu Berlin. Jg 7, Nr 8

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i WOCHENSCHRIFT Dg flRCHITEKTEN-VEREINSIM BERU El

HERflUSGEGEBEN ^ V E R E I N E

^ E rs c h e in t S o n n ab en d s u. M ittw o ch s — B ez u g sp re is h a lb jä h rl. -1 M ark, p o s tfre i 5,30 M ark, einzelne N u m m ern v o n gew öhn. U m lan g e 30 P f., s tä r k e r e e n tsp r. te u r e r ♦ i D e r A n z eig e n p re is fü r die i g e s p a lte n e P e tltz e ü e b e tr ä g t 60 Pf., fü r B e h ö rd en -A n ze ig e n und fü r F a m ilie n -A n z e ig e n 30 Pf. - N ach laß a u f W ie d erh o lu n g en ^

N um m er 8 B erlin, Sonnabend den 24. Februar 1912 V I I . Jah rgan g

Zu b e z ie h e n durch alle B u ch h a n d lu n g e n , P o stä m ter und die G e s c h ä f t s s t e ll e C a r l H e y m a n n s V e r l a g in Berlin W. 8, Mauerstr. 43.44

A llo R e c h t e V o r b e h a lte n

Die Reformbedürftigkeit des Verunstaltuiigsgesetzes und Vorschläge zu seiner Abänderung*)

Bericht des Baurats Ochs, als Vorsitzenden des für den obengenannten Zweck vom A.V. B. gewählten Ausschusses

(S ch lu ß a u s N r. 7, S e ite 59)

Ein w eiterer Vorwurf, der dem Gesetze gemacht wird, geht vom Heimatschutzbunde aus und bezieht sich eben darauf, daß das Gesetz seinen Schutz auf geschichtlich oder künstlerisch bedeutsame O rtsbilder beschränkt. Nach seinem Dafürhalten sind im Sinne des Heim atschutzes historische Stadtbilder und schlichte Dorfstraßen gleichermaßen des Schutzes bedürftig.

Ihm liegt daher an der behördlichen Befugnis, die Bauherren in S ta d t und Land allgemein zur ausschließlichen Verwendung der ortsüblichen, bodenständigen Baustoffe anhalton zu können. Be­

zeichnend für seine Vorschläge ist es, daß er auf die Boden­

ständigkeit der örtlichen Bauweise viel weniger W ert zu legen scheint, als auf die Auswahl der Baustoffe. So wenigstens muß es verstanden werden, daß er bei seinen Bestrebungen hauptsächlich den Biedermeier m it seiner weißgetünchten H aus­

wand, seinem roten, möglichst m ansatdenartig gebrochenen Ziegeldach und seinen farbig gestrichenen Fensterläden zur Geltung zu bringen bem üht ist, ohne Rücksicht darauf, ob diese Bauweise fü r die betreffende Gegend charakteristisch ist. E r vergißt ganz sein eignes Prinzip zugunsten einer nach Lage der Sache einseitigen Geschmacksrichtung, die den Stempel der vorübergehenden Modelaune an der S tirn trä g t. W ir alle wissen, daß der Zeitgeschmack ein durchaus wandelbarer Be­

griff ist. Die Aeltoren unter Ihnen werden sich noch der Zeit entsinnen, wo die Bauwerke im Biedermeierstil als fade und geistlos verschrieen waren und keineswegs als Ausfluß einer hohen K unst bew ertet wurden. Wie diese Bauweise m it ihrer kahlen, kunstlosen Fläche schon zur Z eit unserer Großväter und U rgroßväter eine Reaktion gegen den Forinenüberschwall der Rokokkozeit gewesen, so wird er vermutlich auch diesmal nichts anderes sein, als die Folge einer U ebersättigung, die uns die Stilhatz der letzten Dezennien m it ihrem vielfach Überschwenglichen Formenkram verursacht hat, und die dem Auge die K unst- und Formenlosigkeit dieser Bauweise als eine Erholung erscheinen läßt. Wenn der Heimatschutz bemüht ist, tunlichst nur die Verwendung derjenigen Baustoffe zu fördern, die dieser Bauweise entsprechen, so darf ihm das selbstver­

ständlich nicht verübelt werden, und nichts steh t dem im Wege, daß er durch belehrenden Einfluß auf die Bevölkerung und auf die A rchitektenschaft seinem Geschmacke Geltung zu ver­

schaffen sucht. Wenn er aber, wie schon erwähnt, sich be­

strebt, dieser seiner Geschmacksrichtung in der Allgemeinheit durch Beeinflussung der Gemeinde- und der Polizeibehörden auf ungesetzlichem W ege zur Geltung zu verhelfen, so ist das zu verurteilen. Selbst die beste Sache darf nicht zu einem Miß­

brauche des Gesetzes Veranlassung geben. Der Grundsatz Ju stitia fundamentum regnorum muß auch für uns gelten und selbst die feste Ueberzeugung, damit einer guten Sache zu dienen, darf uns nicht verleiten, der Allgemeinheit unseren Geschmack durch ungesetzliche behördliche Maßnahmen aufzuzwingen.

Dazu kommt, daß der Heim atschutzbund selbst sich keines­

wegs einig über derartige zu stellende Forderungen ist. Während er die bodenständige Bauweise fördern will, h a t z. B. der Redner des Tages auf der letzten Heimatschutzversammlung in der Mark Brandenburg keine Gelegenheit genommen, des liier doch heimischen Ziegelrohbaues im geringsten Erw ähnung zu tun. Vielmehr liefen seine Ausführungen auf eine Förderung des Putzbaues hinaus, wobei er dem Fachwerkbau, der in einem großen Teile unseres Vaterlandes den O rts- und Städte­

bildern einen so charakteristischen Reiz verleiht, keine Lebens­

fähigkeit zugesprochen wissen wollte. Ich glaube, daß diese A nsicht nicht nur außerhalb der H eim atschutzkreise auf leb­

haften W iderspruch stoßen wird. Solche subjektiven Ge­

schm acksrichtungen, von denen wir nicht wissen, oh sie nicht morgen schon einer ändern Mode weichen werden, sind nicht geeignet, zum Gegenstände der Gesetzgebung gem acht zu werden, wenn man nicht dadurch das Gesetz selbst unpopulär machen und seinen Bestand dam it gefährden will. In der Be­

schränkung zeigt sich der Meister!

Nach diesen meinen Ausführungen gestatten Sie mir, daß ich nun zum Schluß Ihnen nochmals meine Abänderungsvor­

schläge vorlese:

1. Erw eiterung des Gesetzes durch E in f ü g u n g e in e s D e n k m a l­

s c h u t z p a r a g r a p h e n , falls der E rlaß eines Denkmalgesetzes nicht in nächster Z eit m it Bestim m theit zu erw arten ist.

Nach dom schon vorhin Gesagten habe ich hier nichts weiter hinzuzufügen.

2. Obligatorische Z u z i e h u n g von S a c h v e r s t ä n d i g e n m it e n t s c h e i d e n d e r S tim m e , nicht nur bei A ufstellung von O rtsstatuten, sondern auch bei Genehmigung oder V ersagung der Bauerlaubnis auf Grund der O rtsstatuten.

Auch hier dürfte durch das an einschlägiger Stelle bereits Gesagte eine hinreichende Begründung dieses W unsches ge­

geben sein.

3. Als Sachverständige im Sinne des Gesetzes haben an erster Stelle zu gelten und sind obligatorisch in dieser Eigenschaft zuzuziehen die V orsteher der staatlichen Hochbauämter.

•) V g l. a u ch die N u m m ern 9, 9 a , 13a, 14, 20, 20a, 21, 22 u u d 23 des J a h r g a n g s 1911 d e r W o ch en sch rift.

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74 W ochenschrift des A rchitekten-V ereins zu Berlin Sonnabend, 24. F ebruar 1912 Hierzu möchte ich bemerken, daß im Ausschüsse Zweifel

darüber lau t geworden sind, ob die genannten Beamten in der Lage seien, über ästhetische Fragen ausschlaggebend zu u r­

teilen. D arauf is t einmal zu erwidern, daß ,'os sieh ,’auf dem platten Lande g a r nicht um die Pflege eigentlicher K unst, sondern nur um H intanhaltung der A fterkunst und Förderung ländlicher Schlichtheit und Einfachheit handelt. Daß zu dieser Aufgabe die staatlichen Hochbaubeamton genügend qualifiziert sind, dürfte wohl selbst der stärk ste Zweifler nicht in Abrede stellen. A ber auch sonst halte ich unsere Kollegen in den Hochbauämtern für die gewiesenen W ahrer nicht nur des nötigen staatlichen Einflusses auf die richtige und sachgemäße An­

wendung des Gesetzes, sondern auch der durch das Gesetz zu j

vertretenden ästhetischen Interessen. Sie sind durch ihre künstlerische Vorbildung, durch ihre genaue Kenntnis der ö rt­

lichen V erhältnisse und der künstlerischen E igenart ihres Kreises sowie schließlich durch die F ühlung m it der Industrie ihrer Gegend die gewiesenen Sachverständigen im Sinne des Gesetzes.

Es is t schwer zu verstehen, daß der M inister der öffent­

lichen A rbeiten weder bei der Vorlage des Gesetzes, noch bei der B eratung desselben im Landtage, noch schließlich in der Ausführungsanw eisung dieser seiner Beamten im geringsten Erw ähnung getan hat, wo ihm doch nicht unbekannt sein kann, daß gerade diese infolge des Mangels an künstlerischen Auf­

gaben und des Mangels an Einfluß auf das öffentliche Leben schwer leiden und nicht in der Lage sind, ihre schätzbaren K räfte und Fähigkeiten im Interesse der Allgemeinheit richtig und nutzbringend zu verwerten. Diesen Beamten g ilt es hierbei zu dem ihnen zustehenden Einfluß auf das Bauwesen des Landes zu verhelfen, und ich möchte Sie, meine Herren, gerade m it Rücksicht hierauf dringend bitten, etwaige sonstige neben­

sächliche Bedenken nach dieser R ichtung hin fallen zu lassen.

4. In den größeren Städten m it O rtssta tu t und m it akademisch gebildetem Vorsteher der Hochbauabteilung wird zur Be­

urteilung der Entwürfe ein Schönheitsausschuß m it ent­

scheidender Stimme, m it dem V orsteher des staatlichen Hochbauamts als Vorsitzenden und dem S tadtbaurat als stellvertretenden Vorsitzenden, aus einer beliebigen Anzahl kunst- und ortserfahrener Bürger gebildet, von denen jedoch mindestens ein D rittel technische Vorbildung besitzen muß.

Jedem der beiden Vorsitzenden steh t ein Veto gegen , die Beschlüsse des Schönheitsausschusses zu.

Dieser Vorschlag geht von dem Gesichtspunkt aus, daß a u c h 'in größeren Städten die Pflege der A esthetik nicht einem einzelnen anzuvertrauen ist, sondern besser der B eurteilung eines A usschusses unterliegt, in welchem allerdings den bau­

künstlerischen Elementen der nötige Einfluß und die E n t­

scheidung gesichert bleiben muß. Daß dem staatlichen Hoch­

baubeamten der Vorsitz und dem S tad tb au rat seine Stellver­

tre tu n g übertragen worden soll, rechtfertigt sich allein schon durch die Eigenschaft des Staats als A ufsichtsinstanz für die Kommune. Sollte an der F ähigkeit unserer Kollegen ge- zweifelt werden, die L eitung derartiger Ausschüsse m it Erfolg zu führen, — und nach den bisherigen Erfahrungen muß man befürchten, daß gerade beim M inister der öffentlichen Arbeiten solche Meinung vorherrscht — so möchte ich betonen, daß meines Erachtens der Baubeamte zu solchen Aufgaben sehr wohl qualifiziert ist. Sie müssen ihm nur gestellt werden. Auch ich bin seinerzeit als Kreisbaubeam ter V orsitzender des Magdeburger Ausschusses zur E rhaltung des Städtebildes gewesen, wo mein S tellvertreter der A rchivdirektor der Provinz Sachsen w ar und wo zu den M itgliedern des Ausschusses u. a. der hochbautechnische Re­

gierungs- und B aurat und der S tad tb a u ra t gehörten, und die Sache is t gegangen. Daß den beiden Vorsitzenden ein V etorecht zu­

stehen soll, dürfte sich dadurch rechtfertigen, daß eine Siche­

rung gegeben sein muß, daß die baukünstlerischen Bedenken unter allen Um ständen zur G eltung gelangen.

5. In den kleineren Städten und auf dem platten Lande wird die Baupolizei allgemein dem V orsteher der Hochbauämter übertragen. Beim Vorhandensein von O rtsstatuten findet die Beurteilung der Entwürfe nach ästhetischer Seite durch einen Schönheitsausschuß s ta tt, der aus dem B auam ts­

vorsteher als Vorsitzenden und zwei hierzu alle drei Jah re von den Gemeinden zu wählenden Beisitzern besteht, von denen der eine, ständige, am W ohnsitze des Vorsitzenden, der

andere jedesmal an dem Orte der beantragten Bauausfüh­

rungen ansässig sein muß.

Dieser Vorschlag deckt sich in seinem ersten Teil m it dem zu meiner Freude vom Ausschuß unseres Verbandes gemachten.

W er die V erhältnisse des platten Landes kennt u n d - weiß, welche Unsummen jährlich durch ungenügende B eratung des Landvolks und durch gewissenlose oder unfähige Unternehm er dem bauenden Publikum erwachsen, der w ird sich der Forderung nicht versagen, daß die ländliche Baupolizei aus den Händen der Nichttechniker in die Hände staatlicher Baubeamter gelegt wird. Den W unsch, die Entscheidung über die ästhetischen Anforderungen an die Entwürfe beim Vorhandensein von O rts­

statu ten nicht in die Hände des Beamten allein, sondern in die eines Dreimünnerkollegiums gelegt zu sehen, möchte ich m it der Erw ägung begründen, daß solche Fragen nicht von Geschmacks­

richtungen des einzelnen abhängig gem acht werden sollten.

Auch empßohlt sich eine derartige Einrichtung, die übrigens meines W issens schon im Kreise Celle besteht, m it Rücksicht auf die wünschenswerte K ontinuität in Fällen der V ersetzung des bezüglichen Beamten. F ü r selbstverständlich halte ich es, daß seitens der Obrigkeit für eine möglichste Bodenständigkeit dieser Beamten in Zukunft 'S o rg e getragen wird, dam it sie Gelegenheit haben, m it den örtlichen V erhältnissen zu verwachsen.

6. Beim Erlasse von O r t s s t a t u t e n , d ie g e w is s e B a u s t o f f e i n n e r h a l b i h r e s W i r k u n g s b e r e i c h s v o n d e r V e r ­ w e n d u n g a u s z u s c h l i e ß e n b e a b s i c h t i g e n , h a t der Be­

zirksausschuß die Genehmigung von einer überzeugenden Begründung der Notwendigkeit durch den zuständigen sta a t­

lichen Baubeamten nach H örung von V ertretern der be­

troffenen Baustoffindustrien abhängig zu machen.

Dieser Vorschlag dürfte durch meine vorhergehenden Aus­

führungen hinreichend m it der Rücksicht auf die berechtigten Forderungen der Industrie und zur H intanhaltung unberech­

tig te r Forderungen des H eim atschutzes begründet sein.

7. B e i d e n B e z i r k s a u s s c h ü s s e n u n d dem O b e rv e rw Ta l- t u n g s g e r i c h t e sind besondere s t ä n d i g e A u s s c h ü s s e m i t h o c h b a u t e c h n i s c h e n S a c h v e r s t ä n d i g e n zur schleu­

nigen Erledigung von Klagen auf Aufhebung von Bauverboten einzurichten.

W ie schon vorhin erwähnt, genügt die bisherige Möglich­

keit, den Beschwerde- oder Klageweg zu betreten, nicht, das Publikum vor ungerechtfertigten Ansprüchen der Baupolizei­

behörden genügend zu schützen. H ier kann nur dadurch W andel geschaffen werden, daß die Z eitdauer des Verfahrens auf das kürzeste mögliche Maß beschränkt wird, wozu die Schaffung besonderer A usschüsse das gegebene M ittel sein dürfte. Hierzu bemerke ich, daß, wie ich soeben in Erfahrung bringe, die nationalliberale Fraktion des Abgeordnetenhauses einen ähnlichen A ntrag eingebracht h a t auf Einsetzung eines Ausschusses zur Entscheidung von Klagen auf A ufhebung von O rtsstatuten. D er A n trag ist, wie Sie sehen, dem vorliegenden Vorschläge ganz analog, betrifft aber nicht die Bauverbotc, die für uns besonders in Frage kommen, sondern die O rts­

statuten selbst. Ich glaube, w ir können dem A ntrage n u r freudig zustimmen.

8. Auf eine baldige Aenderung der Bauordnungen in Gemäß­

heit der ländlich ästhetischen Bedürfnisse des platten Landes wird Bedacht zu nehmen sein.

Wie in dem schon erwähnten W erke des Kollegen Hinz über den Einfluß der Bauordnungen auf das Bild unserer B auern­

dörfer überzeugend dargetan ist, muß der Grund zur E n t­

stellung unseres platten Landes zu einem nicht unwesentlichen Teil in der Fassung unserer. Bauordnungen gesucht werden, von denen beispielsweise eine Reihe die E rrichtung ländlicher W ohnhäuser bis zu einer Höhe von 18 m. gestattet. Bedenkt man, daß nichts so sehr geeignet ist, das Ortsbild zu verun­

stalten, als so unverm ittelte Höhenunterschiede zwischen ein- oder zweigeschossigen kleinen Häuschen und 18 m hohen Mietkäsernen, so dürfte daraus die Notwendigkeit hervor­

gehen, die auf die Verschönerung unseres Landes bezüglichen Bestrebungen des Heimatschutzbundes u n d . des vorliegenden Gesetzes durch eine gründliche Revision der Bauordnungen zu unterstützen:

Hierm it, m. H., möchte ich schließen und bitte Sie, diese Vorschläge einer vorurteilslosen B eurteilung würdigen zü wollen.

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Nr. 8. V II. Jahrgang W ochenschrift des A rchitekten-V ereins zn Berlin 75

Können die in den heutigen großstädtischen Wohnverhältnissen liegenden Mängel und Schäden behoben werden?

W e ttb e w e r b a r b e it um den S tr a u c h p r e is 1911 d es A.V. B. vom Baurat Albert Weiß in Oharlottenburg

(F o rts e tz u n g a u s N r. 7, S e ite 72)

A b schn itt II

Die Entwicklung der jetzigen Wohnverhältnisse Die rechnerischen E rm ittlungen im A bschnitt I haben er­

geben, daß die hohen Mieten in-der Hauptsache durch die hohen Bodenpreise bedingt werden. Die B etrachtungen über die E n t­

wicklung der jetzigen W ohnverhältnisse müssen deshalb zu­

nächst auf die E ntstehung dieser Bodenpreissteigerungen ge­

rich tet sein. Es muß wenigstens in den Hauptzügen erm ittelt werden, welche geschichtlichen Vorgänge und auch welche adm inistrativen Handlungen die Hinaufschraubung der Preise des gewöhnlichen Ackerbodens von 20 Pfennigen auf 200 M.

und vielfach noch ganz bedeutend m ebr für einen Q uadratm eter bew irkt haben. Um hier eine volle K larheit zu gewinnen, ist es außerdem geboten, sich zunächst einen kurzen TJeberbliok

zu verschaffen über die Zeit, welche diese Bodenpreissteigerung.

d. h. die Bodenspekulation noch nicht gekannt hat*).

Ueber dieFrageim allgemeinen geben ProfessorDr. v. Schmoller im „Grundriß der allgemeinen V olksw irtschaftslehre“ und Professor Dr. E berstadt im „Handbuch des Wohnungswesens und der W ohnungsfrage“ an der Hand umfangreicher Quellen Aufschluß. Die Entwicklung von Groß-Berlin ist im letzt­

genannten und in den W erken von P. Goldschmidt „Berlin in Geschichte und G egenw art“, von P aul V oigt „Grundrente und W ohnungsfrage in Berlin und seinen Vororten“ und von Dr. K. Keller und Ph. Nitze „Groß-Berlins baulicho Zukunft“

eingehend bearbeitet worden.

a) Die Zeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Die E ntstehung unsrer Städte is t zum Teil auf die E r­

weiterung befestigter Pfalzen, Bischofssitze und Klöster, zum Teil auf ein oder mehrere zusammengezogene Dörfer, vielfach aber auch auf planmäßige kolonisatorische Gründungen zurück­

zuführen. Es waren Gebilde, die im M ittelalter m it M arkt­

rechten für einen gewissen Umkreis und m it Stapelrechten für einen bestimmten Handelsweg au sg estattet und m it W all und und Graben zum Schutz der B ürger und der im Marktbereich wohnenden Landbevölkerung versehen waren.

Durch die E rringung der kommunalen Freiheit im 12. J a h r­

hundert und durch die A usbreitung der gewerblichen Tätigkoit und des Zunftwesens im 13. Jah rh u n d ert entwickelten sich diese Siedlungen mehr und mehr zum M ittelpunkt für den umliegenden ländlichen Bezirk.

Die Gründung Berlins fällt wahrscheinlich in den Zeitraum von 1225—1240. Die runde, zum Teil ovale Form m it den sioh rechtwinklig schneidenden Straßen und dem von allen Seiten bequem zugänglichen M arktplatz, die die alten Pläne der Doppel­

sta d t Borlin-Kölln, im Gegensatz zu dem Straßengewirr, der planlos und allmählich entstandenen westdeutschen Städte, zeigen, liefert den Beweis, daß w ir es hier m it einer plan­

mäßigen kolonisatorischen Anlage des östlichen Deutschlands zu tun haben. Auch die nach späteren Angaben leicht zu rekonstruierende Einteilung der Feldmark läß t nirgends eine Spur der älteren Feldm ark erkennen.

Der Städtebau des 12. und 13. Jahrhunderts war, um den Landbewohnern in Kriegsnöten hinter den schützenden Mauern Platz gewähren zu können, ein weiträumiger. Vielfach lag bei den Städtegründungen aber auch eine Ueberscbätzung der Entw icklung vor. Manche Städte haben den bei der Gründung abgesteckten Plan auch noch nicht halbwegs ausgefüllt. Bei vielen Städteanlagen waren die im M ittelalter gezogenen W all­

grenzen erst nach mehreren Jahrhunderten ganz bebaut, z. B.

in Köln, Magdeburg, Straßburg u. a. Auch in Berlin h at trotz der raschen Entwicklung, die der S tad t infolge ihrer günstigen Lage beschieden war, das von der Stadtm auer umschlossene Gebiet vom 14. bis M itte des 17. Jahrhunderts keine Erw eite­

rung erfahren.

Der städtische Boden war bei den aus älteren Anlagen hervorgegangenen Gebilden in der Hauptsache im Besitz größerer Grundbesitzer, die diese zu bebauenden Flächen parzellierten und diese Einzelstücke m it Bauverpflichtung gegen einen festen unabänderlichen — ewigen — Zins in Erbleihe gaben. Bei den kolonisatorischen Gründungen im Osten, wie bei Berlin, wurden für die Parzellen, um die ärmeren Klassen des W estens zur Einwanderung zu veranlassen, keine Kapitalsummen verlangt, auch wurde das Holz zum Bauen umsonst geliefert. F ü r die ärmeren Ansiedler übernahm der Gründer oder die Gemeinde oft sogar die A usführung der Häuser. Nach einigen Freijahren mußte dann dem Grundherrn, der das Obereigentum behielt, ein Grundzins und Naturalabgaben entrichtet werden.

Das vor der Stadtm auer liegende L and war Gemeindeland

— Allmond — und diente als H utung. Viele Jahrhunderte hindurch h a t die Allmend in ihrer ursprünglichen Verfassung bestanden. In Berlin gelangte im 15. und 16; Jah rh u n d ert ein Teil der Allmend in kurfürstlichen Besitz. Der übrige Teil

wurde erst im 17. und 18. Jahrhundert durch die fortschreitende Bebauung allmählich abgelöst und in Privateigentum ver­

wandelt.

Die Stadtgemeinde selbst dehnte ihren Machtbereich im 14. Jah rh u n d ert unter kluger Benutzung der Finanznöte der Markgrafen und ihrer adligen Nachbarn ständig w eiter aus.

Die angrenzenden Dörfer wurden ihrer Grundherrschaft unter­

worfen, und auch die Bürger der S tadt selbst brachten viele umliegende Höfe und Hufenbesitzungen durch Kauf in ihren Besitz.

Bei den m ittelalterlichen Stadtanlagen waren die V erkehrs­

und W ohnstraßen im Straßennetz sichtbar geschieden.

Von den Bauwerken jener Z eit sind uns in der H aupt­

sache n u r die großartigen kirchlichen Bauten als fast unerreich­

bare Schöpfungen geblieben, von den bürgerlichen B auten sind n u r wenige verstreute und unvollständige Reste auf uns ge­

kommen*). Nach U ntersuchungen von E berstadt lassen sich drei Formen des bürgerlichen Hausbaues deutlich erkennen:

1. das auf allen vier Seiten freistehende Haus, zum Teil nur durch einen schmalen Bauwich vom Nachbar getrennt; 2. das

! durch senkrechte Teilung eines größeren H auses entstandene Teilhaus; 3. das Reihenhaus, zum Teil m it mehreren zusammen unter einem Dach.

Die Größe der Gebäude muß nach den alten K atastern eine sehr verschiedenartige gewesen sein. Ende des 16. J a h r­

hunderts gab es z. B. in Berlin-Kölln etwa 1300 H äuser und Häusehen im W erte von 72 bis 6000 M. heutigen Geldes. Der Morgen zinsfreien Landes wurde zu gleichor Zeit m it 20 M.

und der Morgen W einland m it 420 M. bewertet*1).

Die Einwohnerzahl von Berlin betrug seinerzeit 12 000.

Die besseren W ohnungen lagen in der Hauptsache in der Nähe des Rathauses, die m inderwertigen an der Stadtm auer; es war somit schon eine soziale Differenzierung der Bevölkerung durch räumliche Trennung der W ohnungen durchgeführt.

Obwohl es sich damals bei allen Gebäuden in der ganz überwiegenden Mehrzahl nur um Eigenhäuser, die zum Allein­

bewohnen bestim m t waren, handelte, so wurden im 16. Ja h r­

hundert doch auch schon Leute, die zur Miete wohnten, Tage­

löhner u. dgl., festgestellt.

Nach dem Ende des M ittelalters haben die B aum eister der Renaissance — die von Italien eingewanderten oder auch die deutschen, die dort die K unst erlernt hatten — wesentlich auf die U m gestaltung des Haus- und Städtebaus eingowirkt.

Allmählich wurde durch diese — zum Teil von den Landes­

*) E in E in g eh e n a u f die E n tw ic k lu n g d er B e rlin e r H a u sfo rm i s t bei den E r ­ ö rte ru n g e n v erm ie d e n w o rd en . D iesb ezü g lich e U n te rs u c h u n g e n w ilrd m k e in e rle i E in fln ß a u f die h ie r v o rlieg e n d e n re in w irts c h a ftlic h e n und te c h n isc h e n F ra g e n au sü b en können. D a n n w ü rd en d ieselben a b e r auch, w enn s ie w irk lic h B 'n u c h - b a re s n n d E rsc h ö p fe n d e s b rin g e n so llte n , u m fa n g re ic h e , w e it ü b e r den R ahm en d e r g e s te llte n A u fg a b e b in a u sg riie n d e a rc h iv a lisc h e S tu d ie n u u d A b h an d lu n g en fo rd ern , die den Z u sa m m e n h an g d e r in dem V o rd e rg ru n d steh e n d e n w irts c h a f tlic h e n F r a g e n n u r s tö re n k ö n n te n .

*) V e rg l. u. a. W ilhelm S ch m itz, D e r m itte la lte rlic h e P r o fa n b a n ln L o th ­ rin g e n : E. V io llet-le-D u c, D lc tio n a ire ra is o n n é de l’a r c h ite k tn r e fr a n ç a ise du X au X V I siècle, B an d V IT ; O. Sch äfer, H o lz a r c h ite k tu r D e u tsc h la n d s Im 14. b is 18.. J a h r h u n d e r t und 0 . S tieh l. D e r V o b n h a u s b a a des M ltte la lte r s . H an d b u ch d e r A r c h ite k tu r I I , 4, 2. (D iese Q uellen v e rd a n k e n w ir d e r U n te rs tü tz u n g d es B a n ­ r a t s B o ro w sk i, C h a rlo tte n h u rg .)

. *•) 0 . S tie h l fü h r t im „W o h n h a u sb au des M itte la lte r s '' B eisp iele v o r, die eine b eb au te F lü ch e vo n w en ig ü b e r 20 qm und eine G ru n d s tü c k sg rö ß e v o n kaum 30 qm zeigen.

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7 6 W ochenschrift des A rchitekten-V ereins zu Berlin Sonnabend, 24. F ebruar 1912

fürsten begünstigt — das m ittelalterliche Haus, das nur der Familie des Besitzers oder doch nur wenigen Mietleuton U nter­

kunft gewähren konnte, verdrängt. Dafür wurde das in Italien heimische, dort schon zur Zeit des römischen W eltreichs aus­

gebildete breite Etagenhaus eingeführt, das schon in seiner A n­

lage für mehrere Familien bestim m t war, also zur Aufnahme von M ietern zwang.

In Deutschland beginnt m it dem Abschluß des 30jährigen Kriegs, der einen großen Teil der deutschen städtischen K ultur vernichtet hatte, die Z eit eines neuen Aufschwungs, die Z eit des Merkantilismus, jenes gewaltigen Systems, einer umfassenden staatssozialistischen W irtschaftspolitik, die sich auf alle Ge­

biete des volkswirtschaftlichen Lebens in gleicher Weise er­

streckte. Das Landesfürstentum , nachdem es nach hartem Ringen die Selbständigkeit der ständischen Gewalten, des Adels und der Städte niedergezwungen und den modernen S ta a t ge­

schaffen hatte, suchte durch Privilegierung von Handel und Gewerbe, durch gute Steuerpolitik und Beam tenorganisation die Städte aus dem Verfall wieder aufzurichten.

Die Einführung der Akzise, welche den Städten jeden Ein- lluß auf die Bewilligung, die Höhe und die Form der Be­

steuerung nahm, und um m it Schmoller zu reden, „die lokale L otter- und G evatterw irtschaft“ beseitigte, sowie den immer weitgehenderen Einfluß der Steuerkommissare — der commissarii loci — auf die ganze städtische V erw altung bedingte, brachte in dem Streben, die Einnahmen daraus m öglichst ergiebig zu gestalten, eine U nterdrückung der Gewerbe auf dem Lande m it sich. Fabriken, M anufakturen und Gewerbebetriebe wurden mehr und m ehr in den Städten konzentriert und dort in jeder W eise gefördert. Eine Menge von Handwerkern wurde dadurch vom platten Land in die Städte getrieben. Auch wurde durch die B egünstigung der Einw anderung ein m ächtiger Strom von Gewerbetreibenden dorthin gelenkt. In Preußen handelte es sich dabei zunächst um Holländer, dann 1671 um eine Reihe österreichischer Judenfamilien. In demselben Ja h re kamen auch die ersten französischen Einwanderer, die sich schnell ver­

m ehrten — 1703 waren annähernd ein Siebentel bis ein Sechstel der Gesamtbevölkerung von Berlin Franzosen — und einen großen Aufschwung der Wollen- und Seidenfabrikation, der Leder­

industrie und überhaupt aller Gewerbe, die der verfeinerten Lebenshaltung dienten, m it sich brachten. Diese Einwande- rungs- und Kolonisationspolitik, die weiter Pfälzer, Schweizer, Böhmen, Salzburger und W ürttem berger u. a. m. ins Land führte, wurde erst nach dem T ilsiter Frieden aufgegeben.

Berlin verdankt seinen Aufschwung im 17. und 18. J a h r­

hundert vor allen Dingen seiner Stellung als Residenz- und G arnisonstadt. Die wachsende und immer prächtiger werdende Hofhaltung, der langjährige Festungs- und der Schloßbau brachten eine große Zahl von Beamten, Offizieren, Hofleuten, A rchitekten, Ingenieuren und A rbeitern in die Stadt.

Die Garnison, die von 1657 m it 1900 bis 2000 Mann und 600 W eibern und Kindern bis 1735 auf eine Kopfzahl von 18 257 Soldaten, Woiborn und Kindern stieg, war in B ürgerquartieren u n tergetracht. E r s t kurz vor dem Siebenjährigen Kriege wurde m it dem Bau der ersten Kasernen begonnen. Die lange Dienstzeit der Soldaten, sowie die vielen Beurlaubungen brachten eine ausgedehnte gewerbliche T ätigkeit derselben und somit einen bedeutenden Aufschwung des einheimischen Handels m it sich.

Durch die Eröffnung des M üllroser Kanals 1668, der den Handel des Elbgebiets m it dem Odergebiet über Berlin leitete, wurde die S ta d t m ehr und mehr Zentrum des D urchgangverkehrs.

Es entwickelte sich dadurch auch eine blühende Schiffahrt und Schiffbauindustrie, woran der Name des heutigen Schiffbauor- damms noch erinnert.

Schon die Notwendigkeit, für die U ntorkunft der Soldaten und ihrer W eiber und Kinder zu sorgen, lenkte den K urfürsten auf die städtische W ohnungs- und Bodenpolitik. Es wurde zunächst der W iederaufbau der während des Dreißigjährigen Kriegs in Verfall gekommenen H äuser — die auf ein V iertel aller Gebäude geschätzt werden, — bei A ndrohung der Einziehung der Baustellen, befohlen. Soweit diese Baustellen nicht reichten, wurden vorhandene unbenutzte Baustellen oder Land, das sich zur Bebauung eignete, zu Bauzwecken lediglich gegen V ergütung des A ckerw erts, enteignet. D ie s e M a ß n a h m e n m a c h te n j e d e n V e rs u c h e i n e r W e r t s t e i g e r u n g d e r B a u ­ p l ä t z e — e i n e r T e r r a i n s p o k u l a t i o n — v o n v o r n h e r e i n u n m ö g lic h .

F ü r die Neubauten selbst wurden Bauprämien, m ehrjährige oder dauernde Freiheit von allen L asten, Lieferung von B au­

holz und Bruchsteinen, sowie sonstige Extrabenefizien, sogar der Adel für „ein schön magnifique H au s“ gew ährt. Später erfuhren diese Begünstigungen noch eine weitere bedeutsame Steigerung, indem der König freie Baustellen und sogar große Geldsummen zu Bauzwecken überwies.

In gleicher Weise wurde in Preußen die W eiterentw icklung der Städte Potsdam , Königsberg, S tettin und M agdeburg — hier durch den alten D essauer — gefördert. Neuanlagen oder Angliederungen neuer S tadtteile finden wir in dieser Zeit außerdem in den S tädten Mannheim, Erlangen, Ludw igsburg, K arlsruhe, Düsseldorf, Hanau, D arm stadt, Kassel u. a. m.

In Berlin wurde in dieser Zeit, von 1660 ab der W erder, 1673 die D orotheenstadt und 1680 Neu-Kölln bebaut. 1688 wurde m it der Spandauer V orstadt — Sophienstadt — begonnen.

In die gleiche Zeit fiel auch der Beginn der S tralauer V orstadt.

1688 wurde w eiter ein Bebauungsplan für die F riedrichstadt ausgearbeitet und die Baustellen dortselbst wurden gänzlich um sonst und zum freien Eigentum an B aulustige abgegeben.

Die H äuser mußten hier anfangs genau nach den vom B au­

m eister Nohring — dem Erbauer des Zeughauses — gefertigten oder genehmigten Plänen gebaut werden. In dieselbe Zeit fällt auch die rasche Erw eiterung der alten Berlinischen Vor­

sta d t •— Georgen- oder K önigstadt — und der Köllnischen Vor­

sta d t — L uisenstadt — die beide 1640/41 auf Befehl von Schwarzenberg niedergebrannt worden waren. Besondere Be­

günstigungen über die allgemeinen Baupräm ien hinaus haben hier anscheinend nicht stattgefunden. Ein weiteres beträcht­

liches Areal wurde in der M itte des 18. Jah rh u n d erts durch Niederlegung der Festungsw erke, die infolge der großen Vor­

städte ihren W e rt verloren hatten, gewonnen und bebaut. 1752 wurden die bei den Bauten tätigen, m eist aus Kursachsen und dem Voigtland stammenden M aurer in dem Bereich der heutigen Rosen- thaler-, Acker- und B ergstraße — Voigtland genannt — ange­

siedelt. 1737 wurde Rixdorf, 1750—51 Neu-Schöneberg und nach 1770 der Gesundbrunnen und derW edding besiedelt. Bei den le tz t­

genannten O rten handelte es sich um ländliche Kolonien, die in Erbpacht abgegeben wurden. Im Jah re 1705 wurde C har­

lottenburg gegründet und 1721 m it Stadtrechten ausgestattet.

Berlin hatte nach Aufnahmen von 1709 und 1711:

H ä u s e r E in w o h n e r A u t 1 H a u s

(1711) (1709) E in w o h n e r

in der Innenstadt . . . 2 778 44 868 16,2 in den V orstädten . . . 1329 10 328 7,8

zusammen 4107 55196 13,4 .

In 24 Jah ren ha tte sich die Einwohnerzahl mehr als verdreifacht.

Die Zahl der W ohnhäuser w ar um mehr als 1 5 0 % gestiegen.

Das ist durchschnittlich in jedem Ja h r ein Mehr von mindestens 1600 Personen und m ehr als 100 W ohnhäusern. 1740 betrug die Einwohnerzahl 90 000, die Zahl der H äuser 5400 und die Kopfzahl für ein H aus 17.

An Mieten wurden M itte des 18. Jah rh u n d erts nach heutigem Geld errechnet: für eine Kleinwohnung — 2 Zimmer und 1 Küche — 40 bis 60 M. im massiven Einzelhaus bis 120 M. F ü r eine große W ohnung — 7 bis 8 Zimmer — 225 bis 275 M., in Einzelhäusern bis zu 360 M.

Diese Zahlen und die Tatsache, daß man trotz des ge­

ringen K apitalreichtum s und der bescheidenen E ntfaltung des Baugewerbes den Bevölkerungszuwachs zum großen Teil in eignen Häusern unterbrachte, und jeder W ohnungsnot und jedem Mietwucher vorzubeugen verstand; ferner die weitere Tatsache, daß die Anlage der S tad t im ganzen eine durchaus rationelle war, — um eine enger bebaute und m it mehrstöckigen Häusern besetzte Innenstadt schlang sieh ein Kranz von V or­

städten, die w eiträum ig bebaut waren und m eist kleine H äuser enthielten, — diese großartigen Leistungen einor vom S ta a t ge­

leiteten planmäßigen und um sichtigen Baupolitik müssen wir besonders hervorheben, um das Ergebnis der späteren, das heißt unsrer jetzigen Periode richtig beurteilen zu können.

Das Spekulantentum h atte durch die oben erörterte A b­

gabe der nach dem Ackerlandpreis bewerteten oder freien Bau­

stellen und das Prämiensystem, weiter aber auch durch die so­

genannten B autaxen — das Baugewerbe unterlag der Lohn- und Preisreglem entierung wie die meisten übrigen Gewerbe — denen die Mietpreise angepaßt wurden, bisher überhaupt keine Möglichkeit zur Entw icklung gehabt E rs t nach dem Siebenjährigen K rieg hob das Spekulantentum zum erstenm al sein H aupt empor.

(5)

Nr. 8. V II. Jahrgang W ochenschrift des A rchitekten-V ereins zu Berlin 77 Durch die 1743—46 erfolgte Anlage des Plauer- und Finow-

kanals erhielt Berlin direkte W asserstraßen nach den beiden wichtigsten Handelszentren Magdeburg und Stettin. — 1774 wurde Berlin durch den Bromborger Kanal auch direkt m it der Weichsel verbunden. — Dieses und die Verbesserung der übrigen Verkehrswege, endlich auch die glückliche Beendigung der für Preußen so ruhmvollen Kriego brachten einen ungewöhnlichen Aufschwung der H auptstadt. Die Bevölkerung stieg 1755 auf 127 000 und 1784 auf 145 021 Bewohner, 111 635 Zivil­

bevölkerung und 33 386 Militär.

Da die B autätigkeit durch die Kriege, sowie auch durch den Zusammenbruch der auf das Berliner Geschäftsleben sehr einwirkendon Am sterdam er und H am burger Banken ins Stocken gekommen war, stieg die Belegungsziffer für ein Gebäude 1756 auf 21 Personen.

M ilitärlieferanten, die während der Kriege reich geworden waren, brachten eine große Zahl von Häusern in ihren Besitz und schraubten dabei, da der Kauf die Miete brach, die Mieten in die Höhe. Bauunternehm er suchten die freien Baustellen in ihre Hände zu bekommen, um dann durch F esthaltung oder entsprechende A usnutzung derselben den Rückgang der hohen Mieten zu hintertreiben. Bei d' r Ausführung von Neubauten suchten diese überdies auch durch Pfuscharbeiten die Bautaxen zu umgehen.

Der König ging gegen diese Pfuscharbeiten m it strengen Strafen vor. Die Rechtsregel „Kauf bricht Miete“ wurde auf­

gehoben und reichen Leuten, die ein größeres Haus allein be­

wohnten, wurde befohlen, M ietleute aufzunphmen. Endlich wurden in der Innenstadt eine große Zahl H äuser auf S taats­

kosten gebaut. Von 1769 bis 1786 wurden in Berlin 249 nach­

gewiesen; eine größere gleiche T ätigkeit wurde in Potsdam ent­

faltet. hier wurden 1740—86 von der Krone 10 537 039 Taler für Bauten aufgewendet die der König an die Bürger einfach verschenkte. Da trotz der Erw eiterung der Friedrichstadt und der Bebauung des Charitdviertels die Bauplätze knapp wurden, die Ansiedlungen in den ferneren Außenbezirken wegen der Verkehrsschwierigkeiten kaum einen günstigen Einfluß auf die Mieten ausgeübt hätten, begann der König das Uebel im Korn zu treffen. Es wurden zum Zweck der Vermehrung der W oh­

nungen in der Innenstadt zahlreiche ein- und zweistöckige Häuser niedorgelegt, und unter teilweiser Zusammenlegung der

b) Die Zeit Die zahlreichen Kämpfe, die nach der französischen Revo- i

lution auf deutschem Boden zum A ustrag kamen, die in vielen Fällen eine völlige Verschiebung der Staatengebilde und zum Schluß auch den Zusammenbruch des preußischen S taats brachten, führten auch zu einer völligen U m gestaltung der Grundlagen der W ohnverhältnisse.

Das E dikt vom 9. Oktober 1807 „über den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des G rundeigentum s“ und der Erlaß vom 27. Ju li 1808, wegen U m gestaltung der Domänen, weiter die Einziehung aller Klöster und geistlichen Stifte und die Aufhebung aller Steuerbefreiungen, in der H auptsache aber die Siädteordnung vom 19. November 1808, welche den Städten große Freiheit in all ihren Maßnahmen gewährte, brachte für die Besitzverhältnisso und für die Verwaltungen, denen das Wohnungswesen u n terstellt war, ganz neue Richtlinien.

Zahlreiche deutsche Städte verloren nach den dann glück­

lichen Freiheitskriegen ihre Festungseigenschaft. Es entstanden auf den niedergelegten W ällen neue Stadtteile, zum Teil auch prächtige, noch heute erhaltene Parkanlagen. Auch durch den W egfall der Hemmungen, die früher der frühzeitige Schluß der Stadttore m it sich brachte, konnten sich die Vororte mehr und mehr entwickeln.

Die Einführung der Gewerbefreiheit und die Beseitigung des Zunftzwangs führten überdies auch zu einer völligen Um­

gestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Und die in den 40 er und 50 er Jahren beginnenden Bahnbauten brachten eine Ausdehnung der W irtschaftsgebiete, die alles Frühere in den Schatten stellte.

Die Anordnung der Bahnhöfe m eist eine kurze Strecke vor den Städten führte zur Anlage der sogenannten „Bahnhof­

straßen“ . D ort und an den Anlagen beziehungsweise in den Außenbezirken siedelten sich je tz t die besser gestellten Klassen, zumeist in den sich dabei entwickelnden freistehenden Villen an. Die Wohnweise des M ittelalters, wo die besitzenden Klassen in der Mitte am M arkt, die übrigen aber in den Außen-

Grundstücke durch große drei- bis vierstöckige Gebäude er­

setzt. Neben der Absicht der W ohnungsvermehrung war jeden­

falls auch der W unsch maßgebend, den H auptstraßen der Residenz durch diese großen Gebäude, für die der König die Baupläne meist persönlich beeinflußte, ein stattlicheres A us­

sehen zu geben.

Durch all diese Maßnahmen, denen Berlin in der H aupt­

sache seine Entwicklung m it zu verdanken hat, die natürlich das Geschrei der Spekulanten, aber auch die Anerkennung der überwiegenden Zahl der übrigen Bevölkerung hervorriefen, wurde die Behausungsziffer 1784 in der Innenstadt bei 4186 Gebäuden auf 18,3 und in den V orstädten bei 2458 Gebäuden auf 14,2 zurückgedrängt. Die Mieten und Häusorproise fielen dadurch wieder auf die durch dio Baukosten gezogenen Grenzen.

Die Mieten wurden, nach Paul Voigt*), in den polizeilichen Miettaxon auf 5 % dos Bauw erts der Häuser festgestellt. Der Bodonpreis kam also wegen seiner geringen Höhe gar nicht in Ansatz. Die Knpfquote an Miete wird für 1709 m it zirka 12 M., 1795 mit 20 bis 25 M. angegeben. Am E n d e d e s 18. J a h r ­ h u n d e r t s k a n n s o m it in B e r l i n v o n e i n e r B o d e n s p e k u ­ l a t i o n u n d e in e r G r u n d r e n t e n b i l d u n g b e i d en W o h n ­ h ä u s e r n n o c h n i c h t g e s p r o c h e n w e rd e n .

Gewisse Ansätze finden sich nur bei den durch die Gunst ihrer Lage bevorzugten Läden, W einstuben und Schanklokalen usw. Dabei muß aber noch hervörgehoben werden, daß das ganze W irtschaftsleben seinerzeit nicht m it dem heutigen ver­

glichen werden kann; man buk, schlachtete, braute, spann, wpbte und schneiderte noch im eignen Haus, und Lebens­

m ittel, wie Fleisch und Backwaren, kaufte man auf offenen Märkten. Außerdem betrieben, namentlich nach den Kriegen, dio zahlreichen Invaliden und Soldatenwitwen kleine Verkaufs­

buden und Schankstätten auf den Straßen und Plätzen. Die Zahl der Gebäude, bei denen sich eine G rundrente überhaupt bilden konnte, war somit eine äußerst geringe. Gleiche V er­

hältnisse müssen auch — soweit Untersuchungen überhaupt vor­

liegen — bei allen übrigen Städten angenommen worden.

E r s t dem 19. J a h r h u n d e r t w a r es V o r b e h a lte n , d io E x i s t e n z g r u n d l a g e d e r g a n z e n B e v ö lk e r u n g , j a dos g a n z e n S t a a t s d e r p r i v a t e n S p e k u l a t i o n zu ü b e r ­ a n tw o r te n .

nach 1800

bezirken wohnten, erfuhr hierdurch für die ferneren Zeiton eine völlige Umgestaltung.

In den Städten, in welchen infolge der zuvor geschilderten U m gestaltung der wirtschaftlichen Basis — Freiheit und besserer V erkehr — zunächst, das heißt am Anfang des verflossenen Jahrhunderts, eine größere Industrie entstand, wurden für die A rbeiter oder von denselben in den allermeisten Fällen gleich­

falls kleine, freistehende H äuser gebaut. Dieselben waren fast durchweg m it einem kleinen Garten versehen, um eine gewisse N aturalw irtschaft — Eigenproduktion durch die F rau und Kinder, oder nach Schluß der Fabrikarbeit — und dement­

sprechend eine Verbilligung des L ebensunterhalts zu ermög­

lichen.

Die F ortschritte Berlins konnten selbst durch die unglück­

lichen Kriegsschicksale von 1806 nur auf kurze Zeit gehemmt werden. Die Gründung der U niversität 1810 machte die Residenz zum geistigen M ittelpunkt des Landes, und nach Be­

endigung der Kriege setzte ein Aufschwung auf allen Gebieten ein, größer als je vorher. Schinkel und Langhans schufen die Bauten, die noch heute die erste Zierde der S tad t bilden, Rauch die großartigen Monumente und Lenn6 wandelte den Tiergarten völlig in einen englischen P ark um.

1861 wurden der Gesundbrunnen, W edding, Moabit, dio Schönhauser und Tempelhofer V orstadt, und zwar unter W ider­

spruch der Stadtverordneten, eingemeindet; die Bevölkerung stieg dadurch auf 528 900 Personen. 1878 wurde noch das Gelände des Viehhofs und 1881 der Tiergarten eingemeindet.

Nach dem Goldschmidtseben Plan von 1802” ) war das Ge­

lände innerhalb der Stadtm auer, namentlich im Osten, noch lange nicht ausgefüllt, außerhalb befanden sich nur ver­

einzelte Ansiedlungen — Moabit, Neu-Voigtland.

1828 wurden für den innerhalb der Stadtm auer liegenden Teil des Stralauer Viertels und ein Stück des Königs viertele und

*) G ru n d re n te und W o h n u n g sfra g e.

" l B erlin in GeBchlcbte u n d G e g en w a rt.

(6)

7 8 W ochenschrift des A rchitekten-V ereins zu Berlin Sonnabend, 24. F eb ru ar 1912 1830 für die außerhalb der Mauer liegenden Gebiete, die

heutigen V orstädte und Charlottenburg — im Nordwesten war das Gelände zwischen Spree und Schönhauser Allee nicht m it­

einbegriffen — Bebauungspläne aufgestellt. 1854 is t w eiter für den Urban, das Gebiet zwischen Landwehrkanal, Blücherstraße, U rbanstraße und K ottbuser Damm ein neuer Plan entstanden.

Diese Bebauungspläne wurden später durch die Anlage der Bahnen und Kanäle in vielen Teilen unzweckmäßig und un­

ausführbar. Sie mußten deshalb umgeändert werden. Professor E berstadt weist nach*), daß diese neuen Planbearheitungen eine ganz bedeutende V erschlechterung der Berliner W ohnver­

hältnisse brachten. Die Blöcke der 1688 angelegten Friedrieh- sta d t h atten eine LäDge von 120 bis 150 m und eine Tiefe von 75 m. Die Blöcke der neuen Bebauungspläne zeigten dagegen, bei einer vier- bis achtmal größeren Fläche, Abmessungen von 200 bis 400 m Länge und 150 bis 250 m Tiefe. Diese großen Blockmaße, die zuerst gew ählt waren, um nur eine Rand­

bebauung vorzunehmen, im Innern aber Gai tenanlagen zu be­

lassen, zwangen dann bei dem weiteren Ausbau der S tadt erst zu der E rrichtung der violen Hintergebäude m it den minder­

wertigen Wohnungen. Die dadurch erzielte bedeutende Iudie- höheschraubung der G rundrente w ar dann für die Speku­

lanten ein w eiterer Anreiz, diese Zustände allenthalben durch­

zudrücken.

Die Blöcke der Bebauungspläne der 50er Ja h re waren überdies willkürlich, ohne Rücksicht auf die Parzellenteilung, eingeteilt. Es entstanden viele unbrauchbare Bauplätze und W ohnungen, die sich zum Teil bis auf den heutigen Tag er­

halten haben.

H insichtlich der Erbauung der Gebäude selbst war für den Gemeinde- und engeren Polizeibezirk von Berlin die Baupolizei­

ordnung vom 21. A pril 1858 maßgebend. Hiernach waren, m it geringen Ausnahmen, Hofräume von mindestens 5,3 m Länge und B reite vorgeschrieben. Die zulässige Gebäudehöhe betrug j

mindestens 11,25 m, bei 11,25 bis 15 m Straßenbreite das l 1/i fache dieser Straßenbreite, bei noch breiteren Straßen bestand keine Beschränkung. Nach dem 12. März 1860 waren in Straßen über 11,25 m Breite, nur Höhen gleich der Straßen breite zulässig.

Obwohl die Bestimmungen dieser Bauordnung nur feuer­

polizeilichen Interessen dienten und sich über alle sanitären Forderungen hinwegsetzten, somit n u r unbefriedigende W ohn­

verhältnisse bringen konnten, sind dieselben doch 34 Jah re in j

K raft gewesen, zu einer Zeit, in der die Einwohnerzahl von Berlin von 415 000 auf 1 318 000 und die Zahl der bebauten Grundstücke von 8816 auf 20 835 und endlich die Zahl der W ohnungen von 81 970 auf 325135 stieg.

Die Schaffung der verschiedenen Bahnen in allen Himmels­

richtungen des Reichs, die zumeist in Berlin einmündeten, brachten einen immer größeren V erkehr nach der H auptstadt und gaben dortselbst die Grundlagen zu der vielseitigen In­

dustrie und dem ausgedehnten Handel, wodurch das Berlin von heute zu einer der größten Industrie- und H andelsstädte der W elt wurde.

Die glückliche Beendigung der nationalen Kriege, die die deutsche Einheit schufen und Berlin zur H auptstadt des ge- einton deutschen V aterlands und zur Residenz des Deutschen Kaisers machten, die Schaffung der verschiedenen Behörden und In stitu te dieses neuen Staatengebildes und endlich dio kraftvolle P olitik Bismarcks, dio die Augen der ganzen Welt auf des Reiches H auptstadt lenkten, hoben Berlin w eiter zu einem geistigen und wirtschaftlichen W eltm ittelpunkt empor, der die m eisten H auptstädte der W elt in den Schatten stellte, und mit dem sich nur noch wenige — P aris und London — messen konnten.

Die Entw icklung der W ohnverhältnisse dieses Berlins der neuesten Z eit kann nur im Zusammenhang m it den Vororten, unter B etrachtung der verschiedensten W echselwirkungen zwischen dem eigentlichen Berlin und den einzelnen an­

schließenden städtischen und ländlichen Bezirken, die alle für sich gesonderte Verwaltungen und sehr oft auch gesonderte Bestrebungen zeigen, und die bisher lediglich der Sprachgebrauch unter dem Namen „Groß-Berlin“ m it Berlin zusammengefügt hat, richtig beurteilt werden.

Die weitere Umgebung von Berlin war um 1800 nur spär­

lich besiedelt, man zählte rund 1000 Einwohner auf eine Quadrat­

meile, je tz t h at Deutschland im D urchschnitt über 5000 auf einer Quadratmeile. Der ganze Kreis Teltow h atte 1800 nur 32 016 und Niederbarnim nur 32 706 Einwohner. C harlottenburg zählte zu derselben Z eit ungefähr 3000 Einwohner.

Der Besitz der Umgegend wurde von den staatlichen Do­

mänen und dem sonstigen öffentlichen Besitz beherrscht. E rst der infolge der mißlichen Vermögenslage des Staats vor- genommene Verkauf aller Domänen von 1808 bis 1885 — Dahlem wurde erst 1840 vom S ta a t wieder angekauft — brachte hier eine erhebliche Umwandlung. Die Schlösser C harlottenburg und Niederschönhausen m it ihren Parkanlagen, die zum Kron- fldeikommiß gerechnet wurden, entgingen dem Verkauf. Auch scheiterte der ursprünglich beabsichtigte V erkauf der S ta a ts­

forsten an dem W iderstand der Forstbeam ten, die dabei ihre sichere Stellung verloren hätten.

F ü r die Berliner Bevölkerung selbst, 'k am die Umgebung nur als Sommerfrische in Frage. Einfache und elegante L and­

häuser entstanden in C harlottenburg — dessen Einwohnerzahl 1840 auf 7000 und 1855 auf 10 000 stieg — , Pankow, Schön­

hausen, Lichtenberg, Tempelhof und Schöneberg. A uch die mietweise Benutzung dieser Sommerwohnungen wurde immer üblicher.

D er Gewerbebetrieb in der Umgebung entwickelte sich gleich­

falls mehr und mehr. In Nowawes hatten die böhmischen Textilhandw erker ein Heim gefunden. Bei Oranienburg waren schweizerische Uhrmacher, böhmische W eber und Spinner sowie Glasbläser angesiedelt worden. An der Oberspree grün­

deten böhmische Textilarbeiter die Dörfer und Kolonien J o ­ hannistal, Adlershof, Grünau, Friedrichshagen, E rkner und viele andere Orte in dem Riidersdorfer Forst.

1843 erlangten die ländlichen Besitzungen völlige Ver­

schuldungsfreiheit; seit 1816 durfte der Besitz nur zu ein V iertel, seit 1823 nur zur Hälfte des W erts hypothekarisch belastet werden. U nd durch das Gesetz vom 2. März 1850 wurden in Preußen alle feudalen Lasten und D ienste generell beseitigt und das freie moderne Grundeigentum allgemein ein­

geführt. D adurch wurden alle Bauern, Kossäten und Büdner, die Land der S tad t Berlin oder des S taa ts in Erbpacht hatten, freie Grundeigentümer. K a u m w a r d ie s e U m w a n d lu n g e r ­ f o l g t u n d d a s g e b u n d e n e G r u n d e i g e n t u m f o r m e ll b e ­ s e i t i g t , so s e t z t e in e in e r g a n z e n Z a h l v o n D ö r f e r n b e i B e r l i n d ie m o d e rn e B o d e n s p e k u l a t i o n — d ie z u r v o lle n E n t f a l t u n g d a s f r e ie G r u n d e i g e n t u m u n d d ie u n ­ b e s c h r ä n k t e h y p o t h e k a r i s c h e B e l a s t u n g b e d a r f — ein.

In Berlin war 1862 ein Bebauungsplan für die gesamte Berliner Umgebung, das is t das Gebiet zwischen der S tad t­

mauer und der heutigen W eichbildgrenze, also einschließlich des Nordwestens, ferner für Charlottenburg, Friedrichsberg und einem Teil von Lichtenberg, vom Baum eister Hobrecht im Auf­

träge des Polizeipräsidenten aufgestellt worden. Nach Erlaß des Baufluchtlinien-Gesetzes vom 2. Ju n i 1875 und nach dem U ebertritt Hobrechts als S tad tb au rat in den städtischen Dienst, kam die Durchführung des Plans in die Hand der S tadtver­

w altung. D er Polizeipräsident h a tte bei der Bearbeitung dos Plans die A nsicht vertreten, daß es sich nur um einen A nhalt für die Baupolizei bei Baugesuchen handeln solle. Die Anlage neuer Straßen, wenn es Verkehr- und Bevölkerungzunahme er­

fordere, müsse jedoch Sache der Privatspekulation sein. Der M inister tr a t aber dieser A nsicht nicht bei; er verlangte die A ufstellung eines Straßennetzes, das alle voraussichtlich für den künftigen V erkehr nötigen Straßen, m it genauer F e st­

setzung der einzelnen W ohnquartiere, umfassen solle. Die Größe der Q uartiere und Straßenanlagen der Friedrichstadt : zwischen Koch- und Behrenstraße sollten als Grundlage dienen.

1 Tatsächlich wurden jedoch die Baublöcke drei- bis viermal so groß angelegt.

E berstadt weist nach*), daß man bei der A nordnung dieser großen Blöcke die A bsicht verfolgt hat, die Difierenzierung der W ohnquartiere — Scheidung der Straßen für wohlhabende Klassen von denen der ärmeren — wie sie im alten B erlin und fast überall h ervortrat und noch h erv o rtritt, und wie sie auch nam ent­

lich in England vorherrscht, aufzuheben. Man wollte nicht eine „A bschließung“, sondern eine „D urchdringung“ der Ge­

sellschaftsschichten und hoffte dadurch, sowie auch durch die Almosen, die dabei von den Bewohnern der V orderhäuser denen der H interhäuser zuteil würden, die sozialen K lassenunter-

*) H andbuch des W o h n u n g sw esen s. *) U n te r H in w eis a n t einen A rtik e l J . H o b re c h ts „U eb er ö ffentliche G esu n d ­

h eitsp fleg e 1868."

(7)

Nr. 8. V II. Jahrgang W ochenschrift des A rchitekten-V oreins zu Berlin 79 schiede und Kämpfe zu überbrücken. Daß man bei dieser Ab­

sicht weder die Psyche des A rbeiters, noch die der besitzenden Klassen erkannte und gerade das Gegenteil von dem erreicht worden ist, ja, daß die sozialen Kämpfe der Jetztzeit durch den Vergleich des Lebens im Vorderhaus m it dem im H interhaus vielfach e rst zu der jetzigen E rbitterung geführt haben, bedarf wohl keiner weiteren Erörterung.

Dieser Bebauungsplan von 1862 war überdies ganz sche­

matisch, schachbrettartig bearbeitet. Auf Bodenerhöhungen und Gemarkungsgrenzen war keinerlei Rücksicht genommen. Ge­

schlossene Straßen- und Platzbilder sind nicht angestrebt. Den auf W unsch des Königs Wilhelm angelegten Ringstraßen fehlt an vielen Stellen der Zusammenhang; auch das U nterlassen der H erstellung von entsprechenden Verbindungen zwischen den inneren und äußeren Stadtteilen und endlich die Nicht­

durchführung der H auptverkehrsstraße des Ostens zeigten sich später als große Mängel.

Außer den großen Baublöcken sind für diesen Bebauungs­

plan auch dio breiten Straßen charakteristisch. Als M indest­

maß der Straßen waren 19 m festgesetzt. Dieses Maß wurde vielfach überschritten. Die meisten Straßen erhielten eine Breite von 22 m und nicht wenige 26, 30, 34 und 38 m, ja, in vielen Fällen wurde auch noch über dieses Maß hiuausgegangen.

Der Berliner M agistrat*) erblickte in den breiten Straßen ein H eilm ittel gegen die Schäden der großen Bevölkerungsdichtigkeit.

Die späteren Arbeiten von E berstadt und andren haben aber bewiesen, daß auch hier wieder das Gegenteil von dem Ge- woliten erreicht worden ist. Die breiton Straßen und die Kosten derselben, die nach § 15 des Fluchtliniengesetzes bis zu einer Breite von 26 m den Anliegern auferlegt werden, zwangen erst zur E rrichtung dor fünf Geschoß hohen M ietkasernen m it der im A bschnitt I nachgewiesenen hohen Wohuziffer von 77, ja zum Teil sogar von 300 und mehr.

Dieser Bebauungsplan von 1862 ist gleichfalls nur teil­

weise durchgeführt worden. Durch die Bahnbauten und den Bau des Landwehrkanals sind ganze Straßenzüge und Plätze in W egfall gekommen, und zahlreiche Verbindungen wurden unterbrochen oder modifiziert. Beim Bau der Bahn wurden die lediglich projektierten, aber noch nicht freigelegten Straßen als nicht vorhanden betrachtet und nur für die als Wege oder Straße dienenden V erbindungsm ittel wurden Ueber- oder U nter­

führungen angelegt.

E rw ähnt muß hier noch werden, daß der M inister der öffent­

lichen Arbeiten in den Jahren 1894— 1895 von den S tadtver­

waltungen Berlin und C harlottenburg die nachträgliche Ein­

legung von A ufteilungsstraßen in die zu tiefen Baublöcke ver­

langt hat. Charlottenburg leistete dieser A nregung Folge.

Berlin will diese weitere Aufteilung der Privatspekulation über­

lassen.

Die Behausungsziffer in Berlin, die 1784 bei 111 635 Ein­

wohnern in der inneren S tad t und den V orstädten noch durch­

schnittlich 16,8 — einschließlich der 33 386 Köpfe betragenden M ilitärbevölkerung 21,8 — betragen hatte, stieg bei den für die M ietkaserne zugeschnittenen Bebauungsplänen und Bau­

ordnungen rascher und rascher.

Schon 1861 erreichte sie die Zahl 46

1864 „ „ „ „ 48

1867 „ „ „ „ 51,3

1875 „ „ „ „ 5 t,9 und 1885 „ „ „ „ 66,9.

Dio weiteren Steigerungen und die V erteilung der Bevölkerung auf die einzelnen Gebäude ergeben die Ausführungen im A b­

schnitt I. Die Mietkaserne, der Massenpferch, hatte also schon in den 60er Jahren den Sieg über das Einzelhaus — den Individualbesitz — davongetragen.

Bei der Entw icklung der W ohnverhältnisse im übrigen Deutschland schieden und scheiden sich heute noch sichtbar zwei Gebiete. Das eine, das kleinere Gebiet, um faßt den Norden und Nordwesten Deutschlands und wird abgegrenzt durch die Linie, die sich ungefähr von Bremen bis Koblenz hinzieht.

Den M ittelpunkt bildet die Rheinprovinz m it den Städten Düsseldorf, Krefeld, Elberfeld und Barmen. Hier h a t sich die alte deutsche Bauweise, das Kleinhaus oder das Dreifensterhaus, zwar nicht unverändert, sondern auch m it Mietkasernen ver­

mischt, erhalten. H ier trifft man zumeist auch Bebauungs­

pläne und Bauvorschriften, die den sozialen und technischen

Forderungen der Je tztzeit entsprechen. In allen übrigen Teilen Deutschlands h a t sich dagegen in den Groß- und größeren Städten die M ietkaserne ähnlich wie in Berlin entwickelt. Hier zeigen dann auch die Bebauungspläne denselben krassen Schema­

tism us und die Bauvorschriften sind dem Bodenspekulantentum, nicht aber den Bedürfnissen der Bewohner angepaßt.

Schon in den 40er Jahren hatte die W ohnungsfrage m it all den sichtbaren Mängeln die Nationalökonomen und Politiker, später namentlich den 1858 gegründeten volkswirtschaftlichen Kongreß lebhaft beschäftigt. Die indirekte Einw irkung der Lassalleschen A rbeiteragitation brachte 1863/64 dio Frage von neuem auf die Tagesordnung. 1865 erschien auf A nregung und unter M itw irkung des volkswirtschaftlichen Kongresses die Schrift — die erste auf diesem Gebiet — „Die W ohnungs­

frage m it Rücksicht auf die arbeitenden K lassen“. Diese Schrift, sowie die Schriften des radikalen Freihändlers Faucher und des W iener Nationalökonomen Sachs in W ien herrschten und herrschen heute noch dieselben unhaltbaren Zustände, ja viel­

leicht noch unhaltbarere Zustände wie in Berlin*) — lenkten vielfach auf das englische Cottagesystem. Man strebte die Gründung von Landhauskolonien an, um dio V erhältnisse in den übervölkerten Innenstädten zu verbessern.

Im Jah re 1870 geißelte E rn st Bruch in der Schrift „Die bauliche Zukunft Berlins und der Bebauungsplan“ dio Mängel, die sich aus dem obongeschilderten Hobrechtschen Bebauungs­

plan ergaben. 1871 tr a t Dr. Max Hirsch, der A nw alt des B er­

liner H andwerkervereins, m it einem ganzen Programm zur Lösung der W ohnungsfrage hervor. 1872 beschäftigte sich Schulze-Delitzsch m it diesen Fragen und 1873 suchte Engel in seiner Schrift „Die moderne W ohnungsnot“ die Ursachen und bisherigen Bewegungen zusammenzufassen und Vorschläge zur Abhilfe zu machen. Im gleichen J a h r hob der Berliner Ma­

g istra t in einer Eingabe an das Ministerium hervor, daß nur eine bessere Verbindung m it den Nachbarorten eine Ablenkung der von ausw ärts kommenden Bevölkerungsvermehrung herbei­

führen und dadurch eine Verbesserung eintreten könnte. 1875 behandelte Orth im Architekten-V erein, in einer Festrede über Berlin und seine Zukunft die gleiche Frage. Schon bei den Arbeiten des volkswirtschaftlichen Kongresses waren Techniker, wie K lette, Ende und Böckmann, m ittätig gewesen. Endlich im Jah re 1876 erschien von R. Baum eister (Karlsruhe) das W erk

„Stadterw eiterungen in technischer und w irtschaftlicher Be­

ziehung“. Es war dies das erste deutsche technische W erk, das sich m it dem Städtebau befaßte und wertvolle Grundlagen für die weitere Behandlung allor seinerzeit in den Vordergrund geschobenen Fragen gab.

Es würde zu weit führen, all die hieran sich anschließen­

den zahlreichen Veröffentlichungen auch nur aufzuzählen, noch sich m it deren Inhalt zu beschäftigen. Aus allen bis 1894 erschienenen Schriften geht in dor Hauptsache das Bestreben hervor, die in den 60er und 70er Jah ren sich entwickelte B au­

weise zu bessern, das heißt den Bebauungsplan und die Bau­

ordnungon den sanitären, konstruktiven und ästhetischen An-

i Sprüchen mehr anzupassen.

Das 1889 erschienene W erk von Camillo S itte „Der Städte­

bau nach seinen künstlerischen Grundsätzen usw .“ brachte die Anlegung gerader Straßen und die Manie der Freilegung von Baudenkmälern aus der Mode. Dieses W erk und der 1890 von Jos. Stübben bearbeitete Teil des Bauhandbuchs „Der S täd te­

b au“ waren Jahrzehnte hindurch die einzigen Quellen, aus welchen die angehenden leitenden Techniker ihr W issen über das ganze Gebiet des Städtebaus schöpfen konnten.

Die zuerst genannten A rbeiten sowie Reden von Schulze- Delitzsch und Engel und endlich verschiedene sozialdemokra­

tische Resolutionen haben seinerzeit weiter auf die Lösung der W ohnungsfrage durch den Bau von W ohnungen durch den S taat selbst oder durch Baugenossenschaften hingewiesen. Hirsch schlug sogar vor, einen Teil der französischen K riegsentschädi­

gung hierfür zu verwenden. Auch die Fragen der Erbpacht und die einer gänzlichen Aenderung des Hypothekenwesens er­

schienen schon in dem 1871er Program m desselben.

Einen nennenswerten Versuch an der M ietkaserne, an der Anhäufung der Menschen in einem Haus, wodurch die haupt­

sächlichsten Mängel im ganzen W ohnungswesen entstanden sind, etw as zu ändern, h a t aber seinerzeit niemand gemacht.

Allen schien diese Mietkaserne als ein notwendiges Uebel,

') V e rw a ltu n g sb e rlc h t von 1877—1881. *) V erg l. u. a. D e u tsc h e B a u w e lt 1911, X r. 97.

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