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Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Kultur und Geistesleben, September 1915, 24. Band, Heft 4

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Academic year: 2022

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MONATSSCHRIFTEN D E R COMENIUS-GESELLSCHAFT

Monafsheffe der Cbmeniu^=

Gesellschaft

für Kultur und Geistesleben

19l§ September Heft 4

Herausgegebenvon Ferd. Jak.Schmidt Neue Folge der Monatshefte derCGL

Der ganzen Reihe 24.Band.

VERL AQVONEUüEN DIEDER tfHS/3 ENA 1016

Im Buchhandel und bei der Post beträgt der Preis für die Monatsschriften (jährl. 10 Hefte) M. 12,—, für die Monatshefte der C. G. für Kultur und Geistes­

leben (jährl. S Hefte) M. 10,—, für die Monatshefte der C. G. für Volks er Ziehung (jährl. 5 Hefte) M. 4,—.

Einzelne Hefte der MH f. K. u. G. kosten M. 2,50, einzelne Hefte der MH f. V. M. 1,50.

(2)

Seite

Mitteilung

... 99

Ferdinand Jakob Schmidt:

Der Geist des deutschen Kaisertums . . . . 100 Prof. D. Dr.

Adolf Lasson,

Geh. Regierungsrat: Die W eltbedeutung der deutschen

E r z ie h u n g s a r b e it ...114 Direktor

Slamenik:

Nachklänge zum H us-Jubiläum ... 120 Dr.

Artur Buchenau,

Oberlehrer: Persönlichkeitsbildung und V olkskultur . . 125 Dr.

Adolph Kohut:

Goethe und Iffland II...130

Streiflichter ...137

Zu F riedrich L ienhardts 50. Geburtstag. — Helden eichen und Friedenslinden. — Ein W ort aus der „Tat“ ü b er Nation u n d Entw icklung. — W erke des Philosophen Glogau. — Das Institu t fü r experim entelle Pädagogik und Psychologie des Leipziger L ehrervereins. — Blinde Soldaten.—

,, Eine Liebesgabe deutscher H ochschüler. — Das Institu t fü r soziale A rbeit in München. — Lesestoff fü r kriegsgefangene und verw undete Studenten. — Fragen der zukünftigen Schul- un d Bildungspolitik. — „Die G artenstadt." — Ü ber das Wesen deutscher W issenschaft.

Inhalt

Literatur-Berichte

(Beiblatt)

Seite D iedrlch B lschoff, Verschiedene Schriften . . .31*

K arl B lttel, Genossenschaftliche K u ltu r . . . . 32*

H erm ann C a rd au n s, Klemens Brentano. Beiträge nam entlich z u r E m m erich -F rag e...33*

H ans D elbrück, Bism arcks E r b e ... 33*

P au l E b e rh a rd t, Das Buch d er Stunde . . . . 34*

G ustav T h e o d o r F ech n er, Das Büchlein vom Leben nach dem T o d e ...34*

W ilhelm E d w ard O lerke, F ritz L ienhard un d w ir 34*

N o rb e rt O rab o w sk y , Die W issenschaft von Gott u n d Leben nach dem T o d e ... 35*

W a lte r H elchen, Die Entscheidungsschlachten der W eltgeschichte von M arathon bis Tsushim a 35*

Rudolf H erzo g , Ritter, Tod u n d Teufel . . . . 37*

O tto H leber, D er Johannis-M eistergrad . . . . 37*

A ugust H o rneffer, D eutsche u n d ausländische F r e im a u r e r e i... 37*

E rn s t Jä ck h , D eutsche O rientbücherei . . . .38*

G eo rg L asso n , In d er Schule des Krieges . . . 38*

Seite F rie d ric h v o n MQIIer, Spekulation u n d M ystik

in d e r H e i l k u n d e ... 39*

R o b e rt R edslob, Die S taatsth eo rien ... 39*

J . J . R u edorffer, G rundzüge d e r W eltpolitik . . 40*

Max S cheler, A lfred H. F rie d , F rie d rich S tieve, E. B ran d en b ac h er, H erm ann K u tter, A. K eller u n d W illiam C uendet, W ilhelm T. V61a, F u rc h e -V e rla g , M ajor L a n g h e ld , Ju liu s B o d e : K r ie g s lite r a tu r ... 41*

F e rd in a n d Ja k o b Schm idt, Das hum anistische B ild u n g s w e s e n ...42*

H e rb e rt Schm idt, F ried rich Julius Stahl un d die deutsche N a tio n a lid e e ... 43*

E rn st S ch u ltze, Was verb ü rg t den Sieg . . . . 44*

R o b e rt S chw ellenbach, Der W ert des Lebens und der Sinn d er R e li g i o n ...44*

R o b e rt S eid el, Das Ziel d er Erziehung . . . . 45*

A lfred W olff, Der Toleranzgedanke in der deutschen L iteratu r z u r Zeit Mendelssohns . 45*

H einrich W olf, A ngewandte Kirchengeschichte . 46*

Anmeldungen zur C. G. sind zu richten an die Geschäftsstelle B e r l i n - G r u n e w a l d , Hohenzollemdamm 55; dorthin sind auch die Rezensionsexemplare und Manuskripte einzusenden. — Die Bedingungen der Mitgliedschaft siehe auf der 4. Umschlagseite.

Dem Heft 7 (September) liegt folgender Prospekt bei:

Verlag von Eugen Dlederlchs, Jena, betr. Ernst Joel, „Der Aufbruch“, Monatsblätter aus der Jugendbewegung.

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MONATSHEFTE

DERCOM ENIUS-GESELLSCHÄFT

FÜR K U L T U R G E I S T E S L E B E N

SCHRIFTLE ITUNG^^^^RoHENZOLLERNDAMM 55 F ERD-JAK SCHMIDT '^ ± 0 ^ BERL1N-GRUNEWALD

VERLAG EUGEN D1EDERICHS IN JENA.

N. F. Band 7 Septem ber 1915 Heft 4

Die Monatshefte der C. G., für Kultur und Geistesleben erscheinen Mitte Januar, März, Mai, September und November. Die Mitglieder erhalten die Hefte gegen ihre Jahresbeiträge. Bezugspreis im Buchhandel und bei der Post M. 10. — Einzelne Hefte M. 2.50. — Nachdruck ohne Erlaubnis untersagt.

M itteilung

D en M itgliedern un d F reunden der Comenius-Gesellschaft wird h ierm it ergebenst zur K enntnis gebracht, daß in der V orstands­

sitzung vom

14.

J u n i d. J . an Stelle des verstorbenen Geheimen A rchivrates D r. L u d w i g K e l l e r der U nterzeichnete zum ersten V orsitzenden gew ählt worden ist.

E s w ird d am it das V erm ächtnis übernom m en, die segensreiche A rbeit dieser Gesellschaft stetig u n d entschlossen in dem Geiste fortzuführen, der in dem so verdienstvollen W irken ihres Be­

gründers seine um sichtige V ertretung gefunden h a tte . In s­

besondere w ird d aran festgehalten werden, die Comenius- Gesellschaft zum geistigen M ittelpunkte aller H u m a n itä ts­

bestrebungen der deutschen N ationalerziehung un d N ational­

gesittung auszubauen.

In diesem Sinne wird an jedes einzelne M itglied persönlich die herzliche B itte gerichtet, sich wie bisher so auch fürderhin fü r das Gedeihen u n d die A usbreitung der Comenius-Gesellschaft

ta tk rä ftig einzusetzen.

B e r l i n - G r u n e w a l d

Ferdinand Jakob Schmidt

Professor der Philosophie und Pädagogik an der U n iv ersität Berlin

7 Monatshefte der C. G. 1915

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100 Heft 4

DER GEIST DES DEUTSCHEN KAISERTUMS

Von F e r d i n a n d J a k o b S c h m i d t

enn m it einem W o rt gesagt werden soll, welches der weltgeschichtliche Beruf unseres Volkes sei, so wird die A ntw ort lauten m üssen: D i e V e r w i r k - l i c h u n g d e r I d e e d e s d e u t s c h e n K a i s e r t u m s . D as ist freilich eine andere Schöpfung als die des m ittelalterlichen K aiserreiches, und erst sie ist w ahrhaft deutsch, erw achsen aus dem Zusam m enw irken aller nationalen K räfte.

In dem zutreffenden B ew ußtsein, d aß m it dem H erv o rtreten dieses neuen deutschen W eltstaates sich eine N euordnung aller Dinge d urchsetzt, vor deren Ü berlegenheit der Glanz der älteren Gebilde zu verblassen beginnt, ist der große R achekrieg von 1914 gegen uns e n tfa ch t worden in der ausgesprochenen A bsicht, die V orm achtstellung D eutschlands völlig zu zertrüm m ern. — W as schon seit einer Reihe von Ja h re n vorauszusehen war, — nun ist es zur T atsache geworden: D as D eutsche Reich m ußte erst gegen seine W idersacher noch einm al die todesm utige Feuerprobe bestehen, ob es auch in W ah rh eit geläu tert und gestählt genug sei, um fortab der T räger des führenden W eltgeistes zu werden.

D a w urden dann alle die höllischen Geister der Lüge und des Hasses, der Heuchelei un d des V errates, losgelassen, um dem stolzen K aiseraar die Flügel zu s tu tz e n ; aber sie haben ihn n icht überm ocht. E s ist anders gekommen, als es sich die Feinde gedacht h a tte n . Das K aisertum , in dem sich der deutsche Volks­

geist persönlich verk ö rpert weiß, h a t gerade durch diesen R iesen­

kam pf e rst die volle Bewegungsfreiheit erlangt, um die göttliche Sendung, zu der es auserw ählt ist, im D ienste der ganzen M ensch­

heit zu erfüllen. Ehedem noch im m er gebunden durch die L a st traditioneller R ücksichten, h a t D eutschland durch den Abfall der neiderfüllten U m w elt endlich alle frem dartigen Einflüsse a b ­ gestreift.

Allgemein aber herrschte bis je tz t das B ew ußtsein vor, d a ß sich in diesem so b itte r gehaßten deutschen K aisertum wesentlich nu r die politische u n d m ilitärische E in heit unseres Volkes d a r­

stelle. Infolgedessen kam en auch die uns von allen Seiten um ­

lauernden N eidharde zu d er A nsicht, daß sie n u r die gewaltige

W eh rk raft unseres Volkes, diesen „M ilitarism us“ , wie sie sagten,

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zu zerschm ettern brauchten , um D eutschland wieder uneins in sich un d d am it auch politisch ohnm ächtig zu m achen. Aber das ist nun das über alles B edeutsam e, daß sich in diesem unseren K aisertu m zugleich die g e i s t i g e Schaffenskraft des D eutschtum s zur o b j e k t i v e n E i n h e i t zusam m enfaßt und jetz t, nach der endgültigen Sicherstellung der äußeren Reichsschöpfung zu ihrer organischen A usgestaltung fortschreiten m uß. W as noch nicht zureichend begriffen worden ist, un d was doch endlich begriffen werden m uß, ist also dies, daß die innere geistige E inheit, aus der die N eugründung unseres Staatsw esens hervorgegangen ist, bisher n u r in der s u b j e k t i v e n U n b estim m theit des G em üts­

lebens lebendig war, nun aber ihre o b j e k t i v e V erw irklichung in eben dieser Gesinnungs- un d Ideeneinheit des S taates au s­

zuprägen h at. H a t der K rieg von 1 8 7 0 -7 1 die politische und m üitärische E inheit der deutschen N ation erw irkt, so m uß d e r­

jenige von 1914—15 zum A usbau der g e i s t i g e n E i n h e i t führen.

E rs t in dem Zusam m enwirken dieser drei F ak to ren kom m t die deutsche Einheitsbew egung vollkom m en zum Ausdruck. E s ist daher der natürliche Gang der Ereignisse, der h e u t in dringlicher Weise die B eantw ortung der Frage erheischt: W elches ist der ureigene G eistescharakter des deutschen K aisertum s ? —

Die m ächtigste T riebkraft, von d er sich h e u t die Völker un d V ölkerschaften ergriffen finden, ist d er n ationale Gedanke. E r h a t die universale M enschheitsidee des M ittelalters, die am n ach ­ drücklichsten von der röm ischen K irche v e rtrete n w urde, im m er entschiedener abgelöst1. D a m it schien aber auch die europäische U niversalkultur wieder in Zerfall zu geraten, und, so genommen, wäre dann m it dem Aufkom m en der nationalen B estrebungen zugleich ein ungeheurer V erlust an geistigen W erten v e rk n ü p ft gewesen. So aber w ar es doch nicht. Zw ar die intern atio nale Form dieser abendländischen K u ltu r, die vom lateinischen Geist und der lateinischen Sprache beherrscht war, sank unw ieder­

bringlich dahin, und das siegreiche V ordringen der nationalen Sprachen un d L ite ratu ren w ar unaufhaltsam . D as L a tein wurde im 18. J a h rh u n d e rt endgültig eine to te Sprache. A ber auf den geistigen In h a lt h in angesehen, blieben doch die universalen B ildungsgrundlagen der A ntike u n d des C hristentum s nach wie vor in den entstehenden natio n alen K u ltu re n w irksam erhalten.

1 Vgl. Weltbürgertum und Nationalstaat von F r ie d r ic h M ein eck e. — München und Berlin, Verlag von R. Oldenbourg.

1915 Ferd. Jak. Schmidt, Der Geist des deutschen Kaisertums 101

7*

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102 Ferd. Jak. Schmidt Heft 4 J a , die Bestrebungen der einzelnen Völker richteten sich nach dieser Seite hin notgedrungen zuerst auf nichts anderes als darauf, die individualitätslose A llgem einkultur des M ittelalters in das eigene V olkstum einzuschmelzen u nd dadurch organisch zu differen­

zieren. Die europäische G rundbildung blieb erhalten, aber n ich t m ehr in ihrer universellen Form , sondern in n ationaler Gliederung.

J e tz t erst e n tsta n d neben den anderen ein deutsches C hristentum , eine deutsche K u n st, eine deutsche W issenschaft.

A ber dieser G liederungsprozeß der europäischen Geistesgemein- schaft w ar doch n u r der eine F a k to r der nationalen B ildungskräfte.

E in zw eiter kom m t hinzu, un d gerade dieser sollte sich in unserem Volke zu einer alles überragenden un d bestim m enden H öhe e n t­

wickeln. D as ist die s c h ö p f e r i s c h e G r u n d b e s t i m m t h e i t e i n e r j e d e n sich als lebendige E in h eit erfassenden V o l k s i n d i v i d u a l i ­ t ä t , wie sie sich in der H ervorbringung eines entsprechenden S ta a ts ­ wesens zur O b je k tiv itä t erhebt. Dieser geheim nisvolle G ru n d­

fa k to r erw ächst aus der besonderen Beziehung, die eine Volks­

gem einschaft zu dem G öttlichen h a t, u n d g ib t allen ihren Ge­

staltu n g en ein ureigenes Gefüge. E r ist bei allen w eltgeschichtlichen Völkern erk en n b ar; aber das Maß der O riginalität ist doch ver­

schieden. E ben d arauf b eru h t d er tiefe Gegensatz zwischen der deutschen un d den übrigen K u ltu rn atio n en . W as die Italien er u n d Spanier, die Franzosen u nd selbst die E ngländer an großen, denkw ürdigen L eistungen erzeugt haben, kann in der H aup tsache alles noch verstan den w erden als eine eigentüm liche W eiterbildung d e r an tik -m ittelalterlich en U n iversalkultur. Inbezug auf die G esittun g sarbeit des deutschen Volkes jedoch ist das nicht m ehr möglich. Von ihm ist der überkom m enen europäischen B ildungs­

gem einschaft ein neues L ebensfundam ent gegeben w orden; eine

Lebensm acht, die im m er d a war, solange es M enschen gib t, die

a b e r zuvor niem als zur vollen E n tfa ltu n g ih rer W ah rh eit u n d

W irklichkeit g eb rach t worden war. W orum es sich hierbei h and elt,

ist von unseren Glaubens- u n d Geisteshelden auf die eine oder

andere Weise im m er wieder m it feurigem Bem ühen verk ü n d et

worden, am schärfsten ab er von Hegel in dem bedeutsam en H in ­

weis: „D er germ anische Geist ist der Geist der neuen W elt, deren

Zweck die R ealisierung der absoluten W ah rh eit als der unendlichen

Selbstbestim m ung d er F reih eit ist, d e r F reiheit, die ihre absolute

F o rm selbst zum In h a lte h a t. Die B estim m ung der germ anischen

V ölker ist, T räger des christlichen Prinzips abzugeben. D er G rund-

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1915

Der Geist des deutschen Kaisertums

103

satz der geistigen F reiheit, das P rinzip der V ersöhnung, w urde in die noch unbefangenen, ungebildeten G em üter jener Völker gelegt, u n d es w urde diesen auf gegeben, im D ienste des W elt­

geistes den Begriff der w ahrhaften F reih eit n ich t n u r zur religiösen Substanz zu haben, sondern auch in der W elt aus dem subjektiven Selbstbew ußtsein frei zu produzieren“ . Aber u n ter F reih eit ist hier im ausschließenden V erstände von allem, was m an sonst wohl auch so n en n t, das aus G ott geborene W esen der Persönlichkeit zu v e rste h en ; Persönlichkeit in dem Sinne der unendlichen, s itt­

lichen U rk raft des Ichs, verm öge deren der Mensch e rst w ahrhaft Mensch wird, wenn er sich durch nichts anderes bestim m en läß t als durch jenes urewige, in ihm selbst h ervortretonde Geistes­

elem ent, u n d wenn er zugleich alles natürliche D asein jener persönlichen Bestim m ung unterw irft. D ie W i e d e r g e b u r t

a l l e r n a t ü r l i c h e n L e b e n s m ä c h t e a u s d e m e s e n d e r P e r s ö n l i c h k e i t i s t d a n a c h d a s s p e z i f i s c h e K e n n ­ z e i c h e n d e r d e u t s c h e n N a t i o n a l k u l t u r .

F reih eit un d Persönlichkeit sind allgemeinmenschliche G üter.

Doch erst unser Volk w ar durch die geschichtliche Fügung dazu ausersehen, die ganze Tiefe dieser G ottesgaben religiös u n d denkend zu erfassen. Anders als andere Völker v ersteh t es daher eben u n ter F reih eit nicht bloß die politische un d gesellschaftliche Selbständig­

k eit des n atürlich en Einzelm enschen, sondern letzten E ndes viel­

m ehr die F reiheit in G o tt, d. li. die reine S elb sttätig keit u n d Selbst­

bestim m ung aus dem unendlichen W illensgeiste. U nd so b ed eutet ihm denn auch Persönlichkeit keineswegs bloß individuelle Sub­

je k tiv itä t, sondern die dem M enschen eingeborene W esenseinheit m it dem U rgeist. I s t aber diese G rundüberzeugung von der F reiheit der Persönlichkeit, wie die religiöse R eform ation des 16. Ja h rh u n d e rts bewiesen h a t, der K ern unserer nationalen E igen­

a rt, so m ußte sie auch der originale A usgangspunkt einer neuen W eltanschauung un d einer d arauf g estü tzten N euordnung aller Lebensverhältnisse werden. D as ist geschehen, u n d von diesem F u n d am en t aus ist nun auch der Geist unseres natio nalen S ta ats­

wesens begreiflich zu m achen.

Die Annahm e, daß der einheitliche Z u s a m m e n s c h l u ß eines

K ulturvolkes und die W ahrung der äußeren S e l b s t ä n d i g k e i t

schon das W esen der N ationalitätsidee hinreichend klarstelle, ist

doch n ich t ausreichend. F ü r uns D eutsche wenigstens sind jene

Bestim m ungsm om ente n u r die unerläßliche V o r a u s s e t z u n g zur

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104 Ferd. Jak. Schmidt Heft 4 Verwirklichung der N ationalgem einschaft; deren w ahren B estand m ach t dagegen die schöpferische K ra ft der sittlichen B ildungsarbeit aus. D as ist es, was Leopold von R anke auch als Ergebnis der G eschichtsforschung b e stä tig t fand, so daß er sagen k o n n te: „Ich sehe in der äußeren U nabhängigkeit nich t das einzige O bjekt des nationalen Lebens: dies liegt fast noch m ehr in der Entw icklung der inneren K rä fte und dem von ihr abhängigen F ortg ang der n ation alen H ervorbringungen“ . W enn dies aber für alle N atio n al­

s ta a te n gilt, so m uß u n ter ihnen dennoch derjenige die führende Stellung gewinnen, der den sittlichen G rundtrieb dieser neuen Staatsw esen, d. h . die Idee der F reih eit der Persönlichkeit, u rsp rün g­

lich in T ätig k eit gesetzt und am lebendigsten verkö rpert h at. U nd nun ist es keineÜ berhebung, sondern die einfache Feststellung einer geschichtlichen T atsache, daß jener übersinnliche Persönlichkeits­

trieb erstm als durch die germ anischen Völker zur vollen K ra fte n t­

faltu n g gelangt ist und nach vielhundertjährigem Ringen in der A ufrichtung unseres nationalen Kaiserreiches seinen d u rch ­ gebildetsten A usdruck gefunden h a t. D i e s i t t l i c h e G e s t a l t u n g

d e r p e r s ö n l i c h e n W e l t a l s G e g e n s t a n d d e s n a t i o n a l e n E t h o s i s t d e r w a h r e G e i s t d e s d e u t s c h e n K a i s e r t u m s .

D as ganze 18. J a h rh u n d e rt hindurch begegnet uns nun überall der gem eineuropäische Gedanke, daß der geschicht­

liche M a ch tsta a t in einen V e rn u n ftsta a t, der G ew altstaat in einen S ta a t der F reiheit verw andelt werden müsse. G estützt w ar diese Forderung auf den G rundsatz von der G l e i c h ­

b e r e c h t i g u n g d e r I n d i v i d u e n ; un d daraus entsprang d a n n der wachsende D rang, diese angeblich natürliche Gleich­

h e it aller zum Bestim m ungsm aße einer ganz neuen Staats-, R echts- u n d G esellschaftsordnung zu m achen. Zugleich hierm it em pfing aber auch die N ationalitätsbew egung eine neue Bedeutung.

D enn nunm ehr m ußte neben dem vorhandenen politischen das

s o z i a l e B estreben h erv o rtreten , nich t bloß die priveligierten

S tände u n d K lassen, sondern auch die noch außerhalb der

Gesellschaft stehende Volksmasse in gleicher Weise zur M itwirkung

an der Bildung des nation alen W illens heranzuziehen. Denn,

wenn jedes m enschliche Indiv idu u m an und für sich allen anderen

gleichberechtigt ist, so m uß ten danach auch, wie es durch die

große französische R evolution zuerst geschah, alle feudalistischen

un d ständischen Schranken fallen. J e tz t e rst kam es dahin, daß

der Begriff der G e s e l l s c h a f t und d am it die N ationalidee auf

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1915

Der Geist des deutschen Kaisertums

105

alle B estandteile des S taatsvolkes ausgedehnt wurde. Von da ab v erstan d m an dan n u n te r N ation n ich t m ehr bloß die Zusam m en­

fassung aller Glieder einer K ulturgem einschaft zu einer nach außen hin geschlossenen G esam teinheit, sondern zugleich dem inneren W esen nach e i n e n s i c h a u f d i e g e s e l l s c h a f t l i c h e G l e i c h ­ b e r e c h t i g u n g g r ü n d e n d e n V o l k s o r g a n i s m u s . Die U n k lar­

heit, die der nationalen Entw icklung der abendländischen Völker so lange an gehaftet h a tte , verschw and d a m it u n d es zeigte sich, daß es sich hierbei in n ich t geringerem Maße um eine soziale und n icht allein um eine politische N euordnung der Dinge handle.

D aher ist es n ich t richtig, die soziale Bewegung des 19. J a h r ­ h u n d erts als eine völlig selbständig auftauchende Erscheinung zu b e tra c h te n ; sie m uß vielm ehr neben dem politischen als der zweite wesentliche B estim m ungsfaktor des N ationalprinzips b e­

griffen werden. Sobald der Gleichheitsgedanke die G em üter der M enschheit ergriffen h a tte , m ußte notw endig daraus eine e n t­

sprechende U m bildung ebensowohl der S taats- wie der Gesell­

schaftsordnung hervorgehen. Die nationale E rhebung h a t die Verwirklichung der äußeren und inneren F reih eit des Volkes zum Ziel, u n d diese innere h a t w iderum eine doppelte B estim m theit:

die politische un d soziale.

A ber an diesem P u n k te t r i t t doch der charakteristische U n te r­

schied zwischen der deutschen un d den anderen N ationen hervor.

D enn in unserem Volke h a t der G edanke von der Gleichheit der I n d i v i d u e n in dieser äußeren F o rm niem als tiefer W urzel gefaßt. Selbst der einfache M ann ist von dem B ew ußt­

sein geleitet, daß er sich gerade durch seine In d iv id u a litä t von allen übrigen Menschen gesondert findet, un d daß er diese seine Eigenheit auch in aller G em einschaftsbildung gew ahrt sehen will. Deswegen g ilt auch n ich t der natürliche individuelle, sondern der p e r s ö n l i c h e Mensch als Träger unserer N atio n alk u ltu r und d am it als T räger unserer religiösen, politischen und sozialen Lebensorganisation. U nd erst m it der m enschlichen P e r s ö n l i c h k e i t als der E in h e it der besonderen individuellen N atu r- u n d der allgemeinen Geistes­

bestim m theit entw ickelt sich tatsächlich beides: die U ngleichheit u n d die Gleichheit. Als zur F reih eit berufene Vernunftgeschöpfe sind alle Menschen g l e i c h ; u n g l e i c h aber sind sie in der lebendigen A rt un d Weise, wie ein jeder die allgemeine P e r­

sönlichkeitsbestim m ung nach seiner besonderen N aturanlag e

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106 Ferd. Jak. Schmidt Heft 4 selb sttätig verw irklicht. D em G leichheitsfaktor kom m t jedoch insofern die höhere B edeutung zu, als er die aus der sinnlichen N a tu r des M enschen entspringenden U ngleichheit n u r soweit freie H a n d lassen darf, als die individuelle Selbstbestim m ung der Einen n ich t d ie je n ig e der A nderen u n terd rü ck t u n d unm öglich m acht. E ben dahin w irk t der G estaltungstrieb der sittlichen F reiheit. D er w ahre Zweck der U ngleichheit ist nich t die Auf­

hebung der Gleicheit, sondern ihre individuelle Gliederung. Diese hier zu nächst rein begrifflich dargelegten Grundzüge des persön­

lichen Menschen sind es n un, die sich in der deutschen N ational- k u lur geschichtlich verw irklicht u n d ihr die überlegene F ü h re r­

stellung gegeben haben. Die Idee der F reiheit der Persönlichkeit, nich t diejenige der G leichheit der Individuen ist die w ahre T riebk raft aller nationalen H ervorbringungen des deutschen Volkes u n d nich t zuletzt diejenige unseres alles einigenden Kaiserreiches.

M an m ache sich klar, daß die nationale N euordnung aller Lebens­

verhältnisse in letzter H insicht d arau f gerichtet ist, S ta a t und Gesellschaft als die beiden H a u p tfa k to re n aller K ulturgem einschaft in eine solche Beziehung zueinander zu setzen, daß sie die gesicherte G rundorganisation abgeben fü r die E r h e b u n g a l l e r z u r f r e i e n S e l b s t g e s i t t u n g . Die entscheidende Folge davon m ußte sein, d aß erst dieser neue Lebensgeist dazu füh rte, einerseits die T ätig keit des S taates und diejenige der bürgerlichen Gesellschaft gegenein­

ander in F reiheit zu setzen u n d andererseits beide doch zu einer organischen E in h eit zu verbinden. Zu einer solchen klaren Schei­

dung w ar es bis dahin niem als gekomm en, u n d darau s e rk lä rt es sich, daß seit dem 19. J a h rh u n d e rt auf G rund der nationalen Be­

strebungen zugleich die sozialen so bedeutungsvoll in den V order­

grund getreten sind. W ährend dieser Prozeß aber bei den anderen Völkern dazu führte, den führenden M ächten der Gesellschaft v e r­

möge der p a r l a m e n t a r i s c h e n Verfassungen ein im m er größeres Übergew icht über die Staatsregierung zu verschaffen, ist nu r im D eutschen Reiche die A nbahnung eines gesunden Gleichgewichtes zwischen dem politischen und sozialen N atio nalfakto r vollzogen worden. D er anders gerichtete Geist der k o n s t i t u t i o n e l l e n V er­

fassung h a t hier n ich t n u r die F reih eit der Gesellschaft, sondern auch die souveräne M achtsphäre des Staates gegeneinander gesichert, un d h a t dadurch beiden erst die M öglichkeit höchster K ra ft­

e n tfaltu ng verschafft. D er Gesellschaft wurde gegeben, was der

Gesellschaft ist, aber auch dem S taate, was des S taates ist. U nd so

(11)

1915

Der Geist des deutschen Kaisertums

107

ging denn endlich in E rfüllung, was der p atriotische Schwabe G. A. Pfizer gefordert h a tte , als er in trü b e n Tagen seinem Volke zu­

rie f: „ N a tio n a lität ist die Persönlichkeit der Völker. M it diesem Begriff ist eine eigene K lasse von R echten gegeben, die R echte der N ationen, die so oft v e rk a n n t werden, un d die gleichwohl ebenso heilig und unveräußerlich sind, als das R ech t der persön­

lichen F reiheit des einzelnen, u n d n ich t m inder göttlichen U r­

sprunges als die M ajestät der K önige.“ Alles das entsprang aber aus der tieferen E insicht, daß S ta a t u n d Gesellschaft im letzten G runde p e r s ö n l i c h e M ächte sind, u n d d aß daher wie ih r R echt, so ih r Maß aus dem sittlichen W esen des M enschen b estim m t werden müsse. N ationale Persönlichkeitsbildung w urde die G rund­

lage der neuen, höheren G em einschaftsordnung, un d als solche h a t sie ihren w ahren, zureichenden A usdruck n ich t in der p a rla ­ m entarischen, sondern in der k onstitutionellen Verfassung .

Im m er deutlicher kam es daher erst im Fortgänge der deutschen G eisteskultur zum Bew ußtsein, welches die U rbestim m ung des Staates und der Gesellschaft in ihrer durchgeführten Gliederung ist. Vom S ta n d p u n k t der W eltgesittung aus sind u n d können sie ihrem reinen Begriff nach g arnichts anderes sein als die E inheits­

organe für den Zusam m enschluß der nationalen Persönlichkeits­

elem ente zu einem objektiven Ganzen. Sind diese E lem ente aber, wie wir gesehen, erstens die in allen Gliedern einer solchen N ationalgem einschaft w irksam e W esensgleichheit u n d zweitens die individuelle U ngleichheit dieser an sich Gleichen, so m üssen darau s auch zwei G rundm ächte des nation alen G esam torganism us hervorgehen; näm lich: der S t a a t , als die zur persönlichen E in h eit und S elb sttätigkeit erhobene G leichheitsbestim m theit aller M it­

glieder einer N ation, un d die G e s e l l s c h a f t , als diejenige Organi­

sation der nationalen K räfte, welche d urch die individuelle U n­

gleichheit der einzelnen erzeugt werden. So gefaßt, ist also der S ta a t die H errsch aft des Gleichen über die W illkür des Ungleichen.

Als solcher aber m uß er es verhindern, daß die m ächtigeren Gesellschaftsklassen die schwächeren benachteiligen u n d u n te r­

drücken, und er d arf der B etätigu n g der individuellen V erschieden­

h e it n u r soweit R aum gew ähren, als es ohne B eeinträchtigung der politischen u n d sozialen G leichberechtigung aller geschehen kann.

1 Hierbei mache ich auf die außerordentlich bedeutsame Schrift von H a n s D e lb r ü c k : Volkswille und Regierung, Berlin, G eorg S t i e l k e , 1914, aufmerksam.

(12)

108 Ferd. Jak. Schmidt Heft 4 Dennoch ist dies nu r die negative Seite seines Berufes, u n d in diesem Sinn ist er h au ptsächlich R echts- und P olizeistaat. Sein positiver B eruf ist es sodann dem in der persönlichen Gleichheit angelegten G esittu n g sin halt objektive G estalt zu geben. D as ist der w ahre G rund, w arum der S ta at von sich aus ein öffentliches u nd allgemeines Erziehungs- u n d Bildungswesen hervorbringen m uß, weil ihn ein solches erst zum T räger u n d Pfleger des Geistes der in allen wesensgleichen N ationalgesittung m acht. E rs t dadurch w ird der S ta a t wirklich das, worauf seine Entw icklung von jeher h inzielte: d e r h ö c h s t e s i t t l i c h e O r g a n i s m u s . Solange er sich nich t hierzu erhob, w ar er irgendwie im m er gesellschaft­

licher G ew altstaat. Als natio naler S ta a t dagegen ist er die ob­

jek tiv gewordene F reih eit, weil sich in ihm die sittliche W esenheit, die allen auf die gleiche Weise eigen ist, persönlich vergegenw ärtigt und die H errsch aft gew innt ü ber die natürlichen und gesellschaft­

lichen Sondergew alten. D er S ta a t ist die zur obersten, selbsttätig en E in h eit entw ickelte L ebensm acht des Gleichmaßes der allgemeinen, nationalen P ersönlichkeitsgesittung.

U nd dieses zur T a t gewordene E th o s ist nu n allen voran das B ildungselem ent des deutschen K aiserstaates. D enn eben d arin , daß er u n te r allen gegenw ärtigen K u ltu rsta a te n streng genom m en allein ein wirklich konstitutioneller N a tio n a lsta a t ist, d rü c k t sich die überlegene K ra ft seines sittlichen Lebensgeistes aus. Alle anderen dieser N atio n alstaaten sind doch zuletzt m ehr oder weniger parlam entarisch regiert. D as aber heißt, auf den w ahren K ern hin angesehen, daß nach wie vor die gesellschaft­

lichen Sondergew alten, die durch die P arlam ents w ählen jeweilig die äußere, ziffernm äßige M ajo rität erlangt haben, den S ta a t be­

herrschen u n d sein W ohl un d W ehe letz th in nach dem V orw alten ih rer selbstischen Interessensphäre bestim m en. D adurch gerät also das Ganze des S taates u n te r die B otm äßigkeit einer be­

sonderen Gesellschaftsgruppe (Partei), u n d es kom m t so im m er n u r zu einem die S taatsleitun g übernehm enden P a r t e i r e g i m e n t , n ich t ab er zu einem die wesensgleiche E in h eit der N ation selb­

ständig v ertreten d en S t a a t s r e g i m e n t . Infolgedessen un terliegt d a n n auch die Gesetzgebung, die R e c h ts-u n d V erw altungsordnung der B esonderheit des P a rte i willens u n d ist nich t die sittliche Ver- gegenständlichung des gleichwesigen Grundwillens der N atio n al­

gem einschaft. D as B edenklichste aber vor allem ist dabei, wie

es sich gerade in unseren Tagen m it erschreckender D eutlichkeit

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1915 Der Geist de3 deutschen Kaisertums 109 gezeigt h a t, daß der E ntschlu ß über K rieg u n d Frieden in den parlam entarisch regierten S taaten n ich t m ehr von dem G esam t­

wohl der N ation, sondern von dem M acht- u n d Geldinteresse d er gerade herrschenden Gesellschaftspartei abhängig gem acht w ird. D ann liegt eben die G efahr nahe, daß an und fü r sich friedlich gesonnene Völker durch eine gewissenlose A gitation lediglich um gesellschaftlicher M achtzwecke willen in vernichtende K riege g ehetzt werden. W eit e n tfe rn t also, d aß die parlam en­

tarische Regierungsform nach der V orstellung ihrer Anhänger die fortg eschritten ste N atio n al Verfassung ist, erw eist sie sich viel­

m ehr insofern gerade als ein rückständiges Gebilde, weil sie ein grundsätzliches H indernis ist fü r die selbständige K onstitu ierung des S taates als sittlichen Organism us. Alle aus dem P a rla m en t hervorgehenden Staatsregierungen sind n u r eine neue A b a rt des den gesellschaftlichen K lassen, Ständen und P arteien innew ohnenden Strebens, die H errschaft über den S ta a t zu gewinnen un d ihn zum M ittel für die E rreichung ih rer Sonderzwecke zu m achen.

P arlam entarische S taaten sind gesellschaftlich gebundene S taaten.

Im Gegensatz zu diesen so regierten V ölkern ist es jedoch der eigentüm liche C harakter des deutschen K aisertum s, die G ru nd ­ elem ente der persönlichen Gleichheit u n d der individuellen U n ­ gleichheit oder m. a. W . S ta a t u n d Gesellschaft organisch zu scheiden u n d dadurch auf den höchsten G rad ih rer L eistungs­

fähigkeit zu bringen. D as ist tatsäch lich dadu rch erreicht w orden, daß sich dieser unser K a isersta a t im m er entschiedener zum p e r­

sönlichen O rganisator der n ationalen W esensgleichheit heraus­

gebildet und sich d ad urch endgültig erst gegen die selbstischen M achtinteressen der gesellschaftlichen K lassen u n d P a rte ien in F reiheit gesetzt h a t. Seine S o u v erän ität ist daher n ich t wie ehedem eine absolutistische G ew altm acht, sondern eine sittliche M acht, weil sich in ih r der gem einschaftstiftende Grundwille der ganzen N ation persönlich o b jek tiv iert findet. Die Fonge dieser Selbständigkeit zeigt sich aber d arin, daß erst in diesem S taats wesen nich t n u r einige, sondern alle gesellschaftlichen M ächte ihre volle Bew egungsfreiheit erhalten. D enn u n te r der O bhut des deutschen Kaiserreiches ist die Bildung der Gesell­

schaftsordnung letzth in w eder m ehr bloß abhängig von den be­

vorzugten K lassen u n d S tänden, noch auch von den wechselnden

MüTjoritätsparteien, sondern sie ist vielm ehr der Niederschlag aus

der gesellschaftlichen V ereinigung aller Berufsklassen. Die D u rc h ­

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110 Ferd. Jak. Schmidt Heft 4 führung einer solchen Sozialordnung ist aber auch n u r möglich in einem S taate, der als ausgleichende In stan z selbständig ü b er säm tlichen G esellschaftsm ächten ste h t und ihnen freie Selbst­

betätigu ng erw irkt. D adu rch nun, daß sich der deutsche K aiser­

s ta a t in stetigem F o rts c h ritt zum L eiter und Lenker dieser gesell­

schaftlichen Freiheitsbew egung entw ickelt h a t, ist er seinem eigensten Geiste gem äß s o z i a l e r N a tio n alstaat geworden. D as ab er ist es, was ihn e rst w ah rhaft zum G esittungsstaat m acht.

D enn dies ist er allein durch die D oppel Wirkung, daß n ich t n u r in ihm selbst die nationale G rundgesittung aller einzelnen zu r objektiven E in h eit zusam m engefaßt ist, sondern, daß so von ihm zugleich die allgemeine V ersittlichung aller gesellschaftlichen M ächte ausgeht. Allen S ta ate n der E rde voran h a t sich das deutsche K aisertum im m er zielbew ußter zum sozialpolitischen Z entralorgan der n ationalen G esittungsfreiheit herausgebildet.

Aus dem deutschen Persönlichkeitsgeiste ist so ein Staatsw esen erwachsen, das die sichere Grundlage abgibt für die freie E n t ­ faltu n g aller sittlichen K räfte. D as individuell verschiedene Gesellschaftsinteresse aller Glieder der N atio n findet sich v ertreten im P a rla m e n t; die gem einschaftstiftende W esensgleichheit dagegen in dem zur objektiven E in h eit erhobenen Staatsw illen. Som it ist auch dieser Staatsw ille n ich t m ehr eine äußerlich über die Einzelnen un d ihre gesellschaftlichen B estrebungen willkürlich verfügende Gew alt, sondern er ist die V erkörperung ihres eigenen, nationalen G rund willens, der ausgleichend den gesellschaftlichen W illen des P arlam entes in sich aufnim m t. N icht der W ille des a b stra k te n Einzelm enschen, wohl aber sein Wille als nation aler Persönlichkeit findet sich rep räsen tiert in dem so gebildeten Staatsw illen, und d ad u rch w ird um gekehrt jedes Einzelglied dieses Staatsw esens seinerseits zum R e p räsen tan ten des Ganzen. D em nach vollzieht sich in unserem sozialen K aisertum grundsätzlich die Versöhnung des Gegensatzes von In div id u u m u n d S ta a t. U nd so schreitet denn sich tb ar der V ollendung entgegen, was dem deutschen Volke als w eltgeschichtliche Aufgabe von der V orsehung tief ins Geblüt versenkt w urde: die objektive G estaltung der Freiheit der Persönlichkeit.

M it d er G ründung des deutschen Kaiserreiches h a t sich t a t ­ sächlich zu erfüllen begonnen, was sich dem Genius Schillers offen­

b a rte un d von ihm in die denkw ürdigen W orte gefaßt w u rd e : ,, Je d er

individuelle Mensch tr ä g t d er Anlage und B estim m ung nach einen

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1915

Der Geist des deutschen Kaisertums 111 reinen, idealischen Menschen in sich, m it dessen unveränderlicher E inheit in allen seinen Abwechselungen übereinzustim m en die große Aufgabe seines D aseins ist. Dieser reine Mensch, der sich, m ehr oder weniger deutlich, in jedem S ubjekt zu erkennen gibt, wird rep räsentiert durch den S ta at, die objektive u n d gleichsam kanonische Form , in der sich die M annigfaltigkeit der Subjekte zu vereinigen tra c h te t. N un lassen sich aber zwei A rten denken, wie der Mensch in der Zeit m it dem M enschen in der Idee Zusamm entreffen, m ithin ebenso viele, wie der S ta a t in den Individuen sich behaup ten k a n n : entw eder dadurch, daß der S ta a t die Individ u en auf hebt, oder dadurch, daß das Individuum S ta a t wird, daß der Mensch in der Zeit zum M enschen in der Idee sich v eredelt.“ Jenes ist der W eg der Gewalt, dieses der W eg der F reiheit. Mögen andere N ationen durch den A usbau der p a rla ­ m entarischen Verfassung das größtm ögliche Maß für die Be­

tätig u n g der individuellen und gesellschaftlichen W illkür e rstre b e n , unserem Volke w ar das höhere Ziel gesetzt, verm ittelst seiner konstitutionellen Verfassung den W eg der wahren F reiheit zu e r­

öffnen, d. h. den W eg, auf welchem „das Individuum S ta a t w ird und der Mensch in der Zeit sich zum M enschen in der Idee sich v ered elt“ . D as ist der Geist, aus dem das deutsche K aisertum geboren wurde.

K ein W under also, d aß das D eutsche Reich allen anderen S ta a te n an sittlicher K ra ft u nd M acht überlegen ist! D enn es ist das Erzeugnis einer neuen, höheren M enschheitsidee, die noch kein ander Volk in ihrer ganzen B edeutung zu ergreifen u n d in die T a t um zusetzen verm ocht h a t. Oder wo auf der W elt h ä tte sich sonst der Gedanke zu verw irklichen begonnen, daß das w ahrhaft Menschliche im M enschen sich gemäß seiner nationalen Eigentüm lichkeit in dem Staatsw illen objektiv darzustellen und so die G rundm acht einer w ah rhaft sittlichen Lebensgem einschaft abzugeben h a t ? H ierin liegt das rein K aiserliche unseres K aiser­

tum s u n d ist als als solches von allem „Im perialism us“ der nach äußerer W eltherrschaft strebenden N ationen grundsätzlich v er­

schieden. W as also in dem deutschen E in h e itssta ate der Voll­

endung entgegenreift, ist nichts anderes als die D urchführung

des reinen H u m anitätsprinzips, das dem w ah rh aft Persönlichen

n ich t n u r überall R ech t un d F reih eit zu sichern sei, sondern daß

es selber von sich aus das G rundm aß un d die G rundform aller

Lebens- u n d W eltorganisationen abzugeben habe. D as ist die

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112 Ferd. Jak. Schmidt

Heft 4 neue K aiseridee, die zur F ü h ru n g der M enschheit nich t verm ittelst einer äußeren U niversalherrschaft, sondern k ra ft ihrer inneren U niversalgesittung berufen ist. In dem W eltkrieg von h eute fällt die E ntscheidung, ob die äußere Zivilisation u n d die erschöpfte V ergangenheitskultur der E ngländer und Franzosen oder ob die höhere sittliche Persönlichkeitsbildung der D eutschen den Sieg dav on tragen soll. D er Ausfall k ann nicht zw eifelhaft sein!

Doch aber gilt auch hier des D ichters W o r t: Im K riege selber ist der K rieg das L etzte nicht! D er entschlossene K am pf des deutschen K aisertum s gegen die rückständigen W eltm ächte birg t bereits die dringliche Friedensaufgabe in seinem Schöße, d as schöpferische E th o s der P ersönlichkeitskultur hinfort nich t m ehr bloß als innere, subjektive T rieb k raft w alten zu lassen, sondern es zum öffentlichen E inheitsorgan des nationalen Geisteslebens zu m achen. Die U nterlage d afür h a t sich der S ta a t schon längst in seinem öffentlichen u n d allgem einen Bildungswesen geschaffen.

Aber was n u n erst geschehen m uß, ist dies, daß d e m n a t i o n a l e n U n t e r r i c h t s w e s e n a u c h e i n n a t i o n a l e s E r z i e h u n g s ­ p r i n z i p gegeben wird, u n d dies k a n n wiederum kein anderes sein als die sich im Staatsw illen einheitlich erfassende Persönlichkeits­

bildung. I s t der S ta a t selber die persönliche E inh eit des Ganzen, so m uß er die sich in ihm darstellende G rundbildung auch in allen einzelnen Gliedern der N ationalgem einschaft gleichmäßig zu en tfalten un d zu entw ickeln suchen. D enn erst durch diese E rziehungsarbeit k o n stitu ie rt er sich als geistigen Organism us und un d k rö n t d am it das W erk der politischen u n d m ilitärischen N ationaleinheit. Das aber fehlt noch. W ir haben zwar nationale U n terrich tsan stalten , aber noch keine nationalen Erziehungs­

an sta lte n , gegründet auf das E inheitsprinzip der gleichen, im S ta a t verkörperten Persönlichkeitsgesittung. N icht durch die Religion, noch durch die K u n st oder W issenschaft k an n sich der S ta a t der F reih eit als geistige E in h eit darstellen, sondern allein d urch das erzieherische P flan ztum seiner sittlichen Selbstbildung.

E s liegt in dem ursprünglichen W esen des deutschen K aiserstaates begründet, daß er sich zugleich zum nationalen E rzieh u n g sstaat ausgestalten m uß. Die E in h eit der B ildungsgem einschaft ist in unserem Volk F u n d a m en t und Endzw ek der N ationalgem einschaft.

W elch’ erhabene B e stim m u n g ! — D aß unser K aisertum eine

politische un d m ilitärische geeinte W eltm acht ist, unterscheidet

es noch n ich t wesentlich von den anderen großen N atio n alstaaten .

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1915

Der Geist des deutschen Kaisertums

113

D aß es aber dazu berufen ist, der B ildner eines neuen M enschheits­

ty p u s zu sein, eines T ypus, der das wahre, sittliche Ich aller im S taate verselbständigt und diese staatliche Persönlichkeitsgesittung als Grundlage der individuellen u n d sozialen Lebensgestaltung erfaßt, das gibt jenem erst die höhere, göttliche W eihe und die überlegene K ra ft. Noch zw ar wollen die uns feindlich gesinnten N ationen in dieser M achtentfaltung nichts anderes sehen, als eine gefährliche Steigerung rein physischer Gewalt. Sie werden aber alsbald eines Besseren belehrt werden, wenn D eutschland nunm ehr grundsätzlich dazu übergeht, sich in seinem Bildungs­

wesen das Erziehungsorgan für die Verw irklichung seiner neuen M enschheitsidee zu bereiten. E rs t d ann w erden jene Völker, wenn auch noch so widerwillig, zugestehen müssen, daß das deutsche K aisertum nich t n u r die erste W ehrm acht, sondern auch die erste K u ltu rm a ch t der W elt ist. U nd so ist es dahin gekommen, daß das D eutsche Reich je tz t vollenden m uß, was der preußische S ta a t bereits vor h u n d ert J a h re n vorzubereiten anfing, als in den V orarbeiten zu dem ersten E ntw urf eines U nterrichtsgesetzes der G rundsatz auf gestellt w urde: ,,D e r S t a a t i s t e in e E r z i e h u n g s a n s t a l t im G r o ß e n , indem er, wie die geschichtlichen Beispiele lehren, durch alles, was von ihm aus­

geht, seinen B ürgern eine bestim m te R ichtung und ein eigen­

tüm liches Gepräge des Geistes wie der Gesinnung gibt. Dies haben die Gesetzgeber erk a n n t un d feste Ziele aufgestellt, wohin durch die gesam te S taatsorganisation die Bürger gefüh rt werden sollen. E i n e n o t w e n d i g e V o r b e r e i t u n g e i n e r s o l c h e n N a t i o n a l e r z i e h u n g i s t d ie N a t i o n a l - J u g e n d e r z i e h u n g . “ D er Geist des deutschen K aisertum s ist der berufene T räger fü r die Erziehung des Menschengeschlechtes zur F reiheit der Persön­

lichkeit.

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114 Heft 4

DIE WELTBEDEUTUNG

DER DEUTSCHEN ERZIEHUNGSARBEIT

Von Prof. D. Dr. A d o lf L a s s o n , B erlin-Friedenau eit einem J a h re stehen wir m itten im Kriege. Es

ist ein Krieg, wie dem Um fange nach noch keiner war, den die M enschheit bisher erlebt h a t ; er wird geführt m it den H ilfsm itteln, die die hochgestiegene tech ­ nische K u ltu r der neuesten Zeiten den käm pfenden P arteien an die H a n d gibt, un d m it einer Schärfe der W u t un d des Hasses, die die m eisten dem B ildungsstande der gegenwärtigen M enschheit nim m erm ehr zu g etrau t h ä tte n . D as E igentüm lichste an diesem Kriege aber ist dies, daß im Grunde die e rb itte rte F eind ­ seligkeit der gesam ten K ulturw elt gegen ein einziges Volk gerichtet ist: gegen die D eutschen. Selbst die V erbündeten D eutschlands, Ö sterreich-U ngarn u n d die Türkei, stehen als G egenstand dieser Feindseligkeit erst in zweiter Linie. Die D eutschen aber werden überall und so g u t wie von allen gehaßt. Die Völker, die sich am K riege n icht offen beteiligen, sind n u r scheinbar n e u tra l; im In n ern sind auch bei ihnen wenigstens die großen Massen den D eutschen feindlich gesinnt un d hoffen auf ihre Niederlage. Es gib t überall n u r einige, ein p a a r geistig hervorragende Menschen, die die Sache der D eutschen fü r die bessere Sache halten. D a ist es eine wohl aufzuw erfende Frage, worin diese allgemeine feindselige Stim m ung gegen die D eutschen rings auf der E rd e begründet ist.

M erkwürdig genug d rän g t sich die verw andte E rscheinung auf, d aß schon einm al im 18. J a h rh u n d e rt der S ta at, der je tz t im D eutschen Reiche der leitende ist, den K rieg m it fast dem ganzen E uro pa zu führen h a tte . Allerdings bei näherer B etrachtun g erw eist sich diese Ä hnlichkeit als eine doch n u r scheinbare und äußerliche; die Gem einsam keit besteh t allein darin, daß ein einzelnes Staatsw esen die Aufgabe h a t, sich einer M ehrheit von großen M ächten gleichzeitig zu erwehren. Im Siebenjährigen Kriege g a lt aber die Feindseligkeit nich t einem Volke, sondern dem über­

wiegenden Genie eines einzelnen Mannes, des großen Preußenkönigs,

der drau f un d d ran war, durch sein kühnes V ordringen die M acht-

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Verhältnisse im europäischen S taatensystem zu verschieben, indem er seinem bis dah in in geringerem Ansehen stehenden S taate eine unvorhergesehene B edeutung verlieh. H eute dagegen ist es das deutsche Volk als solches m it seiner gesam ten E igentüm lichkeit, deutscher Geist und deutsche A rt, wogegen sich das übrige E uropa m it der äußersten Leidenschaft des Hasses un d dem offen be­

k an nten Streben der A usrottung und V ernichtung wendet. In solchem Streben haben sich Völker von der größten V erschiedenheit zusam m engefunden: S taaten, die sonst ganz entgegengesetzte Interessen haben un d einander in entschiedenster F eindschaft gegenüberstehen, gewaltige Reiche, die den größten Teil der E rd ­ oberfläche beherrschen, m it anderen, die dereinst auf die K u ltu r­

bewegung des W eltteils vorwiegenden Einfluß g eübt haben. Die­

jenigen aber, die sich an dem kriegerischen Vorgehen nicht be­

teiligen, stehen doch m it ihren Gefühlen u n d ihren W ünschen ebenfalls wider die D eutschen u n d auf der Seite ihrer Feinde.

W er an deutschem Geiste teil h a t u n d von deutscher Gesinnung erfüllt ist, ist von dieser Stim m ung, die durch die ganze W elt geht, im Inn ersten betroffen. Es gilt aber auch dieser Erscheinung gegenüber sich nach deutscher A rt zu klarem V erständnis du rch ­ zuringen. H errschaft der Gefühle b ed eu tet Sklaverei des Ver­

standes ; das ist nichts für den D eutschen. D em D eutschen liegt daran, die T atsachen richtig zu erfassen, und dazu gehört ruhige kritische Erw ägung. D em dum pfen verw orrenen G etriebe der Sym pathien und A ntipathien mögen sich die Ausw ärtigen hingeben ; des D eutschen kraftvoll lebendiges Gefühl erhebt sich auf dem Grunde des klaren denkenden Bew ußtseins. Sollte das vielleicht dazu beitragen, den H aß gegen alles D eutsche bei den anderen zu erklären %

Ausgem acht jedenfalls ist die Tatsache, daß im deutschen Volke jederm ann durch die Schule gegangen ist un d davon die K enn­

zeichen an sich trä g t; bei den Feinden, die uns bekäm pfen, ist dies n icht der F all; bei ihnen mag die Zahl der M enschen ohne alle Schulbildung 20—80 u n ter h u n d ert betragen. F ü r die gegen­

w ärtige W eltlage erscheint dies wesentlich. U n ter diesem Gesichts­

p u n k t stellt der e n tb ra n n te W eltkrieg gegen die D eutschen sich d a r als d ie E m p ö r u n g d e r A n a l p h a b e t e n g e g e n d ie h ö h e r G e b i l d e t e n . Die grimmige W ut, die dum pfe V erbissenheit der Feinde wird dadurch begreiflich. Es ist wie e in A u f s t a n d d e r S k l a v e n g e g e n d ie F r e i e n m it allen seinen Schrecken.

1915 Adolf Lasson, Die Weltbedeutung der deutschen Erziehungsarbeit 115

8 Monatshefte der C. G. 1915

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Die D eutschen sind das pädagogische Volk; sie sind es von je;

es liegt in ihrer Anlage. D er G edanke der allgemeinen Schulpflicht ist bei den D eutschen seit lange heim isch; m it der Zunahm e der staatlichen Ordnung, des V orrats an äußeren M itteln, des dauernden Friedenszustandes, ist er im m er vollständiger zur V erwirklichung gelangt. D aß die E rneuerung des Volksgeistes durch Erziehung bew irkt werden müsse, ist in D eutschland im m er die Überzeugung der Besten gewesen. Die Fülle von w ohldurchdachten E inrich­

tu n g en für die allgemeine Volksbildung m acht seit lange einen R u hm estitel aus für die deutsche N ation. N ur bei Völkern ger­

m anischen Stam m es haben sich ähnliche V eranstaltungen für die allgemeine Volksschule durchzusetzen verm ocht. Bei allen den Völkern, die je tz t gegen D eutschland K rieg führen, ist die Masse derer, denen auch die elem entarsten K enntnisse und schul- m äßigen F ertigk eiten fern liegen, ein den gesam ten öffentlichen Z ustand bestim m endes M oment.

D aß d arin einer der Gründe für die Ü berlegenheit der D eutschen über ihre Gegner zu finden ist, stellt sich einsichtsvollen Beob­

ach tern m it un v erkennbarer D eutlichkeit dar. Schon dies ist von entscheidender B edeutung, daß m it der allgemeinen Schulpflicht aufs engste verbunden die allgemeine W ehrpflicht bei den D e u t­

schen ihre volle W irksam keit e n tfa lte t. In einer Zeit der äußersten Bedrängnis un d schm erzlichen U nterjochung durch den über­

m ütigen Frem dling zur A nerkennung gelangt, h a t der G rundsatz, daß jeder auf deutschem Boden geborene M ann zur Verteidigung des deutschen Landes berufen un d verpflichtet sei, zur allgemeinen W ehrpflicht als einer der grundlegenden E inrichtungen zunächst des preußischen Staates g eführt un d sich hernach auf alle anderen Glieder des jetzigen D eutschen Reiches ausgedehnt. Die darau s erwachsene, auf m öglichst viele sich erstreckende m ilitärische A usbildung h a t sich m it der Zeit zu einer F ortsetzu ng u n d E r­

w eiterung der Schulbildung gestaltet. Schulbildung un d H eeres­

bildung aber zusam m enw irkend ergreifen den ganzen Menschen nach allen seinen Anlagen un d Vermögen. D er so Gebildete h a t gelernt, sich in ein geordnetes Ganzes als Glied einzufügen, in regel­

m äßiger T ätig keit sich m it den anderen gleichartig zu bew ähren, gewissenhaft und pün k tlich seine P flicht zu tu n u n d dem Befehle des zum Befehlen B erechtigten m it strik te r U nterordnung zu ge­

horchen. D afür n im m t er dan n aber auch an der E hre einen gebührenden Anteil, die solche Zugehörigkeit zu einem wohl-

116 Adolf Lasson Heft 4

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1915 Die Weltbedeutung der deutschen Erziehungsarbeit 117

geordneten Ganzen m it sich b rin gt. Die Persönlichkeit wird in ihrem Selbstbew ußtsein gehoben, zum V erständnis für hohe Zwecke und für den Zusam m enhang der erforderlichen M ittel angeleitet;

Selbstbeherrschung und strenge Zucht wird zur anderen N atu r.

D as W erk, das die Schule begonnen, die m ilitärische Ausbildung w eitergeführt h a t, zeigt seine W irkung bei der ganzen N ation.

D er so erzogene Mensch erlangt fortschreitende Beherrschung seiner leiblichen un d seiner seelischen Fähigkeiten; die Ü bung erzeugt Geistesgegenwart, U m sicht, E ntschlossenheit, eine Ge­

wöhnung, in Schwierigkeiten sich zu helfen, der Gefahr m utig entgegenzutreten, gegebenen Bedingungen sich anzupassen. So wird, wo die Erziehung einigerm aßen ih r Ziel erreicht, der so Erzogene zu einem freien, charaktervoll sich selbst bestim m enden, gew andten Menschen, der Selbstverleugnung zu üben, hohe Zwecke zu verstehen un d sich hingebend in ihren D ienst zu stellen verm ag.

D er gegenwärtige K rieg h a t m it besonderem N achdruck den Beweis geliefert, daß eben dies die auszeichnenden Eigenschaften der ge­

sam ten deutschen N ation geworden sind.

Selbstverständlich h a t m an das alles dem deutschen Volke nich t äußerlich beigebracht ; es ist ihm aus seiner inneren Anlage er­

wachsen. Die französische, die italienische, n u n gar die englische Geschichte ist eine zusam m enhängende Reihe von Greueln, zu denen sich in der deutschen Geschichte kein Gegenstück findet»

Es ist nun schon alte Überlieferung, daß der D eutsche die englischen Schrecknisse, wie sie Shakespeare geistvoll vo rführt, m it schau­

dernder A ndacht staunend g e n ie ß t; aber es ist ihm eine frem de W elt, wie die W elt Dschingis-Chans oder Iw ans des Schrecklichen.

In des D eutschen verständig besonnener N a tu r liegt von vornherein etw as Schulmäßiges, m ethodisch L ehrhaftes; das h a t sich zum gegenwärtigen B estände durchgebildet. J e tz t ist der D eutsche seit lange ein geschulter Mensch, der nach der Regel lebt u n d schafft.

Alle Theorie ist in D eutschland am gründlichsten durchgebildet, alle P raxis am sorgfältigsten theoretisch begründet. Überlegung, V orbedacht, M ethode erhebt jede T ätig keit zu eingeübter K u n st, die dem zufälligen Einfall, dem D ünken u n d Meinen so wenig wie möglich R aum gew ährt. D aß d arü b er das Genie keineswegs zu kurz kom m t, zeigt der K rieg in Erscheinungen von unvergleich­

licher G roßartigkeit. D er schulm äßige C harak ter aller T ätig keit aber schafft Sicherheit des V erfahrens und U nabhängigkeit vom Zufall, der ebensowohl ungünstig wie günstig sein kann.

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118 Adolf Lasson Heft 4 D arauf vor allem b e ru h t die Ü berlegenheit der D eutschen über die ändern. Die Feinde tu n so, als bekäm pften sie im D eutschen ein m inderw ertiges P rin z ip ; in W ahrheit tre ib t sie die Sorge vor den stetig w achsenden Erfolgen der D eutschen und die F u rch t, ihnen völlig weichen zu müssen. Die Erfolge der D eutschen aber beruhen auf dem C harakter der S tetigkeit un d Folgerichtigkeit in aller ihrer prak tischen B etätigung, u n d das verdanken sie ihrer schulm äßigen A rbeit. Man h a t gesagt, die deutschen Siege auf dem Schlachtfeld habe der deutsche Schulm eister gew onnen; ganz dasselbe gilt von den deutschen Siegen in W e rk statt u nd F abrik, in L andw irtschaft un d H andel, im ganzen w irtschaftlichen wie im wissenschaftlichen und künstlerischen Z ustande. Man m uß n u r den Begriff des Schulm eisters n ich t zu eng nehm en. Auch M oltke u n d Schlieffen w aren Schulm eister; deutsche K irchenfürsten in beiden K irchen zeigen denselben unterscheidenden Zug gegenüber den Frem den. Alle deutsche G esittung ist schulm äßig u n d du rch­

d a c h t, auch die Religion, die D ichtung, die K u n st ü berh aupt.

Die deutsche S tärke b e ru h t darauf, daß jeder D eutsche zu klarem Auf fassen u n d V erstehen A nleitung em pfangen h a t. D er D eutsche lä ß t sich n ich t beschw atzen, n ich t täuschen wie die anderen. Die an deren Völker kan n m an bis in die oberen Schichten belügen und betrügen nach G efallen; der D eutsche ist kritisch un d bildet sich sein eigenes U rteil. Die Aufregungen des Gefühls, die aufreizenden R eden u n d die v erbreiteten V orstellungen begegnen in D eutsch­

lan d stärkerem W iderstand. Anderswo entscheiden über den Gang des staatlich en Lebens die vorübergehenden flüchtigen Ström ungen d er öffentlichen M einung; in D eutschland ist ihre M acht geringer, u n d die dauernden staatlich en G rundgedanken u n d G rundrich­

tu n g en h a lte n das H e ft viel sicherer in d er H and.

Man d arf wohl sagen: das Schauspiel, das das deutsche Volk in diesen furch tb aren K riegsgefahren b ietet, wo die w eit über­

wiegende M ehrzahl der W eltm ächte sich gegen D eutschland er­

hoben h a t, ist von einer ganz einzigen, erschütternden E rhabenheit.

E s geht ein Zug klaren Bew ußtseins, gedankenm äßigen Erfassens d e r Lage durch die ganze Masse des deutschen Volkes, und m it der sicheren R uhe des besonnenen Erwägens zieht jederm ann die Folgerungen d araus in zweckmäßiger B etätigung. Gerade die sichere R uhe des allgemeinen V erhaltens verleiht dem ganzen An­

blick die eindrucksvolle W ucht u n d Größe. Die helle Begeisterung

selber, der hinreißende Aufschwung, wom it die Millionen der Jü n g -

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1915 D ie Weltbedeutung der deutschen Erziehungsarbeit

119 linge un d M änner aus freiem A ntrieb sich in den D ienst es e droh ten V aterlandes gestellt haben, erm angelt nich t aren Wollens u n d des denkenden Bew ußtseins, in dem die rö e es

Gegenstandes zum Grunde begeisterten Entschlusses gemac wird. Allein in D eutschland ist die Idee des S taates zum e*ne^1 6 des allgemeinen Selbstbew ußtseins bei jedem einzelnen er o en worden. Die großen F ü h rer des Volkes: Könige, Staatsm änner, Denker, haben es durchgesetzt; das M ittel w ar system atisc e Erzeugung von E insicht, Ü bung und Gewöhnung auf Grun der n atü rlichen Anlage. W as wir in den w underbaren E r ­ scheinungen dieser Zeit als u nerhörtes Ereignis haben m it staunendem D anke begrüßen dürfen, das alles ist zuletzt das krönende Ergebnis unerm üdlich ausdauernder, ernster T ätigk eit der E rziehung in allen ihren verschiedenen Form en u n d Stufen.

W as sich d araus als Aufgabe für unsere Z ukunft ergibt, bedarf nach dem Gesagten nicht m ehr längerer Ausführung. W ir dürfen m it voller Zuversicht vertrauen , daß das D eutsche Reich un d das deutsche Volk aus den fu rch tb aren E rprobungen des Krieges innerlich bew ährt, äußerlich gekräftigt hervorgehen und das alte deutsche Wesen seine G eltung un d sein Ansehen in der Völkerwelt erhöht hab en wird. H a t uns der K rieg gelehrt, was wir können und wo die W urzeln unseres Vermögens liegen, so wird unser erstes Augenm erk darauf gerichtet sein müssen, die nationale E igentüm ­ lichkeit, die uns zu jedem großen Erfolge verholfen h a t, zu bew ahren un d weiter durchzubilden. D e r p ä d a g o g i s c h e G e d a n k e m u ß d ie G r u n d l a g e d e u t s c h e n W e s e n s b l e i b e n . D as W erk u n d die Einrichtungen der E r ­ ziehung werden auch in Zukunft die B ürgschaft für die E rh altu n g un d die Fortentw ickelung des deutschen Geistes bilden. D aß wir darum weniger liebenswürdig erscheinen, weil wir es m it unseren Aufgaben ernster meinen, müssen wir h in ­ nehm en. Die D eutschen sind schon je tz t das Volk der Geistes­

freiheit, wo jeder durch Erziehung die M ittel erh ält zu freier D urchbildung seiner Persönlichkeit je nach seinen Gaben. D aß solche Auszeichnung des deutschen Volkes festgehalten un d ge­

steigert werden m uß, dazu b ietet der R uhm unserer V ergangen­

heit den kräftigen Anreiz. W as irgend an äußeren M itteln,

an staatlich gebotener, an freiwillig übernom m ener T ätigkeit

für die Zwecke der E rziehung erübrigt werden kann, das m uß m it

freudiger B ereitschaft in Anspruch genommen werden. Die E r­

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Slamemk Heft 4 ziehung zu kriegerischer T üchtigkeit m uß von früh an als leitender G esichtspunkt für die A usbildung der Persönlichkeit im Auge behalten werden.

K önnen sich die anderen Völker dazu entschließen, unsere E r­

ziehungsarbeit nachzuahm en, so wird es uns willkommen sein;

D eutschland h a t sich von je m it Vorliebe in den D ienst der all­

gemein m enschlichen Zwecke gestellt. K önnen wir vorbildlich für die anderen unser W erk m it erh ö hten K rä fte n w eiter treiben, so werden wir d arin einen Zug des deutschen Berufes m it Stolz finden u n d m it Eifer ausbauen. Sicher ist, d aß ohne den E rn st sittlicher A nstrengung in deutschem Sinne den anderen Völkern auch die äußeren Erfolge für staatlich e M acht n ich t erreichbar sein werden.

Sorgen wir dafür, daß wenigstens bei uns das große W erk der E r ­ ziehung im rech ten Geiste m it freudiger Mühe w eiter betrieben werde un d zum Heile des deutschen Volkes, ja der M enschheit, die deutsche Schule blühe, wachse und gedeihe!

NACHKLÄNGE ZUM HUS-JUBILÄUM

Von D irektor P . S la m e n ik , P rerau.

in halbes Ja h rta u se n d ist seit der K onstanzer Tragödie verflossen. Doch der Nam e J o h a n n e s H u s be­

wegt nach wie vor die H erzen aller echten Böhm en und wird m it A chtung ausgesprochen von allen K ultu rvö lk ern E uropas u n d Am erikas.

D as 15. J a h rh u n d e rt b rach te uns neben den H ussitenkriegen die böhmische R eform ation, die erste Auflehnung eines ganzen Volkes gegen Rom u n d dessen A llm acht. Allein das böhm ische Volk h a t sich d adurch in E u ro pa n u r v e rh a ß t gem acht. H a u p t­

sächlich bei den D eutschen, die dam als noch streng römisch ge­

sin n t w aren, u n d es bedu rfte eines ganzen Ja h rh u n d e rts, bis D r. L u th er dem M agister H us, dessen böhm ische Briefe aus dem K erker er in deutscher Ü bersetzung herausgab1, unbedingt R echt gab und die G rundsätze der eigentlich schon in den H ussiten- stürm en aus dem vereinfachten, gänzlich prunklosen G ottesdienste d er T aboriten en tstand enen neuen, geklärten Lehre der böhm i-

1 E tlic h e B rieu e J o h a n n is H u s d es H eilig en M erterers, a u s d em ge- fen g n is zu C ostenz, A n d ie B eh em en geschrieben. M it einer V orrhede D o ct.

M art. L u th ers. W ittem b erg 1537.

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