T e c h n i k u n d K u lt u r
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Z E I T S C H R I F T D E S V E R B A N D E S D E U T S C H E R D I P L O M - I N G E N I E U R E
S c h r i f t l e i t e r : ! D i p I . * 3 n g . K . F . S t e i n m e t z
23. J A H R G A N G B E R L I N , 1. D E Z E M B E R 1 9 3 2 Nr. 10, S. 1 6 7 - 1 8 2
G R A F C A R L v. KLI N C K O W S T R O E M in M ü n c h e n :
M O L O C H M A S C H I N E
Das Problem „Mensch und Maschine“ hat es von jeher gegeben, nur daß es erst in unserer Zeit zu einer bedroh
lichen Schicksalsfrage für die Menschheit geworden ist.
Sinn der Maschine w ar ja ursprünglich, Menschenkraft zu sparen, d. h. für andere Zw ecke frei zu machen. „Die Er
finder sind die Freiheitsbringer der Menschheit“ , sagt E. Z s c h i m m e r in seiner „Philosophie der Technik“ .
„Freiheit zum Schaffen und Gestalten, also Freiheit des Geistes im positiv-schöpferischen Sinne des W ortes: das ist der Sinn aller Technik“ . Und dieser Gedanke ist auch der Leitgedanke gewesen für R. N. C o u d e n h o v e - K a - 1 e r g i in seiner geistreichen „Apologie der Technik“ (1922).
Dem stellt S p e n g l e r den Satz gegenüber: „Die Maschine hebt ihren Zweck selbst durch ihre Zahl und Verfeinerung zuletzt auf“ . Und: „Es ist nicht wahr, daß menschliche Technik Arbeit spart“ . Ob die Technik imstande sein wird, die Nachteile der Übervölkerung aufzuheben, w ie C o u - d e n h o v e meint, ist fraglich. Die gegenwärtige W eltkrise gibt ihm vorerst nicht Recht. Eine andere Frage aber ist es, ob man nicht der Technik zu Unrecht eine Schuld zuschreibt, die der W irtschaft zu Lasten zu schreiben ist, die von den technischen Hilfsmitteln einen falschen Gebrauch macht.
Das Problem „Mensch und Maschine“ w ar in früheren Zeiten ganz anders geartet als heute. Maschinen kannte schon die Antike, z. B. Göpel, das Tretrad, das W asserrad.
A ber es fehlte im Altertum noch ein wesentlicher Faktor zur Belebung des Erfindungsgeistes: der wirtschaftliche Gesichtspunkt als Impuls für die Entwicklung technischer Verfahren usw. Der Gedanke, neue Bedürfnisse zu wecken oder ein Absatzgebiet zu vergrößern, w ar erst der neuesten Zeit Vorbehalten. Und damals verfügte man über so gut w ie unbegrenzte menschliche Arbeitskräfte, so daß keine Notwendigkeit vorlag, die Maschine an die Stelle der Hand
arbeit und der menschlichen und tierischen Arbeitskraft zu setzen. Am Bau der Cheopspyramide sollen nach H e - r o d o t 100 000 Sklaven 20 Jahre lang gearbeitet haben.
Ein Beispiel, das die Menschenleistung im Verhältnis zur Maschinenleistung deutlich kennzeichnet, gab 1912 Julius W o l f : „Eine Baumwollfeinspinnmaschine der Gegenwart bewegt 1000 Spindeln auf einer einzigen Spindelbank mit einer Geschwindigkeit von 6000 Umdrehungen in der Minute. Eine Spinnerin, welche die Kunkel in der einen, die Spindel in der anderen Hand hält, kann die Spindel höchstens 400— 500 mal in der Minute drehen. Eine Spindel des sogenannten Selfaktors repräsentiert demnach die Spin
deln von 12— 15 Spinnerinnen, und eine einzige mit 1000 Spindeln besetzte Spindelbank einer einzigen Spindel
maschine ist einem Etablissement gleichzuachten, in w e l
chem 12 000 bis 15 000 Spinnerinnen in der von H o m e r beschriebenen und bis auf unsere T age in Teilen Italiens wie in weiten Bezirken des Orients angewandten A rt spinnen.“
Im späteren M ittelalter bis ins 18. Jahrhundert hinein waren die Handwerker die Träger und Vertreter der ge
werblichen Technik in allen ihren Zweigen. Viele technische Neuerungen sind im Schöße der Handwerkerzünfte ent
standen, und von vielen kennen w ir nicht einmal den Namen des Erfinders. Dazu gehören z. B. das Drahtzieheisen und der Schraubstock. Aber diese Zünfte und Gilden waren sehr konservativ. Neuerungen konnten sich nur langsam durch
setzen, ja, sie wurden oftmals zuerst bekämpft oder gar auf Grund der strengen Zunftordnungen verhindert. A ls z. B. im Jahre 1397 die Kölner Nadelmacher ihre Hand
werksordnung erhielten, ließen sie die Benutzung von M a
schinen zum schnelleren Schlagen der Öhre der Nähnadeln oder zum schnelleren Pressen der Köpfe von Stecknadeln verbieten. In Nürnberg wurden in den Jahren 1561— 1578 gegen den Messingdreher Hans S p a i c h e l immer wieder Beschwerden vorgebracht, w eil er Verbesserungen an M a
schinen erfand. Und als 1590 der Nürnberger W o lf D i b - l e r die von ihm erfundene Leitspindel-Drehbank an einen Goldschmied verkaufte, da wurde er auf acht Tage in den Turm gesteckt.
Mit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzt das Zeitalter der Arbeits- und Antriebsmaschinen ein. In Eng
land beginnt die Industrialisierung der handwerklichen G e
werbe, die fabrikmäßige Massenherstellung von allerhand W aren. Und in England finden w ir denn auch die ersten Sabotageakte gegen Maschinen, w eil die Arbeiter brotlos zu werden fürchteten. 1753 kam es dort zu schweren Un
ruhen infolge der Einführung der Spinnmaschine, der Tuch- Schermaschine und des Strumpfwirkerstuhls. „A ls die mit W asserkraft betriebene Tuchschermaschine 1758 eingeführt wurde, konnte ein einzelner Mann 4— 6 Schertische be
dienen. Vorher brauchte man 8— 12 Mann, die langsamer arbeiteten als die neue Maschine. Die Arbeiterschaft ging gegen die neue Fabrik vor und zündete sie an. 1767 zer
störten die A rbeiter in der Nähe von London ein durch W ind betriebenes Sägewerk, weil es billiger arbeitete als die Zimmerleute. Richard A r k w r i g h t mußte 1769 von seinem W ohnort fliehen, als er die zeitsparende Spinn
maschine erfunden hatte. Die erste Dampfmühle der Erde wurde in London im ersten Jahre ihres Betriebes (1786) zweimal in Brand gesteckt, weil sie viele Müllergesellen brotlos gemacht hatte“ (F e 1 d h a u s).
Derartige Unruhen brotlos gewordener Arbeiter haben sich oftmals wiederholt. Ein solcher Fall lag zum Beispiel der ersten der drei Parlamentsreden B y r o n s im Jahre 1812 zugrunde. Im November 1811 hatten die Nottinghamer Strumpfwirker, die in elenden Verhältnissen lebten, die Strumpfwirkerstühle zerstört, so daß der Aufruhr durch militärische Hilfe unterdrückt werden mußte. Im Unter
haus wurde daraufhin eine Gesetzesvorlage eingebracht, die eine Verschärfung der Strafen für Zerstörung von M aschi
nen forderte. Lord L i v e r p o o l brachte die Vorlage so
dann vor das Oberhaus, womit auf Todesstrafe für das Vergehen der Maschinentabotage erkannt werden konnte.
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pffo«? aí'tacn Gustav G o l d b e c k : Ein Philosoph der Technik vor luu Jahren
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1 ectinik u.
Und in der zweiten Lesung setzte sich ß y r o n vergeblich für die verzw eifelten Arbeiter ein. In der dritten Lesung ging die V orlage durch und erhielt damit Gesetzeskraft.
Auch in Deutschland fehlt es nicht an Gegenbeispielen: den Aufstand der W eber in der Fabrik von Z w a n z i g e r zu Petersw aldau in Schlesien im Jahre 1844 hat bekanntlich Gerhart H a u p t m a n n dramatisiert.
Im Jahre 1817 hat ein Schweizer Anonymus in einem merkwürdigen Schriftchen eindringlich vor der von England kommenden Industrialisierung und Mechanisierung der handwerklichen Gewerbe gewarnt: „Englands Industrie, und die mechanischen Erfindungen, sind das Verderben des festen Landes“ , lautet der Titel. Er hat die Entwicklung nicht aufhalten können, aber gerade in unserer Zeit dürften die Gründe, die dieser Schweizer vor mehr als hundert Jah
ren gegen die Maschine ins Feld führt, immerhin nicht ohne Interesse sein. Der Handwerker sei brotlos, ohne Verdienst und zugrunde gerichtet, klagt er, und der Kaufmann könne bei gefüllten Magazinen verhungern, w eil seine W a re keinen A bsatz findet. „W oher die menschenleeren Fabriken und verstillten Arbeitsstuben?“ „So llte man es denn nicht frey und frank nennen dürfen, das Übel, woran unser W eltteil krank liegt; woran sich alle Staaten (ausgenommen einen) früher oder später verbluten müssen, w eil die Menschen
hände unnütz geworden sind; und doch Menschenhände den Staat erhalten sollten“ . Das Übel, die Ursache der Krise, sind die mechanischen Erfindungen, die Maschinen: ins
besondere die Spinnmaschine, der Schnellschuß in de W eberei, die „mechanische Druckerey“ , die chemische Ge schwindbleiche und schließlich die Dampfmaschine. „Ehre bringen diese Erfindungen dem menschlichen Geiste, aber Segen nicht. Sie befördern überschwänglichen Reichtum von Einem, und gründen dafür das Unglück und Verderben von Hunderten, nein, von Tausenden“ . Englands billige M a
schinenprodukte überschwemmen das Festland, und dem steht kein entsprechender Export gegenüber. Der V erfasser ereifert sich gegen die englische „Baumwollenstoff-Sünd- flu t“ , die die einheimische Produktion unterbietet und ru i
niert, dabei ihr aber an Qualität w eit nachsteht.
Nun, die K rise von 1817 ist vorübergegangen, Export und Import haben sich w ieder ausgeglichen, und die A r beitslosen von damals haben sich angepaßt und ander
weitige Beschäftigung gefunden. Bei der gegenwärtigen W eltw irtschaftskrise freilich liegt der Fall anders. Sie ist ein w irtschaftspolitisches Problem von so ungeheuerem Ausm aß geworden, daß S p e n g l e r darin keine Krise mehr sieht, sondern den Beginn einer Katastrophe, den Anfang einer Kulturdämmerung. D iese düstere Perspek
tive ist aber eine Konsequenz von S p e n g l e r s K ultur
pessimismus überhaupt, nicht etw a nur eine aus rein sach
lichen Elementen abgeleitete, sozusagen „m eteorologische“
Kulturprognose. A u f jeden Fall aber handelt es sich hier nicht mehr um Fragen der Technik, sondern um solche der W irtschaftspolitik.
S)i pl.=
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ng. G U S T A V G O L D B E C Kin
K a r l s r u h e :E I N P H I L O S O P H D E R T E C H N I K V O R 1 0 0 J A H R E N L U D W I G H O F F M A N N
In einer Zeit, in der vielfach Schattenseiten des Ein
flusses der Technik auf unser Leben konstruiert werden, ist es nicht ganz uninteressant, einen Autor zu hören, der am Anfang der technischen Entwicklung dem Maschinen
problem eine philosophische Abhandlung gewidmet hat.
Im Jahre 1832 erschien in Berlin eine Schrift: „ D i e M a s c h i n e i s t n o t h w e n d i g “ von L u d w i g H o f f m a n n. Der V erfasser berührt hierin einen großen T eil der Probleme, die im sozialen Leben späterhin so stark auftreten sollten. Zu einer tiefer dringenden Behandlung kommt er jedoch nicht, sein optimistischer Glaube an den ewigen Fortschritt der Menschheit setzt sich über manches ernsthafte Problem mit erstaunlicher Kühnheit hinweg.
Daher kann man der A rbeit eine sachliche Bedeutung kaum beimessen, nichtsdestoweniger ist sie von einem gewissen historischen und literarischen Interesse, und deswegen sei sie hier nach 100 Jahren w ieder ans Licht gebracht.
Das kleine Heft enthält eine Darlegung der naturphilo
sophischen Anschauungen des V erfassers, nationalökono
mische Überlegungen und schließlich eine Apologie der Maschine. „G ott w ollte sich offenbaren“ , mit diesem Satze beginnt der V erfasser und gibt damit das Thema seiner Philosophie. Zu seiner Offenbarung schuf Gott den Menschen und legte in ihn die Ahnung als Funken und Keim zur kulturellen Entwicklung, die nur einen Sinn hat:
„Nun, Mensch, offenbare mich, meine Ehre dein Bemühen.“
Im Kam pfe gegen die feindlichen Gewalten um ibn ent
w ickelt sich der Mensch allmählich. Kunst, W issenschaft, alles bringt ihn nach und nach zur Spitze empor. A ls Kind der A ufklärung sieht der V erfasser die Krönung des Ganzen im B egriff der Moralität, als reinste Erkenntnis Gottes. „Je vernünftiger der Mensch, desto edler die Anforderungen der Sinne, je klarer der B egriff von Gott, desto näher ist der G eist dem Höchsten verwandt.“ Die W issenschaft ist ihm die Verm ittlerin zwischen Gott und Mensch, die Kunst bildet den Menschen zu edelster Sinn
lichkeit. Hier verläßt er das Gebiet der Philosophie einen Augenblick und macht einige aktuelle Bemerkungen. Er beklagt sich über die Mißtöne der Straßenfiedler, einen Berliner Schlager, die Streichung einer Szene in der
„Jungfrau von Orleans“ u. ä. Von der K ritik fordert er, daß sie nur den Gesang, nicht auch den K örper der Sängerin rezensiere.
Kunst und W issenschaft sind ihm das Höchstziel der Entwicklung. Daß dies erreicht werde, ist notwendig, daß der Mensch von roher Kraftäußerung entbunden werde, daß Maschinen gebaut werden. M it der rohen Arbeit schwinden auch die rohen Bedürfnisse und Genüsse.
„Je kunstvoller die Arbeit, desto edler die geistige T ätigkeit, je m annigfaltiger die Bewegungen und Verrich
tungen des arbeitenden Körpers, desto reger und emsiger der w’irkende Geist. Daß bei vermehrter Konsumption der W are das ganze Land gewinnt, ist an sich selbst klar.
Es scheint aber, als wenn dadurch, daß bei vermehrter Produktion noch ebenso viele Menschen, wenn auch andere, zu niedriger T ätigkeit beibehalten werden müssen, die Veredlung dieser niedrigstehenden Menschen nicht er
reicht wird. Dieser Schein verschwindet aber, wenn man erwägt, daß die Bedienung von Maschinen nicht einseitig ist, daß sie Aufm erksam keit und Gewandtheit erfordert, daß dagegen der W eber den ganzen T a g über nur die eine Hand rechts und links und die andere Hand und die Füße geradeaus und zurückbewegt, daß ferner der Fabrik
arbeiter in großen gesunden Räumen tätig ist, der W eber dagegen in einer dumpfigen Kammer den ganzen T a g über auf ein und derselben Stelle sitzen bleibt. Die Maschine ist dem heutigen gemeinen Mann, w as der Fruchtmangel dem ersten Menschen w ar, nämlich ein Zwangsm ittel zu geistiger Veredlung.“
A ber auch unserm Autor konnte es nicht entgehen, daß die Maschine A rbeitslosigkeit verursachen kann. Er billigt zw ar den Arbeitern nur einen Lohn zu, der den A n forderungen entsprechend ist, „w elche Leute der niederen
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K lasse dem Zustande der allgemeinen Landeskultur ge
mäß, an das Leben zu machen berechtigt sind“ . Aber immer werde es noch eine Anzahl Menschen geben, die weder durch den Maschinenbau noch durch die vermehrte Produktion beschäftigt werden können. Des Problems, w o
von diese leben sollen, entledigt er sich kurz mit den W orten: „Nun von A rbeit anderer A rt, von welcher weiß ich nicht, ich kann nicht jedem einzelnen sein Geschäft anweisen, er mag es sich suchen. Der abgelohnte A rbei
ter muß andere A rbeit suchen, der Knabe andere Arbeit lernen.“ Nicht nur die Arbeiter, auch die Unternehmer können Schaden leiden, das sei ein allgemeines Übel und mit dem Nutzen einer Sache müsse man auch die Nach
teile in Kauf nehmen. Man dürfe die Maschine nicht ver
urteilen, w eil ein Einzelner geschädigt werden könne. Für große Notstände ist die Armenpflege da, die er aber nicht privat ausgeübt wissen w ill, w eil der private Geber leich
ter Irrtümer beginge als eine rationalisierte Organisation.
Im allgemeinen aber w ird die Maschine ein Blühen von Handel und Gewerbe zur Folge haben, die Fertigkeiten und Kenntnisse werden durch den Maschinenbau selbst und die dazu notwendigen Schulen vermehrt. Schon der A-B-C-Schütze solle lernen, daß die Maschine eine W oh l
tat sei.
Jedoch w ird die Maschine nicht restlos alle handwerk
liche A rbeit verdrängen, w ie phantasievolle Köpfe schwär
men. Von solchen Plänen bringt er das amüsante Bei
spiel einer fabelhaften Maschine, die den lebendigen Hammel in einem Zuge in Hose, Rock und Braten verwan
delt.
„Der V erfasser erinnert sich, vor ungefähr 10 Jahren die Beschreibung einer solchen Maschine gelesen zu haben. Der Besteller bringt den lebenden Hammel dem Maschinenwärter, dieser steckt es in die Trommel, das T ier w ird schnell getötet, das Fell abgezogen und ge
schoren. Der W ärter nimmt dem Gast Maß und reguliert die Maschine nach dessen Form und Taille, die Mode steckt in den Maschinenteilen selbst. Das Futter und die A rt der Knöpfe, ob besponnen oder von Metall, die Farbe des Rockes stehen in dem Geschmack des Bestellers.
Nach einer Richtung geht das nackte Fell, erhält den Gerbestoff und w ird damit tüchtig kasteit, w ird gewalkt, zerschnitten, genäht und kommt am Ende als lederne Reithose hervor. Nach der ändern Richtung geht die W olle; sie w ird gekratzt, gereinigt, gesponnen, gewebt, gewalkt, gefärbt, eine besondere Abteilung der Maschine zerschneidet mit einem Schnitte das Tuch in die Teile, welche zu dem Leibrock zusammengestickt werden müssen, hierauf geschieht das Nähen und Einsetzen der Ärmel; von der ändern Seite sind Futter und Taschen schon auf dem W ege und begegnen den Tuchstücken zur rechten Zeit, kurz mit Knöpfen versehen und gebügelt kommt das neue Kleid heraus; der Besteller hat während der Zeit ein russisches Bad genommen, wozu der M aschi
nenkessel die Dämpfe und die Kaltwasserpumpe die T rau fe liefern. Der Mann zieht die neuen Kleider an und läß t sich den wohlzubereiteten Schöpsbraten, mit belie
biger Sauce versehen nach Hause tragen.“
A n dieser witzigen Maschinerie bemerkt der Ingenieur mit Vergnügen die Abwärmeverwertung in Bad und Küche.
Gleichzeitig kann der Kunde seine Zeit praktisch verw er
ten — Kundendienst vor 100 Jahren.
In den nun folgenden nationalökonomischen Überle
gungen behandelt Hoffmann das Geldproblem. Er kommt aber auch hier nicht bis zu den eigentlichen Schw ierig
keiten. Diese Untersuchungen werden auch bald wieder verlassen, es folgt eine kurze Bemerkung über den Krieg, der zw ar in Zukunft schrecklicher, aber kürzer sein werde, seine Schäden seien auch schneller zu reparieren.
Über diese weniger erfreulichen Perspektiven eilt unser philosophischer Freund jedoch bald zu einer künstlerisch begeisterten Apologie der Maschine. Es ist merkwürdig zu sehen, wie Hoffmann hier einerseits ganz neuzeitliche
Ideen von der Gemeinschaftssiedlung bis zur ländlichen K ollektivw irtschaft hat, und andererseits aber so gänz
lich in seinen klassizistischen Kulturidealen verharrt.
Doch lassen w ir ihn selbst sprechen, diese Stilprobe des ausgehenden Klassizism us w ird vielleicht den Literatur
kenner erfreuen und viele Leser erheitern.
„D ie Maschine ist es also, welche den Künsten und W issenschaften, die dem W ohlstände die unwegsamen P fade ebnet, welche vorangeht, und durch die W ildnis die W ege holzt, die ihnen zur Landung den A nker w irft, der B allast dem Luftschiffer, dem W eltum segler der Kiel, dem Schlitten die Kufe.
S ie ist dem W ohlstand des Landes w ie der W iese der befruchtende Bach, sie ist das Füllhorn des Genusses, das ergiebige Bergwerk des Arsenals, der Flotte das tragende Meer, sie ist w ie den Bauwerken das M aterial, dem Palast das Fundament, dem Tempel der Grundstein.
Sie ist der Kunst, wie dem Satzbau das Alphabet, w ie die Grammatik den Dichtungen, sie ist w ie der durch
greifende Grundton dem Chor, w ie der Orgelmusik das Pedal, sie ist den Künsten im rohen Zustande der Mensch
heit, was auf -schlammigem Boden dem Prachtgebäude der Pfahlrost ist. Durch sie entsteht die Kunst, w ie aus dem Kohlenstoff der Champagnerschaum, w ie die T a t durch das W ort, w ie aus dem Sein das Dasein, w ie die W e lt aus dem Posaunenschall der himmlischen Heer
scharen.
Sie ist der W issenschaft, wie der Flamme das W achs, wie den Früchten der Baumstamm. W ie zu dem Fokus die einzelnen Lichtstrahlen der Brennspiegel, wie das parabolische Gewölbe die einzelnen Tonlinien zu dem Schall sammelt, so vereinigt sie den Sinn der Menge, und w irft ihn vor das Katheder der W ahrheit, die durch das Prisma der Fakultäten als Licht in anmutigen Farben sich ausbreitet; sie ist der W issenschaft, w ie den Orchester
instrumenten das ewig klare a der Stimmgabel. Sie ist die herrschende Tonart der Stimmung der Gemüter für die glückliche Harmonie der Akkorde, sie ist der General
baß der Bildung.
W ohlstand, Kunst, W issenschaft, Bildung steigen durch die Maschine immer mehr und mehr und führen die Menschheit dem goldenen Zeitalter zu; die Paläste der Höchsten und Hohen, die öffentlichen Gebäude sind mit marmor- und alabasterartigen Massen überzogen, gold
farbene Stäbe teilen Felder ab, sinnreiche Reliefs, oder in Porzellan gebrannte Gemälde darin zeigen des Hauses Bestimmung und ersetzen die störende Inschrift des Frieses. Reingegliederte Gewänder umfassen die ungeteil
ten Spiegelebenen der Fenster, edelgestaltete Atlanten tragen heiteren Blickes den reichgeschmückten Balkon, und von der Bekrönung des Hauses scheinen die lichten Figuren gen Himmel zu schweben.
Die Wohnhäuser der Bürger stehen in reinem, edlem Stil dar, kein Pultdach, keine Mansarde widert das Auge an, kein Haus ist mehr ohne Plinte, und der Putz fällt nicht mehr davon ab. Gesimse und Sockel werden nicht mehr von Gassenbuben zertrümmert, zartgehaltene Flächen nicht mehr besudelt; denn auch die Schwelle des Tagelöhners ist klassischer Boden. Jedes W erk, das durch die Kunst die W eihe empfangen, w ird durch die allgemeine Achtung geheiligt.
Kein W agengerassel, kein lärmendes Antreiben der Pferde verunglimpft das Ohr; in ebenen Bahnen rollt leise die gewichtige Last und andere K räfte sind es, die sie bewegen. W üste Plätze mit Holzkloben gefüllt sind jetzt bebaut, keine Flolzspaltergruppen versperren mehr die Fahrbahnen und Fußwege, riesenhafte Anstalten an den Grenzen der Stadt zerkleinern die Holzmassen, reiche und wohlhabende Leute füllen daraus ihre K eller und Böden und in allen Quartieren der Stadt verkaufen Niederlagen zu Nutzen und Frommen der Armen deren Tagebedarf gegen geringen Gewinn.
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Unsere lieben Frauen bedürfen es nicht mehr, die Kunst der Speisenbereitung zu studieren, sie werden nicht mehr vom Feuer rot und schwarz in der Küche. Der Kunst des Stickens, der Musik, den schönen Künsten ist die Hochzeit nicht mehr der Grabgesang; sie haben es nicht mehr nötig, auf den M ärkten sich durch Körbe zu arbeiten; sie behandeln nicht mehr Fisch und Kohl.
W a s soll in jeder Wohnung die Küche, ist der Raum nicht besser zu nützen? — Kochanstalten versorgen hundert Familien mit Speisen zur Auswahl. Die Gattin hält von der Lustpartie, von einem Kunstgenuß nicht mehr die W äsche zurück; das Zeug w ird in M anufak
turen gereinigt.
Der Handwerker besitzt die K lassiker des Landes und liest sie in den Feierstunden seiner Familie vor. Die Hausfrau beweint M inellis Schicksal und die umsitzenden Kinder ahnen daraus den Inhalt der Lesung. Die Mutter geht ans Klavier, sie erw eitert den Raum ihrer Gefühle durch Akkorde, die ihrer in Brust tonlos sich bewegen und die Kinder weinen mit.
In den W einhäusern diputieren die Bürger über Hamlet und Faust, bis ein G ast in dem vorliegenden Kunstblatte die Anzeige vorträgt, daß mit einer anderen Sammlung Gemälde die Ausstellung ersetzt werde. Gnade dem Kunstrichter, der das schöne W erk herabsetzt: die Künstler stehen unter dem Schutz der allgemeinen Kritik.
Die Handwerksburschen beurteilen gegenseitig ihre Arbeiten nach den Gesetzen der Ästhetik, und unterhalten sich in der Frühstücksstunde über gelehrte Gegenstände aus allen Fächern. (Hier folgt ein geistreiches Gespräch über das W esen des Integrals.) Nach vollbrachtem T a ge
w erk ziehen die Handwerksburschen nachmittags mit ihren Dirnen aus der Stadt, und auf Kunstpfaden durch Obstbaumgänge nach den umliegenden Dörfern und auf dem Bord der W ege und W iesen gelagert weiden sie sich an der Pracht des Sonnenunterganges; ihre Gefühle w er
den laut, und die zurückkehrenden Scharen singen als Gassenlied die Fuge aus Haydns Schöpfung in weit- schallenden Chören. In der Stadt teilt sich die Menge und läu ft den verschiedenen Vergnügungsörtern zu. In dem einen w ird Sehiller’s Glocke von Schauspielern im Kostüm deklamiert, in dem ändern verherrlicht sie sich durch Rombergs Musik, Konzerte und Ständchen ertönen auf den Straßen, in allen Räumen und W eiten; auf dem K reuzw eg steht das lauschende Ohr, zwischen den musi
kalischen Akademien, wie der Körper zwischen den Schwersphären zw eier W eltkugeln: er hat von beiden die Ahnung, aber er w eiß noch nicht, welche ihn beherr
schend anziehen wird.
Der Frachtfuhrknecht begegnet auf der Landstraße von K yritz den Kameraden, erzählt ihm die Aufführung des
LAPICIDA:
B E T R A C H
Stellen w ir nochmals fest: von den im technischen Beruf bestehenden Organisationen vor 1900 ist es allein der V e r e i n d e u t s c h e r I n g e n i e u r e gewesen, der sich für den a k a d e m i s c h e n Inhalt des Begriffes I n g e n i e u r einsetzte. Der Einspruch erhob dagegen, daß die Behörde Absolventen von Fachschulen den Am tstitel
„Ingenieur“ verleiht und eindeutig zum Ausdruck brachte, daß Personen, die ohne akademische Bildung sich In
genieur nennen, dies unberechtigt tun1. Solche Stellung
nahme bewegte sich durchaus in der Linie der auf der Koblenzer Hauptversammlung 1886 gefaßten E n t s c h l i e ß u n g 2: „ W i r e r k l ä r e n , d a ß d i e d e u t s c h e n I n g e n i e u r e f ü r i h r e A l l g e m e i n b i l -
1 Zeitschr. d. V D I 42 (1898) 55
2 Zeitschr. d. V D I 30 (1886) 869; Zeitschr. d. VDDI 8 (1917) 82
„Torquato T asso “ daselbst (er hat die Stadt den Morgen verlassen), und lobt den Direktor, daß er auch nicht ein W o rt gestrichen hat. Er holt das Original aus der Tasche: beim Eintritt ins Haus wurde es geliefert, damit der Zuschauer die der Erinnerung gebliebenen Eindrücke der Hauptmomente dem Ganzen auch in der Ferne anzu
reihen vermag, damit der Genuß nicht vorübergehend sei.“
Den Beschluß bildet die begeisterte Schilderung des durch die Maschine wiedererstandenen Arkadiens:
„Das Dorf besteht aus sauber gezimmerten, in hellen Farbentönen lachenden Häusern, die Fahrt ist geebnet, der Fußsteg geglättet, beide sind durch Fruchtbäume geschieden. Der zum D orf gehörende gesam te A ck er w ird durch eine als Gemeingut vorhandene Dam pf
maschine gefurcht und besät, und das Ganze w ird durch sie in kürzerer Zeit bestellt, als sonst durch hundert Hände die einzelnen Grundstücke mit H ilfe der Stiere, auch verrichtet die Maschine die mehrmalige Abmäh ung der W iesen im Jahre, und das Einfahren des Heues. Nur die von dem einzelnen Landmann veranstalteten Fahrten geschehen durch das Zugvieh, er treibt es an in Hexa
metern, die Peitsche knallt auch den Rhythmus. Die A b mahd des Getreides auf dem Felde vollführt die Maschine mit Leichtigkeit, sie fährt es in die Scheuem , und auf der Dreschtenne bringt sie die Körner aus, sie zerschneidet das Stroh zu Hechsel und besorgt die W intersaat. So wie sonst jeder Bauer durch A nkauf oder als Erbteil sein Eigentum besitzt, welches einen größeren oder kleineren T eil der D orfschaft ausmacht, so hat er auch jetzt auf gleiche W eise einen größeren oder kleineren T eil an dem Gesam tertrag der Dorfländereien. Nach dem A bzug von Steuern für Staat und Kirche geht die Teilung vonstatten, die Bauern bilden eine w ahrhafte Gemeinde. Der Pastor hat nicht mehr nötig, bei den einzelnen Bauern für die einzelne Gabe sich zu bedanken, und der Bauer erzählt nicht mehr, der Herr Pastor sei dabei recht freundlich gewesen; der Pastor dankt Gott, daß er nicht in der Stadt dessen Herde zu weiden hat, w o er von der Kanzel herab bittend anzeigen müßte, daß an den Kirchtüren die Büchsen für ihn ausstehen.
Die Bauern spielen nicht mehr in der Schenke Solo und Schafskopf, sie weiden sich an den Stanzen des Frühlings von K leist und disputieren über Sch illers Rätsel.
Die Ernte ist noch jetzt ein Fest der Gemeinde: Knechte und M ägde sammeln und binden die Garben, sie würzen einander die A rbeit durch W o rte des eleusischen Festes, und verkünden daheimziehend die Feier des T agw erks durch göttliche Hymnen, durch ein Halleluja.
Und w as schafft diese goldene Zeit:
Die Maschine.“
T U N G E N
d u n g d i e s e l b e n B e d ü r f n i s s e h a b e n u n d d e r s e l b e n B e u r t e i l u n g u n t e r l i e g e n w o l l e n , w i e d i e V e r t r e t e r d e r ü b r i g e n B e r u f s z w e i g e m i t h ö h e r e r w i s s e n s c h a f t l i c h e r A u s b i l d u n g.“ Unter „höherer wissenschaftlicher A u s
bildung“ kann man wohl nur die Hochschulbildung ver
stehen, so daß diese Entschließung die Ingenieure auf die gleiche Ebene mit den „übrigen Berufszwedgen“ akademi
scher Ausbildung stellt, also unter Ingenieur einen A k a demiker verstanden wissen w ill. Z w eifel an solcher A u s
legung können gar nicht entstehen. Zum Überfluß hat die
„ S c h u l k o m m i s s i o n “ , welche diese Entschließung vorbereitete und beantragte, einen eindeutigen Kommentar geliefert: sie lehnte in ihrer Stellungnahme1 ausdrücklich ab, daß „ u n s e r S t a n d “ anders beurteilt w erde als
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andere Berufe mit „w i s s e n s c h a f t l i c h e r A u s b i l d u n g d e r U n i v e r s i t ä t “ . A ls o : bis 1898 hielt der V e r e i n d e u t s c h e r I n g e n i e u r e eindeutig daran fest, daß man unter Ingenieur einen Akadem iker zu ver
stehen hat. Die Frage war gestellt, w ie es bei solcher Einstellung möglich war, daß 1899 bei der Neuregelung der Technischen Hochschulen eine Lösung getroffen wurde, die dieser Erkenntnis nicht Rechnung trug.
»
Einig ist man sich heute darüber, daß die Einführung der Bezeichnung D i p l o m - I n g e n i e u r ein verfehltes Unternehmen w ar; diese Bezeichnung hat nicht den gedachten Zweck erfüllt, sie ist aber auch den Kreisen, welche die Bezeichnung I n g e n i e u r für sich beanspruchten oder be
anspruchen, zu einem Hindernis geworden. Und jenen Kräften, die sich 1899 gegen eine vernünftige Lösung der Ingenieurfrage stemmten, hat ihr damaliger Erfolg auch keinen Vorteil gebracht. W enn beute die Schuld an dem un
befriedigenden und verwickelten Zustand den U n i v e r s i t ä t e n zugeschrieben wird, so ist das nicht richtig. Die Universitäten wehrten sieh gegen die Gleichstellung der Technischen Hochschulen, gegen die Verleihung des Pro
motionsrechtes. Ob den Absolventen der Technischen Hochschulen die Bezeichnung Ingenieur zuerkannt werden sollte oder nicht, konnte den Universitäten gänzlioh gleich
gültig sein. Nein, diese Schuld kann man nicht den Uni
versitäten zuschieben, die Schuldigen sind sicher andere gewesen. Doch die Frage erhebt sich: hat es Zweck, heute nach 33 Jahren die S c h u l d f r a g e aufzuwerfen? Darum handelt es sich auch nicht. Sondern darum, den Gang der Dinge klarzustellen, um die heutige Situation zu er
kennen und um unrichtigen Darstellungen mit falschen Schlußfolgerungen zu begegnen.
*
Von den Zeitgenossen der Hochsehulregelung an der Jahrhundertwende hat bisher, sow eit zu sehen ist, nur R i e d 1 e r sich ausführlicher geäußert, zw eifellos ein be
sonders beachtenswerter Zeuge, da er aktiv im W erden dieser Dinge stand. So bezeugt1 R i e d 1 e r , daß Uni
versitätsprofessoren — M o m m s e n , S c h m o l l e r w er
den angeführt — insbesondere gegen die Verleihung des P r o m o t i o n s r e c h t e s an die Technischen Hoch
schulen auftraten und „akademische Zeitschriften“ feind
lich geschürt haben. In S t a a t s b a u b e a m t e n und in „ I n g e n i e u r p r o f e s s o r e n “ entstanden Gegner der beabsichtigten Regelung, unterstützt von „technischen Zeitschriften“ ; dabei stand im Vordergrund anscheinend die Befürchtung, daß durch die Einführung eines abge
schlossenen Hochschulstudiums mit Verleihung einer kenn
zeichnenden Bezeichnung an die Absolventen die „ S t a a t s b a u t i t e l “ an W ertung und Ansehen einbüßen könn
ten. Solchen Gegnern des beabsichtigten Neuen entstanden H eller aus den Kreisen der damaligen Ingenieure, die ihre Bekämpfung des Neuen in den V e r e i n d e u t s c h e r I n g e n i e u r e trugen: „Im Verein deutscher Ingenieure hat dann feindliches Treiben eingesetzt, von Beamten ausgehend oder von „Unabhängigen“ , die vom „freien“ In
genieurberuf redeten, der keiner T itel bedürfe, des „alten 1 Riedler, A.: W irklichkeitsblinde in W issenschaft und Technik. — Berlin, Julius Springer 1919. — Seite 142 ff.
Zopfes“ am wenigsten. „Chineserei“ w ar der mildeste Ausdruck für das Streben nach Gleichstellung . . . I rei
bend waren die Verteidiger der Staatsbautitel, während die „freien“ Ingenieure sich ihnen aus durchaus anderen
„Prinzipien“ anschlossen . . . Sie standen u. a. mit der Industrie „auf dem Standpunkt“ , das Neue w erde die H ilfskräfte und die Gewerbeschulen „schädigen“ und deren „ R e c h t a u f d e n I n g e n i e u r t i t e l “ . . •“
Daß solche Gegenwirkung nicht bedeutungslos w ar und auch nicht ohne W irkung blieb, zeigen klar die Halbheiten der dann von der Unterrichtsverwaltung durchgeführten Regelung. Es gelang R i e d l e r nicht, „die Bezeichnung ,Diplom-Ingenieur“ abzuwehren“ , anscheinend w ar die B e
einflussung der Verwaltung, insbesondere A l t h o f f s , seitens der I n d u s t r i e und ihr nahestehender Kreise recht stark gewesen und die Verwaltung scheute sich vor der durchgreifenden Regelung': „das ergäbe zu viele ,W eiterungen“ mit der Industrie, w ie A l t h o f f m einte“.
Aber diese Gegenwirkungen aus dem Lager der Hoch
schulen und der Ingenieure hätten ohne Zw eifel ihr Ziel nicht erreichen können, wenn das H e e r d e r G l e i c h g ü l t i g e n im Ingenieurberuf nicht gewesen wäre, das — w ie in allen Fällen — die gegenstreben
den K räfte mächtig stärkte. Es fehlte an einer Zu
sammenfassung der Ingenieure; die bestehenden Organi
sationen waren entweder untauglich, um eine klargerichtete Meinung zu fassen und zu vertreten, oder haben gänzlich versagt. Und6 R i e d l e r bezeugt: „Die V e r w a l t u n g wollte und konnte unter solchen Umständen und bei so zerfahrenen Meinungen der Nächstbeteiligten weitgreifende Entscheidungen nicht treffen; sie hat W ünsche und For
derungen, die die Zukunft bringen wird, nur durch mich erfahren, und ich konnte das Gewicht meiner Meinung nicht durch das gleichgerichtete Verlangen vieler ver
stärken.“
*
Es besteht kein Grund, die Darstellung R i e d l e r s an
zuzweifeln. Und wenn er beklagt, daß er vor der Unter
richtsverwaltung allein stand, daß er „das Gewicht“ seiner
„Meinung nicht durch das gleichgerichtete Verlangen vieler verstärken“ konnte, so ist wiederum die Frage zu stellen, warum nicht das Gewicht des V e r e i n e s d e u t s c h e r I n g e n i e u r e in die W aagschale geworfen wurde, der sich doch erst ein Jahr vorher klar für den akade
mischen Inhalt des Begriffs Ingenieur ausgesprochen hatte.
Und darüber hinaus doch bekundet hatte7: „Der Umstand, daß mancher, ohne daran gehindert werden zu können, sich als Ingenieur bezeichnet, obwohl er eine solche A u s
bildung nicht genossen hat, ist nicht erheblich, solange diese Ausnahmen bei weitem die Minderheit bilden und die in den Augen der großen Mehrheit unberechtigte A n wendung des T itels Ingenieur durchaus privater Natur ist.“ Es w ird wohl ein ungelöstes Rätsel bleiben, warum in dem entscheidenden Jahr 1899 aus solcher Einstellung und Bekundung nicht die Folgerung gezogen wurde.
W arum der Verein deutscher Ingenieure seine Meinung nicht zur Unterstützung der „W ünsche und Forderungen“
5 Riedler, A .: Berufsschutz und „Freie Bahn dem Tüch
tigen“ . — Berlin: M. Krayn 1918. — Seite 8 6 W irklichkeitsblinde, 145
7 Zeitschr. d. VDI 42 (1898) 55
W ir s in d im B e g r ill, in d e n g r o ß e n S t ä d t e n D e u t s c h la n d s m it H o t e ls A b k o m m e n z u t r e ffe n , d a ß u n s e r e n M it g lie d e r n g e g e n V o r z e ig e n d e r .M itg lie d s k a r te e in e n t s p r e c h e n d e r R a b a tt g e g e b e n w ir d . A ls e r s t e s h a b e n w ir
in Berlin ein A bkom m en mit dem H otel Deutscher K a ise r - H otel D eutschland
g e t r o f f e n , d a s u n s e r e n M it g lie d e r n g e g e n V o r z e ig e n d e r M it g lie d s k a r t e e in e E r m ä ß ig u n g v o n 1 0 ° / n a u f d ie Z im m e r p r e is e g ib t. A l l e s N ä h e r e is t a u s d e r A n z e ig e im D e z e m b e r h e f t u n s e r e r Z e it s c h r if t z u e n t n e h m e n .W ir b it t e n u n s e r e M it g lie d e r , u n s b e i d i e s e n B e m ü h u n g e n z u u n t e r s t ü t z e n , in d e m s i e r e g e n G e b r a u c h v o n d i e s e r V e r g ü n s t ig u n g m a c h e n .
172 L a p i c i d a : Betrachtungen Technik u. Kultur
R i e d l e r s in der Verw altung zum Ausdruck brachte?
Der Grund dafür kann nicht das „feindliche Treiben“ sein, von dem R i e d l e r berichtet; denn e r1 bezeugt: „Von K iel und von Frankfurt aus wurden die Umtriebe in andere8 Vereine getragen, auch nach Berlin, wo sie jedoch durch das Eingreifen des Vorsitzenden R i e t s c h e l und auch S l a b y s im Keime erstickten.“ Tatsache bleibt, daß die letzte Schuld daran, daß die Ingenieurfrage damals nicht gelöst wurde, zu einem Zeitpunkt, wo die zw eckhafte Lösung im Sinne der E i n d e u t i g k e i t und der G l e i c h s t e l l u n g d e r I n g e n i e u r e mit den an
deren akademischen Berufsträgern leicht gewesen wäre, in der Gleichgültigkeit der damaligen Ingenieure zu suchen ist.
»
den technischen Berufsträgern insgesamt den schlech
testen Dienst erwiesen haben. A b er auch der Industrie nicht; die Entwicklung der Dinge in den verflossenen 33 Jahren, insbesondere die Einreihung der Ingenieure in die Klassenfront, hat das aufgezeigt. W enn heute im technischen Berufe so sehr das Fehlen einer „öffentlich- rechtlichen V ertretung“ beklagt w ird; wenn herzbew e
gende K lagelieder gesungen werden über den geringen Einfluß der „T echniker“ im Staat, auf das öffentliche Geschehen usw .; wenn kram pfhaft M ittel angeprieseu werden, um das „Ansehen der Technik und der T ech niker“ zu heben: so ist das der letzte A k t der T ragödie der deutschen Ingenieure, über die die w eitere E ntw ick
lung unbarmherzig hinwegschreiten wird.
* Diese Gleichgültigkeit der Ingenieure; die Engsiehtigkeit
jener industriellen Kreise, die gegen die beabsichtigte Schaffung eines h o c h s t e h e n d e n I n g e n i e u r s t a n d e s einheitlicher Ausbildungsgrundlage und hoher B erufs
auffassung Front gemacht hatten; die zw iespältige Einstel
lung von Hochschulprofessoren und scliließlich die mangelnde Entschlußkraft, sich kraftvoll erneut zu der ein Jahr vor
her vom Verein deutscher Ingenieure klar ausgesproche
nen Stellungnahme zu bekennen: das alles führte zu einer „Lösung“ der Ingenieurfrage, die keinem der be
teiligten oder davon mittel- oder unmittelbar berührten K reise Nutzen gebracht hat. W ed er den technischen Berufsträgern, weder der Industrie, noch den Technischen Hochschulen. Und im technischen Berufskreise wurde ein latenter Gegensatz geschaffen, der in entscheidenden Fragen des Berufes eine klare Haltung verhinderte und Stellungnahmen erzeugte, die deutlich das Zeichen des Lavierens und des Verschleierns erkennen lassen. Nach
dem nun einmal die allen Beteiligten überraschend ge
kommene T a t der Verw altung eine Lösung durch die Schaffung der Bezeichnung Diplom-Ingenieur getroffen hatte, w ar ein s o n d e r b a r e r Z u s t a n d geschaffen worden. Denn bisher w a r der Träger der Bezeichnung Ingenieur ein Akadem iker; das glaubte die Allgem ein
heit und das wurde ja auch immer betont. Nun aber hieß der technische Akadem iker künftig Diplom-Inge
nieur; der Laie mußte doch wohl daraus den Schluß ziehen, daß „Ingenieur“ und „Diplom-Ingenieur“ ver
schiedene B egriffe sind, daß der Träger der Bezeich
nung Ingenieur eben kein Akadem iker ist. In die theo
retische Einheitlichkeit der Ingenieurbezeichnung war also ein Einbruch erfolgt, zwischen Akadem iker und Nichtakadem iker ein Trennungsstrich gezogen. A ll denen, die sich gegen die gedachte Hochschulordnung eingestellt hatten, mußte die getroffene Lösung und ihre Folgen höchst zuw ider sein. Daß sie es war, das zeigt die Tragödie, die sich in den der Hoehschulregelung fol
genden Jahren bis heute abspielen sollte. Kram pfhaft w ar man bemüht, die Bezeichnung Ingenieur in den Vordergrund zu schieben, über den „Diplom-Ingenieur“
zu stellen. In tausenderlei G estalt wurde der K rieg — offen und im Dunkeln — gegen die Diplom-Ingenieure geführt, und da ist heute kein Diplom-Ingenieur in Deutschland, der nicht am eigenen Leibe diesen Kampf zu spüren bekommen hat, gleichgültig ob er in der In
dustrie, in der V erw altung oder im freien Beruf stand.
A u s dem Bestreben, den Trennungsstrich zu verwischen, über den Inhalt des Ingenieurbegriffes den verhüllenden Schleier zu breiten, entstanden die bekannten Argumente, die heute w ieder eine R olle spielen, daß nämlich erst die P raxis den Mann zum Ingenieur, zum „w irklichen In
genieur“ mache und ähnliche Redensarten. Und die Ur
heber und Verfechter dieser in die Öffentlichkeit ge
worfenen Argumente sahen und sehen offenbar nicht, daß sie damit dem technischen Schaffen sowohl w ie auch
Niemals werden die deutschen Ingenieure ihre A u f g a b e i m V o l k u n d S t a a t erfüllen können, wenn sie nicht endlich die Fehler der Vergangenheit einsehen und den Hebel in den richtigen Drehpunkt einsetzen.
Es ist w irklich tragisch: der Ingenieur ist zur Sachlich
keit und W ahrheit in seinem Schaffen erzogen und da
von erfüllt; aber seine Stellung im Rahmen der G esell
schaft w ill er mit innerer Unwahrheit, mit Verschleierung, mit M ehrdeutigkeit und der M öglichkeit der Irreführung behaupten. Glaubt man denn im Ernste daran, so der Gesamtheit oder auch nur den Ingenieuren einen Dienst leisten zu können? A b er von der Einsicht ist man an
scheinend noch w eit entfernt. Dreiunddreißig Jahre hat man sich bemüht, die Fiktion aufrecht zu halten, daß es keinen Unterschied gibt zwischen „Ingenieur“ und „In
genieur“ , hat man der Öffentlichkeit gegenüber und da, wo es dem gewollten Zw eck gerade zu entsprechen schien, den Ingenieurbegriff als einen akademischen definiert;
aber den Diplom-Ingenieuren gegenüber nie die K onse
quenzen gezogen. A lle schönen Reden auf der Hundert
jahrfeier der Technischen Hochschule zu Berlin waren zerflattert und im gleichen Augenblick vergessen, in dem das letzte W o rt in der Festhalle an der Berliner Straße verklungen war. Fraglos w äre es die A ufgabe der Hoch
schulen gewesen, die ihnen durch ihre Hebung gegebenen M ittel nun auch auszunutzen. Es fä llt schw er zu ent
scheiden, wem die Palm e für das nach 33 Jahren nun
„Erreichte“ zuzuerkennen ist, den Hochschulen oder den Ingenieuren. Und w as ist erreicht? R i e d 1 e r stellte9 (1919) fe s t: „D a s A n s e h e n d e r H o c h s c h u l e n u n d d e r I n g e n i e u r e i s t j e d o c h s e i t h e r z u r ü c k g e g a n g e n , i h r W i r k u n g s k r e i s i s t n i c h t e r w e i t e r t , n u r d a s F a c h w i s s e n . D i e s e s a l l e i n h a t s i c h a u s g e b r e i t e t , k e i n e n e u e f r u c h t b r i n g e n d e B a h n w u r d e b e t r e t e n , d i e A b s i c h t d e s K a i s e r s , d e n B e r u f z u h e b e n , i s t n i c h t v e r w i r k l i c h t . D i e H o c h s c h u l e , d e r A u s g a n g s p u n k t , z e r f ä l l t , v e r h ä l t s i c h t a t e n l o s u n d h a t s i c h d a d u r c h s e l b s t u n d d e n B e r u f g e s c h ä d i g t.“ Z w ar 1919 geschrieben, aber seitdem hat sich die Lage nur im Sinne einer w ei
teren Verschlechterung geändert.
*
Jetzt w ill man d e n b e s t e h e n d e n Z u s t a n d der Vieldeutigkeit und Verschleierung l e g a l i s i e r e n und w ird damit eine künftige Entwicklung im Sinne einer Beseitigung der Übelstände und eines A u fstiegs der In
genieure unterbinden. Z w ar hat die durch drei Dezen
nien betriebene Politik die Ingenieure in die Ein- flußlosigkeit und in Bedeutungslosigkeit hineinma
növriert; das ist doch wohl heute offenkundig.
W eshalb man ja auch den Ruf nach „öffentlich-recht
licher Vertretung der Technik“ ausstößt. A b er man scheut sich, die W u rzel der Krankheit bloßzulegen und 8 Gemeint sind „Bezirksvereine des V D I“ . Der Vf. 9 W irklichkeitsblinde, 158
23 (1932) Nr. 10 H. U r s l e u : Das lebendige Kapital_________________________________ H 3
hier das Operationsmesser anzusetzen. Und wiederum sehen w ir heute die ganz gleiche Situation w ie an der Jahrhundertwende: ein Heer der Gleichgültigen im tech
nischen Berufskreis, ein Heer der Teilnahmslosen, die nicht erkennen, worum es sich handelt. Die auch — eine Krankheit unserer Zeit — nur die Oberfläche der Dinge sehen oder sich mit Schlagworten und Phrasen zufrieden geben. 1899 eine Lösung der Halbheiten; jetzt der V e r
such, diese Halbheiten zu beseitigen, und zw ar so gründ
lich, daß auch eine theoretische Trennungslinie zwischen Hochschulbildung und Fachschulbildung bei den Ingenieu
ren verschwindet. Denn diese Trennungslinie, die durch die freilich nur halbtaugliche Bezeichnung Diplom-In
genieur gezogen werden sollte, ist manchem Interessen
kreis immer schon ein Dorn im Auge gewesen.
*
W ir wissen, es ist eine u n d a n k b a r e A u f g a b e , für die Belange der technischen Akadem iker zu fechten und namentlich die Dinge bei ihrem Namen zu nennen.
Das hat auch R i e d 1 e r erkannt und reichlich an sich erfahren müssen. Es ist lehrreich und nützlich, was er darüber zu sagen10 hat:
„In einem langen schaffenden Leben habe ich sach
lich und vor allem persönlich im ganzen Reiche stets größtes Entgegenkommen und mehr W ohlwollen und
Eine Grundstütze unserer heutigen Auffassung von
„W irtschaft“ ist der Gedanke, daß die menschliche A r beitskraft eine „ W a r e“ sei, eine W a re w ie jeder andere Produktionsrohstoff auch, deren Preis sich somit nach dem bekannten Gesetz von Angebot und Nachfrage richte.
Es muß einmal darauf hingewiesen werden, daß diese Auffassung eine erhebliche logische Schwäche enthält, und Sünden der Unlogik bleiben auf die Dauer nie ungerächt.
Das Gesetz der W arenpreisreglung durch Angebot und Nachfrage besagt: ist das Angebot in einer W are größer als die Nachfrage, so sinkt der Preis und damit der Produktionsanreiz, wodurch erst Ausgleich von A n gebot und Nachfrage, sodann sogar ein Uberwiegen der Nachfrage mit nachfolgender Preissteigerung, dem damit verbundenen größeren Produktionsanreiz usw. folgt. Sinkt der Preis einer W a re infolge geringer Nachfrage (un
modern gewordene A rtikel, technisch überholte Quali
täten usw.) dauernd unter die Produktionskosten, so wird diese Produktion e i n g e s t e l l t und die W are ver- 1 schwindet vom Markt.
Hier haben w ir die Unlogik: die W are Arbeit k a n n n i e m a l s vom M arkt verschwinden, sie läßt sich ein
fach nicht aus dem M arkt ziehen, sondern ist immer da, auch dann, wenn (theoretisch) g a r k e i n e Nachfrage nach ihr sein, ihr Preis also gleich Null sein sollte.
Ist die A rbeitskraft aber bei diesem extremen Kriterium über ihre Eigenschaft als W are nicht mit dem „W aren charakter“ in Übereinstimmung, so entstehen entschieden bereits Z w eifel an ihrer W areneigenschaft überhaupt.
Man hat es hier mit einer typischen Ideologie des 19. Jahrhunderts zu tun, dem materialistischen Jahr
hundert des emporblühenden Industrialismus, der ge
lösten „W elträtsel“ und der besiegten Naturkräfte, dem j e d e s Ding, möchte man versucht sein zu formulieren, nur noch als „W are “ begreiflich war, also auch die menschliche Arbeitskraft. Diese Theorien beginnen jetzt in allen Köpfen zu wanken.
W a s also, wenn sie keine W a re schlechthin, sondern mindestens noch etw as darüber hinaus ist, ist denn nun
Anerkennung gefunden, als ich erhoffen konnte oder gar verdiente. A lles ist jedoch jederzeit und allerorts in gehässige A ngriffe umgeschlagen, sobald ich meine s e l b s t ä n d i g e s a c h l i c h e M e i n u n g ö f f e n t l i c h äussprach, die einer Gruppe von Interessenten“
nicht paßte, ebenso jedesmal, wenn ich öffentlich für die A n e r k e n n u n g d e s I n g e n i e u r s t a n d e s und gegen eigenmächtige Bestrebungen wirkte. Dann bin ich alsbald verunglimpft worden, im geheimen und öffent
lich, erstmalig, als mein W irken für Gleichstellung der Technischen Hochschulen und für das Promotions
recht bekannt wurde, dann immer zunehmend und immer gehässiger.
Ich müßte daher als Summe einer reichen Lebens
erfahrung dem Nachwuchs zurufen: Bleib im eigenen eigensüchtigen Kreise, dann wird es dir Wohlergehen hienieden, w irke nie öffentlich und ja nie für andere, vor allem nicht für Hochschulen und Standesgenossen!“
Aber auch diese Erfahrung11 R i e d l e r s : „ s e i t l a n g e m u n d i m m e r m e h r w i r d j e d e r , d e r f ü r d a s B e r u f s a n s e h e n d e r I n g e n i e u r e w i r k t , m i t V e r d ä c h t i g u n g u n d V e r f o l g u n g b e d a c h t“ , soll und darf nicht davon abhalten, diesen Kampf um die Stellung der Ingenieure in Staat und Gesellschaft zu kämpfen.
die menschliche Arbeitskraft? Zunächst, ganz allgemein, ist sie die Lebenskraft selbst, das Leben und seine Be
tätigung an sich. Der Mensch hat Arbeitskraft, insofern er lebendig ist, ob er sie nun betätigt oder nicht. Bis hier
hin ist das „Privatsache“ und würde den W irtschaftler und Kapitalisten wenig angehen und bekümmern brauchen.
Aber: das Lebendigsein ist an eine wichtige Bedingung gebunden, es muß nämlich aufrechterhalten werden durch Nahrung und noch Einiges darüber. Und zwar, nach unseren landläufigen Ansichten, die vermutlich auch von den schärfsten Nihilisten nicht bestritten werden können, muß es aufrechterhalten werden, ob es nun seine A rbeits
kraft betätigt oder nicht. Es kostet Geld! Und was sehen wir denn da für eine absonderliche W are: eine, die Geld kostet, ob man sie kauft oder nicht, eine, deren Gegen
wert unaufhörlich irgend jemand zu entrichten hat, ob sie nun effektiv w ird oder nur latent bleibt? In der Tat, eine gefährliche A rt von W are, von der es unbegreiflich ist, daß es so viele Spekulanten in ihr gibt, nämlich just alle produzierenden Betriebe! Das ist ja, als ob ich in meiner Fabrik ein K raftw erk hätte, das unaufhörlich die gleiche Zahl von Pferdestärken produzieren muß, w eil es nicht reguliert werden kann und ich muß, ob ich sie abnehme oder nicht, unaufhörlich die Kohlen und sonstigen Un
kosten für diese PS bezahlen!
Und an dem Beispiel sehen w ir auch, daß sie ganz etwas anderes von Charakter ist als eine W are: nämlich e i n e A n l a g e . Die menschliche Arbeitskraft hat den Charakter einer Betriebsanlage, nicht einer W are. Ihre Besitzverhältnisse sind nicht ganz klar, aber ihr darum den Anlage-Charakter abzusprechen, geht nun schon nicht mehr an. Eine Betriebsanlage dabei, etw a w ie die Lauf
w asserkraft an einem Fluß, die immer in gleicher Menge anfallend K raft liefern kann, die sich nicht speichern, für morgen oder bis zur besseren Konjunktur aufheben läßt, w ie die Kohlen, die man dann einfach nicht fördert, sondern liegen läßt, ja schlimmer: bei der Lauf Wasser
kraft gehen die gewinnbaren PS, wenn sie nicht ab
genommen werden können, nur verloren, d. h. sie werden nicht verkauft, obwohl sie mit der vorhandenen Anlage
10 W irklichkeitsblinde, 150 11 Berufsschutz, 33
2
)r.=3
ng. H. U R S L E U in K ö l n :D A S L E B E N D I G E K A P I T A L
174 H. U r s leu: Das l e b e n d i g e K a p i t a l Technik u. Kultur
erzeugt und verkauft werden könnten, sie schaffen also lediglich keinen Gewinn, während die menschliche A rbeits
kraft-Anlage sogar noch Kosten verursacht, auch solange sie gar nichts liefert.
Hier münden unsere Betrachtungen in geläufige kapi
talistische, wirtschaftliche Gedankengänge ein. Jede A n lage repräsentiert einen W ert, e i n K a p i t a l . Jede menschliche A rbeitskraft hat also nicht nur, w ie gewöhn
lich angenommen, in dem Augenblick, wo sie effektiv und an irgendwen abgegeben wird, einen Tausch-, einen W aren wert, sondern w eit mehr, sie repräsentiert d a u e r n d , ob ausgenützt oder nicht, einen Kapitalwert. Einen K apital
wert, der dauernd verzinst, d. h. zu dessen Erhaltung etwas aufgewendet werden muß. Man könnte zahlen mäßig sagen: da das Existenzminimum zur Lebens-, d. h. Arbeits- krafterhaltung, sagen w ir 1000 bis 1500 RM je Jahr be
trägt, stellt jede vorhandene A rbeitskraft einen K apital
wert von roh geschätzt 10 000 bis 20 000 RM dar. Dieses, wenn man mit der Zahl der Arbeitsfähigen bzw. mit der Bevölkerungszahl multipliziert, enorme K apital ist in einem Lande ein für allemal „investiert“ u n d m u ß v e r z i n s t w e r d e n . Und da ist es nun w ie mit jedem anderen Kapital: habe ich es einmal investiert und kann es nicht verwenden, so „friß t es mir Zinsen“ . Habe ich es einmal investiert und weiß, daß ich zu seiner dauernden V erzin
sung gezwungen bin, und verwende seine Möglichkeiten dann doch nicht, sondern lasse die Anlage tot liegen, ja bemühe ich mich sogar, möglichst große T eile der A n lage zum Stilliegen zu bringen, so bin ich, mit Verlaub zu sagen, ein Esel.
Dieser Esel ist jede V olksw irtschaft, die durch unge
messene Rationalisierung Arbeitslose schafft.
Der einzelne Industrielle braucht, eng gesehen, hieran vielleicht nicht zu denken, wenn man auch von Leuten, die mehr als Industrielle, nämlich schlechthin W ir t
schaftsführer zu sein beanspruchen, in etw a dergleichen Gedankengänge verlangen könnte. Im W eiten gesehen, muß er eben an die w irtschaftliche Verwendung d i e s e r investierten A nlagew erte doch denken. Mancher mag sich heute schon gesagt haben: ich kann soviel Leute abbauen w ie ich w ill, bezahlen muß ich sie auf jenem Umwege doch.
W ir kommen so zu dem interessanten Schluß: Ratio
nalisieren, A rbeitskräfte „sparen“ , indem man sie durch maschinelle ersetzt, ist nicht nur aus dem Grunde von fraglicher W irtschaftlichkeit, weil, w ie es heute die Spatzen von den Dächern pfeifen, die K apitalinvesti
tionen für die Mechanisierung oft höheren dauernden Aufw and erfordern als ihn die „ersparten“ abgebauten A rbeitskräfte erfordern würden, sondern vor allem aus dem sehr viel natürlicheren, weil jede abgebaute A rbeits
kraft ein totes, zinsenfressendes K apital darstellt, für das nur scheinbar die „Allgem einheit“ , denn die ist ja mittellos, sondern zuletzt d e r die Zinsen auf bringen muß, der rationalisiert hat.
Daß diese Eigenschaft der Arbeitskraft, keine W are sondern eine investierte, zinsenfressende Anlage zu sein, nicht früher klar erkannt wurde, liegt in den bekannten Verhältnissen des Aufbaujahrhunderts der europäischen Industrie, die hier nicht alle wiederholt werden sollen.
Solange die irgendwo freigesetzten A rbeitskraftkapitalien immer noch einen Anderen fanden, der von ihnen G e
brauch machte und ihre Verzinsung bezahlte, die Spitzen
beträge des jährlichen Zuwachses an diesem investierten K apital (800 000 A rbeitskräfte oder 8 bis 15 Mrd.!) gro
ßenteils vom Ausland übernommen („gezeichnet“) wurden (Auswanderung), solange stets nur einzelne Betriebe ratio
nalisierten, solange ging es leidlich. W enn aber, w ie seit der großen W irtschaftsführerw allfahrt nach U SA vor 8 Jahren sämtliche Betriebe gleichzeitig rationalisieren, so ist das erstens von der oben geschilderten W irkung, und zweitens natürlich an sich w irkungslos w ie in der Geschichte, wo Jener sagte: „Ja, wenn der Napoleon schon die Eisenbahn und das Telephon gekannt hätte, was
hätte er erst geleistet!“ worauf ihm ein A nderer ant
wortet: „Ganz recht, aber eben doch nur, wenn er sie allein, nicht aber seine Gegner sie auch gekannt hätten - Dieser sonderbare Trugschluß „von einem auf A lle “ ist nebenbei bemerkt, nicht nur hier verhängnisvoll, sondern ein typisches Merkmal unserer unphilosophischen Z eit ist es, daß er ganz allgemein auf fast allen Gebieten unbean
standet im Gebrauch ist, worüber Manches zu sagen wäre.
W orauf es hier ankommt, ist, einmal unumwunden aus
zusprechen, daß die Freisetzung, der Abbau, die angeb
liche Ersparung von Arbeitskräften, nicht nur, w ie stets bisher allein vorgebracht, sozialen, moralischen, politi
schen, sentimentalen Bedenken begegnet, sondern daß sie vom allertrockensten wirtschaftlichen, kapitalistischen Standpunkt aus u n w i r t s c h a f t l i c h , daß sie über
haupt gar keine Ersparnis, sondern eine Verschwendung bedeutet, eine Verschwendung von genau der gleichen A rt als w ollte ich danach trachten, ein K apital, eine Anlage, eine Investition, für deren Verzinsung ich aufzukommen habe, nun mit G ew alt so w enig w ie irgend möglich be
nützen und verwerten.
Daß ein solcher Unsinn überhaupt entstehen konnte, liegt nur an der kritiklosen Hinnahme der Theorie von dem W arencharakter der menschlichen A rbeitskraft. A r beitskraft kann man einfach schon aus dem Grunde gar nicht „sparen“, w eil sie sich nicht für später auf- heben, stapeln läßt, w as eine w esentliche Komponente des Begriffes „Sparen“ ist. Sie fä llt ein für allemal in bestimmter Menge an und diese anfallende Menge, njclit der Preis des zu erzeugenden Produktes, sollte die Grund
lage aller Kalkulationen sein. Die in einer V o lk sw irt
schaft vorhandene, und solange man ihre Inhaber nicht abschlachtet, notwendig zu unterhaltende Gesamtmenge an menschlicher A rbeitskraft ist, nach der A u sdru cks
weise des elektrischen Krafterzeugungsbetriebes, die „in
stallierte Leistung“ und es kommt gar nicht darauf an, von ihr m öglichst wenig, sondern im Gegenteil, möglichst viel auszunützen. Und dies, nach den bekannten Rech
nungen der Elektrizitätsw irtschaft, unter Umständen selbst unter Außerachtlassung eines oder des anderen T e ilw ir
kungsgrades, ja selbst des Gesam twirkungsgrades. Nicht der W irkungsgrad, sondern der Belastungsgrad eines Elektrizitätsw erkes ist für seine W irtsch aftlich keit in erster Linie ausschlaggebend. Nicht die größtmögliche Rationalisierung, sondern der B e s c h ä f t i g u n g s g r a d ist für die W irtschaftlichkeit einer V olksw irtsch aft bestimmend. Diese beiden letzten Sätze sind von vo ll
kommenstem Parallelismus.
Zum Schluß sei hervorgehoben, daß nicht die Zahl der Rezepte zur Behebung der W irtsch aftskrise oder die Zahl der Theorien zu ihrer Erklärung um eine hier ver
mehrt werden soll. Selbstverständlich spielen sehr viele andere Komponenten bei der gegenwärtigen W eltlage mit.
Es scheint aber angesichts des blinden Darauflos-Ratio- nalisierens, das heute in der Form von P e r s o n a l a b b a u eine neue W e lle der M odernität erlebt (die dritte in Deutschland seit dem Kriege!) wichtig, einmal vom Standpunkt des w irtschaftlich denkenden K apitalisten aus darauf hinzuweisen, daß die Grenzen der sogenannten Arbeitsersparung deshalb viel enger sind als es land
läufig angenommen wird, w eil A rb eitskraft k e i n e W are, kein Rohstoff ist, mit dem sparsam umzugehen w ir an sich gezwungen wären, sondern eine Zinsen bean
spruchende Kapitalinvestition, die auszunützen w ir aus Gründen der W irtschaftlichkeit allen A nlaß haben.. Ehe der unlogische Aberglaube, A rb eit sei eine W are, nicht ver
schwindet, werden w ir immer w ieder falsch disponieren.
Der primitive Gedanke, A rbeitskräfte zu ersparen und für die ersparten den Staat sorgen zu lassen, ist eigent
lich gar nicht anders als der, vom Staat zu verlangen er solle für die Aktien- oder Anleihenkapitalien, die man nicht mehr zu verzinsen vermag, verpflichtet sein, seiner
seits die Verzinsung zu übernehmen.