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Geisteskultur und Volksbildung. Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Kultur und Geistesleben, 1920, 29. Band, Heft 2

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Geisieskultur und Volksbildung

M o n a ts h e fte d e r C o m e n iu s -G e s e lls c h a ft

H er a u s g eb er und Schriftleiter:

Ferd. Jak. Schmidt und Georg Heinz

INHALT;

T u c k e rm a n n , Der Ursprung der gotischen Dombauhütten in Isle de France K ek u le vo n S tr a d o n itz , Eine Akademie der

deutschen Sprache D e ip s e r, Faust II

Streiflichter — Rundschau — Bücherschau Zeitschriftenschau — Sprechsaal

29. Jahrgang Zweites Heft Februar 1920

Verlag von ALFRED UNGER in B erlin C2

(2)

C O M E N I U S - G E S E L L S C H A F T

F Ü R G E I S T E S K U L T U R U N D V O L K S B I L D U N G Begründet von Oeh. Archivrat Dr. Ladw i* K eller

Ehren Vorsitzend e r: Vorsitzender: Oeschäftsffihr. Vorstandsmitgl.: Generalsekretär:

Prinz zu Schenaich> P ro f. D r. Ferd. Jak. Schm idt A lfred U n ser Dr. G eorg H eins C arolath, Durchlaucht Berlin -Giunewald Veilagsbuchhärdler Berlin 0 3 4 Schloß Arntitz, Kr.Ouben Hohenzollemdamm 55 Berlin C2, Spandauer Str. 22 Warschauer Str. 63

D

ie M itgliedschaft w ird erw orben d urch E inzahlung des Jahresbeitrages von M. 15. — auf das K onto d er C .-G . bei d er M itteldeutschen C redit bank, D epositen kasse K, Berlin C 2 , K önigstraße 51; o d er auf das Postscheck-K onto der C .-G . N r. 2 1 2 95 beim Postscheckam t Berlin N W 7; o d er d u rch direkte Einzahlung bei d er G eschäftsstelle d er C om enius-üesellschaft, Berlin C 2 , S pandauer Str. 22; oder bei jeder B uchhandlung.

F ü r M itglieder aus den nachgenannten Staaten ist d er Jahresbeitrag festgesetzt wie folgt:

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D ie M itglieder d er Gesellschaft erhalten die Zeitschrift »G eisteskultur und V olksbildung*

k o s t e n l o s . D iese erscheint jährlich in 10 bis 12 H eften im U m fange von je 2 -3 Bogen.

D ie E inteilung in »Monatshefte für K ultur un d G eistesleben* u n d DM onatshefte für Volkserziehuug* entfällt vom neuen Jah rg an g ab. D ie Hefte sind auch einzeln käuflich zum Preise von M. 2.50.

D ie M itarbeiter erhalten drei Hefte als Beleg kostenlos "zugesandt. Bücher, die in

■Geisteskultur und V olksbildung“ besprochen w erden sollen, sind d u rch die Post oder auf B uchhändlerw eg (Leipz. K om m .: V olckm ar — B erliner Bestellanstalt) an d en V erlag o d e r an den Schriftleiter D r. G eo rg H einz, Berlin 0 3 4 , W arschauer Str. 63 zu senden.

P reise für Anzeigen in «G eisteskultur u n d V olksbildung* auf besondere A nfrage.

I N H A L T (Fortsetzung) S t r e i f l i c h t e r ...

R u n d s c h a u ... ... . 6 2 B ü c h e r s c h a u ... ...

,i

6 8

M ahrholz, D eutsche Selbstbekenntnisse -T ro e lts c h , D eutsche B ildung — Hasse, Das Problem des Sokrates bei Friedrich N ietzsche — N ato rp , D eutscher W elt­

beruf — A rnold, D ie G eschichte der alten K irche bis auf Karl den G ro ß en in ihrem Z usam m enhang m it den W eltbe­

gebenheiten — G öhre, D er unbekannte G o tt - Volkelt, Religion un d Schule - Blüher, In m edias res — Haas, M ani­

fest der V ernunft — Avenarius, H olbein- M appe des K unstw art - Richter, W eihe den W erktag - N eubert, G oethe und sein Kreis — Baesecke, D eutsche Philo-

logie - W rede, Rheinische V olkskunde - Engel, G utes D eutsch - D ähn, G roß=;tadtjugend - K ühnhagen, Die Einheitsschule im In- u n d A uslande - Kesseler, D as Lebenswerk der großen Pädagogen - R einfried, G eistig - sittliche E rneuerung und V olkshoch­

schule - N eum ann, Jakob Burckhardt, D eutschland u n d die Schweiz — H erbst, F ür M enschheitskultur! - H erbst, Vom W eltenbaum eister — Oesterwitz, W as sind O dd - Fellow - B rüder u n d was w oljen sie? — Meffert, Sozialistische E thik, K om m unism us, C hristentum . Z e i t s c h r i f t e n s c h a u ...

D eutsche M onatshefte für christl. Politik u n d K ultur - D ie Tat - V o rtru p p - D er unsichtbare Tem pel - Spanien -

Süddeutsche M onatshefte - Deutsches Volkstum — D as V olkshaus — Die V olkshochschulgem einde - D ie Saat.

Sprechsaal...

V e r la g v o n A L F R E D U N O E R , B E R L IN C 2, S p a n d a u e r S t r a ß e 22

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Geisteskultur und Volksbildung

M o n a t s h e f t e d e r C o m e n i u s - G e s e l l s c h a f t

Schriftleitung:

Prof. D r. F erd. Jak. Schm idt

B erlin - G ru n e w a ld , H ohenzollemdamm 55

O b erleh rer D r. G e o r g H einz

B erlin 0 3 4 W arschauer Straße 63

V erlag von A lf r e d U n g e r , B e r lin C 2

Spandauer Straße 22 Jährlich 1 0 -1 2 H efte

Preis für den Jahrgang M. 15. —

Einzelhefte H . 2.50 Bezugspreise fü r das Ausland

au f d er 2. Umschlagseite

29. Jahrgang Z w eites H eft Februar 1920

D E R U R SPR U N G D ER GOTISCHEN D O M BA U H Ü TTE N IN ISLE D E FRANCE

Von W . P. T u c k e r m a n n f

ie kunstgeschichtliche Forschung hat sich längst nicht mehr mit der allgem einen K enntnis der K unst- oder speziell der Bauwerke begnügt, mit der A ufnahm e, M essung, A ufzeichnung und Beschreibung der französischen Kathedralbauten des M ittelalters, bezw. des XII. Jahrh., sondern hat versucht, einzudringen in die in dividuelle Anteilnahm e der ersten Meister, Schöpfer und Pfadfinder, was hier um so w ichtiger erscheinen muß, als sich an den gotischen Baugedanken die regste W eiterarbeit der folgen ­ den Geschlechter ankniipft. Es ist kein zw eites Beispiel in der A rchitektur­

geschichte des letzten Jahrtausends nachzuweisen, wonach ein so bedeutender Baugedanke so unverm ittelt in die Erscheinung tritt, w ie die französische Früh­

gotik, bei einem noch ganz unaufgeklärten Dunkel der bew egenden U mstände.

Das ist um so seltsam er, als es sich doch n icht um eine fernste V ergangenheit, sondern um das uns näherliegende XII. Jahrhundert handelt.

Man darf die Forschung nach der Person eines Künstlers nicht unterschätzen, denn w enngleich die allgem einen Zeitverhältnisse auf das Programm eines Kunstwerks, nam entlich eines Bauwerks, sow ie auch auf die Bildung des Künstlers den größten Einfluß haben, so tritt doch seine eigene Individualität, seine ganz bestim m te Persönlichkeit und Auffassungsart bestim m end hervor, oft sogar gegenüber der A llgem einheit eigenartig en tw ickelt, w ie eine plötzliche Gottes­

offenbarung.

In allen Kunstgebieten sucht man daher solche mit dem N am en, mit der Person zu bezeichnende Ecksteine für den Aufbau der neuen K unstrichtung und K unst­

blüte, die das Recht besitzen, dieser R ichtung den Stempel ihres Namens aufzu­

drücken, den jedenfalls die K unstgeschichte aus der allgem einen Zeitwürdigung heraussondern m uß. Das ist ein Akt der Gerechtigkeit und W ahrheit, dem auch die übertriebene B escheidenheit der m ittelalterlichen Dom bauhütten sich nicht ent-

M onatshefte d er C. G. 1920. 4

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42 T u c k e rm a n n Heft 1 ziehen darf. W enn man bisher in diesem gerechtfertigten Aufklärungsstreben meist schon vor der Mauer, w elche die frührom anischen K losterbauschulen um schließt, halt m achen m ußte, so beklagt man es zwar, aber beugt sich in ehrender Aner­

k ennung vor der G esinnung und D em ut jener Meister, die absichtlich als Persön­

lichk eit verschw inden und nur als Glieder der Kirche, durch die Korporation ihres Ordens wirksam erscheinen w ollten , um die Kirche in allem als den alleinigen Geist, als die einzige Q uelle der Schönheit, als die Kraft und den Fortschritt zu zeigen!

W as aber bestim m te die Meister der folgenden K unstepoche, der sogenannten gotischen K irchenbaukunst, Laienbaum eister, die doch konstruktiv w ie künstlerisch in Form, Farbe und Bildgedanken ein dem früheren fast entgegengesetztes Neues boten, so ganz und gar im Dunkel der V erschw iegenheit zu verbleiben, daß fast alle Nam en jener K ünstler verloren gegangen sind, daß selbst die Geburtsstätte dieser K unst in V ergessenheit geriet und erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein Deutscher (M ertens) den Franzosen nachweisen m ußte, daß diese großartigste K unstbew egung nicht eine deutsche, sondern eine französische Erfindung sei, die nicht den Nam en „gotisch e“ , sondern „fränkische“ Baukunst führen müßte, wie sie tatsächlich zu ihrer Geburtszeit opus francigenum genannt ist. Das Interesse hierfür steigert sich um so mehr, als es sich nicht bloß um einzelne französische oder deutsche Meister handelt, sondern die neue, bald international sich ausbrei­

tende Kunstlehre ihre Pflege in festgegliederten Schulen fand, den Dom bauhütten, die v ielleich t schon seit dem Ende des XII. Jahrhunderts in Nordfrankreich, der (sie de France genannten, Paris als M ittelpunkt umfassenden Dom aine du roi bestanden haben, sicher aber seit dem Anfang des XIII. Jahrhunderts. W enn diese Behauptung ihren Bew eis erst im nachfolgenden finden wird, so muß doch auf die bekannte Tatsache schon hingew iesen werden, daß w enigstens in Deutschland das Bestehen der in Dom bauhütten organisierten Laienbaumeister später feststeht.

Eine alte Trierer Urkunde von 1397 veröffentlicht die Statuten der dortigen S tein­

metzbrüderschaft, und hochberühm t sind die Hütten von Straßburg, K öln, W ien und Bern, w elch e die Spitzen der vier Bezirke bildeten, in w elche das deutsche Reich für diesen Zweck geteilt war. Es ist also eine Tatsache, daß wenigstens in D eutschland die großen gotischen Kathedralen des M ittelalters durch die Dom ­ bauhüttenleute gebaut sind und nicht von den Steinm etzzünften, w elche seit dem Erstarken des städtischen Geistes in den Hauptstädten der Bistümer sich im Anfang des XIII. Jahrhunderts gebildet haben. Es ist ab er,fern er auch Tatsache, daß die dem gleichen Geist entstam m enden gotischen Dom bauten Frankreichs die älteren und ursprünglicheren sind, dem fränkischen Geist ganz und gar zugehören und som it auch auf die gleich e Art von Dom bauhütten als Geburtsstätten zurückzuführen sind, da D eutschland erst von Frankreich her befruchtet ist. Nur besondere politische V erhältnisse tragen die Schuld daran, daß sie in Frankreich niem als zu einer offen bekannten Organisation gelangt sind, so w ie die D eutschen, ja, daß sie frühzeitig w ieder ganz verschw inden. Um ihr W esen zu erkennen, möge zuerst der w ahrscheinliche Zusam m enhang der gotischen Laienarchitektur mit den klösterlichen Bauschulen beleuchtet werden, denn auch das ist eine Tatsache, daß die französische Frühgotik hauptsächlich den Erfahrungen der dortigen romanischen

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1 9 2 0 Der U rs pru ng der gotischen D o m b a u h ü tte n in Ilse de Fra nce 43 Klosterbauten ihre Anregung und Fortschritte verdankt. Der Hauptkenner der französischen Gotik, V iollet le Duc, w eist darauf hin, daß gegen Ende des X. Jahrhunderts die Abtei Cluny und ihre Dependenz, das Kloster Vezelay, den Ruhm einer Rettung der alten röm ischen Kultur auch im Bauw esen beanspruchen können. Ja, noch im folgenden Jahrhundert werden von hier aus alle Lehren der K unst und W issenschaft bis nach Spanien und Polen geholt. Aber die Blüte der Klöster wird zum Anfang des XI. Jahrhunderts durch die kulturell bedeut­

samste Erstarkung der Städte gebrochen, w ie Le Mans, Cambrai, Saint Quentin, Laon, Am iens, B eauvais, Soissons, Orleans, Sens, Reim s, deren Tendenz dahin gerichtet sein m ußte, für ihre städtischen Korporationen gegen die alles behindernde Übermacht der Klöster Selbständigkeit und Privilegienschutz zu erkämpfen. Ein Beispiel dafür bietet die Stadt N evers, die, trotzdem sie durch den dem Kloster Cluny geltenden Frem denverkehr ihre H auptvorteile genoß, sich dennoch gegen die K losterleute auflehnen m ußte und hierbei von dem Grafen von Nevers unter­

stützt wurde. Der Graf schw ört den Bürgern Treue und verspricht, sie als K om ­ mune anzuerkennen. Nam entlich infolge der Kreuzzüge erweiterten sich die Rechte der Städte. Aber auch das französische Königtum fühlte sich von der klösterlichen Macht, dem Besitz der toten Hand, überall beschränkt und trat auch auf die Seite ihrer Gegner. Als dritter Bundesgenosse verband sich dann noch mit der Souveränität und den Städten die Episkopalgeistlichkeit, die den w ach ­ senden Luxus der Klöster als unkirchlich ansah und in den w achsenden Städten die kirchliche Macht durch große, neu zu errichtende Kathedralbauten für den Gebrauch des Bürgertums rechtzeitig zur Entfaltung bringen 'wollte, und zwar in der Mitte der Städte, denn die alten Klöster lagen m eist inm itten ihrer Latifundien, außerhalb der Stadtm auern. Das XI. Jahrhundert führt überdies einen gew altigen U m schw ung der W eltanschauung mit sich durch die seit 1096 begonnenen Kreuz­

züge und die Kenntnis der hochentw ickelten Kultur des Orients. Der R ationalis­

mus verbreitet sich in der K irchenlehre, selbst unter den Häuptern der Kirche.

Man braucht bloß auf Abailard hinzuw eisen, der 1122 zwar auf dem Konzil zu Soissons verurteilt wurde, aber doch eine Schule gründete, der Männer wie Roger, Bacon, Albertus Magnus u. a. angehören. So m achte sich in allem ein Geist der Freiheit und des Fortschritts geltend. Man nim m t für die neuen Kirchenbauten die Program m bestim m ung auf, daß sie die Form großer Versammlungsräume für die Stadtgem einde anzunehm en hätten, um hier auch profane Beratungen abzuhalten, ja selbst um fröhliche Feste darin zu feiern. Man braucht som it weite, lichtvolle, gewölbte Räume mit einem geringsten Einbau von Vertikalstützen, was zu der die Gotik ganz besonders charakterisierenden Konstruktion führte, zu den außerhalb des Kirchenschiffs liegenden Strebepfeilern und den die G ewölbelast auf sie abstützenden Strebebögen. Immer aber kommt man bezüglich der Fortschritte des Baues zurück auf den Benediktinerorden, der im X . bis XII. Jahrhundert besonders durch seine burgundische Stiftung Cluny und V ezelay Europa kultivierte. Schon im XII. Jahrhundert entstanden um die reicheren K löster herum städtische A nsiede­

lungen mit freien Handwerkern, wie Gerbern, W ebern, Schm ieden, Zimmerleuten und Maurern, die zum eist durch das Kloster ihre Arbeit hatten, aber auch außer­

halb desselben Arbeit annahm en. So ließen die Zisterzienser ihre Außenarbeit 4*

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44 T u c k e rm a n n Heft 2 (M eliorationen) nur durch Laienarbeiter ausführen. Das gleiche Prinzip befolgten auch die geistlichen Ritterorden, w elche sich in Ritter, G eistliche und Laienser- vienten gliederten. Aber das XII. Jahrhundert bringt noch einen weiteren U m ­ schw un g gegen die Klösterkultur dadurch, daß neue Bildungsstätten außer den Klöstern sich auftun, w ie z. B. sich die U niversität Paris bildet. Als 1120 Otto, Sohn des Leopold von Österreich, in das K loster Morimond eintrat, schickte ihn der Abt nach der Pariser Universität. Ja, die Klöster bildeten bald in Paris ihre eigenen Filial-H och sch ulen . So baut Cluny dort seinen Pariser K onvent in St. Martin des Champs. Die alten Klöster dagegen wurden durch den Geist der Zeit in die feudale Ström ung hineingerissen, so daß sie selbst ihre Sitze mit Befestigungen versehen und fürstliche Absteigequartiere erbauen. Im Klosterleben nehm en sodann diesem H ochm ut entgegen die Dom inikaner und mit Franciscus von Assisi 1209 die fratres m inores im m er mehr die führende Stellung ein, unter dem Zurücktritt der Benediktiner, aber vergebens, denn es entw ickelt sich im XI. u. XII. J a h r ­ hundert das städtische Leben immer mehr, w ie z. B. 1138 Reims sich als K om ­ m une einrichtet, mit den immer gleichartig wiederkehrenden städtischen Bauten, einem großen Stadtturm, Beffroi, auf dem Markt, einer Kirche, einem Hospital und den M auerbefestigungen. N am entlich Flandern ist noch heute reich an derartigen alten Bauanlagen, w elche von Laienarchitekten gebaut sind. In den Städten schließen sich die Gewerkschaften zusam m en, so daß W erkm eister und Arbeiter Mitglieder einer Korporation sind. Und in diesen Kreisen der Laienm eister wirkt die angestachelte Konkurrenz, so daß der Ehrgeiz die Entfaltung der Persönlich­

k e it fördert.

Das sind nun die Verhältnisse, aus denen die ersten Dom baum eister hervor­

gehen, die ihre S tellung ebenso gegen die feindseligen K losterbauschulen, w ie auch gegen die neidischen Gewerkschaften schützen m üssen. W ie jede neue K u nstb ew egu ng zuerst nur von einem einzigen erfindenden Kopf auszugehen pflegt, der sie dann einem kleineren Kreise von Anhängern m itteilt, ehe sie weitere A n­

erkennung findet, so m uß dies auch bei der gotischen K unst um das Jahr 1140 stattgefunden haben und mag als der erste zielbew ußte A nw ender der Abt Sugerius angenomm en w erden1). Im Übrigen ist bekannt, daß die neue B aukunst als ein Geheim nis technischer und künstlerischer Art zuerst vom Vater auf den Sohn, b ezw .au f die engere Fam ilie übertragen ist und sich die die Schule bildenden A nhänger ihre Geheim nisse nur gegenseitig m itteilten. Das ist der erste A nfang des v ielb ezw ei­

felten, aber zw eifellosen H üttengeheim nisses. Dieses Zusam m enarbeiten in einem Verband, der ja auch dem Korporationsgeist der Zeit entspricht, ist hauptsäch­

licher Grund für die überaus sth n elle und überraschende E ntwicklung der gotischen J) Die technische B ildung d er Ä bte w ird auch aus einem Beispiel in E ngland e rh ä rte t, woselbst die A usbildung d er spätenglischen G otik, w elche den T udo rb o g en erfand und.

P erp en d icu lar-S til g en an n t w ird (a. c. 1330), au f den M eister W ilhelm von W ykeham zu rü ck ­ geführt w ird, der sp ä te r B ischof von W in ch ester w urde. Als B aum eister des Königs, dann als Bischof selbst bauend, fü h rte er eine R eihe von W erken aus, u n te r denen die H a u p t­

kirche zu W inchester die b ed eu te n d ste ist. In diesem Stil ist au ch die H alle im Schloß W estm inster und die G eorgskapelle des Schlosses W indsor 1350 von W illiam erb au t. In­

wieweit er der B au h ü tte an g eh ö rt hatte, ist allerdings n ich t b ekannt.

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192 0 Der U rs pru ng der gotischen D o m b a u h ü tte n in Ilse de F ra nce 4 5 K unst in den vielfach en , nunm ehr aufeinander folgenden K athedralbauten1). So umfaßt diese erste Blütezeit die Notre Dame de Paris mit ihrem Chor von 1 1 6 3 — 1 177, ferner die Kathedralen von Chartres, Laon, Sens und A m iens, so daß schon in der Zeit von 1 2 1 0 — 1230 die v o lle Beherrschung des Stiles eingetreten ist und die folgende Zeit nur noch die Verallgem einerung durchführt. So geht diese Kunst auch in die N achbarländer über, w eniger südwärts, besonders nord- und ostwärts und breitet sich außer in Spanien nam entlich in England und Deutschland aus.

Schon 1177 ward der Meister W ilh elm von S e n s nach England berufen, um nach dem Brand der Kathedrale von Canterbury die W iederherstellung des Chores in dem neuen Stil zu bewirken. Mit dem Bau der Kathedrale in Köln erfolgt ferner die hauptsächlichste Überführung der Gotik nach Deutschland (1 2 4 8 ) unter Be­

nutzung des Planes der 1220 begonnenen Kathedrale von A m iens als Vorbild.

In D eutschland zeigt sich in größerer Klarheit die gleiche Hüttenorganisation. Ihr G eheim abschluß dient vorerst der Bew ahrung ihrer Bauerfahrungen und Konstruktions­

regeln, dann der erfolgreichen Erziehung ihrer Bildhauer- und Steinm etzlehrlinge technisch und ethisch. Som it ist die Bauhütte neben der Arbeitsstätte eine Bau­

schule, in w elcher nam entlich für den Bildhauer bibelgeschichtliche und ethische Fragen behandelt w urden, w ie die Gleichartigkeit der sym bolischen Darstellung von m etaphysischen Gedanken in den Skulpturen der verschiedensten Kathedralen erweist. War der W erkm eister der Lehrer für die technischen Fragen, so möchte der geistliche Bauherr, der etwa als Ehrenm itglied eingeführte geistlich e Gelehrte für den Unterricht in der Philosophie gesorgt haben. Eine solche Verbindung mit der G eistlichkeit scheint zwar eine gewisse Strenggläubigkeit dieser Bauhütten zu gewährleisten, nichtsdestow eniger hat die weitverbreitete Häresie jener Zeit w ahr­

scheinlich schon um das Ende des XII. Jahrhunderts in Paris auch die Bauhütten ergriffen, die aber unter der sym bolischen Form ihrer Darstellungen keinen Anstoß erregt haben. W ahrscheinlich haben ferner die französischen Hütten schon damals mit ihren sonstigen Geheim lehren auch diese häretische Gnostik nach Deutschland m itgeteilt. Es findet sich ferner bei dieser Geheim lehre ein höchst wahrscheinlicher Zusam m enhang mit dem Gnostizismus der Tempelritter, wie ja auch eine fort­

laufende Tradition eine Verbindung derselben w enigstens mit den alten englischen Baulogen behandelt. So hochgehend zwar grade im XII. und XIII. Jahrhundert die hieratischen Anschauungen und Anforderungen der Päpste, z. B. Gregor VII., waren, so viel w eit verbreiteter war doch die Häresie, nam entlich in Südfrankreich z. B. bei den Albigensern und W aldensern, aber auch bis nach der Nordsee, nach Bremen, zu den Stedingern. Es sollen sich von alters her Reste gnostischer und m anichäischer Sekten erhalten haben, w elche die Laienpredigt forderten und das dogm atische K irchentum verwarfen, unter einem engeren A nschluß an die Bibel.

Auch bei den Templern wird dieser Gnostizismus die H auptsache ihrer Häresie gebildet haben, da man die Scheußlichkeiten, die der Prozeß von 1307 ihnen vorwarf, kaum glaubhaft finden kann. N am entlich galt bei ihnen die altgeübte

*) F ü r ihre schnelle, fast internationale V erb an d sv erb reitu n g findet m an a b e r nu r die Erklärung, daß diese B au h ü tten eine S tütze an einer ähnlich international zusam m en­

hängenden und w irksam en M acht fanden, wie es beispielsw eise der größte R ittero rd en w ar, als G egner d er klösterlichen M achtentfaltung, w orüber sp äter näheres au sg efü h rt w ird.

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46 T u c k e rm a n n Heft 2 Z ahlensym bolik der Gnostiker. Schon die Zahl der Stifter war auf 9 fest- gestellt. Nach neun Jahren konnten erst weitere A ufnahm en stattfinden. Die Zahl 3 spielt ferner eine große R olle, wie auch an den Gräbern der Tem pler nebst Kreuz und Schild das gleichseitige Dreieck angebracht ist. Auch in der sechseckigen Form ihrer K apellen, „der T em pel“ , w elche in kleinen A bm essungen m eistens zu neun Meter Durchmesser in jeder Kom m ende zu finden waren, wo neben den ritualen H andlungen die m itternächtlichen R itterkonvente abgehalten wurden, ist eine solche Sym bolik durchgeführt. Bekanntlich hatten Hugo de Payens und Gottfried von St. Omer 1118 den Gedanken gehabt, eine religiös­

kriegerische G enossenschaft zum Schutz der Pilger zu stiften. Der K önig Balduin genehm igte dies, bestritt auch zuerst ihren Unterhalt und gab ihnen eine W oh nu ng in seinem Palast, nahe der Stelle, wo der Salom onische Tempel gestanden hatr daher der Nam e Tem pler. Ihre K om m enden-Tem pel gehen jedoch auf Erinnerungen an die h eilige Grabeskirche hinaus. Auf dem Konzil zu Troyes 1128 erhielten sie ihre Regel mit den 3 A bteilungen der kämpfenden, geistlichen und dienenden Brüder. Bald zur höchsten Blüte gelangt, sind sie die m ächtigste Stütze der Päpste, von denen sie allein B efehle annahm en, denen sie allein unterstellt sind, ihren Intentionen mit den größten Opfern dienen, aber auch von ihnen Freiheiten aller Art b ew illigt erhielten. W as ihre angeschuldigte Häresie betrifft, so m ag dieser Vorwurf besonders auf Einflüsse der südfranzösischen Albigenser zurückzu­

führen sein. Nach Kugler „G eschichte der Kreuzzüge“ ist diese gefährliche Richtung des Ordens erst um das Jahr 1218 anzusetzen, als bei der Belagerung von Dam iette der unerträgliche H ochm ut des die Kurie vertretenden Kardinals Pelagius die Ritter empörte, wie auch die grausame Niederwerfung der Albigenser in der Schlacht von Muret 1213 viele Ritter bei ihren verw andtschaftlichen Beziehungen zu den Gemordeten aufs höchste verletzte. Beim Bau ihres großartigsten syrischen Schlosses „des Pilgerschlosses“ 1219 soll die häretische Geheim lehre eine große Rolle gespielt haben, doch wird dies w ohl nur auf den längst bekannten Gnostizismus mit seiner Z ahlensym bolik in Form und Bem essung der Räume Bezug gehabt haben.

Da näm lich die provinzialen K om m enden-Tem pel des Ordens schon früher Rück­

sicht genom m en hatten auf die gnostische Z ahlensym bolik, so wird man die Zeit der hauptsächlichsten baulichen Einrichtung in Frankreich 1150 auch als die Zeit der vollen A usbildung ihres ordensritterlichen Lehrgeheim nisses annehm en können.

Nam entlich in Paris spielen die frühen Templerbauten die, was bedeutungsvoll ist, zeitlich mit den ersten gotischen K irchenbauversuchen zusam m enfallen und 1 1 4 8 ausgeführt w urden, eine große R olle. Sie begannen damals auch mit einem sech s­

eckigen Tem pelbau (sechseckige Klosterkuppel), dessen Form wieder in einer Sechs-Pfeiler-Rotunde in einem prachtvollen bereits näher bekannten Erw eiterungs­

bau gotischen Stiles wiedererscheint. Dieser ist 1219 ausgeführt, und zwar in der gnostisch-sym bolischen Grundrißform des sechsspitzigen S tern es1). Da dieser

*) Als w eitere Belege w erden die T em p ler-K irch en von L ondon, begonnen 1185, b een d et 1240, un d Segovia in rom anischen F orm en vom J a h re 1204 (w ahrscheinlich schon älter) m it angeführt. In letzterem Beispiel ist die zw ölfeckige K losterkuppel m it einem m ittleren Schlußstein und d er A ltar in d er M itte d er O berkuppel von Interesse. Die drei A bsiden sind spätere U m bauten.

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Bau zeugnisgem äß gotisch war, so haben w enigstens in dieser Frühzeit der schon ausgebildeten Gotik die Ritter m it den französischen Bauhüttenleuten in Ver­

bindung gestanden. Das m uß auch später der Fall gew esen sein, denn die spätere K apellenverlängerung des Tem pels ähnelt so sehr dem Grundriß und der Bauform der 1 2 4 3 — 1251 erbauten hl. Chapelle, daß man den Baum eister der letzteren, den berühmten Pierre de Moritereau auch mit den Templern in Verbindung bringen möchte. W enn also die Tem pler, die ihrerseits gleich zeitig mit der Entstehung der Bauhütten in Paris und U m gebung Bauten ausführten, besonderes Interesse hatten, ihre Bauten durch Bauleute apsgeführt zu sehen, die A nhänger und Kenner ihrer geheim en Erfordernisse, nam entlich in der Zahlensym bolik, waren, so kann man auf einen Zusam m enhang der beiderseitigen Geheim lehren, nam entlich in der Richtung des Gnostizismus schließen, wobei die Ritter als die im Orient zu­

erst em pfangenden und früher eingew eihten die Bauhütten zuerst beeinflußt haben werden. Das sind allerdings nur V erm utungen, aber es knüpft sich so vieles zu ­ sam men, daß schließlich eine gew isse Sicherheit gew onnen wird. Man wird ein­

werfen können, daß die Ritter ja selbst in ihrer Organisation über eine große Zahl von Bauservienten verfügten, also ihre Bauten allein ausführen konnten. Aber, wenn dies auch sicherlich bei allen ihren m ilitärischen Bauanlagen, w ie auch bei dem großen Beffroi, der zum Pariser Tem ple gehörte, in A nw endung kam , so trat doch noch die künstlerische A usstattung in Frage, zu der die Bauservienten wohl nicht genügten. Übrigens wird allerdings auch ein Künstler aus ihrer Zahl mit Nam en genannt, Raym ond de Tem ple, der nach dem Sturz des Ordens als Baumeister beim Erweiterungsbau des Louvre eingestellt war. Immerhin hatten die Ritter verschiedene Interessen bei dem Zusammenarbeiten mit den H üttenleuten.

Umgekehrt hatten auch die letzteren das größte Bedürfnis der A nlehnung an den mächtigsten Orden, denn die m ächtigen Baukapitalien, die beispielsweise für die Pariser Kathedrale in den 50 Jahren von 1168— 1220 etwa 70 M illionen Franks betragen haben m üssen, konnten sicherlich nicht von den Kollekten oder Ablaß­

anweisungen des Episkopats zusam m engebracht sein, sondern verlangten den regel­

mäßigen W ochenlohn-Z uschuß eines großen Bankhauses. An w en konnte man aber in jener Zeit als Geldgeber anders denken als an den Ritterorden, das größte international organisierte Bankhaus, das w ohl auf Befehl des Papstes behufs För­

derung des Baues der antim önchischen Kathedralen das Geld hergab. Noch an eine andere nicht m inder schw ierige technische Situation wird man aus der Zeit der Frühgotik denken müssen, näm lich, w ie die neuen Bauhütten-M eister ihren Ausführungen und Anforderungen bei der m achtvollen Entfaltung der Bauten in den ersten 60 Jahren gerecht werden sollten, um die richtige Zahl der Steinm etz­

gesellen zu beschaffen. J\lan kann berechnen, daß für die ersten Kathedralbauten von Isle de France in einer Zeit von 20 Jahren mehr als 1000 geübte Steinm etz­

gesellen nötig waren, Handwerker, nicht Künstler. W o aber stand eine solche Zahl freier Arbeiter zur Verfügung, zum al die Klöster sich zurückhaltend, selbst feindselig verhielten? W o anders als beim Orden der Templer, der seine große Zahl von Bauservienten zu Verfügung hatte. Die Templer hatten in Syrien groß­

artige Schloßbauten ausgeführt, Tortosa, Safita, A reym eh, Toron und besonders A thlit, sie besaßen ferner, w ie schon erwähnt, sehr viele Kom menden mit Land­

1920 Der U rsprung der gotischen D o m b a u h ü tt e n in Ilse de F ran ce 47

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48 T u c k e rm a n n Heft 2 besitz, n icht bloß in Frankreich, sondern in ganz Europa, hatten also hierfür eine große Bauverw altung nötig, und das alles in einer straffen zentralisierten Organi­

sation mit vielen anderen kaufm ännischen A bgliederungen, bei ganz internationaler Verbreitung für Kriegsrüstung und Transportfahrten, für Handel und nam entlich G eldgeschäfte, schließ lich auch für ihre eigene Landwirtschaft. Ihre Macht war so bedeutend, daß selbst, als sie in Syrien besiegt, ihren Sitz 1291 nach Paris verlegten, sie noch 3 0 0 0 0 Angehörige zählten und ungem essene Schätze mit sich führten, w elche die Lüsternheit der Krone w eckten.

Inw iew eit sie ihre sechseckigen K apellenbauten eng an das Vorbild des heutigen Grabes angeschlossen haben, kann nicht mehr festgestellt werden, denn dieser Bau war im XII. Jahrhundert in Gestalt eines Rundbaues nach V iollet le Duc und Kugler mit kegelförm igem , oben offenem Holzdach. Es ist dies ein hoher, oben abgestum pfter K egel, der grade über dem heiligen Grabe, w elches als kleiner runder Freibau nach Abarbeitung d es Felsenbodens, in dem es sich eingeschlossen befunden hatte, nicht besonders hoch hervortrat, sein O berlicht bildete. Dagegen finden sich für die sechseckige Form der T em plerkapellen, die Tem pel, Beispiele in Paris, Metz, Laon, Segovia u. a. Es sind sechsseitige K loster-K uppelgewölbe, in denen sieh sechs Zylinderabschnittsflächen von der Seite zur Mitte zusam m en­

biegen und in einem m ittleren Schlußstein zusam m enfallen. Die Form solcher zu jeder K om m ende gehörenden Tem pel folgt vielleich t am meisten der gnostischen Sym bolik. Zweierlei Rem iniszenzen an die heilige Grabesstätte scheinen jedoch die Templer überall mit sich geführt zu haben, um sie als gem einsam es A b­

stam m ungszeichen in allen Kom m enden zu wiederholen, das ist die sechseckige Form, die in einem noch nicht aufklärbaren inneren Zusam m enhang mit der heiligen Grabeskirche gestanden haben muß, und eine kreisrunde Platte als Er­

innerung an den innersten runden Grabesbau unter dem Oberlicht. Vorläufig muß dieser letztere Zusam m enhang noch als eine Konjunktur gelten, die aber durch ein m erkwürdiges Bild eine nähere B estätigung und Erklärung findet, wobei noch w eiter als A nnahm e zugefügt werden möge, d aß die runde Platte in den Tem peln die Mitte des sechseckigen Plattenfußbodens gebildet habe.

Es m uß näm lich behauptet w erden, daß die beiden K upferstiche von Dürer und Beham , beide mit der B ezeich n un g „M elan ch olie“ , die Bauhüttenlehre, so­

w eit sie w enigstens die Nürnberger D om bauhütte betrifft, behandeln, auf denen zugleich jene gem einsam en Tem pel-Zubehörstücke mit zur Darstellung gelan gt sind, in dem Dürerschen M elancholie-K upferstich mit dem vollständigen Inhalt der dem Tem pler-G nostizism us verw andten ethischen Hüttenlehre, bei Beham mit dem H auptteil derselben. Durch diese folgende Erklärung der beiden Kupfer­

stiche der sogenannten „M elancholie“ soll erhellen, einerseits der Bew eis, daß die Bauhüttenleute, was Zweifler verneinten, ein H üttengeheim nis ethischer Lehr- w eise besaßen und nicht bloß konstruktiv technische U nterweisungen, und zw eitens, daß sie in einem gew issen, geheim gehaltenen Zusam m enhange mit dem Tem pler- Orden standen, an w elche Verbindung sie noch 2 0 0 Jahre nach dem Sturz des Ordens sich erinnerten.

(Schluß im n äch sten H eft.)

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1920 v. Stradonitz, Eine A kadem ie der deuts chen Sprache 49

EINE AKADEM IE D E R D EUTSC H EN SPRACHE

Von Dr. S t e p h a n K e k u l e v. S t r a d o n i t z

n D eutschland fehlt es bisher an einer selbständigen, von den Akademien

„der W issenschaften“ , als solchen, unabhängigen, den gleichen Zwecken, w ie die „Acad6m ie Francaise“ in Frankreich, dienenden, „Deutschen A kadem ie“ . Bereits E m i l d u B o i s - R e y m o n d träumte sie und hat die Bahnen in seiner Rede vom 26 . März 1874 über eine „A kadem ie der deutschen Sprache“ vorgezeichnet.

Sieht man unbefangen zu und vergegenw ärtigt sich, daß die verschiedenen in D eutschland bestehenden Akadem ien der W issenschaften ihrem W esen und ihrer Zusammensetzung nach „allgem ein e“ sind, so wird sofort deutlich, daß sie zur Lösung von Aufgaben, wie sie einer „D eutschen A kadem ie“ zufallen würden und m üßten, nicht befähigt sein können. Die Aufgaben einer Akadem ie d e r W i s s e n ­ s c h a f t e n sind von denen einer Akadem ie d e r S p r a c h e ihrem W esen nach verschieden und müssen verschieden sein. Diese V erschiedenheit wird am besten gekennzeichnet durch den Gegensatz der W orte: Inhalt und Form. Die Aufgabe einer „A kadem ie der Sprache“ ist die Festsetzung der äußeren Gestalt der Sprache.

„Soll man von R einheit und R ichtigkeit der Sprache reden können, so muß diese allgem ein gültig festgestellt sein ,“ sagte du Bois-Reym ond damals mit Recht.

Diese allgem ein gültige Feststellung besorgt für das Italienische die Accademia della crusca, für das Spanische die Spanische, für das Französische die Französische Akademie.

In diesen Akadem ien sitzen und in eine solche Akadem ie der Sprache gehören Männer, die in eine Akadem ie der W issenschaften, in eine Akadem ie von Gelehrten, nicht passen w ürden, und umgekehrt.

Endlich sind auch die Aufgaben, die sich die Akadem ien der W issenschaften in Deutschland gestellt haben und deren Lösung sie in erster Linie anstreben müssen, so gew altige, daß nicht abzusehen ist, woher von ihnen die Zeit und die Kraft und die Mittel genom m en werden sollten, auch noch die gleichfalls gew altige Aufgabe, die einer Akadem ie der deutschen Sprache zufallen würde und müßte, in Angriff zu nehm en und zu lösen.

Das deutsche Volk, diesen Begriff im weitesten Sinne verstanden und alles, was deutsch spricht, umfassend, bedarf einer allgem ein gültigen Feststellung der äußeren Gestalt seiner Sprache auf das dringendste. Gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Inangriffnahme dieser Aufgabe v ielleich t erreichbar. Ist sie aber erreichbar, so muß sie erfolgen. Jeder Gebildete hat den schreienden Übelstand schon empfunden, der darin liegt, daß man zwar ganz bestim mt gew isse Dinge als Fehler gegen die R echtschreibung, als Sprachfehler oder als Satzbaufehler bezeichnen kann, daß man aber in einer Unzahl von Fällen nicht w eiß, was richtig ist. „N ach wie vor haben w i r ... für die gangbarsten W orte mehrere Schreibweisen, für viele Zeitwörter zwei Arten von Beugung ohne allgem ein anerkannte Regel für den Gebrauch“ , bemerkte du B ois-R eym on d treffend. Es ist noch heute, nach 45 Jahren nicht viel anders. Jeder Gelehrte, jeder Schriftsteller, jede Zeitschrift

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50 v. Stradonitz Heft 2 haben eigentlich ihre eigene Rechtschreibung. N icht besser steht es m it der A us­

sprache. Es ist noch genau w ie dam als, als du Bois-R eym ond sagte: „M it seltenen Ausnahm en spricht jeder D eutsche, w ie ihm der Schnabel gew achsen ist. N icht bloß jede Landschaft besteht in Aussprache, W ortbildung und W ortfügung auf ihren E igenheiten, sondern jeder einzelne hat dergleichen von Eltern, Pflegerinnen überkommen oder selber sich ausged ach t.“ Selbst die Bem ühungen zur Festsetzung einer „Bühnensprache“ sind in den A nfängen stecken geblieben. Und nun gar die Klarheit des Ausdrucks und der Satzbau! Treffen die W orte du Bois-R eym onds nicht noch heute auf die Mehrzahl der D eutschen zu: „W ir sind schon sehr zu­

frieden, wenn der Ausdruck den Gedanken ungefähr deckt, und auf einen kleinen Denkfehler kom m t es nicht an ,“ und: „H and in Hand mit der G leichgültigkeit gegen die formale Seite der Sprache geht bei den Deutschen die Vernachlässigung des S tils“ ?

Ist das ein Zustand, der eines großen und edlen Volkes würdig ist? Schlagend antwortet auf diese Frage du Bois-R eym ond: „H undert Jahre nachdem der junge Goethe w ie der leuchtende Gott der D ichtung unter uns trat“ ... müssen wir uns „vor dem A uslande unserer sprachlichen Zustände schäm en, die eines großen K ulturvolkes unwürdig sind und uns auch wirklichen Nachteil bringen.“ Unter diesen N achteilen führt er treffend an, daß diese Zustände w esentlich dazu bei­

tragen, „den Fremden das Erlernen unserer Sprache zu verleiden und ihr den W ettstreit als W eltsprache mit Englisch und Französisch unm öglich zu m achen“ ; ferner, daß „d ie auffallende Fehlerhaftigkeit des deutschen Druckes im Vergleich zum englischen und französischen, w ie Sachverständige versichern, zum Teil darauf beruht, daß der deutsche Setzer nicht bloß die deutsche R echtschreibung im Kopfe haben, sondern auch die seines jedenm aligen Autors beachten m uß“ .

Das ist aber nur ein Teil der Aufgabe.

Durch den W eltkrieg und seine Folgeerscheinungen haben die V erdeutschungs­

bestrebungen, die Bem ühungen, die deutsche Sprache von entbehrlichen Fremd­

wörtern zu reinigen, entbehrliche Fremdwörter durch deutsche W ortbildungen zu ersetzen, solche im Bedarfsfalle zu erfinden, an Kraft und A usdehnung w esentlich gew onnen.

Nach dem V orausgeschickten ist es nun nicht schw er, einer „D eutschen A kadem ie“

ihre Aufgabe vorzuzeichnen. Es ist die F e s t s t e l l u n g d e r ä u ß e r e n G e ­ s t a l t d e r d e u t s c h e n S p r a c h e . Sie hätte vor allem ein W örterbuch der deutschen Sprache nach dem Muster des „Dictionaire de l’A cadem ie Francaise“

zu schaffen, in dem die R echtschreibung und die richtige Aussprache allgem ein gültig festgestellt, unschöne W ortbildungen ausgeschieden, falsche Satzbildungen und Redew endungen als solche gekennzeichnet, passende Verdeutschungen für ent­

behrliche Fremdwörter angegeben würden. Auch die Anlage dieses „D ictionaire“

ist m ustergültig, die die Fremdwörter und ihre „Ü bersetzung“ in die Landessprache in einen Ergänzungsband verw eist. Da aber die Sprache nicht ein D ing ist, das durch eherne, unveränderliche, feste Gesetze gebunden werden kann, da sie etwas Lebendes, B ew egliches, Fließendes, sich in steter Entwicklung Befindliches ist, so müßte die „D eutsche A kad em ie“ , wenn erst das W örterbuch fertig vorliegt, durch ständiges W eiterbauen und W e arbeiten, durch Veranstaltung von entsprechend

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1 9 2 0 Eine A kadem ie der deuts chen Sprache 51 veränderten und verm ehrten N euauflagen, diesem Leben der Sprache gerecht werden.

Mehr kann ein derartiges Gesetzbuch der Sprache nicht leisten. Aber die „D eutsche Akadem ie“ , die dieses Gesetzbuch zu schaffen hätte, kann mehr.

„D ie äußere A nerkennung literarischen Verdienstes durch A ufnahm e in die Akademie und durch Preise würde . . . u n f e h lb a r ...W etteifer in richtiger und schöner Behandlung der Sprache erwecken, und allm ählich dahin führen, daß die schm ähliche G leichgültigkeit gegen die Form der Rede und die barbarische Geringschätzung stilistischer Bem ühungen einem Streben nach V ollkom m enheit und einem Gefühle für nationale Würde auch in diesen Dingen w eiche,“ sagte du Bois- Reymond, und das ist unbestreitbar richtig. Die „D eutsche A kadem ie“ müßte dem ­ nach durch das Verleihen von Preisen für besondere Schönheit der Form an die Verfasser von deutschen Schriftwerken aller Art den Trieb wecken und fördern, auf die Schönheit der Form erhöhten Wert zu legen. Sie würde damit von selbst den Sinn dafür auch in weitesten Kreisen verbreiten. Ihr bloßes Bestehen würde schon in diesem Sinne wirken durch die jedem , der mit der Feder tätig ist, ge­

währte Aussicht, als Siegespreis einen Sitz in ihr oder wenigstens die Auszeichnung einer „angegliederten“ (ausw ärtigen) Mitgliedschaft, zu erlangen. Daß das Be­

stehen einer großen Akadem ie der Sprache einen derartigen Einfluß tatsächlich ausübt, zeigt das Beispiel Italiens, Spaniens, Frankreichs.

Es wäre ungereimt, behaupten zu w ollen, das sogenannte „schön e“ Schrifttum der Deutschen stände dem „schönen Schrifttum “ der genannten Länder hinsichtlich der Form der Sprache im großen und ganzen nach. Aber es ist nicht das, worum es sich handelt. N icht darum kann es sich handeln, zu erstreben, daß in dem

„schönen Schrifttum “ Deutschlands mehr W ert als bisher auf die Schönheit der Sprache gelegt wurde. Daß das „schön e“ Schrifttum der Schönheit der Sprache nicht entraten kann, w eiß jeder bessere Schriftsteller in D eutschland so gut wie ein anderer. Aber es ist ebenso unleugbar, daß z. B. die französischen Gelehrten, wie du Bois-Reymond anerkennt, „stets große Sorgfalt auf die Form ihrer W erke ge­

legt haben,“ daß die französische Presse das gleiche tut, daß die meisten Kreise in Frankreich die Schönheit der Sprache w ohl zu würdigen wissen. Alles das ist in Deutschland leider in viel geringerem Grade der Fall. Daß dem in Frankreich so ist, ist aber ohne jeden Zweifel zum größten Teil eine Folge des Bestehens und W irkens der Academ ie Francaise.

Es verlohnt sich, zuzusehen, wie eine „D eutsche A kadem ie“ zusam m engesetzt und eingerichtet sein müßte, um diese Aufgabe zu erfüllen.

Die französische Akademie hat vierzig Mitglieder, die spanische deren sechs­

unddreißig, die „der Crusca“ zu Florenz deren zweiundvierzig. Legt man die Zahl vierzig zugrunde, so würde man alles vereinigen können, was in Deutschland mit Fug der Aufnahm e wert erscheinen müßte. Vier Gruppen von Männern gehören in eine solche Akadem ie. Die erste Gruppe (ungefähr 10) hätte eine Anzahl der hervor­

ragendsten deutschen Schriftsteller zu umfassen. Die zweite (ungefähr 20) eine Anzahl von gelehrten Männern aller W issenschaften und aller Berufe, die sich durch besondere Schönheit der Sprache in Wort und Schrift auszeichnen. Die dritte und vierte Gruppe (jede ungefähr je 5) hätte die Gelehrten der deutschen Sprache und die der Geschichte des schönen Schrifttums zu enthalten.

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52 v. Stradonitz Heft 2 Von diesen vierzig Mitgliedern müßten zw anzig in Berlin und U m gegend w ohnen, zw anzig über das übrige Gebiet des neuen deutschen Freistaates verteilt sein. Das wären die „ordentlichen“ Mitglieder. Hinzu könnte eine höchstens ebenso große Zahl von „außerordentlichen“ (angegliederten; auswärtigen) Mitgliedern treten.

Die Herausgabe des W örterbuchs m üßte durch einen besonderen von der Akadem ie aus ihrer Mitte gew ählten A usschuß erfolgen. In Paris besteht dieser Ausschuß aus sechs Mitgliedern. Die Besetzung freiwerdender Stellen der Akadem ie m üßte unbedingt durch W ahl erfolgen. Die erste Ernennung der säm tlichen Mit­

glieder allerdings auf andere W eise.

Ein H indernis erheblicher Art, auf das eine Festlegung der Sprache stoßen könnte, ist dieses: zur W irksam keit eines Gesetzes gehört immer zw eierlei. Es muß einmal des Gesetz selbst da sein. Es m uß ihm andrerseits die Kraft eines Gesetzes b e i­

gelegt sein.

Das wäre nur zu erreichen, wenn die „D eu tsch e A kadem ie“ vom neuen deutschen Freistaat gegründet wird. Leider war es bisher schwer glaubhaft, daß es hätte gelingen können, die säm tlichen bisherigen Bundesstaaten D eutschlands für den Gedanken der „D eutschen A kadem ie“ zu gew in n en . N och schwerer wären sie w ohl dazu zu bringen gew esen, sich schon bei der Gründung und auf einm al für alle ihre Behörden und ihre säm tlichen Schulen der Entscheidung einer solchen A kadem ie zu unterwerfen. Eine bloße „Preußische Akadem ie der deutschen Sprache“

hätte das Ziel kaum erreichen können. Geistreich und treffend sagte über diesen Punkt du Bois-R eym ond: „D ie Hindernisse, auf w e l c h e ... eine Akadem ie der deutschen Sprache bei Lösung ihrer A ufgabe noch immer stoßen würde, sind nicht zu gering, aber auch nicht zu hoch anzuschlagen. Ihre M itglieder wären ebenso v iele Verkünder ihrer E ntscheidungen. Sie geböte schon über m ächtige Mittel, w e n n ... w issenschaftliche, politische, städtische Körperschaften, gelehrte und literarische Vereine, Buchdrucker und Verleger, die höhere Tagespresse, vor allem die Schulbehörden ihr m it gutem W illen entgegentreten. Der Beistand der R eichs­

und der preußischen Behörden wäre ihr gew iß, die Behörden der anderen E inzel­

staaten würden den ihrigen kaum versagen. Ein sehr großer T eil des literarischen D eutschlands wäre auf diese W eise umfaßt, in w elchem die Akadem ie den formalen Teil ihrer Aufgabe, Kodifikation der Sprache, sicher durchführen könnte.“

Das ist alles heute noch mehr oder w eniger wahr! Bei der Zweihundertjahrfeier der Akadem ie der W issenschaften zu Berlin ist die Zahl der M itglieder der „p h ilo­

sophisch-historischen K lasse“ , dieser gelehrten Körperschaft, um drei vermehrt worden mit der Bestim m ung, daß diese, drei Sitze vorw iegend mit „G elehrten der deutschen Sprache“ besetzt werden sollen, unter besonderer Betonung der Aufgabe der Akadem ie, die deutsche Sprache zu pflegen. Das bekannte G ytachten der Akadem ie in der Verdeutschungsfrage hat aber schlagend bew iesen, daß die „A kadem ie der W issen­

schaften“ , oder ihre „philosophisch-historische K lasse“ , in ihrer jetzigen Zusam m en­

setzung für die Erfüllung der oben näher um schriebenen Aufgaben nicht geeignet sind. Du B ois-R eym onds geistreiche A nregung fiel seinerzeit auf dürren Boden.

N am entlich die Akadem ie der W issenschaften verhielt sich ablehnend. Noch zehn Jahre später verspottete Mommsen die „D eutsche A kadem ie“ als das „M ediokritäten­

bouquet“ , das „eine nur aus Berliner Poeten zusam m engesetzte A kadem ie bieten

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1920 Deipser, F au st II 53 dürfte", in dieses W itzw ort das große Bedenken kleidend, ob die geeigneten Männer in genügender Zahl i n B e r l i n vorhanden wären. Dieser Einwand sollte eigentlich keiner W id erlegu ng bedürfen.

Vor allem handelt es sich nicht um eine bloß aus „B erlinern“ , noch weniger um eine bloß aus „P oeten “ zusam m enzusetzende Akadem ie. Über die Gruppen­

einteilung einer „D eutschen A kadem ie“ wurde das nötige bereits gesagt. Wird heute noch jem and im Ernste Deutschland das Arm utszeugnis auszustellen wagen, daß sich nicht zw anzig Männer, geeignet zu dieser hohen A ufgabe, fänden, die opferwillig genug wären, ab und zu nach Berlin zu einer Sitzung zu reisen? Wird jemand im Ernste das geistige Leben Berlins, die w issenschaftlichen A nstalten, die A kadem ie der W issenschaften, die H ochschule, so niedrig bewerten, daß sich nicht in Berlin andere zw anzig Männer fänden, denen man die Festsetzung der richtigen Form der deutschen Sprache anvertrauen kann? Und schließlich fiele doch die Hauptarbeit dem von der Akadem ie zu wählenden Ausschüsse für das Wörterbuch zu. Der Einw and, es fehle an geeigneten Männern, ist gew iß gegenstandslos. Das letzte erhebliche Bedenken: die bew egliche Sprache vertrage keine sie versteinernde Gesetzgebung, wurde schon vorhin widerlegt.

Groß ist das Ziel und es ist erreichbar: erreichbar mit verhältnism äßig geringen Mitteln. Als der Schreiber dieser Zeilen im Jahre 1901 für eine „A kadem ie der deutschen Sprache“ eintrat und seine Arbeit dem bekannten Ministerialdirektor F r i e d r i c h A l t h o f f unterbreitete, sagte ihm dieser: „D iesm al sind Sie auf einem falschen W ege“ . Der deutsche B e a m t e n s t a a t sträubte sich eben gegen die Erkenntnis der N otw endigkeit und der M öglichkeit der Durchführung.

Jetzt ist die Stunde g ek o m m en ! W ie einst der W iederaufstieg des niedergeworfenen Preußens in der Befreiungszeit vor jetzt dreiundeinhalb M enschenaltern mit der Stiftung der Berliner H ochschule einsetzte, so m uß jetzt die W iederaufrichtung des niedergeworfenen D eutschlands mit der Stiftung der „A kadem ie der deutschen Sprache“ beginnen. Die Regierung, die sie errichtet, wird sich ein w eithin sicht­

bares, dauerndes, unvergeßliches Denkm al se tz e n !

FA U ST II

Vom gotischen Z im m er zu r klassischen W alpurgisnacht. (E ine B etrach tu n g ) Von Oberlehrer E . l i s e D e i p s e r

inter Faust liegt der erste Kreis des Genießens, hinter ihm der erste Kreis des Versuches zur Tat. Noch weniger als einst wird er in das gotische Zimmer gebannt bleiben können. Noch andere W and­

lungen werden auf ihn warten. Noch vergangener ist das V ergan gen e:

Ein Insektenchor entschwirrt dem Pelzm antel. Aber dann! Einst verließ ein werdender Student von W eisheitssprüchen zerknickt das dunkle Ge­

mach: Heute kehrt ein M usensohn dem Teufelsschalk naiv den Rücken: „D ie W elt, sie war nicht, eh ich sie schu f“ . . . W ie klangs im Genienchor des Ein­

gangs? „Leise bist du nur um fangen— Schlaf ist Schale, wirf sie fort“ . . .

(16)

54 Deipser Heft 2 Und w enn M ephisto diesem Stürmer nachruft: „Original, fahr hin in deiner Pracht“ — so liegt darin nicht nur eine tiefe Ironie, sondern — unbew ußt dem Sprecher — eine tiefe A nerkennung aller Jugend, eine Preisgabe aller K leinheit und H ohn, w ie sie in W agner Gestalt gew innen, w enn er aus Apparaten und M ischungen seines Mittelalters einen M enschen zu kristallisieren glaubt. Die historische Tatsache dieses W ahns mag belustigen, als Dichterausdruck ist das Moment hinreißend ernst: Der Philister gebärdet sich schöpferhaft, Instrumente sind ihm Naturkräfte. Das Produkt aber jenes Experim ents heißt H om unculus, der kleine M ensch, der Puppenhafte und dennoch Übersteigerte, der in eine Glas­

kugel E ingeschlossene, die große W elt dennoch Erspürende! Der Nachkom m e, die Fortsetzung W agners? Spitzfindigkeit und Enthusiasm us des alten Gelehrten, zur Spitze getrieben, m ußten das wundersam e, lächerliche W esen erzeugen, das aus Groteskem und U nheim lichem erstaunlich Gemischte, schw ach und hochbegabt.

Faust durchdringt er mit einem B lick: „B edeuten d !“ In Mephisto wittert er augenblicklich die verbrauchte Luft einer rom antischen W alpurgisnacht — feuchte Gründe, m ächtige H öhlen, verschw om m ene Gestalten. Über dem Schlafenden schw ebt er und begreift, daß ihm die große zweite Seite des Erlebens fehlt: Die gestaltvolle K larheit nach dem m aßlosen Sichverlieren an die W elt des Dämmerns und Schw eigens. Und w eil es nun einm al so ist, daß der Süden einer helleren Luft den Zauber hohen Frohsinnes verdankt und weil darüber hinaus der reisende Goethe an jonischen Tem peln und Renaissancegärten wirkliche Offenbarungen erlebte, so mag der ganze A ufschw ung Fausts mit innerster Berechtigung durch ein H inübergetragenwerden von Germanien nach Griechenland sym bolisiert werden.

Noch einm al wird der Mantel ausgebreitet, nicht m ehr von M ephisto, dem

„im Nebelalter jung Gewordenen, im W ust von Rittertum und Pfäfferei“ sondern von dem feinen, hellen, durchsichtigen, rom anischen Elem ent — und nicht zur Brockenhöhe fliegen sie, aber hinab auf die pharsalischen Felder, auf uralt durch Großes geh eiligten Grund, wo Faust ein endliches Erwachen feiert, sehnsuchtstark in dem einzigen Ruf nach der Gestalt der G estalten: „W o ist s ie ? “ Vor ihm liegen die Rätselgestalten der Sphinxe, und sind sie auch widerwärtig, so zw ingen sie durch ihre m ächtige Entschiedenheit: „Vom frischen Geiste fühl ich mich durchdrungen, Gestalten groß, groß die Erinnerungen.“ Jede Materie kann durch Leben und D ichtung bew ältigt w erden, w enn nur das Erfassen ganz zugreift — dann lösen sich Sym bole von selbst. Ist erst das Echte da, wird das Erwünschte sich bilden. Und war hier das H äßliche das Echte — schon naht es w ie Er­

füllung: „Ich wache ja, o laßt sie w alten, die unvergleichlichen G estalten.“ Und immer offener wird das Streben: In W irklichkeit w ill er die Visionen wandeln.

Da eilt dem W ollenden V ollendungsm öglichkeit entgegen in der Seherin Manto, die ihn kühn begrüßt: „D en lieb ich, der U nm ögliches begehrt.“ W ährend diesem Herrenwort die Unterweltpforten aufspringen, beginnt es oben zu wogen und zu brennen im Lichte des Mondes, am Ufer des Peneios, in den Fluten des Ägäischen Meeres. Naturkräfte spielen, toll vor übermütiger Kraft, Sirenen singen, Seismos, der erderschütternde Gott, gibt behäbig zum besten, wie er einst die griechischen Berge in die W olken getürmt. „Und hätt’ ich nicht geschüttelt und gerüttelt, W ie wäre diese W elt so sc h ö n ? “ W ie schw illts empor, ein volles Maß des Daseinsüber-

(17)

1920 F a u s t II 55 flusses, aus dem der neue Faust zur Höhe tauchen soll! W ollen wir da noch

fragen: W ozu? W o z u umschwirrten ihn denn einst Irrlichter und Hexen und die Schem en einer verblaßten Zeit? W o z u muß jedes W esen ein Elem ent haben, in dem es sich bew egt? Können wir davon R echenschaft ablegen, aus was für Stoffen sich unsere Lebensnahrung aufbaut? W erden wir nicht lächeln, wenn wir überlegen, wo unsere Kraftquellen schon entsprungen s in d ? In w elchen Ver­

wirrtheiten und B untheiten, in w elch unberechenbaren A ugenblicken, die sich nicht w iederholen lassen, und die doch unverlierbar bleiben in ihrer H ochge­

spanntheit? Hier aber, wo ein M enschendasein sich bis zum äußersten steigert, wo man die letzten Höhen erklim m en w ill, da m uß auch nach den sonderbarsten Tiefen gegraben werden, da müssen einm al alle Saiten losgebunden werden, sei es selbst auf Kosten des Maßes und der Schönheit. K lassische W alpurgisnacht!

W ie wäre es, wenn wir plötzlich tausend Jahre rückwärts leben könnten, uns völlig verw andelten, mit W esen anderer Art verkehrten und dann wiederkehrten zum Jetzt? W elche Elastizität, w elche Lebensfähigkeit würde in uns ausgewirkt?

Und nur ein Stück des W eltkreises ist doch diese klassische W alpurgisnacht, ein Aufblitzen aus dem Lichtm eere sinnenfreudigen Griechentums. „A uf, Schüler, bade unverdrossen die irdsche Brust im Morgenrot“ , so hieß es einst. Nun kommt das große Lernen, das beherzte Untersinken in unendliche Fremdheiten:

„Stürzt euch in P en eios’ F lut“ — „ohne Wasser ist kein H eil!“ Und Thaies von Milet, der alte Naturphilosoph, der im W asser den Urstoff der W elt sah, wandelt mit Anaxagoras, der in der Feuerkraft das Eine pries. Doch nicht darauf ruht die W ichtigkeit, daß der sogenannte N eptunism us und Plutonism us auseinandergelegt werden, sondern daß zwei Gestalten sich uns darstellen, die von den Anfängen des A lls reden in der Lust am ersten Ernennen. Es kommt auch nicht darauf an, daß die Nereiden mit ihren Dienern den Tritonen durch Sirenenlieder heran­

gelockt werden, daß sie schnell entschw inden um phönizischen Gottheiten ihre H uldigung zu bringen. Aber der W ellenduft, die V ollbelebtheit, die berauschende Frische des W erdens, die diese Verse geradezu körperlich verströmen — das ist für uns klassische W alpurgisnacht! Das quillt von Geburten, das schäum t über von Dasein! Und H om unculus auch, der künstliche Sohn, w ill hier auf kraft- und fruchtgesättigtem Boden noch einm al entstehn. Zum Meeresgott ziehts ihn, den Flam m enähnlichen. Im Feuchten w ill er sich neu bilden, der Andere im ganz Ändern! Das ist Jubel der Gegensätze! Und von Nereus zu Proteus, dem ew ig sich W andelnden, dem ewig Veränderlichen, der alles kennt und doch immer noch nicht Gewesenes kennen k a n n — dem heranglühenden H om unculus ent­

gegenrufend: „W as leuchtet so anm utig sc h ö n ? “ Endlich ist das Fehlende ge- fundeh, die gesunde K ühle dem heißtrockenen Elem ent: „Gib nach dem löblichen Verlangen, Von vorn die Schöpfung anzufangen! Zu raschem Wirken sei bereit! — Komm geistig mit in feuchte W eite“ — diese Neuwerdung aber verkörpert Galateia, die Tochter des Königs der Fluten — und die Geisternacht gipfelt in einem Schönheitsrausch, der über die verm ählten Urgewalten seinen glänzenden Mantel wirft. „W elch neues G eheim nis in Mitte der Scharen w ill unseren Augen sich offenbaren? W as flammt um die Muschel, um Galatees Füße? Bald lodert es m ächtig, bald lieblich, bald süße, Als wär es von Pulsen der Liebe gerührt.“

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