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Die Zukunft, 1. Mai, Jahrg. XXVIII, Bd. 109, Nr 31.

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(1)

S i e X Ü u k u n fit

Herausgeber

Maximilian Harden

INHALT

Seite

Das deutsche M a i f e s t ...87

Nachdruck verboten

E r s c h e i n t j e d e n S o n n a b e n d

Preis vierteljährlich 16 Mk.,'’das einzelne Heft 1,50 Mk.

X X V III. Jahrg. Berlin, den 1. M ai 1920 Nr. 51

BERLIN

V erlag der Z u k u n f t

G roßbeerenstraße 67

(2)

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41 hoehkOnstlerlsehe Frei­

lichtaufnahmen. Brom- slIberorlgiBilfotos, seltene Vahl weiblicher Schönheit

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J OflCHIMSTHRLE R S T R A S S E 37, ECKE KURFÜRSTENDRMM

Detektive a n e rk a n n t

allerersten Ranges

Behirdl. Inanspruchnahme. 1a Refer.

U e b e r w a c n u n g e n an allen Orten

■ ■ E r m i t t e l u n g e n jeder A rt ■ ■ S p e z ia la u s k f i n f t e , Ruf, V orleben, V erm ö g en s-u . F am ilien V erhältn isse

stren g v ertraulich u n d zuverlässig

Auskunfts > Schütz

Berlin W . T a u en tzle n str. 3

f t . W t t t e n b e r j r p l a l z F e r n r u f : S l e i n p l .9 4 6 8

(3)

D as deutsche M aifest

T o d a u s t r a g e n

/ ^ \ b ich, fragen Sie, Bolschew ik, Spartakide, K om m unist

^ g e w o r d e n sei? N ein. Leider: N ein. D en n zu beneiden ist Jeder, der in fester R edlichkeit au f dem G laub en steht, m it unserem europäischen W irth schaftb ed ü rfniß, gar m it der engen U n freiheit des Besiegten, auf den guten W ille n west#

licher W eltm ächte A ngew iesenen sei K om m unism us verein*

bar u n d das M enschengeschlecht in solche Edelreine ange*

langt, d aß es auch ohne den Sporn der Erw erblust, ohne die Peitsche des T rachtens nach Besitz sich in die höchst*

m ögliche Leistung bem ühen u n d nicht bald von ihr, in Lässig*

keit, abgleiten werde. R ußlands besondere, keiner anderen ganz gleiche W elt, gestern m it allem gefährlichen Reiz des Ir*

rationalen u nd h eute gew iß, nach der H e b u n g seiner Märchen*

schätze sich selbst, allein, zu genügen, w agt,noch einmal, die in O rie n t u n d O ccident oft m ißlungene Probe, in die es, wie das uralte Lipara, durch die Eigenart seines W esens un d Erd*

theiles g edrängt w orden ist. U n d H answ ürsten, M iethlingen der G eld d esp otie, nach Beifall gierenden W ich ten gönne ich gern die W o n n e, über diesen groß artig en V ersuch der Welt*

lüftung , W eltsäu beru ng, ü ber das W o lle n u n d H a n d eln von

7

(4)

8t

Die Zukunft

M ännern aus dem sittlichen u n d geistigen Rang der L enia, T rotzkij, L unatscharskij, T schitscherin, R adek wie ü ber die F ledderfahrten einer R äuberbande zu sprechen. W o h in der Versuch m ünden w ird, k ö n n te kein T eiresias u n d kein Jesaia jetzt ajinen. A us dem L ä u teru n g d ran g einer kleinen Asiaten»

sekte, deren from m er K om m unism us in dem Beet des Glau*

bens an nahen W eltuntergang gew achsen war, ist das Christen»

thu m der P äp ste, des H im m elskapitalism us (A b la ß ) u n d lutherischer Fürstendienerschaft gew orden. Streift Sie des*

halb der W unsch, nie sei die B ergpredigt in M enschenohr ged ru n g en ? D em V ernunftstaat Robespierres entschälte sich das Im perium Bonapartes. W a r nich t dennoch die

V erk ü n *

du n g der M enschenrechte seg en sv o lleN oth w end igk eit? W ir m üssen den A b la u f des

R u s s e n v e r s u c h e s

erw arten; u n d wün*

sehen, d aß er nicht durch die dum m e V erkehrssperre gehem m t, d en k ü hnen U nternehm ern des W agnisses nicht die MÖg”

lichkeit geboten werde, von Fehlgriff, F ehltritt sich m it dem Satz zu entschuldigen, d er W id e rsta n d einer lückenlos starr abgeschlossenen U m w elt habe denV ersuch in dem vor dessen Beginn zerrütteten Land vereitelt. D och Ihre Frage war ja.

n u r d urch m eine W a rn u n g (im letzten A prilheft) bew irkt, m it dem Schildw ort „Sow jet“ sich von der Straße weg«*

schrecken zu lassen, die

„ in

den eh rw ürdig bew ährten, im Schmelzfeuer der R evolution geläuterten Brauch der Berufs*

Vertretung, d er Sachverständigen*Räthe w eist.“ U n d darum B olschew ik? Ihnen, verehrter Professor, laß t die M athem atik n ich tM u ß e, Lenin zu lesen. D em ist nicht das vielbeschw atzte Räthe»System zunächst die H auptsache, sondern die D ik tatu r.

D ie habe ich nicht herbeig ew ün sch t; w ünsche sogar aufrichtig, sie niem als fordern zu m üssen. Schon, w eil aus

d e m

marxi*

sehen Begriff „ D ik ta tu r des P roletariates“ unter unserem W’ind nicht m ehr viel zu m achen ist. W e n n ein L an d gerichtsdirektor zwanzig, ein Straßenbahnfahrer vierzig, ein M öb elarb eiter sechzig M ark am T ag verdient u n d n u r der Ju rist seine K inder (e in stw e ilen n o c h )n ic h tb eiB o rsig o d e rK a h lb au m in d e r Fabrik m it verdienen lassen kann,sondern au f höhere oder hoheSchule*

schicken u n d „standgem äß“ leben m uß, w ird die G renze des

Proletariates unsicher. D e r au f den V orsitz einer Gerichtskam*

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•as deutsche Maifest

8 9

m er G elangte erhielt die stärkeren W affen für den K am pf ums D asein ? N ach alter E rfahrung: gew iß; alltäglich sehen wir jetzt aber, d a ß A b iturien ten zeu g n iß u n d Staatsexam en im struggle for life nicht m ehr «len w inzigsten Sieg verbüi*

gen. U n d m it welchem Recht g iebt irgendein D o k to r C o k n sich für einen P roletarier, m ich fü r einen B ourgeois a u s?

Ihn, der die U niv ersität besuchen u n d d en D o k to rh u t er*

sitzen d u rfte, haben die E lte rn besser als m eine m ich für den K am pf um s D asein gerüstet; an irdischem G u t kann keine Ju g e n d ärm er als meine gewesen sein u n d geerbt oder erheirathet habe ich nie was. W e ih t die langjährige „Veu*

tretun g von A rbeiterinteressen“ zum Proletarier, dann iste am Ende auch der dicke Parvus C rassus, d er, als Havel*

schloß h err m it A u to , K utschen u n d D ienerschaft, au f dem Schw anenw erder den B etreuer preußischer K unst, Wissen*

schaft, V o lk sb ild u n g u n d andere V orkäm pfer des Proletariates bew irthet. Selbst von M arx blieb ein Erdenrest, zu tragen peinlich; u n d d er E rlöser von einer Term inologie, die nack dem Lavendel englischer M anufakturzeit riecht, wäre eines D enkm als w ü rd g. D er (m erk w ü rd ig gute) W a h la u fru f der D eu tsch # N atio n alen w endet sich gegen den V ersuch, das Proletariat als „eine b ew u ß t vom ü brigen V olk abgesonderte Klasse“ zu um grenzen. D er A u sd ru ck kön nte klarer sein;

die M einung, d aß ehrliche W ah rh aftig keit solche Umgrenz*

un g nicht m ehr erlaubt, scheint m ir unw iderlegbar. Prole*

tarii, K inderzeuger, capite censi hießen im alten Rom „die gänzlich V erm ögenslosen, von ökonom ischen Lasten Freien“

(M om m sen), die n u r d urch die Z eu gu n g u n d A uslieferung der B rut (proles) dem Staat zinsten. D iesem G ew im m el Frei*

gelassener, Z ugew anderter, heruntergekom m ener L andbauer ähnelt die A rbeiterschaft m oderner In d u strie doch kaum nock in einem W esenszug. M u ß aber D ik tatu r sein, dann d arf über die zu A u sü b u n g Berufenen w enigstens kein Zw eifel auf*

kom m en. In R u ß lan d waren u n d sind es ein paar ungem eia starke R ebellenköpfe, denen (k ein U n befangener kanns^be*

streiten) m anche F ahrt aus den w indstillep H äfen der T heorie auf das w ilde M eer d er Praxis, u n ter dem w iderw illig be*

w u n d ernd en Blick der W elt.fg elu n g en ist. W o beginnt,^wo

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9 0

en det die Klasse, deren D ik tatu r D eu tsch lan d ertragen könnte?

U m faß tsie nu r städtischeL ohnarbeiter u n d soll länger noch, wie n u n schon anderthalb Jah r, regirt w erden, als sei L andw irth- schaft nicht ein G lied lebendiger V olkheit, Bauer u n d G r u n d ' besitzer n u r der A u to m a t, der nach E in w u rf des (unver*

ständig bestim m ten) H ö chstpreisbetrages das dem Stadtvolk nöth ig e K orn, Fleisch, G eflügel, Fett, G em üse, den genügen*

den Milch* u n d K artoffelvorrath herauszurücken h a t? W ir brauchen diesen Fragen nicht nach zudenken. D e r Friedens*

vertrag verbietet den S prung in D ik tatu r. D as Land, das ihn gew agt hätte, m ü ß te einsam vereisen; u n d der Bann, in d en ein der D ik ta tu r u nterthanes D eutschlan d geschlagen wäre, w ürde nicht, wie R ußlands, d u rch das Begehren nach dem R eichthum seiner unerschlossenen Schatzkam m ern gelöst.

A lso : Räthe o hne D ik tatu r. V on allgem einem , gleichem , geheim em Stim m recht erw ählte V ertreter d er B erufsstände;

die V erhältnißziffern w erden vo n der Statistik bestim m t, de»

ren E rg ebn iß nich t fü r die H errschaft von Gewerkschaft*

Sekretären, Parteibeam ten u n d O b erleh rern spricht, D ie Par»

lam entelei ist unerträglich gew orden. W a rd der Baum wurzel*

k ran k, der die A este schon b reit w ölbte, als d er erste stäm ­ m ige B urleigh sprach, n u r das P arlam ent könne E nglands

U n tergang bereiten ? K ann er n u r in d eutscher Erde nicht ge­

d eih e n ? (D ie sittlich schöne Leistung der frankfurter Pauls*

kirche, die frühste V olksaussprache au f dem luftigen Turn*

platz ewiger W ah rheiten , liefert keinen G egenbew eis.) W ir haben w eder unv erbeu lt überlieferte Form en (deren letzter A ltm eister G ladstone, deren E rneuer B alfour, einst der B ern­

h a rd Shaw der U nterhausdeb atte, w ar) noch V erständniß für die N o th w endigkeiten des Inhaltes. H ab en nicht einm al Red*

ner. D rei V iertel der R eichsdiätarien k ö n n en nichts, wissen nichts, arbeiten auch nie ernstlich; haben n u r das G em ächel am Schnürchen u n d gleichen dem Z eitungm acher, der, weil er seit d reißig Jahren täglich vier pariser Blätter du rch sch n ü f­

felt, sich internationaler P o litik k u n d ig d ünkelt. W o , außer

in dem D u tzen d ^d eutsch er Parlam ente, ist denn Sitte, alle

A rtikel d er letzten W o ch en , schon ranzig gew ordene sogar,

noch einm al aufzutischen ? Im Parlam ent dürfte n u r gesprochen

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Das deutsche Maifest 91

w erden, was H a n d lu n g erw irken o d er hin d ern , vorbereitem o d er erklären, ih r Z u stim m u n g o der W id e rsta n d w erben soll.

In W estm in ster sind lange Reden so selten wie in jed er Ke»*

n erv erh and lu ng ü b er Geschäfle. Bei uns thuts Keiner unter

„längeren A u sfü h ru n g e n “ . (E in herziges M odew ort. Jedes Schwatzm aul „fü h rt aus“ und „geht auf die A u sfü h ru n g en des H e rrn V orredners ein“ . D ie A usfuhr, die dem Reich nütze»

könnte, w ird d ad u rch niem als g efördert.) Im Saal h ö rt kei»

nicht fraktionell V erpflichteter zu u n d die Berichte w erde»

nicht gelesen. Von Ekel w ürde die Z u n ge pelzig. O b en d rei»

ist die W ah rh aftig k eit dieserW isch e a u f der H ö h e A m tlicher H eeresberichte. In d er vorigen W o ch e w ollte ich lesen, was H e rr H enke, ein U nabhängiger, gesagt habe. In der „F reiheit“

füllte es^ eine Seite, im „T ag eb latt“ and erth alb D ruckzeile».

D as ist der Schulfall. Zw eck der Berichte: den G egner als Blödian, n u r den angestam m ten Pachnicke (o d er wie er ju st h e iß t) als den Q u ick b o rn reiner W e ish e it zu zeigen. U n d da hocken die M inister (d ie m eisten von heute haben ohnehin nie arbeiten gelernt u n d sind abends fast im m er zu Freithea*

ter o d er Fresserei, oft auch zu Beidem, eingeladen), da sitzen Schaaren fleißiger Beam ten, auf die w ichtige Pflicht w artet:

u n d m üssen an diesen T a n d k ram T ag e, W o ch en , M onate ver#

geuden. G ehen Sie, w enn Brechreiz Sie nicht leicht über#

m annt, mal in die W andelhalle, an die T ränke. D as k rib b elt u n d w ibbelt. D rin h a t m an e in a n d e r m it D reckklüm pche»

bew orfen; d rau ß en herzliche E intracht, als habe m an Jahre lang neben einander Sauheerden gehütet. K ein Ernst, keine H a ltu n g . A u ß e n u n d innen w ürdelos. W inkelanw älte, die i»

foro einander ehrloser Kniffe beschuldigt haben u n d dann zusam m en frühstücken. D ie H o h e Schule der Seelenkorrup*

tion. Steter Scharm ützelkam pf um die G u n st falscher M ächte;

„u n d Keiner lebet, der aus ihrem D ienst die Seele hätte rein zurückgezogen“ . D azu noch die G roteske unserer M inister#

auslese. A nd ersw o schiebt die Partei ihre besten Leute vor u n d fällt m it ihnen, w enn sie nicht stehen können. In un*

serer R ederepublik h e iß t es: „ M it E berten haben w ir uns v e n

griffen, Scheidem ann w a r’n e N ie te , B au eru n d N o sk e w e rd e n in

ihren Kreisen nicht mal w ied eralsW ah lk an d id aten aufgestellt;

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aber p ro biren Sie nu mal M ü lle rn !“ O d e r: „ W e n n Film*

P reu ß u n d U»Schiffer nicht passen, können wirs Ihnen in der selben Q u alität auch ju d en rein , Alles nochFriedensw aare,

•fferiren.“ U n d m orgen soll ich, statt eines Kerls, der, H erg t oder D äum ig, E rzberger oderL evi, im m erhin doch Etwas von Persönlichkeit, der E rd enk in d er höchstem G u t, hat u n d den ich zuvor ru n d u m anschauen kann, gar eine von K lüngelbons zen entw orfene Liste w äh len ? D ieser faule Z au ber darf nicht dauern. W ü rd e auch durch ein w irtsc h a ftlic h e s Neben*

pariam ent, d urch die vielbespeicheite „K am m er der A rb e it“ nu r noch verschlim m ert. Ein zweiter, auch m it allem K om fort der N eu zeit ausgestatteter U n te rsta n d fü r Zwei* bis D reih u n d ert nach G e ltu n g u n d Einfluß, D iäten, Freifahrt, Schreibpapier, wohlfeilem F utter G ie re n d e r? N o ch eine H em m ung der rostigen, träg laufenden R egirungm aschine? N ie w ürde B eschluß, niem als Raum zu A rbeit. Im D eutschland up to date ist A lles W irthschaft, W irth sc h a ft Alles, H o ratio . D er Reichstag w ird die Kam m er der A rb e it sein oder w ird nicht sein. R äthe in jedem Betrieb, K esselschmiede oder U niversität;

aus diesen im W irk e n örtlich begrenzten R äthen b ilden sich V erw altungskörper der W irthschaft. W ie sich deren Plenum , der Reichstag, zusam m ensetzt, m ögen die Schuster der Ver*

w altu n g ju risten zunft bestim m en. D ie Fach verständigen käm en zu W o rt. U n d den F rag en der Staatspolitik u n d K ultur w ü rde in solchem H au s gew iß nicht unvernünftigere Ant*

w o rt als von den Parteikulis „in gehobener Stellung“ . W e il w ir die V erfassung, die sicher nicht halb so alt wie die von Savigny u n d Bismarck gehäm m erte w ird, nicht ü b er N a c h t los w erden, h at m ich der derbe Z ugriff des All*

gem einen G ew erkschaftbundes, der Freien Angestelltenver«

b änd e u n d des D eutschen B eam tenbundes, h inter deren Leitern zw ölf M illionen D eutsche stehen, m ehr als irgend was A nderes in dieser Jam m erzeit gefreut. D ie haben am zw anzigsten M ärz die A nnahm e ihrer A ch t P u n k te erzw ungen (sam m t dem neunten, d er die schleunige A u sb o tu n g der H erren N o ske u n d H eine forderte). K on nten sie d u rch die D ro h u n g er»

zwingen, sonst den Generftlstrike fortw ähren zu lassen. Präget

das D atu m ins G ed äch tn iß : alsd en G eb u rtstag unserer Sowjet*

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Das deutsche Maifest 93

R eg irun g w ird m ans oft nennen. D a nach sechs W o ch en aus keiner der A cht B edingungen greifbar W irkliches gew orden ist, m u ß m an die A bsich t a u f Prellerei verm uthen. D eren A b w eh r w ird nicht schwer sein. D as W ichtigste bleibt:

G egen d ieO strak ok ratie, den A bsolutism us des Stim mzettels, gegen das frech verschm itzte G eb o t, zwischen zwei W ahl*

gängen habe das V olk die Schnauze zu halten, ist, endlich,

«in Streich ge wagt w orden. D er, schreien d ie a u f den Schwindel form aler Z etteldem okratie Eingeschw oren, w ar eben schon verfassungw idrig; u n d der wackere H err M üller, dessen A rm säligkeit nie ahnt, w orum es sich handelt, stöhnte zum E rbarm en unter dem A lb d ru ck w uchtiger „ N eb en reg iru n g “ . V on seinem allzu frü h vergessenen Parteigenossen Lassalle könn te er lernen, daß, „w o die geschriebene V erfassung nicht d e r w irklichen entspricht, das b lo ß e B latt Papier auf die D a u e r der w irklichen V erfassung, den thatsächlich im Lande bestehenden M achtverhältnissen erliegen m u ß .‘‘O h n e die An»

nähm e der A cht G ebote wäre nie ein K abinet M üller ge»

w orden: kein G edeu tel fälscht diese T hatsache weg. U n d

■die M acht, die den G eneralstrike längern oder stoppen, Ar»

m inium selig sprechen oder verdam m en konn te, darf an ihren W ille n auch fortan G ew ichte hängen. V erfassungw idrig?

D ie ü b er A u fru h r zeternden G racchen juvenalischer Satire sin d Läm mlein neben der Sippe, die, nach T au senden un»

g esü hn ter M orde, auf dem Schandhügel ihrer Standgerichte u n d Schutzhaftbefehle als H ü te rin von V erfassung u n d Recht m it eiserner Stirn sich der p. t. K undschaft em pfiehlt. Ist, wer solche „D em o k ratie“ in Satans Latrine verflucht, ein Bol»

schew ik, dann w ird auch hier das Scheltw ort zum Ehrentitel- L a u b e i n k l e i d u n g

D ie B ehauptung des Kanzlers, fü r den Posten des Aus»

w ärtigen M inisters sei ein besserer M ann als der von ihm erkü rte nirgends zu finden gewesen, nennen Sie, in einem der richtig gehenden Excellenz un gew ohnten G enossenton,

„eine blanke U nverschäm theit“ . Ich kann das 'W ort so hoch unm öglich schätzen. W^eils ein V erlegenheitw ort ist. ^Wenn der A userlesene sich nicht m orgen etw a als ein G enie ent»

p a p p t, sinkt die W a h l in das Trichterfeld irrlichtelirender

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T h o rh eit, ü ber die kein unseren D in g en u n d M enschen N a h e r noch staunt. E in netter D u tzenderzähler („ D ie zehn Schorn*

steine“ , D ie bange N a c h t“ ; un d so . . .) ist gerade ü b er die D reiß ig , als W ilhelm u n d T h eo b ald , Je d e r au f einem R ollschuh, den linken F u ß m unter schlenkernd, in den K rieg schlittern und, w eil sichs m anierlicher m acht, uns in die Oh*

ren tuten , D eutsch land sei von einer infam en Verschwörer*

ban d e schm ählich überfallen w orden. T ief em pfindet der N e tte die N o th w en d ig k eit, in fegenden G ew ittern die Z u k u n ft deutscher Literatur, germ anischer K unst zu schirm en. Leich*

ter als im G raben, in den W irb e ln des T rom m elfeuers ge„

ling t es, d ü n k t ihn, im K riegspressequartier, allwo m an von W eitem , auf dem festen G ru n d einer N ahvorlage, aber von W e ite m die Schlachten beschreibt, die T riu m p h e „planm äßi­

ger L ösung vom Feinde“ bestrahlt. D ieser, Kam eraden, kanns.

D o n n erw etter: kann D ersl U n d ist do ch gelernter Sozial*

dem okrat; k om m t aus d er R otte vaterlandloser G esellen, die U n ser W ilhelm aufforderte, den deutschen Staub (ehe ers selbst, in der Klemme, th at: versteht sich) von ihren Stiebein zu schütteln. „E s freut sich die G o tth e it der reuigen Sünder, U nsterbliche heben verlorene K inder m it feurigen A rm en zum H im m el em por.“ D e r N ette, dessen Sänge vom Sieg bis an noskische Firnen ragen, w ird ein Liebling des N icolai, der, in kurzem A b sta n d vo n den B rüdern G rim m , die schön*

sten deutschen M ärchen gesam m elt hat. A lsd a s„ C o c se n “ ,die Cocai’nschnupferei, wegen M aterialm angels aufgegeben wer*

den m u ß u n d die E ntziehung aller N arcotica einen Schwäche*

anfall bew irkt, den w ir nach höflicher U ebereinkunft „Revo*

lu tio n “ tauften, birscht der B elletrist sich in den D u n stk reis der Reichskanzlei. W en n s Brei regnet, steht der Pfiffige m it Pfännchen u n d Löffel bereit; u n d war in der H a st kein Löf?

fei zu erlangen, schleckt ers m it d en Fingern. D e r erste G u ß p lad d ert daneben; schm älert im m erhin aber schon den Schwarm der T eller*D urchhalter. Ein bei den H ansestädten zu B eglaubigender w ird gesucht. .I s t gefund«n. In dem ro*

th en K riegsberichterstatter. D r.p h il., bei Stade geboren, Aka*

dem iker, D ich ter u n d T rachter: w ozu in die Ferne schwei*

fen ? W e r sich von Schlichter anziehen läßt, an der A lster

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Das deutsche Maifest 95

einen C ylinder, Einsatzstiefel u n d U lster kauft, kann, selbst w enn er nicht ganz so pariserisch aussieht wie Baron Lucius in des Lebens M ai, an der Börse die heiligsten G ü te r D eutscher R epublik w ahren, m it dem H e rrn Senator ü b er die „ehnorr*

me G em einheit dieser E ngländer“ , m it einer blo nd en G irl ü b er das neuste Stück „im T h alia“ einen small talk leisten.

Viel m ehr ist zwischen H arvestehu d e u n d Sankt Pauli dem D iplom aten nicht aufgebuckelt. K indsspiel für Einen, d er in W eim ar, da Schulschluß u n d M assenauflauf zur Feier der R eichshauptesw ahl nicht zu erw irken gewesen war, vor einem B äckerdutzend stattlicher Ilm athener die erste Rede, das H och auf SeineExcellenz den H e rrn R eichspräsidenten geliefert hatte.

U nser Fritze liebt die Lober, denn er h a t ein zart G em üth.

D as b irgt in der Kapsel treuer D an k b ark eit den N am en des Belletristen u n d läß t den T räger von Z e itz u Z e ita u s dem Licht*

born des Schnürbodens anstrahlen. W ie w eiland H ülsens Excellenz die H eldinn en der von ihm in Szene gesüßten Sing*

un d Sprechstücke. „ N u , Bolz, ’n diskreten Silberstrahl u f Frau H o fra th !“ N ic h t im m er ganz so diskret sind die Strahlen, die den H errn G esandten dem G ed äch tn iß der M itw elt emp*

fehlen. D as Plakat, das ihn als den „R etter“ M ittelschlesw igs rühm t, w ird von A llen verlacht, die wissen, wie tief in diesem T h eil des alten Elbherzogthum es die D eutschenm ehrheit über*

wiegt. U n d w enn Retter S üdjütlands: w arum nicht V erlierer N ordschlesw igs, an dessen Sphäre des selben Strebens M ü h e doch eben so lange, noch länger so g? T h u t nichts. D ie zehn Schornsteine desM einungw alzw erkes rau ch en ,d ieb an g eN ach t der W ah l zwischen E bert u n d Sthamer n aht heran; u n d w er der Residenz erzählen könnte, wie man P räsident w ird, D e r gehört in dieS onne. N a c h d e rR ü c k k eh r von glorreicher Flucht und dem G ew erkschaftbefehl, H e rrn Bauer von der Deichsel*

spitze des Reichswagens ab zuspannen, w ird H e rr H erm ann M üller gemächlich vorn angesträngt. V on N u m e r7 6 der Wil*

helm straße zieht er nach 77 um ; u n d w ird von der D em opresse

geknufft, bis er, ungern, sich zu N eu besetzun g des A usw ärtigen

entschließt (das er, da der Kanzler h eute fast nichts m ehr

zu th u n hat, auch behalten k o nn te). D em hohen W illen

des lustigen H eid elberg ers gesellt sich aus eines kaum min*

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d e r M ächtigen B rust das Sehnen, A lldeutschland an die Mi*

nistrab ilität der im K rieg herrlich bew ährten Z eitungschreiber zu gew öhnen, für Bissings einstw eilen N icolais G ü nstling als pacem aker zu g ürten: u n d der röthlich N e tte schlägt gräfliche u n d bürgerliche W ettb ew erb er u n d zw ingt denTota*

lisator, U nsum m en auszuspucken. A u ch ganz E urop a w un dert sich nicht wenig, D eutschland s internationales G eschäft einem H e rrn anvertraut zu sehen, der nie auch n u r hineingerochen, im m er nu r, in verschiedenen Sätteln, die L ust am Fabuliren au sg etrab t hat. U n d wer im k lüftigen G elände internationaler P o litik auch n u r die P roblem stellung klar erkennen lernen will, m u ß Jahrzehnte rastloser A rb e it dran setzen. „W en n ich die A ufgaben des A usw ärtigen M inisters eines g ro ßen Landes zur Z u fried enh eit erledige, so leiste ich, was in an*

deren L ändern als ein volles u n d dankensw erthes Mannes*

w erk g ilt“ : also sprach, schon m it der W illy*Phili*Schlinge um den H als, K anzler Bismarck. Kanzler M üller, der, seit ihm d er (einzige) C harm e w ortkarger, träum erisch, wie über Ahle u n d B ohrloch, blickender B escheidenheit schw and, hart auf die N erv en fällt, w ollte seine A usw ahl rechtfertigen. DreiPfei*

ler sollen sie stützen. „Es gab keinen besseren M ann.“ Sie, Excellenz, sin d bereit, vierzig besser vorgebildete zu nennen.

D ie Z ahl scheint m ir n iedrig gegriffen. „ H a b e n Sie einen Bis*

m arck in der W estentasche, d an n heraus d am it!“ N o c h das G erip p e desK irchenvatersA ugustinusB ebel rö th etZ o rn . Einen Sozialdem okraten d arf auch n u r der W u n sch streifen, einen dem „D epeschenfälscher“,dem ,,S aekularm enschen aller Korn*

u n d S chlotjunker“ irgendw ie A ehnlichen zum N a ch b ar zu k ü re n ? Ein vielstöckiger L egendenbau stürzt, w enn ein ge#

aichter M arxist öffentlich bekennt, d aß Bismarck in seinem H au p tfach kein b lu td u rstig er Stüm per war. „D ie H erren L loyd G eorge, M illerand, N itti, also die ersten Staatsm änner un*

serer Z e it, sind doch auch nicht aus der D iplom atie her*

vorgegangen.“ Stim m t. Erstens aber sind sie nicht o der nu r form ell Leiter der A usw ärtigen M inisterien, aus denen, vor jedem B eschluß, ihnen Sachverständigenrath zufließt; zwei*

tens sitzen sie bald ein M enschenalter lang am Q uell der

Problem e, die jetzt zu lösen sind; dritten s kann ein pfälzisch

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Das deutsche Majfest 97

singender D iletta n t sein Recht au f die Rolle des Schützen T eil nicht in die Thatsache einnieten, d a ß auch H e rr Basser­

m ann die Schw eizerhütten als M annheim er befreie. D e r D a ­ vid aus W ales ist, m it der gepardelten Seele, ein T alen t großen Kalibers u n d w eder H e rr N itti noch H e rr M illerand w ar bis 1919 ins H an d w erk des Parterre*Erzählers u n d Feuille­

tonspritzers gepfercht. M eister w ird in bedeutsam em Pflich­

tenkreis nur, wer gründ lich dazu vorgeschult oder durch E t­

was, das In tu itio n oder V ision, G enie oder D äm on heißen mag, über das S chulbedürfn iß hinau fg eho b en ist. A lle drei Pfeiler brechen. U n d eines K indes Finger k n ip st das R ede­

anhängsel w eg, ein als V ertreter kaiserlicher P olitik Kom- p rom ittirter sei im A usw ärtigen A m t, auf dem V orsitz, doch u n ­ m öglich gewesen. Ich h ab e diese kaiserliche P o litik, gerade die internationale, auf allen H au p tsta tio n e n (russische A sse­

kuranz, M arine, T ürken- u n d B agdad-Politik, Transvaal, M a ­ rokko, D reibundschw indel, Sarajewo, E inbruch in Belgien, Lüge vom T re u b ru c h Italiens u n d R um äniens, H e ra u sfo rd e ­ ru n g A m erikas, Brest-Litow sk etc. pp .) leidenschaftlich b e ­ käm pft; w eiß aber nicht, w arum M änner, die ihr in w ürdiger V ernu nft gedient, oft auch, wie die Berichte d er Bernstorff, Flotow , H intze, K ühlm ann, Lichnow sky, M etternich jedem Leser beweisen, ihre Fehler zu rechter Z eit erk an n th ab en , heute

„unm öglich“ sein sollen. Im H aag, in Skandinaviens H a u p t­

städten, in Bern, dem Schwarzen Rom u n d andersw o sitzen ja jetz t noch H erren, die, m ancher m it U ebereifer, tätü, tata, die kaiserliche P olitik vertraten. U n d vertrat sie nicht, am ersten A u g u st 1914, in Paris H e rr H erm an n M üller in eigener P erso n ? D an n ist m ir ein Räthsel, was er d o rt „vertrat“ . A ls von der Sozialdem okratischen Partei D eutschlands Hin*

gesandter m uß er gem erkt haben, d a ß nicht n u r die damals noch einige Partei Jaures, so ndern das ganze offizielle F rank­

reich und elf Z w ölftel der V olksm asse in b rü n stig nach F riedensw ahrung langten. D ie w u rd e erst d u rch seine un*

klaren, bis heute nicht aufgeklärten u n d von d en Franzosen

drum als ein T h eil des „Camouflage allem and“ verdächtigten

Berichtes an die b erliner Fraktion unm öglich. N ach seiner

T heorie dürfte m an also ihn zu den U nm öglichen in die W o lfs­

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schlucht werfen. U n d w enn Botschafter, die aus K o n stan t tinopel, L o ndon, Rom , W a sh in g to n vor den ruchlosen Thor*

heiten W ilhelm s u n d B ethm anns w arnten, „k o m p ro m itirt^

s in d : wie stehts m it dem G lo riab läser u n d Schönfärber aus dem K riegspressequartier? Einstw eilen h at er dem üblichen Ge*

zeter gegen W estlertü cke das pythische W o rt angeflickt, sein Program m sei: „R evision des Friedensvertrages durch Erfül*

lung .“ H errlich; etwas dun kel zwar, doch es klingt recht w underbar: reim te G oethes P ius A lexander W olff. W e rd e n die V ertragsbedingungen erfüllt, so brauchen sie nicht re*

vidirt, w erden sie bei Revision als u n h altb ar erkannt, so brauch en sie nicht erfüllt zu w erden. Ein vollkom m ener W id ersp ru ch bleibt gleich geheim nißvoll für K luge wie für T h o ren . V ielleicht aber stiebt aus einem der zehn Schorn*

steine noch ein Funke auf, der den von M üllers Trüffelnase gerochenen G enius ankü n det. V ielleicht bleib t bis in die bange N a c h t des K abinetsw echsels M u ß e , zu lernen, wel*

chen Besuchern m an Stühle anbieten, an welche Stellen vor»

gelegter A k ten m an den w erthen N am en setzen m uß. W ird dem B enjam in aus dem M usenhain bei Stade gar die Er*

leuchtung, d a ß die Z erstü cku n g des A m tsdienstbetriebes in

„R egionen“ *Schnitzel eben so schädlicher Schüler»Mißgri£f w ar wie der A b b ru c h der R echtsabtheilung, der G ru n d m au e r des M inisterium s, löst er das K onsularw esen, fü r das die An*

w ärter in den M inisterien für W irth sch aft, Finanz u n d Justiz v o rzub ild en sind, w ieder, dem H ö h e n w ah n aller Eitelinge zu T ro tz, aus dem M au errin g der D iplom atie, in den es je tz t m iserabel verm örtelt ist, d ann d a rf er hoffen, an M üllers o der an Schulzes Seite, w enn die K anone zum E n dk am pf b rü llt, nach dem W o rt des K ollegen H o raz nich t ganz zu sterben.

W e t t a u s t r i e b

U e b e r drei Strafgerichtsurtheile soll ich, verehrte Frau,

„ein kräftig W ö rtc h en sagen“ ? A u f einem Sitz gleich über

drei ? Lessings P rinz m ag G oethes Schüler die A n tw o rt g e b e n :

Viel g efordert; doch sie h e iß t Em ilia . . . D a ß die Sache

C aillaux nicht ist, wie sie uns dargestellt w ird, hat Ih r G efüh l

schon erw ittert. D e r M ann, fürs Finanzfach stark beschlagen,

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Das deutsche Maifeet

brach ohne H ufeisen in hohe In tern atio n alp o litik aus. Er ist heftig u n d dennoch verschm itzt, ein A rbeiter u n d doch hem m unglos eitel. W ie noch heu te m ancher in ausw ärtiger P olitik D ilettiren d e w ähnte er, sich den L uxus des W ider*

w illens gegen einzelne G roß m äch te gestatten zu dürfen. Bri*

tanien ist ihm ein G räu el u n d er hält sich, wie W ilhelm bis 1905 A llerhöchstsich, für den zu franko*deutscher V ersöhnung vom H im m el bestellten M ann. A b e r sein Ehrgeiz w ird nicht vom G enius, w ird n u r von schlauen G nom en bedient. Er verkennt das D eu tsch lan d von 1911 völlig, nim m t K iderlens PfuschsBism arckism en, D elirien u n d lucida intervalla stock»

ernst, glaubt, für die V erm ählung von Flamme u n d W u c h t das A u fg eb o t bereitet zu haben: u n d erreicht doch nur, d a ß ihn in Frankreich A rgw o h n um lauert u n d deutsche Diplo*

m aten u n d M inister ihn, geheim nißvoll w ispernd, „unseren M an n “1 nennen. A ls seine für F ideliorollen nicht geschaffene Frau den beliebten F igarodirektor C alm ette erschossen un d m it dem falschen Schein von R om antik die Ju ry in Freispruch verleitet hat, w ird die Lage des Ehem anns noch unbequem er.

D och er hat G eld u n d „le p etit M alvy“ , dam als noch von C lem enceaus G n ad e M inister des In n eren , kirrt ihm die R adikalenpartei. M u ß te ein M ann dieser V ergangenheit nicht in dem K rieg, der Frankreichs .V olkskraft dem Versiechen nähert, m it sorglichster V orsicht sein H a n d eln zügeln? H err C aillaux kanns nicht. Ih n kitzelt die Sucht, zu beweisen, d aß seine P olitik richtig war u n d n u r die T ölpelei Poincares, des ihm entfrem deten Freundes, das deutsche W e rb e n um Frankreichs G u n st vereitelt habe. Er b irg t nicht die Ueber*

zeugung, d a ß Frankreich geschlagen w erde; w arnt vor Eng«

land, läß t D eutschlands F reun d e u n d A genten an sich kom m en, steckt Süm m chen in ihre Presse, träg t die U rk u n d e seines Staatsstreichsplanes nach Rom, zäum t auch d o rt nicht die Z u ng e u n d ist das (verhüllte) H a u p t u n d der H o rt aller m it sicherer N iederlage R echnenden (defaitistes). Irgendw ie, im K rim inalsinn, sch u ld ig ? Ich w eiß es nicht. W e iß aber, d aß die Fülle der V erdachtsgründe (die ich hier nicht auf*

zählen w ill) ihm in D eu tsch lan d m indestens langjährige Zucht*

hausstrafe, w ahrscheinlich zw ölf K ugeln eingebracht hätte.

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Die Zukunft

D en n dieser W o h lh a b e n d e , d u rch Parlam entsanhang u n d F inanzbeziehung M ächtige w ar im K riegsdickicht eine ganc andere G efah r als der selbst in seiner Parteigruppe einsame Liebknecht, der als Sträfling Jah re lang schustern m ußte, weiL er, als A rm irungsoldat, gerufen hatte: „ N ie d e r m it der Re- girung! Es lebe der Friede!“ U n d auch H e rr C aillaux stand, als Zahlm eister, im M ilitärdienst. W äre Clem enceau nicht Clem enceau, er hätte d e n M an n , der doch m ehr kann, als H e r r K lotz, zum zw eiten M al sich als Finanzm inister gesellt u n d da«

d u rch der Raunzerei u n d D unkelm ächelei entrückt. A b er der starr verkrustete G reis k enn t kein Erbarm en. „Je fais la guerre,.

p a rto u t et to u jo u rs la guerre; u n d verliere d en Krieg, w enn ich C aillaux, d er sich einen N ap o le o n d ü n k elt, noch länger frei herum laufen u n d stänkern lasse.“ D e r P atron aller Bolos w ird in (durchaus erträgliche) U n tersu ch u n g h aft gesetzt, an*

geklagt; u n d d arf gegen A nkläger u n d Richter Offene Briefe in die Presse bringen. Je tz t h a t der Senat, als Staatsgerichtshof, ihn, nicht als Landesverräther, zu m ilder, als v e rb ü ß t gel*

tend er Strafe v erurth eilt u n d ihm für ein W eilchen noch ein paar Städte, vornan Paris, gesperrt. A u f seinem Schloß bei M am ers d arf er sich des Spruches freuen. F ü rst Lieh»

now sky, der sich ängstlich schon vor jedem h örbaren W o r t schroffer K ritik gehütet hatte, w urde, weil w ider seinen Wil*

len eine un gedruckte P riv atu rk u n d e ans Licht gekom m en war, als ein U n w ü rd ig e r aus P reu ß en s H erren h au s gestoßen und wäre, nach dem W u n sch d er H erren L udendorff u n d H ertlin g , des L a n d e s v e rra te s angeklagt w orden, w enn nich t ein auch obenan Sitzender die Bew eisaufnahm e ü b er lo n ­ d o ner H u n dstag estim m u n g en gescheut hätte. Jetzt w ird der K opf des A b g eo rd n eten B raß gefordert, weil er in der H o h e n R heinlandkom m ission, m it der er von Rechtes wegen zu th u n hatte, zehn M o n ate nach Friedensschluß nicht m ehr die Ver­

tre tu n g feindlicher M ächte sah u n d au f die durchs G espräch huschende Frage, ob im R u hrg ebiet w irklich n u r achtzehn»

tausend M ann stehen, ungefähr (vielleicht) antw ortete: „Acht*

zehn ? A chtzig scheint m ir eher g laublich.“ Im Vergleich

m it diesen u n d ähnlich B eschuldigten w ürde H e rr C aillaux

von einem In diziengebirg erdrückt. D as Lobgebim m el un*

(17)

Bas deutsche Maifest 1 0 t

serer Presse hat ihm n ur geschadet. D a ß nun gar geschrie­

ben w u rd e, die Senatsm ehrheit, die den A ngeklagten als Ihresgleichen behandelte, habe w ider besseres W issen das Recht gebeugt, ist unverzeihliche T h o rh e it; wäre unbegreif«

liehe, w enn nicht die selben, so n st ganz gescheiten Leute auch über „M illerands N iederlage in San R em o“ ihre F ähn ­ chen schw enkten. M u ß so überhebliches D reinreden noch fortan uns Feindschaft w affnen? W ird uns dadurch ge­

nützt, d aß h u nd ertfü nfzig französische Senatoren hören, die Bochespresse zeihe sie schäbiger Liebedienerei un d b ew ußter R ech tsb eu gun g ? U n d findet, wer die T enne der T hem is reinfegen u n d im Staatsleben die H errschaft des Rechtes sichern will, keine W irk en sstatt im Reich der G ew o h n h eit­

metzelei, im W altergebiet einer R egirung, die waffenlos de- m onstrirende A rbeiter m it H and g ran aten u n d M aschinenge*

w ehren niederknallen, der N o th w e n d ig k e it u n d V erantw ort­

u ng solchen Blutbefehles gar nicht erst nachforschen läßt, aber inE xpreßgeschw indigkeit auskratzt, wenn einB ataillonH aken- kreuzfahrer ihr im M orgengrau vor die W ilh elm sbu de rü c k t?

Zw eiter Fall. „ D a rf ich Eure K önigliche H o h e it um einige A ngaben über Ih r bisheriges Leben b itte n ? “ In dem U n terth an (H einrichs M ann) ziem ender D ev o tio n richtet ei»

berliner L an dgerichtsdirektor dieses G esuch an den H e rrn Joachim A lbrecht von H ohenzollern, w eiland Prinzen von Preußen, der angeklagt ist, im Speisesaal des berliner H otels A d lo n zur M iß h a n d lu n g eines von A m tes wegen im dieses H otel einq uartirten französischen H au ptm an ns mitge*

w irkt zu haben. H uld v o ll gew ährt der ehrerbietig E rsuchte einige A n g a b e n ; einige. W e n n mans so h ört, m öchts leid­

lich scheinen, steht aber doch im m er schief darum . N ic h t erw ähnt w ird, d aß die Familie, G ro ß u n d Klein, seit Jahren jede G em einschaft m it diesem Prinzen gem ieden hat, n ich t n u r wegen des U m ganges m it einer Theaterspielerin, die ein u l­

kiger B undesfürst durch die V erleihung des W ilhelm neckisch

an Phili erinnernden N am ens Freifrau von Liebenberg aus

dem M äuschenrang in H eirathfäh ig k eit h o b ; d aß der C hef

des H auses den H errn V etter aus N achtlokalen, w o er gern

die Fiedel schw ang, nach A frika verbannte u n d der nicht

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d u rch P rüderie verrufene K ronprinz den Sitz neben dem heim ­ g ekehrten „Jochen “ m it dem lauten R uf abw ehrte: „N ee, wissen Sie, auf die V erw andtschaft bilde ich m ir nischt ein!“

D u rc h die A ngaben klirrte n u r freudige H in g eb u n g in den D ie n st des A llerhöchsten K riegsherrn u n d , verstehste, des V aterlandes. (N o c h im m er um rank t ho ld er M ärchenzauber m it einer Rosenhecke das H aus H o henzollern, das gerade in d en letzten Jah ren an Skandalstoff jeglicher, jeglicher A rt do ch so überreich w ar wie selten ein um m unkeltes B ürger­

heim : u n d dem treu Seiner M ajestät u n d den anderen Licht' alben nachtrauernden O b erlehrer stiegen die H aare zu Berg, w enn auch n u r von einem V iertel d er W a h rh e it in sein from ­ mes G em ü th L äutkun d e dränge.) D er Krieg ist dem Vier*

undvierziger so g u t bekom m en, wie, m it einer Z ufallsaus­

nahm e, säm m tlichen Zollernaaren un d A archen. A llab e n d ­ lich aber saß er bei Lorenz A d lo n , dem W irth w underm ild, au f der W a ch t fü r D eutschlands Ehre. D o rt, im H auptquar*

tier d er A m erikaner, Briten, Franzosen, war er am L ieb sten ; trotzdem er „ ü b e rh a u p t n u r m it D eutschen v erk eh rt“ . Schim pf­

te, wie ein R ollkutscher au f den nicht brem senden Straßen*

bahnfahrer, auf die „frem de B ande“ , die nicht, wie er, neben*

an ein Palais hat, also zum V ergnügen an diese K rippe geh t;

u n d trieb das H ausorchester, kurz vor T horesschluß stets das (in einen dem W illen des D em ok raten aus Fallersleben m eilenfernen Sinn um gedeutete) Lied „D eu tsch lan d über A l­

les“ zu spielen. D as w ar nie D eutschlands N ationalhym ne, eher das T rutzlied der F ro n d e, die den ersten Kanzler nicht stram m u n d stoeckerisch genug, den zweiten Kaiser anglo- judaeisch, den dritten film haft w eibisch fand. H ier aber sollte es w irken, wie in A lto rf der auf G eßlers (des richti­

gen, nicht des vo r jedem E h rh ard t schlo tternd en) Befehl ge­

h iß te H a b sb u rg erh u t: in der R unde soll A lles ihm, deutsch o d e r frem d, Reverenz erweisen. W ü rd e , fragt der V orsitzende d e n französischen Zeugen, „nicht auch bei Ihnen solche E hren­

k u n d g e b u n g für die M arseillaise g e fo rd e rt? “ A n tw o rt: „Bei uns ist nicht Sitte, ^nachts gegen E lf im R estaurant die M ar­

seillaise zu spielen.“ Z um zw eiten M al schäm t sich der H örer-

E r kann sich Landsleute vorstellen, die, als Sieger u n d H ä u p te r

(19)

Das deutsche Maifest 103

einer deutschen M ilitärm ission in Paris, die bei Ritz Speisen«

den*zw ingen w ürden, beim K lang des Siegerkränzliedes (m it T ex t: dam it das O h r nicht die K inghym ne zu hören g lau b t) aufzustehen. H err Joachim A lbrech t u n d K onsorten heischen, d a ß die Sieger einem nicht offiziell gew eihten P atriotenlied d e r Besiegten huldigen. W eil die Franzosen, denen Bosheit selbst nicht den w inzigsten T aktfehler nachzischeln kann, ru h ig sitzen bleiben, w erden sie m it W einflaschen, G läsern, M occatassen, in Leuchtern b rennenden Kerzen bew orfen (o b ­ w o hl an ihrem T isch eine D am e, die Frau des einen H aupt«

m annes, sitzt; erröthet oder erbleicht G erm ania beim A nblick so k n o tig verlüm m elter S ö h n e?); w erden von gellen Stimmen m it Schim pf bespien, geprügelt, zu B oden geschleift, von dem E rbp rinzen zu H ohenlohe»L angenburg m it dem Lack#

schuh geschlagen. A us strahlendem A ug e schauen edle D am en das Schlachtfest. „D eutsche Frauen, deutsche Treue, deu tsch er W e in u n d deutscher Sang sollen in der W e lt be#

halten ihren alten schönen K lang l“ A m Schluß der Beweis*

aufn ah m e geruhen Seine K önigliche H o h e it allergnädigst eine Rede zu schnarren. „E in deutscher M ann m u ß für sein V aterland nicht n u r leben u n d sterben k önnen, sondern auch leiden.“ Sterben: nee; leben: nich zu k n ap p ; leiden: wenn d a s Rossini#Filet an der Kante h art is o der der Iro y nach dem P ro p pen schmeckt. „ U n d da fällt m ir das alte Luther#

lied ein.“ D a n n fällt ihm Schillers D u n o is ein; aber nicht dessen W o rt, d a ß dem U e b e rw in d et w eiblicher H erzen auch keines Feindes B urg zu fest sein dürfe. „ In der N a tio n m u ß fest verankert*bleiben das G efü h l: D eutschland über A lles, ü b er A lles in der W e ltl“ D e r T reu deutsche in M anns B urleske hätte den T o n n ich t besser getroffen. U rth eil: Drei#

h u n d e rt M ark G eldstrafe, tau sen d für den w ackeren Hohen*

lohe; tro tzd em N ö th ig u n g u n d K örperverletzung, Schläge u n d W ü rfe (G läser, T assen, L euchter) „festgestellt“ sind.

D ie Staatsanw altschaft h a t nicht die R evision dieses U rtheiles g efo rd ert, d er Ju stizm inister der R ep u b lik sie nicht dazu ge#

zw ungen. D ie Franzosen haben keinerlei G en u g th u u n g ver*

langt, sondern sich w ohl, in Paris u n d B erlin, der B estätigung

alles von ihnen ü b er den Boche

,[

seine Sitten u n d G ebräuche

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je G esagten ehrlich gefreut. U n d die T hatsache, d a ß an dem g ru n d lo s m it gefährlichem W u rfg esch o ß b o m b ard irten T isch eine D am e saß, ist im ganzenjV erlauf der H auptver*

h a n d lu n g nicht erw ähnt w orden. V o rd e n R oben u n d R o w d ie s dieses G ru p p en b ild es fällt m ir w eder L uther noch Schiller, doch G o eth e ein, der einen in V erzichtsw eh sich’A bkehren?

d en sprechen läß t: „B ehaltet einan der; [Ihr seid ein and er w erth .“ U n d H offm annsS chiußvers: „B lüh im G lanze solchen G lückes, b lühe, deutsches V aterlan d !“

D ie selbe Strafkam m er, die der heiter auf ho rchenden W e lt diesen Spruch bescherte, h at das U rth eil ü b er den M inister Erzberger gefällt; ein dem A nsehen d eu tsch er M enschheit nicht ganz so schädliches, in den Schranken ver*

n ünftigen Rechtes aber unhaltbares. W ie ich Erzbergers Fall sehe, habe ich m ehrmals hier zu zeigen versucht. D och w enn des Liedes Stim men schw eigen vonjdem ü b erw undenen Mann*

w enn ih n Schreiber u n d Z eichner ins Scheusälig*Riesen*

schieberische verfratzen, ru ft Pflicht zu A b w ehr so h äß lich en U nglim pfes. D e r G eheim e Ju stiz ra th A d o lf von G o rd o n ver»

öffentlicht, leider erst jetzt, den m eisterlichen S chlußvortrag, in dem er die R einheit seines M an d an ten dem G e ric h sh o f zu erw eisen suchte. D ie fragende Frau kann n u r gew innen, w enn ich, statt auch den d ritte n F a ll selbstzu glossiren,B ru ch*

Stückchen aus der D arstellu ng des feinen Ju riste n vorlege, d e r sich aus dem ganz anderen Klima des

H u m a n is t e n

u n d Pro?

testanten tie f in Erzbergers W esen einzufühlen verm ocht hat.

„Thyssen hatte für sein ‘großes Werk Hagendingen in Lothringen eine an und für sich vollkommen ausreichende und große Erzbasis dadurch, daß er in der Norm andie große Gruben hatte. D ie waren ab geschnitten und dadurch war seine Erzbasis auf ein1 Minimum verringert. Er war an­

gewiesen auf seine alten Vorräthe und auf die Erze, die a u s Schweden gekauft wurden. Es war also ein durchaus berech­

tigtes Streben, daß er diesen Mangel an Vorräthen zu ergänzen suchte, da er eben in der reichlichen Erzversorgung und Stahlproduktion die wichtigste Handhabe für den Sieg D eutsch­

lands sah. U n d nun trat in erster Linie Folgendes ein. A u f den Halden der verschiedenen Werke, auch im Brieygebiet, lagen Erze, die auf 8 0 0 0 0 0 t geschätzt wurden. D ie Ver­

(21)

Das deutsche Maifest 105

waltung, die für diese Bezirke organisirt wurde, erklärte:

Wir wollen 400 000 t der Industrie bereitstellen. D ie ver­

schiedenen Industriellen erklärten: Ach, wir legen nicht so großen Werth darauf, wir haben genug, wir können unter Umständen noch abgeben. Und darauf soll nun nach dem Zeugniß der verschiedenen Herren, die hier vernommen sind, Herr v o n . Gemm ingen, der an der Spitze der Verwaltung;

stand, gesagt h ab en : Von den 400 000 t können Sie, T hyssen, dann die Hälfte haben. Der alte Thyssen, Direktor Rabes und Fritz Thyssen waren, fest überzeugt, daß dieses Ver­

sprechen gegeben und angenommen worden sei, als sie Erz­

berger baten, hier mit einzuspringen. D a ist dann Erzberger nach' Metz gereist und hat den W unsch des Thyssen-Concerns in einer Konferenz vertreten. Er ist nicht damit durch­

gekommen, aber man hat sich auf den M ittelweg geeinigt:

man hät einen etwas besseren Vertheilungschlüssel für Thyssen bewilligt. Ist ein solches Eintreten für das gu te Recht, w enig­

stens für D as, w as als das gute Recht erscheint, einem A uf­

sichtrath, der zugleich Parlamentarier ist, nicht durchaus er­

laubt? D as Interesse T hyssens ging hier parallel mit dem all­

gemeinen Interesse, m indestens schien es so, und deshalb war das Eintreten Erzbergers für diese Forderung absolut zulässig.

Zweite Aktion. Der alte Thyssen war tief bekümmert, als er gleich im A ugust 1914 oder im September, glaube ich, schon erfuhr, daß die Franzosen seine Riesengruben und Werke und B ethqligungen ihm entzogen hatten, und zwar für die Dauer, durch eine Reihe komplizirter Verträge. D a wünschte er, daß, nachdem wir nun das Brieygebiet erobert hatten, ihm alsbald eine Entschädigung gegeben, die Grube .Droitaumont* als Eigenthum zugewiesen werde. Der natürliche Menschenverstand würde D as auf den ersten Anhieb auch für ganz richtig halten. D a giebt es aber Etwas, D as heißt Völkerrecht; und der Justitiar sagte: Nein, D as geh t nicht;

Haager Konvention! D as Privateigenthum auf feindlichem G e­

biet ist unverletzlich, es sei denn, daß gewichtige militärische Gründe dagegen sprechen. So aber ists hier nicht. Andere Sachverständige waren der selben Meinung. W as möglich blieb, war, dem Thyssen-Concern die Grube Droitaum ont nur zur A usbeutung während des Krieges zu übertragen; und da muß ich nun sagen: D as war das Verständigste, w as über­

haupt m öglich wax. Wir hätten wahrscheinlich aus der einen Grube für unsere nationale Stahlproduktion mehr bekommen,

(22)

106 Die Zukunft

als die Schutzverwaltung aus sämmtlichen Gruben heraus­

bekommen könnte. Der Gedanke war also vernünftig und berechtigt. .D arin lag auch nicht, wie der Herr Angeklagte in seiner Brochure sagt, eine Bevorzugung- T hyssens; denn es war noch eine Reihe ganz gleicher oder doch ähnlicher Gruben im Brieygebiet, die den anderen Industriellen zur Verfügung gestellt werden konnten. Nur waren keine Reflek­

tanten da: weil es für keinen so bequem war wie gerade für den Inhaber des hagendinger Werkes.

D ann ist nur noch eine Intervention des Aufsichtrathes Erzbergier zu besprechen; sie liegt sehr viel später. D as ist die Bitte, dem Thyssen-Concern die Ausfuhr von Schutz­

schilden zu genehm igen. Ob diese Bitte an und für sich objektiv berechtigt war oder nicht, darüber läßt sich vielleicht streiten. Mag sie auch in der Tat unberechtigt gewesen sein:

jedenfalls war sie Herrn Erzberger so geschildert, daß er sie, auch im allgemeinen Interesse mit Rücksicht auf den Er­

werb von Valuta-Anforderungen im Ausland, für berechtigt halten mußte. U nd wie verhält sich hier Herr Erzberger?

Der Dezernent Oberst Gießler setzte ihm1 die Gründe ausein­

ander, aus denen D a s nicht geht; w enigstens müßten höhere Preise gestellt werden. U nd nachdem diese Gründe ausein­

andergesetzt sind, erklärt Herr Erzberger die Sache für er­

ledigt; er ließ sich also überzeugen. D er Zeuge hat D as hier ganz natürlich und anschaulich geschildert. Von irgendeinem unangem essenen Ansinnen, einem eigensinnigen Beharren auf einem als ungerechtfertigt erkannten Petitum ist auch nicht im Geringsten die Rede. Mit der Verschaffung von A uf­

trägen usw. hat sich Herr Erzberger nie befaßt. Ich komme zu dem Ergebniß: Erzbergers Thätigkeit als Aufsichtrath bei Thyssen ist vollkommen korrekt.

W ie liegt es nun mit der Entwickelung der M einung­

verschiedenheit zwischen Erzberger und T hyssen, die schließ­

lich' zum Austreten Erzbergers führte ? D er alte T hyssen hat sich in dieser Beziehung geäußert, eidlich als Zeuge, und es ist am Besten, ich verlese diese Stelle seiner Aussage.

»Zunächst, beim Beginn des Krieges, war Herr Erz- berger m it mir der Ansicht, daß eine Annexion von Longwy- Briey zu erstreben sei. Später ist er w ohl von dieser A n­

sicht abgekommen. Wann D a s gew esen ist, kann ich nicht sagen. Jedenfalls war bei Beginn d es verschärften U -B oot- Krieges er bezüglich des K riegsausganges bereits so P essi­

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Das deutsche Maifest

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mist, daß von dieser Frage w ohl kein Gedanke mehr bei ihm war. Ich glaube, mich zu entsinnen, daß von den Herren der Regirung und auch' übereinstimmend mit ihnen von Erzberger mehrfach davon gesprochen wurde, daß wir unseren Bedarf an Minelte, statt durch A n n exion durch schriftliche Verträge mit den Franzosen sicherstellen könnten.

Es kann sein, daß Erzberger m it mir mehrfach in diesem Sinn gesprochen hat, auch vielleicht von der M öglichkeit eines Austausches von Gebietstheilen durch Grenzregulirung.

Doch kann ich D ieses nicht mehr bestimmt sagen.'

Herr Erzberger war vielfach in Oesterreich gew esen und sah, wie es langsam zusammenbrach. Herr Erzberger stand im Parlament und hörte von allen Seiten, daß die Stimtnungi im Innern erschüttert war. Er hörte natürlich, wie wir A lle vielfach gehört haben, aus den Schützengräben, daß die Sol­

daten erklärten: Wir wollen zwar nach wie vor unser Vater­

land schützen, aber wollen nicht, daß länger Krieg geführt wird, um etw a Eroberungen zu machen. Und nun begann Erzberger* zu überlegen: W as können wir thun, um die innere Front wiederherzustellen? Und da stöfte nun den alten Thyssen ganz besonders, daß er sich, eben um d iese innere Front herzustellen, der Sozialdemokratie zu sehr näherte; und es störte ferner den alten Thyssen, daß Erzberger anderer An­

sicht war über die voraussichtlichen und wirklichen Erfolge des U-Boot-K rieges. Dem alten Thyssen paßte D as nicht in den Kram. Er schildert anschaulich, wie sie langsam über diese Frage immer mehr aneinandergekommen sind. »Zunächst ein­

mal war Dies, wie schon angedeutef, bezüglich der Frage der Annexion von Longwy-Briey der Fall, auf deren Durchführ­

barkeit ich in Uebereinstim m ung mit den anderen Herren des Concerns für den Fall eines günstigen A usganges d es Krieges immer weiter hoffte, während Erzberger mehr und mehr P essim ist wurde. Weiter wurden wir auch über die A us­

sichten des U-Boot-K rieges verschiedener A uffassung. Erz­

berger war, auf Grund der ihm zugegangenen Informationen, in dieser Beziehung äußerst pessim istisch und beurtheilte, wie der Erfolg zeigte, die Lage richtiger als ich. Ich1 habe ihmi wegen seiner politischen H altung wiederholt brieflich Vorhal­

tungen gemacht. Er lehnte irgendeine Aend^rung seiner Stel­

lungnahme ab. Ich habe ihm dann w ohl brieflich .angedeutet, daß bei dieser Verschiedenheit unserer A uffassung eine weitere gem einsam e Arbeit nicht durchführbar wäre, wenn er bei seiner

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Stellung stehen bli,ebe. Er antwortete darauf, und zwar, wie ich' glaube, umgehend, daß er dann bitte, von seiner W ieder­

wahl Abstand zu nehmen. Jedenfalls war D ies der Sinn seines Schreibens. Bei meinem soeben erwähnten Brief handelt es sich um ein privates Schreiben von mir, dessen Inhalt ich aber, w ie gelegentlich bei Schreiben, die wichtige geschäft­

liche D inge berührten, vor der A bsendung mit den m aßgeben­

den Herren m eines Concerns besprochen habe. Ich hätte es in Uebereinstimmuner mit dem Grubenvorstand sehr gern ge­

sehen, wenn Erzberger eingelenkt hätte und in dem Conoerni alsdann verblieben wäre. Den Eindruck, daß er an seiner Stellung klebte, habe ich nie im Mindesten gehabt.' Und an einer, späteren Stelle hebt Herr Thyssen hervor, daß er nach wie vor in den freundschaftlichen Beziehungen zu Erz­

berger, trotz der sachlichen Differenz, geblieben sei, und hat das W ort gesprochen: ,Hut ab vor dem Mann, der seiner Ueberzeugung in diesem Maße treu bleibt und auf seinen persönlichen Vortheil (vierzigtausend Mark jährlich) glatt ver­

zichtet.' Und D as ist der Mann, von dem behauptet wird, er habe seine politische Ueberzeugung verkauft!

. . . Ich hatte ja, wie tausend Andere, von Erzberger so M anches gehört. In unserem jetzigen, oft dramatischen Zu-, sammenerleben und Zusammenwirken habe ich viele sy m ­ pathische, ja, prächtige Seiten seines Charakters kennen gelernt.

Es ist mir eine Freude gewesen, in das Haus dieses viel- geschm ähten ,Schwerverdieners' zu treten, der in Wirklichkeit nur ein bescheidenes Vermögen besitzt, in dies Haus, wo kein galonirter Diener, sondern die Familie selbst dem Ein­

tretenden die Thür öffnet, in dieses Haus, gut bürgerlich eingerichtet, einer schlichten deutschen Familie. Und ich halte es für meine Pflicht, den Versuch zu machen, das Bild, welches ich' von diesem Manne gewönnen habe, an die Stelle der leiden­

schaftlichen Verzerrungen zu setzen, die in weiten Kreisen herrschen. D as Bild d es Politikers und des Finanzmannes Erzberger wird, von der Parteien G unst und Haß entstellt, noch, lange schwanken, bis ihm die Geschichte endlich den richtigen Platz anweist. Die persönliche Ehrenhaftigkeit aber, der Charakter Erzbergers kann in keiner W eise mit irgend­

welchem Grund in Frage gestellt Werden."

D ie Leser der „ Z u k u n ft“ wissen, d aß die A nschirrung

eines A b g eord neten an private G eschäftsinteressen mich u n ­

gehörig, unertragb ar d ü n k t, d aß aber solche K oppelung schon

(25)

Das deutsche Maifest 109

d e n H erren W ilh elm vo n Kardorff, Basserm ann, M üller-F ulda, Stresem ann, Paasche u n d vielen anderen als untadelige

„U sance“ galt. W a s H err Erzberger für[die In d ustrie, für In*

dustrielle that, m u ß te er, nach m einer A uffassung, ohne irgend­

w elchen E ntgelt th un . A uch m ir w ird oft Rath, H ilfe, m in­

destens viel Z eit abverlangt, ich habe fü r Erzm illionäre lang“

w ierige V erhandlungen geführt, k ö nn te aber nicht frei athm en, nicht in Selbstachtung w ohnen, w enn ich d afür G e ld o d er G eldesw erth, B ezahlung o d er G eschenke angenom m en hätte.

W e r anders em pfindet, b rau ch t, freilich, kein Lum p oder G iersch lu nd zu sein. D e r eines G u tachtens [Bedürftige fand, w enn er nicht knickert, selbst im übelsten Streit immer noch einen nam haften Professor, ders leistet; u n d sein G egner, nach eben so tiefem G riff in die Tasche, einen nicht w eniger notablen. G anz so löblich wie H e rrn von G o rd o n scheint m ir also der W a n d el des A b g eord n eten Erzberger nicht.

A b er er k o n n te , ohne sich ertappen zu lassen, seit 1914 D u tzend e von M illionen verdienen u n d h at sich m it kaum nennensw erthen Zufallsgew innen beg n ü gt; u n d die Leute, die ihn, als den C hef der Reichslügnerei u n d E rdballbestech­

ung, in geistige P ro stitu tio n u n d K uppelei aufputschten, haben gew iß nicht das Recht, v on ihm, wie von M aupassants T alg ­

klüm pchen die d urch sein L akeno p fer E rlösten, n u n den Beweis unverschram m ter Jungferschaft zu fordern. D a ß er in M o a b it dicke V erdächtigungschw aden wegblaseii konnte, ließen die Z eitungberichte nicht erkennen. W elchen Stand der V erschriene vor einer K am m er haben m ußte, die Jochens, des Sängers u n d H eld en , K önigliche H o h e it in der G lorie sah, kann ein Bachfischchen sich ausm alen. Er m u ß te , um in der vom catonischen G estus des A ngeklagten beherrschten, vom Ingrim m fest, aber spottschlecht besoldeter M onarchisten gestim m ten V erhan d lu ng das W o rt zu erlangen, als Kläger sich m anchm al fast den W ink arm ausrenken. Schon das Fern­

b ild dieser V erfahrensart zw ingt den leipziger Strafsenat, bei d e r Revision des U rtheils jeden zu A u fh e b u n g triftigen G ru n d zu nützen. In nebelfreiem Raum nähm e der P rozeß w ohl an­

deren Lauf. Z u v o r aber könnte P reußens allzu unsichtbarer,

•unhörbarer Justizm inister, der die Freiheit der Rechtsprech­

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Die Zukunft.

un g nicht antasten darf, an jed en Z a u n u n d M arkstein des D ienstaufsichtw eges einen E rlaß kleben, der die Richter d ie neu en Pflichten des U m ganges m it M enschen, die Gerichts*

spräche der R epublik lehrt. D a ß n u r der H e rrn C aillaux richtende H o f in w ü rd ig er M enschlichkeit thron te, h e b t d en Stolz ehrlicher D eutschen nich t ü b er Alles in d er W elt.

M i n n e t r i n k e n

U eb er Alles in der W e lt ragt die Schätzung, die das deutsche V olk, auf H ö h en , in Tiefen, bei N a h e n u n d Fernen, seiner K raft erarbeitet u n d erkäm pft hat. N ach dem in T a u ­ m eln begonnenen, m it b lin d er Seele geführten Krieg, nach dem von reulos eitler Selbstsucht abgeleugnetem W affensieg seiner Feinde ist es w ehrlos, entsittlich t, bis in E nkelstage verschuldet; w ird regirt wie von Frem den, auf W ogenkam m A ngeschw em m ten m anchm al, in d u n k ler S tu nd e, ein Bar*

bareskenstaät. Eine Springfluth von Plagen w älzt sich geil au f das deutsche Land. D ie ihm die D eiche brachen, schauen, d en ­ noch, m it dem Blick scheuer A ch tu ng au f die un zerm ürbbare K erngesundheit des um bran d eten Volkes. „K räftige, fleißige Leute. Sechzig M illio n e n ; noch m ehr. D ie friß t kein Pole, D äne, Franzos. W und erlich es V olk; ohne seelische N ationalein heit, grundverschiedener W esensart, n u r vom G u rt gemeinsam en Erw erberw illens zusam m engehalten; ohne stolzes Freiheitbe- d ü rfn iß , doch n u r dem G lü ck sgü n stlin g unterthan. D en Re- girern in A them nähe zu kom m en, ist schwerer E ntschluß. M it dem V olk ab er m u ß jed er verständige Staatsm ann sich so stel­

len, d a ß fruchtbarer V erkehr w ieder m öglich w ird.“ D ies ist der Sinn der Botschaft, die Englands, Frankreichs, Italiens M inisterpräsiden ten am C letustag aus San Remo bis an d ie R änder des Erdkreises sandten. H alb D ys-, halb Evangelium . N o c h , sprechen die D re i, hat D eu tsch lan d keine H a u p t­

bed in g u n g des Friedensvertrages erfüllt. D as H eer nicht nach der V orschrift verkleinert, d asK riegsgeräth nicht zerstört, nie­

mals die ausbedungene K ohlenlieferung voll geleistet, von d e r

M iß h a n d lu n g d er bei ihm beg lau big ten M issionenm itglieder

sich nie in ziem licher A rt entsch uld ig t noch je vorgeschlagen,

w ann es m it dem ihm auf erlegten Schadensersatz beginnen u n d

b innen welcher L ängstfrist es ihn vollenden wolle. Fern ist

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