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Die Zukunft, 26. April, Bd. 39.

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Academic year: 2022

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Berlin, den 26.April t902i

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Jlja von Murom.

MurchdieBylinen,dieVolksepen.derMoskowiter, schreitetmitschwerem

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TritteinfrommerHeld,demimRiesenkörperdasHerzeines Kindes schlägt:JljaausMurom,eines BauernSohn. DreißigJahre lang saßerge- lähmtaufeinemFleckUnddieElternfürchte-tenschon,ihrgroßer,ungeschlachter JungewerdeArme undBeine niemehr rührenlernen. EinesTagesaber, daerallein in derHüttewar,klopftenzweenPilger,batenumEinlaßund riethen ihm,dersichausdieLähmungsderHändeundFüße berief, ruhigen MuthesnuraufzustehenundihnendasThürchenzuöffnen.Erthuts,wird vondenPilgernmitWeingelabtundistvon-dieserStunde einderstarke Mann,demdieGewaltigftennichtwiderstehenkönnen.Selbstschmiedeter sichdieWaffen,badetnächtenssein plumpes BauernfüllenimThau, daßes eines Ritters würdigesStreitroß werde,undzieht,mit derElternSegen,der Häuserbauet,dannhinausindie weite Welt. DesLandesBedrängeir wirfterin denStaub,Räuber undböseRiesen, schlägt-einTatarenheer in dieFluchtundwirdder-SchützerderSchwachen.KronenundSchätze UndschönerFrauen Gunst verschmähter, dernichtMacht noch Genuß sucht,sondernimDienstdesgequältenVolkeschristlichhandeltund wandelt.

SoofterdieErdeberührt,wächstseineKraft;undfast vierhundert Jahre währtschonseinLeben,alsEngel ihnvom Roß hebenundnachKiewins Höhlenklostertragen,aufdaßeranHeiligerStätte sterbe.Langewurde den ReisendendortseinGrabgezeigt..JmLiedaberslebtnochsheutederinatzionale

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Held,dennichtHangzuAbenteuern, nichtRachsuchtnochMachtbegieraus derEngetrieb.Alte undneueDichter haben ihnals denMythengeniusdes russischenVolkesverherrlicht,dasnichtzubesiegensei,wenneszurrechten Stunde wider dieHerrschaftderBosheitaufsteheund demGebotdesChristen- gottesgehorche.Undimmer,wenn imfinsterenRussenreichderDruckuner- träglichwurdeundgebundeneKräftedieEisenkettenzusprengen drohten, huschteeinFlüsternüber dieschwarzeErde,einangstvollesHoffen:Jst Jlja,derMuromer,von derLähmungerlöstundwirderdieungelenken Riesengliederendlichnun,endlichzurBefreierthat regen?

Wiedergeht,·seitausdenHauptstädtenschlimmeKundeindieDörfer drang,diealte, oftinsternloseNächtegeseufzteFragedurchdasLand.Oben, in der dünnenSchicht derGebildeten, gährt es;unddieakademischeJugend scheintzumäußerstenWagnißentschlossen.Vor einemJahrwurdederChef derUnterrichtsverwaltungvoneinem Studenten getötet;undjetztistSsip- jagin,derMinisterdesInneren,voneinemStudenten ermordet worden.

Zwischenden beidenThaten liegenStudentenkrawalle undStraßenkämpfe.

ManhatdiexjungenLeuteniedergeschossen,nachSibirien verschickt,ausge- peitschtundunter die Soldaten gesteckt:nichts hat geholfen. Schonwird inEuropavondemnahen AusbrucheinerrussischenRevolution gesprochen undderWeißeZar beschworen,eheeszuspät wird, sein Selbstherrscher- rechtzuopfernzerseijung, offenbargutenWillens und könnedieNothwen- digkeitliberalerReformen nichtlängerverkennen. Waserthun soll,ward ihm bishernichtgesagt.EinemVolkvonhundertMillionen Analphabeten,das aufeinemGebietvonmindestenszweiundzwanzigMillionen Quadratkilo- meternlebt,eineVerfassungnach europäischemMuster geben?Zwei Jahr- zehntesindvergangen,seitNikolais GroßvateraufdemWegeszudiesemZiel denerstenSchritt that.AmdreizehntenMärz1881 altenStils hatteAlexanderderZweite,bevorcrzurParade fuhr,demvon-ihmzum MinisterdesInnernernannten General Loris Melikowbefohlen,im Re- girungbotenamnächstenMorgenden Ukas zuveröffentlichen,derdie Ber- treterderProvinzialständeund derStadtgemeindenzu einerRepräsentan- tenversammlungin dieHauptstadtrief. WährendderErlaß,der zwar keine Verfassung, dochdenBeginneinespolitischenLebensbrachte,in derReichs- druckereigesetztwurde, warfenKibaltschischundSofie PerowskijamKatha- rinenkanal ihreBombenundderZarwurdesterbendinsWinterpalaisge- bracht.LorisMelikowließnachmittagsden trauernden SohndesGeworde- tenfragen,ob der Ukaserscheinensolle;gewiß,wardie Antwort: gleichmorgen

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solldasVolkdas Testamentmeines Vaters lesen.Mittenin derNachtkamder GegenbefehbdieVeröffentlichungsei aufzuschieben.EinpaarTage später warKatkowinPetersburg undAlexanderderDritteerklärte inseinemersten Erlaß,erwerde dieAutokratie,derRußlandsGrößezu dankensei,unge- schmälertauch ferner wahren. DiesesGelübde des Vaters hatderSohner- neut. Erkönnte,nachderErmordungCarnots, Umbertos,MaeKinleys, fragen,ob derModeparlamentarismusdenneinspezifischesMittelgegen Attentate fei, unddieaufdringlichenMahneranGoethe weisen,dergesagt hat:»Füreine Nationistnur Dasgut,was ausihremeigenenKern und ihremeigenenjallgemeinenBedürfnißhervorgegangen ist, ohne Nachäffung einer anderen. DennwasdemeinenVolk anfeiner gewissenAltersftufeeine wohlthätigeNahrung feinkann, erweistsichfüreinanderesvielleichtalsein Gift.«EineKonstitution iftinRußland nichtnur unmöglich:siewirdvon derMassederMushiks auchgarnicht ersehnt·Heutenoch sinddie Worte aus der.Denkschrift Karamsins wahr,die derAusgangspunktderflavo- philen Bewegung wurde,undjeder gewissenhafteWürdenträgerimZaren- reich mußEdieWarnungbeherzigen, künstlichim Lande desPalaeologen- adlersBedürfnissezuschaffen,die derbesteWillenichtbefriedigenkann.

DieGebildeten,dieEuropasKultur beleckthat, haben dieser Mah- nung niegelauscht. AufdemThronder altenKhanevertrat siedererste Alexander,derbekanntefteTypusdesgebildetenRassen: weichunddennoch brutal, eifrigimErsinnen ausgreifender Pläneundschlaffin derAusfüh- rung,eigensinnigunddochleichtbestimmbar,wie alleMenschen,dieihres WollensZielniemals klarvorsichsahen.Werweiß,wasausRusslandge- wordenwäre,wennSperanskijsgenialischerSprudelgeistlängerdcnschwan- kenden SinndesKaisersgelenkthätte,derLaharpesSchülerbleiben und der FrauvonKrüdenerdochdieTreuehaltenwollte?Ohne Karamfins rauhen Eingriff,derneue gefährlicheProbenhinderte, hättendieDekabristenviel-;

leichtmehr Anhang gefunden. LangebliebaufderOberflächedannAlles ruhig.Nikolaus herrschte,einRussevom altenSchlag,einMannohne Nerven,ohnefl.atterndePhantasie, dochunbeugsamenWillens,dernie weit vorausschaute,dasnächsteZielaberdeutlicherkannte.-Schon regte sichs überall inEuropa; Rußlandnur schien nochzuschlafen.Wie in dennor- dischenFlüssenunter derdickenEiskrusteaberdasLebenauchimtiefsten Winter fortftrömt,sozuckteesunterdernikolaitischenUniform auch durchdie GliederdesRiesenreichesSachtwurden neueGedanken,neueZwangsvor- stellungenim Dunkelüber dieGrenze gefchmuggelt.Das wardieZeit,wo

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derStudent ins politischeLeben trat.PuschkinhatEinenausdieserSchaar geschildert:Wladimir Lenskij,Onjegins Freund,denschönenJünglingmit denlangenLocken und derGöttingerseele,derimdeutschenNebellande die Freiheitlieben undKant bewundern gelernt hat. Dieser Lenskijist nochun- gefährlich;einEnthusiast,dersichanSchillersDichtung berauschteund denEhrgeizdesPoeten heimwärtsträgt·Nach ihmaberkommenAndere, derenLeidenschaftsichnichtinGedichtelöst.DieWerkevonHegelundFeuer- bach, Proudhon, Fourier,«Saint-Sim-onwerdeneingeschleppt,diejungen Leutefangenan,die NationalökonomiedesWestenszustudiren,dasGie- schlechtreift,dasTurgenjewsNovellendieHelden.gab.Bazarow sieht andersaus alsLenskij.Erliebtnicht,·schwärmtund bewundert nicht;»keiner Autoritätbeugtersich,keinDogma,keinSittengesetzistihm heilig. Staat, Volk, Religion?Nitshew0. AllesUnsinn.Allesmußanderswerden.

Dasneue Evangelium hatte gewirkt.DerdemokratischeSozialismuswurde hier,woereinemHerzensbedürsnißund demTriebderRasse entsprach,mit heißererInbrunstaufgenommenalsin Europa. Bjelinskijwurdezumun- erbittlichenKritiker deshistorischgewordenen Rechtszustandes,Herzens

»Glocke«läutete mitweithinschwingendemTondurchdasLand,Bakunin predigtediePropagandaderThatundpries,alscommis voyageur der Revolution,dieZerstörerwuthals eineSchöpfermacht.Die ganzegebildete Jugendwarmit denEmpörern.Natürlich:sie saheingeistig hilfloses,in wirthschaftlicherNothverkiimmerndes Volk, fühltedenfurchtbarenDruck einerunbarmherzigenTheokratieaus sich lastenundwähnte,nur derRe- girenden böserWillehaltedasReichin denlähmendenBandenderKnecht- schaftzurück... DemverhaßtenZarismuswurdedamals dernahe Zu- sammenbruchprophezeit.Aber derRieseausMurom rührtesichnicht.

Wieoft hat sichimLausderrussischenGeschichtediesesSchauspiel wiederholt!DasLand,dasdrei Jahrhunderte langdasTatarenjoch trug unddessentMittelalter nochfortwährte,als inPreußendasFritzenregiment zu Endeging, solltemehrals einmalschonvon einemzumanderenTage mitEuropäertünchegestrichenwerden. DieschlimmstenFolgen hattePeters hastigerVersuch,mitasiatischenMitteln nach KostomarowsdenKern treffendemWort seinReichzueuropäisiren.DiesemSelbstherrscher,den man nichtunterdiegroßenRegenten rechnensollte, fehltejedesintime Ver- ständnißfürdieLebensbedingungenseinesVolkes;erglaubte,dieModerni- sirungwerdevollendetsein,wennerdashalb priesterlicheGewand seiner Ahnenmit-einembuntenMilitärrock und denbiblischenZarentitelmit dem

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Namen einesKaisers vertausche,denMännern denKaftan,denFrauen denSchleierverbieteunddemLand eineneue Hauptstadtausden Säm- pfen zaubere. Von tatarischenundbyzantinischenTraditionen hat er,das Reichbefreit, dochesimInnersten geschwächtundden Keimdesgefähr- lichstenDualismus in dieruhig hindämmerndeflavischeSeelegesenkt.Jo- sephdeMaistre hat diesen verhängnißvollenFehler richtig erkannt,alser aneinenrussischenFreundschrieb:Pierre vous amisavec Petranger dans une fausse positi0n. Nectecum pessumvivere neesinete:

e’esi; votre devise Nochheute ist dieNachwirkungdiesesglänzendenIrr- thumszuspüren.DemgebildetenRussen bringt jeder TagunbequemeBe- lästigung.DieZeitungenwerdengeschwärzt,verdächtigeBüchervonwill- kürlichschaltenden CensorendemKäufer vorenthalten. Jedes unbedachte Wort, jedeDenunziationeinesFeindeskann zuadministrativer Maßregel- ung führen.Undnirgends,soweitman dasAuge schickt,dasFrühroth hellcrer Zeit. Selbftdie Sapadniki,dieBewundererwestlichenWesens,wissen keineausreichendeAntwort aufdieFrage,was denngeschehensolle.Sie schämensichvor Europas spöttischemBlick,—- aber dasLandistzugroß, dieBedürfnissederMasse sindvondenenderschmalenOberschichtzuver- schieden,alsdaßman hoffendürfte,eine AllengenügendeWandlungzuer- leben. DerZustandwäreunerträglich,wenndasnationaleTemperameni ihn nicht ertragen hülfe.DerRufse ist reichanJdcen undeinbildnerischerKraft, aberseinmüder Willerüstet sich seltenzurThat;ernimmt sichvielvor undführt wenigaus, taumelt vontiefster MelancholieindionysischeLust undvergißtmorgen, was erheute seinLebenszielnennt. Erschätztden WerthdesDaseins so gering, ist so gewöhnt,imRauschderSinne oder desJntellektesum KopfundKragenzuspielen, daßderGedankeanden Todihnkaumnoch schreckt.KeinAnderer,sagt Anatole Leroy-Beaulieu inseinem Buchüber dasZarenreich, weißzu leidenundzusterbenwie derRussez dänsSon tranquille coutsuge devasnt lasouffranee et Ia mort il yade la-resignation de Panimal blesse oude l’1ndien captif, mais relevee par une Sei-eine conviction religieuse DaherdieFüllederjungen Menschen,denen dieWimper nichtzuckt, während siedemHenker entgegenschreiten Rußland istkalterOrient.

Das Gehirn dieserMenschenarbeitetnicht so ruhigundpünktlichwie das wohltemperirterEuropäer.EinFünkchen,ein überNachthereinbrechender UlfsischcrFrühling,der-den ebennoch starrenBoden mit Blumen bestickt:

undJünglingeundMädchenwerfenAlles weg, wasihnendasLebenbisher

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schmückte,rennen insKlosteroderinsLazareth,schneidensichdiePulsadern aufoder mordeneinenMinister,werdenBauernoderStraßensänger,Sama- riterinnenoderProstituirte.Warum? AusVerzweiflung,ausAlltagsekel, inekftatischerSehnsuchtnachunbekannten Wonnen,und wärenesdieschmäh- lichsterErniedrigung..s.NietzschesPsychologengeniehatinDostojewskijs Werk dieAehnlichkeitmit der labilenWelt derEvangelien gefühlt.

DerHerrallerReußenmagoft jetztdesWortes denken,dasPuschkin denUsurpatorBorisGodunow sprechenließ: Schwerdrückt die Krone des MononiachosiNikolaiAlexandrowitschistvor dieAufgabegestellt,ein Millionenvolk zuSelbständigkeitundgeistigerReifezuerziehen.Ermöchte helfenundmuß auf SchrittundTritt dochdieOhnmachtdesAutokraten empfinden.EinJahr-istvergangen,seiterdenaltenGeneral Wannowskij zumUnterrichtsministerernannte undihm auftrug,das ganzeSchulwesen im SinnliebevollerFürsorgezureformirenHDieJugend hat sichderguten Absichtnichtdankbargezeigt;zuhart istderDruck derKetten,zueindring- lich mahntderindieFerne schweifendeBlick,denKampf fürdieBefreiung derGeisterzuwag-en.DierevolutionäreWuthderAkademikerwird,wiesooft schon,nach kurzemAusflackernwiederverglimmen.Untenaberhungertdas Volk, hungert undstöhntundkanndieGliedernichtregen.DasistdieGefahr.

DerEuropäerhochmuth,derseinenengenVerhältnissendieNormfür fremde Kulturen entlehnt, vergißtimmerwieder, daßRußlandeinvonderWurzel unlösbarer Jslam ist,derseineZukunftinAsienzusuchenhatunddemder modischeFirniß nicht nützenkann.DiewinzigeMinderheit,dienachpoli- tischerFreiheit langt, ist heute noch leichtzubändigenundgegensie würden, ausBatjushkas RufsdieBauerninSchaarenaufstehen.Doch dieseasiatische Großmachtbraucht Geld, braucht,umendlichdieungeheurenBodenschätze

zuheben,-eineIndustrie,derdieTechnikEntbinderdienstleistenmuß. Diese Revolution istzufürchten,sieganz allein. WenndieWissenschaftsichdem vonderScholle gerissenen,inStadthöhlen gepferchtenMushik verbündet, ihmvonMenschenrechtensprichtunddiekommunistischenJnstinkteder Rasse aufstachelt,kann derPalaeologenthron leichtins Wanken gerathen. Noch sitzt,ob es imDachgebälkauch schonknistert, JljaausMurom regunglos auf seinemPlatz,ein gelähmter,zumKampfunfähigerRiese. Nicht derPilgcr Bittewirdihndiesmal erlösen;aberdieStunde wirdkommen,wodieNoth ihnausdermorschenHüttein dieFabriktreibt.Und dann wird dertäppische Held schnelldasGehenunddesWaffenschmiedsHandwerklernen.

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Entwickelungstufen 139

Entwickelung-steifen

MarsdL ichden imvorletztenHeft abgeschlossenenhistorischenAusführungennoch einigemethodologischeWortehinzufügen?»Ichglaube,daßichmeineer-

kenntnißtheoretischeMauserungzeithintermirhabe, wenn solcheZeitennicht etwadenCharakterderPeriodizitätaufweisen.Wie Demnunauchsei:mein Freund Breysig ist jetztaugenscheinlichin einemEntwickelungmomentbegriffen, in demerdaslebhafteBedürfnißderErörterunggeschichtlichsmethodologischer Kontroversen hatundauch öffentlichzurGeltung bringt.Das ist sein gutesRechtundichbin derLetzte,esnicht anzuerkennen;folgenabermöchte ich ihm auf seine wiederholt gegebeneAnregung hin dochnur biszuder Grenze,daß ich seinen AusführungenindieserZeitschrift gegenüberhier einige Sätze zusammenstelle,diemirdasErgebnißlangerErfahrung sind.

DasBestreben,geschichtlicheThatsachenundThatsachenreihenzuver- gleichen, ist soaltwie dasBestreben,dengeschichtlichenVerlauf überhaupt wissenschaftlichzuerfassen:beideVersuchesind imGrunde identischund reichenbisindieerste HälftedesachtzehntenJahrhunderts zurück.Seitdem beginnteinneues ZeitalterodervielmehrdasZeitalterderGeschichtforschung;

unddieUnterschiedefindbisaufdenheutigenTagenur gradmäßig,so sehr sie,von demStandpunkteeinesengerenZeitabschnittesaus betrachtet,als absolut empfundenwerdenmögen.

JmVerlauf dieser vergleichendenBestrebungentrittnun derGedanke, dieEntwickelungsgängedereinzelnenVölkeran sich, also abgesehenvonihrer StellungindemZeitablaufderabsolutenChronologie,inihrengegenseitigen Verlaufsstufenzuparallelisiren, schon früh aus.Der Moment dieser Auf- fassungistgegeben,sobalddieVersuchederJdentitätphilosophieaufhören, denGangdermenschlichenGeschickealseinen insichstetig fortentwickelten, ohneUnterbrechung höhereStufen erreichendenzu begreifen.Werdann zumerstenMal eingriechischesMittelalter miteinemgermanisch-romanischen, eine NeuzeitdesrömischenKaiserthumesmitderNeuzeitdermodernen Jahrhunderteverglichenhat: ich weißesnicht; Pers önlichistmirerinnerlich, daß sichRoscher dieserVergleicheinseinenVorlesungenderzweitenHälfte dersiebenzigerJahrealseinesgewöhnlichenDarstellungmittelsbediente.

Handeltessichhierum dieVergleichungvonZeitalternalsGanzes, so istdie imengeren Sinn so genannte vergleichendeGeschichteandereWege gezogen BekanntlichwirdseitBeginndesneunzehnten Jahrhundertsdie AusarbeitungdesungeheurenStoffesdergeschichtlichenUeberlieferungimmer mehr getheilt:andie damals vorhandenenpraktischengeisteswissenschaftlichen DisziplinenderTheologieundJurisprudenz hatten sich schon längstKirchen- geschichtetundRechts-undVersasungsgeschichteangeschlossen;daraufkamen

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inbuntemReigenLiteratur-: undKunstgeschichte,Wirthschaft-undLiteratur- geschichteu.s.w. Diese Entwickelunghat ihre großenVortheile gehabtund hat sie noch; daß sievolleErfolgenur erreichenkann,wenn dieTheilung durcheinerationelle Arbeitvereinigung ergänztwird, sieht heute ersteine MinderzahlderForscherein. Einstweilen also bestandundblühtedieTheil- forschung.Und inihremBereichwurdeman nun vergleichend:esentstandeine vergleichendeVerfassung-und Rechtsgefchichte,einevergleichendeReligion- geschichte,einevergleichendeLiteraturgeschichteu.s.w.

DieFrage ist,wasdamitgewonnenwar-

Mit Nutzen vergleichenkann man nur einfacheErscheinungen;bei komplexenErscheinungenstehendieidentischenMomente nebennichtidenti- schenzundso liefertdieVergleichungwohl-vageAnalogien,aber keinewissen- schaftlichklaren undbrauchbarenErgebnisse.JstdieVergleichungeinMoment desinduktiven Schlusses, fo- mußzuderInduktiondieAbstraktion,die Jsolirungkommen,soll siewirklichfördern.EinBeispiel;und einsder einschneidendsten.ImsechzehntenJahrhundert,alsNeigungenwirklicheigenen wissenschaftlichenDenkens,nichtnur dasgelehrteBestreben,die antikeTra- ditionweiter zuÜberlieferu,bei deneuropäischenVölkernerwachten,tratsofort dasBedürfnißauf,dienatürlicheWeltderErfahrungeneinheitlichzuver- stehen.Wiefaßteman dieAufgabean? Man suchtedasJdentischein der Summe derEinzelerfcheinungenundman fanddieKraft.Gewiß ein schon recht hochstehendesVergleichungresultat.Aberhalfeswissenschaftlichweiter?

DieErgebnissewaren, wieich zeigte,dienaturphilosophischenPantheismen einesTelefioundGiordano Bruno,einesWeigeltundBoehmeunddienatur- wissenschaftlicheMethodeeinesTheophrastusBombastus Paracelsus Geblieben istuns aus derganzen Bewegungals dauerndsterNiederschlagbisheute nur das WortBombast.AberaufdieAllesauf einmalumarmcnden Enthu- siasten folgtenStevinus und Galilei: sie gingen aufdieElemente, die denkomplexenNaturerscheinungenzuGrunde lagen,unddieLehrevon der schiefenEbene und dieFallgesetzeforcirtendenEingangzur modernen Mechanik, Physik, Naturwissenschaftüberhaupt.

DasBeispielgiebtgegenüberden AllesvergleichendeneinzelnenGeschicht- disziplinenzu denken. WiesollenbeiderVergleichungso komplexerErscheinungen, wieesjedeReligion, auchdieniedrigste,undjederStaat, auchderelendeste, sind,einfacheErgebnisseherausspringen?Nur vage,oft gewißsehr geist- reiche AnalogienwerdenzuTage gefördert.UnddasSelbe giltvonver-

gleichenderLiteraturgeschichteundeinigenverwandtenDisziplinen:derKultur- ausschnitt,den sieals Objekt haben, istin seinen Verursachungenund Motivirungenvielzuverwickelt, alsdaßeinVergleichvom Ganzen her wirklichgenügendeErgebnisseliefernkönnte.

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Entwickelungstufen.

DenElementenmußsichdievergleichendeGeschichtwissenschaftzuwenden, willsie Erfolge sehen.DenElementen,wiesieindeneinfachstenpsycho- logisch-geschichtlichenThatsachen,derAnschauung,demBegriff,demTrieb zurErhaltungundderFörderungderLebensluftu.s.w.gegebensind.

AufderUntersuchungdergeschichtlichenEntwickelungdieserElemente istmeine Deutsche Geschichtevon Anbeginn—- Das heißt: seitdenaus- gehendensiebenzigerJahren aufgebautworden. DerFrage zugewandt,in- wiefern sichdieEntwickelungderangegebenenElementeinduktivwerdeauf- finden lassen, begriffich sehrbald, Daswerdenur inderDurcharbeitung derhistorischenUeberlieferungeiner ganzen Nationalgeschichtemöglichsein undhierfürbiete diedeutscheGeschichtebeiihrerüberaus weitzurückreichenden Ueberlieferungbesonders günstigeAussichten.Undschon früh habe ich auch induktio dieStufen dieserelementaren sozialpsychischenEntwickelungenge- funden:bereits derersteBand meiner DeutschenGeschichte(1891) spricht völligklar undunzweideutigvoneinemsymbolischen,typischen,konventionellen, individualistischenund subjektivistischenZeitalterundtheilt nach ihnenden ganzenVerlaufderEntwickelungein.

Mansiehtausdembisher Erzählten,daßesin der ganzenIntention dieserVorgängevon vorn herein beschlossenwar, Entwickelungstufendes Seelenlebens aufzufinden,diejeder großenmenschlichenGemeinschaft, jeder Nationgemeinsamwaren. Ganzetwas AnderesaberwardieFrage,wann esmöglichseinwürde,für dieses Problemden induktiven Nachweiseiner günstigen,bejahendenLösungzuführen. Jch jedenfallshabediefürdie Ge- schichtedesdeutschenSeelenlebens gefundenenEntwickelungstufennichtals allgemeinehinstellenwollen,ehe ich dafür nichtdenabsolutsicherenBeweis inderHand hatte:und so verhielt ich michzudem Problem, inwiefern etwadie inderdeutschenGeschichtegefundenenpsychischenEntwickelungstufen allgemeingiltigseien,nach außen hininderHauptsacheindifferent-

Aberinnerlichund inzunächstprivatenStudien hatesmichfortwährend beschäftigt.Unddaergaben sich fürdieLösung Schwierigkeiten,die inder Hauptsachedenndoch nichtblosinderrichtigenStollenführung hineinin dieenormen StoffmasfendergeschichtlichenUeberlieferungbegründetlagen.

Enthieltdenn diedeutscheGeschichtealleEntwickelungstufen?Bekanntlich brichtsie,wenn sie auchinhohes Alterthum hinaufführt,doch schoninden Zeitenderrelativ weitentwickelten Kultur derraesarischenundtaciteischen Periodeab. Waslagvorihr?Die Antwort auf diese Fragekonnte inder Geschichtekeines anderensogenanntenKulturvolkes gefunden,sie mußtevielmehr völkerkundlichgesuchtwerden. Sokamesdaraufan, denungeheurenStoff derEthnographieinPeriodenrelativer Chronologie,inStufenfolgen seelischer Lebensäußerungenzuzerlegen.Undwenn Dasgelang:Wie weitführtewieder

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die Völkerkunde? Biszum»Ansang«?Mankennt dieKontroversen zwischen BastianundRatzelnnddasProblem primitiver Verfallskulturen:war hier zueinemEndezugelangen?NurdieKinderpsychologieschiendieMöglich- keit einerungefährenundhypothetischenEntscheidungzu bieten.

So waren esmannichfacheStudien, diehieralleinfördernkonnten.

Jch habe sie,ineinigen entscheidendenZügen,aberkeineswegsvollendet, hinter mir;undeswirdnochJahredauern,eheichmitihnenandieOeffent- lichkeittreten kann. Sovielabererlauben siemirdochschonmitSicherheit zusagen:diegefundenenZeitalter seelischerEntwickelungsind nachvorn nur

nochdurcheineinzigesneues ichhattevielmehrerwartet zuergänzen, dasich«dasphantastischenennen möchte;undihr Verlauf wiederholt sich ausnahmelosindengroßenmenschlichenGemeinschaftenderGeschichte.Dies aberauszusprechen,lagmir bei derAusgabeeiner neuen Auflagemeiner DeutschenGeschichtedeshalbamHerzen,weilmirerstvon diesemStand- punkteaus dieNennungdersozialpsychischenZeitalter aufdemTitelblatt derneuen Auflageunddamit dieunmittelbarste Einführungderdenkenden Zeitgenossenindieneue Eintheilung gerechtfertigterschien.

Wiestelltsichnun zu AlledemBreysigsSystem? Jch denke,esläßt sich,wenn auchmitunvermeidlicherVerschärfungund Vergröberungder Hauptlinien,mitwenigenWorten sagen.Denn wiederholte, höchstlehr- reiche AufsätzeBreysigs habendieLeser gerade dieser Zeitschrift schon nicht wenigindasVersiändnißder JdeenweltBreysigs eingeführt.Breysigwendet dievergleichendeMethode nicht ausdie elementaren,sondernaufdiekomplexen ErscheinungendergeschichtlichenEntwickelung—- noch neuerdings sogar auf diekomplexestevonallen,diepolitische an. Er thutDas mitScharfsinn und GeistunddieErgebnisse sind nicht gering.Aber esläßt sichnicht leugnen:bei demeinmalgewähltenmethodologischenStandpunktbleibendiese ErgebnisseimUngefähren,nicht völlig Umschriebenenstecken:sie liefernnur

Näherungwerthe.Undnoch mehr.WerbisindieErforschungderEnt- wickelungderelementaren psychischenWerthe vorgedrungenist, überzeugtsich bald,daßesauf seelischemGebieteZweierleigiebt,nämlicherstensGesetze einer psychischenMechanik,die zu allenZeitengelten,wie dasGesetzdes Kontrastes, wonach LustundUnlust, FreudeundLeid,Enthusiasmusund Niedergeschlagenheitständiginuns wechseln,und zweitens Entwickelungs- gesetze,wie das GesetzderEntwickelungderAnschauungaus ornamentaler WiedergabederErscheinungweltzuderen typischem,konventionellem,iudi- vidualistischem,subjektivistischemErfassen·EsistgenauwieinderBiologie überhaupt:nebendenEntwickelungsgesetzendespflanzlichenoderanimalischen Lebens stehen, siebedingend,abernicht beherrschend,dieGesetzedersichin diesenabspielenden physikalischenund chemischenProzesse.UndwerDas

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