• Nie Znaleziono Wyników

Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Kultur und Geistesleben, März 1912, 21. Band, Heft 2

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Share "Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Kultur und Geistesleben, März 1912, 21. Band, Heft 2"

Copied!
60
0
0

Pełen tekst

(1)

MONATSSCHRIFTEN D ER COMENI URGESELLSCHAFT

XXI* 3

Monatshefte da*

Gömenm- Gesdfödiaft

fiir'Kultur und Geistesleben

1012 März Heft 2

* 1

i • • • M 1 « 1 » Mi

; ;

• *»• Sl

. V II

! *1 i

«i»

Herausgegeben von Ludwig Keifer Neue Folge der Monatshefte derCG.

Der ganzen Reihe 21. Band.

wEÄaWNÖjÖENDffi

Im Buchhandel und bei der Post beträgt der Preis für die Monatsschriften (jährl. 10 Hefte) M. 12,—, für die Monatshefte der C. G. für Kultur und Geistes­

leben (jährl. 5 Hefte) M. 10,—, für die Monatshefte der C. G. für Volkserziehung (jährl. 5 Hefte) M. 4,—.

Einzelne Hefte der MH f. K. u. G. kosten M. 2,50, einzelne Hefte der MH f. V. M. 1,50.

(2)

Seite

Ludwig Keller, Der deutsche Neuhumanismus und seine geistesgeschichtlichen Wurzeln. Eine kritische Auseinandersetzung... 41 C. E. Hierl in München, Christoph Schrempf. Ein Beitrag zur Abrechnung

zwischen Leben und P hilosophie... 61 Professor Dr. R. Kayser in Hamburg, Franklin und H e r d e r ... 69 Dr. Gustav Beisswänger, Autorität und Pietät. Nach einem Vortrage von

Otto Baumgarten in S tu ttg a r t... 76 Direktor Fr. Slamenik in Prerau (Mähren), Die ersten Bände der Gesamtaus­

gabe der Werke des C o m e n i u s ... 80 W alter Frlihauf, Wilhelm Windelband über die Philosophie im deutschen

Geistesleben des neunzehnten Jahrhunderts. Eine Besprechung . . . . 83 S treiflich ter... 85

Ä ltere u n d m oderne Grundlagen der Ethik. — Ideale menschlichen Gemeinschaftslebens. — Schillers dänische F reunde u n d Helfer. — N ationaltheater und Nation. — Goethe als Sym bol des m odernen Lebensideals. — Die antiken Geheimkulte und der Opfergedanke. — Die Idee d er Hostie in den antiken O pferkulten. — Das Johannes-Evangelium , die Logosidee und das Rosenfest. — Pythagoras u n d P lato in den Überlieferungen der H um anitätslehre. — Die Bedeutung der S tudentenorden fü r die U niversitätsgeschichte. — Verhüllungen und Be­

mäntelungen in d er älteren Sozietätsgeschichte.

Literatur-Berichte

(Beiblatt)

B enser, Das m oderne Gem einschaftschristentum 9*

D athe, Die E rkenntnislehre L o c k e s ... 9*

Braun, H erders Ideen z u r K ulturphilosophie . . 9*

K e lle n , Das Buch als L e b en sb eg leiter...10*

Laeerna, Das Märchen. Goethes N aturphilosophie als K u n s t w e r k ... 10*

Meb lis , Die G eschichtsphilosophie A ugusteCom tes 11 * O pitE, Die M oderne auf dem K riegspfad gegen Gott 11*

P e te r s e n , Schilless G e s p r ä c h e ...12*

S ö rg e l, D ichtung u n d D ichter d er Zeit . . . . 12*

S ta r c k e , F reim aurerei als Lebenskunst . . . . 14*

D ilth e y u. a., 'W eltan sch au u n g ... 15*

Verzeichnis der im Text besprochenen und erwähnten Schriften

B a n m g a r te n , A le x ., Goethes Leben u n d W erke 45 S c h m id t, E ric h , Goethe u sw ... 67 B ode, W ilh e lm , Stunden m it Goethe usw . . . . 46 S c h n e id e r, F e rd ., Die F reim aurerei usw . . . . 46 C om enlna, G esam tausgabe seiner We r k e . . . . 80 S c h re m p f, C h risto p h , Philosophische Schriften 61 D e lle , G o tth ., Goethe u sw ... 46 S c h u s te r, G eorg, Geheime Gesellschaften . . . 46 K e lle r, Geistige G rundlagen usw ... 59 T s c h a c k e rt, P a a l , F r e im a u r e r e i... 44 K o h u t, A d., Die H ohenzollern u sw ... 55 V a ih in g e r , H a n s, F re im a u re r-L ie d e r usw . • . 47 K r a o a la , J ., Comenius usw ... 82 W e r n e k k e , H n g o , Goethe u sw ... 46 M in o r, Ja c o b , F reim au rer in S i c h t ... 46 W in d e lb a n d , W ilh e lm , P h i l o s o p h i e ... 83 O tt, A r t h a r , Goethe u sw ... 46 W o lfstie g , A n g a s t, Goethes M ärchen... 52 R a lc b , J o h . M ichael, Freim aurerei usw . . . . 44

Diesem Heft sind folgende Beilagen beigegeben: 1. Lichtbilderei G. m. b. H.

M.-Gladbach. 2. Deutsche Frauenschule Schloß Braunshardt bei Darmstadt.

3. Alumnat zu Lörrach (Baden). 4. Voigtländers Quellenbücher. R. Voigt- länders Verlag, Leipzig.

(3)

MONATSHEFTE

DERCOM EN I URGESELLSCHAFT

VERLAG EUGEN D1EDERICHS IN JENA

N. F. B and 4 M ärz 1912 H eft 2

Die Monatshefte der C. G., für Kultur und Geistesleben erscheinen Mitte Januar, März, Mai, September und November. Die Mitglieder erhalten die Hefte gegen ihre Jahresbeiträge. Bezugspreis im Buchhandel und bei der Post M. 10. — Einzelne Hefte M. 2.50. — Nachdruck ohne Erlaubnis untersagt.

DER DEUTSCHE NEUHUMANISMUS

UND SEINE GEISTESGESCHICHTLICHEN WURZELN

Eine kritische Auseinandersetzung von L u d w i g K e l l e r 1.

eine Epoche des deutschen Geisteslebens seit der Reformation h at das Denken und Fühlen der Nation tiefer beeinflußt, und keine h a t zu größeren geistigen Errungenschaften geführt, als das Zeitalter des d eu t­

schen Neuhumanismus, in dem der machtvolle Genius Friedrichs des Großen die Grundlagen des preußisch-deutschen Staates schuf, und in dem dieser S taat und der deutsche Geist, wie er durch die Heroen jener Zeit seine Prägung erhalten hatte, sich unzertrennlich verm ählten1.

Diese innere Durchdringung der deutschen Bildung m it dem Staatsideal, wie es seit Friedrichs des Großen Tagen das preußische Staatswesen beherrschte, war nichts Zufälliges; vielmehr fühlten und empfanden die Vertreter unserer klassischen Philosophie und Dichtung die i n n e r e V e r w a n d t s c h a f t , die sie m it den damals maßgebenden Strömungen des preußischen Staatslebens 1 W ir haben dies näher ausgeführt in dem W erke: „Die Reform ation uftd die älteren R eform parteien“. Leipzig. S. Hirzel. 1885.

4 Monatsheft« der O. G. 1912

FÜR KULTUR U.

SCHRIFTLEITUNG^

DRLUDWIG KELLER

GEISTESLEBEN

BERLINER STRASSE 22

^BERLIN'CHARLOTTBC

(4)

verband. Wenn im Zeitalter der deutschen Erhebung, wie es nach den schweren militärisch-politischen Niederlagen Preußens begann, sich gerade diejenigen geistigen K räfte aus der gesamten Nation unter Steins Führung in die Reihen der kämpfenden preußischen Monarchie stellten, die den Standpunkt des neuhumanistischen Staatsideals vertraten, so h at dies lediglich darin seinen Grund, daß sie dessen Wesens Verwandtschaft erkannten.

Nun ist es ja zweifellos, daß die siegreiche Durchsetzung der Gedankenwelt des Neuhumanismus das Lebenswerk der großen Männer ist, die seit der Thronbesteigung des großen Königs bis zu den Befreiungskriegen ihre K raft dafür in die Wagschale ge­

worfen und den W iderstand der älteren Mächte allmählich ge­

brochen haben. Aber die Anerkennung dieser Tatsache läßt die Frage offen, ob nicht dieselben Ideen, die damals zur Herrschaft gelangten, schon früher durch organisierte Minderheitsparteien im stillen gehegt und vertreten worden sind, ob ferner geschichtliche Fäden von diesen Organisationen zu den Führern des N eu­

humanismus hinüberreichen, und ob, beziehungsweise inwieweit ältere Gesellschaften und Verbände die Basis und der Nährboden gewesen sind, aus dem die neueren ihre Anregung und ihre K raft gesogen haben.

Daß die Vorkämpfer des Neuhumanismus, und zwar sowohl Friedrich der Große wie Lessing, Herder, Goethe, Wieland, Fichte und viele andere Mitglieder dieser schon vor der M itte des 18. J a h r­

hunderts in Deutschland verbreiteten Gesellschaften waren, ist allbekannt. Folgt aber daraus, daß sie aus der Anschauungswelt und der Überlieferung dieser Verbände etwas empfangen und von hier aus Richtlinien für ihr eigenes Geistesleben entnommen haben ? Mit anderen W orten: kann man annehmen, daß die geistige Be­

wegung des Neuhumanismus die Fortsetzung und Vollendung der älteren Humanitätsbewegung und ihrer Staatsideale ist?

Um stände verschiedener A rt haben bewirkt, daß die publizisti­

schen Vertreter aller heute bestehenden Geistesrichtungen und P ar­

teien sich seit zwei Jahrzehnten eifriger als früher bem üht haben, zu diesen Fragen Stellung zu nehmen.

Betrachtet man nun diese Stellungnahme und die Antworten, die auf die obigen Fragen gegeben worden sind, so müssen wir zu­

nächst feststellen, daß in diesen Heften, die sich an der Erörterung stark beteiligt haben, stets nur von einer hier in die Erscheinung tretenden W e c h s e l W i r k u n g gesprochen worden ist. Aus-

(5)

1912 Der deutsche Neuhumanismus usw. 4 3

gehend, von der geschichtlichen Tatsache, daß schon seit der Thron­

besteigung Friedrichs des Großen und früher eine organisierte Geistesströmung idealistischen Charakters vorhanden war, haben wir hier stets den Standpunkt vertreten, daß diese Strömung auf die Männer, die als „Organisierte” in ihren Reihen standen, ein­

gewirkt hat, daß aber die Großen unter diesen Persönlichkeiten in lebendiger Wechselwirkung den Lauf des Stromes ihrerseits m it ge­

läutertem Geiste durchtränkt haben.

W ährend also hier an ein lebendiges Geben und Nehmen geglaubt w ird — denn B e w e i s e sind nach unserer Meinung auf diesem Gebiete nicht zu erbringen — gibt es andere Richtungen, die über­

zeugt sind, den Nachweis für eine abweichende Auffassung erbracht zu haben, und zwar kommen hier vornehmlich zwei Richtungen in Betracht, die sich einst und jetzt Geltung zu verschaffen gewußt haben.

2.

In den Schriften der zeitgenössischen Gegner des Neuhumanismus ist schon in der Zeit, wo dieser das geistige Leben im wesentlichen beherrschte, m it Nachdruck behauptet worden, daß es ausschließ­

lich die „geheimen Gesellschaften "gewesen seien, die die D enkart der führenden Männer bestimmt haben. Und als nach dem Jahre 1815 die bis dahin zurückgedrängten älteren Geistesrichtungen u n ter Österreichs und Rußlands Einfluß wieder die Oberhand gewonnen hatten, da erging der Ruf nach Aufhebung dieser Gesellschaften unter dem Hinweis darauf an alle Staatsregierungen, daß eben sie die B rutstätten der „Revolution” gewesen seien und noch seien.

Und dieses U rteil bezog sich keineswegs bloß auf das Staatsideal der Humanitätsfreunde, sondern auf ihre gesamte philosophisch-reli­

giöse Weltanschauung.

Es ist denjenigen, die die geistesgeschichtliche Entwickelung des Zeitalters der Restauration und des christlich-germanischen Staatsideals in der ersten H älfte des 19. Jahrhunderts kennen, wohlbekannt, daß diese Überzeugung von zahlreichen Publizisten vertreten und von den Staatsm ännern zur Grundlage wichtiger politischer Aktionen — wir erinnern an die Beschlüsse des K on­

gresses zu Verona im Jahre 1822 — gemacht worden ist.

Die gleichen Überzeugungen kommen noch bis in die neueren und neuesten Zeiten hinein gelegentlich zum Ausdruck, und es ist z. B. bemerkenswert, wie die einflußreichsten kirchlichen H and­

bücher beider Kirchen in dieser Auffassung sich begegnen.

4*

(6)

Der inzwischen verstorbene Professor der Kirchengeschichte zu Göttingen, Paul Tschackert, der sich insbesondere durch seine Schriften wider die römische Kirche und den Jesuitenorden be­

k an nt gemacht hat, h at in der Realenzyklopädie für protestantische Theologie (D ritte Auflage, Bd. VI, S. 259 ff.) einen eingehenden Artikel über die Freimaurerei veröffentlicht. E r legt seinen Aus­

führungen nach eigener Erklärung die Arbeiten des Domkapitulars Joh. Michael Raich („O tto Beuren“), des bekannten früheren R e­

dakteurs des „K atholik” aus der „Frankfurter zeitgemäßen Bro­

schüre” , insbesondere dessen Aufsatz in Wetzer und Weltes Katholischen Kirchenlexikon zugrunde1.

Sowohl Raich wie Tschackert machen Unterschiede sowohl zwischen den verschiedenen Systemen wie zwischen dem Charakter des romanischen und des germanischen, auf dem Boden pro­

testantischer Länder wirkenden Maurertums. Raich unterscheidet scharf zwischen dem älteren englischen System und der Neu­

bildung, die ihren Ausgang auf romanischem Boden nahm. Den Anstoß zu dieser Neubildung, sagt Raich2, gab der schottische B aronett M. A. Ram say in einer 1740 zu Paris gehaltenen Logen­

rede, worin er den Ursprung der Freimaurerei auf die Kreuzzüge zurückführte und die Freimaurerei in die innigste Verbindung m it den Johanniter-R ittern zu Jerusalem brachte. Da aber letztere noch existierten und den Trug leicht auf decken konnten, ließ man sie alsbald fallen und warf sich auf den seit vier Jahrhunderten aufgehobenen Orden der T e m p e l h e r r e n . W ährend in den Ländern m it gesicherter politischer Freiheit — Raich meint offen­

bar die germanischen Länder — die Logen zu ,,Eß-, Trink- und Hilfsvereinen” wurden, wurden sie in katholischen und konfessionell gemischten Ländern teilweise „zu Werkzeugen des revolutionären Absolutismus von oben herab oder zu Revolutionsherden von unten herauf” . Ob dies je nach den Systemen oder nach sonstigen U m ­ ständen der Fall war, sagte Raich n ic h t; nur verw ahrt er sich — und das ist anerkennenswert — m it Entschiedenheit dagegen, daß diese Charakteristik für alle Länder gelte. „Wer möchte behaupten, die p r e u ß i s c h e n Logen oder deren Führer beabsichtigten den S t u r z d e s H o h e n z o l l e r n s c h e n H a u s e s und die E ta ­ blierung einer deutschen Republik % Wer möchte Ähnliches den 1 Näheres über diesen Aufsatz und seine Quellen in den MH. der C. G. 1899, S. 304 ff. 2 Wetzer u. Weltes Katholisches Kirchen-Lexikon. Freiburg i. B., Herder. 2. Aufl., Bd. IV (1885), S. 196 ff.

(7)

1912 Der deutsche Neuhumanismus usw. 45 e n g l i s c h e n oder den Sturz der bestehenden Staatsverfassung den nordamerikanischen Logen zuschreiben?”

Der Baum der Freimaurerei entwickelt sich m ithin das wollen Tschackert und Raich dartun — je nach dem Boden, auf dem er wächst, in verschiedener A rt; aber — und das betonen sie eben so bestim m t — in dieser organisierten Macht liegen trotzdem die Wurzeln aller Umwälzungen des 18. und 19. Jahrhunderts, und selbst die großen Männer jener Zeit sind gleichsam nur Organe dieser Macht gewesen ; ja sie sind nur dadurch zu ihrer Größe und Wirkung gekommen, daß die Logen ihnen den Resonanzboden ver­

schafft haben, ohne den selbst ein hervorragender Geist selten zu dauernder Wirkung zu gelangen pflegt.1

3.

Ganz im Gegensatz zu dieser Auffassung h at sich nun in neueren Zeiten eine Betrachtungsweise Geltung verschafft, die von der Über­

zeugung ausgeht, daß die Werke der großen Dichter und Denker unserer klassischen Zeit keinerlei Gedanken enthalten, die, wie ein Vertreter dieser Richtung sagt, „ihren Verfassern aus den Logen zugekommen sind” , die vielmehr nachweisen zu können glaubt, daß die philosophisch-religiösen Gedanken, die uns in Reden, Liedern und sonstigen maurerischen Kundgebungen entgegen­

treten, aus den Schriften der genannten Männer in die Logen hinein­

getragen worden sind. Es ist nachweisbar, so behauptet diese Rich­

tung, daß weder die in der kirchlich beeinflußten L iteratur be­

hauptete A b h ä n g i g k e i t noch die anderweit geglaubte W e c h s e l w i r k u n g die geistesgeschichtlichen Vorgänge zu­

treffend erklärt und wiedergibt. Diese Betrachtungsweise findet sich besonders unter den L i t e r a r h i s t o r i k e r n und den Ver­

tretern der deutschen und neu sprachlichen P h i l o l o g i e , zumal unter solchen Gelehrten, die innerhalb der U niversitätstradition stehen, die schon im 18. Jah rh un dert dem Neuhumanismus m it ähnlichen Empfindungen gegenüberstand, wie die scholastische Wissenschaft im 15. und 16. Jah rh u nd ert sie dem Humanismus der Renaissance entgegenbrachte. Nachdem diese Auffassung in den Schriften unserer bekannten Literarhistoriker und Philologen über 1 Di© bekannten Werke A l e x . B a u m g a r t e n s aus der Gesellschaft Jesu über Goethes Leben und Werke sowie dessen sonstige Schriften über unsere klassische Philosophie und Dichtung geben über diese Auffassungen näheren Aufschluß.

(8)

Lessing, Schiller, Goethe usw. schon früher Ausdruck gefunden hat, ist sie neuerdings in einem Aufsatz eingehend begründet worden, den die D e u t s c h e R u n d s c h a u im Januarheft 1912 (X X X V III. Jahrg., H eft 4, S. 43 ff.) aus der Feder des Wiener Germanisten J a c o b M i n o r veröffentlicht hat.

Bei der Lesung dieses Aufsatzes fällt zunächst die Tatsache in«

Auge, daß sich der H err Verfasser n i c h t m it der seiner Auffassung am schroffsten entgegenstehenden Auffassung auseinandersetzt.

Obwohl es sich bei den großen kirchlichen Handbüchern ebenso wie bei den Schriften des gelehrten Alexander Baum garten und anderer Autoren um eine sehr verbreitete L iteratur handelt, wird die von dieser behauptete A b h ä n g i g k e i t s t h e o r i e von Minor nicht einmal gestreift. Die ganze W ucht seiner Beweisführung richtet sich vielmehr gegen diejenigen neueren Forscher, die an die Theorie der W e c h s e l w i r k u n g glauben.

,,Es ist neuerdings” — so führt Minor aus — „eine sehr um fäng­

liche und ermüdend breite L iteratu r1 über unsere Großen und ihr Verhältnis zu den Logen” erwachsen; „viel aber (so fährt er fort) ist es wahrlich nicht, was der Nichtmaurer aus dieser L iteratur er­

fäh rt” . „Die H erren” — so nennt Minor wiederholt diejenigen, m it denen er sich auseinandersetzt — „meinen es zu gut und nehmen den Mund zu voll.” Und wenn er auch m it diesen „H erren” in über­

legenem Tone verhandelt, so wünscht er doch in freundlich-herab­

1 Welche Schriften Minor zu dieser „ermüdend breiten Literatur“ zählt, gibt er in einer Anmerkung an, die wir hier hersetzen: „Es ist nur ein ganz kleiner Teil der Literatur, den ich hier verzeichne; die nur für die Brüder zugänglichen Logenschriften lasse ich ganz weg: Dr. H u g o W e r n e k k e , vormals Meister vom Stuhl der Loge Anna Amalia in Weimar, „Goethe und die Königliche Kunst“. Leipzig, Poeschel und Kippenberg. 1905. — Dr. L u d w i g K e l l e r , Geheimer Archivrat in Berlin - Charlottenburg, „Schillers Stellung in der Entwickelungs-

geschichte des Humanismus“. Berlin 1905. — Dr. G e o r g S c h u s t e r ,

„Die geheimen Gesellschaften, Verbindungen und Orden“. Leipzig, T h.

Leibing. 1906. — G o t t h o l d D e i l e , Freimaurerlieder als Quelle zu Schillers „Lied an die Freude“. Leipzig, A. Weigel. 1907. — G o t t h o l d D e i l e , „Goethe als Freimaurer“. Berlin, Mittler & Sohn. 1908. — Dr.

F e r d i n a n d S c h n e i d e r , Privatdozent an der k. k. deutschen U ni­

versität in Prag, „Die Freimaurerei und ihr Einfluß auf die geistige Kultur in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts. Prolegomena zu einer Ge­

schichte der deutschen Romantik“. Prag, Taussig & Taussig. 1909. — A r t h u r O t t , „Goethe und der^Illuminaten-Orden in W. Bodes Stunden m it Goethe“. VI. Bd., 2. Heft. Berlin, Mittler & Sohn. — W. B o d e ,

„Freimaurerei im Faust“ . Ebenda, 4. Heft.

(9)

1912 Der deutsche Neuhumanismus usw. 47 lassender Art, daß sie sich „darüber keine grauen H aare wachsen lassen möchten” .

„Die H erren“ werden sich, wie wir annehmen, zu trösten wissen, denn in derselben A rt wie Minor sie einschätzt, schätzt er auch die Geistesrichtungen und Organisationen ein, gegen die sich sein Aufsatz richtet.

Es mag ja sein, daß Minor die von ihm genannten Forscher in manchen Punkten m it Grund berichtigt. Vielleicht h at er recht, wenn er behauptet, daß die „uns heute so freimaurerisch anmutenden Gedanken” in Wilhelm Meisters W anderjahren „nicht aus der Loge übernommen, sondern in die Loge übergegangen sind” ; vielleicht ist es auch zutreffend, daß die Nachweise, die H a n s V a i h i n g e r im Schillerheft der K antstudien, Bd. X (1905), H eft 3, S. 386 über die Verwandtschaft von Schillers „Lied an die Freude” mit ä l t e r e n maurerischen „Liedern an die Freude” erbracht hat, unhaltbar sind1, vielleicht ist er auch gegenüber dem Prager P riv at­

dozenten Dr. F e r d . S c h n e i d e r im Recht, wenn er dessen Ausführungen über die Zusammenhänge zwischen den Romantikern und den Freimaurern anzweifelt.

Zu einigen anderen Punkten aber, die von geschichtlicher Erheblichkeit sind, müssen wir Fragezeichen machen. So erklärt Minor, ohne diese Erklärung unter Beweis zu stellen, w örtlich: „ S c h i l l e r h a t d e m B u n d e n i e m a l s a n ­ g e h ö r t . ” Woher weiß der Herr Verfasser das ? Es steht aus dem zehnten Briefe über Don Carlos nur fest, daß Schiller im Jah r 1788 und vielleicht auch einige Jahre später, als die zweite Ausgabe dieser Briefe erschien, „weder Illum inat noch Freim aurer” gewesen ist. Schillers späteres Schweigen beweist so wenig etwas gegen seine Mitgliedschaft wie Franklins und anderer großer Zeitgenossen Schweigen in diesem Punkte. Es war damals (wie auch noch später) nicht üblich, schriftliche Äußerungen über diese Mitgliedschaft von sich zu geben, und die meisten wußten, weshalb sie es nicht taten.

Zeitgenossen, und zwar Zeitgenossen, die es besser als irgend welche anderen Personen wissen konnten, bezeugen dagegen, daß Schiller späterhin tatsächlich Maurer geworden ist. Zwei Mitglieder der Loge „G ünther zum stehenden Löwen” in R udolstadt, der Archidiakonus W i l h e l m O e t t e l in Saalfeld 1 Vaihingers wertvoller Aufsatz fehlt in dem obigen. Literaturverzeichnis Minors ebenso wie die Ergänzungen, die sich in den Monatsheften der C. G.

finden.

(10)

und spätere Superintendent in Eisfeld, und dessen Freund, der Grokßaufmann C h r i s t o p h H e r o l d haben am 9. September 1829 an den Meister vom Stuhl der Loge in Hildburghausen folgenden, im Original erhaltenen Brief gerichtet:

„Die hier Unterzeichneten Brüder Oettel und Herold, bisher Mit­

glieder der g. u. v. Loge „Günther zum stehenden Löwen“ in Rudol­

stadt, erlauben sich, durch die Zuversicht, mit der sie dem sehr ehrw.

Bruder Nonne in Hildburghausen ergeben sind, folgende brüderliche Er­

öffnung bescheidentlich zu machen. Mit dem Tode des sehr ehrw.

B. von Beulwitz, gewesenen Mstrs v. Stuhl, schien in der Loge im Orient Rudolstadt auch der Geist und das Leben aus der Bruder-Kette daselbst entflohen zu sein. Das Andenken an die hohen Verdienste, die sich B. v. Beulwitz um den Orient zu Rudolstadt erworben hatte, die Tiefe des Verlustes, in der allgemein alle geliebten Brüder unserer Kette sich begegneten, die Überzeugung, seine leere Stelle mit einem ändern Meister nicht ganz ausfüllen zu können, lagen schwer auf aller Herzen; der Schmerz, eines solchen Führers beraubt zu sein, brach alle Kraft und Leben, und tötete sogar die Hoffnung, je wieder das Fehlende und sehn­

lichst Vermißte ersetzen zu können. Im ersten Gefühl der Trauer und des Verlassenseins wurden Stimmen laut, als sei das Institut nicht mehr zeitgemäß und vermöge nicht mehr den Ansichten der Gegenwart zu entsprechen, und die traurige Erfahrung, als habe in den letzt vergangenen Zeiten nicht einmal der Glanz des in den ewigen Osten eingegangenen Mstrs v. Stuhl, und seine erhabene Stellung im profanen Leben vermocht, neue würdige Glieder der Kette in Rudolstadt zuzuführen, schien diesen Stimmen den Stempel der Wahrheit aufzudrücken. Hierzu kam noch die Furcht, bei der durch den Tod der größtenteils in den hohem Jahren des Lebens stehenden Brüder herbeigeführten Verminderung der Anzahl derselben, nicht mehr imstande sein zu können, die Kosten der Loge zu decken. Mehrere Meister-Konferenzen im Orient zu Rudolstadt, in denen die Treue um den unendlich geliebten Mstr nie alt zu werden und die geschlagene Wunde nicht verharschen zu können schien, führten endlich zu dem altrömischen, ächt catonischen Entschluß, lieber nach Ansicht des Bruders Jean Paul Richter, der es in seinen Schriften ausgesprochen hatte : es sei schöner, jung und kraftvoll zu sterben, als langsam im Alter den Tod kommen zu sehen, in den besten Mannes-Jahren, im Gefühl aller Kraft freiwillig zu enden, als durch langsame Abzehrung und Aufhörung aller Kräfte den Tod heranschleichen zu sehen.

Die Unterzeichneten Bruder Oettel und Herold ermüdeten nicht, durch Ermutigung, durch Hinweisung auf eine glücklichere Zukunft, durch den auf gestellten Grundsatz, die abnehmende extensive Kraft des Ganzen durch erhöhte intensive Kraft des Einzelnen zu ersetzen, das bald zu erlöschen drohende Licht der Hoffnung zur lebendigen, wirkenden und

(11)

1912 Der deutsche Neuhumanismus usw. 49 belebenden Flamme anzufachen, aber vergebens. — Der Schlag geschah, und schon ist in der Mutterloge zu Hamburg die Anzeige geschehen, daß die g. u. v. Loge „Günther zum stehenden Löwen , im Orient zu Rudolstadt zu leben und zu arbeiten auf gehört habe. Der letz'te Augen­

blick trat so schnell und überraschend ein, daß wir als auswärts wohnen­

den Mitglieder der Br-Kette nicht einmal Certifikate oder Legitimationen unseres erlangten Meistergrads und maurerischen Tätigkeit erlangen konnten. So s t e h e n w i r d e n n , m i t b l u t e n d e m H e r z e n u n d m u t t e r l o s a u f d e n T r ü m m e r n e i n e r e i n s t b l ü h e n d e n , d u r c h d i e T e i l n a h m e f ü r s t l i c h e r B r ü d e r , d i e i h r e g e n u ß r e i c h s t e n S t u n d e n d e s D a s e i n s i h r e m T e m p e l v e r d a n k t e n , u n d d u r c h d i e A u f n a h m e e i n e s S c h i l l e r s g e e h r t e n L o g e u n d m ü s s e n , d a u n s e r e K e t t e z e r r i s s e n i s t , n u n u n s e r e A r b e i t a u f d e n A l t a r d e s e i g e n e n H e r z e n s b e s c h r ä n k e n .

Wir ersuchen Sie deshalb, sehr ehrw. B. Nonne, der Dollmetscher unserer schmerzlichsten Empfindungen und das Organ unserer brüder­

lichen bescheidenen Erklärung in der g. u. v. Loge „Carl zum Rauten­

kranz“ in Hildburghausen zu sein, daß es weder mit unserer Ansicht übereingestimmt, einem lebenden Institute freiwillig den Tod zu geben und eine fest und schön verschlungene Kette ohne triftige, stichhaltende Gründe zu zerreißen, noch daß es auch von unserer Seite an Ermah­

nungen zum brüderlichen Zusammenhalten, oder an ächtem maure- rischen Sinn und Liebe gefehlt habe, sondern, daß wir nur der Mehrzahl der anders gesinnten Brüder nachgeben mußten und daß uns nicht einmal auf geeignetem, offiziellem, sondern nur auf confidentiellem Wege die hier vorliegenden Notizen zugekommen sind. In unserer einsamen Stellung im profanen Leben bitten wir um die brüderliche Liebe aller geliebten Brüder und würden uns sehr geehrt und beglückt fühlen, wenn man uns zuweilen Mitteilungen von dem Leben und Wirken der g. u. v.

Loge K. z. R. in Hildburghausen zukommen lassen wollte.

Wir grüßen Sie u. s. w.

W i l h e l m O e t t e l . C h r i s t o p h H e r o l d . S a a l f e l d , den 9. September 1829.“

Die Loge „G ünther zum stehenden Löwen” in R udolstadt war am 21. September 1785 eingesetzt worden und am 27. November 1785 dem Eklektischen Bunde, später aber der Großloge von H am ­ burg beigetreten. Seit dem Jahre 1793 nahm die Loge, nachdem sie einige Jah re geruht hatte, einen starken Aufschwung. Am 30. Aug.

1793 wurde F ü rst Günther zu Schwarzburg-Rudolstadt aufge- nommen und am gleichen Tag vollzog Prinz Georg Friedrich Carl

(12)

von Meiningen, der zurzeit als Meister vom Stuhl fungierte, die Auf­

nahme des regierenden Fürsten Ludwig Friedrich von Rudolstadt, der von da ab bis zu seinem Tode (f 1807) seiner Loge eine tätige Teilnahme gewidmet hat, ihr auch im Jah re 1803 den Prinzen Carl Günther und den regierenden Fürsten Heinrich von Reuß-Loben­

stein zuführte. Es galt unter diesen Umständen den m it ihrer Dynastie eng verbundenen alten Familien des Landes als Ehren­

pflicht, ebenfalls Mitglieder zu werden, und so hören wir denn, daß außer den Lengefelds auch die Familie von Beulwitz einzelne Glieder der Loge zugeführt hat. Insbesondere führte der rudolstädtische Kanzler und Geheimer R at Friedrich Wilhelm von Beulwitz (geb. 1755), der nach dem Jahre 1825 gestorben ist, bis zu seinem Tode den Vorsitz, derselbe Beulwitz, der sich im Jah re 1780 m it der Schwester von Schillers Lotte, nämlich m it Karoline von Lengefeld, verheiratet hatte. Man weiß, daß Beulwitz es war, der die erste Begegnung zwischen Goethe und Schiller am 7. September 1788 in seinem Haus vermittelte, und daß sich in demselben Hause die Brüder Jean Paul Richter, Fichte (der zu Ende 1794 in Rudolstadt zum Freim aurer aufgenommen wurde), Joh. Schulze und andere trafen. Man darf gegenüber diesen Tatsachen billigerweise erwarten, daß der Schillerforscher Minor den B e w e i s für seinen Satz erbringt, daß sich „ S c h i l l e r d e m B u n d e n i e m a l s a n ­ g e s c h l o s s e n h a t ” und daß der Archidiakonus Oettel und sein Freund Herold der Loge in Hildburghausen, die die Unwahrheit leicht konstatieren konnte, f a l s c h e Tatsachen berichtet haben.

Und noch ein anderer P unkt, der m it Goethes Entwicklung zu­

sammenhängt, bedarf der Erwähnung, das ist nämlich die Ver­

spottung der „geschäftigen Federn” , die angeblich den „Nachweis”

(Minor druckt dies W ort m it Anführungszeichen) erbracht haben wollen, daß die „arkadische Gesellschaft” , zu deren Gliedern Goethe seit 1764 Beziehungen besaß, und die er um Aufnahme bat, eine „Freimaurerloge vor der wirklichen Loge” gewesen sei, wäh­

rend sie nach Minor lediglich „ein h a r m l o s e r S c h ä f e r ­ v e r e i n ” war. Es ist uns nicht bekannt, worauf Minor seine An­

gaben s tü tz t; aber es scheint, daß er weder das uns erhaltene A kten­

m aterial noch die Aufsätze von J . R. D i e t r i c h „Phylandria”

in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom Jah re 1792 (Nr. 80 ff.) kennt. Dietrich, der die Akten durchgearbeitet hat, erklärt wörtlich in bezug auf die „harmlose Schäfergesellschaft” , daß sich in ihr seit 1764 ein „großer Umschwung” vollzogen h at: „ a u s d e m k i n d-

(13)

1912 Der deutsche Neuhumanismus usw. 51 l i e h e n , z u r A u s ü b u n g d e r S c h a u s p i e l k u n s t g e ­ g r ü n d e t e n K r ä n z c h e n w i r d , e i n e L o g e E r w a c h ­ s e n e r . . . W under nim m t es dabei, daß es der jugendliche, damals achtzehnjährige Argon der Arkadier (von Buri) verstand, die Leitung dieser Loge noch auf lange in der H and zu behalten . Die Loge, deren Bildung schon im Gange war, als Goethe sich ihr näherte, und der schon von Anbeginn an (d. h. seit 1759) Freim aurer als Freunde und Glieder nahe standen, nahm noch im H erbst 1764 den Prinzen Ludwig K arl von Hessen und verschiedene Mitglieder des hohen Adels, der Hofgesellschaft und der Beamten weit zu „Frei­

m aurern” auf. Die Behauptung, daß die Phylandria ein „harmloser Schäferverein” gewesen sei, trifft m ithin weder für die Zeit vor noch nach Goethes Bemühungen um die Mitgliedschaft zu. Der Umstand, daß die geistigen V äter der Sache zeitweilig m it Absicht ein harm ­ loses Gewand gegeben haben, ist richtig; in Wirklichkeit h a t der harmlose Schäferverein von Anfang an sehr ernsthafte Ziele ver­

folgt und nach wenigen Jahren auch erreicht. Der Fall ist t y p i s c h und verdient als solcher vollste Beachtung, auch von denjenigen Gelehrten, die „die H erren” verspotten, die angeblich alle möglichen „Vereine” und „Tischgesellschaften” zu den Logen in Beziehung bringen. Offenbar ist dem Herrn Verfasser völlig u n ­ bekannt, daß es bis auf diesen Tag freimaurerische, d. h. von Frei­

maurern in maurerischem Geist geleitete Tischgesellschaften gibt.

Zu denjenigen, die nach Minor in dieser Beziehung „den Mund zu voll nehmen” , gehören auch die Forscher, die den bekannten Wetz - larer Ritterorden zu den Freim aurern in Beziehung bringen. U nd doch sind es sehr ernsthafte und gewissenhafte Forscher, die dies tun. Es ist zu bedauern, daß Minor die wissenschaftlichen Arbeiten von Prof. Dr. H e i n r i c h G l o e l und Dr. S t e p h a n K e k u l e v o n S t r a d o n i t z keiner näheren Prüfung unterzogen h a t ; h ätte er es getan, so hätte er sein obiges Urteil nicht abgeben können. Die Dinge liegen hier ähnlich wie bei dem „harmlosen Schäferverein” . Ebenso wie Minor Schillers „Lied an die Freude” sanft von den Logen loslöst, so tu t er es auch m it Goetheschen Geisteserzeug­

nissen, z. B. m it dem M ä r c h e n v o n d e r s c h ö n e n L i l i e , das nach seiner Meinung nichts m it der Loge zu tu n h at oder gar dieser gut zu schreiben ist. Wir müssen bestreiten, daß jemand, der das innere Leben der Logen, ihre Symbolik und ihre Überlieferungen nicht kennt, darüber ein sicheres U rteil haben kann, und können nur bedauern, daß Minor auch in diesem Falle die wertvollen Arbeiten

(14)

A u g u s t W o l f s t i e g s über diese Frage unberücksichtigt ge­

lassen hat. H ätte er sie berücksichtigt, so wären die obigen Sätze ungeschrieben geblieben.

„ M i t A u s n a h m e d e r a k a d e m i s c h e n L a n d s m a n n ­ s c h a f t e n u n d O r d e n 1” — sagt Minor weiter — „nehmen die Herren so ziemlich alle Arten von Vereinen bis auf die Stammtische herunter für sich in Anspruch.” Ich weiß nicht, wen der H err Ver­

fasser hier unter der Bezeichnung „die H erren” zusammenfaßt:

daß es mehrere sind, zeigt die Mehrzahl. Sobald eine bestimmtere Erklärung vorliegt, ließe sich ja über diese Behauptung ein W ort reden; einstweilen lohnt es nicht, auf so dunkle Andeutungen etwas zu erwidern. N ur eins wollen wir feststellen, nämlich die durch seine Bemerkung erwiesene Tatsache, daß der Herr Verfasser die Monatsschriften der Comenius-Gesellschaft, in denen über die aka­

demischen Logen des 17. und 18. Jahrhunderts vielfach gehandelt worden ist, nicht kennt. Man muß sich über diese U nbekanntschaft deshalb wundern, weil das Werk von F e r d . S c h n e i d e r , das Minor sorgfältig benutzt hat, gerade die Aufsätze unserer Monats­

hefte an vielen Stellen zitiert und heranzieht. Schneider h at ganz richtig erkannt, daß hier Quellen erschlossen worden sind, ohne deren Kenntnis sich heute kein begründetes Urteil über die geistes­

geschichtlichen Zusammenhänge, um die es sich hier handelt, ab ­ geben läßt.

4.

Wichtiger aber als alle diese Einzelfragen ist die H auptfrage:

w o h a t d e r d e u t s c h e N e u h u m a n i s m u s s e i n e g e i s t e s g e s c h i c h t l i c h e n W u r z e l n ? Auffallend ist doch, daß alle die großen Männer, die der Gesellschaft der Maurer angehört haben, in ihrer W eltansicht und ihren Grundsätzen eine überraschende Übereinstimmung zeigen. Diese Übereinstimmung deutet auf verwandte Quellen und auf geistige Zusammenhänge hin.

Wenn sie sie nicht aus dem Freundes- und Bruderkreise haben, deren Mitglieder sie waren, woher stam m t dann die Gleichartigkeit der Denkweise ?

Auch Minor h at sich, nachdem er die sanfte Loslösung unserer großen Klassiker von der Brüderschaft vollzogen hat, natürlich diese Frage vorgelegt und er glaubt sie im Anschluß an einige W orte des Kanzlers Müller gefunden zu haben, der bei Goethes Totenfeier 1 Von mir gesperrt. Der Verf.

(15)

1912 Der deutsche Neuhumanismua usw. 53 sagte, daß Goethes ganze Richtung ihn zum Freim aurer geweiht habe und hinzufügt, daß diese Richtung aus seinem t i e f e n S t u d i u m d e r G e s c h i c h t e u n d d e r N a t u r h e r v o r - g e g a n g e n s e i . „Also” — fährt Minor fort „aus der Ge­

schichte und aus der N atur, nicht aus der Loge, h at Goethe, wie der kluge Müller erkennt, diese Gedanken.” Und wenn sie Goethe aus diesen Quellen geschöpft hat, so darf man annehmen, daß dessen große Gesinnungsgenossen ebenfalls aus der Geschichte und der N atur die Lehren nahmen, die sie zu Aposteln der Humanitätslehre machten. Aber — so darf man bescheiden fragen — wie mag es nur kommen, daß Tausende hervorragende Geister, die ebenfalls der Geschichte wie der N atur ein tiefes Studium gewidmet haben, zu ganz entgegengesetzten Anschauungen gelangt und heftige Gegner der Humanitätsidee geworden sind ?

Die Nachweise, die Minor im einzelnen zur Bestätigung seiner These beibringt, werden verstärkt durch allgemeine Urteile, die sich der Verfasser bei seinen Studien über W ert und Wesen der Verbände, die er bespricht, gebildet h at — Urteile, die, wenn sie zutreffen, allerdings für jeden die Tatsache ohne weiteres dartun.

daß ein geistiger Einfluß von den Logen auf die großen Männer jener Zeit garnicht ausgegangen sein k a n n .

Es ist anzunehmen, daß Minors Beweisführung schon deshalb vielfach als zutreffend angesehen werden wird, weil sein Aufsatz eine gute Kenntnis historischer Dinge verrät und z. B. ersehen läßt, daß er die verschiedenen Richtungen der Freimaurerei sehr wohl kennt. „Das englische System” , sagt Minor (S. 49), „das in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts zuerst nach Deutschland kam, wurde bald durch das französische verdrängt, das sich an Baron H und m it seiner strikten Observanz anschloß. Hier fühlte man sich nicht als Maurer, sondern als ritterlichen Nachkommen der alten Tempelherren; man redete nicht von Logen, sondern von Orden und errichtete über den drei maurerischen Graden noch eine ganze Reihe höherer . . . Diesem verwelschten System gegenüber führte der Schauspieldirektor Schröder unter Mitwirkung Herders die Hamburger Loge auf die ältere englische Sitte zurück: hier gab es keine Orden, sondern einen Bund oder eine Gesellschaft.” . . .

Aber trotz aller zutreffenden historischen Kenntnisse und E r­

kenntnisse können wir die allgemeinen Urteile Minors über W ert und Wesen der Gesellschaft nicht als richtig anerkennen. E r wirft allen den obengenannten „H errn” , und nicht bloß diesen,eine starke

(16)

Ü b e r s c h ä t z u n g der Freimaurerei vor. Es ist klar, sagt er, daß schon S c h i l l e r eine starke ,,Überschätzung ihrer Macht und ihres Einflusses” zu erkennen gegeben hat. Wieviel mehr nun alle die kleinen Geister, die sogar glauben, daß unsere führenden Männer an statt, wie der kluge Müller bezeugt, aus der N atur und der Ge­

schichte, aus Überlieferungen der Logen etwas empfangen haben?

Minor deutet an, daß die Logen eigentlich nur eine A rt von Kasinos gewesen sin d ; er beruft sich für dieseAuffassung auf Goethe.

„Das gesellige Moment” , sagt er, „h at Goethe auch sonst bei jeder Gelegenheit betont und bei seiner Aufnahme in die Weimarer Loge gar kein Hehl daraus gemacht, daß es allein das gesellige Gefühl sei, das ihn um die Aufnahme nachsuchen ließ.” . . . Die Richtigkeit dieser Auffassung geht (nach Minor S. 52) auch aus den gering­

schätzigen W orten hervor, m it denen K an t 1798 die ganze Frei­

maurerei abgefertigt h at: „Ehemals trieb man m it dieser Maurerei allerlei. J e tz t ist es wohl nur Zeitvertreib und Spiel.” Wie wäre es- m ithin denkbar — so deduziert der Herr Verfasser — daß ein stärkerer geistiger Einfluß von ihnen ausgegangen wäre ? „ D e n n d i e B r ü d e r s i n d n i e s c h ö p f e r i s c h e o d e r a u c h n u r f ü h r e n d e G e i s t e r g e w e s e n ” 1. „Die Freimaurerei ist — das darf man nicht vergessen — kein schaffender, sondern ein reproduzierender Spiegel” , mit anderen W o rten : geistige Werte, die etwa in der Freimaurerei sich gefunden haben oder finden, sind nur ein Spiegelbild, ein Schein, der dadurch entsteht, daß der Spiegel Bilder zurückwirft, die außerhalb seiner selbst sich befinden.

Schillers „Lied an die Freude” — sagt Minor — „ist zwar nicht aus den Logen hervorgegangen, aber von den Logen m it Be­

geisterung aufgenommen worden” . Und ähnlich steht es m it anderen angeblichen Beeinflussungen unserer Klassiker durch Vor­

bilder und Anregungen aus der Brüderschaft.

Bei der B etrachtung der Logen und ihrer Bedeutung erscheint dem Verfasser ein Vergleich besonders passend, den er auf wenigen Seiten zweimal wiederholt, nämlich der Vergleich mit den T u r n e r n . Der Vergleich an der zweiten Stelle wird allerdings dadurch etwas gemildert, daß in die gleiche Linie m it den Logen und den Turnern insofern auch Akademien gestellt werden, als diese nach Minor wie jene gleichsam nur die Erde zubereiten, in welche die Wissenschaft, d. h. die gelehrten Vertreter der Wissen­

schaft, ihre Samenkörner ausstreuen.

1 Der Satz ist von mir gesperrt worden. Der Verfasser.

(17)

1912 Der deutsche Neuhumanismus usw. 55 Große und edle Männer haben aus den Überlieferungen der Freimaurerei tatsächlich nichts empfangen. Wie wäre dies auch möglich gewesen, da, nach Minor, „ u n t e r d e n M ä n n e r n (die Freim aurer waren), d e r T o n m i t u n t e r r e c h t t i e f h e r u n t e r s a n k ” . Das kann man aus Schillers U rteil über die Freimaurerlieder erkennen. Denn von diesen Liedern hatte Schiller die denkbar niedrigste Meinung; er eifert wider den platten prosaischen Ton dieser Lieder, den er selbst — so bestätigt Minor — in einigen bei dieser Gelegenheit von G o e t h e gedichteten Sachen wiederfand. Damit ist nach Minor nicht nur der Beweis für den tiefgesunkenen Ton dieser Kreise erbracht, sondern auch dargetan, daß lediglich eine „mythenbildende Phantasie” an der Arbeit ist, wenn „die Herrn, die den Mund zu voll nehmen” , diese tiefgesunke­

nen Kreise m it unseren Großen in eine geistige Verbindung bringen.

Minor bedauert, daß „m an” , d. h. Außenstehende, zu denen er selbst gehört, aus der Literatur so wenig über die Mittel erfahre, deren sich die Logen zur Erreichung ihrer ebenfalls recht unklaren Zwecke bedienen. Näheres wisse man in dieser Beziehung eigent­

lich nur aus der Geschichte der Illuminaten, und da erfahre man dann, daß diese ein „ S p i t z e l w e s e n ” als Mittel gebraucht haben, das „in einzelnen Fällen ganz gute Dienste geleistet haben mag” . Als Prinzip aber — fährt er fort — wird man die Spionage nach gewissen Vorschriften, die an die polizeilichen Leumunds- noten erinnern, schwerlich gutheißen können.” Allerdings, das wird man schwerlich können! Es ist aber auch schwerlich wahr, daß die Logen, zu denen ja auch die Illum inaten gehörten, das S p i t z e l w e s e n und die S p i o n a g e zum Prinzip gemacht haben.

Ü berhaupt muß man auch hier wieder zu einigen Sätzen starke Fragezeichen machen. Die Behauptung (S. 54): „ S c h ö p f e r i s c h e o d e r a u c h n u r f ü h r e n d e G e i s t e r s i n d d i e B r ü d e r n i e g e w e s e n ” , enthält doch eine Verallgemeinerung, die einiges Erstaunen erregen muß. Es ist dem H errn Verfasser und wohl auch der Deutschen Rundschau bekannt, daß aus dem H a u s e d e r H o h e n z o l l e r n manche Mitglieder Brüder gewesen sind1. Ist unter diesen Brüdern kein einziger ein

„ s c h ö p f e r i s c h e r oder auch nur ein f ü h r e n d e r Geist gewesen ?” Ein hartes U rteil über so große Männer wie Friedrich

* Näheres in dem Buche von. Adolf Kohut, „Die Hohenzollern und die Frei­

maurerei“ . Berlin, Franz Wunder. 1909.

(18)

der Große und Kaiser Wilhelm I., die nicht bloß formell, sondern m it Leib und Seele Brüder waren, und ein sehr befremdliches Urteil gerade an der Stelle, an der es von dem Herrn Verfasser der literarischen W elt vorgelegt wird, nämlich in den Spalten der

„Deutschen Rundschau” .

U nd ebenso wie aus der Dynastie der Hohenzollern, so sind aus dem Hause der O r a n i e r führende Mitglieder Brüder ge­

wesen und nicht minder aus der e n g l i s c h e n D y n a s t i e , die seit Anbeginn bis auf König Eduard V II. der Brüderschaft viele regierende H äupter und Prinzen zugeführt hat. Gehörte etwa Kaiser Franz I., der im Jahre 1731 aufgenommen wurde, und H er­

zog K arl August von Sachsen-Weimar, der im Jahre 1780 mit Goethe beitrat, nicht zu den „führenden Geistern” ? Und wie war es m it den Königen von S c h w e d e n und D ä n e m a r k , die so zahlreich dem Bunde angehört haben ?

Nachdem Minor die Heroen unserer Dichtung durch seine Aus­

führungen von der Freimaurerei seiner Überzeugung nach losgelöst hat, begreift es sich, daß er geneigt ist, seine Ergebnisse zu verall­

gemeinern. Aber selbst, wenn diese Heroen ausscheiden, bleiben doch noch eine Anzahl erster Namen übrig, deren Loslösung vorläufig noch nicht gelungen ist. Schweigen wir einmal von E w a l d v o n K l e i s t , F i c h t e , S t e i n , S c h ö n , H a r d e n b e r g , B e y m e , S ü v e r n , B l ü c h e r , K ö r n e r , S c h a r n h o r s t , H e r m a n n v o n B o y e n , S c h e n c k e n d o r f f , J o h . S c h u l z e , J e a n P a u l , M o z a r t , R ü c k e r t, F r e i l i g r a t h , B l u n t s c h l i und anderen Männern. Wie war es denn aber m it V o l t a i r e und M i r a b e a u, mi t F r a n k l i n und W a s h i n g t o n , mi t WTa l t e r S c o t t und E m e r s o n . Is t es wohl zufällig, daß sämtliche Führer der Unab­

hängigkeitsbewegung der Union bis auf wenige Maurer gewesen sind, daß seitdem kaum einige der Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht Maurer waren ? K ann man von allen diesen und H underten von anderen Brüdern in Bausch und Bogen behaupten: „Schöpferische oder auch nur führende Geister sind die Brüder nie gewesen?”

5.

Nachdem der H err Verfasser nicht bloß die Führer unserer klassischen Dichtung, sondern a l l e schöpferischen und führenden Geister von der Brüderschaft abgetrennt hat, lohnt es — so sollte m an denken — kaum, die Frage der Staatsgefährlichkeit zu er­

örtern; denn wenn Brüder niemals schöpferische oder auch nur

(19)

1912 Der deutsche Neuhumanismus usw. 57 führende Geister gewesen sind, mithin wohl schwerlich je sein werden, wenn zudem ihr kasinoartiger Charakter und ihre Ähn­

lichkeit m it den Turnvereinen erwiesen ist, so ist wirklich kaum einzusehen, inwiefern sie imstande sein sollten, einen S taat im Staate zu bilden und in das staatliche Leben in irgendeiner wichtigen Richtung praktisch einzugreifen. Gleichwohl aber scheint es Minor richtig, diese Seite der Sache scharf zu beleuchten und die Art, wie er es tu t, könnte fast zu der Annahme verführen, daß der eigen­

artige Titel des Rundschau-Aufsatzes: ,, Freimaurer in Sicht im Sinne der Seemannssprache als Alarmruf gedacht ist.

Wir haben gesehen, daß Minor sich zur Begründung und zur Charakteristik seiner eigenen Auffassungen gern auf das U rteil Goethes beruft. Goethe gilt ihm anderweiten maurerischen Äuße­

rungen gegenüber als die A utorität, die am meisten zu beachten ist, so auch in der Frage nach der Stellung der Freimaurerei im Staate und zum Staate. „Während uns der Ehrengroßmeister der Hamburger Loge — gemeint ist Friedrich Ludwig Schroeder — ver­

sichert (sagt Minor S. 51), daß die Loge keinen S taat im Staate bilde und ebensowenig eine Religionsgemeinschaft vorstelle, sagt uns Goethe, als er sich 1807 in der Zeit der Befreiungskriege der Wiederherstellung der Loge in Jena widersetzte, das bestimmte Gegenteil: ,Die Freimaurerei m acht durchaus statum in sta tu ’.” .. .

„ J e tz t (aber) möchte Goethe niemals den R a t geben, sie (die Logen) einzuführen, sondern sie auch dort, wo sie schon bestehen, durch die Regierung unschädlich zu machen . . . man h ätte gar keine Auf­

sicht über eine so mächtige Korporation, die alle herrschaftlichen Beamten und öffentlichen Personen umfasse und deren politisches Gewicht Goethe jetzt auf einmal so groß erscheint, daß er ein gefähr­

liches anarchistisches Wesen fürchten zu müssen g la u b t... Goethe (aber) äußert sich in seinem G utachten auch ganz im allgemeinen über die Nützlichkeit der Logen, und schreibt ihnen eine günstige Wirkung eigentlich nur in den großen Städten und den kleinen Orten zu: dort wirken sie (er meint offenbar bildend und ver­

edelnd) auf die großen, rohen Massen; an kleinen Orten dagegen (er nennt dabei Rudolstadt) entwickeln sie sich zu einer angenehmen Form der Geselligkeit.”

Es ist klar, daß Minor hier gegenüber Schroeder den Goetheschen Anschauungen beipflichtet. E r bestätigt das, indem er bei der Besprechung von Herders Auffassung über die Ziele der F rei­

maurerei seinem Mißtrauen Ausdruck gibt. Herder hatte in seinen

5 Monataheft« der C. 6 . 1912

(20)

Freimaurergesprächen „die tätige Übung desVerstandes und Herzens, tätige Beihilfe und Veredelung, ja Erweckung und R ettung des Menschengeschlechts” als den Zweck des Bundes bezeichnet. Und hierzu bem erkt Minor an der Stelle, wo er die erwähnte Goethesche Auffassung wiedergibt: „Bei einem so allgemeinen und idealen Programm hing es natürlich von den besonderen Umständen der Zeit und des Ortes ab, w o m a n e s f ü r n ö t i g h i e l t , p r a k ­ t i s c h e i n z u g r e i f e n , u n d w a s m a n z u v e r e d e l n o d e r z u v e r b e s s e r n f ü r M a u r e r p f l i c h t h i e 11 1.”

Es ist zu bedauern, daß Minor die Umstände und die Zeit, unter deren Einfluß Goethes Äußerungen gefallen sind, m it keinem W ort berührt. Zwar erw ähnt er, daß Goethe die in Jen a beabsichtigte Verbindung m it Berlin für besonders bedenklich hält, daß aber gerade die Entwickelung, welche die Freimaurerei in Berlin ge­

nommen hatte, Goethes und K arl Augusts Urteil stark beeinflußt hat, erw ähnt er nicht. Goethe war — das betont auch Minor — ein Verehrer Schroeders und ein Anhänger der von diesem vertretenen Richtung der deutschen Freim aurerei2 und er bestätigte diese seine Stellung dadurch, daß er die unter seiner Leitung im Jah re 1808 neu eingesetzte Loge „Amalia” in Weimar keiner Berliner Großloge, sondern der Schroederschen Großloge in Hamburg als Tochterloge unterstellte. Sehr richtig h at denn auch Minor den tiefen Gegensatz charakterisiert, der zwischen dem „verwelschten System” der aus Frankreich stammenden Freim aurer-R itter und dem durch Schroeder und Herder erneuerten englischen System vorhanden war. Aber den tiefen und nachhaltigen Eindruck, den die Berliner Entwicklungen der Freimaurerei unter Friedrich Wilhelm II. und Wöllner in ganz Deutschland und natürlich auch in W eimar gemacht hatten, betont Minor nicht. Hier hatten sich die auf die Beherrschung der Krone und des Staates abzielenden und auf die Unterdrückung der reinen H um anitätslehre gerichteten Bestrebungen — Schiller h at diese Bestrebungen und ihre Gefährlichkeit in seinem „Geister­

seher“ geschildert — so deutlich gezeigt, daß Maurer wie Goethe und K arl August allen Grund hatten, d i e s e Richtung als „statum in sta tu “ zu bezeichnen und ihrer Ausbreitung entgegenzuwirken. Eben die Gefahr, daß diese Form der Frei­

maurerei in der älteren W eimarer Loge „Amalia” Fuß fassen könne, 1 Der Satz ist von mir gesperrt worden. Der Verfasser. * „Goethe hat zum Ruhme Schroeders gesagt, daß bei ihm der Hammer in den rechten Händen sei“ (S. 49).

(21)

1912 Der deutsche Neuhumanismus usw. 59 war schon im Jahre 1782, als deren Arbeiten eingestellt wurden,

den Gegnern dieser Form deutlich in den Gesichtskreis getreten.

Wenn Goethe und K arl August, also die beiden für die ruhige politische Entwicklung ihres Landes meist verantwortlichen Männer wirklich jede A rt von Logen für staatsgefährlich gehalten hätten, wie hätten sie dann im Jahre 1808 zur Wiedererrichtung der Loge

„Amalia” ihre H and bieten können — derselben Loge, der auf Anregung der Genannten von da ab Jahrzehnte lang die einfluß­

reichsten und besten Männer des Landes beitraten ? Gewiß hielten sie es für zweckmäßig, ein Vertrauensverhältnis zwischen der R e­

gierung und der Brüderschaft herzustellen und aufrecht zu erhalten, wie es eine kluge Verwaltung zu jedem M achtfaktor des öffentlichen Lebens aus guten Gründen sucht. Aber unter der Voraussetzung dieses V erh ältn isses h ab en K arl August und sein Minister der Loge vollste Freiheit gelassen und ihre W irksamkeit nicht nur nicht für staatsgefährlich, sondern als staatserhaltend angesehen.

U nd nicht bloß die beiden weimarischen Staatsm änner sind dieser Ansicht gewesen, sondern alle die Monarchen und Politiker, die wir oben genannt haben, sind bei ihrer H altung von den gleichen Gesichtspunkten ausgegangen. Und haben nicht m ehrhundert­

jährige Erfahrungen, die eine Reihe großer Staaten gemacht haben, die Richtigkeit dieser Haltung bestätigt ?1 Sind die Staaten, wo das englische System zur Ausbreitung gekommen ist, heute etwa in einer schlechteren Verfassung, als diejenigen Länder, die ihm ihre Tore verschlossen haben ?

6.

Es ist um so merkwürdiger, daß die Deutsche Rundschau sich entschlossen hat, einer derartigen Beurteilung der Freimaurerei Raum zu geben, weil andere angesehene deutsche Monatsschriften dieselbe Angelegenheit in neueren Zeiten von ganz anderen Ge­

sichtspunkten aus behandeln zu sollen geglaubt haben. Offenbar sind diese großen Zeitschriften von der Anschauung ausgegangen, daß bei der fortgesetzten Zuspitzung der politischen, sozialen und konfessionellen Gegensätze in unserem Vaterlande eine Geistes - richtung, die ihrer N atur und ihrem Wesen nach über diesen Gegen­

sätzen steht, ein wertvolles Element des Ausgleichs werden könne, 1 Wir haben darüber des Näheren in der Preisschrift behandelt: „Die geistigen Grundlagen der Freimaurerei und das öffentliche Leben.“ Jena, Eugen Diederichs, 1911. (170 S., Preis 2 M.)

5*

Cytaty

Powiązane dokumenty

Daß aber jede Erziehung nur dann wahrhaft charakterbildend wirken kann, wenn Eltern uhd Erzieher sich selber zu allererst in strengster Zucht halten, sich

folge des bekannten „Putsches“ vor A ntritt seines Amtes pensionierten David Friedrich Strauß. So kam es, daß Albert Lange in der Schweiz auf wuchs, was

renden Geistern dieser Gedankenwelt zutage treten, nicht ohne Nutzen für die Beurteilung der oben aufgeworfenen Fragen. Schriften, aus denen man sich über diese

einteilung einer „D eutschen A kadem ie“ wurde das nötige bereits gesagt. Wird heute noch jem and im Ernste Deutschland das Arm utszeugnis auszustellen wagen, daß

gedanke, die Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden, auch notwendigerweise in seinem letzten Ziel eine internationale brüderliche Vereinigung aller Menschen

Folgt schon aus dieser Erkenntnis die zwingende praktische Notwendigkeit, die metaphysische F rag e nicht abzulehnen, so zeigt Horneffer auch mit großem Geschick,

»Sie sind der erste Mensch auf der Welt gewesen, der mir das wahre Evange- lium gepredigt hat, und wenn Gott mir die Gnade erweist, mich zu einem Christen zu machen, so habe ich

Gibt es denn so etwas wie »Gleichheit«überhaupt, wie die Phrase der Revolution predigt? Darauf antwortet Pestalozzi: »Der Mensch ist schon in seiner Höhle nicht gleich; unter dem