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Theologisches Literaturblatt, 9. März 1900, Nr 10.

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Academic year: 2022

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XXI, Jahrgang. Nr. 10. Leipzig, 9. März 1900.

Theologisches Literaturblatt.

Unter Mitwirkung

z a h l r e i c h e r V e r t r e t e r k i r c h l i c h e r W i s s e n s c h a f t u n d P r a x i s

herausgegebeD TOD

Prof. D. Chr. E. Luthardt.

E rsch ein t jeden F re ita g . Expedition: K önigsstrasse 13.

Abonnem entspreis v ie rteljä h rlich 2 Ji. 50 Insertionsgebühr pr. gesp. P etitzeile 30 .

Zur K r itik und Exegese der Apostelgeschichte. H eyne, M oritz, F ü n f Bücher deutscher Haus­ Zeitschriften.

Feine, D. Paul, Das gesetzesfreie Evangelium des altertümer.

Paulus in seinem W erdegang dargestellt.

B o rgin s, Dr. E u ge n , Aus Posens und Polens kirchl. Vergangenheit.

Frenssen, Gustav, D orf predigten. Schulprogramme.

Neueste theologische Literatur. Eingesandte Literatur.

Z u r Kritik und Exegese der Apostelgeschichte.

Die F ra g e nach dem V erhältniss der] im Codex D (Bezae C antabrigiensis) enthaltenen T e x tg e sta lt der lukanischen A cta zum kanonischen T ex t dieses Buches b eschäftigt seit mehreren J a h re n die neutestam entlichen T e x tk ritik e r und E xegeten an­

gelegentlich. Nachdem F . Blass für die P rio ritä t jenes D -Textes gegenüber dem textus receptus in m ehreren A rbeiten (zuerst einer Abhdlg. in Th. Stud. u. K r. 1894, H. I, dann in seinem la t. A postelgeschichts-K om m entar 1895, ferner in einer S ep a ra t­

ausgabe des D -T ex tes: Acta apostolorum s. Lucae ad Theophilum Uber alter etc. 1896, sowie in noch einigen Z eitschriftabhand­

lungen) eingetreten w ar, und zw ar dies so, dass er im rezip irten T e x t eine von L ukas selbst herrü h ren d e zw eite A usgabe des Buches nachzuweisen suchte, erhob B. W eiss seine Stimme zu G unsten der bis auf Blass allgem ein angenommen gewesenen T heorie, w onach D und seine V erw andten den T e x t des Buches in w illkürlich v erd erb ter U m gestaltung bieten („D er Kodex D in der A postelgeschichte“, in den „T exten und U n ters.“, N. F.

II, 1; 1897). Ihm schlossen u. a. W endt in der d ritte n Auflage seiner B earbeitung des Meyer’schen Apostelgeschichts-Kom men­

ta rs (G öttingen 1899) und A. H arnack in seinen tre x tk ritisc h - exegetischen B eiträgen zu Ap.-Gesch. 15, 29 und 11, 27 f.

(Sitzungsber. der B erliner Akad., 2. M ärz und 6. A pril 1899) sich an. A uf der anderen Seite w urden der H ypothese Blass m ehrfach zustimmende V ota zu T heil, z. B. von Eberh. N estle (in m ehreren kleineren A rbeiten), von J . B elser (B eiträge zur E rk lä ru n g der Apg. etc., F re ib u rg 1897), von F . G räfe (Die D oppelausgabe der S chriften des Lukas, i n : K irchl. M onatsschr.

1898, Sept.), auch vom U nterzeichneten (in der A b h d lg : „Die A postelgeschichte als G egenstand höherer und nied erer K r itik “ in den „G reifsw alder S tudien“ 1895, sowie in dem A ufsatz:

„Die H ypothese Blass um den A nfang des Ja h re s 1 8 9 8 “ : Beweis d. Gl. 1898, S. 2 8 ff.)* Als V e rtre te r einer die B lass’sche Theorie zw a r nicht voll und ganz, aber doch in ihrem H aupt­

punkte, näm lich der B ehauptung einer P rio r itä t des D -Textes gegenüber dem kanonischen T ex te, adoptirenden Annahme h a tte A d f. H i l g e n f e l d seit 1895 w iederholt in die D ebatte eingegriffen (Zeitschr. f. wissensch. Theol. 1 8 6 6 , V I; 1897, I I ; 1899, I ; auch in einigen K ritik e n in der B erliner philol.

W ochenschrift 1895 [Nr. 3 3 f.; 1896, Nr. 4 3 ; 1898, N r. 3]).

F ü r ebendiese Auffassung is t derselbe nun in einer um fäng­

lichen S ch rift von gründlich g eleh rter H altu n g ein g etreten : A c t a a p o s t o l o r u m g r a e c e e t l a t i n e s e c u n d u m a n t i - q u i s s i m o s t e s t e s e d i d i t , a c t u s a p o s t o l o r u m e x t r a c a n o n e m r e c e p t u m e t a d n o t a t i o n e s a d t e x t u m e t a r g u m e n t u m a c t u u m app. addidit A d o l f u s H i l g e n f e l d . B erlin 1899, G. Reim er (XIV , 309 p. g r. 8). 9 Mk.

Das W erk bietet zunächst den vorkanonischen oder occi- dentalischen T e x t der A postelgeschichte (die Recension ß nach B lass’scher N om enklatur) in doppelter G estalt: zu erst griechisch in hauptsächlichem Anschluss an cod. D m it reichem V arian ten ­ a p p a ra t u n te r dem T e x t, wodurch, auch das V erhältniss zum t. rec. zu r A nschauung g eb rach t w ird — , sodann lateinisch

a u f G rund der von Hieronymus u nabhängigen, fü r die T e x t­

k ritik m ehrfach w ichtigen la t. Versionen (wie der im cod. D, der im Gigas Holmensis [ed. Belsheim 1879], des Palim psests von F leu ry , u. s. f.). An diese beiden W iedergaben des T extes (S. 1— 126 und S. 12 7 — 196) h a t der Verf. zunächst noch eine Zusam m enstellung ausserkanonischer P arallele n zur Ge- schichtserzählnng der L ukasakten (geschöpft aus den Pseudo­

klem entinen, aus Ju stin , Hegesipp, Irenäus u. a. p atristischen Quellen des 2. bis 4. Ja h rh u n d e rts) a n g e reih t u n te r dem T ite l:

Actus apostolorum extra canonem receptum (S. 1 9 7 — 227).

H ierau f folgt dann ein doppelter Kom m entar zu r A postelge­

schichte, zu e rst ein die textk ritisch en V erhältnisse näher e r ­ lä u tern d er (.Adnotationes ad textum actuum appS. 2 2 8 — 256), dann ein den G eschichtsinhalt des Buches erklärender (Adnott.

ad argumentum actuum app., S. 2 5 7 — 301). In der ersteren dieser beiden Reihen von A nm erkungen se tzt der Verf. sich hauptsächlich m it B. W eiss auseinander, indem er dessen V e r­

suche, die A bweichungen des ß-Textes als w illkürliche E n t­

stellungen oder überlegte K o rrek tu ren der L esa rten der R ezepta darzu th u n , im Einzelnen b e stre ite t, hierbei vielfach an B lass sich anschliessend, gelegentlich aber auch gegenüber diesem und anderen K ritik e rn (z. B. Nestle in der Philologica sacra, 1896) eigenthüm liche Annahmen v ertretend. Bei den hier des Oefteren in die Diskussion gezogenen T extzeugen befindet sich auch der jü n g st von Ed. v. d. Goltz n äher beschriebene Athoskodex 184 B 64, dessen L esarten H ilgenfeld besonders aufm erksam vergleicht, auch auf S. 302 f. in vollständiger U ebersicht zu ­ sam m enstellt.

C harakteristisch fü r die Gesammtauffassung des Verf.s is t der dann folgende Realkom m entar zum G eschichtsgehalt der A kten (S. 257 ff.). In ihm g re ift der Verf. vielfach au f das zurück, w as er in der A ufsatzserie „Die Apostelgeschichte nach ihren Q uellenschriften u n te rsu c h t“ in den Ja h rg ä n g e n 1895 und 1896 der „Zeitschr. f. wissensch. T heol.“ betreffs der neueren Quellenscheidungsversuche (von S p itta , F eine, van Manen, Clemen, J ü n g s t etc.) d arg e leg t h a tte . Die do rt von ihm en t­

w ickelte Annahme dreier H au p tq u e lle n : einer P etrusquelle (Flpaiieis Ilixpou) in K ap. 1 — 5; 9, 9 — 24, 9, 3 1 — 12, 23, einer Stephanus- und Philippusquelle (Tip. xu>v eirxa) in Kap. 6. 7 und 8 , 4 — 8. 25 — 49, und einer Paulusquelle (Tip. riauXoo) in Kap. 1 3 — 28, h ä lt er auch hier im Wesentlichen fest, lä sst übrigens den diese drei Quellenschriften zum Ganzen d er A cta apostolorum zusamm enfügenden R edaktor (R.) sich w eitgehen­

der F reiheiten in G estalt von allerlei Zusätzen, S treichungen, Ausschmückungen etc. bedienen. Auf Rechnung dieses R edaktors

— eines in nachapostolischer Z eit lebenden Unionspauliners, der die einst von L ukas für seinen F reund Theophilus aufge­

zeichneten ripaijEic IlooXou zu r G estalt von 11p. dtTrooioXtov fort­

zubilden unternahm — w ird eine das ganze W erk durchziehende Reihe von (theils fein versteckten, theils s tä rk e r hervortretenden) A bänderungen gesetzt. So, gleich in der P räfatio n (1, 1- 2) die T ilg u n g gerade desjenigen T heiles dieses Einganges, w orinZw eck und In h alt des Beuxspo? Xopo? (nach Analogie von Luk. 1 ,1 — 4) an ­ gekündigt w e rd e n ; ferner, bei Hinweisen auf W eissagungen des

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A lten T estam ents wie 2, 39 oder 3, 21 — 26, gewisse d era rtig e Zusätze, w odurch das B estim m tsein des m essianischen Heiles auch fü r die nichtjüdische M enschheit bezeugt w ird (zu w elcher A rt von Zusätzen auch die ganze Cornelius-Episode: 10, 1 bis 1 1 ,1 8 von ihm gerechnet w ird, S .2 7 4 f.); desgleichen die angeb­

lich übertreibenden A ngaben über das rasche W achsthum der jungen Christengem einde (2, 4 1 ; 4, 4 ; 6, 7) und die gleichfalls als ungeschichtliche F iktionen beurtheilten B erichte über apostolische W under (z.B . 5, 1 4 — 16; 19, 12); auch die Zurecht- m achung des B erichtes über den A postelkonvent in K ap. 15, 7 ff.

(wobei die einst in den lukanischen P aulusakten enthaltene, m ehr die heidenchristliche Auffassung v ertreten d e und m it Gal. 2 ,2 — 10 sich n äh e r berührende R elation vom R edaktor geflissentlich be­

se itig t und konziliatorisch um geform t sein soll, S. 2 8 4 f.); n ich t m inder gewisse ausschm ückende Z u th aten zu den E rzählungen über P a u li W irk e n in A then und K orinth (z. B. 17, 3 4 ; 18, 6) und so fo rt; zu letz t noch die ganze A nrede des Apostels an die röm ische Judenschaft (28, 1 7 — 29). D as tendenzkritische V erfahren gem äss bekannter tü b in g e r Observanz erscheint hiernach herübergenom m en auf das T e rra in der in m oderner W eise quellenscheidenden kritischen O perationen. Und wenn L ukas selbst (der u rprüngliche auctor ad Theophilum und V er­

fasser der W ir-A bschnitte) als ein in ehrlicher W eise vom paulinischen S tandpunkt aus referiren d er E rz ä h le r an e rk an n t w ird, so e rfä h rt dagegen der „R ed ak to r“ eine um so schlimmere B eurtheilung. Diesem Pseudolukas w ird eine K unst des Ver- tuschens und V erschweigens, des w illkürlichen V eränderns und Ausschmückens der T h atsac h en , des kecken E rdichtens bald g erin g fü g ig e r, bald schw erw iegender V orgänge zugeschrieben, die ihn als u rchristlichen P ro to ty p eines modernen ultram on­

ta n en G eschichtsfälschers vom reinsten W a sse r erscheinen lässt.

— D er D arle g u n g dessen, w as diese tendenzkritische T heorie vom U rsprung der je tzig en G estalt d er A postelgeschichte an­

geblich s tü tz t und b e s tä tig t, erscheint die grösste M ehrzahl d er „adnotationes ad argum entum “ etc. gew idm et, sodass dem nach sonstigen B e iträg e n zum geschichtlichen V erständniss des B uches V erlangen T ra g en d e n keine oder n u r geringe B efriedigung zu T h eil w ird. Als bew eisk räftig w ird man die A usführungen des V erf.s vielleicht dann anzuerkennen g en e ig t sein, wenn man seiner G rundvoraussetzung, bestehend in der Annahme der g e­

schichtlichen und psychologischen M öglichkeit eines so kecken F älschungsverfahrens wie das von ihm supponirte, zustim m t.

B ezw eifelt man diese M öglichkeit, so schw ebt der ganze k ü n st­

liche B au der angenommenen U eberarbeitungen, U m arbeitungen, Einfügungen, S treichungen etc. haltlos in der L u ft und behält höchstens den W e rth einer scharfsinnig durchgeführten Hypo­

these.

N ach des Ref. U eberzeugung lie g t die S tärk e und der w issenschaftliche W e rth dieser neuesten A rb eit des Je n a e r Ge­

lehrten in den in A btheilung I und I I gebotenen Rezensionen des griechischen und des lateinischen T extes der A postelge­

schichte au f G rund der abendländischen Form ih rer U eberliefe­

rung, sowie in den u n te r N r. IV gebotenen te x tk ritisc h en Noten, durch welche die P rio r itä t jenes T extes gegenüber dem t. rec.

w ahrscheinlich gem acht und die Annahm e d e re r, welche das um gekehrte V erhältniss statuiren, e n tk rä fte t w ird. H ier w irk t das von ihm B eigebrachte in den meisten F älle n w irklich überzeugend. Und einleuchtender noch erscheint die Annahme des V orhergegangenseins jenes D -Textes vor dem kanonischen, w enn die hy p erk ritisch e M uthm assung, dass ein sp ä terer R edaktor die H ände im Spiel gehabt, bei Seite gelassen und die a ltk irc h ­ lich überlieferte Annahm e n u r Eines V erfassers der A cta, also die Id e n titä t des ersten E rz äh lers der A cta (des U rhebers der W ir-A bschnitte) m it dem zw eiten (dem V erfasser der A postelge­

schichte als Ganzes) einfach angenommen w ird. Davon, dass durch den H ilgenfeld’schen K om m entar die Hypothese Blass e tw a umgestossen oder als unm öglich d arg e th an w ürde, kann keine Rede sein. Im G egentheil, das von H ilgenfeld in seiner T extrezension sowie in A bschnitt IV beigebrachte M aterial d a rf von denen, die zu je n er Hypothese ste h e n , auf m ehr als nur einem P u n k te dankbar b eg rü sst werden.

U ebrigens g eh ö rt zu den V erdiensten des vorliegenden W erk es auch die in A bschnitt I I I enthaltene Sam m lung ausser- kanonischer G eschichtsparallelen zum L ukasw erke — eine B e­

reicherung des exegetischen A pparates zum Studium der aposto- lichen U rzeit des Christenthum s, wodurch der In h a lt der bis­

herigen H ilfsm ittel in Kommentarform, auch der reich h altig sten , au f willkommene W eise e rg ä n z t w ird. — E rw ä h n t w erden m ag auch, dass der Verf. in seiner P ra efatio (S. V— V II) Ge­

legenheit nimmt, an die neutestam entlich-textkritischen A rbeiten des vor 100 Ja h re n blühenden Je n a e r Theologen J . J . G ries­

bach zu erinnern, und dass er hierbei auch der von G riesbach zu erst in U m lauf gesetzten und nach ihm gew öhnlich benannten evangelienkritischen Theorie gedenkt. Zu dieser G riesbach’schen H ypothese, wonach M atthäus als erster der drei Synoptiker geschrieben, M arkus aber sowohl ihn als L ukas b en u tzt oder ausgeschrieben h at, bekennt der V erf. sich nach wie vor als zu einer neuerdings zw a r s ta rk in M iskredit gerathenen, aber nichtsdestow eniger einzig vernünftigen und gesunden Theorie, indem er zugleich a u f einige evangelienkritische V ersuche neuesten D atum s (von F . P . Badham , London 1 8 9 7 , und von W . H adorn, G ütersloh 1898) hinw eist, in welchen der Beginn einer R ückkehr zu derselben sich anzukündigen scheine*

F ü r die K o rre k tu r des griechischen T extes der A cta in A btheilung I sowie des zugehörigen V arian ten ap p arates durfte der Verf. sich der M itw irkung einiger M itglieder des Je n a e r theologischen Sem inars erfreuen. E s ist dadurch, wie fü r diese besonders schw ierige P a r tie des W erkes so auch im U ebrigen, eine w esentliche fehlerfreie Beschaffenheit des D ruckes erz ielt worden. N ur der V erw endung von theilw eise abgenutzten L e tte rn im griechischen S atze (besonders schadhafter o und u, welche wie t aussehen; auch beschädigter tu, 7] etc.) konnte n ich t überall vorgebeugt w erden; so z. B. S. IV, Z. 3 v. u.;

S. V III, Z. 10;= S. X , Z. 1; S. 14, Z. 9; S. 75, Z. 15, u.

so fort. In den linksseitigen Kolumnenzeigern auf S. 2 8 2 — 292 muss s ta tt „A dnotationes ad te x tu m “ gelesen w e r d e n : ...ad a r g u m e n t u m . _________________ Zöckler.

F e i n e , D. P a u l (o. P rof. der evangel. Theol. in W ien), D a s g e s e tz e s f r e ie E v a n g e liu m d e s P a u l u s in s e in e m W e r d e g a n g d a r g e s t e l l t . L eipzig 1 8 9 9 , J . C. H inrichs (232 S. g r. 8). 5 Mk.

A n g ereg t u. a. durch H olsten’s D arstellu n g von der Genesis des christlichen Bew usstseins P au li und durch Clemen’s Hypo­

these über die F ortentw ickelung seiner L ehre e rö rte rt d er Verf. die w ichtigen und interessanten F ra g en , ob P aulus durch eine lä n g e r e ' psychologische E ntw ickelung auf die C hristus­

erscheinung vor D am askus vorbereitet sei oder n ic h t, und ob sein E vangelium gleich durch diese E rscheinung oder e rst durch sp ätere E rfah ru n g en den charakteristischen In h a lt e r­

h alten habe. — Im G egensatz zu H olsten s te llt er fest, dass P au lu s vor seiner B ekehrung nich t an der B erechtigung des pharisäischen S tandpunkts und an dem W e rth e pharisäischer G erechtigkeit gezw eifelt oder an die W a h rh e it des Christenthum s g ed ach t h ab e ; nicht wie ein m oderner Mensch durch eine feine psychologische E ntw ickelung hindurch, sondern w ie ein a n tik e r auf G rund der ihm gew ordenen Offenbarung C hristi habe er das H eil gefunden. An H olsten’s F ra g este llu n g e r­

kennt er allerdings als ric h tig an , dass die G edankenw elt und der C h a ra k te r P a u li so g e a rte t sein m ussten, dass diese E rscheinung ihn zum b egeisterten J ü n g e r C h risti, j a zum H eidenapostel machen konnte. Die A nknüpfungspunkte w aren u. a . : Sein la u te re r E ifer um G o tt, verbunden m it dem S treben nach G erechtigkeit; seine religiöse W e ltb etrach tu n g , der zufolge alles von G ott gelenkt w ird , auf G rund deren seine F röm m igkeit völlige U nterw erfung u n te r die ihm als g ö ttlich geltende Form der G ottesverehrung w a r; die A ner­

kennung der A u to ritä t der Schrift und der M essiashoffnung;

endlich seine zu sta rk e n T rieben und Affekten geneigte N atu r.

— D araus allein e rk lä rt sich der Um schwung bei P aulus vor D am askus: Die sta rk e n E indrücke von der sittlichen K ra ft des C hristusglaubens, die er bei der V erfolgung erh ie lt, be­

w egten ihn n ic h t, weil Christus fü r ihn der Lügenm essias w ar. Je su K reuz sta n d ihm im schroffsten W iderspruch zum Mosaismus. D a kam u n e rw a rte t die Offenbarung des A uf­

* Auf C. F. Nösgen’s Synoptikerkommentar (2. Aufl. 1897, S. 9f, und S. 218) hier m it hinzuweisen versäum t er.

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erstandenen vor Damaskus. D as w ar für ihn eine G ottesthat, der e r sich beugen musste. Sie w a r die V erurtheilung seines früheren L ehens: aus E ifer um das Gesetz h a tte er den Messias G ottes verfolgt. A ber diese V erurtheilung brachte ihm R e ttu n g durch Christus. Den E ife r, m it dem er bisher dem Gesetz gedient h a tte , m usste er nun in C hristi Dienst b ethätigen. N icht oline G rund begab er sich nach der B e­

kehrung n icht zu den A posteln; er w usste, dass ihre V er­

kündigung ihm nicht genügen k onnte, w eil sie nicht konse­

quent w ar. Ihm w ar m it der C hristuserscheinung auch alles gegeben, was er g eb rau ch te: dem Mosaismus w ar sein R echt a b e rk an n t; der G ekreuzigte und A uferstandene konnte nur allein G rund des Heils sein. D am it w ar P aulus zugleich zum H eidenapostel prädiBponirt.

In so rg fä ltig er U ntersuchung der einschlägigen A ussagen in den Briefen g e la n g t der Verf. zu diesem R esultat. Aus Gal. 1 u. 2 und 2 K or. 3, 5— 4, 6 schliesBt er, dass christliche und vorchristliche Z eit sich schroff in P au li Bew usstsein gegen­

ü b ersta n d en , und da in diesem P u n k te eine T äuschung un­

möglich w ar, kann er w eder ein Schwanken noch eine positive psychologische E ntw ickelung zum Christenthum hin annehmen.

Aus 1 K or. 15 e rg ib t sich, dass ein hellenistischer E inschlag sich nicht beweisen lässt. W eder in Gal. 3, 24 noch in Röm.

1— 3 und 7 findet er Spuren eines vorchristlichen Sünden­

gefühls, da vielmehr alle U rtheile hier vom christlichen S tand­

punkt aus g e fä llt sind und der P ädagog n u r in der Unmündig­

k eit zu erhalten hat. Aus den Thessalonicherbriefen erw eist e r , dass auch dort die B ekehrung als ein rad ik a ler B ruch m it der V ergangenheit angesehen w ird und dass schon in Thessalonich ein gesetzesfreies Evangelium v erk ü n d ig t ist.

D am it is t der U ebergang zu der zw eiten F ra g e gegeben, ob das E vangelium P au li in entscheidenden P unkten noch eine F o rt­

bildung erfahren habe. D er Verf. verneint dies auf Grund einer U ntersuchung der L ehre vom Gesetz und der B egriffe:

G esetz, F leisch, Sünde. Keine E ntw ickelung, sondern nur durch den G egensatz bedingte H ervorhebung verschiedener Momente der nicht einheitlichen A nschauung P au li vom Gesetz z e ig t sich in den B riefen; das U rtheil über das Gesetz ist m it der Christuserscheinung gegeben, die L ehre von der oapfc b eru h t gleichfalls au f u n m ittelbarer ch ristlicher E rf a h ru n g ; neben dem zwischeneingekommenen Gesetz kennt P aulus ein G esetz von bleibender Bedeutung, das je nach den Umständen m ehr oder w eniger betont ist. — G ründliche exegetische U nter­

suchungen dienen der B egründung auch dieser R esultate.

In manchen Einzelheiten w ird man dem Verf. nicht zu­

stimmen können. Es ist m ir z. B. zw eifelhaft, ob P etru s in A ntiochien das G efährliche des paulinischen Evangelium s er­

k a n n t h at, ob man lediglich aus der schroffen E ntgegensetzung der christlichen und vorchristlichen Zeit und aus einigen A rg u ­ m enten e silentio so zuversichtlich das F ehlen jed er anderen V erm ittelung als der genannten schliessen d a rf, ob die Aus­

legung von Röm. 7, 7 ff. u. a. St. ric h tig ist, ob die verschiedene B eurtheilung des Gesetzes bei dem „logischen“ P aulus nicht besser au f eine zweifache B etrachtungsw eise als auf einen Zwie­

sp a lt in seinem Bew usstsein zu rü ck g efü h rt w ird. Im ganzen w ird man zugeben m üssen, dass es ihm gelungen ist, das zu bew eisen, w as er beweisen w ollte: dass die E rscheinung des A uferstandenen allein P au lu s zum Christen gem acht h a t und seinem Evangelium von vornherein das ihm e ig e n tü m lic h e G epräge gegeben h at. L ä sst sich auch aus den B riefen, die sich m it diesen F ra g e n nich t ex professo beschäftigen, n ich t im m er ein absolut sicherer Rückschluss m achen, so w a r es doch ein glücklicher Gedanke, ihre A ussagen, die sich h ierau f beziehen, im Zusam m enhang zu untersuchen. F ü r die g rü n d ­ liche E rö rte ru n g der beiden H auptfragen wie für manche exegetische und biblisch-theologische A nregung w ird je d er L eser des Buches dem Verf. dan k b ar sein. Lic. Schnitzen.

Borgius, D r. E ugen (I. Senior der U nität, K ons.-Rat u. P fr.

zu St. P e tr i in Posen. Superint. der Diözese Posen II), Aus Posens und Polens kirchl. V e r g a n g e n h e it. Zum 3 0 0 jä h r. Jubiläum der sog. polnischen U nität und der drei ältesten evang. Gemeinden der P rovinz P osen: der U nitätsgem einden zu Posen (St. P e tri), zu L issa (St. Johann)

u. zu L assw itz. B erlin 1898, W iegandt & Grieben (IV, 130 S. g r. 8). 2 Mk.

Im J a h re 1548 sind „böhmische B rü d er“ in Polen einge­

w an d ert; es bildete sich dort sp ä ter daraufhin eine sogen,

„polnische U n itä t“ dieser „B rü d e r“ , und noch heute existiren einige Gemeinden derselben in der preussischen Provinz Posen, näm lich die U nitätsgem einden zu St. P e tr i in der S tad t Posen, zu St. Johann in Lissa, die Gemeinde in L assw itz und zwei andere. An ih re r Spitze ste h t ein g ew ählter „Senior“, der die W eihe eines „Episcopus“ erh ält. Die Successio continua episcoporum im Sinne der m ittelalterlichen W aldenser und böhmischen B rü d er w ird also bei ihnen noch je tz t aufrecht e r­

halten. Ih r le tz te r „Episcopus“, der je tzig e K ons.-Rath B o r g i u s zu K önigsberg (bis 1898 als K onsistorialrath, Superintendent und P fa rr e r zu St. P e tr i in Posen th ä tig ), h a t nun zum 3 5 0 jä h rig e n G edächtniss d er E inw anderung B ilder aus der Ge­

schichte dieser m erkw ürdigen U n itä t von „Stillen im L an d e“

u n ter obigem T ite l veröffentlicht. N ach vier einleitenden K apiteln kommt der Verf. im fünften au f die A nfänge der B rü d e ru n itä t in Polen zu sprechen und behandelt im sechsten den B ekenntnissstand der U n ität und die Unionsversuche in P olen bis zur Union von Sendomir 1570. Im J a h re 1555 fand P e te r P a u l V e r g e r i u s schon 40 U nitätsgem einden in Polen vor (S. 23 f.). E s folgt (VII) ein dogm atisch-geschicht­

liches K apitel über das W esen des „Bischofthums und die Successio continua in der U n itä t“ , w odurch das innere R echt des Bischofsam tes in der B rü d eru n ität bewiesen w erden soll.

D aran schliesst sich (V III) die Zeichnung der „S tellung der röm isch-katholischen K irche und des polnischen S taa tes zu den P ro te sta n ten P olens“, eine B eschreibung des barbarischen F a n a ­ tism us, den das jesuitisch beeinflusste Polen nunmehr gegen P ro te sta n ten und böhmische B rü d er in Szene se tzte, dadurch die polnische evangelische K irche ru in irte, aber dam it zugleich auch seinen eigenen inneren B a n k ero tt herbeifübrte. N ach­

richten über die S tellung der B rü d e ru n itä t zum L u therthum und zum Calvinismus nach 1570 bilden den Schluss der D ar­

stellung des Verf.s, der in dieser seiner U n itä t die E rscheinung einer idealen Unionskirche sieht. Dem Ganzen sind au f S. 94 bis 129 „A nlagen“ beigefügt, theils E xcerpte aus entlegenen gedruckten B üchern, theils A bdrücke von M anuskripten aus dem Besitze der U n ität auf der R aczynskischen B ibliothek in Posen.

Die vorliegende S chrift h a t einen D oppelcharakter, einen historischen und einen erbaulichen zugleich. Das e rk lä rt sich aus den Umständen, un ter denen sie entstand, und dem Zwecke, welchem sie dienen sollte: Die noch heute vorhandenen fünf U nitätsgem einden der Provinz Posen sollten sich an ih re r er­

greifenden Geschichte erbauen, aber w eitere K reise der Ge­

bildeten sollten zugleich über diese m erkw ürdige kleine R eli­

gionsgem einschaft eine geschichtlich begründete B elehrung er­

halten. Beides is t durchaus lobensw erth, und man w ird dem Verf. fü r seine M ühw altung n u r dankbar sein können: wie Oasen in der W üste, erscheinen diese evangelischen Gemeinden inm itten des je su itisirten Polenthum s. Inzw ischen sind in der preussischen Provinz zahlreiche andere evangelische K irchge­

meinden erw achsen, die als K irchenprovinz Posen einen Be­

s t a n d t e i l der „Ev. Landeskirche P reussens“ bilden; ih r sind auch die U nitätsgem einden eingegliedert. Beanstanden möchte ich, dass Borgius fü r den in sich geschlossenen geschichtlichen G egenstand einen unbestim m ten T itel gew ählt hat. „Aus Posens und Polens kirchlicher Vergangenheit“ — d aru n te r kann man sich vieles denken. D er T itel „Geschichte der evangelischen böhmischen B rü d eru n ität in der heutigen P rovinz P osen“

w ürde das K ind m it dem rechten Namen nennen und der schönen A rb eit einen festen P la tz in der K irchengeschichte sichern. D er Verf. h a t seiner S chrift ein durchaus w arm ­ herziges G epräge gegeben; das is t von dem „Episcopus“ der U n itä t nicht anders zu e rw arte n ; er will den ihm unterstellten Gemeinden ihre M ärtyrergeschichte zu H erzen führen und red e t zugleich pro domo; denn auch sein eigener idyllischer „E pis­

k o p at“ soll als innerlich und äusserlich wohl begründet e r­

k annt werden. D er optim istischen Gesammtauffassung von der B edeutung der böhmischen B rüderkirche in Polen kann ich mich aber doch n ic h t anschliessen, noch w eniger der vom W e rth e

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der Successio continua episcoporum innerhalb der evangelischen C hristenheit. W a s jenen P u n k t betrifft, so sieht der Verf.

(S. 33) im Consensus Sendomiriensis den H öhepunkt der k irch ­ lichen E ntw ickelung Polens und m eint, dass, wenn nicht der S ta a t und die Jesu iten störend eingegriffen h ä tte n , „ d a s p o l n i s c h e R e ic h d a s V o r b i l d e i n e r n o r m a l v e r f a s s t e n , i n n e r l i c h s t a r k e n , u n i r t e n e v a n g e l i s c h e n L a n d e s ­ k i r c h e g e w o r d e n s e i n w ü r d e “. Von irgend w elcher „V or­

b ild lich k e it“ der polnischen K irchenverhältnisse kann aber meines E rach ten s ü b erh a u p t nicht die Rede sein, am allerw enigsten in konfessioneller H insicht. Die konfessionelle E ntw ickelung Polens w a r vielm ehr eine durch und durch unglückliche; w ären die von K önigsberg und W itte n b e rg ausgegangenen lutherischen Einflüsse nicht beständig durchkreuzt w orden, so w ürde das K önigreich Polen u n te r Sigismund II. geradeso g u t haben können lutherisch w erden wie das H erzogthum P reussen, m it dem es aufs engste verbunden w ar, und das polnische Preussen, D anzig, E lbing und T horn voran, is t j a einheitlich lutherisch entw ickelt, wie der vereh rte Verf., ein w estpreussischer L ands­

mann, selbst sich erinnern w ird. D er Consensus Sendomiriensis is t ein unirender Nothbefehl gewesen, nichts w eiter, und weil dem polnischen P ro testan tism u s die einheitliche K irchlichkeit feh lte, konnte e r gegenüber dem je su itisirten S ta a te nicht S tand halten. W as sodann die Successio continua episcoporum betrifft, so freue ich mich, dass M artin L u th e r das Sein oder N ichtsein von K irche und kirchlichem A m t nicht an diesen Spinnefaden g eh ä n g t h a t, dessen geschichtlicher A nfang völlig im D unklen liegt, sondern K irche und A m t schlicht biblisch fu n d irt hat. W ir wollen auf die rom antische H ilfslinie des m onarchischen E piskopates fü r den B egriff der K irche gern verzichten und uns an den 7. A rt. der A ugsburgischen Kon­

fession h a lte n , dessen In h a lt nach meinem D afürhalten über den religiösen B egriff der K irche durchaus ric h tig u rth e ilt:

D ie K irche ist die christliche G laubensgem einde, m it w elcher die P re d ig t des W ortes Gottes nnd die V erw altung der S ak ra­

m ente u n ab tre n n b ar verbunden bleib t; daraus w ird auch das geordnete kirchliche A m t des W o rte s und der S akram ente als g e s c h i c h t l i c h nothw endig (nicht heilsnothw endig) gefordert.

Alles andere ist fü r die w esenhafte K irche Nebensache, ganz gew iss auch die F iktion der Successio continua episcoporum (M onarchische, Einzelbischöfe g ib t es im Christenthum ü b er­

h au p t frühestens etw a seit 1 4 0 — 150 n. Chr.). — Nach dem Erscheinen von D a l t o n ’s L ascian a(B erlin 1898) w ird L a sk i be­

deutend höher g esch ätzt w erden müssen, als es h ie r S. 25 ge­

schieht. Zu S p e r a t u s sind meine Schriften „U rkundenbuch zu r Reform ationsgeschichte P reussens“ (Leipzig 1890) und P. S peratus v. R ötlen (Halle 1891) zu vergleichen. A uf S. 97 stehen noch D ruckfehler: es is t zu lesen am Schlüsse: „E piscopus Pome- z a n ie n s is “ ; S. 102 „E b e ru s“ . F ü r die Geschichte des öst­

lichen Zweiges der „Böhmischen B rü d e r“ und fü r die des kirchlichen Lebens in der Provinz Posen bleibt B orgius’ Buch ein w erthvoller Baustein.

G ö ttin g e n . Paul Tschaokert.

H e y n e , M oriz, F ü n f B ü c h e r d e u t s c h e r H a u s a l t e r t ü m e r von den ältesten geschichtlichen Zeiten bis zum 16. J a h r ­ hundert. E s te r B an d : D a s d e u t s c h e W o h n u n g s w e s e n , m it 104 A bbildungen im T ext. L eipzig 1899, S. H irzel (VI, 40 6 S. g r. 8). ^ 12 Mk.

D as grosse und eigentlich bahnbrechende W e rk eines unserer bedeutendsten G erm anisten, der manchem schon z. B. durch sein deutsches W ö rte rb u c h b ekannt ist, lie g t nunm ehr in seinem ersten T heile vor und w ird w ie jenes W örterbuch der deutschen S prache nicht nur im K reise der F achgelehrten, sondern w eit ü b er denselben hinaus, sicherlich auch in dem der Theologen fre u d ig beg rü sst w erden als ein zuverlässiges, auf den g rü n d ­ lichsten Studien und V orarbeiten beruhendes „L ehrbuch“, wie es d er V erf. nennt. D ass dies L ehrgebäude endlich aus den m annichfaltigen, m it rühm ensw erther A kribie betriebenen germ a­

nistischen S tudien m ancher V orarbeiter herausgew achsen ist, muss alle w ah rh aft nationalen K reise m it F reude und D ank erfüllen. W a r doch die B efürchtung nich t unbegründet, dass es zu einem solchen, alle V orarbeiten organisch zusammen- fassenden, w issenschaftlich gegliederten W erke kaum kommen

werde, da die deutschen Philologen in jü n g e re r Z eit ihre Theil- nahm e vorzugsw eise der sprachlichen und lite ratu rg e sch ic h t­

lichen F orschung so ausschliesslich zugew endet haben, dass das G ebiet, welches hier b etre ten w ird , d aru n te r zu leiden h atte. Nun aber h a t die berufenste H and zu einem w issen­

schaftlich verarbeiteten Ganzen v ere in ig t und kunstgem äss aufgebaut, was deutsche Philologen und neben ihnen auch H isto­

rik er, N ationalökonom en, Bau- und K riegstechniker an M aterial geliefert haben. D abei aber erhebt sich das W erk doch w eit über ein blosses Sammelwerk. N icht n u r dass m it geü b ter H and und eigenem, au f sch arfer K ritik beruhendem U rtheil gesichtet is t: der Verf. selbst b ie tet auch die schätzens- w erthesten R esu ltate eigener Studien au f einem G ebiete, wo er die M eisterschaft schon durch m anche voraufgegangenen, theilw eise auch veröffentlichten A rbeiten, wie z. B. die schon im J a h re 1864 erschienene A bhandlung über die L age und Kon­

stru k tio n der H alle H eorot im angelsächsischen Beowulfsliede reichlich bezeugt h atte. G erade M. Heyne w a r als deutscher Philologe zu diesem W e rk e vorzüglich befähigt. „D er deutsche Philologe, s a g t er m it R e ch t, soll sich seine Stelle in d er F orschung dieses Gebietes nich t nehmen lassen, denn n u r er is t im Stande, eines der w ichtigsten Zeugnisse m ethodisch zu v er­

w e r t e n : n u r ihm s a g t die Sprache, und nicht zum w enigsten nach der etym ologischen Seite hin, w as sie den anderen Forschern, wie m an oft sie h t, h a rtn ä c k ig verw eigert. Die D arste llu n g auch des äusseren deutschen Lebens von einem G erm anisten und m it den germ anistischen M itteln is t eine N othw endigkeit, und er m üsste sogar hier an die erste Stelle rü ck e n “ . W ie sehr aber der Einzelne hier au f die M itarbeit A nderer angew iesen ist, dessen is t sich der Verf. wohl bew usst, wenn er s a g t:

„Schon das M aterial, welches in sprachlichen, dichterischen, rechtlichen, geschichtlichen Zeugnissen, in baulichen und an tiq u a­

rischen D enkm älern, in U rkundenbüchern und S tadtrechnungen und anderen B elegen m ancherlei A rt v o rlie g t, is t fü r einen E inzigen völlig zu durchgehen unmöglich. A uf Quellen- sam m lung habe ich-m anches J a h r v erw en d e t; das Gefühl der U nzulänglichkeit m einer T h ä tig k e it h a t mich nie verlassen, aber es w ird gem ildert durch die E rw ä g u n g , dass wenn die Zeit n n r durch das Zusam m entragen der B austeine ausgefüllt w ird, d er B au selbst nie beginnen k a n n “ . W ir aber danken es von H erzen dem Verf., dass er endlich diesen B au begonnen h a t und dass w ir nunm ehr W erke n icht n u r über römische und griechische H ausalterthüm er, sondern auch ein so gediegenes w issenschaftlich gründliches W erk über deutsche H au sa lte r­

thüm er besitzen, die uns doch n äher angehen als die G riechen­

lands und Roms. In der Frem de wol v e rtra u t sein und in der eigenen H eim at wie die Blinden herum zutappen, w ar j a von je h e r deutsche A rt oder U nart. Die „fünf B ücher d eu t­

scher H au sa lte rth ü m er“, von denen uns das erste nun vorliegt, sind also auch ein W e rk von em inent natio n aler B edeutung, durch welches sich der Verf. ein hohes dauerndes V erdienst erw orben hat. Es is t eben ein W e rk für Ja h rh u n d e rte , an welchem , wie der Verf. selbst es w ü n sch t, w eiterg ea rb e ite t w erden w ird , dessen G rundlagen aber nunmehr festliegen.

Je d er w eitere Ausbau w ird „einen N utzen gew ähren, der nicht nur der W issenschaft, n icht nur dem Volksthum zu gute kommt, er w ürde auch ein sehr persönlicher sein: der Jü n g e r schult zu der K ra ft des D enkens und Forschens die des Sehens und lebendigen Beobachtens und le rn t auch einmal w ieder anschaulich schildern, w as den blossen W ortphilologen von heute m ehr und m ehr abhanden kom m t“. In solchem scharfen Sehen, lebendigen Beobachten und anschaulichen Schildern is t der Verf. ein Meister.

Seine D arstellungsgabe weiss uns auch das E ntlegenste lebhaft zu verg eg en w ärtig en und zw ar durch W o rt und Abbildung.

Denn auch die hunderte von A bbildungen im T ext, sch arf un d sauber au sg efü h rt wie sie sind, sind hier nicht n u r ein Schmuck, sondern ein w esentliches M ittel der V erdeutlichung und V er­

anschaulichung. Manche derselben sind aus seltenen W erken geschöpft und gegen 50 w erden hier ü berhaupt zum erste n m al veröffentlicht.

Sehr w erthvoll wie diese B eigabe der Abbildungen ist die der zahlreichen A nm erkungen, welche nich t n u r Zeugniss von der gew issenhaften B enutzung der Quellen geben, sondern auch m annichfaltige B eleuchtung des Lebens unserer V orzeit und

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oft überraschende P arallelen aus dem anderer V ölker, sowie b e a c h te n s w e rte G esichtspunkte für die B etrach tu n g des ge- sam m ten K ulturlebens, insbesondere des unveräusserlichen E rb- u n d K ro n g u ts deutscher S itte bieten. So h a t der Verf. das Gebiet des äusseren deutschen Lebens, das bisher tro tz aller sehr schätzens­

w e r t e n A rbeiten, wie z.B . die von Henning „das deutsche H a u s“, Müllenhoff’s deutscher A lte rtu m sk u n d e u. a. im allgem einen doch noch fa st wie eine rudis indigestaque moles vor uns lag, in einem alles umfassenden L ehrgebäude uns vorgeführt. Das konnte n u r der sorgsam sten Zusam m enstellung und P rü fu n g aller bisher auf diesem Gebiet gelieferten B austeine und einer seltenen Be­

gabung nich t n u r für nüchterne E rforschung der G rundlagen des germ anischen Lebens, sondern auch der vielen zerstreuten N achrichten über E inw anderung, V erbreitung, T rennung, V er­

schiebung der Stämm e gelingen, um alles B aum aterial zur E in ­ h e it einer durch innere und äussere Zeugnisse beglaubigten

G eschichte zu vereinigen. Sehr b e a c h te n s w e rt is t Heyne’s Annahme eines letto-slawo-germ anischen Gemeinvolks fü r die U rz eit, das sesshaft gewesen sein soll. Die Trennung der L etto-S laven von den Germanen w ird dann verständlich zu machen gesucht durch die Verschiedenheit von Volksthum und V olksgeist. Als zwei spezifisch germ anische Eigenschaften w erden d ie Sondersucht und die A c h t u n g v o r dem E i g e n t h u m be­

han d elt, welche eine A uflehnung gegen die slaw ische E inrichtung der H ausgem einschaft und die den Einzelnen vergew altigende M acht der Sippengem einschaft herbeiführten, was sehr an­

schaulich d arg e stellt und belegt ist. D urchw eg erhalten w ir in ein unser ganzes Volksthum überziehendes, bisher scheinbar völlig w irres N etzgefüge e r s ta u n e n s w e rte Einblicke. Dass in diesem N etzgefüge vor allem S prache, G laube, R echt und S itte feste F äden bilden, lie g t in der N atu r dieser Mächte.

Sind sie doch die einzigen unzerreissbaren Bande, welche über­

h au p t ein V o lk s tu m zusamm enzuhalten vermögen. Und an ih r e r H and verm ag der Verf. in die fernsten Zeiten rü ck w ärts sichere S ch ritte zu thun und bis in die W iege der Völker, jenseits der geschichtlich beglaubigten Zeit vorzudringen, so wie es Jakob Grimm an der H and der Sprache und S itte uns ge­

le h rt h a t. W ie sehr gerade der Verf. auf dem Gebiete der E rfo rsch u n g unserer Sprache M eister ist, h a t er ja lä n g st be­

wiesen, u n te r anderen, wie durch sein obengenanntes deutsches W 'örterbuch, auch durch seine sehr bedeutende M itarbeit am Grimm’schen W örterbuch. D ass er aber auch M eister wie in der methodischen V e r w e r tu n g der Sprache überhaupt, so hier für die D arstellu n g unserer deutschen H au sa lte rth ü m er ist, dafür ist der

« rste uns vorliegende B and ein vollgiltiges, oft überraschend leuchtendes Zeugniss, in welchem unser gesamm tes S prachgut insbesondere fü r die verschiedenen Perioden des deutschen W ohnungsw esens z u r b e w u n d e rn sw e rte n V e r w e r tu n g kommt, ohne dass der Verf. irgendw ie in einseitiger W eise Philologie triebe. W ie er überhaupt n icht zu jenen Philologen gehört, welche F isc h a rt einst „F rag m en te klaubende H ündlein“ nannte, so v e r tr itt er besonders in diesem W erk bei aller A kribie im Einzelnen den S tandpunkt der alten deutschen B aum eister, deren W e rk e durch die E inheit in der M annichfaltigkeit und die M annichfaltigkeit in der E in h e it den Stempel geistig er Ueber- legenheit über ze rsplitternde K leinarbeit an der S tirne trag e n .

Dem inneren G ehalt des W erkes, welches einen bedeutenden F o rts c h ritt in der G erm anistik und einen w ahren Schmuck derselben bedeutet, entspricht die gediegene A usstattung, welche die V erlagshandlung von S. H irzel in gew ohnter, man möchte sagen vorbildlicher W eise einem W e rk gegeben h at, das nicht n u r eine w ah rh aft nationale Bedeutung fü r alle K reise h at, sondern das auch ganz ähnlich wie H auck’s K irchengeschichte D eutschlands sowol in B eziehung auf G ründlichkeit der F orschung und Besonnenheit des U rtheils, wie auf anschauliche künstlerische D arstellu n g und ebenso lebhaften wie geschm ack­

vollen Stil auf der Höhe der Z eit steht. Die stoffliche G liederung des vorliegenden Bandes is t eine ebenso einfache wie voll­

ständige. D er erste A bschnitt (S. 1 1 — 70) behandelt die a lt­

germ anische Z eit; der zw eite (S. 7 1 — 156) die der M erow inger bis ins elfte Ja h rh u n d e rt; der d ritte (S. 157— 392) die Zeit des späteren M ittelalters (11. bis 16. Ja b rh .). Die H ofstatt, das HauB und seine Theile, Hausschmuck und Möbel, H eizung und B eleuchtung, die Schutzbauten, der W asser- und Tiefbau, I

B urg, Schloss und S ta d t — alles w ird uns ebenso grün d lich wie anschaulich v o rgeführt von den ältesten germ anischen H ütten an (Fig. 2), wie sie auf der Siegessäule Marc A urel’s (die der Trojanssäule entbehren der sicheren Bezüge auf g e r ­ manisches Wesen) d arg e stellt sind, wobei die durch Jahrhunderte n icht veränderte A nlage der deutschen Köhler- und F o rsth ü tte ihre gebührende W ürdigung findet, bis zu den bäuerlichen Anwesen und den S tädten und Burgen des spätesten M ittelalters m it ih rer Bau- und K riegstechnik, wo uns unter anderem be­

wiesen w ird , dass auch die kleinbürgerliche W ohnung kein B au der W illk ü r ist, sondern vielmehr die organische Umformung des bäuerlichen Anwesens zu einem neuen Gebilde. W ie das ganze W erk au f der genetischen Methode au ferbaut is t, so w ird dieselbe auch auf die einzelnen H ausalterthüm er ange­

wendet, wobei gezeigt w ird, was an ihnen germ anisch is t und w as infolge frem der Einflüsse entstand. Es beruht überhaupt die B edeutung des ganzen W erkes vor allem darauf, dass die deutschen H ausalterthüm er zum ersten m al in festem geschlossenen Zusam menhang nach der genetischen Methode behandelt und zugleich so anschaulich d arg e stellt sind, dass sich auch der L aie leicht orientiren kann. Alle L eserkreise, welche ein w arm es H erz für unser Volk und Volksthum haben — und zu ihnen geh ö rt sicherlich nicht zu letzt der des „Theol. L it.-B l.“,

— werden das W erk m it Freude begrüssen, welches ein bahn­

brechendes genannt w erden muss und bei dessen Anzeige man n u r bedauert, um des zugemessenen Raumes willen n icht um­

fangreichere M itte ilu n g e n von rec h t schwerwiegenden Ab­

schnitten aus demselben bieten zu können. Hinweisen aber möchten w ir wenigstens noch auf einige d er vielen vortreff­

lichen Abbildungen, wie z.B . auf die der H olzkirche zu B orgund in N orw egen, m it den F en stern des äusseren niedrigen Um­

ganges und des hochgezogenen Mittelschiffs, zur V eranschau­

lichung der sogen. „W indaugen“, der im Voc. St. G alli g e­

nannten ahd. augatora. Als M uster einer T hürum rahm ung e r­

scheint (S. 49) ein geschnitztes und zierlich gefügtes B re ttw e rk von einer norwegischen Holzkirche im Museum zu Bergen.

Die „H ochsitze“ (höhsedal) des deutschen A lte r t u m s , jene vornehmsten Ehren- und herrschaftlichen Sitze veranschaulichen neben zwei einsitzigen Exem plaren aus dem P salterium aurenm, ein H ochsitz m it drei Personen aus dem U trech ter P salterium und ein noch grösserer aus dem Cod. Tiber, im B ritischen Museum, sowie aus demselben Museum der im Cod. Claud. abgebildete Hochsitz m it einem E h ep aar (S. 105). Aus der W iener Otfried- handschrift w ird die D arstellung des Abendmahls geboten, wo C hristus auf einem F a lts tu h l vor dem runden Tische sitzt, die Jü n g e r auf Bänken. D er dem G e r ä t gegebene deutsche Name F a lts tu h l kennzeichnet seine F orm ; als H errensitz w ird er in der U ebersetzung des lat. curulis hingestellt. Eine m it reichen Schnitzereien versehene zierliche B e ttsta tt, die sonst in ih re r einfachsten Form ein schlechtes B re tte rg e rü st (ahd. p ettib ret) w ar, w ird uns aus dem Benedictionale S. A ethelwoldi vorge­

fü h rt (S. 111), so w # sp äter (S. 265) eine wundervolle B e tts ta tt m it F lachschnitzerei und gewölbtem Halbhimmel aus dem historischen Museum zu B asel, auch drei L euchter aus den G räberfunden (4.— 8. J a h rh .), sowie ein b e w u n d e rn sw e rte r K erzenhalter (kerzistal) aus demselben Benedictionale A ethel­

woldi.

Das Bild eines echten B auernhauses des M ittelalters in ­ m itten eines ländlichen F estes, sowie ein D orfw irthshaus m it Strohdach und ausgestecktem K ranz, seitlich m it Ziehbrunnen (S. 163), v erse tzt uns ganz in jene Zeit, ebenso die Abbildung eines Dorfes nach H ans Schäuffelin, w ährend das B ü rg erh au s der späteren Z eit und in ihm besonders das Leben au f der Hausdiele durch A. D ü re r’s Bild „G eburt der M aria“ uns in seiner M annichfaltigkeit nnd doch w ieder geschlossenen E inheit in dem G rundriss eines alten B ürgerhauses zu N aum burg a. S.

m it der E in te ilu n g der Seiten- und H intergebäude entgegen­

t r i t t (S. 215 und 223). Auch die T hüren und Thürschlösser w erden sehr instru k tiv veranschaulicht, so z. B_ durch das vom Verf. selbst aufgenommene B ild der T h ü r an der K irche z a Zorbau bei W eissenfels, durch die H a u s t ü r m it B eschlägen im 13. Ja h rh u n d e rt aus der B erliner H andschrift von W ernhers M aria, durch Abbildung eines Schlosses von ca. 1370 an einer T h ü r im R athhause zu G öttingen, sowie m ittelalterlich er Holz-

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