X X IX . Jahrg. Berlin, den 15. Januar 1921' Nr. 16
§ i e Ü t u k u n f t
Herausgeber
Maximilian Harden
IN H A L T
Seite
D as alte D e u t s c h la n d ...59
W as ich 1896 s c h r i e b ... 59
G estern oder morgen? ... 71
N o ch flimmern Sterne ... 75
A lle s ist w ieder gut . . . ... 86
N a c h d r u c k v e r b o te n
E rs c h e in t je d e n S o n n a b e n d
P re is v ie rte ljä h rlic h
22
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Das alte Deutschland
W a s ic h 1 8 9 6 s c h r i e b
wei Ja h rh u n d e rte sind fast verstrichen, seit K u rfü rst Fried*
rieh von B rand en burg ins alte A dlerlan d zog, um sich zum K önig in P reuß en krön en zu lassen. D er Z u g w ar präch*
tig u n d das G efolge so g ro ß , d a ß zur B eförderung des Hof*
gesindes d reißigtausen d V orspannpferde au f die Beine ge*
bracht w erden m u ß ten; aber der aufrechte M ann, d er dem T ro ß g e b o t, w ar doch n u r ein Vasall des H eiligen Römi*
sehen Reiches D eutscher N a tio n , w ar ein D ien stm ann des Kaisers. D er O esterreicher L eopold brauchte für den drohen*
den K am pf gegen P h ilip p von A n jo u , den Enkel Ludw igs des V ierzehnten, die H ilfe B randenburgs u n d entschloß sich des*
h alb, den K urfürsten als K önig anzuerkennen, u n ter der Be*
dingung, d aß Friedrich sich verpflichte, die V orzugsrechte des H auses O esterreich au f die spanische Erbschaft m it W affen*
gew alt zu vertreten. H ätte der E nkel des Sonnenkönigs n ich t den österreichischen E rbansp ru ch an g efoch ten.d ann wäre d er päpstliche E influß am w iener H o f m ächtig genug gewesen, um das E reigniß vom achtzehnten Ja n u a r des Ja h re s 1701 zu verhindern. Ein starkes deutsches N atio n alb ew u ß tsein gab es in dem ju n g en P reußenstaat so wenig wie im übrigen Deutsch*
land; w ohl fand die patriotische Satire bei dem volksthüm * liehen Geschm ack A nklang, aber die D ich tu n g brachte es, tro tz G rim m elshausen, C hristian W eise u n d dem schw ülstigen Ar*
5
m indichter Lohenstein, nicht zu einem lebensfähig erneuten deutschen Stil u n d die Z eit brach heran, w o G o ttsch ed das K unstdram a im Sinn des engen französischen Klassizism us als einziges H eil der deutschen S chaubühne verk ü n d en sollte.
H öchstens von einer m ählich sich b ild en d en P reußensitte konnte m an dam als reden, von d er später der große Fritz spöttisch m einte: „U n sere Sitten fingen an, w eder denen un*
serer V orfahren noch denen unserer N ach b arn zu gleichen:
w ir w aren original u n d hatten die Ehre, von einigen kleinen deutsch en Fürsten verkehrt k o p irt zu w erden.“ In diesem Sittenklim a fühlten die feinsten u n d freisten G eister sich nicht heim isch. P reuß en m ehrte, du rch k üh n en M u th u n d kühle B eschränkung, w ohl seine M acht, aber es w urde den höher gestim m ten Seelen noch nicht ein V aterland, es w ar noch nicht d er fruchtbare W u rzelb o d en , in dem der starke Stamm deut«
sehen G edeihens sicher ru h en konnte. D ie Besten retteten sich aus der d um pfen H eim ath in den verschw im m enden Be««
griff einer W eltb ü rgerlich k eit, der das alte Stam m esbew ußtsein eben so frem d w ar wie das N ation alg efühl unserer T age;
P reu ßen s g rö ß te r K önig hatte fü r die derben, m anchm al auch tö lpelhaften R egungen des deutschen G eistes n u r H o h n u n d S pott u n d der kluge D ichter, dessen ju gen dliche Begeisterung nicht bis ins Innere des preußischen H ofes Vordringen durfte, Lessing, der m it der b lin d en Parteilichkeit der K am pfstim m ung unsere D ich tu n g vo n den Franzosen befreite, konnte, dennoch, a n G leim schreiben: „Ich habe ü b e rh a u p t von der Liebe des V aterlandes keinen Begriff u n d sie scheint m ir aufs H öchste eine heroische Schw achheit, die ich w ohl gern entb ehre.“
D e r Sturm , der die L uft reinigen u n d den Flugsam en eines n eu en G efühles ins deutsche Land w ehen sollte, kam aus Frankreich: k lirren d zerbrach in den W ettern der Schreckens«
zeit der H o rt der Legitim ität; u n d als die V ölker E uropas sich vo n dem ersten E ntsetzen ü b er das blu tige E nde des sechzehnten Louis erholt h atten, sahen sie sich nach einem n euen T alism an um , dessen Besitz die bange B estürzung bans nen kön nte. In seiner H o fb u rg zitterte der Kaiser, wie einst in den T agen W allensteins, den n vom W esten her d rö h n te sch o n der Siegerschritt seines E rben u n d die Reichsherrlich*
«
keit neigte gegen A b e n d ; aber schon m ahnte auch der Dich*
ter, der eben den R uhm u n d d en U n tergang des Friedländers gesungen hatte, ans V aterland sich, ans theure, zu schließen, schon gaben Fichte, A rn d t u n d Jah n dem deutschen Volks*
th u m ein von schöner Schwärmerei verklärtes B ild seines We*
sens. D ie Siege Friedrichs des G ro ß e n hatten in P reußen die nationale B egeisterung gew eckt, der literarische Sturm und D ran g hatte sie in w ilden G ew ittern ü b er ganz D eutschland gefegt, die französische R ev o lu tion hatte die ständische Glie*
d e ru n g des M ittelalters niedergerissen u n d die V olksgenossen aus dem Feudalzw ang befreit; w ährend der frem de E roberer verheerend ü b er die deutschen G efilde stam pfte, keim te in dem m it edlem B lut gedüngten Erdreich schon die Saat, de*
ren Erntetag ihn vernichten sollte. D as H eilige Röm ische Reich D eutscher N a tio n brach zusam m en u n d Kaiser Franz erklärte sechs T age nach dem Bubenstreich d er R heinb undfürsten „das reichsoberhauptliche A m t“ fü r erloschen; im Schoß der Volk*
heit aber entban d der Z o rn ü b er die Schmach des V aterlandes ein neues G efü hl, ein G efühl, stark wie d er T o d u n d heiß wie der H a ß , un ter schweren W eh en u n d h arten Stößen w ard das N atio n alb ew u ß tsein des neunzehnten Ja h rh u n d e rts ge*
b oren u n d zum ersten M ale sprach m an laut u n d froh w ieder von der teutonica patria. D am als schrieb Karl von Villers: „D ie französischen H eere haben die deutschen geschlagen, weil sie stärker sind; aus dem selben G ru n d e w ird der deutsche G eist schließlich den französischen G eist besiegen. D ie V orsehung h a t ihre eigenen W eg e.“ D as Volk stand auf, der Sturm brach los u n d P reu ß en w urde der führende deutsche Staat; aber die T rias T alleyrand, C astlereagh u n d M etternich sorgte dafür, d a ß ihm nach ruhm vollem R ingen der K am pfpreis verküm*
m ert w urde. N o ch einm al, wie im R astatter Frieden, w urde D eu tsch land um die alte W estm ark geprellt u n d bis zur Eini*
g u n g der deutschen Stämme schien der W e g fast so w eit wie zuvor. D ie D ic h tu n g des Befreiungskrieges u n d des Jungen D eutsehlands, die W issenschaft des Rechtes, der G eschichte u n d V olksw irthschaft: sie alle w aren von dem Sehnen nach einem Z iele erfüllt; aber die nationale Z u k u n ft ließ sich m it tru n k en en Träum ereien u n d spitzen Spekulationen nicht her*
D a s alt e D e u t s c h l a n d 61
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beizaubern. A uch dem M ü h en der w ohlm einenden Männer»
die in der frankfurter Paulskirche w ähnten, der M achtspruch eines Parlam entes k ö n n e ein D eutsches K aiserthum schaffen,, blieb der Erfolg versagt. D ie A useinandersetzung m it Oester*
reich, P reu ß en s u n d des protestantischenD eutschlands ältestem Feind, die w irthschaftliche E ntw ickelung u n d ein neuer Fran«
zosenkrieg w aren n ö th ig ,d a m it der deutsche Traum W irklich*
keit w erden konnte. Eine französische B edrohung hatte dem K urfürsten von B ran denb u rg die P reuß enk ro ne gesichert; ein französischer E ro bererzu g h atte das deutsche N ationalbew ußt*
sein entzündet u n d geschürt, d a ß es in prasselnden Flammen*
garben gleich vom R hein bis zur M em el leuchten kon n te; eine französische H erau sfo rd eru n g sollte die Sehnsucht ans Ziel führen. Langsam, leise u n d k lug w urde um die W e n d e des Jahres 1870 das W e rk der E inheit b ereitet, V orurtheile u n d B edenken, alter G ro ll u n d erw achende F urcht w urden m it m ilder G em ächlichkeit ü b erw u n d en u n d endlich brach der achtzehnte Ja n u ar an, wo in dem P ru n k schloß des Sonnen*
kö n ig s,d as in goldenen Riesenlettern einst „ä toutes les gloires de la France“ gew eiht w orden war, ein K önig von P reu ß en als D eu tsch er Kaiser b e g rü ß t w erden kon nte. D iesm al g ab es keinen höfischen P ru n k : n u r d er G lanz der sieghaften W affen erhellte die Feier, der das B ahrtuch von hundert*
u n d d reiß ig tau sen d deutschen M ännern den H in terg ru n d m it düsterer T rau er um florte, u n d für den K rön ungsalu t sorgten die G eschütze vom M o n t V alerien; der P reu ß en k ö n ig aber, d er in bescheidener W ü rd e jetzt die W ied erherstellung des D eu tsch en Reiches verkündete, w ar keinem irdischen Lehns*
h errn m ehr u n terth an u n d zum W e h rd ien st verpflichtet.
A u ch w enn m an flüchtig n u r auf dieses große Stück preußisch«deutscher G eschichte zurückblickt, begreift m an leicht, m it welchen E m pfindungen der Festtag b e g rü ß t wer*
den m u ß , der dem deutschen Land heute heraufsteigt. V iel hohles Pathos lärm ender Prologe w ird ih n geräuschvoll ver*
herrlichen, die M ärchenpracht des K yffhäusers w ird sich auf*
th u n u n d vom Kaiser R o th b art u n d seinen R aben w ird in fertigen Sätzen, die fettig glänzen wie verbrauchte Scheide*
m ünze, M anches geflennt u n d geju b elt w erden. O b freilich all dieses G etöse an die H ö h e u n d Tiefe eines G efühles heran*
reichen w ird, wie es im H erzen der A elteren die W ied erk eh r des Tages lebendig m acht, der statt eines geographischen Be*
griffes ihnen ein fest gefügtes V aterland g a b ? O b der Feier#
lärm die Jüngeren, die als reiche E rben in den von Ande#
ren m ühsam erstrittenen Besitz hineingeboren w urden, daran m ahnen w ird, was sie zu wahren, was zu verlieren h a b e n ? D e r rechte, zuversichtliche G laub e will sich nicht einstellen, W ir haben in der letzten Z eit zu viele Feste erlebt, zu viele R eden u n d Rufe ertragen: u n d d u rch gehäufte W iederholung gen gew innt das zuerst zü ndende W o rt nicht an Kraft, der m ahnende R uf nicht an W irk u n g . Ein V olk, dem unaufhör#
lieh neue Sensationen zugem uthet w erden, das gar nicht m ehr zu r Ruhe, zum sicheren V ertrauen au f eine stetige F ü h ru ng kom m t, verliert m ählich auch die Fähigkeit, zw ischen Wich#
tigern u n d N ebensächlichem zu unterscheiden. W e r nicht lügen will, kann nicht leugnen, d aß der G eb u rtstag des Reiches nicht in der Stim m ung begangen w ird, die man hoffen u n d w ünschen durfte, nicht m it der E inm üth igk eit des W ol#
lens, die zu Bismarcks achzigstem G eb u rtstag froh u n d stär#
k en d sich ringsum regte. A uch dam als blieben breite Volks#
schichten k ü h l u n d stum m dem Feste fern, hitziger H a ß spie G eifer u n d G alle u n d unter den G ratu lan ten w ar M ancher, d e r nicht jeden Schritt des G efeierten g u t heißen m ochte.
A b er die Scheidung der G eister war doch klar u n d wohl#
th ä tig : die Feinde des historisch G ew o rdenen traten grol#
lend bei Seite, Alle, die in dem ganzen W e rk Bismarcks, tro tz starkem Schatten, die leuchtende G rö ß e erkannten, schaarten sich dicht zusam m en u n d m erkten, freudig erregt, d a ß sie nicht im Reichstage zwar, der längst nicht m ehr ein Spiegel der V olksstim m ung ist, aber im Reich die sichere M eh rheit hatten. N o c h einm al, am Tage von Sedan, zeigte sich das selbe erhebende Schauspiel, noch einmal regte sich d ie selbe E inm ü th ig keit im G ru ß einer großen Vergangen#
heit. H eute, wo Je d er fü h lt, d aß der ernste Sinn der Feier m ehr der G egenw art u n d der Z u k u n ft gilt, sieht das Bild, leider, anders aus: billige A llgem einheiten w erden ausgebrüllt, jed eP artei prah lt m it ihrem A ntheil an dem gew altigen W erk , d a oder d o rt spricht auch w ohl ein bed eutender M an n ein gew ichtiges, w iderhallendes W o rt; aber die rechte Feststimm#
un g fehlt u n d die M änner sogar, die im W e rd e n der deut*
sehen E inheit die E rfü llu n g sehnender T räum e sahen, m üssen sich k ü n stlich o fterstz u lauter B egeisterung stim m en. Schwarze Sorge liegt über dem Land u n d v erd ü stert die Freude am glorreich V ergangenen; h ö h n en d fragen die Feinde, ob das neue Reich w ohl ein zweites Ju b ilä u m erleben w ird; gräm*
liehe Betrachter erinnern an die Z eit, da der letzte deutsche K arolinger, ein irrlichtelirendes, von w echselnden Einflüssen bestim m tes K ind, das Reich, das seine A hnen groß u n d mäch*
tig gem acht hatten, in steigende U nsicherheit u n d Verwirr*
ung stürzte u n d endlich in voller Z ersetzung h interließ;
D eutschland s herrlichster H istoriendichter, H einrich von Treitschke, der m it der zornigen B egeisterung eines alten P roph eten den deutschen V olksho rt h ehütet, unterstreicht in w üthig w arnender T rau er die Zeichen des N iederganges;
u n d der Schöpfer des Reiches verschw eigt nicht den W u n sch , den Verfall seiner S chöpfung nicht bis ans E nde zu schauen.
So sieht, w enn m an die ung esu n d en N e b e l der Lüge u n d H euchelei m uthig hinw egbläst, die Stim m ung aus, in der die besten D eutschen den ersten Ju b e lta g des Preußischen Reiches D eutscher N a tio n begehen.
Es wäre frevelnde T h o rheit, diese Stim m ung zu ver
schweigen : aber es wäre die A rt thatenloser Feigheit, sich in zager V erzw eiflung ihr hinzugeben. D er w u n d e Fleck am K örper der deutschen V olkheit d arf nicht m it festlich be*
m altem P apier überpflastert, aber er d arf auch nicht wohl*
gefällig zur Schau gestellt w erden, d a ß die V olksgenossen n u r in dum pfem B rüten noch dabei verweilen. N äh er viel*
leicht, viel näher, als M ancher glau b t, ist die Stunde, w o die deutschen M enschen m it gesam m elter K raft zu verthei*
digen haben w erden, was A ndere für sie erw arben, u n d diese Stunde d arf sie nicht m uthlos k rä n k e ln d , nich t im trägen D äm m ern der T rü b sal treffen. M it Fug ist an die Ju g e n d , der die Z u k u n ft gehört, der R uf ergangen: Spartam nactus es, hanc exorna! D iese Ju g e n d , die n u r -selten noch w eiß, wie lang u n d wie steinig von Jen a bis Sedan der W e g war, u n d die schw er erkäm pfte W irk lich k eit, das H öchste, was erreicht w erden konnte, an b linkenden Idealen m ißt, h at die tiefsten E indrücke in den letzten, schlim m en Jah ren em*
pfangen u n d ist deshalb geneigt, den W e rth des E rerbten zu unterschätzen u n d in schönere T räum e, in überirdische u n d überm enschliche M ystik, zu flüchten. D as ist nicht wun*
d erb ar; zu oft ist ihr ein jäh e r W echsel des G laub ens u n d W e rth en s angesonnen, zu oft b efohlen w orden, anzubeten, was gestern verbrannt, u n d zu verbrennen, was gestern an*
gebetet w erden sollte, als d aß sie noch ein sicheres U rth eil ü b er den nationalen Besitz, noch die scham hafte E hrfurcht vor dem G ew o rdenen sich bew ahrt haben könnte. Jede Ju*
gend, die w irklich ju n g ist, erhebt sich als ein R evolutionär:
sie pocht an die T h ü re n der A lten u n d heischt E inlaß, sie fordert in den M eisterw erkstätten ihren Platz, ihren T heil an den T h aten des Tages, u n d will von den alten G ö ttern nichts wissen. W e r dieses Jugen d em p find en geflissentlich näh rt un d im m er w ieder zeigt, wie über die w ichtigsten Einrichtung gen u n d die kostb arsten G ü te r des V olkthum es das U rth eil schw ankt, D e r soll sich nicht w undern, w enn dem erwachsen*
den G eschlecht die dankbare Freude am U eberkom m enen schw indet u n d das Z iel sittlicher Erziehung verfehlt w ird.
U n d doch ist zu froh er D a n k b a rk eit noch A n laß genug u n d kein V olk d arf ungestraft den Versuch wagen, das feste T au, das es an seine V ergangenheit k n ü p ft, m it raschem G riff zu durchschneiden. W ir sind nicht so arm an fü hrend en Gei*
stern, wie es scheint, weil U n zulänglichkeiten u n d Mittel*
m äßigkeiten eine u n fruchtbare P o litik m ehr leiden als le ite n ; wir sind nicht so schwach, wie m an glau b en könnte, w enn m an T ag fü r T ag h ört, welche G efahren uns vo n einem in*
neren Feinde d r o h e n ; w ir sind nicht so verkom m en, wie m an in der üb erhitzten Stickluft der G ro ß sta d tk u ltu r u n d unter dem G ifthau ch ihrer papiernen W ucherpflanzen annehm en m öchte. D as D eutsche Reich hat in den fünfundzw anzig Jahren seiner G eschichte nicht G eringes geleistet, in der W issenschaft u n d in d en K ünrten, in d er T echnik u n d im G ew erbefleiß; es h at eine Verfassung, die, wie alles Menschen*
w erk, u nvollkom m en ist, die aber, richtig verstanden u n d sorglich beachtet, jed en U ebergriff u n d jed en U n verstand h in dern u n d zu allem G u te n u n d G ro ß e n den W e g öffnen kann. T au gen die beam teten F üh rer uns nicht, die sich des Regirens verm essen: w ir brauchen ihnen nicht zu folgen;
ist die M eh rh eit der N a tio n m it der am tlichen P olitik un*
zufrieden: sie kann ihren gekrönten V ertrauensm ann ü b e r
zeugen, d aß eine andere Bahn beschritten w erden m uß. In d er V erfassung des D eutschen Reiches ist das V olk selbst zum H e rrn seiner G eschicke gesetzt u n d sich selbst, nicht die E in rich tu n g en , hat es anzuklagen, w enn es ihm auf w eiter W egstrecke schlecht geht u n d es aberm als, wie so o ft schon in seiner G eschichte, sich nich t lange auf der S onnenhöhe zu halten vermag. D ie E inrichtungen sind b rau chbar u n d nützlich; aber: sind sie nach ihrem w ahren W e rth der gleichgiltig gaffenden M asse auch bekannt, die am E nde w ohl gar nicht w eiß, was dieses neue D eutsche Reich im Leben des germ anischen Stammes b e d e u te t?
D e r A n b lick der Reichskleinodien w ird das W esen des Reiches nicht d eu ten helfen. D ie Z eit ist lange entschw unden, w o m an in K rone u n d Szepter, in Reichsschw ert u n d Reichs-»
apfel R eliquienkraft zu finden w ähnte, d en eingehäm m erten Segen m ächtiger H eiligen, u n d w o dem gek ürten M anne sein K önigsrecht erst dadurch geschaffen w ard, d aß er K appe un d K rone, Speer u n d Szepter empfing. D ie Reichskleinodien sprechen zu unserem E m pfinden nicht, das in dem Kronen*
träger den persönlichen W erth schätzen will u n d das w u n d e r
liche Pom um m it kühlem Staunen betrachtet. A ls in Berlin der erste D eutsche Reichstag eröffnet w erden sollte, schob d er K ronprinz den uralten Stuhl der Sachsenkaiser an die Stelle des preußischen K önig sth ro nes; der im m er zu ho lder Schwärmerei u n d pru n k en d en S ch auspielengeneigteM ann,der sich später, in E rinnerung an M axim ilians Vater, am Liebsten Kaiser Friedrich den V ierten genann t hätte, w ollte sym bolisch dam it andeuten, d a ß die neue K aiserw ürde als die Fortsetzung d er alten römisch»kaiserlichen M ajestät zu nehm en sei. D am als galt es, alle im d eutschen G em ü th sleb en w irkenden Kräfte, auch die m ythischen u n d m ystischen, lebendig zu m achen.
Ein V olkskrieg kann zum Sieg n u r für eine A llen heilige Sache gefü hrt w erden; u n d es war fü r den A usgang des großen Krieges gew iß nicht gleichgiltig, d aß die Franzosen sich für Louis N a p o le o n schlugen, den M an n m it dem Speck am H u t, w ährend die D eutschen für die alte R eichsherrlichkeit käm pften u n d die B rü der aus Süden noch die schim pfliche Rheinbunds#
schm ach in heißem G allierb lu t abzuw aschen hatten. D am als w ar es erlaubt, w ar es vielleicht geboten, auch die Schemen in den entscheidenden K am pf m itzuschleppen, d aß sie, ein gespenstisches H eer, aus W olkengebilden den treuen T ru p p en T ro st zuw inken u n d den W id ersacher verw irren konnten.
A b e rd e r Friede kam rund schon m ahnte die Zeit, den verschlis*
senen P lu n d er in die Rum pelkam m er zu weisen. D a ß es nicht geschah, d a ß sogar in der K aiserproklam ation das „W ahr*
Zeichen der alten H errlich k eit“ eine Stätte fand, w ar vielleicht des stolzen, rom antisch gesinnten K ronprinzen W erk. W ed er über den alten Kaiser noch ü ber Bismarck hatte die Welt*
anschauung des M ittelalters G ew alt; sie gaben dem Reich die preußische, schw arzw eiße Färbung. N eb en ihnen aber w aren noch andere K räfte thätig,* war besonders der Hebens*
w ürd ige T h ro nfolger bem üht, den schönen Schein einer b u nten Z eit i n ‘die m oderne N ü ch tern h eit hinüberzuretten. So ent*
stand der krause Begriff eines P reußischen Reiches D eutscher N a tio n , so schwang in dem ersten frohen G ru ß der Kaiser*
glocken schon e in falscher T o n m it u n d weckte ein unheil*
volles Echo. D er U rsp ru n g des K ulturkam pfes w urzelt in dem M iß verständn iß, es solle, wie zur Z eit O ttos des D ritten u n d Sylvesters, die R enovatio Im perii R om anorum unter*
nom m en, das Röm erreich erneut w erden. D as M iß trau en des Südens sog im m er erneute K raft aus der F urcht vor einer Ver*
p reu ß u n g . So lange Bismarck, den der leise Kaiser gew ähren ließ, sein W erk selbst betreuen durfte, w urde w eder der preu*
ßische noch der röm ische T o n zu laut un d zu herausfordernd angeschlagen; der Schöpfer em pfand m it genialem In stink t, was seiner Schöpfung fiom m en, was schaden konnte. H eute, k ein ernster M ann täuscht sich darüber, h at sich das K lingen des falschen T ones schlimm verstärkt u n d m it ihm das G efühl, d a ß w ir in unw ahrhaftigen Z u stän d en leben. U n d wie im Innern gegen den allzu steifen P reu ß en :o p f sich m ancher W id e rsp ru c h regt, so stam m t ein beträchtlicher T heil der G efahren, die uns d rau ß en um lauern, aus der F urcht v o r einem w erdenden W eltkaiserreich.
D as H eilige Röm ische Reich D eutscher N a tio n ist to t u n d eingeurnt u n d alle guten G eister des deutschen V olkes m ögen uns vor-seiner spuk haften R ückkehr gnädig bew ahren.
Es starb nicht erst an jenem sechsten A u g ust 1806, wo Kaiser Franz, um die H ausm acht O esterreichs zu retten, den Reif d er K arolinger ablegte. Es hatte d u rch Ja h rh u n d e rte schon n ur ein küm m erliches D asein gefristet u n d von dem gew altigen Streich sich nie w ieder erholt, m it ‘dem L uther es traf, als er den Staat von der V orm undschaft der Kirche befreite. D ie G estalten Caesars u n d Peters w aren vereint durch die G e schichte geschritten; sie h atten m it einander um die H e rr
schaft gekäm pft, aber sie w aren nicht von einander zu trennen, sie blieben die unlöslichen Elem ente einer einheitlichen M acht.
A ls der breite Schatten Luthers sich zwischen ihnen aufreckte, brach die neue Z eit an: das G ew ölk des M ittelalters wich u n d m it der Sacra Caesarea M ajestas w ar es für imm er vorbei.
W o h l w irkte der Fluch der alten Kaiserei noch lange fort u n d alle K ünste theokratischer M y th e n b ild u n g w urden auf- geboten, um dem jew eilig regirenden H au se gläubige A n b etu n g zu sichern; aber das Reich verfiel, es w urde zum S pott der N ach barv ö lk er u n d keinem Kaiser gelang je noch, m it dem Schein auch das W esen der M acht zu bew ahren.
K einem : selbst dem G rö ß te n nicht, der jem als gegen die G eschichte zu herrschen versuchte. B onaparte, der das feinste G efü h l fü r den P u n k t hatte, von dem aus m an einen V o lks
organism us stärken o der zerstören konnte, w ar tau b und b lin d für die lauten u n d sichtbaren Lehren der Geschichte.
Er ging zu G ru n d e , weil er, der Sohn u n d der E x ponent d er R evolution, der Erbe des Caesar A u g u stu s u n d Karls des G ro ß e n sein w ollte. Im M ai des Jahres 1804 k o nn te d er M ann, der so gern prah lend von seinem Leben als U n te r
lieu tenant der A rtillerie sprach, un ter dem Segen des Papstes den Scheitel m it dem D iad em der K arolinger schm ücken u n d das röm ische K aiserthum von d en lothringischen H a b sb u rg ern in das H a u s B onaparte herüberzerren. Er k o nn te sich als das gebietende H a u p t, das caput, der C h risten heit fühlen u n d d azu noch d en heidnischen T rau m der C yrus u n d A lexander w eiterw eben: er blieb doch n u r der letzte Plagiator der ver
k lun g en en Röm erherrschaft. W eil er der W e lt gebieten wollte, waffnete sich gegen ihn eine W elt. W e il er sich dreist gegen das R ad der G eschichte stem m en wollte, verstreute der G enius d er G eschichte seine E robererbeute bis auf die w inzigste
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Spur. D ie Z eiten des röm ischen Prinzipates w aren v o rü b er u n d kein sterblicher M ensch k o n n te dem verlebten Leib des U niversalreiches noch einm al den beseelendem O dem ein#
hauchen. E lf Jahre nach dem T aum elrausch seiner K rönung lag der letzte Im p erato r geknebelt am B oden. A u f seinen G rab stein hätte m an die Inschrift setzen können, die, zwischen brüchigen T rüm m erhaufen, von einem K reuzfahrerkastell in Syrien herab den W an d erer g rü ß t: Sit tib i copia, sit sapientia, form aque d etur; in q uinat om nia sola superbia, si com itetur.
A uch die Beherrscher des neuen Reiches sollten dem w arnenden W a h rsp ru ch nachdenken. D as Jah r, das den U n terg an g des letzten Im perators h eraufführte, sah die Ge*
b u rt des M annes, der von altem Spuk uns nicht n u r er#
lösen, der auch das neue, helle u n d luftige H au s den Deut#
sehen erbauen sollte. L uther h a t der alten Kaiserherrlich#
keit die W u rzeln zerschnitten; B onaparte hat den abgestor*
benen Stamm in ein künstlich erhitztes u n d dadurch aus#
gedörrtes Erdreich verpflanzt; Bism arck hat weise gew artet, bis aus der natürlichen ‘ K raft des heim ischen B odens ein g esun der T rieb zum Licht em porschoß, den er pflegen, be#
schneiden, einzäunen u n d vor R aupenfraß schützen konnte.
Seitdem ist der innerlich unw ahre G edanke, der einem verhängnißvoll falschen Idealism us entsprang, ü b erw un den u n d abgethan; u n d er sollte selbst in pom phaften Aeußer#
lichkeiten nicht ferner m ehr m itgeschleppt w erden. D as H eilige Röm ische Reich D eutscher N a tio n ist to t u n d ein neues G eschlecht kann m it einer Leiche au f dem R ücken nicht leben, nicht in lustigem Ringen die K räfte regen. Kein noch so d ü n n e r Faden v erbindet uns m it dem Leintuch, in dessen Falten das schlotternde G espenst husten d einher#
keucht, u n d Barbarossas Raben sind uns n u r die krächzende E rin neru ng an ein K inderstubenm ärchen. W ir haben ein D eutsches K aiserthum , w ir w ollen unser eigenes Leben be#
w ahren u n d , w enn w ir schon d e n röm ischen K aisernam en m it in den K auf nehm en m üssen, doch nicht bei Caesaren, O tto n en u n d Saliern, sond ern bei den besten H ohenzollern das zu W o h lth a t U eberlieferte suchen. D ie alten Kaiser kümmer#
ten sich um G o tt u n d die W e lt, am M eisten um ihre Haus#
macht, u n d d arü ber ging des Reiches W o h lfa h rt zum T eufel.
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E in neudeutscher Kaiser hat genug zu th u n , w enn er n u r fü r D eu tsch lan d sorgt u n d dabei bedenkt, d aß sein V olk E llenbogenraum b rau ch t u n d d aß die germ anische V orm acht sehr ernste Pflichten hat. Er soll u n d er d a rf kein H err sein, der seine H a n d ü b e r die ganze E rde streckt u n d sich im trü g en den Schein einer A llm acht u n d A llgegenw art sonnt.
W ir sind nicht reich u n d nicht ungefährdet genug, um uns den L uxus der alten Kaiserei gestatten zu können, deren ü berladene Pracht heute n u r noch als u n n öthiger u n d un«
n ützlicher Ballast das u m b ran d ete Staatsschiff beschw ert.
A n dem B o u rb o n en h o f spottete m an einst d arüber, d a ß in Sanssouci kein O berstkäm m erer dem K önig das N achthem d reiche; als aber die B ourbon en kro n e in dem dicken D u n st hö«
fischer V ergottung längst b lin d u n d ro stig gew orden w ar,stand der Staat Fritzens noch aufrecht. D ie H o henzollernhygiene h at sich b ew ährt: sie h a td e n G eist g estäh lt,d er schließlich, wie Karl von Villers ahnen d voraussah, den französischen G eist be*
siegen konnte. O b dieser deutsche G eist aber in seiner schlich«
ten Reinheit b ew ahrt w erden kann, w enn der U n sinn einer theokratischen M ystik w ieder aus der G ru ft beschw oren w ird u n d m an in D eu tsch lan d sich in die Franzosensitte schickt, geräuschvoll auf ein fabelhaftes Prestige hinzuarbei«
te n ? G ew iß nicht: u n d deshalb m üssen wir, ehe es zu spät ist, aus u nw ahrhaftigen Z u stän d e n heraus, deshalb m u ß der m oderne B au von rom antischem u n d feudalem M oder gründ«
lieh gereinigt w erden. U eb er A bso lu tism us u n d ständische G lied eru n g läß t sich reden, w enn sie in alter Staatseinricht«
u n g w urzeln u n d offen vor allem Volke b ek an n t w erden; sie w ürd en unerträglich, w enn sie u n ter der d ü n n e n D ecke einer dem okratischen V erfassung fortw irken w ollten. U n d sehr viel schlim m er noch als die innere G efahr wäre die Be«
d ro h u n g von auß en ; D ie W e lt d u ld et Universalherrschaft«
pläne h eu te noch weniger als in d er Z eit B onapartes u n d gegen einen a lle rle tz ten Im p e ra to r w ü rd e sich ein V ölker*
b u n d b ild e n , d em d e r S tä rk s te s e lb s t m ac h tlo s u n terlie g e n m üß te. N ic h t nur, um die Em pfindlichkeit d er H a b sb u rg er zu schonen, h aben die H o h en zo llern auf die stolzen T itel der Staufer verzichtet u n d der Z eit ein Ende gesetzt, wo der Freiherr von G em m ingen schreiben k o n n te; „D as H a u s
D a s alt e D e u t s c h l a n d 71 O esterreich kann n u r das O b e rh a u p t oder der F eind des D eu tschen Reiches sein“ , son d ern in w eislicher Selbstbe»
sch rän k u n g u n d in der E rk en n tniß, d aß eines m od ernen Staa- tes kom plizirtes G efüge die ganze, gesam m elte M annesarbeit eines H errschers verlangt u n d ihm nich t M u ß e läßt, sich an b u n ten T a n d zu verlieren o d er der w iderstrebenden W e lt d e n Schein neuen Im peratorenthum es aufzudrängen.
D as neue D eutsche Reich k ann nicht röm isch, aber es d a rf aueh nicht p reußisch sein. D e r Reif, der den Scheitel des H ohenzollernkaisers schm ückt, ist nicht' das D iadem Karls des G ro ß e n u n d B onapartes, aber er ist auch nicht die P reußen krone, die K u rfü rst Friedrich von B randenburg im alten A d lerlan d einst aufs H a u p t setzen durfte. D er W eltherrschaftw ahn w ürde uns d rau ß en , das starre Preußen«»
th u m .w ürde im Inn ern gefährliche Feindschaft erzeugen.
P reu ß en h at gew iß G ro ß e s an D eutschland gethan; n u n ab er ist endlich d er T ag gekom m en, wo P reu ß en dem deut«
sehen E influ ß die Flanken weit öffnen u n d das Land, das d en G erm anen, nicht dem M ischvolk d er B orussen gehört, vo n dem cauchem ar prussien, dem p reußischen A lb, für im m er befreien m uß. D e r ju ng e Riese m ag sich nicht in das Leichenlinnen derv erp lu n d erten Reichsherrlichkeit hüllen, doch auch die rauh e w ollene Preußenjacke ist ihm zu eng u n d das helle H a u p t w ill er d ann n u r in die Pickelhaube zw ängen, w enn w ieder ein frevler Feind ihn zu den W affen ruft. D as D eutsche Reich, das die große A ufgabe hat, bescheiden und fest, stark u n d gesittet dem G erm anenstam m a u f der bew o hn baren E rde R aum zu sichern, m u ß deutsch sein u n d deutsch bleiben u n d von allem T röd elkram einer to te n V ergangenheit sich entschlossen scheiden.
G e s t e r n o d e r m o r g e n ?
Ein V ierteljahrhundert ging, seit ich diese Sätze hier ver
öffentlichte. U n d der R ückblickende darf, w eitab von eklem H a n g in Selbstbespiegelung, sagen, d a ß in der D arstellung (vom achtzehnten Ja n u ar 1896) die D eu tsch land b edrohende D op p elg efahr richtig erk ann t w o rd en ist; darf w ohl auch aussprechen, d aß des Reiches E rleb n iß sich nicht so düster um flort hätte, w enn vor M illionen, nicht hier nur, vor einer
eng begrenzten Leserschaar, m it unerw eichlichem Ernst, im#
mer w ieder, die W a rn u n g lau t gew orden wäre. U n h o ld e V orzeichen hatten schon um die W o ch enstu be G erm anias ge#
w ittert. D e r B rief eines (dam als fast noch liebensw ürdig) irren W ittelsb ach entriegelte das den W e g zur K aiserkürung sperrende T h o r, der B rief eines vom kranken Sexus aus zer»
störten H irnes, das m ünzbaren Sondervortheil, nicht des deut#
sehen Volkes V eredelung in Freiheit, besann u n d aus dem die V erachtung der fränkischen Em porköm m linge nie völlig schw and. D e r alte W ilhelm „w ar nicht frei von der N eig u n g , den anderen D ynastien die U eberlegenheit der eigenen un ter die A ug en zu rü ck en“ (B ism arck); w ollte Kaiser von Deutsch*
land, nicht D eu tsch er K aiser, h eiß en u n d grollte dem Kanzler, der die P roklam irung dieses Titels nicht zuließ. „E r hat m ir diesen V erlauf (d er Feier in Versailles) so übel genom m en, d aß er beim H erabtreten von dem erhöhten Stande der Fürsten mich, der ich allein auf dem freien Platz dav or stand, igno#
rirte, an m ir vorüberging, um den h in ter m ir stehenden Gene#
ralen die H a n d zu bieten, u n d in dieser H a ltu n g m ehre T age verharrte.“ D as flüchtig schw eifende A uge m ag glau#
ben, n u r K leinstreit um eine Titelfrage habe diese K luft aufge#
rissen. D as D eu tschland der bism ärckischen V ision w ar eben, in T iefen u n d H ö h e n , doch anders als das den H oh enzo llern bequem e. H in te r dem seit der Flucht au f dem P ostw agenbock u n d der Stunde d ro h en d er E n tth ro n u n g fügsam , bäuerisch klug gew ordenen alten H e rrn stand der h alb anglisirte, halb noch in den P ru n k des absurdesten M ittelalters gekleidete T hro nfo lger, der alle B undesfürsten, au ß er dem preußischen, entm achten w ollte u n d dessen deutsche Politik von dem Aer#
ger d a rü b er bestim m t war, d aß ein Z ollern nicht an jed e r Pforte den V o rtritt habe. A uch er hätte, als A ltern d er u n d an d er H a n d der m it englisch nüchternem V erstand und koburgi#
schem W itterverm ö g en begabten Frau, sich in N othw endig#
keit gebückt. V erhängniß w ollte, d aß er to tk ra n k erst, m it du rch die Silberröhre röchelndem A them , den T h ro n erklom m ; d a ß eine ganze G en eratio n deutscher M enschen, vom War#
ten, freilich, schon m üder, ausfiel. U n d was nach dem stum#
m en Kaiser kam, b ren n t noch in jedem wachen G ed äch tn iß . A uch, d aß au f den W in k dieses w eibischen H eldenspielers ein
unechtes P reu ß en th u m sich zu spreizen begann. A u f d e n W in k D essen, der die paar noch kräftigen W urzelfasern P reußens zerzupfte, wie eines K naben hastende H a n d die M echanik seines Spielzeugs, u n d den neun Z ehntel seines A dels früh verachten lernten. W o schlug d enn P reußens H e rz ? D as Fritzens (in dem G enie die Perversion, die V erw eibung des W esens bis an die G reisenschw elle überstrahlte) hörte schon zehn Jah re vor Jena zu schlagen auf; hat kaum länger als Bismarcks D eutsches Reich den Puls behalten. Preußens R etter aus N o th w aren nicht im Lande des Schwarzen A dlers geboren. Stein: N assauer; Scharnhorst: H an n o veraner; Bis*
m arck: zw ar eines Ju n k e rs Sohn, doch m it slawischen (K etzer beh au p ten sogar: m it einzelnen sem itischen) B lutkörpern in den A dern, den urp reuß isch en S p ätq u itzo w s im m er ein G räuel u n d, als F ürst aus G enieland, den Them istokles, Caesar, D ante, Shakespeare, C ervantes, Pascal, B onaparte näher verw andt als irgendeinem A rnim , D o h n a, Z itze witz. Seines P reußens Wer*
berkraft w ar er; vor ihm der Jam m er von O lm ütz u n d Bron*
zell, wo ein Trom peterschim m el für P reu ßens Ehre starb, nach ihm die Sintfluth. D as läppische oder überschlaue All*
tagsgetute von P reußens unsterblicher G rö ß e w ird, bündi*
ger als durch E rinnerung an Spartas Sendung u n d H ingang, du rch sechs W o rte w iderlegt: Elsaß, J ü tla n d , O berschlesien, H an n o ver, H essen, R heinland. H a t eins dieser Länder je sich in der Preußenjacke behaglich gefühlt u n d w ähnet Ihr, Flenner u n d Z eterer, m it zorniger Klage T otes wecken zu k ö n n e n ? D as D eu tsch e Reich kann die Zelle, die es gebar u n d deren C entrosom a sich theilte, üb erd au ern, w enn es „von allem T rödelkram d er V ergangenheit sich entschlossen schei*
d e t“ . In diesen T röd el, potsdam er Parteiparade, gehört auch das Z ollernh aus. Z u m uffiger Schm utz w ard in ih m , zu lästerlich freche Lüge ringsum gehäuft, seit der ju ng e den alten W ilhelm in den Rang heilig G ro ß e r ho b u n d die vor kühnem B ekenntniß nicht scheue M u tter Vicky, die nach Friedrichs T o d schnell die Frau ihres O bersthofm eisters ge*
w orden war, zwang, als untröstliche W itw e im Schaufenster der N a tio n zu stehen. Selbst Leute, die sich bis in die öffent*
liehe Frage entblöden, was m it der Leiche einer einst, w ider die V erfassung, Kaiserin genannten Frau, die noch lebt, ge=
schehen werde, m ü ß ten ahnen, d a ß ih r G elärm schließlich in schlimm e A ussprache n öthigen könne, u n d nicht länger sich gegen die A m ortisatiorf eines H ofes sträuben, wo, neben leidlich T üchtigen, Faulenzer, Fiöm m ler, G ecken, K inaeden, D irn en sich tum m eln du rften u n d die erste E intracht von V ater u n d Sohn den B eschluß ihrer Fahnenfluchtgem ein*
schaft entband. Sollen die Zw ei, soll Einer von ihnen mor*
gen etw a das P reu ßen lied anstim m en, das die aus Berlin zurückgezogenen T ru p p e n im M ärz 48 sangen u n d das dem (in Friedenszeit) aus E ngland heim gekehrten Prinzen von P reu ßen u n d „A b g eo rd n eten fü r W irsitz “ der harte Land«
w ehrlieutenant V on Bismarck» Schönhausen v orlas?
„Schwarz, Roth und G old glüht nun im Sonnenlichte, D er schwarze Adler sinkt herab, entweiht;
Hier endet, Zollern, D eines Ruhms G eschichte, Hier fiel ein König, aber nicht im Streit.
Wir sehen nicht mehr gerne N ach dem gefallenen Sterne.
W as Du hier thatest, Fürst, wird D ich gereun;
So treu wird Keiner wie die Preußen sein.“
N ic h t dem tausendm al in U n treu e E rtappten. W as heute den Z ollernam en trägt, schaffe selbst sich den W erth . Deutsch*
lands Schicksal p ocht in der Frage, ob das N eu e es neu findet.
D a ß dem Ideal Kants, G oethes, Lessings, Posas das Jahr*
h u n d e rt gereift ist, d aß zunächst w enigstens E uropa sich als E in heit em pfinden oder der u n n ützliche, n u r, als ein Sitz reizbarer Schwäche, schädliche W u rm fo rtsatz Eurasiens wer*
d e n m u ß , sin gt uns heute nicht einsam m ehr Z arath ustras Lied. N ic h t ein fest an noch b rau ch b ar A ltes knüpfendes T a u soll d urchschnitten, nicht Frankreichs noch irgendeines anderen Landes G eist soll vom deutschen besiegt: aus firn A ltem u n d b rau sen d N eu em , aus Frem dem u n d Eigenem soll bew u ß te G em einschaft des b u n t schöpferischen M enschheit*
w illens, die w ü rd ig Sonderw erth u n d W esensfarbe ihr Zu*
gehöriger pflegende Internationale der Seele w erden. R eiß et von B anden freudig Euch losl N o ch auf d en T rüm m ern deut*
scher M ilitärm acht k ann ich nicht bew inseln, d a ß w örtlich w ahr gew orden ist, was ich im J a n u a r 1896 hier voraussah:
„G eg en einen allerletzten Im p erato r w ürde sich ein V ö lk erb u n d bilden, dem der Stärkste selbst m achtlos unterliegen m ü ß te.“
N o c h f l i m m e r n S t e r n e M a r s
„Schon sitzt der K ö n ig ; den ju n g e n , schlanken General*
stab sh au p tm an n m itd em glat»
len , rothbackigen Jungenge*
sicht hat er zu seiner Linken befohlen. N u n schreitet er m it klar erhobenem H au p t.
D as bronzebraune herrische G esich t m it den tiefblauen A ug en ist vor dem Blick der M enschen wie die starkmü«
th ig e Sicherheit selbst. A u f den G eneralfeldm arschall re*
d e t er ein. Erzählt ein paar schlagende Einzelheiten aus d e n letzten A gentenberichten ü b er den w achsenden Ton*
nagem angel d rü b en in Eng*
lan d . K raft u n d V ertrauen sollen die Leute aus seinem A nblick schöpfen;sollen wis*
sen, d a ß ihr K önig voll siche*
ren G lau b ens ist. U n d wie er so redet, stärkt er sich selbst an seinen farbig m alenden W o rte n . Sieht die Ladedocks d e r einst b lü hend en, rastlosen H afen städ te E nglands: ver*
lassen, leer, zu Kinderspiel*
plätzen gew orden, G ras zwi*
sehen den alten Q u ad ern . A m Ringfinger seiner Rechten flim m ert der B rillant m it dem in w inzigen R u b inen einge*
legten Signum C hristi. D iesen tückischen H alu n k en in Lon*
d o n u n d Paris zum T ro tz in
V e n u s
„D ie w enigsten M enschen wissen, d a ß ich A m erikanerin bin. M eine K indheiterinne*
rungen sind eng verknüpft m it dem phantastischen Leben der R oth h äu te.T ag u n d N acht ver*
brachte ich, sie als Lehrm eister zur Seite, au f dem Rücken un*
gesattelter Pferde. D ie Sioux*
indianer in ihrer phantastU sehen Tracht, die ganz in der N äh e der Farm m einer Eltern ihre Siedlung h atte n , w aren m eine innigsten Freunde. Sie zogen mich wie eine Indiane*
rin an u n d schoben m ir einen R evolver in den G ürtel. Es ist m erk w ü rd ig, d aß sich meine erste Liebe*Erinnerung m it den R othhäuten ver*
knü p ft. Ich hatte seit längerer Z eit bem erkt, d aß einer unter ihnen, ein junger, schön u n d edel g ebauter Knabe, jnich m it seinen feurigen A u gen ver*
folgte. Er war m ir sklavisch treu u n d wie ein H u n d er*
geben. Schon ganz jung, w ar ich M itglied der g rö ß ten ame*
rikanischen Filmgesellschaft.
Es gehörte zu einem sehr in*
teressanten Film, d aß ich auf einem C anoe einen zw anzig M eter hohen W asserfall her*
untersausen m ußte. Ich kann m ir vorstellen, d a ß dieser An*
blick recht gefährlich war, be*
einen starken deutschen Frie*
den schreiten, in dem das Reich d ann unter seiner H a n d die W u n d e n heilt u n d neues, nie gesehenes B lühen findet!
G anz nah sieht er im Rausch des H öffens die E rfüllung . . . D er K önig hat in seinem W o h n # Z u g g ebadet; der D u ft des parfum irten W assers ru h t noch in der Luft, m engt sich m it einem b itteren H au ch von Juch ten. A u f das k ühle Le*
dersofa liegt der K önig hin#
gestreckt; zu seinen Füßen, auf dem T ep p ich zusammen*
gerollt, die kleine, verw öhnte T eck elh ünd in . A u f den ge*
schliffenenSchalenundFläsch*
chen des W aschtisches glim#
men n u r ein paar d ü nne Licht#
p u n k te in der D äm m erung.
D es K önigs G ed an k en wer*
den b ild h aft u n d plastisch;
spielen um Fragen von W ür*
d en u n d T iteln, von Rängen u n d D ek o rationen , um prun#
kende Szenen der E hrung beim g ro ß en O rdensfest u n d der feierlichen Accolade. In der B rust des K önigs häm#
m ert das B lu t, d a ß er sein Rauschen h ö rt. Paris! Eine F lu th v o n w ünschender Sehn#
sucht u n d vorgenießender Ge#
n u g th u u n g d rängt in ihm auf.
A b e r zugleich ist eine dunkle, unklare A b w eh r in ihm , sich diesen L ockungen zu geben.
sonders für Jem anden wie den ju ng enS iouxindianer, der sich so recht ja keine V orstellung von einer Film aufnahm e ma#
chen konnte. Er glaubte, mei#
ne C anoefahrt einem U ng lück zuschreiben zu m üssen. E r w ollte mich m it dem Preis sei#
nes Lebens retten u n d sprang m ir nach. D ie schwierige Auf#
nähm e wäre durch sein selb*
ständiges Eingreifen vollstän#
dig vernichtet w orden, w äre der Regisseur nicht so ge#
schickt gewesen,dem Indianer in dem Film eine Rolle zu#
zuertheilen, so d aß er w eiter m itspielen konnte. M an schob die Rolle eines V erliebten ein, die m ein ju n g er F reund m it höchster B ravour spielte, denn er spielte sich u n d seine Lei#
denschaft. N achdem die Film#
aufnahm e beendet, zog er sich zu seinen Stam m esgenossen zurück. Er k onnte m ich je#
doch nicht vergessen. Er ver#
folgte mich m it Liebesanträ#
gen u n d zeigte m ir in der ori#
gineilen A rt der Indian er sei*
ne grenzenlose V erehrung.
A n statt die Federn der er*
schossenen A d le r seinem K opfschm uck einzuverleiben, w od u rch er bei seinen Käme#
raden ungeheuer an A chtung gew onnen, schenkte er sie mir.
Alle seine B em ühungen, mich zu erringen, zeigten sich je*
A b erg lau be: es nicht berufen!
Er sieht au f das Bild der Kö*
nigin im Silberrahm en. Sieht die d ü n n en Fältchen undSor*
genm ale in dem schlichten M atronengesicht der früh an ihm V orbeigealterten. Eine G eliebte einst, eine Freundin, eine m ütterliche F reundin spä*
ter. Er d en k t an den feind*
liehen, kalten W id e rsta n d sei*
ner Eltern, die sich nicht durch einenK ronprinzenbeeinträch*
tig t sehen w ollen, der, etwa allzu u nterrichtet u n d allzu volksthüm lich gew orden, hin*
terih re m T h ro n slän d e .N ic h ts th u t die M u tter, um die Ent*
frem dung zu ü berbrücken.
Scheel u n d u nv erh ü llt miß*
günstig auch vor den A nderen w ird der Blick des Vaters in d en Ja h re n , in denen die tückisch fressende K rankheit nach seinem K örper greift u n d an dem ehrgeizigen, unerfüll*
ten Leben r ü tt e lt . . . D ie Zei*
tu n g en schiebt er jäh von sich, legt die Brille d arüb er hin.
G ezänk u n d G ekläff, unwür*
d ig dieser Stunde! M orgen vielleicht schon weggew ischt von weltgeschichtlichenThat*
sachen. Straff aufgerichtet sitzt d er K önig jetzt au f seinem Stuhl. D ie tiefblauen A ugen strahlen un d m anchm al flattert seine Rechte hoch u n d unter*
streicht m it küh ner, bereiter
doch ergebnißlos. D a be#
schloß er, G ew alt anzuwen*
d en u n d m ich zu rauben. Er um zingelte m it seinen Stam*
m esgenossen das H a u s m einer E ltern u n d es wäre zu einer K atastrophe gekom m en, w enn ich nicht im A ugenblick, als er u n serH au s inB rand stecken w ollte, erschienen wäre u n d ihn durch gütiges Z u reden be*
ru h ig t hätte. U m seinen uner*
w ünschten Z ärtlichkeiten zu entgehen, verließ ich die Farm m einer Eltern. D as Schick*
sal scheint mich jedoch aus*
erkoren zu haben, viele Aben*
teuer zu erleben. A u f m einen Reisen d u rch die ganze W e lt w ar es m ir im m er interessant, die Z u n eig u n g der M änner in den verschiedenen L ändern kennen zu lernen. D as Tem*
peram ent der V ölker zeigt sich natürlich am D eutlichsten in L ieb e'A eu ßerun gen . A ls ich eine Z eit lang in R u ßlan d leb*
te, liebte mich ein Prinz. W ir besuchten zusam m en ein gro*
ßes Fest, u n d w ährend eine heitere G esellschaft ru n d um einen Tisch g ru p p irt saß, ver*
suchte ein anderer M ann, mei*
ne H a n d zu berühren. Voll jäher W u th sprang der Prinz au f u n d steckte seinen D olch durch die H a n d des K ühnen, sie gleichsam an den T isch festnagelnd. Diese B rutalität
G este die starken, b ildhaften Sätze. Ein G oldenes Z eitalter fü r alle fruchtbaren Gedan#
k en,für alle schaffendenK räfte w ird erblühen. A ufgaben von ungeahnter W e ite w arten au f jeden D eutschen. D ie Zwei»
undvierzig»C entim eter#M ör#
ser, die g ro ß en U* Boote, die Z ep p elin e, die P aris»K ano
nen: alle G eh irn arb eit u n d alles M uskelschaffen, die jetzt an diese W erk e der Zerstö#
ru n g g e b u n d en sind, w erden m it unerhörtem A n trieb au f d en G eb ieten der Befreiung d es Reiches von allen Nach#
W irkungen dieser harten Z eit N e u la n d gew innen. D as Viel#
fache d er alten E rnten wer*
d e n uns die Z u k u n ftern ten bringen. K ünstlichen Stick#
stoff w erden w ir in ungeahn#
ten M engen schaffen: kein C e n tn e r Salpeter m ehr w ird uns ü b er die G renzen kom*
m en. M illiarden w erden wir d e r Land w irthschaft erhalten!
,A uch D as w erden w ir schaf#
fen!‘ . . B ew egunglos steht d e r K önig an der Ram pe. Da#
mals die Som m ertage vor vier Jahren. Bis an die G renze d er E n tw ü rd ig u n g hat er ge#
zau d ert, k ein M ittel hat er unversucht gelassen: in W ien , bei N ik i u n d bei G eorg. D ie unerhörte,aufreibende Spann#
un g jen er T age fü h lt er wie#
erschreckte mich so sehr, d aß ich mich noch am gleichen A b e n d von dem Prinzen trenn#
te u n d R u ß lan d verließ. In der T ü rk ei folgte ich der Ein#
lad u n g eines ju n g en Bey, der ein Schloß auf einer H albinsel des B osporus besaß. Es war m it m ärchenhafter Pracht aus#
gestattet u n d erstrahlte in solchem verschw enderischen R eichthum , wie ich nie wie#
der etwas A ehnliches gesehen habe. D er jun ge Bey über#
häufte m ich m it G eschenken, die von seiner g ro ß en Liebe Z eu g n iß ablegen sollten.
T ro tz seinem glühen den Wer#
ben em pfand ich keinerlei Sym pathie für ihn. Ich w ollte das Schloß verlassen. Er gab m ich nicht frei. Ein unglück#
licher Z u fall verrieth ihm den O rt, an dem ich m eine Papiere au fb ew ah rte, den n der Bey stahl sie, um m ir das Passi#
ren der türkischen G renze un#
m öglich zu m achen. T ro tz al#
ler V erehrung, trotz der wun#
dersam en Pracht, in der ich lebte, fühlte ich m ich gefan#
gen. Ich sann au f Flucht. D ie D ien er w aren ihrem H errn so ergeben, d aß es m ir unmög#
lieh erschien, gegen seinen W illen die H albinsel zu ver#
lassen.D ageschahetw asPhan*
tastisches. Ich w einte nachts, a u f m einem B alkon stehend.
79 der, sieht die erregten Szenen,
diezw ischen H offnungen u n d A ussichtlosigkeiten umher»
schw ankenden Besprechung gen d ra u ß e n im N e u e n P a la is:
den K riegsm inister, den C h ef des G eneralstabes, den Groß*
adm iral, den Kanzler, der vor ihm steht u n d Berichte u n d D epeschen in den stets un<
schlüssigen H ä n d e n hält.
N e in , sein A ngesicht kann sich frei erheben, er ist rein von Schuld. D ie d o rt drü b en sind es, a u f denen die Last des UrtKeils ruhen w ird . . . Je d e M inute ist ihm Q u al und Folter; bis zur Unerträglich*
k eit gespannt sind seine Ner*
ven. A b er soldatisch ruhig, sicher, zuversichtlich sollen sie ihn A lle sehen. Unantast*
b ar von Erschütterungen u n d erhaben über M enschenfurcht u n d Zw eifel soll die Königs*
w ürde, als eine von dem Hoch*
sten eingesetzte Kraft, allein im Schutz von G o ttes H a n d ru hen . Lasten b ü rd e t sie au f die Schultern ihres T rägers:
ein Beispiel soll er allen Lauen, ein H a lt allen Schwächlichen sein. N ic h t an die Sohlen seiner K önigsw ürde d ü ife n vor ihren A ugen A n g st u n d K leinm uth spülen . . . V o m an der Ram pe steht er u n d redet m it eindringendem Eifer zu dem Sohn. A b er die in*
Ich schluchzte laut. Plötzlich, m einH erzschlagstockte,hörte ich m enschliche Laute. Sie ka*
men näher. D a sah ich einen K örper,behend wie eineKatze, die M au ern des Schlosses her*
auf klim m en. G anz vorsichtig, ängstlich U m schau haltend.
D ie G estalt näherte sich mei*
nem Balkon. Erst wich ich zurück, dann erkannte ich den jü n g sten D ien er des Beys, schön wie ein ju ng er G ott. Er w ar m ir schon am ersten Tage aufgefallen. Später erschien er er m ir besonders interessant durch seine seltsame Ge*
schichte. Er w ar der unehe*
liehe Sohn eines italienischen G rafen, aber von einer Wä*
scherin des Beys geboren. D er Bey hatte ihm eine gute Er*
ziehung geben lassen, wollte ihm eine w ürdigere Stellung verschaffen; er bestand jedoch darauf, D iener zu bleiben. A uf dem B alkon angekom m en, verneigte sich A chm ed tief vor m ir u n d erklärte m ir leiden«
schaftlich, ein B oot liege be*
reit, in dem er m ich ü b er den B osporus ru d ern werde. D an n zeigte er m ir geheim e W ege des Schlosses, um es unge*
sehen zu verlassen, die W enige wie er kannten. W ir bestie*
gen das B oot u n d fuhren leise h inü b er. Er k ü ß te m ir zum A bschied den Saum des Klei*
nere U n ra st fiebert unver- bergbar aus jed e r von den flackernden G esten seiner H än d e, die d unkle A ngst, die Q u ä le n d e r U nsicherheit flim
m ern in seinen A ugen. ,N u n sieh m al zu, m ein Junge, d aß Ih r die Sache rasch w iederum flott kriegt, w as? U n d sage n u r d en H erren der A rm ee in M aiso n R o u g e, d a ß ich die D ing e von hier aus vor A u gen habe u n d den V erlauf verfolge*. . . Schreckhaft fährt er aus bleischw erem Schlaf auf. D a steht er vor ihm, grin st ihn aus den alten, w äs
serig - glotzigen Fischaugen m it b ö sartig verquollenem Lächeln an: O n k el Bertie.
D e n V erfü h rerkün sten dieses hin terh ältig glatten Lügners war d er arm e N ik i verfallen, d er ih n doch bis d ahin stets als d en E rzintriganten u n d U n h eilstifter von E urop a rich
tig erk ann t hatte. G e h a ß t hat er m ich! Ist es d enn nicht das Selbe wie b f i m einer M u t
ter, seiner Schwester, wie bei m einem V ater ?! M ißgü n stiger N e id u n d H a ß . . . D e r Kö- nig sp ü rt bei D enen in Aves- nes den M angel an T ak t gegen ih n , den O bersten K riegsherrn. A ls ob er ein Statist wäre, ein F igurant oder ein Z uschau er I M eh r u n d m ehr w ü rg t ihn die B itterkeit
des. Ich blickte dem jungen R itter nach, um zu sehen, d aß ersieh in denB osporus stürzte.
Ich k o n nte ihn nich t retten;
zu später N a c h t war N iem and in der N ähe. Er w ar einer der wenigen M änner, die in uneigennütziger W eise mir das Leben geopfert haben.
M einer G esandtschaft gelang es, m ir neue Papiere zu ver
schaffen, so d a ß ich d e rT ü rk e i den R ücken kehren konnte.
Ich ging nach W ien, um auch da ein seltsames A b enteuer zu bestehen. D am als steckte das Flugzeugw esen noch in den K inderschuhen. Ich interessir- te m ich im m er fü r alles N eu e u n d lernte dad u rch einen m u- thigen ju n g en A viatiker k en nen. W ir verlebten eine hei
tere Z eit m it einander, in der es ihm gelang, mich zu einem Flug m it ihm zu bestim m en.
D as A benteuerliche reizte mich. Ich stieg m it dem A v ia
tik er auf, nicht ahnend, d aß dieser Flug zu einem A ngriff au f m eine Freiheit führen soll
te. W ä h re n d das Flugzeug ü b er dem S tephansthurm kreiste, w arf sich mein Beglei
ter vor m ir auf die Knie und erbat m ein Jaw ort. ,G ieb st D u m ir nicht D ein W o rt, m ei
ne Frau zu w erden, stürzt das Flugzeug m it uns Beiden hin*
unter, dem sicheren T ode ent*
81 gegen die Beiden in Avesnes.
A lle haben im m er w ieder da»
vor gew arnt,d en Beiden allzu gro ß e M acht zu geben. A lle haben sich imm er gegen diese allzu w eit greifenden Pläne gestellt, die A lles aufs Spiel setzten, die das M aß der eigenen Kräfte un d Möglich*
keiten in allzu kühnem Glau*
ben an den Sieg der guten Sache überschätzten. U n d er h atte, nach hartem inneren W id erstreit, am E nde D enen vertraut, bei denen damals d e rG la ü b e ,d a s V ertrauen des ganzen Reiches w ar: dem Ge*
neralfeldm arschall, dem Ge»
neral . . . A u f einem schma*
len, flachen Lederkasten haf*
tet sein Blick für einen Herz*
schlag u n d gleitet d an n m it B itterkeit u n d A b w eh r wei*
ter: darin ru h t, sorgfältig auf Sammet g eb ettet, sein F eldherrnstab . . . Er denkt:
D ieser erbärm liche, schä*
bige Lügner in W ie n , der kleine, in der F urcht vor Rom verkrüppelte Jesuitenzögling!
. . .W a s war D eutsch lan d , als ich auf den T h ro n kam, u n d was ist es dann in den dreißig Jah ren unter m einer H a n d ge*
w o rd en ?! H abe ich das Reich, das au f dem L orber seiner ge*
w onnenen Kriege ru h en un d die neue Z eit versäum en woll*
te, nicht erst aus seinem zagen
gegen!* Ich sah in das von Leidenschaft verzerrte Ge*
sicht, sah den glühenden, fa*
natischen Blick u n d w ußte, d a ß dieser M ann W o rte tief*
sterU eberzeugung sprach. Ich reichte ihm m eine H a n d u n d ließ mich von ihm küssen. M it diesem K uß in dieser Lage er*
kaufte ich mein Leben. U nten angekom m en, der G efahr ent*
rö n n en , gab ich dem Er*
presser die H a n d : zum Ab*
schied. W ir haben uns nie w iedergesehen, den n als der
»Bräutigam* am A b en d zu m ir in das H o tel kam , theilte ihm der P ortier m it, ich habe vor einer Stunde W ie n verlassen.
Ich hätte eigentlich vom,Flie*
gen* genug haben müssen.
A b er es lockte m ich immer aufs N eue. So stieg ich in K openhagen m it einem sehr bekannten A viatiker auf. Ich gebe zu, d a ß es m ir große Freude m achte, denn wir liebten uns. U nglücklicher W eise hatte m ir auch sein Kam erad seine Liebe ge*
schenkt. Als er von unserem A ufstieg erfuhr, erfaßte ihn solch ungebän dig te Eifer*
sucht, d a ß er uns m it seinem Flugzeug verfolgte, um uns d u rch einen scheinbaren Un*
glücksfall zum A b stu rz zu bringen. M ein F reu n d er#
kannte jedo ch die G efahr; es
D äm m ern u n d A bseitstehen aufgew eckt u n d dann auf m einen W eg en friedlich zu einer nie geahnten M acht em*
p o rg efü h rt? N ach m einem K urs, gegen die W id erstän d e u n d den H a ß der Z aghaften u n d der U n b ä n d ig e n , der N ö rg ler, der V e rb ra u c h ten !..
W ü rg e n d schluckt er m it lee*
rer Kehle. A b e r sie sollen höchstens, w enn sie schon Etw as aufgeschnappt u n d e r fahren haben, erkennen: auch un ter diesem Rückschlag hält es sich königlich u n d uner*
schüttert. D e r großartige Auf*
bau der Szene des ,Sardana*
p a l‘l D as neu erschürfte Wis*
sen unserer Forscher in Leben, H an d lu n g , B ilder um gesetzt u n d von der B ühne in das V olk getragen. Ein Beispiel, so, wie W ild en b ru ch ein Bei*
spiel war. H in reiß e n d , wie n u r je, sp ru d elt sein V ortrag;
trä g t ihn vom festen Boden seines gro ßen, jed en Augen*
blick greifbaren W issens in genialeP hantasien. SeineHän*
de m alen in w eiten G esten.
D ie b lauen A ugen leuchten fanatisch aus dem edlen, ab*
gezehrten G esicht. Verlassen un ter diesem Rausch von W o rte n liegt das G rauen. Bis dan n der Rückschlag kom m t u n d es m it einem M ale wie*
der ihm an die Kehle springt,
gelang ihm, unser Flugzeug im letzten A ugenblick so zu lenken, d a ß w ir dem tücki*
sehen A ngriff entrannen. Ein Z w eikam pf w ar die noth*
w endige Folge. A uch hieraus ging m ein F reund unbe*
schädigt hervor. W ir verleb*
ten eine glückliche Z eit m it einander. Viele M änner aller N a tio n e n h aben m ir von ihrer Liebe gesprochen, m ir T reue geschw oren. Ich glaube ihren W o rte n nicht. Ich habe ver*
lernt,Liebeschw üre für ewige, heilige B ande zu halten. D ie Liebe ist ein Phantom , siebe*
d eu tet meist n u r ein flüchtiges Erlebnis. Liebe scheint m ir wie M ärchen zu sein, der Stim m ung entsprechend,duf*
tig, schnell verflüchtigend.
V ielleicht liegt es auch an mir, d aß die Liebe sich m ir nicht beständig zeigt. D arum h abe ich m eine ganze Leiden*
schaft der K unst geschenkt.
Ich lebe n u r noch der K unst, gebe ihr das Beste m einer Ge*
d anken u n d E m pfindungen.
Ich h o ffe,d aß siem ein eT reu e m itG Ieichem vergilt u n d sich m ir bestän d ig er zeigt, als die M än n er dieser ganzen Erde zu th u n gew illt sind. Ich schrei*
be alle m eine Filme selbst, u n d da ich eine begeisterte S po rtfreu ndin bin, verbringe ich unendlich viel Z eit m it