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Die Zukunft, 12. Januar, Jahrg. XV, Bd. 58, Nr 15.

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(1)

H. Jahrg. YerlimdenITJanuar1907. Alt-.15.

Herausgehen

Maximilian Hardew

Inhalt:

«

Seit-.

Irdisches Mutter. VonRichard Oeyker ............,..41

Da-Dudgek einer atmen III-am Vonoceonzkeittiu ............47

spräche. Vongsecyart Duca-un gnoop ..........,.....54

prekgig lokialistisclxeThesen. Vonsustqvgaudquer ...........56

Zucker. vonOHat-cSenkt-H ................·......68

verse. VonHeotg Waffe-Zaum ·...................73

Knieigem VonFelswa, Heiz, Brod, Hauseser Heinrich Annn- ..·75

Gründen-chit. Vonxadon .............."..... ..78

Uachdruxkverboten.

T- Erscheint jedenSonnabend

,.Preisvierteljährlich5 Mark,bie- einzelneNummer 50 Pf-

Ep-

Berlin.

Verlag der. Zukunft.

Wilhelmstraße8a.

1907.

(2)

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Zukunft »

-END-Isi-

Berliin den 12.Januar1907.

f

IX- Mc f

Nietzsches Mutter.

MaßFrau Förster-NietzscheinderBiographie ihresBruders nur wenig

. von NietzschesMutter spricht,ist erklärlich:dasBuchwurdegeschrieben, alsFrau NietzschenochamLebenwar. Sohat Frau Förster sichdamitbe- enügt, ihreMutter nur dazuerwähnen,woesderZusammenhangderEr- eignisseunbedingt nöthig machte;aberauchdatritt sie nichtausdemHalb- dunkel hervor, in dassiegestellt ist. Deshalbwaresmöglich,daßman sichsehr verschiedenartige,sehr unzutreffende Vorstellungenvondieser Frau gemachthat.

Nurungern hat FrauFörster-s)«iietzschedenForderungen ihres seinen Taktgefühlsnachgegeben:sie hättelieberin einerscharf umrissenenSkizzedas eigenartigeWesenihrer Mutter,des ganzenFamilientypus gezeigt.Aber damals wurde sie durchdieRücksichtaufdieeigeneMutter undaufderennochlebende Geschwisterzu einergewissenZurückhaltunggenöthigt.Wenn sie überhaupt einepositioeCharakterisirung gebenwollte,mußte sie dieseNatur von dem ZusammenhangdesFamilienkteisesaus beleuchten,indemsie gewordenwar.

Dasdrängt sichEinemauf, so oftman Frau Förster-Nietzscheüber dieFa- milieihrerMutter sprechenhört; sie weißdieGestaltenmitsehr lebhaftenund charakteristischenFarbenhinzumalen.

Jetzt ist Frau Nietzschebeinahe zehn Jahretot undauchvon ihren zehn GeschwisternistNiemand mehramLeben;dieletzteSchwester istimvorigen Jahr gestorben.DasjüngereGeschlechtaberist inseinemTypusbereitswie- derdurchneu hinzugekommeneFamilientendenzenvariirt worden und kann sich durcheineunbefangeneSchilderung nicht mehrunmittelbar berührtfühlen-

Nicht jedesLebensereigniß,nicht jeder vereinzelteCharakterng interessirt unsanderMuttereines bedeutendenMenschen:unsereAufmerksamkeitvermögen

meinemsolchenFall·nurdieAnlagenundEigenschaftenzus sseln,diesich 4

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42 DieZukunft·

in demSohn nochumeinigeGradegesteigertundzumächtigenschöpferischen Fähigkeitenentfaltet haben;ein paarAndeutungen dieserArt könnendazu helfen, denMannund seinWerkbesserzuverstehen,zuschätzenundzu überwinden.

NietzschesMutter war nichtindemSinne eine»bedeutende«Frau,in demman dieses auszeichnendeBeiwort von literarischoder künstlerischher- vorragenden Persönlichkeiten,wievon derMutter Schopenhauers, gebraucht.

Siehat niedasBedürfniß empfunden,ihreFähigkeitenaktivzumAusdruck zubringen;nur gegendasEndeihresLebens begann sie,ihreeigeneLebens- geschichteauszuzeichnen.Uebrigenswaren einfach ihreVorbildungunddievon

ihrer Umgebung ausgehenden Anregungen wenigstensinihrer Jugend) nicht der Art,daß ihrdas Heroortretenmiteigenen Gestaltungen natürlicher- schienen,überhauptnur nahegelegtworden wäre:sieistweitvonjeder größeren Stadt ausgewachsen,in einemjener einfachen, so anziehendenLandpfarrhäuser des alten Stiles,wo man miterquickender Natürlichkeitund Sorglosigkeit lebte,wodiesreigiebigsteGastsreundschaftselbstverständlicheEhrensachewar, wenn auchdieMittel dazuimGrunde nieausreichten,wo man sichaber um diegeistige AusbildungderKinder, namentlichderMädchen,nicht allzu vieleSkrupel machte.Siehat sichdann sehr frühverheirathet,wiederinein einfaches Landpfarrhaus;undsoist erklärlich,daß sieinihren Briefenmit OrthographieundSatzkonstruktionenimmeretwas aufdemKriegsfußgeblieben ist. Was aberan dieser Fraualsetwas sehr MerkwürdigesindieAugen fiel,was ihrinNaumburgdieintimeFreundschaft sehr feinsinnigerundkulti- virterFamilien eingetragen hat,Daswar einestarkeund sehrsympathische Originalität Deshalb scheue ich mich nicht,sie eine bedeutende Natur zu nennen. Man könntesiemitderMutter Goethes zusammenstellen, nichtso sehrwegenderAehnlichkeiteinzelner CharakterzügewiewegenderVerwandt- schaftdesTypusvon Weiblichkeit: dieseNaturen stellensozusagenkonzentrirt dasGeniedesweiblichen Wesensdar,siesindihrerselbst unbewußte,aber insich·einheitliche,insich selbst ruhende,volle,gesunde Kräfte, sie tragenden KeimeinesHöhereninsich,sie sinddiebesten MöglichkeitenzugroßenMen- schenund esbedarfnur einer günstigenVerbindungrnitderergänzenden männlichenNatur,um sie zurHeroorbringungdesaktivenGenieszu bereiten.

Jchnannte dieOriginalitätderMutter Nietzscheseinesympathische:

siewar dasGegentheilallesBerechneten, Gesuchten. Diese Frau istimmer ingewissemSinn ihrer selbst unbewußt,naio geblieben.Sie wußte sicher nicht, daß sie MenschenUndLebensverhältnisseaufihrebesondere Weisesah und darzustellen vermochte.Siehatteihren eigenen Wortschatz,gebrauchtebe- stimmte beoorzugteWendungenin etwas ungewöhnlicherArt,miteiner kleinen Nuance derBedeutung:darinkameinunbewußterTriebzurFestlegungin- dividueller Grenzen,einAnflug harmlosenUeberlegenheitgesühleszumAus-

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NietzschesMutter. 43 druck.UndeinegewisseschöpferischeBegabung zeigtesichin derFähigkeit,den unbedeutendstenalltäglichenErlebnissen,diebeidenmeistenMenschen nicht einmalinsGesichtsseldbewußterAufmerksamkeittreten,nocheineinteressante und amusanteSeite abzugewinnen.Eswar einVergnügen,ihr zuzuhören, wenn sienur dieBeobachtungenwährendeinerBahnfahrtvonwenigenStun- denwiedergab;man staunteüberdenpsychologischenScharsblick,mitdemsie dieMenschenerkannteund beurtheilte;dabeierhob siedieIndividuen gleich- zeitigwiederinsAllgemeine,Typische,Jdeale. Uebrigens lagimHintergrund ihrerSchilderungmeisteinHauchdesMoquanten,eineNeigung, Menschen undDinge komischzufinden,dieaberharmlosbliebund nie dieunerfreuliche FormdesHämischen,Gehässigen,Scheelen annahm.WasdieLiebenswürdig-

eitihrer Darstellungweisewesentlich erhöhte,war dereigenthümlicheWohl- klang ihrerStimme: schonalsKindistmirausgesallen,wieungewöhnlich schönsie Gedichtevorzutragen verstand.

Unddann ihr Aeußeres:eineziemlichkleineGestaltmitsehrgraziösen, rundenFormenundBewegungen,mittiesschwarzem,inderMitte gescheiteltem Haar,dasbiszuihrem Tod,imzweiundsiebenzigstenLebensjahr, seineur-

sprünglicheFarbe bewahrt hat,mitdunkelbraunen,unter gewölbtenBrauen tiefzurückliegendenAugenundmiteinemrunden, sehrharmonisch gesormten Gesicht, dessen Wangenroth selbst ausdemTotenbett nicht völligerloschenwar- Sie-gehörtezudenFrauen,dienochinhohemAltereinenletzten Schimmer desSchönheitreizeshaben,deruns unwillkürlichdenGedanken ausdrängt:

Wieentzückendruuß sieinihrer Jugend gewesensein!

Man wirdbegreifen, daß ihrkleinesHausam altenStadtgrabenin Naumburgvon feinsinnigen, für erfreuliche Eigenart empfänglichenMenschen gernausgesuchtwurde: sie stellteinmitten ihrereigenenWelt etwas Beson- deresdar, dasman nicht so leichtinähnlicherWeise wiederfand.Vor Allem sah siegernfröhliche,lachende,übermüthigeJugendumsich;und dieJugend kamgernzuihr:dennimAenßerenwieimTemperament machte dieseFrau denEindruck ewiger, unverwüstlicherJugendlichkeit.

SiesahdieglänzendeLaufbahn ihres Sohnes,erlebteauch nochseinen wachsenden Ruhm. Dochwar sieseinen Fähigkeiten gegenübereher zur Skepsisalszuunbedingter Bewunderung geneigt. Einst sprach sie unwillig über eineEigenart ihres FritzinGegenwart ihresVaters,des altenLand-

"pfarrers von Pobles;daerhob sichderGreis und riefinfast feierlicher Entrüstung:»Du weißtnicht,meineTochter,wasDuandiesemJungen hast!«

Diefrüh beginnendeAbwendung ihres Sohnesvom christlichenGlauben hatsie gewißmitinnererUnruhe beobachtetund,soweitesinihren Kräften stand,zuverhindern gesucht.Denn sie selbst hatan denihrüberlieferten VorstellungenimmermitEnergie festgehalten;darindurchaustreudemGentuc-

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44 DieZukunft.

ihrerFamilie, ihrerRasse.Soverschiedenihrezehn Geschwister,imCharakter wieimAussehen,waren die Einen mitdunklenAugen,dunklem Haar und«braunrother Gesichtsfarbe,Andereblauäugig,blond, weißundroth,wie- derAnderemitschwarzemHaarund hellblauen Augen—: darinwaren Alle- gleich,daß sieanihren UeberzeugungenmitunbiegsamerStarrheit festhielten, daß siestracksundgradlinig aufdieZielelosgingen,diesieerreichenwollten, daß sie manchmalunterMißachtungdereigenen Vernunftund sonstigenru- higen Ueberlegung sichvon ihrem Temperamenthinreißen lassenkonnten.

Gewiß:eswaren gesunde, starke, auch schöneNaturen, abersie hatten nicht

nur denrobusten Körper (dazuwaren sievon derMutterseite hervon zu alterund vornehmer Herkunft); siewaren psychischkomplizirt, schwierig,mit einemHangzurSelbstquälereiausgestattetundnamentlichvon denNächsten nicht leichtzubehandeln.DerGegensatzderreligiösenUeberzeugungenmußte- allmählichzueinergewissenEntfremdung zwischenMutter undSohn führen.

Niemals aberisteszu einemwirklichenBruch gekommen,kaumauchnur zu einerernsterenAuseinandersetzung:dazu hatte NietzscheimpraktischenLeben zuvielschonendes Taktgesühlfür unabänderlicheund durchdieVerhältnisse erklärteAnschauungen Doch lag stetsetwas Verschwiegenes,Trennendes zwischenMutter und Sohnundniekameszusoinnigen Beziehungenwie

zwischenBruder undSchwester. .

JndiesemZusammenhangistauchvon demVerhaltenderMutter Nietzschesbeiundnach demAusbruchdergeistigenErkrankung ihres Sohnes zureden. Herr Platzhoff-LejeunehatimBerliner Tageblatt gesagt: »Ohne Overbeck wäreNietzsche,wie KarlStausfer-Bern,inJtalienverschollenund nachschwerenLeiden erlegen.« Dieser Satz zeugtvon völliger Unkenntniß derVerhältnisse.Overbeckistohne-Wissenvon FrauNietzschenachTurin gereistundhat sie plötzlich,zu ihrem Staunen und Entsetzen,mitderThat-

ache überrascht,daßihr Sohnin diebaselerJrrenanstalt gebrachtworden fei.Ohne sein vorschnellesEingreifenwäresieselbstmitDr.Eiseraus Frankfurt,derNietzscheseit langen Jahrenkannte undauchbehandelt hatte, nachTurin gereist,um diegeeigneten Anordnungenzutreffen. Daßdann Manches vielleichtanders, besser gekommenwäre,isteinenatürlich unbeweis- bare, aberimmerhinberechtigteVermuthung· Jedenfalls hat siealles Erdenk- licheversucht,um, trotzOverbecksWiderspruch, ihren Sohnwiederausden Jrrenanstalten herauszubringenundinihrem naumburger Heimzupflegen.

Undwer siedortin inihrerliebevollenundaufopferndenThätigkeitwährend einer langen Reihevon Jahrenbeobachtethat,Dermußte einsehen: sie hat ihremkrankenSohndasDasein nochin einerWeisezuerleichternverstanden, dieum keinenPreisinderbesten Anstaltder Welt zuerreichengewesenwäre.

Siehat (mankannesnicht leugnen)denSchicksalsschlag,derNietzsche

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NietzschcsMutter. 45 getroffen,alseineStrafedesHimmels für seine antireligiösenSchriften auf- gefaßt; sie hatesdannalsdieihr zugewieseneAufgabe betrachtet,denRest ihrer KraftundLebenszeitderPflegedesKranken zu widmen. Wenn sie

am Armihres SohnesinsZimmertrat,botsieein Bild von ergreifender Wirkung aufdieWenigen,dieesgenießendurften:diekleine, zarte Frau nebendemstattlichen,breiten,hoch aufgerichtetenMann mitlangem, zurück- gekämmtemHaar,dasdiemächtigeStirn schönhervortreten ließ,mitseinen buschigenAugenbrauenundseinemstarken, gewölbtenSchnurrbart;undwenn

siedannmitungemein sanftem, eindringlichemAusdruckderStimme zuihm sprach, ihmdiePersönlichkeiteinesAnwesendeninsGedächtnißzurückzurufen odcrdurch Erinnerunganeinenseiner LieblingorteinJtalienund derSchweiz ihninsGesprächzuziehensuchte, so pflegteermiteinemunbeschreiblichliebens- würdigen,ich möchtesagen: leutsäligenLächelnauf sie herabzusehenunddann mitschönemWohllautderSpracheund erstaunlicherKlarheitderSkizzirung einLandschaftbild,eineStadt oderAehnliches langsam hinzumalen. Noch hatteerdiestolze HaltungeinesKönigs äußerlichbewahrt; seltsamwar das Wort inErfüllunggegangen: »Undwenn mich einstmeineKlugheit verläßt, mögemeinStolzdannnochmitmeinerThorheit fliegen!«

Seine Schriften hatdie Mutter nicht gelesen.Siestandenimmerin schöner Ordnung auseinemSchränkcheninihrer ,,GutenStube«. Vielleicht hatdieScheuvor denAnschauungen,dieihren eigenen so weltenfernwaren, siezurückgehalten.Abersie hatmiraucherzählt,daß sie ihren Sohn öfters gefragt habe, welches seiner Bücher sie lesen lönne;erhabeimmergeant- wortet: ,,Keins,meineliebeMutter; sie sind füreinanderes Publikumge- schrieben.«Sohatte sie auchkeineVorstellungvon seinen Lehrenundkei- nen Begriffvon demWerth seinesNachlasses.Man nimmt jetztmitgutem Grund an, daßeinTheilderin Turin, Genua undSils-Maria zurück- gelassenen Manuskripte Nietzschesverloren ist.DieVerantwortung dafür hat man Frau Nietzschezuschiebenwollen· SehrmitUnrecht. NietzschesMutter istMitteJanuar1899,also kurz nach AusbruchderKrankheitihresSohnes, mitOverbeck inBaselzusammengetroffenundhat ihndamals ausdrücklich mitderSorge für Nietzschesgesammtes Manuskriptenmaterialbetraut. Daß Overbecksichder übernommenen Verantwortung auch bewußtwar, beweist einBrief,deneramvierzehnten April1889 anFrauNietzscheschrieb.Da sprichter innerhalbeinerErörterungüberNietzschesManuskriptevon der

»FührungderAngelegenheitenJhres Sohnes«und von ,,bisherigenAb- MUchUUgen,mitdenenessobleibensoll,wieesist.«Nurihn, nichtNietzsches Mutter,trifft alsoeineSchuld,wenn werthvolle Manuskriptstückeverlorensind.

Frau Nietzscheist mehralsdreiJahrevor ihrem Sohn gestorben; sie Isah noch,wiedieTochterdenNachlaßdesBruders zusammeln,zu ordnen,

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46 DieZukunft.

herauszugeben begann..DieHauptsorge ihrer letzten Lebensjahrewar, daß sie zufrühderPflegerinpflichtentzogenwerdenkönne.Doch mußman sagen, daß NietzschewährendderdreiJahrein Weimarunterder ebensoausopfernden PflegederSchwester nocheinmalingewissemSinneausgelebtist:derAufent- halt inderschönenVillahochüberderStadt, dieTerrassemitdemweiten Blickaufdie klaren,ruhigen Landschaftformen,diefreie,reineLuftwaren zwei- fellosungleich günstigerfür ihnalsdaskleine, etwas imGebüschversteckte HäuscheninNanmburg;underwar als Kranker nochebenso abhängigvon

Wetter, Luft, Licht, AussichtwieindenTagen seiner besten Schaffenskraft.

Diese kurzeSkizzemaggenügen.Gehtman in derRichtungdereinzelnen Andeutungen weiter, sokannman sich leichteinderWirklichkeitähnelndes BildvondemCharakterunddemLebenderMutter Nietzschesmachen. Welche Eigenarten NietzschessichetwaausdemTypus seinerMutter undihrer Rasse ableitenließen: Das magsichJeder,derJnteresse dafür hat, selbstzurechtlegen.

Florenz. Dr.Richard Oehler.

II-

Vereinsamt.

WieKrähen schrein Undziehen schwirren FlugszurStadt:

Bald wirdesschnein Wohl Dem,derjetzt noch Heimath hatl Nun stehstDustarr, Schaust rückwärts, ach!wielangeschonl Was bistDuNarr

VorWinters indieWelt entfloth DieWelt einThor Zutausend Wüsten stummundkaltl WerDasverlor,

Was DuVerlorst, macht nirgendsHalt.

Nun stehstDubleich, ZurWinter-Wanderschaftverflucht, DemRauche gleich, Derstets nachkälternHimmeln sucht.

Flieg, Vogel, schnarr DeinLiedimWüsten-Vogel-Tonl Versteck,DuNarr, Deinblutend HerzinEisundHohnl DieKrähen schrein Undziehen schwirren FlugszurStadt:

Baldwirdesschnein Weh Dem,derkeineHeimath hatl

Friedrich Nietzsche- J

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Das Budgeteinerarmen Frau. 47

Das Budget einer armen Frau.

(AusGottlieb Schnapper-ArndtswissenschaftlichemNachlaß.)

DamitnurjaNiemand glaube, ich habedieAbsicht, durcheine etwassensationell

'

klingende UeberschriftdieAufmerksamkeitderLeserzuerregen, so sei gleich von vornhereinbemerkn FrauB...isteine arme, alteFrau,die einlangesLeben derArbeit hinter sich hatunddiejetzt Armenunterstützungempfängt.Keinwechsel- volles Schicksal.WirkennenihrLebenundErleben,wenn wireinen Tag ihres Lebens kennen;keineinteressante Persönlichkeit,keineProletarierphilosophin: ein ichlichtes Frauchen, zähundgescheit,wieman esebensein muß,umbis insGreisen- alterden KampfumstäglicheBrotimmerundimmerwiederausfechtenzu können.

LebenundPersönlichkeitvonFrauB... vermögenunsnur wenigzuinteressiren.

AberdieZahl Derer,diedasselbe Leben führenwiediese Frau, ist Legion: Frau B... repräsentirteinenTypus;unddasTypische interessirtimmer.

DochmeinInteresseanFrauB...ist nichtnureinwissenschaftliches.Gewiß:

man könnteauchmitkühlerSachlichkeitnurvondenThatsachen ihrer kümmerlichen Existenz berichten.Das wärediereindeskriptive Methode,dienichtblos einem ZeitaltermüderSkepsisbehagt, sonderndiestets Freunde findet,dasieunseinen zwar nurgeringen, dafüraber völlig gesicherten wissenschaftlichenBesitz verschafft.

Aberkönnen wir(richtiger:wollenwir) diese Methodeimmeranwenden? Wirwollen nicht; schonwenn essichnurumtote Dinge handelt, begnügenwiruns ungern niitihrerBeschreibung; ihrenursächlichenZusammenhang möchtenwir kennen lernen. Wenn wiresjedochmitmenschlichen Dingenzuthun haben,dannlassen unsdarüber hinaus nochdieFragenkeineRuhe: Mußessosein? Kannesnicht anders,kannesnicht besserwerden? Reflexionen, dieeinenkünftigen Systema- tikerderGesellschaftwissenschaftenvielleichtzueinerneuen TheoriederSozial- politik führen können,diemiraber nur helfen sollen,diesubjektiv gefärbteArt meiner Darstellungzuerklären.

Unddoch: eigentlich hätte ich hiernur einAmtundkeineMeinung;denn nicht ichbinauf dieIdee gekommen,denWirthschaftmikrokosmosvonFrauB... zuschildern,undnichtich habemitemsigem FleißdasQuellenmaterial dazuge- sammelt. JnGottlieb Schnapper-Arndts reichem wissenschaftlichenNachlaß, dessen Bearbeitungmir anvertraut ist,fand ich daseinJahrlangvonihm sorgfältig geführte HaushaltungbuchvonFrau B... undnochmancheandere Auszeichnung übersie;was ich hier gebe, ist alsokaummehralsverbindender underläuternder Text. Dawird man am EndedieObjektivitätdesHerausgebers vermissen,der dochnur eingeistiger Sachwaltersein soll.Wieaber,wenn esgerademeines Amtes wäre,eineMeinungzuhaben? Schnapper-Arndt(mankenntihnals SozialstatistikerundWirthschafthistoriker)wareinMensch,beidem, nachdem Wort einesbedeutenden Mannes,derWunsch,zuhelfenundzubessern, zuletzt dochden Drang nach Erkennen undnach Verstehen überwog. Diesesoziale Gesinnung durch- leuchtetallseine Arbeiten,amHellsten vielleichtdieletzte, bereitsnach seinem Tode erschienene:,,Nährikele«,ii)diese durch ihre schlichteEinfachheitundHerzlichkeit so ergreifend wirkende SchilderungdesarmsäligenLebens einerNäherin.

k)G.SchnappersArndt,VorträgeundAufsätze, herausgegebenvomDr.

L.Zeitlin (Tübingen 1906).

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4«8 DieZukunft-

Vom,,Nährikele«aberzuFrauV... spinnen sich feine Fäden;dennzur Beobachtung dieserFränentschloß sichderGelehrtenur, um dievon derNäherin überihreErnährunggemachten Angaben auf ihreRichtigkeitzuprüfen.DieGe- ringfügigkeitihres Nahrungbudgets hatte ihn stutzig gemachtundseine gewissen- hafteArt fandindembequemen Trost,eswerde schon richtig sein,keineBe- ruhigung. Sobegannerdenn,diewinzige VerbrauchswirthschaftvonFrauB... zuuntersuchen;einganzesJahrlangwurdeentweder täglichoderdoch wenigstens jedenzweiten Tag durchihnselbstoderdurch seineSekretäriii inWägungenund Messungen ihrminimales Nahrung-undAusgabebudgetbisinskleinsteDetail aufgenommen.Undderpraktische Werth?Zunächst möchteichdennaheliegenden Einwand abwehren, daßdieFraufürdielästige Beobachtunggewiß entschädigt worden seiunddaß daherdiegewonnenen Ergebnissedeneigentlichen Verhält- nissen nicht entsprechen.Solchen UeberexaktendienezurBeruhigung,daß Frau B...,dasie seitJahren Armenunterstützungempfängt, ohnehin aufdieWohl- thätigkeit ihrer Mitmenschen angewiesen ist, daß jedochinSchnapper-:)lrndtssehr sorgsam geführtenTabellen auch nochalleExtrazuwendungen berücksichtigtworden sind;undtrotzdem istderKonsumeinso ftaunenswerth geringer, daßwirein»Noch weniger-«überhaupt nicht begreifenkönnten.DieUntersuchungen find fürdieSozial- forschung alsobrauchbar; stehtaber derAufwandvonMüheimVerhältnißzur gewonnenen ErkenntnißP Jch glaube: Ja;dennich sagte scholl- daßwirsmit einemTypuszuthun haben.»NichtdasLebeneinesMenschen,dasLebenVielcr erzählt,wann immer wirunsindieGeschichteeinesEinzigen vertiefen«: dieses klugeWort Schnapper-A·rndtshat auch hier seinevolleBerechtigung.

UnddieMethode?Erreichtman aufanderemWegemehr,kannman rascher ansZielkommen alsdurch so intenfiv monographische Schilderung? Paul Göhrc, dermitRecht Gehör fordern darf,wennvondiesen Dingen gesprochen wird, erhofft voneinemanderen Verfahren wohl mehr. Aucherwilljaallgemeine Kenntniß vom Lebendesheutigen Proletariates soweitundso tiefwiemöglichzuver- breitensuchen; dochausderFedervonProletariernselbst·Drumgaberdie»Lebens- geschichteeinesmodernen Fabrikarbeiters« heraus. Abernur wenige Hände,die mitdenEhrenmalenderArbeitgeschmücktsind, werdendieFederzuführen wissen.

Einftweilendürfte daher auch nochdieThätigkeitDererzurFörderungderKenntniß sozialerDinge beitragen,diealswissenschaftlicheHilssarbeitermitKopfnndHerz dem Einenoder dem Anderenausdemarbeitenden Volkedabei behilflich sein wollen, von einemLebenzuerzählen,daseinLebenVieler,vielzuVieler ist.

SOL- s-

Fran B...,einMütterchenvonbaldvierundsiebenzigJahren,istvollständig aufArmenpflege und private Wohlthätigkeitangewiesen.Siebraucht sich Dessen nichtzuschämen,denneinlanges Leben harter Arbeit liegthinter ihr. Erstals vorungefähr achtzehn JahrendieAugen sichzutrüben begannen,konntensich dieHände nicht mehr so fleißigregen wiebisher;NähenundStricken sind nicht gut fürkrankeAugen. Kleinerundkleinerwurde also der(ach, sokarge!)Ver- dienst,derwohlimmer nur geradezurBestreitungdesLebensunterhaltesausge- reicht hatte;unddakeineMenschenseele fürdieeinsamealteFrausorgte Mann undKindersind schonvor vielenJahrengestorben—, nahm sich die Armenpflege ihreran. FrauB... darftrotzdemdieHände nicht müßigindenSchoß legen.

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