X X V III. Jahrg. Berlin, den SS. Juni 1980 Hr. $9
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Maximilian Harden
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Fliegen die R ab en noch? ...321
N achdruck verboten
E r s c h e i n t j e d e n S o n n a b e n d
Preis vierteljährlich 22 Mk., das einzelne H eft 2.00 Mk.
BERLIN
V erlag der Z u k u n ft
Großbeerenstraße 67 1920
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Regina - Palast am Zoo Reeg & Arnold
(Kaiser-\YUhr m-Gedächtnis-Kirche) Telephon: Steinplatz 9955
Kurfürs/cndamm 10 und Kantstraße 167-169
f und abends: Erstes Intern. Kammer-Orchester
Dirigent: O t t o H a r tm a n n . Konzertmeister: C. B a r th o ld y . Am Flügel: 'w. L a u te n s c h lä g e r
U o u e l l e
D as v o r n e h m e W ein
restau ran t mif D ie le
G e l s i i e r g s f r a ß e 2 t 4 Am Ba'hnhof N ürnberger Platz / Fernspr.: Uhland 792.6
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U n io n ~ K lu l> , B e r l i n
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für Rennen in Berlin und im Reiche
Schadowstraße 8 für p e rs ö n lic h e und Post-Aufträge Kurfürstendamm 234 Neukölln, Bergstraße 43 Bayerischer Platz 9 Potsdamer Straße 23a Oranienburger Straße 48/49 Kurfürstendamm 65 Schöneberg, Hauptstraße 9 1
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K e n n e n z u G r u n e w ä l d
(iS e rlin e r fHciim?cgein)
Donnerstag, den 1. Juli, nachm. 3 Ohr
T kennen.
Berlin, den 26. Juni 1920
Fliegen die Raben noch?
D e r B lo c k d e r M i t t e
\ 7 o r dreißig Jahren hatte Sardou den Rom an einer N o n n e und
’ eines A rtilleriehauptm annes in den Rahm en der G ro ß en R evolution gespannt, dem A rtilleristen den von der Bühne in den W o h lfah rtau ssch u ß verschlagenen Schauspieler La»
bussiere als Freund gesellt, die heftigsten A nklagereden gegen die Schreckensherrschaft aus dem „V ieux C ordelier“ des lieben Cam ille D esm oulins als Paprika in die dünnseim ige A nrichtesauce gerüh rt un d dem G anzen den Beträchtlicheres verheißenden T itel „ T h e rm id o r“ aufgeprotzt. Trotzdem Co*
quelin, noch im H au s M oliere*Poquelins, die H au p tro lle in die sanfte o der schm etternde H o rn m usik seiner m eisterlichen V ortragskunst h o b un d zwei andere Lieblinge, Frau Bartet u n d H err M arais, m itspielten, w ar die W irk u n g der General«
prob e m att; u n d als der Staatstugendw ächter Labussiere gar zu lange sim ilipolitische R eden hielt, rief der A bgeordnete C lem enceau,dam als dem von M eisterM anet gem alten schmäch*
tig d u n klen Rebellen noch ähnlich ,laut dazw ischen: „Abstim*
m enl H e r m it den U rn e n l“ Lauer E rfolg am ersten, Riesen«
skandal am zw eiten A b e n d ; weil sich herum gespiochen hat, d a ß der from m e Verfasser von „D an iel R ochat“, der De*
m okraten h öh n er aus „R abagas“ d en g ro ß en M axim ilien Ro«
bespierre ehrfurchtlos beim O hrläpp ch en genom m en habe.
322
Frechheit, solchen reaktionären Schm arren uns im bepfründe*
ten Staatstheater aufzutischen! In der Kam m er w ird der Mi*
nister gefragt, ob ers d u ld en o d er sich flink jetzt w enigstens ent#
schließen wolle, dasgefährliche Stück zu verbieten.D erSchw atz*
kessel w allt,sie d e t,z isch t.„ U n peu de silence,M essieursl“ D er A bgeordneteC Iem enceau hat das W o rt. „ S ch lu ß d erH eu ch elei!
D a ß ,Thermidor* die R evolution h erunterreißt, ist unbestreit*
bar. Kein M ensch kann das T heaterstück vertheidigen, ohne die R evolution zu zerrupfen, G u tes in ihr von Bösem zu scheiden.
A n ihr herum zuschälen, zu zupfen, zu rupfen, ist aber nicht e rlaubt; N iem an d ist berechtigt zu sagen: D ies w ill ich u n d Jenes nicht; D ie R evolution ist ein Block, von dem m an nicht ein Stück w egnehm en kann. M an m uß sie als G anzes um fangen oder verwerfen. U n d wo sie verw orfen w ird, m uß die Strenge des Staates w alten.“ M inisterpräsident Freycinet verbietet das Stück; u n d dem W o rt vom „bloc d o n t on ne peut rien distraire“ wachsen Flügel. D ie tragen es ü b er den R hein: un d seitdem h e iß t in D eu tsch lan d alles künstliche, nie in haltbare Innen einh eit zu ballende, von der ersten Stunde an bröckelnde Parlam entsgebild (lachet nicht I) Block. W ir hatten einen (B ülow s) m it der A ufschrift: „G eg e n C e n tru m u n d So*
zialdem okratie“ ;den evangelisch»bürgerlichen ersetzte ein ka*
tholisch«feudaler(schw arz*blau),danach ein auch dieScheide*
m annschaft um fassender (B urgfriede) u n d zuletzt, nach dem E insturz der n u r noch von R abitzw änden getragenen Kaiserei, einer, dessen Lebenslüge offenbar w urde, so bald die dem C en*
trum u n d den Liberalkapitalisten v erb ün d eten Sozialdemo*
kraten au f Sozialism us u n d D em okratie nicht m ehr durch#
aus verzichten durften. Q u in tilian s Frage, o b m ancher Begriff dem G egensatz seines Inhaltes den N am en, die W o rth ü lse entlehne, d rän g t sich ins G ed äch tn iß . Ein Block ist Fels, nichts anzukleben, nichts ab zu klau b en ; F raktionenbündelei ist Z u fallsbailung, um die m orgen die K nüpfschlinge enger gezogen, von der sie überm orgen gelöst w erden kann. D ie Sätze „Lucus a non lu cen d o “ (des lichtlosen W ald es N a m e stam m t von dem W o rt Leuchten) u n d „C anis a non canendo“
(des bellenden H u n d e s N am e vom Singen) können im Deut*
sehen nicht besser w iedergegeben werden als durch die Form el:
Fliegen die Raben noch ? 323
„W as nicht fest ist,auch gar nicht zusam m engehört,heißtB lock.“
A us Fraktionen, B ruchstücken, kann niem als ein Felsblock w erden. D as neuste F ertigfabrikat aus Pappe u n d Leim w ird als „Block der M itte“ angepriesen. C entrum , D eutsche Volks*»
partei, D em okraten. D as schnurrigste Blöckchen, das je auf M enschenerde ein A uge sah. D ie V olkspartei, E rbin der Nation nalliberalen, die noch immer den K u lturkam pf k u rsu s d u rch schm arotzen, hat die M än n er des C entrum s alltäglich, als
„ U ltram o n tan e“ , „R ö m linge“ , „undeutsche Pfaffenknechte“,
„schw arze H euschrecken auf dem von Bismarck bestellten F eld“ , in den tiefsten Schlund des H öllenp fu hles verdam m t u n d den am sech sten ju nientleim ten T äuschblock, als D eutsch
lands Schande u n d Lebensgefahr, zwischen zwei A them - zügen zehnm al verflucht. Ih r H erz war bei L üttw itzens „R e
girung der Freiheit, der O rd n u n g u n d der T h a t“ , die „an A lle“ schrieb: „ D ie H errschaft der W u ch erer, Schieber, N ic h tsth u e r, V olksverräther h at ein Ende. D ie au to ritä t
lose, ohnm ächtige u n d m it der K o rru p tio n verschw isterte R egirung war nicht im Stande, die G efahr zu beschw ören.
D ie R egirung der T h a t w ird M inderbem ittelte u n d Festbe
soldete m it N ah ru n g m itteln zu erträglichen Preisen versor
gen; jedem D eutschen den Z u g ang zum G ru n d eig en th u m u n d zum Eigenthum ü b e rh a u p t erleichtern; die Interessen des Beam tenthum es in jeder H in sich t w ahm ehm en; die dem- nächstige R ückzahlung der K riegsanleihen einleiten. A b splitterungversuche vom Reich w erden als H och- u n d Lan*
desverrath standrechtlich erledigt. A u fleh n u n g gegen die neue O rd n u n g w ird m it schonungloser Entschlossenheit nie
dergeschlagen. D eu tschland soll sein eine sittliche A rbeitge
m einschaft. D ie F a rb e n der D eutschen R ep ub lik sindSchw arz- W eiß »R oth “ . Fast m it den selben W o rte n stahds, zwei M o nate später, in den A ufru fen der D eutschen V olkspartei zu der von L ü tt witz erzw ungenen Reichstags wähl. Vierzehn Tage danach w aren Stadt- u n d Bezirkverordnete zu w ählen. A u s einem A u fru f der V o lk sp artei: „M itb ürg er, M itbürgerinnen!
A m sechsten J u n i haben M illionen deutscher M änner u n d Frauen gezeigt, d a ß sie sich ab w enden von der R egirung einer K oalition, die D eutsch lan d m ehr u n d m ehr dem A b
27*
324
g ru n d entgegenführt. Soll das schaffensfreudige B ürgerthum Berlins, soll der gew erbfleißige M ittelstan d, soll die pflicht*
treue Beam tenschaft, soll die groß e Z ahl der nicht auf soziali*
stische Phrasen eingeschw orenen A rbeiter u n d A ngestellten n u r noch O b je k t derP arteiw illk ü r u n d desT errors sein? D an n W e h uns A llen I H eilige K ultu rgü ter schw inden. D ie Religion w ird aus d er Schule verbannt, der G eschichtunterricht verfälscht u n d seines vaterländischen W erth es b eraub t. D as E rgebniß:
V eröd un g Berlins, w irthschaftliche u n d geistige Verarm ung.
Schützet Berlin vor D enen, die es v erd erb en !“ D ie der Volks*
partei eng verbün d eten, d urch P erso n alu nio n (Stinnes) ver*
einten D e u tsclv N atio n alen to b te n : „R ettet E ure H eim ath!
V om ersten O k to b e r dieses Jahres an haben w ir ein Groß»
Berlin. So haben es die rosarothen u n d ro then Demokra*
ten in der preußischen N ationalversam m lung beschlossen.
K eine Einzelgem einde hat m ehr das Recht, ü b er ihr eigenes G eschick zu bestim m en ; das alte freiheitliche Recht der Selbst*
Verwaltung des Freiherrn vom Stein ist aufgehoben. D e n D em ok raten aller Schattirungen ist Alles eine M achtfrage.
Berlin soll die A lles beherrschende roth e Festung w erden, vo n der aus sie ganz D eu tsch lan d u n ter ihren T erro r zwin*
gen w ollen. U m den d ro h en d en finanziellen Zusammen*
bruch zu verschleiern, w u rde G roß*B erlin geschaffen, m it H ilfe d er D em ok raten: D as soll dieser .bürgerlichen4 Par*
tei des G eneralstrike unvergessen bleiben. Schlächter, Bäcker, Kohlen*, Lebensmittel*, G rünkram * u n d M ilchhändler, den*
ket daran, d aß der F ührer der D em o k raten, R eichsm inister K och, auch E ure Betriebe m it E nteig nu ng b ed ro h t. Bür*
ger u n d B ürgerinnen in S tadt u n d Land, rettet Berlin, ret*
te t Euch selbst vor der ro th en F luth! Ih r Beam ten, Ange*
stellten, A rb eiter: hab en die M ach th aber d er R epublik Euch ihre V ersprechungen g eh alten ? Ih r H ausfrauen, seid Ih r des M arkensystem s noch nicht ü b e rd rü ssig ? W o llt Ih r weiter m it E urem kn app en W irthsch aftg eld die Lebensm ittel im W e rth vo n H u n d e rte n M illionen M ark, die u n ter der städtischen Be*
w irthschaftung Ja h r um Ja h r verderben, m itb ezahlen? W o llt Ih r E uren M änn ern w eiter un g enieß b are Lebensm ittel, min*
m inderw erthiges B rot vorsetzen? W o llt Ihr, d aß E uren Kin*
Fliegen die R aben n o c h ? 325 dem , Euren K ranken weiter die M ilch entzogen w ird ? W o llt Ihr, d a ß unsere höchsten G ü te r m it F ü ß en getreten w erden, d a ß die R eligion aus unserem V olksleben, aus Schulen, W aisen ^ Kranken», Siechenhäusern verschw inde, daß unser vaterländisches Leben zerstört w erde u n d alles Schöne unter«*
gehe? N e in l D as könnt Ih r nicht wollen. D arum : heraus aus dem ro then Sum pf! W o llt Ihr die D em okraten wählen, die M itschuldigen des R egirung, die V orfrucht der Sozial«
dem okratie, die Partei des G eneralstrike, der w ir dieses un*
selige G roß*B erlin v e rd an k en ? N ein ! Es gieb t n u r Eins für Euch: So weit wie m öglich fo rt von D em okratie u n d Sozial*
dem o k ra tie l“ A ls diese W e rb e b lä tte r u n d nicht lieblicher du ften d e aus dem G egn erlag er vertheilt w urden, war der Pferdehandel schon abgeschlossen. D ie T hatsache w urde n u r no’ch vertuschelt, dam it die Kreis* u n d Stadtw ahl nicht allzu sehr d aru n ter leide. D eshalb m u ß test D u , W äh ler, lesen: ,,G an z ist die Situation zw ar noch nicht geklärt, aber m an d arf hoffen, d aß die inneren G egensätze zu ü b erbrücken sein w erden.“ D eshalb lasest D u erst am E inundzw anzigsten, die K ab inetsbildun g sei gesichert. N ic h t schon, ehe D u den allerneusten Listenw isch ins W ahllo k al trü g e st? „ D ie Volks»
partei ist eine schm utzige, von der Schw erindustrie ausge*
haltene G esellschaft.“ „D ie D em o k raten führen in Sum pf u n d A b g ru n d .“ D as w ar gestern. H e u te : C entrum , Volks*
partei, D em o kraten ein H erz, eine Seele, m ehr: ein Block.
N ie w ohl ist der G lau b e an die G esinnungtreue, die zuverlässige T u g en d politischer Parteien einem V olk m it der*
berem R ippenstoß ausgetrieben w orden als den D eutschen in F rü h lin g u n d Som m er des Jahres 1920. A ls die R egirung (B auer-M üller), die, ohne den schm älsten G ru n d , der auch n u r V orw and tragen kön nte, das A rbeitergem etzel vor dem Reichstag befohlen u n d von diesem V erbrechen sich durch die Lüge von der A bsich t au f eine „B artholom äusnacht“ zu ent*
lasten versucht hatte, vor Lüttw itzens Leuten feig geflohen u n d neuer Lüge („N ic h ts einer V erhandlung auch n u r Aehn*
liches m it den K appisten“) ü b e rfü h rt war, w urde der „Um*
bau des K abinets“ n u r dadu rch m öglich, d aß die neue Re*
g iru n g (Müller* Bauer) dem G ew erkschaftbund sich m it W ort*
326 Die Zukunft
pfand auf acht P u n k te verpflichtete. D as W o rt w urde m it beinahe heroischer Frechheit gebrochen; un d die Betrogenen traten nicht m it Klage, nicht einm al m it m ahnender Be«
schw erde ans Licht. D ie angeblich republikanische, w ieder aus Ebertianern, C entrum u n d K atholiken gebildete Regir«
u n g regte nicht n u r keinen Finger zu Entschleierung der seit 1914 verhüllten, zu A h n d u n g der seit 1919 him m elan stink end en Schandthgten, sie trachtete nicht n u r niem als ernst*
h aft nach B estrafung der M ö rd er,M eu terer, V olksaus Wucherer, Schieber aller Form ate, so ndern fuhr fort, die eigene N a tio n u n d die V ertragspartner zu belügen, u n d entw öhnte sich so aller Scham, des U n saub erkeit deckenden Schamhem des selbst, d a ß sie d en auf deutscher E rde stehenden Eroberer, ihren
„F e in d “ , an winselte, seine G n ad e m öge ihr die zu schleuniger A bschlachtung deutscher M enschen u nentbehrlichen Schwer*
geschütze u n d L uftbom ben lassen. D e r B eschluß, Ar*
b eitem u n d A ngestellten zehn u n d zwanzig von je hun*
d e rt M ark ihres Lohnes als Steuer abzuziehen (ein, wie m ir scheint, b löd sin n ig er B eschluß, dessen Folge neue Lohn*
erhö h un g , also Preissteigerung, sein m u ß ), w ird über den A b e n d der R eichstagsw ahl h inaus verheim licht, weil er den regirenden Parteien schaden m üßte. „ W en n wirs gew ußt hätten, wäre aus unseren R eihen nicht eine Stimme den Mehr*
heitsozialisten zugefallen“ : von H u n d e rtta u sen d h ö rt m an jetzt solche W o rte. T rotzdem seit M onaten gew iß ist, d aß hinter dem W ah lausgan g N o th w e n d ig k e it eine neue R egirung ein*
setzen w erd e, stüm pert die alte schnell n o ch , aus Klug*
Schwätzern, Schlaum ächlern, greisenden G ro ß k a u fle u te n , die längst nichts m ehr zu sagen, aus N achtigalen, die sich in T heorie m ancher Jahrzehnte heiser getrillert haben, den Reichs*
w irthschaftrath zusam m en. D e r soll dem N ullenparlam ent, das die Listenbezugsscheine dem Reich eingebracht haben, d en W e g in vernünftige W irth sch aft weisen, zwischen Land u n d Stadt, deren Feindschaft für heute un d m orgen noch ge*
fährlicher ist als der schroffste G egensatz städtischer Klassen, V ersö hn un g stiften, d urch weise V ertheilung von Bestimmung*
recht u n d G ew erbesertrag die freudige A rbeitgem einschaft von U ntern ehm ern u n d G elöhnten, K öpfen un d A rm en vor*
Fliegen die Raben n o c h ? 327
bereiten. W ars m öglich, diesen w ichtigen „R ath“ (der, natür*
lieh, n u r die hellsten K öpfe, höchstens fünfzig, um fassen d u rfte) noch vor dem Reichstag einzuberufen, dann m ußte ihm zu E rörterung des w irthschaftlichen Berathungstoffes fü r S p aZ eitg e wahrt werden. Die wird ihm, der zunächstdas C haos des M einens u n d Strebens lichten, aus altem U rstän d sich in den W illen zu N euem tasten m uß, n u n kaum bleiben, wenn die internationale K onferenz nicht bis in den A u g u st vertagt w ird. U n anständ ig aber war, daß die abgethane, n u r zu Fort*
fü h ru n g laufender G eschäfte noch berufene Regirung, am letzten Lebenstag, die zw ölf ihr vorbehaltenen Ernennungen ausspritzte, statt dieses R echtsbleibsel der Folgerin zu gön*
nen. N ach der G enehm igung des A bschiedsgesuches hat ein M inisterium still zu arbeiten, bis es abgelöst w ird, un d A lles zu m eiden, was die A blösungm annschaft in neue Fessel b in d et. D aß d erp u tzig eN o v ellist u n d ewig*hymnischeKriegs*
berichterstatter, den der M ü ller ohne K orn u n d M ehl als den zu Leitung des A usw ärtigen M inisterium s T auglichsten ersehen hatte, sich nicht begnügte, auch als D em issionär in einem W einkeller zwischen T heatervolk bis ins M org enroth K om m ersbuchlieder u n d G assenhauer zu gröhlen, höchst*
selbst also das schöne Beispiel von U eberschreitung gesetz*
licher V orschrift zu geben, sondern auch flink noch gen Flensburg fu hr un d eine, so zu sagen, program m atische Rede hielt, war schon ungehörig. A erger die von kaum noch for*
mal Zuständigen vollzogene E rnennung der zw ölf in den W irthsch aftso w jet A b zu ordn en d en . Fragern, die den R um pf des W irthschaftrathes m it Sorge betrachteten, war in der Wil*
helm straße u n d am K urfürstendam m gesagt w orden, die Aus*
w ähl sei, leider, durch die U nm öglichkeit beschränkt, noch m ehr Berliner ins W irthschaftparlam ent zu schicken. Faule A usrede. V on den Z w ö lf sind Sechs Berliner; darunter manche, vor deren N am en nicht n u r die Prüfer des K andidaten Jobses d en K opf geschüttelt hätten. G esam m tb ild : ein Senatus, eine w ürdige V ersam m lung der vorgestern, in ganz anderer Z eit, . Bew ährten, wo, in viel zu breitem Rahm en, die rüstig Mo*
. dernen sich schwer durchsetzen w erden u n d über dem Ge*
dräng schw ankender G estalten die stärksten K öpfe fehlen.
328
N ic h t einm al H e rr von M o ellend o rff, der Ersinner der K riegsrohstoffew iithschaft, der einzige M itregirer, aus dessen H irn seit 19 ein fortzeugender G ed an ke („P Janw irthschaft“) kam, u n d d ru m eigentlich der V ater des Reichs wirthschaft*
rathes, ist von der au f die W eish eit der Schm idt, H erm es, H irsch, der Barm atisten, Sklarziden, Schwanenwerderschma*
rotzer lauschenden R egirung berufen w orden. U n d die An*
gäbe, H e rr D r. R athenau sei, weil er fast imm er falsch pro*
phezeit u n d doch stets hochfahrend G eh ö r verlangt habe, trotz seiner Schwärmerei für den H e rrn E bert („S in d w ir sachlich?), nicht ernannt w orden, entw urzelt nicht dieU eber*
zeugung, d aß auch dieser in all seinem Irren u n d Fehlen doch ungem ein geistreiche M ann, der unserer kräftigsten Industriegesellschaft u n d einer der g rö ß ten Banken vorsitzt, in D u tzen d en indu strieller A ufsichträthe zu E ntscheidung m itw irkt u n d einen T heil des uns w ichtigsten A uslandes grün dlich k ennt, in den A ufsichtrath der R eichsw irthschaft gehört. Fände er da etw a nicht M anchen, der, ganz wie er, noch im Juni 18 deutschen W affentrium ph „vom K aukasus bis zu den Pyrenäen“ vorausgesagt, wie er später der W eststim m ung, V aluta und anderer W irthschaftentw ickelung falsche Progno*
sen gestellt h at u n d doch d rin sitz t? U nw ahrhaftige Aus*
rede, w ohin m an h orcht. U n d am Ende schm ählichen Re*
girerlebens w u rd e m it den Parteien, gegen d ie, als w ider schm utzige V erräther des Volkes, m an gestern m it Sporn, Peitsche, W ortpfeffer, die W ä h le r gehetzt hatte, ein P akt ge*
schlossen, dessen G elingen erst offenbar w erden durfte, als die selbe F ro n tn o ch einmal, zu Kreis» u n d K om m unal wahl, gegen den selben Feind, den Sozius von m orgen vorgestürm t war.
„D ie E inigung der Parteien ist n u r m öglich, w enn vom Z iel her die M acht w inkt. M ancher Streit ist schnell ge*
schlichtet w orden, als die Suppe aufgetragen war. W e n n ein ungew öhnlicher G ew inn reizt, v erb ü nden sich Aktien*
gesellschaften, die gestern verfeindet waren. D ie H offn u n g auf Profit ü b erw in det alle G efühlsw iderstände. W ir w erden gro ße Parteien u n d starke K oalitionen haben, so bald m an sich entschließt, solchen G eb ild en die M öglichkeit des Re*
girens zu geben.“ V or fast zwanzig Jahren schrieb ichs. Da*
Fliegen die R aben n o c h ? 3 2 9
mals war, vielleicht, Parlam entarische R egirung in Deutsch*
land noch einzubürgern. Jetzt, nach der vom Krieg bew irkten W eltw ende, ist es zu spät. D eutschlands V erfassung m u ß der am erikanischendiehem m unglos selbständige F reiheitaller Einzelstaaten, die Stamm esbezirke sind, m uß der russischen den G ed ank en der G eschäftsführung durch B erufsräthe ent#
nehm en, die, natürlich, nicht in die Schicht der H an d arb eiter beschränkt w erden dürfen u n d deren A uslese m it den ober*
sten Reichsbeam ten den B edürfnißfragen der G esam m tnation die A n tw o rt zu finden hat. D a ß die W iege des deutschen Parlam entarism us so ekel beschm utzt w urde, ist deshalb kein U nglück. D ie G leichgiltigkeit der Volksm asse (schon am sechsten J u n i haben von h u n d e rt Berechtigten dreißig nicht gew ählt), der aller Scham entkleidete M arktschacher der Parteien, die U nfähigkeit der Fraktionen, das W ah lerg eb n iß nach der R echtsordnung in M achtm ünze auszuprägen u n d in anständigem Z eitraum eine halb wegs lebensfähige R egirung zu schaffen: all D as bew eist, d aß die N eu ein richtu ng vom vorigen Ja h r deutschem B edürfniß nicht genügt u n d der qualm ende Z u g deutschen V erfassungdranges auf ein totes G leis gefahren ist. D er ganze U n fu g der Parlam entelei in Reich, Staaten, Provinzen, Kreisen, Städten m uß schleunig enden, weil er zu viel kostet, nichts Brauchbares einträgt, G eist u n d Seele, wie R aupenfraß G ärten, verw üstet. Berlin w ird m orgen vier Parlam ente sehen, d ie, Reichstag, R eichsw irthschaftrath, Preußische N ationalversam m lung, gro ß b erlin er S tadtparla
m ent, von verschiedenen M ehrheiten beherrscht sind, ihrem Streben verschiedene Ziele setzen u n d doch, weil aller A rb e it den selben R eichskörper u n d dessen H au p to rg an e stärken soll, n u r au f gemeinsam em W illen sstran g vorw ärts kom m en kön n ten. A uch diese gefährliche G roteske, das Abschieds»
geschenk leichtfertiger, n u r auf P fründensicherung u n d Ein»
fluß w ah ru ng bedachter Regirer, kann die N arrenfratze un*
seres Elends durchschauen lehren. U n d der W ähler, der die von ihm Erw ählten in trau ter H andelsgesellschaft m it den gestern in K oth G ebadeten erblickt, w ird sich vor so frecher Fopperei fortan sorglicher hüten. E inV olk ist n u r und e rstd an n frei, w enn seine Staatseinrichtung seinem B edürfniß genügt.
D e m o k r a t e n d ä m m e r u n g
A llerlei Briefe rütteln, pochen, kreischen: „D iesm al müssen Sie es der D em okratenpartei aber ordentlich g e b e n l“ D er w ird die H a u p tsch u ld aufgebuckelt. H a t sie nich t alle der D eu tschen V olkspartei Z ugeh ö rigen wie den A bschaum der M enschheit, jed en dem StinnesheerZ uneigendenalsS chm utz*
finken verschrien, nicht zehnm allautgeschw oren, nie w erde ihr reines G ew and den u nsauberen Rinnstein, das verschlam m te A ngelbecken dieser Partei auch n u r m it dem Saume streifen?
N u n sitzt sie, Schulter an Schulter u n d Backe an Backe, hinter R u th en aus dem selben W eid en stan d u n d ist selig, wenn die N ach b arin ih r m it R egenw ürm ern u n d anderem K öder aushilft. N u n sollen, m üssen, w ollen die Fergen der Ger*
m ania, d er T äglichen R undschau u n d des Berliner T age
blattes den selben K urs steuern, in D reifelderw irthschaft die selbe O effentliche M ein u n g züchten. ,,Schm ählichsterV errath aller dem okratischen G rundsätze. Eugen R ichter dreht sich im G rab herum . Schonen Sie die Bande ja n ich t!“ Z orn , B ürger u n d B ürgerinnen, m acht Euch blind. D ie guten Leute der „bürgerlichen Linken“ k o n n ten nicht anders handeln.
W o m it nicht etw a gesagt sein soll, ihr E in tritt in die R egirung sei „ein patriotisches O p fe r“ . Jed er lechzt nach Minister*
herrlichkeit (so hats unser preußisches K ultusparasitchen ge*
nan n t), Jeder, w enn Fetteres n icht zu haben ist, nach Staats*
Sekretariat o d er P räsidium : u n d Je d er flennt, wie unsäglich schw er ihm der E ntschlu ß w erde, „die heute so undank*
bare A m tsb ü rd e au f sich zu nehm en“ . D ieser H euchelquatsch w ächst dem H ö re r zum H als heraus. W o in aller W e lt schickt ein Prem ierm inister, wie der G lücksg ün stling Fehren*
bach that, einen Seufzer ü b e r die Schwere der A m tspflicht in die H eim stad t u n d lä ß t ih n durchs am tliche Sprachrohr ü b er die Lande h in stö h n e n ? A ll diese W ackeren m erken gar nicht, d a ß ihre Rede u n d Schrift noch im m er W ilhelm s Livree träg t u n d d a ß sie, von U nserem Fritz u n d dem sonst schlaueren H errn von K ardorff bis au f den G em einplatz des G eß ler hin un ter, nicht zu öffentlicher Rede den Schnabel au fth u n k önnen, ohne sich in d en K om oediantenpom p un*
seres N erochens zu w attiren. Lachet diesen M eloschw atz
Fliegen die Raben noch ? 331
u n d Filmstil derb aus; zw inget Eure Z e itu n g , den Volks*
dienstb o ten ru n d heraus zu sagen, wie gleichgiltig ihre Ge*
fühlsblasen, wie, zum Speien, ekelhaft ihre M artyrgrim assen uns sind. D a n n w ird kein M ü ller sich m ehr in die burleske B eh au p tun g erdreisten, H err E b ert brenne darauf, aus dem P räsidentenpalast, wo er fast so viel Sorgen w ieL iq u eu r habe, in die P ro letarierw ohn u ng am treptow er Eierhäuschen zu rückzukehren. A u ch den H ä u p te rn der D em ok ratenfraktio n ist das M itregiren Lust, nicht O p fer; ist die M öglichkeit, auf den H ü g el der R eichsm inister ein paar ihrer M ännchen
z u postiren, gerade jetzt kaum noch erw artete W o n n e. W eil sie die N iederlage, den völligen u n d ganz hoffnunglosen Zu#
sam m enbruch für ein W eilchen verschleiert u n d den von der W ahlschlach t zerstriem ten, vom Schmerz des Sturzes zucken»
d en Resten der Partei erlaubt, von sich als von „dem ent*
scheidenden F aktor der K ab in etsb ild u n g “ u n d „dem Z ünglein an der W a g e “ dem verblüfften A nhängsel was zu plaudern . Seit ihrer G rü n d u n g hat diese Partei jeden erdenklichen Fehler gem acht u n d jeden, w enn aus ihren R eihen Rüge kam , bockig geleugnet. U n te r siebenzehn M o naten ist sie für allen Ueber*
m uth u n d Praß der A em ter, fü r die hoch gehäuften Rechts*
brüche, M ißb räu che, M o rd e, für eine selbst in subtropischen R epubliken nicht m ehr erträgliche H ochstaplerw irthschaft m ithaftbar gew orden. Ihre R eichsökonom ik war die rück*
ständigste; ihr zäher Versuch, die abgetriebenen G äule aus dem baufälligen Freisinnsstall H au p tren n en laufen zu lassen, em pörte sogar die ihr in T rain erd ien st V erpflichteten; der Vor*
m und ihrer Jugendvereine sang, u n ter dunklerem H aar u n d d rum ohne Ju denrefrain, durchaus die teutsche W eise blon*
der Schulgenossen; u n d sie wagte, die H erren Fischbeck, Go*
thein ,O eser, Koch, B lu n ck ,G eß ler in N o th z e it dem deutschen V olk als G eschäftsführer aufzuzw ingen. W ie D as in einer Partei geschehen konnte, der viele gescheite, im H aufen auch tapfere M änner an g ehö ren? D e r in niedrigste P öbelsitte gesunkene A ntisem itism us erschwerte die M enschenausw ahl.
D ie Petersen, Friedberg, Schiffer, D ernb u rg , R athenau, Bonn u n d andere B rauchbare oder Betriebsam e schienen, als „Ganz*
u n d H a lb ju d e n “ , vorn nich t haltbar. A u f den V orsitz der
F raktion, nicht ins M inisterium , d urfte H e rr Petersen, d e r kluge Sohn einer vornehm en J ü d in ; u n d ju st in dieses (ih m n ü n genom m ene) A m t tau gte der jed er A ch tu n g w ürdige Sena*
to r nicht, der w eder T ak tik er noch O rganisator, m ehr R ed n er als Politiker ist u n d g rü nd lich n u r d ie W asserkante, nicht das deutsche B innenland noch gar O p tik u n d A k u stik , Schnür*
b o d en , C oulissen, V ersenkung des Reichstagstheaters, kennt.
Er war nicht stark, nicht feststäm m ig genug, um den Rollen*
neid w elker P rim ad o nnen ins G elächter auszuliefern, je d e r tauglichen K raft W irk en srau m zu schaffen u n d die ihm allzu nahen Epigonen des evangelisch*sozial#freisinnig*wilhelmisch*
im perialistisch*kriegsfrohen Jesusk ün d ers u n d Erdtheilanek*
tirers N aum an n, des in alle Sättel gerechten Redekünstlers,, Kanzel«« u n d W erk stattjou rn alisten, in ihrer V o rd rängsu cht zu zügeln. D ie Folgen w urden früh? w erden noch heute fü h lb a r.
D e r W a h la u fru f (aus dem hier das nahende U n heil prophe*
zeit w u rde) gleicht dem S iebenm onatkind, dessen M u tter, in dem W a h n ,d en H e ilig e n G e istz u um fangen,die runzelige Jung*
fernschaft dem R eisenden einer m it Flanell un d anderer G o tt
seligkeit h an d elnd en Firm a g eopfert hatte. A uf der R eichsliste standen N am en, vor denen n u r die Stichw ahl zwischen Lach#
k ram pf u n d T o b su c h t ü b rig b lieb. D as emsige W e rb e rm ü h e n des H e rrn R athenau k o n n te keinen K andidatenplatz erlan*
gen; G ra f Bernstorff, dessen Buch, das verständigste aller von Beam teten ü ber das K riegserlebniß geschriebenen, wie*
der den klaren K opf u n d die W e ltk e n n tn iß eines nicht e rst seit 1918 D em okratie w ollenden D iplom aten erw eist, wurde*
in T ru g flo r dicht eiogew ickelt, durch steiniges G elände in sichere N iederlage geschickt; der fü r K u ltu rp o litik g u t ver*
w endbare G raf K eßler n icht an den Start zugelassen. N u r nicht N e u e n das Pförtchen au fth u n , die verrostete E h rw ürde überglänzen k ö n n ten ; fest u n d eng den Ring um die Alten*
,,in Stürm en E rp ro b te n “ schließen. N o c h imm er, nach dem D o p p e lb a n k ero t vom sechsten u n d zw anzigsten J u n i, w altet ih r W ille in der F raktion. Laset Ihr, was sie den W e b er, Friedberg, C aro lath nachrief u n d nachrufen lie ß ? Ein tüch*
tiger N atio n alö k o n o m , nicht unw erth des L ehrstuhles, a u f dem B rentano lange saß, fü r P o litik so begabt, wie launi»
Fliegen die R aben n o c h ? 3 3 3
scher Jä h h eit beschieden ist, nie nach G u n s t langend, doch, der als ein u n verk ap p ter Ju n iu s G erü h m te, nicht tapfer ge«
n u g , um gegen W ilhelm s T reiben u n d gegen die fortwäh*
ren d e S chändung der ju n g en R epublik je ein hörbares, star*
k es W o rt zu sprechen. D e r Z w eite ein anständiger M ann u n d b eh ender P arlam entstaktiker, ohne das A ederchen eines Schöpfergeistes, im K rieg aller „Flaum acher“ flauster, doch vor Frem dblick so hoch in den Schimmer der Siegesgewiß*
h e it aufgereckt, d a ß er V icekanzler w erden u n d aus Excel*
lenz in hertlingischen Phrasenschw all glitschen konnte. D e r D ritte liebensw ürdig saubere O hnm acht, deren ins Reichs«
tag sp räsid ium strebende Fetthülle der alte G u id o H enckel, n u r so im V orüberschlendern, zwischen zw anzig Fracks m it dem väterlich barschen W o rt niederdrückte: „H einrich, D as k a n n st D u n ich t!“ D e r Erste hatte sich von d er neuge*
borenefi D em okraten partei m it Z o rneschnauben abgew andt.
D e r Z w eite, das U rb ild des N ation allib eralen aus Bennigsens K orrektheitschule, w ar als arbeitsam G reisen der dem W esen echter D em okratie eben so fern wie in der W e ih stu n d e, da in H alle den ju n g en D ozenten die biedere Rechte des Kol*
legen Paasche von M oses zum C hristu s, auf d en Platz des Stehtäuflings geleitete. D e r D ritte, dem , als einem im D u n s t
kreis des potsdam er V ickyhofes u n d in Fam ilienfeindschaft m it H erb ert Bismarck A ufgew achsenen, die Rolle des Philippe
£ g alite, des Bürger»Prinzen, im m er gefiel, ließ sich, als die N atio nalliberalen ihren N am en wie ein vertragenes H em d w egw arfen, als alter, k ranker M ann in die D em okratenliste einschreiben. Leset: aus jedem der D rei ist ein H eld , H eliand, H a lb g o tt un d eine nie verglühende Leuchte der Partei ge*
w orden. D en seit W o ch en Laskers to ten Leib m it Kränzen u n d Fackeln um schreitenden V ätern dieser Posauner rief, in genialisch w ildem W u th a u sb ru ch , um P arteienurtheil u n d Oeffentliche M ein u n g m ajestätisch unbekü m m ert, Bismarck im Reichstag zu: „ W ie lange w ollen Sie noch m it dieser Leiche k reb se n ? “ W ie d e r dürfte ers fragen. Fände Philem ons d u n k le L inden noch in ihres A lters Kraft. Sogar, aus dem Sprachschatz des im m er selbstzufriedenen R ick ert, in den N ach ru fen das liebe W ö rtc h en „u n en tw eg t“ . D iese Partei wechselt oft das N am ensk leid , niem als die Lebensart.
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U n d nie, scheint es, lern t sie den M u th zu Selbsterkennt#
niß. W ie d e r will sie die V eran tw o rtu n g für ihren Sturz, fü r ihr Leid jetz t auf A nd ere abw älzen. A u f die Rivalen, deren T ücke sie von hinten erdolcht h abe (w ie, nach Bauers Ke#
renskijm arsch, die H eim ath die F ron t; wer bei uns n icht w ie W ilh elm spuckt, räuspert sich wie die O berste H eeresleitung u n d deren selige E rb e n ); au f die b lin d e T h o rh e it des V ol
kes, d a sZ a u n k ö n ig e dem A dler, G au k ler dem treuen W ä ch te r vorziehe. Irrth um , laß los der A ug en B andl D ie Fortschritt*
liehe V olkspartei hat 1912 in der H a u p tw a h l nicht einen, in der Stichw ahl, auf geliehenen K rücken, vierzig Kandi*
d aten durchgebracht. E ben so wars 1907, w irds 1920; w enn sie in dem noch besetzten G eb iet von neun M andaten nich t m ehr als fü n f verliert. D ie Fieberw ahl von 19 zählt nich t m it; da sollte, wie H e rr G o th ein , enfant terrible m it G ra u kopf, ausgeplaudert hat, die D em okratenm um m e von W il
son & C o. G n ad e u n d A b la ß einhandeln. Ein O rk an rast d urch D eutschland, w irbelt das U nterste o b en au f: u n d die Z ahl der aus bürgerlicher D em okratie A b g eo rd n eten b leib t genau, wie sie zuvor war. Etw as m ehr als ein Z w ölftel d er Sitze im R eichstag; ein winziges, kaum sichtbares H äu flein in der Jam m erecke des berliner R athhauses, wo die Partei doch manches N ü tz lic h e g e le iste th a tja h rz e h n te langaufunerstürm * barer Schanze th ro n te u n d n u n von allen H au p tparteien, sogar von den N ational*A ntisem iten, him m elw eit überflügelt, von einem gestern geschaarten G rü p p ch en fast erreicht w ird.
D a ru m die m ühsam e A rb e it eines H eeres ernster M änner, der M illionen au fw an d fü r die Partei, das pom phafte Klub*
haus, das G eschachtei der Bezirks vereine? U m h u n d e rt G ram m au f die W ägschale legen zu können, die n u r K ilo
gew ichte sen k en? D ie zwiefach G ew arnten, rau h aus k in d licher Selbsttäuschung A u fg erüttelten m üssen, endlich, sehen lernen, was ist. Ideologen u n d Jou rn alisten, die aus dem B ourbonschloß französisches Partei wesen, aus Büchern B ruch
stückchen des britischen kennen, träum en von bürgerlicher D em okratie, der die gem eine W irk lich k eit unserer K lassen
käm pfe u n d Interessen W ettrennen nie eine Scholle fester W ur*
zelerde bot. D ie selben guten K inder, denen eine m it Schlagwör*
Fliegen die Raben noch ? 3 3 5
tern (F reih eit, R eaktion, Rassen» u n d K lassenhaß, A lldeutsche, liberales B ürgerthum in Stadt un d L and) gestopfte Fibel das G ru n d b u c h d e u tsc h e rM a c h t dränge,ein Feuilleton das b lanke SpiegleindeutschenW irthschaftrechtes sch ein t,ließ en sich,am Liebsten von unserer R austw e (in Firm a Scheidem ann), in den W a h n lullen, m it den Sozialisten zu spaziren, w erde noch lange ehrenvoll sein u n d der „bürgerlichen L inken“ G ew inn bringen. H ä tte n sie M arx, Engels, Lassalle, H en ry G eorge, auch n u r die K athedersozialisten u n d F ab ier, Bebel u n d K autsk y , Laveleye u n d M asaryk gelesen u n d sich in den U rtrieb des Sozialism us eingefühlt, dann wäre die Seifen«
blase vor ihrem Pfeifchen geplatzt u n d der G lau b e zerron«
nen, das bew egliche K apital sei m it den ihm zu M ehrw erth«
und D ung»L ieferung H ö rig en in die „Interessenharm onie“
zu rahm en, auf deren H u rend iele ein paarG enießer»G enossen sich rädeln u n d alles A ngegeilte o d er schon G epaarte neppen m öchten. U n d dieses bew egliche K apital, das dem Industrie«
Sozialismus noch w eniger als dem städtischer P rofitsucht feind»
liehen G ru n d b esitz sich v erb ü n d en k a n n , w ar im m er die Amme des Liberalism us, der gestern die Larve der Demo«
kratie zeitgem äß fand, u n d w ird im m er dessen N ä h rb o rn , aber auch Bakel sein. Losung: Jed e Freiheit, die dem G eschäft zinst, keine, die es schm älert; erste B ürgerpflicht ist, „R uh e u n d O rd n u n g “ zu w ahren. Eine kleine Partei leidenschaftlich Geistiger, die, ohne M arxens D ogm a u n d Lenins Pauliner»
lehre zu b ek en n en , für die Internationale des M enschen«
rechtes, der M enschheitw ürde ficht u n d u n verrückbar noch auf der u m b ran d eten K lippe kü h n en D enkens u n d grani«
tenen W ollens steht, ist m öglich. D ie auf einen H o rt, au f
„B eziehungen“ u n d O rganisation angewiesene Kapitalisten«
partei w ird stets dem von B ankdirektoren, K om m erzienräthen, Syndicis u n d anderen R echtsp frün d n ern b eherrschten De»
m okraten klub ähneln, von dessen T enne nach dem D rusch (V o rtrag ) un d d e rS p re u a u sk eh r(D isk u ssio n ) kein nahrhaftes K orn zu lesen ist. D ie Finanzirer u n d Patrone der Demokrat!«
sehen Partei w ollen durchaus nicht, was dieE thiker, Salonsozia«
listen ,T rib u n aterstreb er, Z eitungschreiber w ollen, u n d w ären schon, säm m tlich, nach der B eugung u n ter das Joch der Auf«
ausgesteuer u n d der B etriebsräthe, ins N achbarlager entlaufen, w enns da nicht noch ein Bischen nach P ogrom („R assenh aß“) stänke. A n d erer U nterschied w ird n u r vorgeflunkert. D ie N oske*G eßler»D em okraten fo rdern die R ückkehr in allge»
m eine W ehrp flicht, verfluchen d en ..Schm achfrieden u n d die V ergew altigung des unbesiegten, um d en E rtrag freiwilliger W affenstreckung infam betrogenen V aterlandes“ , weisen Kom*
m unisten in M ordbrennergem einschaft, h aben nicht einmal m it dem H au ch ihres M u n des für Schuld Strafe, Schutz der U n schu ld , S ü hnu n g niederträchtig feigen G em etzels ver*
lan gt; u n d von zehn V orm ännern w ären m indestens sieben beklem m enden A lbendruckes ledig, w enn eines schönen Mor*
gens w ieder die H u p p e des A llerhöchsten H e rrn ertönte u n d die R ep u blik ein u n h o ld er T rau m sp uk gewesen wäre- N ach der ärgsten W ahlniederlage, die je irgendw o eine im F ett sitzende Partei erlitt, blieb den noch im m er nicht zu L iq uid atio n, die vernünftig u n d reinlich wäre, Entschlossenen nichts ü b rig als A nschlußversuch. Links: war einm al und w ird, haltbar, nicht wieder. A lso rechts. W aru m soll derSchif*
fer im kleinen K ahn nicht ins altgew ohnte G ew ässer zurück*
ru d ern , H e rr Petersen nicht m it anderen patrizischen W asser
kantian ern , der D iskontofischer m it Ost* u n d W estbankiers sich verständigen, H e rr D e rn b u rg nicht, wie einst im kalten M ai vo n D eutsch-L uxem burg, das E rstgeburtrecht des All»
um fassers Stinnes anerkennen, dessen K letterfuß seitdem der M illiard ärk u p p e nähergekofrim en ist? W a s die D em okraten gestern thaten, m ußten sie th u n . Ihrer Partei b lü h t nirgends noch eine H offnung. Sollen gescheite, redliche M änner sich fü r ein P hantom w eiterplagen? Links w aren sie Bremse.
Rechts k önnen sie Sporn w erden. Ihr neuer V orm ann Eugen Schiffer fü h rt nicht au f den W eg Eugens Richter zurück.
D reiundzw anzigster Junim orgen. „ D ie K abinetsbildung aberm als gefährdetl Eine ganz neue S ituation 1“ „ D ie Volks*
partei fo rd ert Fachm inisterl K ein V ertrauensvotum !“ G estern w ar abends, endlich, Alles in O rd n u n g . M ein N achtw erk ist M ak ulatur. Ein Z w ischenspiel des G edächtnisses hilft aus. D anach ist, vielleicht, ü b er das E reigniß des Tages noch Etw as zu sagen.
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R e ja n e
Fräulein G abriele Rejane ü b te die jun g e K raft als Possen*
Soubrette. Sie w ar kaum m ittelg ro ß , m unter u n d frech wie ein pariser T augenichts u n d m ager wie ein Kätzchen, das fleißig nachts die D ächer besucht: leichtsinnige M ädchen u n d listige K am m erkatzen m u ß ten ih r m ühelos gelingen. Früh schon fiel der Blick der beliebtesten T h eatraliker auf das w erdende T alen t; sie m erkten: der sü ß e Racker ist fü r listige Z o fe n u n d Z w anzigfrancsm ädchen zu g u t; er kann vielleicht die neue Pariserin, das M o d ep ü pp chen der D ritten R epublik, leibh aft au f die B ühne stellen. H en ri M eilhac, der im m er nach neuen W eib lichk eiten um herschnüffelte, hatte auch dies*
m al w ieder die beste W itte ru n g ; er gab der rasch wachsen*
den Schauspielerin, die in G o n d in ets „ C lu b “ u n d in Riehe*
pins „ G lu “ aufgefallen w ar, aber noch nicht zu den Lieb*
lingen der B oulevards zählte, die H au p tro lle in seinem feinen Schw ank i.D ecore“ : u n d hatte sein V ertrauen nicht zu be*
reuen. D ie Rejane fand den ersten g ro ß en Erfolg, Papa Sarcey breitete segnend die fetten H än d e über ihr pfiffig blinzelndes K öpfchen; die neue H e ld in der vie parisienne w ar entdeckt.
Sie brachte A lles m it, was der alternde M eilhac brauchte, er*
sehnte: die elegante, w enns n ö th ig war, auch höchst korrekte H altu n g , die n u n nicht m ehr an den H etärism us des Z w eiten Kaiserreiches erinnern durfte, die ironische G ru ndstim m ung, die ihr erlaubte, m it einem Blick, einem auf leuchtenden T on, einer raschen, kaum m erkbaren G eb erde die K om ik der ern*
sten u n d den E rnst d er kom ischen V orgänge zu zeigen u n d so zwischen B ühne u n d P u blik um eine stets schmeichelhafte, dem Pariser besonders w illkom m ene In tim ität herzustellen, u n d die behende Laune einer in allen Tem peram entsfarben schillernden, ü ber alle T ö n e u n d M ienen nach Belieben ver*
fügenden P ersönlichkeit. D e r erfahrene M eilhac, der sich seit den T agen der schönen H ortense Schneider, der H elena u n d G ro ß h erzo g in O ffenbachs, an m ancher g roßen u n d kleinen K om oediantin gerieben hatte, w u ß te den W e rth solcher Per*
sönlichkeit zu schätzen; ihm schien in Rejane das parodi*
stische T alen t besonders stark u n d er ließ sie in der vom V ater nicht allzu reichlich ausgestatteten Posse „M a Cou*
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sine“ deshalb die K ünste p ro d u ziren , die sonst n u r a u f Mont*
m artre zu b ew u n dern sind. A uch diesm al tro g die B erechnung den Schlauen n icht: alle Pariser u n d erst recht alle Frem den w ollten sehen, wie d er soignirten V audevilleherrscherin der schauerlich freche T anz d er D am e G rille d ’E g o u t gelang. Zu»
vor aber schon war Fräulein Rejane zu helleren K unsthö hen em porgestiegen, den W arn ern , die sie im w arm en T h al der gallischen Schwänke zurückhalten w ollten, zu T rotz. A lte u n d ju n g e F reunde, K ritiker, K ollegen u n d C h ro n iq u eu rs beschw oren sie, sich au f das gefährliche A b e n te u er nicht einzulassen, ihren R u f nicht in leichtsinnigem Frevel aufs böse Spiel zu setzen, so nd ern sich im Lande Labiches u n d M eilhacs auch fernerhin redlich zu nähren. D o ch da half nichts: Rejane lachte den W a rn e rn ins beküm m erte G esicht, legte die zu S tößen geschichteten Briefe säuberlich in den K asten u n d erzäh ltejedem , ders je h ö ren wollte, sie sei fü r das Stück, dessen H au p tro lle sie spielen w erde, begeistert u n d wolle um jed en Preis m itkäm pfen, w enn der N aturalism us a u f der B ühne die H au p tsch lach t schlage. Z u diesem E ntsch lu ß ge*
h ö rte dam als im m erhin M u th . E d m o n d de G o n co u rt, dessen G erm inie Lacerteux gespielt w erden sollte, hatte sich durch an ti
sem itische u n d antikapitalistische R egungen bei einem wich*
tigen T h eil des P ublik um s u n d d u rch m ancherlei unbeq uem e E igenthüm lichkeiten seines sensiblen K ünstlerthum s bei den Stim m führern der Presse verh aß t gem acht u n d die Schauspiele*
rin, die fü r sein schon vor der A u ffü h ru n g in den A b g ru n d ver*
dam m tes W e rk so hitzig eintrat, m u ß te die Rache der Mäch*
tigen fürchten. U n d w ar d en n sein Stück, das entfleischte G erip p e eines psychologischen R om ans, a u f der B ühne über«*
h a u p t m öglich? W ü rd e das geputzte P u b lik u m sich für die Lebensgeschichte des D ienstm ädchens interessiren, das sich in einen h ü b sch en Kerl vergafft, im R ausch dum p fer Sinne n u r das eine Streben noch k e n n t, den flatterhaften, lüder»
liehen B uhlen zu h alte n , den geliebten Leib fest zu um*
klam m ern, u n d kaum s p ü rt, wie dieser T rieb die V ergiftete in die Tiefe zieht, in T ru n k su ch t, P ro stitu tio n u n d das dunkle, ruchlose D ieb sg ew erbe? U n d w ar d en kb ar, d a ß die Dar*
stellerin m on d äner N ie d lic h k eit fü r diese Elende, im Ma*
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schinenlärm der G ro ß s ta d t V erkom m ende die G e s ta lt, den T o n , die G eb erde finden w e rd e ?
N ach der G en eralprob e schrieb G o n c o u rt in s e in Tage*
bu ch : „ O h , eile est m erveilleuse, to u t le tem ps, R ejanel E t au m oyen d ’un dram atique to u t sim ple, d u dram atique q ue je pouv ais rever p o u r m a piece. C ’est vraim ent une actricel“
A m nächsten A b en d w urde in diesem P u n k t w enigstens sein U rth eil vom M assengericht bestätig t: das Stück fiel u n d w a rd m it allen literarischen E hren bestattet, die Schauspielerin aber erlebte einen T riu m p h , der an Sarahs ersten H e ld in n en sieg im H au se Moli.eres die E rin n eru n g weckte. D ie kleine Sou*
b retteM e ilh a c sfa n d fü r die arm eG erm in ie, „die einen reichen Z ärtlichkeitschatz an d en M an n zu b ringen h a t“ , einen ins T iefste v ordringenden, ganz persönlichen T o n ; sie v erbannte jed e eitle Regung, tra t in derb en Stiefeln als plum pe, roth*
arm ige K üchenm agd auf: u n d w ieder zeigte sich, d a ß die in der Possenschule erzogenen Schauspieler, w enn sie Starkes kräftig em pfinden, m it ih rer derb en, entschüchterten Seele die besten D arsteller d er A lltagstragik sind.
G erm inie Lacerteux blieb im B ühnenleben d er lacerten*
haften Rejane eine E pisode. Sie kehrte w ip p en d bald in den Salon zurück, tru g w ieder seidene Röcke, fu n k elnde R inge u n d m odische H ü te, w ar w ieder die galante H e ld in in d er geschniegelten W e lt des Snobism us. A b e r die T heaterdichter u n d D irek to ren w u ß te n n un , was diese schlanke Frau k o n n te, u n d sorgten fü r R ollen, in denen der ganze U m fang ihres K önnens sichtbar w erden sollte. D a u d e t ließ sie seine ent*
setzlich w ahre Sappho spielen u n d G o n c o u rt schrieb ver*
zückt: „So ist die Liebe noch nie dargestellt w orden 1“ U n d Frau D a u d e t überlegte, ob sie ihren ju n g e n Sohn ins T h eater m itnehm en, ihn der ansteckenden W irk u n g dieser Fieber«
b ru n st, dieses letzten, verzw eifelnden Sinnenbegehrens, aus*
setzen dürfe. G eorges de Porto* Riehe gab ihr A m oureuse, H e n ri L avedan V iveurs, M aurice D o n n a y Lysistrata u n d La D o u lo u reu se ; u n d allm ählich entstand so ein neues, d u n k ler gefärbtes G enre Rejane. V on ih r gespielt zu w erden, w ar der ehrgeizige T rau m aller ju n g en o d er Ju g e n d heuchelnden D ic h te r; den n sie allein schien ihnen m odern, sie n u r k o nn te
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d ie neue Frau g lau b h aft v erkörpern. D as m erkw ürdige, er
schreckende W esen, das diese H erren die neue Frau nennen, ähn elt ein Bischen d er „g u en o n d u pays de N o d “ , der U räffin, v o n der D um as, der zärtliche Frauenfreund, w arnend einst sprach. D ie ist ein sehr sinnliches, sehr skrup el'o ses, sehr listiges G eschöpf, das nich t an den H erd un d nicht in die K in d erstube taugt, H au sfrau en pflich t u n d M utterschaft als unerträgliche Last em pfindet u n d n u r au f den M ann dressirt ist: auf den bourgeoisen, in allen geilen Lüsten u n d Lastern d e r O h n m ach t erfahrenen, in schm utzigen G e ld h ä n d d ri ent
sittlich ten, in d er T re ib h a u slu ft der G ro ß stä d te verw eich
lichten M a n n , der sich gern eine w eiße Luxusbestie m it weichem Fell im parfum irten Käfig hält u n d w üthend auf*
heu lt, w enn die G efangene die Stäbchen des G itters durch*
brich t u n d d rau ß e n dem G eschlechtssehnen B efriedigung sucht. Solche M in n e r, in denen, nach N ietzsches W o rt, des M ann es zu w enig ist, m it In d ianerschlauheit zu quälen, am glim m enden Feuer der Eifersucht langsam zu rösten u nd, w enn der A p p e tit sich reg t, m it H a u t u n d H aar zu ver
speisen, d aß zw ischen d en Z äh n en die K nöchelchen knacken, ist solchen F rauen höchstes V ergnügen. M anchm al glückt d er S p aß , m anchm al rafft der M an n die Energiereste zu*
sam m en, d ü n k t sich kraftvoll, w äh ren d er n u r bru tal ist, u n d schlägt die ä fische Q u älerin zu B oden; im m er bleibts aber ein netter,, du rch seine Fährnisse unterhaltsam er Sport u n d im m er bew ahren die W eiber, die d och wissen, d a ß es um L eben u n d T o d geht, die ironische G ru n d stim m u n g ihrer W esenheit. Ironie ist der T ro st u n d die W o n n e der M üd en, d en en an d er Peripherie der sittlichen W e lt die Leuchtfeuer erloschen, die festen G renzen von G u t u n d Böse verw ischt sin d u n d die n u n an nichts m ehr glauben, auch nicht an sich selbst, u n d an den eigenen G e fü h le n , T rieb en u n d L eidenschaften neugierig so lange h eru m k lo p fen , bis die hohle Stelle gefunden, die tragische M aske zerlöchert ist;
d an n kichern sie, m it einem T h ränch en im A uge, ü ber die K om ik der kleinen, schw indligen Bürgerseelen, die au f ge
liehenen Stelzen in ein H e ld en p ath o s hineinstolziren w ollten.
D e r natürliche, gesunde M ensch k en n t u n d versteht ironische