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Wochenschrift des Architekten Vereins zu Berlin. Jg. 4, Nr 11

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Academic year: 2022

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I WOCHENSCHRIFT Dg HRCHITEKTEN-VEREINSMIBERU n I

EIER/lUSGECEßEN ^ V E R E I N E

^ E rscheint Sonnabends. — Bezugspreis halbjährlich 4 Mark, postfrei 5,80 Mark, einzelne Nummern von gewöhnlichem Umfange SO Pf., stärkere entsprechend teurer t

^ D er Anzeigenpreis ftlr die 4gespaltene Petitzeiie beträgt 50 Pf., für Behörden-Anzeigen und für Fam ilien-A nzeigen 30 Pf. — Nachlaß auf W iederholungen j

Num m er 11 Berlin den 13. März 1909 IV. Jahrgang *

Zu beziehen durch alle Buchhandlungen, Postämter und die Geschäftsstelle C a r l H e y m a n n s V e rla g in Berlin W. 8, Mauerstr. 43.44

A llo R ech te Vorbehalten

Hebung der Stellung der höheren Baubeamten

A uf die Eingabe des Architekten-Vereins vom 29. Dezember 1908 — W ochenschrift Nr. 4 Seite 15 — hat der H err Minister der A " \ öffentlichen Arbeiten an den Vorstand folgenden Bescheid ergehen lassen: iii. p. u. 5. i. B 7. 8. „Berlin, den 25. Februar 1909.t. ,• , r>- -n .

Die Hebung der Stellung der höheren Baubeamten ist Gegenstand meiner dauernden Fürsorge. Bei meinen dahingehenden Be­

mühungen werde ich auf die in der Eingabe vom 29. Dezember v. J. vorgetrageneu Wünsche nach Möglichkeit Rücksicht nehmen.

v. B re ite n b a c h .“

Satzungen der Wilhelm Strauch-Stiftung für den Architekten-Verein zu Berlin

D

urch Allerhöchsten Erlaß vom 20. Juli 1907 wurde dem Architekten-Verein zu Berlin die landesherrliche Genehmigung zur Annahme der Zuwendungen erteilt, die ihm von seinem am 29. Oktober 1906 verstorbenen Mitgliede Wilhelm Strauch gemacht sind. Der Verein beschloß in seiner Sitzung vom 19. Oktober 1908, dem W illen des Erblassers gemäß mit dem ihm vermachten Stam m verm ögeu von

100 000

M ark eine dauernde Stiftung, die

Wilhelm Strauch - Stiftung

zu errichten, und genehmigte gleichzeitig die nachstehenden Satzungen für dieselbe.

Satzungen (lei Willi-Im Strauch-Stiftung für (len Architekten- Verein zu Berlin

Die Stiftung ist eine gemeinnützige, ihr Z w eck die Förde­§ 1 rung des Baufaches sowohl in künstlerischer und wissenschaft­

licher Beziehung. Derselbe soll erreicht werden durch j ä h r ­ lic h e W e ttb e w e rb e unter den Mitgliedern des Architekten- Vereins zu Berlin um bedeutende Aufgaben aus den verschiedenen Gebieten des Bauwesens und S tu d ie n re is e n der Sieger.

Das S tiftu n g s v e rm ö g e n hat einen Nennwert von 100000 § 2 M ark. Es ist dem W illen des Erblassers gemäß bei der Reichs­

bank in Papieren niederzulegen und darf nicht angegriffen werden.

Die jä h rlic h e n Z in sen sind zu verwenden:

1. zur A u s z a h lu n g ein es S tra u c b p re is e s in H öhe von 3000 Mark an den Sieger in dem jährlich auszu­

schreibenden W ettbewerbe mit der Verpflichtung, daß der Sieger auf einer mindestens vier Monate dauernden Studien­

reise eine vom Verein zu bestimmende besondere Aufgabe (Reiseaufgabe) bearbeitet,

2. zur Beschaffung bedeutsamer W erke im W erte von wenig­

stens 150 Mark und deren Vorteilung an die Verfasser be­

sonders guter Lösungen bei den sonst vom Architekten- Verein ausgeschriebenen W ettbewerben,

3. zur Deckung der Verwaltungskosten.

Das G e s c h ä fts ja h r der Stiftung beginnt am 1. Juli und § 3 endet am 30. Juni.

Die A u fg ab e fü r den jä h r lic h a u sz u sc h re ib e n d e n § ^ W ettb ew e rb um den Strauchpreis soll in dem einen Jahre

dem Gebiete des Hochbaues, in dem ändern dem des Bau­

ingenieurwesens entnommen werden. Dabei sollen die ver­

schiedenen Gebiete des letzteren abwechselnd berücksichtigt werden. In baukünstlerischer, kunstgeschichtlicher oder bau­

wissenschaftlicher Beziehung sollen die Aufgaben mindestens auf gleicher Höhe stehen wie die Probearbeiten für die Re­

gierungsbaumeisterprüfung.

In einer Versammlung des Monats F e b r u a r sind die § 5 Vereinsmitglieder aufzufordern. V o rsch läg e fü r die zu sto lle n d e W e ttb e w e rb a u fg a b e zu machen. Insoweit solche eingehen, sind sie einem Beurteilungs-Ausschüsse zu überw-eisen, der seinerseits, ohne an die Vorschläge gebunden zu sein, eine Aufgabe wählt, das Programm aufstellt und dem Verein im März zur Beschlußfassung vorlegt.

Der Vorstand veröffentlicht die W ettbewerbaufgabe im April in der vom Architekten-Verein herausgegebenen Wochen­

schrift unter gleichzeitiger B e k a n n tm a c h u n g des R e is e ­ z ie ls und der auf Grund der Reise zu lösenden besonderen R e ise a u fg a b e . Die W ettbewerb- und die Reiseaufgabe sollen tunlichst in Beziehung zueinander stehen. Auf A ntrag des Preisträgers kann auch ausnahmsweise zugelassen w-erden, daß er eine andere als die im Ausschreiben des W ettbewerbes be- zeichnete Reiseaufgabe bearbeitet. Hierüber befindet der Vor­

stand im Benehmen mit dem Beurteilungs-Ausschuß.

An dem W ettbewerb um den Strauchpreis kann jedes § 6 Vereinsmitglied teilnehmen, das sich bis zum 31. Januar des Jahres, in welchem die Aufgabe gestellt wird, zur Aufnahme in den Verein gemeldet und den Beitrag vom 1. Januar des­

selben Jahres ab gezahlt hat.

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54: Wochenschrift des Architekten-Vereins zu Berlin 13. März 1909 Die W e ttb e w 'e rb a rb e ite n sind bis zum 31. M ärz des § 7

folgenden Jahres, nachmittags 2 Uhr, entweder in der Bibliothek des Vereins abzugeben oder bis zu dorselben Endfrist auf einer Postanstalt des Deutschen Reiches aufzuliefern. W ettbewerb­

arbeiten, bei denen diese Endfrist nicht eingehalten ist, werden von dem W ettbewerb ausgeschlossen.

Die W ettbewerbarbeiten sind mit einem Kennwort zu be­

zeichnen. Beizufügen ist ein mit gleichem Kennwort bezeich- neter verschlossener Umschlag, der den Namen und die eides­

stattliche Versicherung des Verfassers enthält, daß er die Arbeit selbständig angefertigt hat. Auf der Außenseite des Umschlages ist ferner die Erklärung abzugeben, daß der Ver­

fasser den Bestimmungen des § 6 genügt hat.

Die eingogangenen W ettbewerbarbeiten sind von dem Vor­§ 8 stande anfangs April fünf Tage lang im Vereinshause oder an einem anderen geeigneten Orte auszustellen. Hiervon ist den Mitgliedern in der vom Verein herausgegebenen Wochenschrift Kenntnis zu geben.

Der Beurteilungs-Ausschuß, der die W ettbewerbaufgabe § 9 gestellt hat (§ 5), prüft auch die eingegangenen Arbeiten und beschließt über die Z u e rk e n n u n g des vom S tif te r au f 3000 M. fe s tg e s e tz te n P re ise s.

Von der Erteilung des Preises darf nur abgesehen werden, wenn der Ausschuß m it einer Mehrheit von drei Vierteln aller ihm angohörenden Mitglieder beschließt, daß keino dor ein­

gegangenen Arbeiten der Zuerkennung des Preises würdig sei.

In diesem Falle verfällt der Preis zu Gunsten der Stiftung.

Sofern die Stiftung die erforderlichen Mittel besitzt, können m it Zustimmung des Vorstandes ausnahmsweise mehrere Preise erteilt werden.

Der Ausschuß erstattet über seine Beurteilung der ein­

gegangenen Arbeiten schriftlichen B ericlft.

Die P r e is e r te ilu n g erfolgt am G e b u rtsta g e des S tif ­ te r s , dem 23. Ju n i.

§ 10

Die mit dem Strauchpreise gekrönte W e ttb e w e rb a rb e it wird Eigentum des Vereins. Dieser hat das Recht, sie in seiner W ochenschrift oder in einer sonst geeigneten W eise zu veröffentlichen. Die übrigen Arbeiten werden den Verfassern in der Bibliothek zur Verfügung gestellt oder auf Wunsch portofrei zurückgesandt.

§ 11

Der Preisträger ist verpflichtet, innerhalb zweier Jahre die auf wenigstens vier Ä^onate auszudehnendo S tu d ie n re is e an­

zutreten. Eine Abweichung von dem vorgeschriebenen Reise­

ziele und der gestellten besonderen Roiseaufgabe darf nur nach vorheriger Genehmigung des Vorstandes erfolgen. Der Vorstand ist berechtigt, beim Obwalten besonderer Umstände auf A ntrag

die Frist bis zum A ntritt der Reise um ein weiteres Jahr zu verlängern. Sollte die Reise nicht fristgerecht stattfinden, so verfällt der Preis zu Gunsten der im § 14 bezeichneten Zwecke.

Der Preisträger ist ferner verpflichtet, die Auszahlung des Preises vier Wochen vor dem A ntritt dor Reise beim Vorstände zu beantragen, sowie dem Vorstande die Rückkehr unverzüglich anzuzeigen und innerhalb sechs Monaten die B e a rb e itu n g d er g e s te llte n R e ise a u fg a b e einzureichen. Die Schriftstücke sind in Maschinenschrift und die Zeichnungen im Original vorzulegen.

An Stelle der schriftlichen Bearbeitung kann der Vorstand dem Preisträger gestatten, einen V ortrag im Architekten-Verein zu halten. In diesem Falle hat der Preisträger eine wortgetreue

;Niederschrift des Vortrages in Maschinenschrift, die ausgehängten Zeichnungen und die vorgeführten Lichtbilder im Original ein­

zureichen.

§

12

Die im § 11 unter c genannte B e a rb e itu n g d er R e is e ­ au fg a b e wird Eigentum des Vereins. Dieser hat das Recht, sie m it allen Anlagen in seiner W ochenschrift oder in einer sonst geeigneten Weise zu veröffentlichen.

§ 13

W ünscht der Preisträger neben den V e rö ffe n tlic h u n g e n durch den Verein, wie solche in den §§ 10 und 12 vorgesehen sind, eine weitere Veröffentlichung selbst zu bewirken oder die eine oder die andere Arbeit noch in anderer Weise, etwa zur Erlangung der W ürde eines Doktor-Ingenieurs, zu verwerten, so soll der Vorstand das Recht haben, ihm dazu die Erlaubnis zu erteilen und die Unterlagen zeitweilig zu überlassen. Bei den Veröffentlichungen, die der Preisträger selbst bewirkt, hat er sich auf dem Titel als Träger des Preises der Strauch- Stiftung für den Architekten-Verein zu Berlin zu bezeichnen und zwei Exemplare an diesen Verein unentgeltlich abzuliefern.

§

14

Die aus den nicht aufgebrauchten Zinsen und durch Nicht­

erteilung von Preisen etwa aufgesammelten Beträge dürfen ver­

wendet werden:

1. zur Vermehrung der Zahl der Preise im Sinne des § 9, 2. zur Erhöhung des Preises, falls der Umfang der Aufgabe

dies erfordern sollte,

3. für die würdige Veröffentlichung der Lösungen von W ett­

bewerb- und Reiseaufgaben,

4. zur Vermehrung des Stiftungskapitals.

§ 15

Ueber die Verwendung von Ueberschüssen zu einem der im § 1 4 genannten Zwecke beschließt der Vorstand des Vereins.

Der geschäftsführende Ausschuß des Architekten-Vereins zu Berlin

S tü b b e n K um m er B ü re k n e r

V orsitzender Stellvertreter des Vorsitzenden Schatzm eister .

Revolutionäre und reformatorische Tendenzen in der Arbeiterbewegung des Auslandes

Vortrag von Dr. Herliiier, Professor an der Technischen Hochschule in Charlottenburg

gehalten für die Teilnehmer der vom Studienausschuß des A rchitekten-Vereins zu Berlin veranstalteten V ortragsreihe zur Fortbildung aut den Gebieten der Rechts- kunde und Staatsw issenschatten

(Kurze Inhaltsangabe mitgotoilt vom Schriftführer des Studienausschusses, Eisenbahn-Bau- und Betriebsinspektor Lamp) A ls im Jahre 1848 Karl Marx und Friedrich Engels ihr be-

jT \_ rülimtes kommunistisches Manifest unter die Massen schleu­

derten, da erklärten sie ohne Umschweife, daß die Ziele ihrer Lehre nur durch den gewaltsamen Umsturz der bisherigen Gesellschaftsordnung erreicht werden könnten. Demgegenüber ist in der neuen sozialdemokratischen Bewegung vielfach ver­

sucht worden, den revolutionären Bestrebungen der Partei eine andere Deutung zu geben, indem man sagt, lediglich das zu erstrebende Ziel stelle eine Revolution der bestehenden Gesell­

schaftsformen dar; die Erreichung dieses Zieles könne auf durchaus legale W eise erfolgen. W äre dem so, dann hätte aber die Bildung einer revisionistischen oder, wie sie sich jetzt nennt, reformistischen Gruppe innerhalb der sozialdemokratischen Partei keinen rechten Sinn gehabt. W as diese Gruppe von der übrigen Sozialdemokratie unterscheidet, ist das offene, ehrliche Be­

kenntnis zu eiuem legalen Vorgehen bei der Verfolgung ihrer Ziele, die aber genau so revolutionär sind wie die der revolutio­

nären Gruppe. Auch das Verhalten der maßgebenden Kreise

der Sozialdemokratie bat des öfteren bewiesen, daß man bei der

„W ahrung des revolutionären Charakters der Partei“ vor allem an die revolutionären M ittel, d. h. an den gewaltsamen Um­

sturz, denkt.

Welche Beziehungen bestehen nun in den wichtigsten Staaten des Auslandes zwischen diesen beiden Gruppen der sozialdemokratischen Partei? Die vielfach auch von sozial­

demokratischer Seite aufgostellte Behauptung, daß in den Ländern, in denen den Arbeitern die politische Betätigung versagt wird, der geeigneteste Boden für die Entwicklung der revolutionären Bestrebungen vorhanden sei, klingt an sieb zwar sehr plausibel, doch sprechen die Tatsachen gegen ihre Richtig­

keit. So zeigt heute die Arbeiterbewegung in Italien einen vorwiegend legalen Charakter, während in Frankreich und in der Schweiz die revolutionären Tendenzen eine erhebliche Rolle spielen, obwohl gerade beide Republiken die politischen Freiheits- reehte weit vollkommener ausgebildet haben, als Italien. Der Grund, v'eshalb sich die revolutionären Bestrebungen in Frank-

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Nr. 11. IV. Jahrgang Wochenschrift des Architekten-Vereins zu Berlin 55 reich kräftiger als irgend wo anders entwickelt liabon, ist wohl

zum großen Teil auf gewisse, aus den revolutionären Traditionen des Landes entspringende Allüren des französischen Volkes zurückzuführen.

Die Richtung, die heute in der französischen Arbeiter­

bewegung vorherrscht, wird in der Regel als revolutionärer Syndikalismus bezeichnet. Sprachlich weist diese Bezeichnung also auf Berufsvereino hin. Man hat es boi dieser Bewegung jedoch m it Berufsvereinen ganz eigentümlicher A rt zu tun.

Die Organisation bezweckt hier nicht, wie bei der reformistischen Gewerkschaft, die Verbesserung der Lage der Arbeiter herbei­

zuführen, die Forderungen der Gewerkschaften des Syndikalis­

mus bilden vielmehr ein M ittel zum obersten Zwecke, dem Klassenkampfe, der zum Umsturz der bestehenden Gesellschafts­

ordnung notwendig ist und in den Gewerkschaften geschürt wird. Als neues Kampfmittel hat der Syndikalismus den Generalstreik ersonnen, bei welchem nicht mehr bestimmte Berufsprogrammpunkte im Vordergründe stehen, sondern un­

mittelbar Klasse gegen Klasse kämpft. Von der eigentlichen revolutionären Sozialdemokratie unterscheidet sich der Syndi­

kalismus nur dadurch, daß er das demokratische Mehrheitsideal angreift. Nicht alle Arbeiter sind, so führt man aus, für die Bewegung von gleichem W erte, der je nach ihrem Klassen­

bewußtsein, ihrer Energie und Kampfeslust zu bemessen ist.

Deshalb darf nicht die M ajorität, sondern nur die kühne, jeder­

zeit angriffslustige Minderheit die Führung besitzen.

Der Verlauf, den die vom Syndikalismus eingeleiteten Be­

wegungen meistens, so z. B. in der Schweiz und Italien, ge­

nommen haben, war der folgende: Zunächst stellt eine ver­

hältnismäßig kleine, schlecht organisierte Gruppe übertriebene, unerfüllbare Forderungen an die Arbeitgeber. Da sich alsdann natürlich viele Arbeitswillige finden, wird der Kampf auch gegen diese gerichtet. An den Arbeitsstellen kommt es zu Gewalttätigkeiten, so daß Polizei und Gendarmen gezwungen sind, einzuschreiten. Da sich der Ausstand längere Zeit hin­

zieht, können die Polizeiorgane den Dienst auf die Dauer allein nicht bewältigen. Zu ihrer Unterstützung muß alsdann M ilitär aufgeboten werden. Der Streikleitung gelingt es schließlich dadurch, daß sie die Arbeiterklassen gegen den angeblichen Mißbrauch der M ilitärgewalt aufwiegelt, das ganze Land in einen Zustand revolutionärer Bewegung zu versetzen, und damit ist das höchste und oberste Ziel, das der Syndikalismus anstrebt, erreicht.

Solange dem Staat militärische Hilfe zur Bekämpfung der­

artiger Aufstände zu Gebote steht, ist die Aussicht auf Erfolg für den Syndikalismus nur sehr gering. Deshalb muß er folge­

richtig das Heer und seine Einrichtungen auf das schärfste be­

kämpfen. Er predigt daher den Soldaten, den Gehorsam zu verweigern, sobald sie aufgefordert werdon, von der Waffe Ge­

brauch zu machen, sei es gegen Streikende oder gegen aus­

wärtige Feinde.

In Frankreich und namentlich in der Schweiz scheint dio Lehre vom Antim ilitarismus viele, in den anderen Ländern da­

gegen bis jetzt nur vereinzelte Anhänger zu besitzen. Auf dem internationalen Sozialistenkongreß zu S tuttgart im Jahre 1907 wurde von den Franzosen vorgeschlagen, die gesamte Arbeiterschaft auf den Antimilitarismus zu verpflichten. Auf den Einspruch hin, den Bebel und Vollmar gegen diesen Plan erhoben, wurde jedoch eine Resolution angenommon, dio den einzelnen Landesparteien größere Selbständigkeit ge­

währt.

Bisher ist in der deutschen Arbeiterbewegung noch nichts von einer syndikalistischen Strömung zu spüren gewesen, aber immerhin muß doch mit der Möglichkeit des Entstehens einer solchen gerechnet werden; wenigstens können die Schriften des bekannten Rechtsanwalts Karl Liebknecht als Anzeichen hierfür aufgefaßt werden.

Das beste Gegengewicht gegen den staatsgefährlichen Syn­

dikalismus ist der Reformismus, der die Revolution als sinnlos verwirft. Durch sie würde nur eine Aenderung der Formen des politischen Lebens herbeigeführt werden können. W ie wenig aber die politischen Formen das wirtschaftliche und soziale Leben beeinflussen, zeigt die wirtschaftliche Lage der Republik der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Die Formen des dortigen W irtschaftslebens stimmen im wesentlichen mit dem unserer sozialen Verhältnisse überein.

In Italien und Oesterreich hat der Reformismus bereits feste W urzeln gefaßt. Der letzte Parteitag der internationalen Sozialdemokratie zu Florenz konnte als eine überwältigende Kundgebung für den Reformismus angesehen werden. Auch in Oesterreich ist die Sozialdemokratie bereit, die antimonarchi­

schen Grundsätze preiszugeben. Dem Beispiele der Partei­

genossen in Italien und Oesterreich zu folgen zauderte bisher noch die französische und dio deutsche Sozialdemokratie. Doch läßt sich nicht verkennen, daß auch in Frankreich die refor­

mistische Bewegung Fortschritte gemacht hat. Das gleiche gilt neuerdings auch für Deutschland. Auf dem letzten Partei­

tage der deutschen Sozialdemokratie zu Nürnberg haben sich 66 Mitglieder des Parteitags ausdrücklich gegen die Resolution erklärt, durch die die Reformtaktik der Budgetbewilligung ge­

troffen werden sollte.

So sehr man auch den Sieg des Reformismus wünschen mag, so wenig wäre es aber zu empfehlen, diese Richtung zu begünstigen und gegen etwa auftretende syndikalistische Strö­

mungen Ausnahmegesetze zu erlassen. Dio Begünstigung durch die Regierungen würde den Reformismus, wie die Dinge nun einmal liegen, wahrscheinlich vor der Arbeiterwelt diskreditieren.

Geduld, Vertrauen und soziale Pflichterfüllung dürften wohl dio besten Mittel sein, den sich in der Arbeiterbewegung voll­

ziehenden Gesundungspi’ozeß fortschreiten zu lassen, durch den die breite und tiefe Kluft, dio heute zwischen der bürgerlichen W elt und einem großen Teil unserer Arbeiterklasse leider noch vorhanden ist, sich allmählich schließen wird, zum Segen des Vaterlandes und seiner künftigen Stellung in der W eltwirtschaft und in der W eltpolitik.

Gedächtnisrede auf Adolf Wiebe

gehalten bei der Gedenkfeier am 18. J a n u a r 1909 im A rch itek ten -V erein zu Berlin Geheimen Oberbaurat Wilhelm Germelmann

vom

W erte Damen, verehrte Anwesendo!

A

m Ostseestrande, angesichts des W assers, das in seinem k Loben eine so große Rolle gespielt, ist unser Altmeister A d o lf W ieb e, den Tod nicht ahnend, am 8. Juli v. J. hinüber­

geschlummert.

Die sterbliche Hülle wurde seinem W unsche gemäß durch Feuer in ihre Atome aufgelöst; von der ehemals stattlichen Gestalt ist nur ein spärlicher Rest übrig geblieben, der in der Urnenhalle bei Treptow aufbewahrt wird.

W ir alle aber und besonders diejenigen, denen es vergönnt war, dem Verstorbenen, sei es durch den Beruf, sei es durch die Bande der Freundschaft oder der Familie näherzutreten, wir alle bewahren in unserem Herzen ein treues, dauerndes Angedenken dem ausgezeichneten Manne, dem hervorragenden Fachgenossen, dem treuen Freunde, dem geliebten Gatten und Vater.

W enn heute der Architekten-Verein zur Gedächtnisfeier für Wiebe seine Räume öffnet, so geschieht das in dem Emp­

finden, daß es uns ein inneres Bedürfnis ist, nochmals das Bild seines geistigen W esens vor uns entstehen zu lassen, nachdem das äußere für immer entschwunden ist.

Von den reichen Aufzeichnungen, die Wiebe am Feierabend seines Lebens selbst gemacht hat, vermag ich nur einen kurzen Abriß zu geben, immerhin, so hoffe ich, wird er genügen, zu zeigen, was Wiebe seinor Familie, uns Fachgenossen und der Allgemeinheit gewesen ist.

Adolf Wiebe entstam m t einem ehrenfesten Hause alt­

preußischen Schlages, aus dem ungewöhnlich viele tüchtige Männer der verschiedenartigsten Berufe hervorgegangon sind.

In Tiegenhof in der W eichselniederung, wo der Vater Stadt- und Landgerichtsdirektor war, wurde er als jüngster von vier Söhnen im Jahre 1826 geboren. In strenger Zucht des Vaters,

U*

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Wochenschrift des Architekten-Vereins zu Berlin 13 März 1909 gemildert durch den Einfluß einer gemütvollen M utter, wuchs

der Knabe heran. Schon in frühester Jugend bildete sich das Interesse für das W asser heraus. Verheerende Wasserfluten der Weichsel, die ganze Niederung überschwemmend, brachen über Nacht herein, selbst das väterliche Haus stand tief im W asser. W as W under, daß solche Ereignisse in dem Kindes­

gemüt einen unauslöschlichen Eindruck zurückließen und schon in dem Knaben den Wunsch wachriefen, es den Alten nachzu-

Währond dieser Tätigkeit bildeten sich zwei Freundschaften aus, die für den späteren W erdegang von ausschlaggebender Bedeutung geworden sind; er lernte Luise Lilienthal, seine naehherige Gemahlin, und seinen späteren treuen Freund Vogt kennen.

Inzwischen rückte das tolle Jahr 1848 heran. Die Wogen des M ärzaufruhrs in Berlin schlugen bis tief nach Ostpreußen hinein. Einen kleinen Vorgeschmack der Geisterverwirrung tun, den Gefahren des W assers zu trotzen, das entfesselte \ hatte Wiebe bereits in seiner V aterstadt Tiegenhof erhalten.

Element zu zügeln und dem Menschen dienstbar zu machen.

W enn immer es die Zeit erlaubte, sehen w7ir den Knaben Wiebe zum Schrecken der M utter auf gebrechlichem Fahrzeug m it gleichgesinnten Kumpanen auf der Tiege und den Neben­

gewässern sich tummeln. Boote wurden gebaut und aufgetakelt, alte Rouleaux und Planen von gebrauchten Sackleinen gaben die seltsam geformten Segel ab.

Michaelis 1837 kam Wiebe, IIV2 Jahre alt, aufs Gymna­

sium nach Elbing. Guter Unterricht in den Naturwissenschaften und in der Mathematik wirkten auf die Berufswahl Wiebes, dessen N atur mehr auf das Reale und“Praktische gerichtet war, bestimmend ein. Als er in den Ferien

1842 aber zu Hause m it Onkel Eduard, dem berühmten Eisenbahnbauer und Stadtkanalisator E. Wiebe, seinem spä­

teren Schwiegervater, zusammentraf und dessen von frischem, fröhlichem Humor getragenen Erzählungen über Reisen nach England und über die Freuden und Leiden der großen Bauausführungen lauschte, da reifte in ihm der Entschluß, auch ein Baumeister zu werden, und mitzuhelfen an den großen K ultur­

aufgaben des erwachenden Deutschland.

Dem Vater, der ihn zum Juristen bestimmt hatte, war dieser Plan an­

fangs nicht ganz genehm. Er willigte aber auf Zuspraehe des Vetters und seines ältesten Sohnes, des späteren ersten Rektors der Technischen Hoch­

schule in Charlottenburg, unter der Be­

dingung ein, daß zunächst das Abitu­

rientenexamen gemacht werden müsse.

Nachdem dies bestanden war, be­

zog Wiebe 1844, einer alten ostpreu­

ßischen Sitte folgend, zunächst auf ein Jahr die Universität Königsberg.

Zwölf Taler war zu jener Zeit ein auskömmlicher Monatswechsel und ge­

trost konnte hiermit unser junger Stu­

dent im Kreise gleichgesinnter Freunde in vollen Zügen die Freuden des Stu­

dentenlebens genießen und seinen Lieb­

lingsstudien obliegen. Eine herrliche Zeit, dieses Königsberger Jahr. Bis in das späte Alter hat es die schönsten

Erinnerungen zurückgelassen, und Bande treuer Freundschaft sind hier geschlossen worden.

Im nächsten Jahre finden wir Wiebe als Feldmossereleven in Liebemühl unter der trefflichen Leitung des Erbauers des Oberläudischon Kanals, dps Baurats Slenke, des Wasserbauors, dem die dankbare Landwirtschaft sogar ein Denkmal ge­

setzt hat.

Das Elevenjahr war erledigt, und Michaelis 1846 eilt Wiebe wieder nach dem geliebten Königsberg, um seiner Militärpflicht zu genügen. Aber nur kurz war diese Freude. Ein unglück­

licher Sturz m it dem Pferde, bei dem er ein Bein brach, machte ihn zum Invaliden und der militärischen Laufbahn nach fünf­

monatiger Dienstzeit ein jähes Ende. Seine volle Arbeitskraft konnte er nun den Vorbereitungen zur Feldmesserprüfung wid­

men, die er dann auch schon im Sommer 1846 mit gutem E r­

folge bestand.

Dank der vielseitigen Beziehungen gelang es ihm bald, eine Beschädigung zu finden. Er führte unter dem W asserbau­

inspektor Schroeder in Tilsit, dem Vater unseres verehrten Mitgliedes Exzellenz Schroeder, die Vermessung des Memel­

stromes mit so viel Umsicht und solcher Genauigkeit aus, daß die damals angofertigten Karten noch heute als zuverlässige Unterlagen für die Bauausführungen verwendet werden.

cßC.

Kurze Zeit darauf kam er nach Berlin, wo er sich im April 1848 in der allgemeinen Bauschule, die neue Bauakademie ge­

nannt, immatrikulieren ließ. An ernstes Studium war unter den obwaltenden politischen Verhältnissen nicht zu denken.

Die jungen Bau- und Kunstakademiker schlossen sich zu einem Künstlerkorps, welches sich der Bürgergarde angliederte, zu­

sammen. Unser großer Altm eister des W asserbaus Gotthilf Hagen war Chef der Architektenkompagnie. Zänkereien über kleinliche Aeußerlichkeiten verleideten dem ernstgestimmten Wiebe die M itwirkung in dieser Truppe; nach kurzer Zeit trat er in die eigentliche Bürgerwehr unter das Kommando seines Bruders Hermann. Schildwachestehen war wohl die H aupttätigkeit dieser edlen Garde. Mit viel Humor erzählte Wiebe noch in spätem Alter von dem W achestehen im Königlichen Schloß und zeigte bei Hoffesten die Stellen, wo er einst als tapferer Bürgerwehrs­

mann für seines Königs Sicherheit ge­

wacht hat.

Als am 11. November 1848 die Truppen wieder in Berlin einzogen, wurde die Bauakademie als besonders wichtiger strategischer Punkt m it Sol­

daten belegt. Für die Akademiker blieb nichts weiter übrig, als ihrem Studium zu Hause obzuliegen. Unter solchen Verhältnissen muß es als ein ganz besonderes Zeichen von Energie angesehen -werden, daß es Wiebe schon im Jahre 1850 möglich war, die Bau- führerprüfung mit dem Urteil „recht gut“ zu bestehen.

Der neugebackene Bauführer zog nun, nicht allein dem W issens- und Schatfensdrange, sondern auch dem Zuge des Herzens folgend, wieder nach Osten und wurde in Dirschau durch den kühnen Brückenbauer Lentze in die Geheimnisse des Brückenbaues ein­

geführt. Zwei Jahre konnte er mit- wirken an dem mächtigen und größten Bauwerk des ganzen Kontinents, der Brücke über die Weichsel.

Das war eine Schule, deren gün­

stigen Einfluß W iebe in dankbarer E r­

innerung an seinen vortrefflichen Lehrmeister nicht genug preisen konnte. Gera erzählte er von den großen Eigenbetrieben, die damals eingerichtet werden mußten, um Zement, Ziegel, Eisen­

konstruktionen, kurz alles, was zum Brückenbau nötig war, selbst herzustellen.

Nach Ableistung der zweijährigen Bauführerpraxis setzte Wiebe sein Studium in Berlin unter Hagen, W eißhaupt und Schwarz weiter fort und bereitete sich zur Baumeisterprüfung vor, die er im November 1853 in der Richtung des Wasser-, Wege- und Eisenbahnbaues, wieder mit dem Zusatz „recht g u t“

bestand.

Bald darauf führte er sein liebes Bräutchen zum Trau­

altar. Und nun beginnen, wie er sie selbst in seiner Nieder­

schrift bezeichnet, die W anderjahre. Eisenbahnvorarbeiten führen ihn nach Frankfurt a. 0., Woldenberg, Bromberg und endlich nach Stargard i. Pomm. Hier erhielt er den von jedem jungen Baumeister so sehnsüchtig herbeigewünschten Neubau. Es wurde ihm die Errichtung der umfangreichen Zentralwerkstätten über­

tragen. Mit Feuereifer widmete er sich dieser schönen und interessanten Aufgabe und führte sie m it gutem Erfolg zu Endo. Hier war es auch, wro er seinen späteren Chef, den M inister Mavbach, kennen und wo dieser ihn schätzen lernte.

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Nr. 11. IV. Jahrgang Wochenschrift des Architekten-Vereins zu Berlin 57 W ie ein Blitz aus heiterm Himmel traf ihn die ministerielle

Entscheidung, daß die Teilung des Baufachs nach der Richtung des Hoch- und Ingenieurbaues in den höheren Stellen nicht durchgeführt werden könne. W er den W unsch habe, dermal­

einst eine höhere Stelle zu bekleiden, der müsse beide Examina abgelegt haben.

Die große H ärte und Unfreundlichkeit, die in dieser An­

ordnung lag, lastete schwer auf Wiebes Gemüt. Aber was halfs. In untergeordneter Stellung zu bleiben war ihm bei seinem Denken und Fühlen unmöglich, und so mußte denn auch dieser bittere Kelch geleert werden.

Wiebe begab sich noch einmal nach Berlin, um K unst­

studien zu machen und das Examen im Hochbau abzulegen.

Von Glück konnte er noch sagen, daß ihm ein nochmaliges einjähriges Studium erlassen und ihm sogleich eine Aufgabe für die häusliche Probearbeit erteilt wurde. Schon im November 1856 legte er die Prüfung mit seinem alten Freunde und Leidens­

genossen Vogt ab.

Nach einigen Monaten Beschäftigung bei der Eisenbahn in Brombei'g ergriff Wiebe m it Freuden die Gelegenheit, sich um die neugegrüodete M eliorationsbauinspoktorstelle in Königsberg zu bewerben. Neun Jahre hat er dort segensreich als Meliora­

tionsbaubeamter, als Berater des Regierungspräsidenten und als Privatbamneister gewirkt. Seiner Anregung und tatkräftigen M itwirkung hat Ostpreußen eine großo Zahl Landesmeliorationen zu verdanken. Die bedeutendste und wohlgelungenste unter ihnen ist wohl die Entwässerung der Linkuhnen-Seckenburger Niederung. Aus einer fast ertragloseu, dürftigen Gegend ist einer der blühendsten Landstriche der Monarchie geworden, dessen Einwohner den Schöpfer dieser W erke noch heute in hohen Ehren halten — davon konnte sich Wiebe in spätern Tagen, als er 1898 in Begleitung seiner Gemahlin eine Rund­

reise durch die Orte seinor früheren Tätigkeit machte, über­

zeugen.

Der Aufenthalt in Königsberg gehört, wie Wiebe in seinen Aufzeichnungen hervorhebt, zu den schönsten Erinnerungen seines Lebens.

Von hier aus unternahm er auch die ersten größeren Studienreisen nach Holland, Belgien und Petersburg, Reisen, auf denen er reiche Ernte machto und die Grenzen seines Gesichtsfeldes erheblich erweiterte.

In Berlin war das Tun und Treiben des jungen Wiebe mit großem Interesse verfolgt, und so kam es denn, daß, trotz ge­

hässiger Demagogenriecherei, die ihn zu einem gefährlichen Demokraten stempeln wollte, er im Februar 1866 in das Mini­

sterium der öffentlichen Arbeiten als Hilfsarbeiter berufen wurde, um bald darauf die Geschäfte des Regierungs- und Baurats bei der Regierung in Frankfurt a. 0. zu übernehmen.

W er die Oder und W arthe m it ihren ausgedehnten, ver­

sumpften Niederungen vor 40 Jahren gekannt hat, wird er­

messen können, welche Fülle von Arbeit hier für einen W asser­

bauingenieur vorhanden war. Wiebe widmete sich mit der ihn auszeichnenden Arbeitsfreudigkeit diesen Aufgaben. Ueberall legte er die bessernde Hand an. A lter Schlendrian wurde be­

seitigt, neue, bessere Bauweisen und Geräte wurden eingeführt, und bald zeigte sich der Segen dieser Tätigkeit zu W asser und zu Lande. Er fand Anerkennung in weitesten Kreisen der Be­

völkerung in seinen Unternehmungen und wurde gestützt durch das Vertrauen seiner Vorgesetzten. Wiederum wurde ihm Ge­

legenheit gegeben, längere Reisen nach dem Lande der W asser­

bauten, Holland und Belgien, und nach dem Zentrum der wirt­

schaftlichen Entwicklung, England, zu machen.

Nach diesen Studien wurde es ihm nicht schwer, siegreich anzukämpfen gegen die damals in Preußen vielfach ohne inneres Verständnis zur Anwendung gebrachte Kettenschleppfahrt. Daß sie nicht auch auf der Oder eingeführt ist, haben wir ihm zu danken.

Im Jahre 1872, zur Zeit des großen wirtschaftlichen Auf­

schwungs, trat auch für Wiebe, dessen Gedankengang sich bis dahin ausschließlich in den Bahnen des Staatsbeamten bewegte, ein kritischer W endepunkt ein.

Durch seinen Freund Vogt, der dem Direktorium der Breslau-Schweidnitzer Eisenbahn angehörte, zu Gutachten über die Durchkreuzung des Odertals mit einer Eisenbahn Breslau- Stettin-Swinemünde veranlaßt, fand er an dieser Aufgabe einen so großen Reiz, daß er dem Antrage der Eisenbahngesellschaft, die Oberleitung diesor Bauausführung zu übernehmen, nicht

zu widerstehen vermochte. Er ließ sich beurlauben und trat in den Dienst der Gesellschaft. Von 1872 bis 1875 sehen wir Wiebe in Stettin in reger Bautätigkeit. Die von ihm erdachten Grüudungsmethoden beim Bau der Brücken über die Odor und Reglitz erregten damals die Aufmerksamkeit der technischen W elt, und die Richtigkeit seiner umfangreichen Untersuchungen und schwierigen Berechnungen über den Wasserabfluß im Odertal ist durch den langjährigen Erfolg in allen Punkten bestätigt worden. Die bis nach Swinemünde geplante Eisenbahn hat durch den damals eintrotenden wirtschaftlichen Niedergang, vielleicht auch durch die bestehende Absicht des Staates, die Privatbahnen anzukaufen, ihr Ende in Stettin gefunden. Die großen Erwartungen, welche auf die Verkehrssteigerung durch diese Bahn gesetzt waren, haben sich nicht erfüllt, und das mag wohl ein Grund m it gewesen sein, daß diese große und schwierige Bauausführung Wiebe nicht so ans Herz gewachsen war, wie viele seiner ändern Schöpfungen.

Am Schluß des Jahres 1875 war die Betriebseröffnung;

aber schon vorher hatte Wiebe sein Vertragsverhältnis gelöst und war wieder in den Staatsdienst zurückgetreten.

Bereits am 1. Oktober 1875 wurde er zum Vortragenden Rat im Ministerium der öffentlichen Arbeiten ernannt. Und nun beginnt Wiebes eigentliche große Schaffenszeit. 21 Jahre hat er dem Ministerium als Vortragender Rat angehört, die letzten 10 Jahre als Oberbaudirektor. Er hatte damit die höchste Stelle erreicht, die ein W asserbaubeamter damals in Preußen erreichen konnte.

W as ist in dieser Zeit durch seine Anregung und kräftige M itwirkung auf dem Gebiete des W asserbaues und W asser­

verkehrs alles geschaffen?

Die Märkischen W asserstraßen, das größte zusammen­

hängende deutsche Kanalnetz, befand sich zu jener Zeit in einem Zustande arger Vernachlässigung. Seit Beginn der Eisenbahnperiode war nur das Allernotwendigste getan, um die W asserstraßen vor dem vollständigen Verfall zu bewahren.

Sie genügten dem Verkehrsbedürfnisso in keiner Weise, ihre W assertiefe betrug in den meisten Fällen kaum 1 m, und die auf ihnen verkehrenden Schifle hatten Not, wenn sie mit 100 t Ladung durchkommen wollten.

Und wie hat sich dieses Bild unter der 21jährigen Für­

sorge Wiebes geändert! Zwischen Elbe und Oder verkehren nach allen Richtungen stattliche Kähne bis zu 500 t und mehr Ladefähigkeit, das ist eine Gütermenge, wie sie von einem schwerbeladenen Güterzuge kaum bewältigt wird. Dauerte früher eine F ahrt mit dem Segelschiff viele Wochen, so konnte Wiebe nach W egräumung der störenden Hindernisse mit freudi­

gem Stolz feststellen, daß Schleppzüge m it 6 Anhängern ruhig und sicher ihre Bahn zogen und denselben W eg in kaum so­

viel Tagen zurücklegten, als früher dazu Wochen gebraucht worden waren. Von den Hauptwerken, die unter Wiebes Leitung in der Mark Brandenburg entstanden sind, möge nur erwähnt werden: die Verbesserung der Schiffahrtsverhältnisse auf der Havel m it dem Bau des Kanals Zehdenick-Liebenwalde, der Ausbau des Landwehrkanals in Berlin, der Bau der zweiten Schleusen im Finowkanal, der Oder-Spreekanal und die Kanali­

sierung der Unterspree von den Dammühlen in Berlin bis Spandau. Bei dem letzten Werk gestatten Sie mir gütigst einen Augenblick Halt zu machen. Ich habe Grund anzu­

nehmen, daß dieses W erk zu den Lieblingsaufgaben des Ver­

storbenen gehörte, denn es ist von einem Erfolge gekrönt, wie wenig andere. Man muß Berlin m it seinem schlechten Straßen­

pflaster und tiefen Rinnsteinen, den steilen Rampen zu den hölzernen, den Straßenverkehr fortwährend hemmenden Klapp­

brücken, den verwahrlosten Ufern der W asserzüge, den aus­

gedehnten versumpften, im W inter m it W asser überstauten Wiesenflächen gekannt haben, um dem zuzustimmen, daß die Kanalisierung der Unterspree den beiden ändern großen Um­

gestaltern Berlins — der Stadtbahn und der Kanalisation — würdig an die Seite treten kann.

Die Kanalisierung der Spree und die damit in unm ittel­

barem Zusammenhänge stehende erhebliche Absenkung der Hochwasserstände sind mit die Hauptfaktoren des heutigen schönen, reinlichen und gesunden Berlins.

Wiebes sicherem und klarem Blick für die Entwicklung der Dinge, seinem zähen Festhalten und seinem großen Geschick, in schwierigen Verhandlungen den richtigen Ausgleich zu finden, ist in erster Linie die Beseitigung der alten Dammühlen und

(6)

58 Wochenschrift des Architekten-Vereins zu Berlin 13. März 1909 die Herstellung einer großzügigen Schiffahrtsstraße mitten

durch Berlin zu danken.

Wenn seinerzeit nicht auch die alten Miihlengobäude ge­

fallen sind, wodurch ein großartiges schönes Städtebild hätte geschaffen werden können, so ist das gowiß nicht Wiebes Schuld. Die Verhältnisse waren eben stärker als die Menschen.

Bei Nennung der Männer, die ausschlaggebend auf die heutige Gestaltung Berlins eingewirkt haben, darf Wiebes Name nicht fohlen.

An dem Ausbau der Märkischen W asserstraßen hatte Wiebes schöpferischer Geist nicht genug. Auf Veranlassung dos M inisters für Landwirtschaft, der ihn als Regierungs­

präsident in Frankfurt a. 0. bereits früher hatte kennen lernen, wurde Wiebe der Auftrag zuteil, die Bearbeitung des Nogat­

abschlusses, dieses Sehmerzenkindes der Weichselniederung, zu übernehmen. Es war dies zu der Zeit, als das vielbesprochene Alsen-Fahlsche Projekt entstand, das später die Unterlage ge­

bildet hat für den neuen W eichseldurchstich bei Schiewenhorst und zu der in den Jahren 1898—1905 bewirkten Hochwasser­

regulierung der Weichsel von Gemlitz bis Pieckel, Jetzt end­

lich wird Wiebes Arbeit und Mühe auch gekrönt werden durch die in allernächster Zeit zur Ausführung kommende Abschließung der Nogat. Ein Kulturwerk allerersten Ranges geht hiermit seiner Vollendung entgegen. Bis zu seinem Lebensende hat Wiebe diesem W erk seine volle Kraft gewidmet. Ohne Wiebes energisches Einsetzen, das seinen Ausgangspunkt hatte in einem scharfgehaltenen Gutachten über den Einfluß, den der Abschluß der Nogat an der Montauer Spitze auf die Gestaltung des See­

gatts bei Pillau haben würde, wäre die Frage voraussichtlich in eine ganz andere, für die W eichselniederung verhängnisvolle Richtung hineingedrängt worden. Schwere Anfeindungen und Kämpfe hat Wiebe dieserhalb aushalten müssen, die nächste Kollegenschaft wandte sich von ihm ab; aber unentwegt steuerte er sein Schiff auf das als richtig erkannte Ziel los. Der Erfolg hat ihm Recht gegeben. Die Achtung und Anerkennung dor Kollegen hat er sich zurückerobert, dazu das vollste Vertrauen der Niederungsbevölkerung und seiner Vorgesetzten.

Diesem energischen Eintreten ist es wohl auch zuzuschreibem daß er zu weiteren großen Arbeiten, die außerhalb seiner eigent­

lichen Dienstsphäre lagen, herangezogen wurde.

Als das Abgeordnetenhaus gelegentlich der Besprechung einer von Wiebe verfaßten Denkschrift, betreffend die im preußischen Staate vorhandenen W asserstraßen, deren Ver­

besserung und Vermehrung, die Staatsregierung ersuchte, die Frage eines Rhein-W eser-Elbekanals wieder aufzunehmen, wurde Wiebe beauftragt, die von Heß und Michaelis früher aus­

geführten Vorarbeiten zu prüfen und zu begründen. Ihm wurde dann weiter die Bearbeitung dieser großen Frage übertragen.

Fünf Jahre ist er hierbei tätig gewesen. Die Frucht dieser Mühen ist der bereits seit 1898 dem Verkehr übergebene D ort­

mund-Emshäfenkanal und der jetzt im Bau befindliche Rhein- Hannoverkanal.

Nachdem Schoenfelder 1880 zum Oberbaudirektor ernannt war, erhielt Wiebe auch die technische Fürsorge über die obere Oder, die er dadurch betätigte, daß die Erweiterung des Klodnitz- kanals von Kosel bis ins Kohlenrevier bei Gleiwitz vorgenommen . und daß die Vorarbeiten zur Kanalisierung der oberen Oder von s Kosel bis Breslau ausgeführt wurden. Schon im Jahre 1887 verdichteten sich diese Vorarbeiten zu einem W asserstraßen-, gosetze, auf Grund dessen die Kanaliserung der oberen Oder in den darauffolgenden Jahren ausgeführt worden ist.

Erw ägt man, daß zu dieser großen schaffenden Tätigkeit auf technischem Gebiet noch eine umfangreiche Verwaltungs­

arbeit hinzukam, besonders in der Zeit von 18S6 bis 1896, in der Wiebe Oberbaudirektor war — es sei hier nur hingewiesen auf die technische V ertretung der vielen W asserbaugesetze vor den gesetzgebenden Körperschaften, auf die m it viel Mühe und wenig Dank verknüpfte Verwaltung der Personalien der Bau­

beamten, auf die Tätigkeit in der Akademie des Bauwesens, im Technischen Oberprüfungsamte, in der Zentraldifektion der Vermessungen und endlich im W asserausschuß, jener aus sach­

verständigen Laion und W asserbaubeamten zusammengesetzten Körperschaft, die auf Veranlassung des Kaisers eingesetzt war, und in der Wiebe als stellvertretendem Vorsitzenden ein groß Stück der Arbeit zufiel —, so wird man mir zugeben müssen:

es war ein Leben voller Mühe und Arbeit,

Werfen tvir nun einen Blick in sein Familienleben.

Viel Freud, viel Leid ist ihm da widerfahren. Seine erste Gemahlin, soine Jugendliebe, entriß ihm der unerbittliche Tod kurz nachdem er das Ziel seiner dienstlichen Laufbahn, das Ministerium, erreicht hatte. Nach langen Jahren tiefer Trauer führte ihn ein Glücksstern in die Arme seiner treugeliebten, jetzt tiefbetrübten zweiten Gattin. Glückliche Jahre konnte er an ihrer Seite verleben. Das Glück, Vater zweier blühender Töchter zu sein, wurde ihm noch in reiferen Jahren beschieden.

Die Gattin und Kinder, die er m it treusorgender Liebe um­

schloß, waren sein höchstes Gut. Eine große Zahl anmutiger Verse, gewürzt m it Feinsinn und köstlichem Humor, die Wiebe seinen Erinnerungen ein verleibt hat, legen hiervon beredtes Zeugnis ab. W ie ein Patriarch im besten Sinne des W ortes

! hat er in seiner Familie gelebt, getragen von der Liebe und Verehrung der Seinen und weiter Kreise von Freunden und Fachgenossen. Sein kluger, immer das Ganze ab wägen der Rat, seine stete Hilfsbereitschaft machten ihn zum gern aufgesuchten Ratgeber für viele.

Wiebes reger Geist bedurfte der Betätigung auch über die engen Grenzen seines Amtes hinaus. Einer Menge wissenschaft­

licher, verkehrspolitischer und Fachvereine hat er angehört und sich m it W ort und Schrift an ihren Bestrebungen betätigt. Am meisten ans Herz gowachsen war ihm der Architekten-Verein.

Schon als Student trat Wiebe 1849 in den Verein ein, dem er ununterbrochen bis an sein Lebensende als anregendes und werktätiges Mitglied angehört hat.

Als Hobrecht nach langjähriger glanzvoller Amtsführung das Zepter als Vorsitzender niederlegte, da trat Wiebe die Erb­

schaft an und führte zwTei Jahre hindurch — 1889 und 1890 — den Vorsitz in m ustergültiger Weise.

Die verbindliche und bestimmte Art, in der er seiner An­

sicht Ausdruck zu geben wußte, führte bald dahin, daß ihm auch im Verbände deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine der Vorsitz angeboten wurde. Mit innerer Befriedigung und freudigem Stolz werden die älteren Fachgenossen sich noch er­

innern, mit welch vornehmer Sicherheit Wiebe die W ander­

versammlungen in Hamburg, Leipzig und Berlin leitete, und welche allgemein beachtete Stellung er auf den Schiffahrts­

kongressen in Frankfurt a. M., in Paris und im Haag als Ver­

treter der preußischen Regierung einnahm. Seine vornehme Erscheinung, seine überzeugende Beredsamkeit, gekleidet in liebenswürdige, verbindliche Form, gaben ihm ein Uebergewicht, das des Erfolges fast überall sicher war. In der Vertretung unseres Vereins, unserer Standesinteressen war er ein Meister.

Der Verein hat dieses große Verdienst dankbar anerkannt und ist ihm in tiefster Verehrung ergeben. An seinem 70. Geburts­

tage wurde Wiebe Ehrenmitglied des Vereins. Unvergeßlich bleiben die Stunden unserem Vorstande, als er am 80. Geburts­

tage dem allverehrten, körperlich rüstigen und geistig frischen Jubilar die Glückwünsche des Vereins überbringeu konnte.*)

Fassen wir das Ergebnis unserer Betrachtungen zu einem Schlußbilde zusammen, so sehen wir einen glücklichen, geliebten Familienvater, einen überall vorehrten Fachgenossen. Das Gefühl der W ehmut oder B itterkeit darüber, daß die M itwelt sein rast­

loses Streben m it Undank gelohnt hätte, konnte bei Wiebe keinen Raum finden. An Allerhöchster Stelle wurden seine Verdienste, wie wir schon oben gesehen haben, durch Ver­

leihung der höchsten Stelle im W asserbau belohnt. Als äußeres Zeichen der Anerkennung seiner verdienstvollen Tätigkeit erhielt Wiebo von Preußens König den Kronenorden II. Klasse mit dem Stern und den Roten Adlerorden II. Klasse m it dem Stern, außerdem für seine Verdienste um das W asserwesen in Mecklen­

burg das Komturkreuz des Ordens der Wendischen Krone und das Gx-oßkreuz des Greifenordens.

Und als Wiebe — 70 Jahre alt — 1896 seine Versetzung in den wohlverdienten Ruhestand erbat, da wuirde er zum Wirklichen Geheimen Rat mit dem Prädikat Exzellenz ernannt.

Doch nicht Sucht nach äußeren Ehren und Auszeichnungen war der Ansporn zu Wiebes unermüdlichem Schaffen. Ihm war die Arbeit ein köstliches Gut, ein notwendiges Lebenselement.

Durch und durch ein Staatsbeam ter, nach unten streng und gerecht, nach oben ein kluger Ratgeber, ein aufrechter Mann.

H atte er etwras a}s recht erkannt, so setzte er die W ucht seiner ganzen Persönlichkeit ein, das gesteckte Ziel zu erreichen. Das Eintreten für den Nogatabschluß, dessen oben Erwähnung getan ist, gibt hierfür ein beredtes Zeugnis. W ie hier, so auch bei vielen anderen Gelegenheiten siegte der kluge, praktische Sinn.

•) .Wochenschrift des A rchitekten-V ereins zu Kerlin 1006, Seite 45 und 80.

(7)

Nr. 11. IV. Jahrgang Wochenschrift des Architekten-Vereins zu Borlin 59

Wiebe hat keine großen Errungenschaften auf technisch­

wissenschaftlichem Gebiet, wie Gotthilf Hagen, Schwedler und andere, zu verzeichnen, aber er ist Bahnbrecher geworden auf dem Gebiet des W asserstraßenbaues und des W asserstraßen­

verkehrs. Er hat uns hinübergeführt aus der kleinlichen Auf­

fassung der Verkehrspolitik der voreisenbahnlichen Zeit zu den großen, machtvollen Anforderungen, die heute an die W asser­

straßen und ihren Verkehr gestellt werden und in Zukunft in noch höherem Maße gestellt werden müssen. Das ist ein hohes Verdienst, würdig der Arbeit eines ganzen Lebens. W issen wir doch alle, die wir die Wego Wiebes weiter auszubauen be­

rufen sind, daß er den Grund gelegt hat zu der heutigen All­

gemeinauffassung über den W ert und die wirtschaftliche Be­

deutung des W asserstraßen Verkehrs, wissen wir doch, daß bei ihm alle Fäden zusammenliefen, um endlich zu dem großen, zeitgemäß ausgerüsteten W asserstraßennetz zusammengeknüpft zu werden, das jetzt seiner Vollendung entgegenstrebt. Mögen auch einige von ihm getroffene Anordnungen nicht mehr ganz befriedigen. Im wesentlichen sind seine Anschauungen noch heuto maßgebend und werden es auch noch für lange Zeit bleiben. Im ganzen ein hervorragender Ingenieur auf dom tech­

nischen und wirtschaftlichen Gebiet des W asserstraßenbaues und des W asserverkehrs. Hier hat er der Allgemeinheit, dem Staate Großes geleistet, das kann nicht von ihm genommen werden.

Ich würde glauben, ich hätte sein Bild nicht vollständig gezeichnet, wenn ich nicht auch eines Vorfalls aus dem Jahre 1891 gedächte.

Als damals bei den Verhandlungen des preußischen Land­

tages über die Regulierung unserer Flüsse und die dadurch entstandenen Schäden für die Landwirtschaft Unkenntnis und Geringschätzung es unternahmen, dem Stande der W asserbau­

beamten den Fehdehandschuh ins Gesicht zu schleudern und ihm Anmaßung und B rutalität vorzuwerfen, und als die be­

rufenen Stellen schwiegen, da war es Wiebe, der ohne Scheu und Ansehung der Person den Fehdehandschuh aufnahm und mit aller Schärfe in W ort und Schrift dem Gegner erfolgreich entgegentrat. In dem oben bereits erwähnten, auf Wiebes An­

regung ins Leben gerufenen W assorausschuß mußten die Maß­

nahmen der W asserbauingenieure als richtig anerkannt werdon, dio Schreier sind seitdem verstummt, aus manchem Saulus ist inzwischen ein Paulus geworden.

Ein köstliches Leben hat seinen Abschluß gefunden, ein Leben voller Mühe und Arbeit. Treu ' den Insignien seines Familienwappens hat er, einer Biene gleich, emsig gearbeitet, treu und frei war sein Denken und Tun. Ein aufrechter Mann.

W olle ein gütiges Geschick Preußen viele solcher Bau­

beamten bescheeren, der Allgemeinheit zum Segen, uns Fach­

genossen zur Zierde und Ehre.

Bebauungspläne und Baukunst in den Vororten

V o r t r a g , g e h a l t e n im A r c h i t e k t e n - V e r e i n zu B e r l i n

vom

Regierungsbaumeister a. D. Direktor Bernhard Wehl

Schluß aus Nr. 10 Seite 52

D

er Zug nach den Vororten ist der instinktiven Sehnsucht des Großstädters nach Berührung mit der Natur, besseren Licht- und Luftverhältnissen, vor allem mit Rücksicht auf Familie und Kinder entstanden. Die Poesie lä n d lic h e r b au m u m - ra h m to r Dorfstraßen und Bauernhäuser schwebt den abge­

hetzten Nerven als b u en re tiro n ah e der Stadt vor, und was verständige Architekten auch für den b e s c h e id e n e re n G e ld b e u te l, daraus zu machen vermögen, zeigt dieses Bild.

Unser bauendes Publikum hat nur leider die Tendenz, sich statt eines „ L a n d h a u se s “ eine „ V illa “ zu erbauen.

Im Kreise Niederbarnim hat man eine Konkurrenz zur E r­

langung vorbildlicher Bautypen für die einzelnen Bauklassen ausgeschrieben, welche den Gemeinden Anregung zur Hebung der örtlichen Baukünste geben sollen. Ob d ie se r Weg den er­

hofften Erfolg bringen wird, möchte oder muß ich leider bezweifeln, da die Gemeinden ihren Einwohnern eine ästhetische Anregung kaum zu oktroyieren vermögen. B e ih ilfe n zu dem Sammelwerk der besten Entwürfe sind von

verschiedenen Gemeinden mit dem Hinweise auf die vielen (angeblich schönen) Vorlagenwerke a b g e le h n t (!) worden. Aiif dem Landratsam t ist ein besonderes Dezernat für Baupolizeiangelegen heiten geschaffen worden, das auch ä s th e tis c h e Förderungen durchzusetzen v e rsu c h e n soll.

H err Kollege Kleemann kann von . seinen Erlebnissen mit dem lieben Publikum W underdinge erzählen.

Für Belebung h e im isc h e r Bauweise hat B rem en jetzt einen Spezialkursus für tüchtige H a n d ­ w e rk s m e is te r geschaffen. Der Landrat von F u ld a hat in öffent­

lichem Aufruf die Erhaltung heimischer Bauweise betont.

Schon heute macht sich be­

merkbar, daß die von g u te n A r­

chitekten erbauten Häuser eine erheblich leichtere Vermietbark eit und höheren E rtrag aufweisen,

— nicht etwa allein wegen des höheren sogenannten K o m fo rts, sondern weil das an h eim eln d e

A eu ß ero solcher Häuser dem erwachenden F e in g e fü h l einen b le ib e n d e n E in d ru c k hinterläßt.

Lehrreich für uns ist die A rt der Landhausbebauung in England. Der Engländer kennt den Begriff der deutschen

„ V illa “ überhaupt nicht. Das L a n d h a u s heißt dort so lange C o tta g e , bis für wenige Auserwählte das fü rs tlic h e Besitztum , der Begriff des s c h lo ß a rtig e n Landsitzes, — c o u n try s e a t — erreicht ist. Natürlich gibt es auch in England genug h ä ß lic h e Landhäuser, — durch lange Tra­

dition und Geschmacksschulung aber weit -weniger häufig wie bei uns.

Auch S tro h d ä c h e r, gegen wrnlche unsere B. P. 0. so ener­

gisch zu Felde zieht, kommen dort zur Verwendung. Stroh ist bekanntlich die gesündeste Dachdeckung, die man neuerdings sogar feuersicher zu im p rä g n ie re n versteht. W arum ver­

wehrt man uns auf is o lie r t gelegenen Besitzungen eine Deckungsart, deren Beseitigung nur in g e s c h lo s s e n e n Siede­

lungen und nur im Interesse der Feuersicherheit einen hin­

reichenden Grund findet? Es ist anzunehmen, daß die v e rb e s ­ s e rte im p rä g n ie rte S tr o h ­ deckung an geeigneter Stelle bald wieder zu Ehren kommt.

Alle englischen Landhäuser zeigen eine Anspruchslosigkeit und selbstverständliche Vornehm­

heit der äußeren Erscheinung, die nur von der geschmackvollen, selbstverständlichen einfachen Ele­

ganz der inneren A usstattung noch übertroffen wird.

Auch b e sc h e id e n e eng­

lische Landhäuser stehen dem nicht nach.

W ir brauchen uns deshalb nicht grämen. Unser durchschnitt­

licher Nation alwohlstand ist erst seit verhältnismäßig k u rz e r Zeit da angelangt, daß wir in noch v ie l k ü rz e re r Z e it als unsere V ettern jenseits des Kanals au ch u n se re Tradition haben werden, die sich dann so zu dokumen -

Abb. 54. Direktionsgebäude-Herm sdorf. Arch. Lessing-Berlin tieren vermag.

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Abb. 55. Landhaus Reuter-Herinsdorf. Arch. Rossius und Reuter Abb. 56. Landhaus Rost-Herm sdorf. Arch. Rossius und Reuter

Auch unter d e u tsc h e n Landhäusern findon wir schon viele ansprechende Beispiele. Unter Verzicht auf jeden falschen Zierrat der jahrzehntelang vernachlässigten bürgerlichen Bau­

kunst versucht man jetzt, auf Klassizismus, Barock und Bieder­

meierzeiten moderne Landhausformen aufzubauen (Abb. 54—56).

Das bekannte Preisausschreiben der „Woche“, welches in mancherlei Hinsicht die Gemüter der Faehgenossen zu lebhaftem W iderstreit der Meinungen erregte, möchte ich bei dieser Ge­

legenheit nicht unerwähnt lassen. Ohne dem P ro oder C o n tra des an sich h ö c h st d a n k e n sw e rte n W ettbewerbes und seiner Resultate Konzessionen zu machen, — es ist wenigstens e r ­ r e ic h t worden, daß unzählige kleine Handwerksmeister weit draußen in der Provinz die billigen Sonderhefte mit den E nt­

würfen gekauft haben und emsig daraus Anleiheu machen.

Diese Hefte sind bestens geeignet, die alten Vorlageuwerke der Baugewerksschulen verbessernd zu ergänzen. Das bauende Kleinpublikum ist, wie ich aus eigener Erfahrung heriehten kann, leider durch das Preisausschreiben gegen die Architekten e rn e u t mißtrauisch geworden. Denn es verlangt noch heute die Bauausführung zu den im W ettbewerb angenommenen un­

möglichen Preisen von 5000 M. und 7500 M., und glaubt an systematische Ueberteuerung.

Wie viel Sinn für gemütvolle Bauformen im Volk vorhanden ist, beweist, daß viele Leute, die kein d ire k te s Interesse am B auen haben, die Sonderhefte zur Anregung und Erbauung ge­

kauft haben. Auch dies kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.

Meine Herren! W er Bebauungspläne aufstellt und Häuser baut, sollte sich der V e rp flic h tu n g bewußt sein, daß er seinen Mitmenschen mit iedem guten Bauwerk einen m o ra lisc h e n

und e th is c h e n Faktor schenkt, der aut das G em ü tsleb en der heranwachsenden Generationen von tiefem Einfluß ist.

W elcher S p e k u la n t oder B a u te c h n ik e r denkt wohl darüber nach? Ist es zu verlangen, daß in so häßlichen Bauten, wie sie leider noch so zahlreich Vorkommen, sich eine u n b e w u ß te A n h ä n g lic h k e it zum W ohnsitz und H e im a tsg e fü h l ent­

wickelt?

E rst kürzlich bezeichnete ein konservativer Abgeordneter unsere fis k a lis c h e n Förstereibauton als solche, gegen die das neue Gesetz gegen Verunstaltung von Ortschaften z u n ä c h s t angewendet werden müßte. Die simpelste Arbeiterkolonie, der nüchternste Nutzbau kann m it d e n selb en Kosten auf ein ästhetisch befriedigendes Niveau gehoben werden. Bei unserer neuen Gasanstalt in Hermsdorf hat man einen erfreulichen Versuch dazu gemacht. — —

W enn die in meiner Einleitung behandelten b e ru flic h e n Fragen irgend welche p ra k tis c h e n Id een enthalten sollten, würde ich mich ganz besonders freuen, Ihnen außer lä n g s t b e k a n n te n Klageliedern ein bescheiden Teil brauchbaren Mate­

rials fü r h o ffe n tlic h re c h t b ald e in se tz e n d e R e fo rm a ­ tio n e n geliefert zu haben. Größte Eile tu t uns bitter not!

Sie alle, meine Herren, haben durch enge Fühlung mit der Praxis häufig Gelegenheit, in diesem Sinne zu wirken und S a m e n k ö rn e r auszustreuen, die gleichzeitig auch zur H eb u n g u n se re s S ta n d e s und seiner In te re s s e n hundertfältig Früchte tragen werden. Dann wird unsere b ü rg e rlic h e Baukunst in Stadt und Land wieder das werden, was sie einst w ar und sein so ll: „Der Ausdruck des G em ütes und der S eele des d e u tsc h e n V olkes!“

Melioratsbauwesen

(Aus deu stenographischen Berichten des Hauses der Abgeordneten. 38. Sitzung. 23. Februar 1909. Landw irtschaftsetat).

Dr. v Woyna, Abgeordneter (freikons.): Meine Herren, aus Anlaß des Inkrafttretens des W asserstraßengesetzes ist die Landwirtschaft­

liche Verwaltung dazu übergegangen, in den beteiligten Provinzen den Oberpräsidenten besondere Meliorationsbaubeamte zuzuordnen, dio zu kontrollieren haben, daß die landwirtschaftlichen Interessen bei der Ausführung der neuen Kanäle nicht zu kurz kommen. So dankenswert diese Maßregel ist, so glaube ich doch, daß nach den bisherigen Erfahrungen die Herren in dieser Stellung, allein berufen zu diesen Funktionen, nicht ausreichend zu tun haben, daß man -sie vielmehr auch noch dazu verwenden könnte, eine schnellere Förderung unseres landwirtschaftlichen Meliorationswesens zu erreichen. Ich bin der Ansicht, daß eine Reihe von Projekten so klein nach Inhalt und Kostenerfordernis ist, daß es nicht nötig ist, jedes Projekt hier in Berlin zu prüfen und zu genehmigen, daß vielmehr die Instanz des Oberpräsidenten ausreicht, um in solchen Füllen die letzte Entschei­

dung abzugeben. Wir alle wissen, meine Herren, welche Unsumme von Zeit jedes Projekt, bis es zur eigentlichen Melioration steht, er­

fordert, weil es nur zu vielo Instanzen zu passieren hat. (Sehr richtig!

bei den Freikonsorvativen.) Eine erhebliche Vereinfachung, ein Stück Verwaltungsreform würde damit geschaffen werden, daß unsere Melio­

rationsprojekte schon in der Instanz des Oberpräsidenten zur Ausfüh­

rung festgestollt würden.

Aber die Herren Meliorationsbaubeamten, die dem Oberpräsidenteu beigegeben sind, werden meiner Ansicht nach auch dann noch nicht genug zu tun haben (Heiterkeit.) Ich wünsche, daß Ihnon noch

weitere Geschäfte überwiesen werden. Zweifellos ist da naheliegend, ihnen eine gewisse Mitwirkung auf dem Gebiete der inneren Kolonisa­

tion zu übertragen. Ich bin an das Programm gebunden, welches die Erörterung dieser Frage bei einem anderen Titel des Etats in Aus­

sicht genommen hat; aber ich glaube, gerade bei der zur Beratung stehenden Position ist es erlaubt, darauf hinzuweisen, daß es wenig Beamte in der ganzen Provinz und in der Organisation unserer Pro- viuzialverwaltung gibt, die so berufen wären, boi der inneren Koloni- , sation mitzuwirken, wie gerade die Meliorationsbauinspektoren, die auf den Oberpräsidien angestellt sind; nicht die in den einzelnen Regierungsbezirken tätigen Meliorationsbauinspektoren; denn die haben mit der laufenden Bearbeitung der gerade zu erledigenden Projekte genügend zu tun. Aber diese Herren, die in unmittelbarer Fühlung mit den Oberpräsidenten ihre Geschäfte versehen, sind vorzugsweise geeignet, die innere Kolonisation zu fördern. W ie das im einzelnen zu regeln sein würde, will ich nicht näher darlegen...

Die Verstärkung der Mittel für die Beschaffung besserer Vorflut, der Erlaß des neuen W assergesetzes, eine einheitliche Behandlung unserer Kanalsysteme, eine bessere Dienstbarmaehung des Instituts der Meliorationsbaubeamten in der Instanz des Oberpräsidenten ist dasjenige, was ich als hervorragende Voraussetzung für ein Fort­

schreiten unserer Volkswirtschaft auf dem platten Lande und vor allem auch für die so viel berufene Frage der inneren Kolonisation nochmals hervorzuheben habe. (Bravo!)

(Scliluü folgt)

(jQ Wochenschrift des Architekten-Vereins zu Berlin 6. Februar 1909

F ür die Schriftleitung verantw ortlich: B aurat M. G u t h in Berlin'W . 57, Bülowstr. 85

Carl neym anns V erlag in Berlin W.8, llauerstr. 48/44 — Gedruckt bei Julius Sittenfeld, Hofbuchdrucker., Berlin W.8, M auerstr. 43/44 Nr. 11

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