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Die Zukunft, 20. September, Jahrg. XXVII, Bd. 106, Nr 50.

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(1)

X X V T I Jahrg. Berlin, den 2^. September 1919 Nr. 50

ukunft

Herausgeber

Maximilian Harden

INHALT

Seite

W eltkrieg und Technik. Von H e r m a n n S ta u d in g e r . . . 341 Sokrates. Von K o n s ta n tin B r u n n e r . . ... 347 Selbstanzeigen. Von P in n e r , B e n n , H a s e n c le v e r , B lü h e r ,

K a h n , L ö w y * C le v e , K la b u n d . ... 358 Tantalos. Von M ic h a e l G r u s e m a n n ... 371 Krieg und Unterrichtsreform . Von E r n s t v o n A s t e r . . . 374

Nachdruck verboten

E r s c h e in t je d e n S o n n a b e n d

Preis vierteljährlich* 10,— Mk-, das einzelne Heft 1,— Mk.

BERLIN

V e rlag der Zukunft

Großbeerenstraße 67 1919

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1. R z s ., Berlin W, Teuentzlenstr. 3 (a. W itten b erg p latz). T eleph. Steinp’l 9-168

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Berlin, den 20. September 1919

Weltkrieg und Technik

T ^ e r «Zweck dieses Aufsatzes ist, zu zeigen, daß die ßehaup- tung, D eutschland habe den Krieg durch Unglückszufall verloren, unrichtig ist, daß das deutsche Heer von einer furch t­

baren U eberm acht erschlagen und erdrückt wurde und daß auch das größte Feldherrntalent das G eschick nicht m ehr a b ­ wenden konnte. D er ungeheure Krieg d arf nicht mit M aß­

stäben vergangener Zeiten gemessen werden. Hier tobten sich zum ersten Mal neue, überm enschliche Kräfte au s; und wenn man das Auswirken dieser Kräfte betrachtet, so erscheint der Kriegsverlauf und das Kriegsende als von Gesetz bestimmt.

D ie letzten Jahrzehnte haben auf allen Gebieten tiefgrei­

fende Umwälzungen gebrach t; durch die Erfindungen der Technik und der Chemie, durch die Flugzeuge und G iftgase ist auch der Krieg furchtbarer denn je geworden. D ie grund­

legende Veränderung besteht aber darin, daß seit einigen Ja h r ­ zehnten in der Kohle und im Erdöl Kraftquellen von unge­

heurer G röße ausgenutzt werden. Hinter uns liegt die energie­

arme Zeit. Noch unsere Väter waren im W esentlichen auf ihrer Hände Arbeit angewiesen. Jetzt übersteigen die durch die Technik entfesselten Kräfte thurm hoch die m enschlichen. Die in D eutschland im Jah r 1912 gewonnene Kohle (256 Millionen Tonnen) kann einer Arbeitm enge von 79 Millionen Pferdekraft- Jah ren gleichgesetzt w erden; jeder Bew ohner hatte also unge­

fähr eine PferdeSkraft zur Verfügung. U eber noch größere Ener­

gien gebieten England und Amerika, während die anderen L än­

der viel weniger Kohle produziren und schon deshalb als In-

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3 4 2 Die Zukunft

dustriieländer neben den drei genannten kaum in B etra ch t kommen. D iese neuen Kräfte tobten im Kriege gegen einander und gaben ihm sein Riesenmaß. In der Zeit der napoleorii-- sehen Kriege fielen diese technischen Energien überhaupt nicht ins G ew icht. Im Ja h r 1870 besaß D eutschland durch die K ohle 6,7 M illionen P ferd ekräfte; 1914 verfügten die C entralm ächte

•über ungefähr 92 Millionen P ferdekraft-Jahre. D ie G esam m t- menge der durch Kohle gewonnenen Energie kann au f 4 6 0 Millionen P ferd ek raft-Jahre geschätzt werden.

D ie Kohle erm öglicht eine starke Steigerung der Eisenpro­

duktion. D ie M enge des gewonnenen Roheisens hat sich w äh­

rend der letzten hundert Jah re verhundertfacht. D ie Haupt­

länder der Eisenproduktion sind wieder die Vereinigten S taa­

ten, England und D eutschland. Um größere Eisenm engen lie­

fern zu können, muß mehr Kohle verkokt w erden; und dam it wird auch m ehr Ammoniak und T h eer gewonnen, Beides A us­

gangsm aterialien zur D arstellung von modernen Sprengstoffen.

Kohle, Eisen und Sprengstoff-Fabrikation bedingen einander also; und nur die drei genannten Länder haben die M öglich­

keit, diese Stoffe in dem ungeheuren Ausmaß 211 liefern, w ie d er K rieg sie forderte. N ur die Leistungfähigkeit dieser drei Länder konnte also die Kriegsentscheidung bestim m en; M illionen- heere ohne die nötige Bew affnung sind heute, wo Alles an Technik hängt, weniger gefährlich als je zuvor. Mir wird eingewandt werden, daß hierbei die M enschenleistung allzu gering geschätzt werde. D arauf ist zu erwidern, daß nicht tote M assen, Kohle und Eisen, die im Boden ruhen, in Rechnung­

gesetzt wurden, sondern nur die vom M enschen ausgenutzten Energien und produzirten Eisenm engen. Und zu dieser P ro ­ duktion braucht main geschulte Arbeiter und fähige Ingenieure.

Beim Beginn des Krieges war Deutschland, im V ollbesitz sei­

ner Technik, den an Volkszahl überm ächtigen Feinden weit vor­

an. D ie G entralm ächte hatten durch ihre Kohlenproduktion 92 Millionen P ferd ekraft-Jahre zur V erfügung und produzirten im Ja h r 20 Millionen Tonnen R oheisen; Frankreich, Rußland und Belgien zusammen hatten nur 35 Millionen Pferdekraft- Jah re und 11 Millionen Tonnen Roheisen. G roßbritanien, m it einer Kohlenproduktion von 98 M illionen Pferdekraft-Jahren und einer Roheisenproduktion von 9 Millionen Tonnen, kam noch kaum in B etracht, weil seine Industrie nicht sofort au f den Krieg einzustellen war. O bendrein nützte Deutschland seine Kohle viel besser aus als die übrigen Länder; es verkokte 23„

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Weltkrieg und Technik 3 4 3 Frankreich, England und Amerika nur 10 Prozent der Kohle.

Die technischen Chancen des Krieges waren zuerst also auf deutscher Seite. D er hartnäckige W iderstand der Belgier hielt Deutschland so lange auf, daß die Besetzung der Kanalküste und die A bsperrung von G roßbritanien nicht m ehr möglich war.

Die Franzosen sind im Recht, wenn sie d as W under an der Marne preisen. D a war die deutsche M ilitärrechnung falsch.

Nach den ersten gewaltigen Kämpfen waren beide G egner erschöpft. Beide litten unter M aterialmangel. Nun widmete sich die englische wie die deutsche Industrie ganz dem Krieg.

D ie deutsche Industrie hätte sich aber der Heeresleitung nicht so völlig hinzugeben verm ocht, wenn n icht die englische Blockade D eutschland vom W elthandel ausgeschlossen und seine Industriellen vor die W ahl gestellt hätte, ihre Betriebe stillzulegen oder Kriegsmaterial zu liefern. D ie blühende E x­

portindustrie und der Handel D eutschlands hätten vielleicht, wäre die W elt ihnen offen geblieben, die Reichsleitung auf andere W ege zum Frieden gedrängt, nachdem der erste Schlag mißlungen war. E rst durch die Blockade wurde D eutschland zu einer großen W affenfabrik; und nun erst war die völlige Mili—

tarisirung D eutschlands m öglich. D as vom W elthandel abg e­

schlossene Land wäre trotzdem verloren gewesen, wenn nicht das letzte Jah rzehnt Erfindungen g ebracht hätte, die ihm e r­

möglichten, den zur M unitionherstellung fehlenden Chilesalpeter durch Produkte zu ersetzen, die aus Luftstickstoff nach H abers Verfahren oder aus dem Stickstoff der Kohle gewonnen wur­

den. V or dem Krieg führte D eutschland 800 0 00 Tonnen C hile­

salpeter ein (das Meiste zu D üngezw ecken); die Menge der aus Luftstickstoff hergestellten Produkte war gering. Im Lauf des Krieges wurde deren Herstellung aber so gesteigert, daß die Produktion im letzten Ja h r einer Menge von 2,5 Millionen T o n ­ nen Salpeter gleichgesetzt werden kann. Im Krieg wurden täg­

lich auf beiden Seiten Hunderte von Eisenbahnw agen voll Mu­

nition gebraucht. D iese Leistung war Deutschland nur durch die neuen V erfahren, England und Amerika durch die unbe­

schränkte Ausnutzung der C hile-Salpeterlager möglich.

V on 1915 bis 17 konnte D eutschland schw ächere G egner angreifen, Serbien und Rumänien niederwerfen und in Ruß­

land Siege erringen. Rußland war, trotz seinem M illionenheer, nicht zu langem W iderstand fähig. Seine Roheisenerzeugung b e­

trug vor dem Krieg ungefähr ein Fünftel, seine Kohlenproduk­

tion ein Siebentel der deutschem; deshalb konnten seine Heere nie­

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3 4 4 Die Zukunft

m als die starke W affnung der deutschen erreichen und blieben von England und Am erika abhängig. W er Rußland die stärkste M ilitärm acht Europas nannte, sprach ein längst veraltetes U r­

theil aus und ahnte nicht einmal die Bedeutung m oderner T e ch ­ nik und Chem ie für den K rieg von heute. N ach der E ntkräf­

tung Rußlands war noch der Schlag gegen Italien m öglich.

D essen Koh'enproduktion ist sehr g ering: 0,7 Millionen T o n ­ nen = 0,3 Millionen. P ferd ekraft-Jahre; und die Roheisenpro­

duktion ganz unerheblich (0,4 Millionen Tonnen). Italien war also ganz auf Amerika und England angew iesen. Solche Siege über schw ächere G egner erm öglichten der deutschen Regirung, das Vertrauen des Volkes immer wach zu erh alten ; für dieses Volk aber waren sie ein Verhängniß, d a sie die wahre W eltlage dem Blick verschleierten.

D ie Entente konnte viel schw erer die verwundbaren Stellen des G egners treffen. D er technisch nicht leistungfähige O rient war so fern, daß man dorthin nicht rasch und unvermerkt, zu einem plötzlichen Schlag, große Kräfte werfen konnte. Nur auf Italiens Boden wäre eine B edrohung des relativ schw achen O esterreichs möglich gew esen; diese M öglichkeit wurde, viel­

leicht wegen des italio-serbischen Interessengegensatzes, nicht kräftig genug ausgenutzt. D ie Entente war in schlimm er Lage, weil die deutsche Invasion starke Heere in Frankreich fest­

hielt, das gegen weiteres Vordringen geschützt werden mußte.

D och bis zum Eintritt Amerikas standen einander technisch fast gleich starke G egner, D eutschland und England, gegen­

über. D ie Fronten konnten auf beiden Seiten mit ungefähr der selben M unitionmenge gespeist werden. In den ersten K riegs­

jahren haben diese G egner sich denn auch nie zu entschei­

dendem Kam pf getroffen.

D ie Lage änderte sich völlig, als Amerika in den Krieg trat.

D ie Vereinigten Staaten förderten 1912 fast ums Doppelte mehr Kohlen als D eutschland; sie hatten 179 Millionen Pferdekraft- Jah re. D ie Ausnutzung der Kohle wurde während des Krieges so verbessert, daß die Rohstoffe für Sprengm ittel immer in Fülle vorhanden waren. D ie Salpetereinfuhr stieg von einer halben Million Tonnen (1910) auf über 2 Mlljionen (1918).

D ie R oheisen- und Stahlproduktion lieferte :v;hon vor dem Krieg 30 Millionen Tonnen, wurde dann noch beträchtlich' e r­

höht und die Vereinigten Staaten hatten so viel Eisen wie die ganze Alte W elt. D iese technische M acht stellte Am erika in den D ienst des Krieges. N ach Rußlands Ausscheiden stand nun

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Weltkrieg und Technik 345

den Centralm ächten ein Feind gegenüber, der über die drei­

fache Zahl von Pferdekraft-Jahren verfügte und in dessen Lager m ehr als die doppelten Eisenmengen produzirt wurden.

Noch im Frü h jah r 1918 gelang dem deutschen G eneralstab ein ' Schlag gegen Frankreich und England. Auch half die große Beute auf dem italischen Kriegsschauplatz im H erbst 1917 (2800 Kanonen, 3000 M aschinengew ehre) und der rasche, un­

blutige Gewinn von Kriegsm aterial in Rußland im Februar 1918 (4381 G eschütze, 9490 M aschinengew ehre) D eutschland noch einmal in U eberlegenheit. Nur selten tauchte auf deutscher Seite die bange Frage auf, ob nicht gerade diese Siege das Ende des Krieges ins Ungew isse, hinausschieben würden, da Frank­

reich. vielleicht sogar England zum N achgeben gezwungen;

werden könnte, nie aber Amerika zu besiegen sei und selbst d as siegreiche D eutschland sich schließlich mit diesem G egner ver­

ständigen müßte.

D er Ju li 1918 brachte die Schicksalsw ende. D ie letzten Kraftanstrengungen hatten selbst gegen Frankreich nicht zu entscheidenden Schlägen ausgereicht, aber die Am erikaner zu schnellster Hilfeleistung gespornt. Nun wurde die U eberm acht der Entente offenbar. Niederlage folgte auf N iederlage; und der Todesstoß traf die schw ächste Stelle, im O sten, dessen B ed arf an W affen und Munition nicht mehr zu decken war, als die W estfront, zum Schutz der Heimath, alle Kräfte an sich zog.

D er W affenstillstand im W esten wurde noch in der letzten irgendwie günstigen Stunde abgeschlossen; denn später w äre eine entscheidende m ilitärische Niederlage auch bei zähstem W i­

derstand der Truppen unvermeidbar gewesen.

Verhängnißvoll für das deutsche V olk war nur das Zusam ­ mentreffen der Revolution m it der Niederlage. Denn wir sehen schon heute die Anhänger des alten H errschaftsystem s der Re­

volution, „dem Versagen der H eim ath", die Schuld an der Nie­

derlage zuschreiben und hören sie prahlen, das Heer und d es­

sen Leitung hätten noch Jah re lang das Vaterland zu schützen vermocht. Dem gegenüber kann nicht laut genug betont wer­

den, daß die deutsche Politik, die ja in den letzten Jahren im:

W esentlichen von den militärischen Führern bestim m t wurde, die Niederlage verschuldet hat. Als Amerika in den Krieg eintrat, im F rüh jah r 1917, nicht im H erbst 1918, wurde über das G eschick D eutschlands entschieden.

M einer Auffassung wird entgegnet, die sittlichen Kräfte seien schließlich die entscheidenden; die W elt werde von Ideen ge-

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3 4 6 Die Zukunft

leitet und alles G eschehen wäre sinnlos, wenn der Lauf der G esch ich te von der M enge des Eisens und der G röße der M u­

nition bestim m t würde. Und doch geben im modernen Krieg die M aterialmengen den A usschlag, wenn der Aufm arsch der G egner beendet ist. Bei der Scheidung der Lager sind dann die m oralischen Kräfte die w ichtigsten. So bewirkte die Politik und d as Verhalten der deutschen Regirung, daß England und Am erika sich waffneten, ihre bisher Friedensarbeit leistenden Energien gegen D eutschland wandten und daß die ganze W elt, endlich sogar das eigene V olk gegen diese Regirung aufstand.

H ätte nur D eutschland die modernste Technik besessen, allein Kohle und Eisen in Fülle gehabt, so hätte den Ansturm deutscher W affen auch die ganze W elt nicht aufgehalten.

Solcher Sieg ist heute keinem europäischen Volk m ehr beschie- den. D ie Kraft Amerikas ist so ungeheuer, daß selbst ein g e­

eintes Europa dagegen kaum den Kam pf wagen könnte. V er- hängnißvoll war, daß D eutschland, das, nach seiner Lage und nach seinen Bodenschätzen, ganz auf eine Politik der V öiker- versöhnung hingewiesen ist, fest auf die Politik der gepanzer­

ten Faust vertraute, während Amerika, das einzige Land, dem sein Reichthum solche Politik erlauben würde, die Völkerver­

ständigung erstrebte.

Im G espräch mit einem deutschen Freund suchte ich die furchtbare W irkung der deutschen Politik au f das Ansehen der deutschajp Nation durch ein Bild verständlich zu machen. D as deutsche Volk, sagte ich, kommt mir vor wie die Besatzung eines M usterschiffes, die treu und pünktlich, Jed er an seiner Stelle, schafft; aber Kapitän und Steuerm ann steuern falschen Kurs und führen das Sch iff in gefährlichen Kampf, der alle Kräfte noch m ehr anspannt und die Augen der überlasteten M ann­

schaft von den Schiffsführern abw endet, deren Unheil zeu­

gende Fehler viel zu spät erst erkannt werden. Sind in der M annschaft Kräfte, die das Steuer meistern, das sturmfeste Sch iff retten können?

Zürich. Professor Dr. H e r m a n n S t a u d i n g e r.

(9)

Sokrates 3 4 7

6ofrate3

ctft bic ^pf)i[ofoj>f)eTt 3uü>eüen bon ben Zünftlern, bon ihren frönen geflügelten ‘Srübent, am <2Denigftcn berftanben, tooljl

^gar am ^lergftert mifoberftanben toerben, muß, £Jeber berhäng*

mfrbolleg Unglüdf beflagen, bem ftcf> erfcfyloffen ^at bie 'SBefengber»

toanbtfchaft ätoifdjen &unft unb ^3^itofopF)ie unb bie baFjer unb aug bem Söergalten ber ^lllgemein^eit fidf) ergebenb'e t2Xotf)tcenbtg=

Jeit beg 3wfammenfte^en§ öon Zünftlern unb ^ ilo fo p ^ en („3u*

funft“ 1916, §eft 45). "Söag irgenb getrau toerben fann, follte (jethan toerben, bie Zünftler über ben <2öerth auf3uflären, toeldf^n -ftenntniß. ber ^ ilo fo p ^ ie unb ber ^Fjilofop^ert gerabe für fie, für bie Zünftler, befi^t. “ittuch ©ofrateg, an bem Don ber gebilbeten eiligemeinF)eit unb bon einem 3>i<f>ter feiner 3eit fo ferner ge=

fünbigt tourbe, f>at nodf) nidf)t lebenbige “Sebeutung für bie &ünft*

ler, toie er für fie fyaben müßte. <£r matßjtei fie haben für alle geiftigen ‘2Henfdf>en; bie ja nidf>t nur bie großen ©eiftegtoerfe in fich aufnehmen follen, fonbern auch bie großen fchöpfertfdfjen ‘ißer*

fönlid£)f eiten [elfter. © ie müffen biefe ©roßen unb ©roßten, ihre Erfahrungen, ihre Kämpfe, ihre © tärfe in fidf) leben laffen unb* für bag eigene fieften nü^en. 3)enn ba ift ta g redete ßeften iljreg ßefteng bor ihnen unb bie redete $ ra ft: bie Straft 3ur (Erlöfung. bom Hebel unb 3ur (Ertragung ber liebten. 5>a ift ‘üterganjgenfjeit, ©e=

^entoart, Sufunft. Unb je bertoanbter fie fid) toiffen mit ftebeuten=

ben gefdf)ichtlichen Naturen, befto flarer erfennen fie bie 3üge beg

^5 <f)i(JfaI§, toelcheg für fie fidf) erfüllen muß, äEjnlidf) toie für jene.

SOXit einem ©ophiften hatte bie gebilbete 3eitgenoffenfcf)iaft s2lt^en§ ben ©ofrateg bertoechfelt: ben fo gan3 anberen ©ofrateg, ber immer bon ‘üUIem überseugt toar, mag er fagte, immer bag iTtämlicfK toieberholenb über bag ‘SXamliche; ber nur that, toa§

ihn bag f)öd)ft ©ute bünfte; unb bie 3af)?taufenbe ber ^tac^toelt

^aben bag £ob feineg Sf)ung gefcljrieften unb boch nid£>tg babon*

■genommen unb nidf>tg ^iix3xtgefe^t. ‘üöie toar nur fotd£>e ‘Ber»

toecftfelung möglich gegenüber einem © ofrateg; toie toar 3)ag ;nög=

üdf) für einen ‘Slriftophcweg, für ben edfjiten Zünftler oon hoher

©eete, baß er ben ©ofrateg einen ©ophiften unb ‘2Iterimnopfjr,Dn=

tiften, einen ©orgengrübler, nennen fonnte?

Wahrlich ein anberer 'SItann alg ein ©opftift toar btefer ©o*

Jrateg, ber bie ‘Ktenge, boran bie ©ebitbeten, für nicht gut genug unb für unbenfenb hielt unb mit <2öenigen nur umgehen mochte, tro^bem aber Sllte beffer su machen, 3ur (Ertoecfung, 3ur ©elbft*

«rfenntniß, 3ur ©elbftrechenfchaft ju bringen alg fein grofteg unb

(10)

3 4 8 Die Zukunft

ein3igeg ßebenggefcfyäft betrachtete, ‘üle^nlid^i toie (Efjriftug be&

‘’öolFeg ‘JTatur mat)rlidf> fannte unb bennocf) bem s33oIFe prebigte.

(£g fcfjeint, aucf) bie ©röfjten feilten nach ihrer ^enntnifr ber idjetrnidjt auch ^attbeln, fo feljr gerabe gegen fie bie <22tenfdE>en banad) ^anbelten, toie fie bon ifjnen geFannt toaren. 0 ie toaren aber bon ifjnen geFannt unb geliebt; 3>iag f)eifot: fie touftten, toie fie finb, unb bergaften immer neu, bag, fie finb, tote fie rnüffen fein unb bleiben. I2in allen öffentlichen Orten, in ben ©tjmnafun, in ben fa lle n , auf bem ‘JHarFt banb ©oFrateg p^ilofop^ifdE). an mit Sebent, ber iljm in ben “5öeg Farn, übte treulief) unb tiebebolF feine geiftige §ebammenFunft bei 6opf)i|ten, bet Staatsm ännern,, bei Zünftlern, bei §anbtoerFern, bei ©Flaben; bei ©dE>ön unb- Qäfcüch, bei Qung unb “sUIt, bei £ang unb &ur3. (Er berftanb mit beifpieüofer ^äbagogiF fitf> “sUIIen gleicfföufe^en, bamit fidfji in \it hinein unb fie aug fidf) !)inaug 3u immer ‘SSefferen. (Er toolltc beffer machen baburch, bafr er fefte ‘©egrifflicfjFeit unb ‘Jöiffen, toiffenfchaftUch toefentlicheg *2Öiffen il)jaen aug ihrem gnnerften herauggebären tjalf unb entfcf)nitt unb für fie augtrug unb gebar;

er machte fie in fidE) fefber blicFen, ivafr fie bur|ch if>n erft recht eigentlich tourten, toag fie tourten C2Diffen beg <2Biffeng), ober er braute fic 3um (Eingeftänbnift if>re§ ^ichttotffeng (R iffe n biz

<2ücf}ttiuffeng, alfo iE)reS <5Xi<f)itt> er ft etjenS, too fie nicht Perftanben, ftatt beg argen “2Baf)neg, fie Perftünben boch). (Er bef<f>cunte ©e- banFenlofigFeit unb 3>üuFel, betoegte mit feiner ‘’Rebe bi§ 3um i>er3pod)en unb big 31t S^ränen unb big 3um ©tauben, ba§, e^

nicht lohnte, 3U leben, toenn man blieb, toie man toar. ©0 30g, er, bie fid) 3ief)en liefen, freilich nicht fel)r Söiele (unb bon ihnen, toanbte nodf) ^Hancher fid} toieber ab, fo fe^r er anfangg if)tn nacl)=

geftürmt toar); aber in ben Wenigen erregte er ben SÖahrljeitg«*

trieb, ben ‘Jöillen, aug bem berborgenen Qnnerften bie <2Bahrf)2it 3u fdfjöpfen, too fie ein3ig unb getoiß, gefunben toerben Fann, unb ber ginfternig unb ftnechtfchaft fid)' 3U entreißen, ‘ißUt biefer SEöeife- ber ©eelenertoecFung ^öd^ft unähnlich (EFjrifto, mit biefer ©eelc:>

ertoedung aber toahrlich eben fo t)ö<f>ft unähnlich auch ben ©0=

pl^iften: bie mit ifjren P o rte n an foldje (ErtoecFung nicht badeten;

oon benen bie ©prache mißbraucht tourbe, um bie begriffe 3U oertoirbeln unb 3U 3erftören; bie entgegengefetjte ‘^Behauptungen für gleich toafjr erFlärten; Feinen (Ernft Fannten, mit bem fie uifyt fpielten, ben fie nicht toieber „übertoanben“, unb bie an ©teile ber wahren (ErFenntnify unb beg ©etoiffeng bie gan3e <2BirFlid>Feit in fubjeFtiben ©<f)ein Pertoanbelten unb bag “Recht beg ©tärFeren proFlamirten. (Slöie ‘JUetjfcfje ober Pielmeljr toie ber ©opfnft SMa®

(11)

Sokrates 3 4 9

Eleg in SBIatong ©orgiag. “iöXan lefe spiaton (Werfer) opp. 483, 484.

Stallifleg f>at ® a§ rtid^it bon <3lie£fcf)ie abgefcfjirieben, toelcfyer ©opfjift

’ülie^fd^e natürlich, in biefem fü n fte fonfequent, alg ein ^etnb be&

©otrateg fidf) äußern mußte.) ©o unäFmlidfji einem ©op^iften toie ber £>unb bem ‘Söolfe, jagt P laton , ber für ©ofrateg bag Selbe ge*

tf>an Fiat, toag ^au lu g für (Eljriftug tf)at. 3 n biefem, if>rem I)aupt«

fädfjlidf>en Sfjun g le ite n einanber *ipiaton unb ^aulug, toie ©o«

frateg unb (Efjriftug felber gleid^i finb in einer getoaltigen Qaupt*

fadf)e: <Sf>riftug f)ielt alle <22lenfd£jen ofyne ‘Jlugrtafyme für ©ünber uttb tooirtc 3um ©uten, ©ofrateg Ijielt alle <2Itenfdf)en ofjne ^lug*

naf>mc für unbenfenb unb toollte jum 3)enfen ertoecfen, toomtt ofme gtoeifel, aug ber ©etoifrljeit unb SöoIImad^t beg ‘JÖaljren unb

©uteu in ifynen felber, SBeibe toefentlicf> bag ©elbe toollten; benn bem ©ofrateg mar bag ©ute ober bie Sugenb ein 3>enfen. ‘Jtun f)aben freilief) ©ofrateg unb <£f)riftug bie <2Ztenfcf)i!jeit nicfyt ber- uxmbelt: aber bauten fie benu b aran ? *ülud^i Gljriftug badete barau nicfjt. ^ZBüg er ber C22tenfcf)if)eit geben fonnte, toar nicfyt

<£f)riftentf)um, fonbern (Efjriftug (bie ^Bergprebigt ift CHjriftug); unb nic^t anberg mit ©ofrateg. ‘JÖie toenig ‘SIticfyelangelo unb ©f)afe®

fpeare borfyatten, 3um ©Raffen bon $öerf gleich iljrem eigenen s7Öerf alle <2!Ztenfcf)ien empor3ubringen: eben fo toenig toollten ©o»

ftateg ober (£f>riftu8 alle '^tenfdfjen in T r ifte n ober ©ofratefje umtoanbeln. ‘SBerf toaren fie felber, fie Ratten fein SlBerf glei<f>

sÜTid)eIange[o unb ©Ijafefpeare: ü)r Slju n unb iFire “Rebe toar ü)r '•TOerf, toomit fie in bie wenigen bertoanbten ©emüt^er einen

©tadjel toarfen; übrigeng Ratten fie eine ‘Slteinung über bie '7Itenfd>I)eit, aber nicf>t ben 'SÖaljn, bie ‘SHenfcfyljeit 3u erlöfen. 3 ft man nun aber, toeil biefer ungeheure “JÖafm ifjnen angebicfytet tourci’. unb natürlich bie “Sttenfcfjiljeit blieb, toie fie getoefen, ift man begfyalb- berechtigt, 3u fagen, bafr fie mit ifyrer M einung bon ber t2Henfcf>f)eit im Qrrtljum toarett ? 3)ieg ift ber ‘ißunft, auf ben eg anfommt: nur eben biefe iljre “SHeinung bon ber <2Henfd)f)eit.

darüber f>at man nodf) niefjt nacfygebacfjit, toenn man bei ber all®

gemeinen ©dfjulbigfeit ber <2HenfdE)ien fi<f)i ben tF)eoIogif<f)en Aber­

glauben, ben ApfelMfo im ^arabieg unb bie Qualen ber 0 ölle, ober toenn man bei bem fofratifcfjen altgemeinen ‘2Xi$itbenfen unb ‘33erfeljrtbenFen fid^ ben 3^ftanb ber ©teine ober bie S o 11=

f>äugler borfülyrt. Unb toir follten bod) toofyl barüber nadEjbenfen, in tiefftem, letztem (Ernft. ‘üöem fommt 3u, in ben ‘üöinb 3u fcf)Ia=

gen, toag ben ^lannern beg flarften ©eifteg unb ^eiligften §er3en§

uidE)tg ©eringereg getoefen a[g ©runb unb ‘Söursel ber lieber«

3eugung unb bag ßebengtoerf, tooran fie fid^ 3u Sobe gelehrt

(12)

350 Die Zukunft.

$afcen! 3 n ben <Semeinfcf)<aften unb in ber (Sefcf),icf)te ber ‘2ltenfd>=

f>ett wdre biet auf einfache QBeife erflart, wenn am <£nbe bodf) Mefe größten ^Henfdfjen “3led^t f)aben follten; fo feltfam fie mit ifjren Behauptungen Serien borfommen mögen, über bie fie be=

Raupten —, bielleicfyt: eben weil fie mit ‘Recftf behaupten.

S in feltfamer ‘iltann, biefer ©ofm te3. 3>ag ßadfjen war itt

^Ut^en nidf>t tfjeuer, an allen (Ecfen la s te n über if>n bie ^ttfiener;

unb faf>en bodf) balb, baßj fie nicfyt au§famen mit ßacfjen. <£in feltfamer ‘2Itenfcf> mar ©ofrnteS fdEjon bon außen, ber B a r f u ß gefyer m it feinen trielen ^öunberlidEjfeiten, ber ß la^fopf unter allen ben fdfjöngelocften ^Id^aiern, ein ungriecfyifcf), ein unmenfdE>Iicf>

f)iä-g,lid^!er £2Henfdfy. ©ilenf)aft f)äß.lid£)i: mit §angebaudf), breiten

©dbultern, ®af)Ifopf alfo, groß*bi<fem ‘iölunbe, aufgeworfenen £ip=

pen, eingebrücfter 6tülpnafe, ftieren ©lot^augen. ‘öerfdfjiloffen frei*

U<f) in biefeg nur umgetjjane ©üengefydufe ein ©ott unb gewal=

tiger, nicf)t£> weniger al8 filenifdfjjer (Erotifer; ber aud£)i mit fo wunberljaft fie ergebe über unb läuternber (Setoalt erotifdE)pbdmo«

nifcf) auf fcf>öne Jü n g lin g e toirfte*). ^Idtfjfelftaft muß,te er am R eifte n ben (Sebilbeten erfdfjeinen, ben einfeitig fo 33 efcljr duften, baß, fie, außer ©taube, bon fieiner Ju lie unb feinem ba§ <1111*

gemeine umfaffenben © inn 3U lernen, if)n nur für einen Heber*

mäßigen, Zlnbanbigen, ftarrfinnig Hngered^ten gegen bie ü>af>r«

J^aft großen Oeifter (bon einigen weiß man fogar nodE) bie ‘JXamen:

öurcl) © ofrate§; gewöljnlidfji werben bie wafjrfyaft großen Oeifter ber 3 eiten, wie aucij wofjl bie unferer 3 mitfammt ben ‘Jtamen, feljr fcfynell bergeffen), baß, fie if>n nur für einen ejtrem wunber=

*) 3>aß audE) © ofrateg, ber (ErotiFer, tote er fief^ jelber nannte, über feböne Knaben gefprocfyen bat, toie er über Xantippe nidfjt gesprochen -bat, bängt mit jenem fpe3iftfcf) ^eltenifc^en 3ujammen, bem m an bon unferem ©tanborte, ber ung burebaug etoig men)*dbltcb=natürlicb, nnab=

bängtg bon aller SBeränberung in ‘R au m unb S e it erfebeint, nidE>t tooljl beifom men unb nu r ge3toungen, m it Meibenbem ‘Söiberftreben, geredet toerben Fann. 3>a3u toäre biel 3U fagen, befonberg über bag1 ^ crb ä ltn iß ber finnlicben (Empftnbung 3ur t$efdf)IecbtttcbFett, bentnäcbft natürlich über bag unter O r te te n fo gän3,Itdf)i anberie <25erbältntß beg SJTtannes 3um SlDeibe; bie “üJerfcbiebenbeit fpringt fdf>on grell in bte "ilugen, toenn man unferc unb bte griedfjilcbe ^Hanner* unb ‘^Oeiberfleibintg bergleid^t.

©ctotß ift nun einm al, baß bte beften ©riecben bei ber Sfrtabemliebe empfanben, toie unter ung bte h eften unb ©efuijtben nur bei ber

^rauenltebc empfinben, unb eben fo getotß, toenu m an nidfjt bie gtanb=

toürbigften 3eugnif)e bertoirft ober berbrebt, baß aud^ © ofrateg bon rfinnlidjer (Empfinbung S^naben gegenüber Feinegtoegg frei War. ©inn=

(13)

Sokrates 351 liefen unb enblicf) gar für einen unreblicfyen unö b erber blidEj*eu 'Sllann 31t hatten bermocijiten. © 0 alfo üntrbe bon ihnen ber toaljT*

üdE) große Unterfcf)ieb 3ürifd)en ©ofrate§ unb ben ©ophiften ge»

fehen: ©ofrateg fdfjlecfyter aI8 bie ©ophiften. Unb bie ©ophiften felber, bic ©ebübetften ber 3 e ü unb Vertreter ber Gilbung, unter benen hanptfäcijilicf) jene ti>af)rf)aft großen (Seifter 3u jinben toaren, ' nun, SHe rebeten ja fo fd>ön unb betäubten ftd^i mit if)rer ©cfyön»

heit, ba§, fie unmöglich fpüren Fonnten, ürie biel fcfjjöner ©ofrateS rebete, bem (Ernft unb ©cf;ier3 toie ©dhtbeftem bon ben Sippen gingen; unb ba fie mit if)rem “öerftanbe fd>nell ‘SllleS öerftanben:

toie fonnten fie jentalg ben ©ofrate§ berftehen ?

©ofrateg toar altbäterifcfj unb revolutionär (je nachdem er

"bem “bleuen ober bem ‘Eliten bag ©ute t>or3og); fittenftreng unb aud> frei, oljne biel naef). bem llrth eilZ u b erer 3U fragen; gütig unb uutbirfcf) ; gebulbig,fd>onfam, gefelüg unb toieberunt ftörrifd), rürf»

ficf)tlog, fpöttifdE), ftreitluftig; bon toeifer “Sefonnenheit bei äufoer*

fter *iRei3barfeit unb 53rennbarfeit ber ‘Statur; ein ©dfjtt>eiger unb ein ©dfjtoätjer; eben fo befcfyeiben toie felbftbeümfrt; mäßig unb fonnte, mit 'ülnberen, audEji untnäftig fein (Fonnte: er toar im Srin«

Fen ni<f)t 3u befiegen); ernft uub machte fidfji sum D arren unb

§afelanten, “üllleg naef) ber Gelegenheit, unb je nadhbem e§ bie

‘ülnberen in ihm hertwbringen. ©0 (Einen follen toofyl bie Qln*

Oberen oft unerträglich unb unberechenbar finben; ba fie niemals Steffen fiel) b^tbufct toerben, toa8 fie felber bei ihm anridfjiten unb W03U i^re ltnfehfbarfeit ifyn reifen muß,; fie toiffeit nicht, am

<2Benigfteri Fennen fie fid^ al§ llrfacfje berijängnifjpoller ‘2BtrFun=

liehe fimpfinbun<* ift aber noch nid^t gejchlechtlicbe ^ ethätigung unb toar ertoa» “Slnbereg in 0ofrate3 alg in ‘S ln foren : bic (Srunblage bet ‘Jreu w b - fchaft, ber pbilofopbifchen ^reunbfehaft, ber fdhaffenben, 0e elen bitben=

ben, in bem ©terblichen bag (Etoige er3eugenben £iebe3Fraft; eg Fam 3U jen.er 0 p an n u n g ber ©egenfätje geiftiger Söefimtung unb relativen 3>en«

Feng, toeiche tote ein 2lu§gletdh unb eine ‘iBerföhnumg empfunben toirb, eg Fam 3ur feligen (Erfüllung heg1 relatiben Setoufttfeing m it bem absoluten Su b alt. Heber bag erhältniß ber irbtfehen. Ctebe 3ur hoben geiftigen £iebe fei au f bie „ßebre bon ben ©eiftigen unb bom ‘üolFe“

(0. S O I) bertoiefen nnb 3U bem bort dvefagten noch- an bic fotgeoxbe Shat=

lache erinnert. 3>cr brüufttg fromme unb heilige £ji)mnug,, toanachi heute gefungen toirb: „O §a u p t boll 93tut unb ‘SÖunben“ nnb , b efie h l 3>u 3)eine “Söege“ ift urfprünglich ein £iebe§lieb getoefen: § a n § Ceo Sjajjlerg

^.^Hein '@’müth ift m ir bertoirret, 3)ag madf)! ein <3Hiägbletn j a r t ! “ Ohne 3>ag 3'u totffen, Fann m an 3toetföln, ba& ber ^t)minug bem Shartgm a beg hoben A m o r D e i entftrömt fe i? 3>ag ift er au<f> unb toabrlidj) Fein

^Icifdhgefang. 3>arum fprtd^t bag ^Beifpiel biefeg1 ßiebeg ber ßiebe.

(14)

3 5 2 Die Zukunft

gen. ©o toeit aug ficf) toeg in bag Slllgemeine ficf)i ju erf>eben, ift if)r 'iBetoufrtfein 3U fcfytoer unb if)r ‘Raum 3U eng; iljr 3etjt unb iF)r Sf)ier toirb mit all3u biel (Eitelfeit bon ifynen geliebt. ‘Slidfjt toafjr ? © je finben fonft einen Unterfd^ieb ätoifd^en Hrfacfye unb

‘Söirfung: fd^u>erIidE> aber begegnet (Eucf) (Einer, mit bem e§ nidyt in biefem befonbern g a lle fcfjtoacl) ftiinbe, unb bie ©dj>toacf)|)eit ge»

beü)t biS baljin, bag, bie gan3e ©adf)c, Ztrfadfje unb ^Dirfung, b ig ltnterfte 3U oberft fommt: fie machen bag in bem ‘Sinteren burd) fie felber ‘jßetoirfte unb feine (Segentoirfung unb macfyen alfo b:n

‘ilnberen 3ur Urfacfye iljreg 'Setrageng unb alleg Sumultg unb ltnglüd§. *2Bie toenn man ben 3>omter bie XlrfadP).e beg 'Bli^eg nennen toollte. 6 0 toenig ber liegen toeißi, baft er najj macf).t, fo toenig finb fie 3>effen fidf) betoufrt, toag fie, gan3 allein fie anrid>

ten; immer bon ‘Jteuem anricfyten mit ifjrem £>auptgebrecf>en, df>eg felbft 3u erfennen ifjnen fo unmöglich ift toie ber ©onne, ben

©d[>atten 311 Defcf>einen, ben fie toirft. ltnfcfyulbig finb fie unb ber

^öefte ift gegen fie fcfyulbig; fie toiffen, toag fie toiffen, ‘üllleS, eg giebt nidytß <2öidf>tigeg, toag fie nicjjit toüfrten unb oerftünben. ©0»

frateö aber f>att2 eine Iid>tere ©elbfterfenritnifo. (Er fannte fein SZBiffen toie fein <2Iicf>ttoiffen unb aucf> fidfji alg Itrfacfye ber *330=

gegnung, bie if)tn bafür bon ben <3Zlenfcf)ien, toie nun bie <2Zlen=- fcfyeu finb, mit ‘SXot^toenbigfeit toiberfaf>ren müffe. 3 >iefe <Einfid>t, toie fie fonft ein 3 ^ nur in bag frembe 3 $ ! erlangt, biefe über bie 'SBetoufytJjeit beg (Egoigmug IjinauggeE)enbe allerflarft objeftibe

<2öaf)rneT)muhg, toie ber 'SUnberen, fo feiner felbft unb feiner fd)toie=

rigen (Eigenheit alg Söerurfacfyung fcfyiefer unb fcfylimmer fo lg e n in ber Umgebung, biefe gan3 ungemeine unb felbftlofe (Erienntnift beg ©etbft toirb belohnt toie jebe (Erfenntnifr: mit (Slücf. 3>f)r ber=

banfte ©ofrateg bie ‘Setoa^rung feineg feelifcfyen ©leidfjmutfyeg unb feiner ^eiterfeit unb, baft er fidE) frei Ijielt bon jeglicfyer SJJer*

bitterung gegen bie ‘SKenfd^en, bie fein ©uteg liegen liefen unb, ftatt feinen 'Sefen 3U gebrauchen, bielmefjr bon ben Plärren jeben 3)recF auffjoben unb bejubelten unb bamit if)ren £3f2Xift^aufen ber«

gröfcerten. 5>a^ eg if)m unter ben ‘ülnberert fo erging, toie eg iljm erging, babon bie §älfte ber Hrfadf>e toar fein Slnbergjein. (Er fannte biefe Xtrfacije in fidf),, bie er freüicf), nicfyt abänbern fonnte nodf) toollte; im (gegentfyeil toar er unablaffig bemüht, fie 3U ndl)- ren unb 3u ftärfen.

©ofrateg erfdfjien eben fo be3aubernb toie 3urü(ffto|enb unb frembartig, 3U Seiten feelenentrücft, gegen alleg finnlicfye £eben in Stet3ücfung abtoefenb. lange ©tunben gleidj) einer ‘SBUbfäule auf einem gledf feftgetour3elt, unb bernaljm in fidf) eine bämonifdf>e

(15)

Sokrates 3 5 3

(Stimme. 'Silber er toar feineStoegg franffjaft, fonbern fcf)r gefunb unb übergefunb, überfraftboll unb überm ü tig bi§ 3um 33arocf;

gar nidf)t pFjantaftifd^, bielmeljr faltfinnig bernünftig unb nidfjt meniger bialeftifc^ birtuog unb fpitjig alg bie ©opfjiften. 3)af)er ü e S8ertoed[)felung mit if)nen; toie benn überhaupt 3 ie3 bie ©dEjulb trägt an ber ‘33ertoecf)felung be§ SBolffyaften mit bem 'Seidigen:

bajj l58eibe§ für grunbberfcfjiebene 3>enfinljalte ber g le ite n £Jor=

meit unb W örter fidf> bebient, unb toeit bag ‘’öolfljafte unb Aber*

gläubige ba8 Analogon bilbet 3um ©einigen (<33eifpiel: ba§ *2öort

©ott bei ©pino3a unb im reügiöfen Aberglauben). S ro £ aller Aef)nlicf)feit ber fopf)iftifcf)en 3 >ialeftif mit ber fofratifcf>en: toeldf)

■ein ltnterfd[)ieb 3toifcf)en ben ©opljiften unb ©ofrateg! 3 >e8 ©o»

frateg SHaleftif, ob man fie audj f)ier unb bort all3U bialeftifcf) finbet, fie nod[j SHaleftif 3u nennen, fo fictjt fie bodf> aucfy gar mandjeS “Sltal nad) ©röfrerem aug alg SHaleftif, unb fd£*toerltcf>

tourbe fie bon i^m über if)lren ©pielraum lyinaug gefpielt; er empfanb, ba£ §>ialeftif, ©feptif unb „Aufflärung“ nur antoenb«

J6ar fintf gegen bie relatiben ©ebanfen unb bie „‘EJaljrfyeiten“ beg Aberglaubens, alg bie ©elbftbernidf>tungfucijit ber g iftion en : bie

^ofitib geiftige, bie (£ine toal)rf)aftige ‘^Baifjrfjeit ftanb il)m un3er»

jtücfelt unb ungeftört bon ber ©eele.

“SHit feinem tfyeoretifcfHtyftematifcfjen ^ efu ltat (baljer er audf) nicfjt fdfjrieb unb nicfyt fdjjreiben fonnte, nidf>t fdf>reib£n burfte), je»

i)od£) mit bem praftifdjen, bafc er, ein 'i'j-o-jpyo;, ein ©elbftmacfyer, ein unbergleidfjlicf) biel originalerer <3Ead^er alg ein Schreiber (bie Sugenb toar if)m ein R iffe n unb all fein <2Biffen tparb iljm Saigenb), mit bem ‘Refultat, bafj er ber innigfte, cijarafterfeftefte, am “3Keiften in fid£> felbft ruljenbe, fitttid^i getoaltigfte unb fittlicf) folgenreiche “Sllann ©riecfjenlanbg getoorben ift. 9 f)ne baft er fdfjrieb: baburcf>, bafj er fpracfy; tro^bem benn nun biele ber ge»

fprodfjener “2Öorte berloren finb, bon ©ofrateg eben fo toie bon

<Ef)riftug Aber eg fommt audfji nicf>t an auf bie gan3e Summe ber toirflidfj gefprodfjenen (ober gefcfyriebenen) Slöorte, bie ja fcod) unbollfommen toären gegen bie ©umme ber möglichen. <Sl)ri*

ftu8 ftarb mit breiunbbreifrig Qafjren. ©eringfjer3ige, spebanten, Uebelgefinnte fpredfjen bon 3)em, toag am ©an3en feljle: il)nen fel)lt am ©an3en. Heberall ift bag ©an3e, too bag <£ine ift. <;3}eni»

ger ‘SBorte bebarf eg manchmal nur, bie redete ©eele 3U ertoecfen:

eg fommt barauf an, bafc i . i ben ‘Jöorten ber (Ertoecfer lebt, ©o*

frateg ift für bie ‘üöelt getoorben, toag er ifyr ift, baburcfy, baß: er ein folcfyer ©elbftmadfjer, ein folcfyer nadE) ber Siefe beg geiftigen SBetoujjttoerbeng unmittelbar fein inbibibuelle? ßeben unb £>an«

(16)

3 5 4 Die Zukunft

belu f)öcf)'ft etgentf)ümlicf) 92lobifi3irenbcr unb alle menfdf)Iicf>e

^XiebrigFeit in fidf> SBänbigenber toar*) unb alg ein 0 olcf>er fpradf>.

0 a g ©röfcte in ber $BeIt ift entftanben au§ gefprodf>enen, nicfjit aug gef<f)riebenen ‘Söorten. *0351 c er fo fid) felber machte, immer beffer machte, machte er aucf) ^Inbere; ba er, im <31lad^en unb nod>

gährenben ©eftalten, nad) ber gan3en urfprünglicf) fcf>öpferifcf)en gülle, toie fie aug bem innerften ßebengquell herborbraefy, in ber bollFommenften, unmittelbarften geiftigen S^ätigFeit beg groß*

fruchtbaren "sUugenblicFeg in aller Klarheit, (Einfalt, SrunFenheit 3U i^nen fpracf)i. 0pred>en im t3Kad)en, im A achen 3ugleid)i feiner felbft unb ber ^Inberen: 5)ag toar (Ernft unb £eben in ber <33>eEt;

S a g machte bie anberg ©ernac^ten toeiter fpredjen unb machte fie fdjreiben bon fo groft entfcf)iiebenem ‘üöag unb <225ie, bon ber nodf) nidjt bagetoefenen 0eIbftmadE)it unb ^reif)eit im <&tanne, Don biefer fidh offenbarenben $lUmad>t eineg ‘SZlittelpunFteg fö f-eft unb fidfjer,

bafj alte ©ebanFen baran fidf), hielten unb babon ihre tfaxbz be<=

Famen. $>urdf} bag SBefonbere foldfjcr Ueberlieferung gefcfyieht nun, bafjj 0 oFrateg gleichfam immer nodf) unter ung 0 df)ule halt. 5 0rtB gefegt heute nodf) toirb £Jeber 3u 0 oFrateg in ein perfönltdf)eg Söer«

hältnifr ge3ogen unb felbftmädfjtiger unb freier, ber feine *&ebe 3u Ohren nimmt, toie heute gerebet unb, feurig getoorben bom ^euer»

tropfen ber Wahrheit, fie antoenbet gegen bie heutigen oophi*

ften, *iphrontiften, phUofophifdfjen ^ad^igele^rtert unb gegen Sllleg, toag immer unb jetjt höher thront alg Wahrheit unb ihr im £idf>te fteht; toer, ebelgeartet, fehnfücfjitigen ©eifteg getoefen, 3>er Fommt in ben grieben ber innerften Siefe, übertoinbet bie 0 dE>ranFen unb Hemmungen ber 0eele, ihre ©d^toere unb ihre Qualen, toirb ber=

fdf)önt, toirb neu im ©emüth, toirb muthig 3ur W ahrheit unb feft für bie Unterfcfjeibung bon £id£)t unb ginfternifr unb aucf) Sraum , bon fieben unb Sob unb audf> 3>em, toag toeber Sob nodf) ßeben.

Unermefrlidf) fdf>eint beg 0 predf)erg 0 oFrateg allgemeine ‘Söir*

Jung in bie ©efdf>ichte. gaft augfcfjlieglid^' bon bem ein ig en 0 o^

Frateg aug gehen alle bie gried&ifd^römifchen $ulturmomente, bie fidE) fpäter mit ben d>riftlichen 3ufa,mmengefdE)Ioffen, fold^er ^Urt no<ä) nachträglich toeifenb auf ben merFtoürbigften © rie te n mit folgern getoiffen ©eift, toie er im 'iprophetigmug beg Eliten unb

“Steuen Seftamentg erfcheint, unb auf bie ^ufrfpuren öom 0 ohn beg athenifdjen SBilbhauerg, bie hmführen sum Sunmermanng*

fohn bon SJIasaretf), 3um anberen,. größeren 0 predf>er ber ‘üöelt,.

ber bie W ahrheit mit ihren nodf) fdf)öneren P o r te n genannt §at unb tn nodf) biel höherem “Silage begriffbilbenb getoefen (ohne

*) 0 . ^Brunner, £am m SBenebift 0 p in o 3 a “, 3uFunft 1913.

(17)

Sokrates 3 5 5

‘Phitofapf) i u fein)> fpracf)bilbenb getoefen, ja, bic gan3e Kultur um~

toanbelnb, 3ugleidf) aber auch hintoeifenb auf ba? £ ie r urie 3)ort ber mit biefen ©eiftern nicht ‘23ertoanbten unb öon ber ‘iöahr*

heit ©efdfjiebenen, für öiel kleines Uefcereifrigen unb für ihre grofj.e Angelegenheit fo Unb efümmer ten, auf bie Verlaufenen, bie in bem (2Dalb threg <333iffien§ rtidf)|t§ fo toiffen, toie fie bag allein ©enfengtoerthe nicht toiffen; bie feinen ihrer “^Buchftaben fo toiffen, toie fie ben ©eift nid^t toiffen. ©egen 3)iefe hatten 3fcne- fidf) erhoben mit ihren holten ©ebanfen, mit ihrer großen Siebe unb <33armher3igfeit, mit ihrem geiftigen Anbergfein, toorauf bie ungleichen Anberen toieberum gegen Qene fidEji erhoben mit ihrer beftialifdf) moralifchen ®ritif unb mit ber © ier ihrer “iRadEj-e am

©eiftigfein; bie Birgen unb Aergeren: toeil fie auf ©oldf)e uidf)it gehört unb (Solche fie empört haben! *2Dag foll man bon ihnen fagen, alg toag öon ihnen gejagt ift? ,,©ie toiffen nicht, toag fie thun.“ 3>ent ©ofrateg geben fie ©df)ierling; unb <£hriftug toirb,

^ a g e l burdf) §änbe unb 2füfre, an^ &reu3 gefchlagen unb bie Som en fom e ing §aupt öerfpottet alg ®önig öon ^ubaea, ber boef) nod) ein öiel größerer $'önig ift.

Aber ein Ariftophaneg unter biefen £äfterern unb <3Zlörbern?' Unter bic egoiftifdf>=pfiffigen, eitlen ©ophiften unb ‘iphrontiften fonnte Ariftophaneg ben “SZlann rechnen, ber fo burdf) ben Ab»

jtich gegen fie unb fo burdf) fidf)) felbft erfldrt unb unaugfpredf)^

lief) flar toar: ben ©ofrateg, ber glcidf)ijam nadft burdf)g ßeben ging; ber, alle gefellfdE>aftlichen (Ehningen öerfchmähenb, jebem Amt fern bleibcnb, unbefümmert um feinen Söortheil, um feine bänglichen Angelegenheiten, um feinen h£uglid£)im ^rieben, arm unb bemtoch ohne S8e3ahlung, aber unter £)ohngeIädf)ter unb mit

©efahrbung feiner ‘•perfon philofophirenb, enblid), fieben3ig gahre alt, geftorben ift für Verth^iMgung ber W ahrheit unb (Entlaröung gleifcenber Cüge, für bie Sufammengehörigfeit feineg Cebeng mit feinem Cehren, im großen $rieg unb &rot* gegen bie unbenfenbe

“Stenge unb ihre gebilbeten Vertreter, im ©iegertro^ unb Sachen

^über feine 9Udfjlter unb K o rb er, alg ber allein toahre dichter ihrer ltngebanfen unb Verborbenheit. Aber aucf) fein eigener toahrer dichter unb ein großer ©elbftmörber ift ©ofrateg ge*

toefen; bettn, inbem er öor bem <Beridf)t, ftatt, nadf) ber athenifd^en

©itte, feine ©träfe felber an3ufetyen (unb er itoäre mit einer geringen baöongefommen), fich ber höchsten Belohnung ,toürbig erüartc, toufcte er toohl, toag er bamit über fidf) brachite*). 3 n er*

*) ^Ia(h ber jcnophontifchcn A pologie fdE>eint er noch felbftbe®

toujjter unb heraugforbem ber al§ na<h ber platonifchen ben eigenen

"iTDerth gerühmt unb feine g en fer ermuthigt 3« haften: „"Stur toaä ich*

(18)

356 Die Zukunft

babener (SrFenntnift feineg SRechteg unb feiner ^flid^t sum t2Hdr»

ttyrertob 3erfct>lug er mit eigenem <2öiIIen bag ©efaft feiner <2Henfcf>=

licf)feit, gab er fein ßeben F)in, ein Verlierer unb feliger ©etoinner, in tounberljaftem ©lücfggefüf)! lauterer Uebereinftimmung feiner

©eele mit ber ftra^Ienben ©efetjtidfjifeit über ber <2Ztenfd)enü>eIt unb über feinem ßeben; bag ja bo<f> nidfjit fein, nicfyt beg 2 eben=

ben, (£igen toar, bag er bodf> f)ätte fterben müffen unb um bag eg bem £ebenben ntematg gegangen toar. Aber fo toeit toar bag gleifdf) unb £eben fein unb fo biel fonnte er bamit, bag er nun, ftatt eg fterben 3u müffen, fetber eg fterbenb unb bag

©terben benüfyenb, all fein &öftlidEjeg unb feinen ‘üBertf), fein Anbergfein, ben ‘Ktenfdfjen be3al)Ien unb an ber Slöelt fidf) räd£*en fonnte; bie Qbee an ifyv wefjen Fonnte, um bie allein eg mit feinem £eben it)m ging. 3He <2Kenfcf>entoett fafot nidfjit bie geiftige Qbee unb iljre pragmatifdEje 'Sebeutung; fie fagt fetber unb fagt mit 9^edF)t: SZDir fönnen niefjt leben naefy ber S^ee! ^tjnen ift bie 3 bee bag Ungleichartige, bag Anbere gegen i^re <2Öirflicf)Feit.

©ofrate? toar groß,, benn iljm toar bie jgbee &<*g unmittefbar (Smpirifdfje, bag <2öirflid£)ie feiner fetbft, bie e in ig e toirfliefje Slöirf»

Iicfjfeit*); unb toar feljr groß,, ba er, ber nacf)i ber gftee 3U leben berftanb, tro^bem. auef) naefy ber gbee nicf)it langer leben toollte in ber ‘Wtenfcfyentoelt, toefcfye ber $bee unb ifyrem ßeben ber=

fdfjloffen bleibt. 3)ieg macht fein ©terfben tief; baß, eg fief) nur mejfen lagt mit ßiebe unb mit ^ reiljeit: eg offenbart bte ftrtnig*

glaube, bafr m ir ©djöneg 3U 'Sbeit getoorben oon © öttern unb fdf>en, unb toag icf> bon m ir fdbft fü r eine <2Heittumg fyege, tollt icf>

»orbringen, unb toenn idf> bam it Me <3Ucfjter betäftige, lieber toäbten, 3U fterben, alg niebrig um ein längeres Ceben betteln. A t3 bie "Hiebter au f 3>iefe3 murrten, aug ‘SHtjjtrauen in feine A ngaben ober aug s7Tetb, b<>6 er fogar bon ben © öttern größerer © unft alg fie foltte getoürbigt toerb?n, frracf) © ofrateg toeiter: © 0 böret benn auef) ttod) Anberes, bam it, toer £uft bat bon £ucb, nocf> m ijjtrauifcber toerbe gegen meine

‘SBcbauptung, bajj icf> 00,n ben © öttern geebrt fei ufto.“ Aucb im ©elbft»

betoufjtfem erinnert © ofrateg a n (Ebriftug, natürlich aucb fyier nu r naef) ‘iBerbältntfe. S n (Ebriftug toar bag ©erbftbetoujjtfein noeb gaats

■anberg übermädbtig; fo übermächtig, bajj babei unmöglich Setoujitfein bon einem berföntidfjen © ott befteben fonnte, mit toetebem persönlichen

© ott ber ©taube ibn, toegen feineg ©etbftbetoujjtfeinS, iben tifairen mujjte. (“Slatürtidb ber ©taube ber ©päteren, bte nicht mehr bie auf=

ret3enbe ‘Jö irfu n g btefeg ©etbftbetoujjtfeing unb nicht mebr bte < 3 eg an«

toirfung ber Aufgerei3ten unm ittelbar erfuhren.)

*) ‘iptatong Sbeentebre enthalt ©ofratigmug. 3>ie ^Begriffe finb bet ©ofrateg nicht nur fubjeftiö, [onbern haben fubfta,nttetleg ßeben.

Aug feinem ©t)ftem ber begriffe totrb bie btatonifd^e Sbeentoett.

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Sokrates 3 5 7

feit feiner Siebe 3ur <2Itenfcf)t)eit bei aller Freiheit über ihr, bei fo biel größerem ^reil)eitbebürfnift alg £ebengbebürfniß. ^ür unnü£ unb jugenbgefährlidf) biefen ©ofrateg 3u halten: ben rein»

ften unb freiften ‘Ktann (Briechenlanbg, frei alfo, toie fein ßeben unb ©terben betoeift, auch gegenüber ben Ruberen, troty ber

^ a c h t i^reg ‘Slnbergfeing, ben erften freien “SÜlann unferer ftultur»

tr>elt (ber 3toeite, größere toar (Eljriftug, ber britte, größte ©p-mo3a, ber nicht mehr nöthig hatte, bon ben “SHenfchen fidf) umbringen 3u laffen) unb gleidf) lie fe n ein etoiger ‘SHann in ber <2Ztlenfd)JE)eit1 bon ben gan3 ©eltenen, t>on ben großen ^erfönlidfjfeiten unb Unperfönlichf eiten, bie niemalg altem unb trümmem; bie 3u gut finb, um nur einm al gelebt 3u haben: bie immer unter ung leben müffen; bie immer in bie <2Ititte unfereg ßebeng gehören.

©iefen ©ofrateg fyattt “Slriftophaneg angeflagt; bon ber er»

göttlich berleumberifchen SHdfjtung, fron ben „ R o lfe n “ reben toir, Don ber &omoebienbicf>tung, bie mitgeholfen 3ur nicfjtterbidE>teten Sragoebic (breiunb3toan3ig ^aljre fpäter); toir reben Don ber lln tfjat ber Dichtung an ber ^ U o fo ^ h ie unb jenem ungeheuren g alle, too ein großer ©eiftiger gegen ben fo biel größeren ftanb toie ein blinbgeborener, blinbrafenber Söolfgmenfch. ‘ü lg elenbeften, tollften, toinbigften, fopFjiftifd^en Häufler hatte <5iriftophaneg bie«

fen ‘SHann, ©ofrateg, angeflagt: ben ©ofrateg, ber ben ©opfyiyten Diel ärgeren ©df>aben anthat alg ber &omifer ‘ülriftophaneg (ber nur bent ©ofrateg fdfjabete) unb felber bie ©ophiften muthtoilliger unb fpaßiger beim ©dfybpfe 3u nehmen toußte; ben gronifer,

©arfaftifer, ben mächtigeren &omifer ©ofrateg, ber frifch bon ber

©teile toeg, ex tempore bag £eben 3ur ©dhaubühne madf>enb, mit ben ©ophiften bor ihm, alg mit feinen unmittelbar haubelnben

^3erfonen, 3u fomoebiren berftanb unb über fie fam toie (Setoitter«

regen über fliegenben ©taub unb auf alle *2lrt, mit fo unbergleidh*

Iicjj biel höhere (Setoalt, für bag felbe gbeal fämpfte toie ber dichter ^Iriftophaneg, ber in fpäteren fa h re n beg ©ofrateg ^yreunb getoorben toar. 3>aß, ‘Slriftophaneg fo aug ben R o lfe n fiel, toar fdf)ön. 3 >er 3Hdf)ter ^riftopljaneg gehört nidf>t 3u ben ißleletog: fo hieß, einer ber batnaligen „toahrhaft großen (Seifter“ unter Wen 3 Hcf)tern, bie fich fron ©ofrateg beleibigt fühlten; er toar, neben bent ©opljiflen £t)fon, „Söertreter ber SHdfjter“ in bem ^ n ^efo ber bag gebilbete ‘ülthen bon ber fiaft, bem ^lergemiß unb ber ltn»

ehre beg ©ofrateg befreite, ©o recht: nicht 3u ben *2Zleletog unb

£t)fon, 311 bem echten sp^iIofopf),cn ©ofrateg gehört ber echte dich­

ter ‘ülriftophaneg.

5potgbam. Ä o n f t a n t i n ^ B r u n n e r .

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