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Die Zukunft, 27. Januar, Bd. 30.

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Berlin, den 27.Januar t900.

f I its FA-

Antike Humanitåt.

Mnter

Humanitätversteheich,was dasWortbesagt: echte Menschheit Js- undMenschlichkeit,eineBeschaffenheitundeinVerhaltendesMenschen, die derIdeedesMenschenentsprechen. Jch behauptenun, daßdieHelle- nen nnd diehellenischgebildetenRömer alsdieErstenund inderalten Welt dieEinzigenindiesemSinnehuman gewesensind.Gegendiese Ansichtwerden gegenwärtigvierEinwürfe erhoben:l.DerBegriffderHumanität istwider- sinnig,daeskeinenMenschenansich, sondernnur verschiedenebestimmte Menschengiebt:Männer, Weiber, Kinder,schlechte,gute, dumme,gescheite, Chinesen,Hottentotten,Deutsche,FranzosenU.s.w. 2.DiealtenGriechen Undgar die Römersind nichts wenigeralshuman gewesen«Z.Nurdas Christenthummachthuman.4.NurdiemodernenaturwissenschaftlicheBil- dungunddermoderneIndustrialismusmachenhuman.Jch beschränkemich für heute aufdieerstenbeidendieservierEinwürfe.

Es ist nicht nöthig, aufdenalten großenPrinzipienstreit zwischen RealismusundNominalismus, Jdealismus undEntwickelungtheorieein- zugehen Jedermannweiß,waseinschönesPferd ist;obesGottoderder Züchtekgeschossenhat,ob die inihmverwirklichtePferdheiteineewigeoder eine gewordeneIdeeist,daraufkommtnichtsan: woimmerdasJdealpferd geschautwird,daentstehtindenKöpfenderBeschauerdieJdeederPferd- heit,die darunter nichtimMindestenleidet,daßesplumpe Ackergäule, stkuppigeKosakenpferdeUndjammervolleKlepper giebt.DieGriechenhaben, wieHonstonStewart Chamberlainrichtig sagt,denMenschen,Dasheißt:

derJdealmenschen,entdeckt. Siehättenihn nichtentdeckenkönnen,wenn er mchtVorihnen gestandenhätte. BuschweiberundBotokuden oderMongolen-

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jüngliugehabendemPhidias nichtModell gestanden.DerArier istder Jdealmenschvon Natur,aberdievolleAusgestaltungdesJdealserforderte geistigeundleibliche Arbeit; dieseArbeit habendieHellenen zuerstvon allen arischenVölkerngeleistetunddieZeugnissedieserArbeit habenwirinden Werkenihrer Architektur, Plastik, PoesieundWissenschaftvorAugenund inHänden. DaßdasästhetischeIdeal, nachdemesdieGriecheneinmalan sichselberentdeckthatten,-deneuropäischenVölkern nicht mehrverlorenge- gangenist-, daßesüberhauptunveränderlichist,wirdgelegentlichbestritten;

spätereZeiten hättenanderenJdealendenVorzug gegeben.»Diegeschundenen Heiligen,dieStatuen Christi,die wirheute nochzuHundertenandenWegen aufgerichtetsehen,sindnicht schöneralschinesischeFratzenunddennochbeherrsch- tenundbeherrschensiedasästhetischeundreligiöseDenken einerMassevonEuro- päern.«(?)AberwodieKirchedasHäßlicheprotegirt,dathut sieesnicht,weil ihre europäischenVertreter dasHäßlichefür schönhalten, sondernweilsieim SchöneneinenFallstrickdesTeufels fürchten;unddieHeiligenSebastiane, diebüßendenMagdalenendergroßenMaler,dieKruzifix-edertirolerSchnitzer sindkeinehäßlichenFratzen, sondern schöneJünglings:,Männer-und«Frauen- gestalten;wenn andenWegen katholischerGegendenFratzenstehen, so istdie Ursachedavon wenigereinemangelhafteAesthetikals derUmstand, daß unsere Bauern entwederzuarm, oder zugeizigsind,umKunstwerkezu kaufen.Daß aberdiechristlichenMaler undBildhauer nicht gleich nachderVölkerwande- rung Buonarottis gewesen sind,daran war nichteinfalsches Ideal,son- dernderVerlustderTechnikschuld,dieerst langsamwiedererworbenwer- denmußte;esging ihnenwieheute nochuns kunsiverständigenNichtkünst- lern:wirwissen wohl,was schönist,abermachenkönnen wir’snicht.Da nun dieGriechenimeigenenVolkedasJdealmenschenthumentdeckthatten, so verstandessichvonselbst, daß siedenUnterschiedzwischensichundden demJdealweniger entsprechendenMenschenbemerkten. Selbstdiestamm- verwandten Römerden Barbaren beizuzählen,waren dieGriechen berechtigt, so lange jenendiefeineregeistigeundästhetischeBildungfehlte. Eratosthenes hattedieEintheilungderMenscheninGriechenund Barbaren getadeltund dieinGebildeteundUngebildetefür berechtigtererklärt, weilesauchunter den Barbaren gebildeteundunter denGriechenrohe Menschen gebe; darauf erwiderteStrabo,ebenihrer höherenBildungwegenhätten sichdieGriechen von allenübrigenVölkernunterschieden; Ausnahmen bestätigtendieRegel.

·Jnsofern allerdings hatte Eratosthenesgegen Strabo Recht,alsvom dritten Jahrhundertab,wodieGriechenentarteten,währendsichihre Bildungüber den ganzenrömischenorbis terrarum ausbreitete, die alteEintheilung hin- fälligwurde. Aberin ihrer Blüthezeitwürden siederHumanitäteinen schlechtenDienst erwiesenhaben,wenn siepersischeSatrapen eingeladenhätten,

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ihreStädte zuregiren,wenn ihre Dichter syrischeWörter indieattische Spracheaufgenommenundwenn ihreMalerundBildhauerModelle aus

Aethiopienbezogen hätten.Man soll auchdemNeger Gerechtigkeitund Wohlwollenerweisen,aberihmundseinerLebensauffassungnichtGleichberech- tigunginunserenKulturstaaten einräumen;man soll auchdenRüpel mensch- lich behandeln, nichtaber stattdesHeros aufs Postament stellen.So habenesdieGriechen gehalten. Selbstverständlichsind nichtalleGriechen—- fvgardiemeistennicht Jdealmenschengewesenundkeiner konnteesin dem Sinne sein, daßerallegutenEigenschaftenimhöchstenGradeinsichver- kökperthätte.Einen JdealmenschenindiesemSinne giebtesschonaus dem Grunde nicht,weilsichdiehöchstenGradeentgegengesetzterEigenschaften, zumBeispielvon Kraftundvon Zartheit, nichtmit einander vertragen;

dasJdeal wirdimmer nur ineinerVielheitvon Individuenverwirklicht, dieseine verschiedenenSeiten darstellen.Eben Das abergeschahbei den GriechenunddieverschiedenenCharaktereundTemperamente überschritten itl derKunstniemals,imLebennur inerträglichemMaße,dieSchönheit- linie;Karikaturen waren Ausnahmen.Uebrigens istderselbeStrabo, der dieEintheilungderMenscheninGriechenundBarbaren rechtfertigt,ein- sichtigundbilliggenug, dieTugendendereinfachlebendenScythenanzu- erkennen undzugestehen,daßdieVerbreitunggriechischerVerfeinerungunter den Barbaren beidiesenalsGift gewirkt habe.

Fragenwirnun;worindasechtMenschlicheimEinzelnen besteht,so isteswiedereinGrieche,deruns dieAntwort darauf giebt.So langege- bildeteMensckendenken werden, werdensiedenInhalt desechtenMenschen- thumesmitkeinen anderenWortenbezeichnenals:dasSchöne,dasWahre, das Gute. AusdemhelleuischAuschaulicheuinsSchutdeutschübersetztheißt Das, daßnur derästhetischundwissenschaftlichgebildeteMann vongutem Charakter,dessen leiblicheErscheinungzugleichbefriedigt,einVollmenschist.

MitdemSchönenbrauchenwirjunsnichtaufzuhalten,weilseinen Besitz denGriechenJedermann zugesteht.Man kann wohldarüberstreiten,in WelchemUmfangdasHäßliche,dasGemeine, dasästhetischGleichgiltigein derKunstzulässigodererwünschtoderunentbehrlichsei:aberdaßdiegriechi- schenBildwerkeschönsind, hat nochNiemand bestritten.WieweitderVor- mkabegründetist, daßdiebildendeKunstderGriechennur dasakademisch Schöne,abernichtdascharakteristischSchöneund dieSeelenschönheit,darge- stellthabe,läßt sichbei derGeringfügigkeitderReste ihrer Malerei,dieauf Unsgekommensind, nichtsicherentscheiden.Sollteerbegründetsein, sowürde Frnicht schwer wiegen,daman nicht verlangenkann,daßeineinzelnesVolk mwenigenJahrhundertenAllesleiste,wasaufeinem weitenGebiet zuleistenist.

JUBeziehungaufdasWahre,aufdieEntfaltungderIntelligenz, 10de

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ist einfachzusagen, daß siedieWissenschaft,diewissenschaftlicheMethode geschaffenhaben. EinzelneWissenschaften-sindauchvondenOrientalen gepflegt wordenunddieGriechen sinddarinsogar ihre Schülergewesen.Aber bei den OrientalenwurdendieAstronomie,diePhysikundnamentlichdieMechanik nur soweitgepflegt,alsman sie für praktischeZweckebrauchte,dieGeistes- wissenschaftenstandenganzund garim Bann derTheologieoder,wasin denmeistenFällendasSelbe war,desAberglaubens.DiesokratischeSchule hatnun, unabhängigvonallerTheologie, unbeeinflußtundunbevormundet vonpriesterlichenAutoritäten, dieLogik,dierationelle Psychologie,Ethik, AesthetikundPädagogikbegründet. Wissenwiretwa heutevielmehrvon derSeele, alsuns XenophonundPlato lehren? MehrStreitpunkte hat dieneuere Forschungaufgedeckt,abernichtvielmehr Positivesgeliefert.Undwas uns diese hellenischenLehrerderGeisteswissenschastenbieten, Dasbietensie auchzugleichin dervollendetstenForm; nebenPlato nehmensichAlle, dienach ihm wissenschaftlicheFragen dialogischzubehandeln versuchthaben,wie Stümperaus;sowieervermagkein AndererdasStudium zumGenuß zumachen. AristoteleslaberunddieübrigenPhysikerhabendienaturwissen- schaftlicheMethode begründetundsindin derAstronomiebisauf-denStand- punktdesKopernikus gelangt.Was kanndergroßeStagirite dafür, daß

man ihnimMittelalter zumGötzen machteund, statt seine empirische Methode nachzuahmen,Die alsKetzerverbrannte,die über seineErgebnisse hinauswollten?UmübrigensdiesenErgebnissen,dieselbstverständlichlücken- haftundzueinemgroßenTheil falsch sind, gerechtzu werden,mußman

bedenken,daßbei desAristotelesGeburterst vierhundert Jahre seitderZeit verflossenwaren, wodieGriechen,aus ihrermythischenPeriode heraus- tratenunddieerstenschriftlichenAufzeichnungenzumachen begannen.Kein Mensch,der·eineseinernaturwissenschaftlichenAbhandlungen gelesenhat, kanndaran zweifeln, daßdieserMann,wenn ermit denHilfsmitteln unserer Zeit ausgerüstetgewesenwäre,auch jededergroßenEntdeckungenundEr- findungen unserer Zeitzumachen fähiggewesenseinwürde.

Gestehtman nun vielleichtauch dieses ZweitedenGriechenzu, so bestreitetman ihnen destoheftigerdas Dritte: dasGute. Daß sieesge- kanntundallseitigdargestellthaben, beweise ich ausführlichineinemBuch, dasich nächstensherausgebenwerde. Hier mußderHinweis darauf genügen, daßin den WerkenderdreigroßenathenischenTragikerkeinesunserer sitt- lichenEinzelidealefehlt.Wirhabendenstandhaftundunschuldigleidenden Gerechten: Prometheus;denmenschenfreundlichenBeschützerallerBedrängten:

Theseusim-,,KönigOedipus«,in den»Schutzflehenden«und im,,rafenden He- rakles« ; dieschöneSeeledes unschuldigen,wahrhaftigen,einfältigenund barm-

«herzigenJünglingst Neoptolemusim»Philoktet«;denaufopferndenFreund:

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Jvlausin den,,Herakliden"«undPyladesin der»TaurischenJphigenie«·;die Schwester,die dasgöttlicheGebotderGeschwisterliebegegeneinentyranni- schenStaatswillen erfüllt: Antigone;dieaufopferndeKinderliebe: Antigone UndJsmeneim»KönigOedipus«; Kindesliebe:Heraklesim»RasendenHerakles«

undOedipusim,,KönigOedipus«;dasidealeGattenpaar:Admet und Al- kestisinder»Alkestis«;undsogardieidealeJünglingskeuschheit:Hippolytim gleichnamigenStück. JchwilldenStoffnicht erschöpfen;dasAngeführte wirdgenügen. Woher solltendieDichter diese Gestaltengenommen haben, Wennnichtaus demLeben? DerDichterkannsowenigwie derBildhauer ohkleModellschaffen.Beide müssendemModell nachhelfen, gewiß,oder aucheinPaar Modellekombiniren,um dieJdealgestaltherauszubekommen, aberso wenig Praxitelesaus MongolenbeinenundMongolennafen,und wärenihrereineMillion gewesen,seinen Hermes hättezufammenlesenkönnen, fv wenighätteSophoklesauseinerMixturvonlauterGaunernundMenschen- schinderneinenNeoptolemusbrauenkönnen.WahrscheinlichsindinAlthellas sowieheutebeiuns die edlenundvollkommenen MenschendieAusnahme, dieMeistenmittelgutundeingut Theil grundschlechtgewesen«Aberwenn Man JemandeinenBegriffvom Christenthum geben will,soschicktman ihn dochwederzur spanischen anuisitionnochzudenLandsknechtendes DreißigjährigenKrieges nochzudenunbeschnittenenGründernvonBerlin- West nochzu Bauern undHandwerkern,dieihreWeiberprügeln,in die Lehre,sondernman giebt ihmdasNeueTestamentund dieLebensbeschreibung vonFranziskusSeraphikusoderSalesiusodervonAugustHermannFrancke in dieHand.Das wirklicheLeben der altenGriechenkommtfüruns um

so wenigerinBetracht,als sie seitzweitausendJahrentotsindundihre MöglichenLasterNiemand mehr ansteckenkönnen;nur mitdemNiederschlag ihkes besserenSelbstindenResten ihrerLiteratur habenwireszuthun.

Aber indieserLiteratur istnun geradeDas, was man imengeren SinneHumanitätzunennen pflegt, so deutlich ausgeprägt, daßwirschon darumannehmen müssen,eshabeihnen auchimLebennichtgefehlt. Menschen- freundlichkeitistderGrundzugallerGestaltenderTragoedie,die dasGute vertreten. Ein Hymnus aufdieMenschenfreundlichkeitistdesXenophon KyTUpädievon Anfangbiszu Ende. WaskannesMenschenfreundlicheres gebenalsdieHauptpersonenderOdyssee? Wer,erseiMann oderWeib, Knabe oderGreis, SchuhflickeroderMinister,kann,wenn ernichteinHolz- klotzist,dieBegrüßungdesTelemachdurchdengöttlichenSauhirtenim

sechzehntenunddieBegrüßungdeswiedergefundenenGattendurchPenelopeim

drelundzwanzigstenGesangederOdhsseeohne Rührungundohneinnige Freude

lFleUPWodurchnebenbeibezeugtwird,daßeseinallgemein Menschliches giebtunddaßderDichterdieses Gedichtes,dervorbeinahedreitausendJahren

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lebte, dieses allgemein Menschlicheinseinem Innerngehegtundinseinen Versenausgedrückthat.Undwiemächtigmuß dieses allgemein Mensch- liche sein, daßesgleichmäßigMenschen bewegtundverbindet, dieäußerlich durcheineso ungeheure Kluft geschiedensind,wie dieist,diezwischenden modernenDeutschenunddenGriechendesheroischenZeitalters liegt!Esgiebt einenPunkt,andemdieses wahrhaft Menschlicheganzdeutlicherkanntwird undsichscharfvomBarbarischenscheidet,DasistdieBehandlungdesMenschen- leibesimKriegeundimStrafprozeß.BeiallenaltenKulturvölkern, mit alleiniger AusnahmederGriechenundRömer vielleicht darfman von denNichtariern nochdieEgypter beifügen,dieeinsanftesundheiteresVolk gewesensind—, war dasMartern derKriegsgefangenenund derhinzu- richtendenVerbrecher, politischen GegnerundAufriihrerüblich:Blenden, Pfählen, Lebendigbegraben,Schinden, ZermalmenderKinnladen,Nasen- undOhrenabschneiden,AbschneidenderGeschlechtstheile,Arme-undBeine- abhacken,Bauchaufschlitzen,Lebendigverbrennen,das AlleswaranderTages- ordnung. Diesen Prozedurenwirdin den,,Eumeniden«desAeschylusabge- sagt. Fort, ruft ApolldenAusgeburtenderUrnachtzu:

Fort!Meiner Wohnung dürfetihrnicht nah sein!

Nein,dawomörderköpfendes,augauswühlendes Gericht,woMordgemetzel, frevle Fehlgeburt, Entmannung, Schändung,allesJammers Uebermaß, WoAufgespießtejammerlaut, Gesteinigte Verröchelndwimmern.

Also:wobarbarische Unthatenvonbarbarischen Richtern barbarisch gestraft werden,dagehörendieFurien hin, nichtindasdemfreundlichen Sonnengott geweihteNationalheiligthumderHellenen. Jn derHeroenzeit mögendieGriechen hieunddadasschlechteBeispielderBarbaren, unter denensie lebten, nachgeahmt haben,wieman aus einzelnenStellen der homerischenGedichte,zumBeispielaus demachtzehntenGesangderOdyssee, Vers86und 87,schließenkann.Aber inihrer freundlichenHeimath befestigte sich ihr menschlichmilderSinn in dem Grade,daßdiefeierlicheAbsagedes Aeschylusnicht Theorie gebliebenist· Obgleich sie unaufhörlichKrieggegen Barbaren unduntereinander führtenundmanchesBlutgerichtüber eroberte Städte abhielten, haben sie sich doch stetsmiteinfacherTötung begnügt, niemals dieKriegsgefangenengemartert, wieesnochdieKarthagerinihren KriegengegendiesizilischenGriechen thaten,niemals Kinder geschlachtet.

Daß mordlustigeThrakerinder eroberten Stadt Mykalessusdieinder Schule versammeltenKinder abgeschlachtethatten,meldetThucydidesim neunundzwanzigstenKapiteldessiebentenBuchesalsdas größteUnglück, dasdieBewohner getroffenhabe,mitSchaudern.UndauchdiebloßeTötung derBewaffnetenunddieZerstörungvonStädten vollzogensie,wennessich

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UmGriechenhandelte, nicht leichten Herzens;man siehtzumBeispielaus demBerichtdesThukydidesüber denUntergangvonPlatää,wie dieThebaner,. dieTodfeindederPlatäer, ihre harte Forderungvor demGewissenzurecht- fertigensuchtenundwiesichdieSpartaner bemühten,Gerechtigkeitzu üben.

Beiwelchemanderen Volkwürden wohlvor derMitte desachtzehnten Jahrhunderts,wo diemoderneHumanitätbewegungangefangen hat,Er- tvägungenangestelltwordensein,wiesieThukydidesimzweiundachtzigften Kapiteldes drittenBuchesnndPolybiusimeinundachtzigstenKapiteldes erstenBuches anstellen? Jener fragt,wieesdennzusolchenGemetzelnhabe kommenkönnen, wiesieimPeleponnesischenKriege vorgefallenseien,und findet:imFriedenundso langeesAllenwohlergehe,seiendie Staaten und dieBürgerwohlgesinntgegeneinander;dergewaltthätigeKriegaber, der Vieles zuthunzwingt,wozuvon Natur eigentlichNiemand Lust habe,zer- wecke alleböse Leidenschaften,mache rohUndgrausam.Das werdewohl auch, so lange sichdieMenschennaturnichtändere, so bleiben. Wiewahr!

Polybiusaber meintbei derBetrachtungderGrausamkeiten,die imKriege derKarthagergegenihreSöldner vonbeiden Seiten verübt wurden: wie der Leibzuweilenvon bösen Geschwüren befallenwerde,diejederHeilversuch nur verschlimmere,soergeheesmanchenSeelen. Jn diesem Zustandinnerer Verderbnißverübe derMensch Gräuelthaten,derenBestrafungoderRächung steigerenur dieBosheit,beideTheile suchten sichdanninUnthatenzu über- bieten, zögen zuletztgänzlichdieMenschennaturausundwürdenschlimmer alsdie wildenThiere;denKeim zusolcherSeelenkrankheit pflanzeeine schlechteErziehungein, entwickelt aber werde der Keimhauptsächlichaberdurch denUebermuthunddieHabsuchtderRegirenden.AndenRassenunterschied zudenken,hätte ihm, sollteman meinen,um so nähergelegen,daer,gleich dengroßenGeographenseinesZeitalters,denEinflußdergeographischenVer- hältnisseauf TemperamentundCharakter sehrgenau kannte. Jmzwanzigsten Kapiteldes viertenBuchesuntersuchter,waswohl schuldseinmögeamschlechten CharakterderBewohnerderarkadischenStadtKynaitha,vondenenerSchlimmes berichtethat,dasichdochdieÜbrigenArkadierdurchedleGesinnung, Gast- fkeUUdschaftundMenschenfreundlichkeitauszeichneten·Arkadien,führteraus, feieinrauhesLandundeinrauhesKlima erzeugeroheSitten. Dashätten die Arkadierschonvor Alters erkannt und derBerwilderung dadurchent- gegengewirkt,daß sie Musik, GesangundTanzalswesentlicheBestandtheile derJUgenderziehungeingeführthätten. MusikalischeundorchestrischeUnter- haltungenmachtendennauchbisaufdenheutigen TageinenHauptbestan"d- theilderGeselligkeitderErwachsenenaus. DieLagevonKynaitha seinun dieallerungünstigste,dieKynätheerwürdenalso dieser musischenErziehung amMeistenbedürfen,gerade sieaberhättendieweisenAnordnungender Vätervernachlässigtundso seien siedennwildundrohgeworden.

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Diese Humanitätimengeren Sinne, dieMenschenfreundlichkeit,ist dasGebiet, aufdem dasAesthetischeamJnnigstenmitdemEthischenzusam- menhängt. JndemAugenblick,wodemerstenHellenenderSinnfürdie SchönheitdesMenschenleibesausging,warnichtalleindie Möglichkeitge- geben, diese Schönheitaxbzubilden,alsodasGebiet derschönenKünsteer- schlossen,·fürdasdie Barbaren nur technischeVorübungengeliefert hatten, sonderneswar derganzeMenschund damitauchdieNorm desVerhal- tensgegendenMenschenentdeckt. Dieses schöneGebilde zuhegenundzu pflegenundgesundzuerhalten, erschienalshöchstePflicht;eszuverletzen, zuverstümmeln,zuzerstörenals Frevel. UndhinterderLeibesschönheitent- deckteSokratesdieSchönheitderSeele unddamit diePflichtengegen die Seeleundbegründeteso jenen Spiritualismus, derheutzutage für christlich undfürdasWesendesChristenthumesgehaltenwird.

Nehmenwirhinzu, daß sichdieHellenen,vorAllem dieAtheneneines reinen Familienlebenserfreuten, daß ihre Staatsverfassung,wenn sie auch zuletztdenUntergangdesGriechenthumesherbeiführte,diehöchsteKraftent- faltungdesJndividuums unddadurch Leistungenermöglichte,die in Anbe- trachtderKleinheitdesVolkesund desLändchenswunderbar erscheinen, daß ihre GesetzgebungalleFeinheitenmoderner Gesetzestechnikaufweist, daß nichts unbestraftblieb,wasbeiuns einzartesGewissen fürstrafwürdiger-

achtet,unddaßsieauchdenCivilprozeßaufdasVollkommensteausgebildethaben;

daß sie Lebenskraftgenugbesaßen,ihre eigenthümlichenpolitischenundKultur- schöpfungeninunzähligenKolonienanallenKüstendesMittelmeeres nnddes SchwarzenMeereszuwiederholenundselbstnochimZustandetiefstenVerfalles mitihrerKultur denSiegerzubesiegenund dasrömischeWeltreichzu einem griechisch-römischenzumachen, sowerden wirnichtallein diegriechischeHu- manitätansich,sondern auch ihre gewaltige Kraftanerkennenmüssen. Gewiß, imstrengstenSinnedesWortessind vielleichtnur dieAthener,eineBürger- schaftvonzwanzigtausendMännern,human gewesenundauchunterdiesernur

Wenige,die im vollen Sinne desWortes alsJdealgestalten gepriesenwerden dürfen.Aber, daßmitten in einer Welt,woKriegsgefangenegemartert und dem MolochKindergeschlachtetwurden,daßmittenineinersolchenWelt dasecht Menschlichedennochdurchbrechenkonnte, Das erscheintalsein Wunder der Vorsehungundjekleinerdas Volkwar,dasdieseLeistungvollbrachte,umso größer ist sein Ruhm.Und wieintensiv,wieleidenschaftlichhatesdieneu--

geboreneHumanitätgehegt!Man nenne uns docheineheutigeStadt,wodie ganzeBürgerschaft,einschließlichdes,,Pöbels«denDramen einesAeschylus, SophoklesundEuripidesmitEntzückenlauschenwürde!

Dreierlei hauptsächlichwirdgegen dieHumanitätderGriecheneinge- wendet: ihre SelbstzerfleischunginunaufhörlichenKriegen,dieStellung ihrer

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AntikeHumanität. 153

FrauenunddieSklaverei. DieKriegedergriechischenPolitiengegen einander warenunvermeidlich;ganz dasselbeSchauspielewigerFehdenbietet das mittel- alterlicheJtalienundüberhauptdasMittelalter dar.Nicht,weil wirhumaner wären als dieGriechen,sind heutedieKriegeseltener, sondernunterAnderem, weil die Staaten groß,dieZerstörungwerkzeugefurchtbar,dieHeeremillionen- stark sind,einKrieg daher nichtalleineinäußerstschwieriges,sondern auch einhöchst gesährlichesUnternehmen ist.Uebrigenswar eineSchlachtim Alterthumweitweniger grausamundunmenschlichalsheute,woArmeund Beineabgerissen,Augen ausgeschossen,ganzeLeiberzerrissenoderzermalmt werden. Esgabnur Fleischwunden,keineKnochenzertrümmerungundsehr seltenVerstümmelungen.AlsPhilippimzweitenmazedonischenKriegemit denRömernnacheinemGefechtdieGefallenenbestattenließ, erregtedie SchrecklichkeitderVerletzungen: abgehaueneArme undKöpfeundbloßge- legteEingeweide,die dasspanischeSchwertderRömerhervorgebrachthatte, solchesEntsetzen, daßdemKönigundseinemHeerderMuth entfiel.Der- gleichenhatten alsodieGriecheninihrer Blüthezeitüberhauptnichtgekannt.

Daß unsere FrauenrechtlerinnenindemhäuslichenLeben derathenischen MatroneneineabscheulicheSklavereisehen, ist selbstverständlich;dieemanzi- pationsüchtigenAthenerinnenwaren derselben Ansicht,wieman aus den

»Ekklesiazusen«desAristophanesweiß.Wie aberangesichtsderlangen Reihe hehrerundlieblicher Frauengestalten,dieuns dieTragiker vorsühren,und deraus dem LebengegriffenenGestaltendesAristophanes auch Historiker- von Ruf diese Ansicht theilenkönnen,versteheich nicht. DieSklaverei sodann isteineimLaufedergeschichtlichenEntwickelungzu Stande gekom- meneArbeitverfassungundgleichallen anderenArbeitverfassungenansichweder moralisch noch unmoralisch,wederhuman noch inhuman. Moralischoder unmoralisch, humanoderinhuman istdaspersönlicheVerhaltendesHerrn zuseinemKnecht,desUnternehmerszuseinemLohnarbeiter,des Stärkeren der beidenKontrahenteneinesArbeitvertrageszumSchwächeren.Thatsäch- lich habendiegriechischenSklaven esimAllgemeinennicht schlechtunddie athenischen,mitAusnahmederBergwerkssklaven,sehrgutgehabt.Uebrigens kann Diodor z. B.dieArbeitderBergwerkssklavenindenäthiopischenGold- grubenunddenspanischenSilberbergwerken dieattischenMinen waren zu seiner Zeit erschöpft—- nicht beschreiben,ohne seinMitleid mitdenBejam- mernswerthenauszudrücken.(JnAethiopienoderOberegyptenwurdenauch Knaben zumHerausholenderkleinerenGesteinstückeverwendet;esistDas daseinzigemirbekannteBeispielaus demAlterthum,wodieVerwendung vonKnabenzuschwererArbeiterwähntwird, undEgypten ist nichtGriechen- land. Uebrigenswaren inEgypten,wieauch meistensinGriechenlandund Rom,dieBergwerkssklavenKriegsgefangeneund verurtheilte Berbrecher.

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