,·««
sitt-His-ssstksixtsistt"!«.-—-s--·
cisl . - N«",-·t
Ig-.· ··
ll.;:li’«!litsstPw
siHFsiZEisgggHH-"-»
,1..·!EIIEIIIZFESISYEEEy-.·tlII.';1iiji-·3;s,
II »,,.--I -«.».·
s-I!«5·Iisi.’3---’ « " « «-«"iIiIE"!ssWlsl
!It!5;!:..«.:!!s..-"L:ts,-
«
- Hist-this»Ist-is
Berlin, den 26.April t902i
f qd JJs F v
Jlja von Murom.
MurchdieBylinen,dieVolksepen.derMoskowiter, schreitetmitschwerem
(
TritteinfrommerHeld,demimRiesenkörperdasHerzeines Kindes schlägt:JljaausMurom,eines BauernSohn. DreißigJahre lang saßerge- lähmtaufeinemFleckUnddieElternfürchte-tenschon,ihrgroßer,ungeschlachter JungewerdeArme undBeine niemehr rührenlernen. EinesTagesaber, daerallein in derHüttewar,klopftenzweenPilger,batenumEinlaßund riethen ihm,dersichausdieLähmungsderHändeundFüße berief, ruhigen MuthesnuraufzustehenundihnendasThürchenzuöffnen.Erthuts,wird vondenPilgernmitWeingelabtundistvon-dieserStunde einderstarke Mann,demdieGewaltigftennichtwiderstehenkönnen.Selbstschmiedeter sichdieWaffen,badetnächtenssein plumpes BauernfüllenimThau, daßes eines Ritters würdigesStreitroß werde,undzieht,mit derElternSegen,der Häuserbauet,dannhinausindie weite Welt. DesLandesBedrängeir wirfterin denStaub,Räuber undböseRiesen, schlägt-einTatarenheer in dieFluchtundwirdder-SchützerderSchwachen.KronenundSchätze UndschönerFrauen Gunst verschmähter, dernichtMacht noch Genuß sucht,sondernimDienstdesgequältenVolkeschristlichhandeltund wandelt.
SoofterdieErdeberührt,wächstseineKraft;undfast vierhundert Jahre währtschonseinLeben,alsEngel ihnvom Roß hebenundnachKiewins Höhlenklostertragen,aufdaßeranHeiligerStätte sterbe.Langewurde den ReisendendortseinGrabgezeigt..JmLiedaberslebtnochsheutederinatzionale
10
134 DieZukunft
Held,dennichtHangzuAbenteuern, nichtRachsuchtnochMachtbegieraus derEngetrieb.Alte undneueDichter haben ihnals denMythengeniusdes russischenVolkesverherrlicht,dasnichtzubesiegensei,wenneszurrechten Stunde wider dieHerrschaftderBosheitaufsteheund demGebotdesChristen- gottesgehorche.Undimmer,wenn imfinsterenRussenreichderDruckuner- träglichwurdeundgebundeneKräftedieEisenkettenzusprengen drohten, huschteeinFlüsternüber dieschwarzeErde,einangstvollesHoffen:Jst Jlja,derMuromer,von derLähmungerlöstundwirderdieungelenken Riesengliederendlichnun,endlichzurBefreierthat regen?
Wiedergeht,·seitausdenHauptstädtenschlimmeKundeindieDörfer drang,diealte, oftinsternloseNächtegeseufzteFragedurchdasLand.Oben, in der dünnenSchicht derGebildeten, gährt es;unddieakademischeJugend scheintzumäußerstenWagnißentschlossen.Vor einemJahrwurdederChef derUnterrichtsverwaltungvoneinem Studenten getötet;undjetztistSsip- jagin,derMinisterdesInneren,voneinemStudenten ermordet worden.
Zwischenden beidenThaten liegenStudentenkrawalle undStraßenkämpfe.
ManhatdiexjungenLeuteniedergeschossen,nachSibirien verschickt,ausge- peitschtundunter die Soldaten gesteckt:nichts hat geholfen. Schonwird inEuropavondemnahen AusbrucheinerrussischenRevolution gesprochen undderWeißeZar beschworen,eheeszuspät wird, sein Selbstherrscher- rechtzuopfernzerseijung, offenbargutenWillens und könnedieNothwen- digkeitliberalerReformen nichtlängerverkennen. Waserthun soll,ward ihm bishernichtgesagt.EinemVolkvonhundertMillionen Analphabeten,das aufeinemGebietvonmindestenszweiundzwanzigMillionen Quadratkilo- meternlebt,eineVerfassungnach europäischemMuster geben?Zwei Jahr- zehntesindvergangen,seitNikolais GroßvateraufdemWegeszudiesemZiel denerstenSchritt that.AmdreizehntenMärz1881 — altenStils — hatteAlexanderderZweite,bevorcrzurParade fuhr,demvon-ihmzum MinisterdesInnernernannten General Loris Melikowbefohlen,im Re- girungbotenamnächstenMorgenden Ukas zuveröffentlichen,derdie Ber- treterderProvinzialständeund derStadtgemeindenzu einerRepräsentan- tenversammlungin dieHauptstadtrief. WährendderErlaß,der zwar keine Verfassung, dochdenBeginneinespolitischenLebensbrachte,in derReichs- druckereigesetztwurde, warfenKibaltschischundSofie PerowskijamKatha- rinenkanal ihreBombenundderZarwurdesterbendinsWinterpalaisge- bracht.LorisMelikowließnachmittagsden trauernden SohndesGeworde- tenfragen,ob der Ukaserscheinensolle;gewiß,wardie Antwort: gleichmorgen
JljavonMurom. 135
solldasVolkdas Testamentmeines Vaters lesen.Mittenin derNachtkamder GegenbefehbdieVeröffentlichungsei aufzuschieben.EinpaarTage später warKatkowinPetersburg undAlexanderderDritteerklärte inseinemersten Erlaß,erwerde dieAutokratie,derRußlandsGrößezu dankensei,unge- schmälertauch ferner wahren. DiesesGelübde des Vaters hatderSohner- neut. Erkönnte,nachderErmordungCarnots, Umbertos,MaeKinleys, fragen,ob derModeparlamentarismusdenneinspezifischesMittelgegen Attentate fei, unddieaufdringlichenMahneranGoethe weisen,dergesagt hat:»Füreine Nationistnur Dasgut,was ausihremeigenenKern und ihremeigenenjallgemeinenBedürfnißhervorgegangen ist, ohne Nachäffung einer anderen. DennwasdemeinenVolk anfeiner gewissenAltersftufeeine wohlthätigeNahrung feinkann, erweistsichfüreinanderesvielleichtalsein Gift.«EineKonstitution iftinRußland nichtnur unmöglich:siewirdvon derMassederMushiks auchgarnicht ersehnt·Heutenoch sinddie Worte aus der.Denkschrift Karamsins wahr,die derAusgangspunktderflavo- philen Bewegung wurde,undjeder gewissenhafteWürdenträgerimZaren- reich mußEdieWarnungbeherzigen, künstlichim Lande desPalaeologen- adlersBedürfnissezuschaffen,die derbesteWillenichtbefriedigenkann.
DieGebildeten,dieEuropasKultur beleckthat, haben dieser Mah- nung niegelauscht. AufdemThronder altenKhanevertrat siedererste Alexander,derbekanntefteTypusdesgebildetenRassen: weichunddennoch brutal, eifrigimErsinnen ausgreifender Pläneundschlaffin derAusfüh- rung,eigensinnigunddochleichtbestimmbar,wie alleMenschen,dieihres WollensZielniemals klarvorsichsahen.Werweiß,wasausRusslandge- wordenwäre,wennSperanskijsgenialischerSprudelgeistlängerdcnschwan- kenden SinndesKaisersgelenkthätte,derLaharpesSchülerbleiben und der FrauvonKrüdenerdochdieTreuehaltenwollte?Ohne Karamfins rauhen Eingriff,derneue gefährlicheProbenhinderte, hättendieDekabristenviel-;
leichtmehr Anhang gefunden. LangebliebaufderOberflächedannAlles ruhig.Nikolaus herrschte,einRussevom altenSchlag,einMannohne Nerven,ohnefl.atterndePhantasie, dochunbeugsamenWillens,dernie weit vorausschaute,dasnächsteZielaberdeutlicherkannte.-Schon regte sichs überall inEuropa; Rußlandnur schien nochzuschlafen.Wie in dennor- dischenFlüssenunter derdickenEiskrusteaberdasLebenauchimtiefsten Winter fortftrömt,sozuckteesunterdernikolaitischenUniform auch durchdie GliederdesRiesenreichesSachtwurden neueGedanken,neueZwangsvor- stellungenim Dunkelüber dieGrenze gefchmuggelt.Das wardieZeit,wo
10zk
136 DieZukunft.
derStudent ins politischeLeben trat.PuschkinhatEinenausdieserSchaar geschildert:Wladimir Lenskij,Onjegins Freund,denschönenJünglingmit denlangenLocken und derGöttingerseele,derimdeutschenNebellande die Freiheitlieben undKant bewundern gelernt hat. Dieser Lenskijist nochun- gefährlich;einEnthusiast,dersichanSchillersDichtung berauschteund denEhrgeizdesPoeten heimwärtsträgt·Nach ihmaberkommenAndere, derenLeidenschaftsichnichtinGedichtelöst.DieWerkevonHegelundFeuer- bach, Proudhon, Fourier,«Saint-Sim-onwerdeneingeschleppt,diejungen Leutefangenan,die NationalökonomiedesWestenszustudiren,dasGie- schlechtreift,dasTurgenjewsNovellendieHelden.gab.Bazarow sieht andersaus alsLenskij.Erliebtnicht,·schwärmtund bewundert nicht;»keiner Autoritätbeugtersich,keinDogma,keinSittengesetzistihm heilig. Staat, Volk, Religion?Nitshew0. AllesUnsinn.Allesmußanderswerden.
Dasneue Evangelium hatte gewirkt.DerdemokratischeSozialismuswurde hier,woereinemHerzensbedürsnißund demTriebderRasse entsprach,mit heißererInbrunstaufgenommenalsin Europa. Bjelinskijwurdezumun- erbittlichenKritiker deshistorischgewordenen Rechtszustandes,Herzens
»Glocke«läutete mitweithinschwingendemTondurchdasLand,Bakunin predigtediePropagandaderThatundpries,alscommis voyageur der Revolution,dieZerstörerwuthals eineSchöpfermacht.Die ganzegebildete Jugendwarmit denEmpörern.Natürlich:sie saheingeistig hilfloses,in wirthschaftlicherNothverkiimmerndes Volk, fühltedenfurchtbarenDruck einerunbarmherzigenTheokratieaus sich lastenundwähnte,nur derRe- girenden böserWillehaltedasReichin denlähmendenBandenderKnecht- schaftzurück... DemverhaßtenZarismuswurdedamals dernahe Zu- sammenbruchprophezeit.Aber derRieseausMurom rührtesichnicht.
Wieoft hat sichimLausderrussischenGeschichtediesesSchauspiel wiederholt!DasLand,dasdrei Jahrhunderte langdasTatarenjoch trug unddessentMittelalter nochfortwährte,als inPreußendasFritzenregiment zu Endeging, solltemehrals einmalschonvon einemzumanderenTage mitEuropäertünchegestrichenwerden. DieschlimmstenFolgen hattePeters hastigerVersuch,mitasiatischenMitteln — nach KostomarowsdenKern treffendemWort— seinReichzueuropäisiren.DiesemSelbstherrscher,den man nichtunterdiegroßenRegenten rechnensollte, fehltejedesintime Ver- ständnißfürdieLebensbedingungenseinesVolkes;erglaubte,dieModerni- sirungwerdevollendetsein,wennerdashalb priesterlicheGewand seiner Ahnenmit-einembuntenMilitärrock und denbiblischenZarentitelmit dem
JljavonMurom 137
Namen einesKaisers vertausche,denMännern denKaftan,denFrauen denSchleierverbieteunddemLand eineneue Hauptstadtausden Säm- pfen zaubere. Von tatarischenundbyzantinischenTraditionen hat er,das Reichbefreit, dochesimInnersten geschwächtundden Keimdesgefähr- lichstenDualismus in dieruhig hindämmerndeflavischeSeelegesenkt.Jo- sephdeMaistre hat diesen verhängnißvollenFehler richtig erkannt,alser aneinenrussischenFreundschrieb:Pierre vous amisavec Petranger dans une fausse positi0n. Nectecum pessumvivere neesinete:
e’esi; votre devise Nochheute ist dieNachwirkungdiesesglänzendenIrr- thumszuspüren.DemgebildetenRussen bringt jeder TagunbequemeBe- lästigung.DieZeitungenwerdengeschwärzt,verdächtigeBüchervonwill- kürlichschaltenden CensorendemKäufer vorenthalten. Jedes unbedachte Wort, jedeDenunziationeinesFeindeskann zuadministrativer Maßregel- ung führen.Undnirgends,soweitman dasAuge schickt,dasFrühroth hellcrer Zeit. Selbftdie Sapadniki,dieBewundererwestlichenWesens,wissen keineausreichendeAntwort aufdieFrage,was denngeschehensolle.Sie schämensichvor Europas spöttischemBlick,—- aber dasLandistzugroß, dieBedürfnissederMasse sindvondenenderschmalenOberschichtzuver- schieden,alsdaßman hoffendürfte,eine AllengenügendeWandlungzuer- leben. DerZustandwäreunerträglich,wenndasnationaleTemperameni ihn nicht ertragen hülfe.DerRufse ist reichanJdcen undeinbildnerischerKraft, aberseinmüder Willerüstet sich seltenzurThat;ernimmt sichvielvor undführt wenigaus, taumelt vontiefster MelancholieindionysischeLust undvergißtmorgen, was erheute seinLebenszielnennt. Erschätztden WerthdesDaseins so gering, ist so gewöhnt,imRauschderSinne oder desJntellektesum KopfundKragenzuspielen, daßderGedankeanden Todihnkaumnoch schreckt.KeinAnderer,sagt Anatole Leroy-Beaulieu inseinem Buchüber dasZarenreich, weißzu leidenundzusterbenwie derRussez dänsSon tranquille coutsuge devasnt lasouffranee et Ia mort il yade la-resignation de Panimal blesse oude l’1ndien captif, mais relevee par une Sei-eine conviction religieuse DaherdieFüllederjungen Menschen,denen dieWimper nichtzuckt, während siedemHenker entgegenschreiten Rußland istkalterOrient.
Das Gehirn dieserMenschenarbeitetnicht so ruhigundpünktlichwie das wohltemperirterEuropäer.EinFünkchen,ein überNachthereinbrechender UlfsischcrFrühling,der-den ebennoch starrenBoden mit Blumen bestickt:
undJünglingeundMädchenwerfenAlles weg, wasihnendasLebenbisher
138 DieZukunft.
schmückte,rennen insKlosteroderinsLazareth,schneidensichdiePulsadern aufoder mordeneinenMinister,werdenBauernoderStraßensänger,Sama- riterinnenoderProstituirte.Warum? AusVerzweiflung,ausAlltagsekel, inekftatischerSehnsuchtnachunbekannten Wonnen,und wärenesdieschmäh- lichsterErniedrigung..s.NietzschesPsychologengeniehatinDostojewskijs Werk dieAehnlichkeitmit der labilenWelt derEvangelien gefühlt.
DerHerrallerReußenmagoft jetztdesWortes denken,dasPuschkin denUsurpatorBorisGodunow sprechenließ: Schwerdrückt die Krone des MononiachosiNikolaiAlexandrowitschistvor dieAufgabegestellt,ein Millionenvolk zuSelbständigkeitundgeistigerReifezuerziehen.Ermöchte helfenundmuß auf SchrittundTritt dochdieOhnmachtdesAutokraten empfinden.EinJahr-istvergangen,seiterdenaltenGeneral Wannowskij zumUnterrichtsministerernannte undihm auftrug,das ganzeSchulwesen im SinnliebevollerFürsorgezureformirenHDieJugend hat sichderguten Absichtnichtdankbargezeigt;zuhart istderDruck derKetten,zueindring- lich mahntderindieFerne schweifendeBlick,denKampf fürdieBefreiung derGeisterzuwag-en.DierevolutionäreWuthderAkademikerwird,wiesooft schon,nach kurzemAusflackernwiederverglimmen.Untenaberhungertdas Volk, hungert undstöhntundkanndieGliedernichtregen.DasistdieGefahr.
DerEuropäerhochmuth,derseinenengenVerhältnissendieNormfür fremde Kulturen entlehnt, vergißtimmerwieder, daßRußlandeinvonderWurzel unlösbarer Jslam ist,derseineZukunftinAsienzusuchenhatunddemder modischeFirniß nicht nützenkann.DiewinzigeMinderheit,dienachpoli- tischerFreiheit langt, ist heute noch leichtzubändigenundgegensie würden, ausBatjushkas RufsdieBauerninSchaarenaufstehen.Doch dieseasiatische Großmachtbraucht Geld, braucht,umendlichdieungeheurenBodenschätze
zuheben,-eineIndustrie,derdieTechnikEntbinderdienstleistenmuß. Diese Revolution istzufürchten,sieganz allein. WenndieWissenschaftsichdem vonderScholle gerissenen,inStadthöhlen gepferchtenMushik verbündet, ihmvonMenschenrechtensprichtunddiekommunistischenJnstinkteder Rasse aufstachelt,kann derPalaeologenthron leichtins Wanken gerathen. Noch sitzt,ob es imDachgebälkauch schonknistert, JljaausMurom regunglos auf seinemPlatz,ein gelähmter,zumKampfunfähigerRiese. Nicht derPilgcr Bittewirdihndiesmal erlösen;aberdieStunde wirdkommen,wodieNoth ihnausdermorschenHüttein dieFabriktreibt.Und dann wird dertäppische Held schnelldasGehenunddesWaffenschmiedsHandwerklernen.
L
Entwickelungstufen 139
Entwickelung-steifen
MarsdL ichden imvorletztenHeft abgeschlossenenhistorischenAusführungennoch einigemethodologischeWortehinzufügen?»Ichglaube,daßichmeineer-
kenntnißtheoretischeMauserungzeithintermirhabe,— wenn solcheZeitennicht etwadenCharakterderPeriodizitätaufweisen.Wie Demnunauchsei:mein Freund Breysig ist jetztaugenscheinlichin einemEntwickelungmomentbegriffen, in demerdaslebhafteBedürfnißderErörterunggeschichtlichsmethodologischer Kontroversen hatundauch öffentlichzurGeltung bringt.Das ist sein gutesRechtundichbin derLetzte,esnicht anzuerkennen;folgenabermöchte ich ihm auf seine wiederholt gegebeneAnregung hin dochnur biszuder Grenze,daß ich seinen AusführungenindieserZeitschrift gegenüberhier einige Sätze zusammenstelle,diemirdasErgebnißlangerErfahrung sind.
DasBestreben,geschichtlicheThatsachenundThatsachenreihenzuver- gleichen, ist soaltwie dasBestreben,dengeschichtlichenVerlauf überhaupt wissenschaftlichzuerfassen:beideVersuchesind imGrunde identischund reichenbisindieerste HälftedesachtzehntenJahrhunderts zurück.Seitdem beginnteinneues ZeitalterodervielmehrdasZeitalterderGeschichtforschung;
unddieUnterschiedefindbisaufdenheutigenTagenur gradmäßig,so sehr sie,von demStandpunkteeinesengerenZeitabschnittesaus betrachtet,als absolut empfundenwerdenmögen.
JmVerlauf dieser vergleichendenBestrebungentrittnun derGedanke, dieEntwickelungsgängedereinzelnenVölkeran sich, also abgesehenvonihrer StellungindemZeitablaufderabsolutenChronologie,inihrengegenseitigen Verlaufsstufenzuparallelisiren, schon früh aus.Der Moment dieser Auf- fassungistgegeben,sobalddieVersuchederJdentitätphilosophieaufhören, denGangdermenschlichenGeschickealseinen insichstetig fortentwickelten, ohneUnterbrechung höhereStufen erreichendenzu begreifen.Werdann zumerstenMal eingriechischesMittelalter miteinemgermanisch-romanischen, eine NeuzeitdesrömischenKaiserthumesmitderNeuzeitdermodernen Jahrhunderteverglichenhat: ich weißesnicht; Pers önlichistmirerinnerlich, daß sichRoscher dieserVergleicheinseinenVorlesungenderzweitenHälfte dersiebenzigerJahrealseinesgewöhnlichenDarstellungmittelsbediente.
Handeltessichhierum dieVergleichungvonZeitalternalsGanzes, so istdie imengeren Sinn so genannte vergleichendeGeschichteandereWege gezogen BekanntlichwirdseitBeginndesneunzehnten Jahrhundertsdie AusarbeitungdesungeheurenStoffesdergeschichtlichenUeberlieferungimmer mehr getheilt:andie damals vorhandenenpraktischengeisteswissenschaftlichen DisziplinenderTheologieundJurisprudenz hatten sich schon längstKirchen- geschichtetundRechts-undVersasungsgeschichteangeschlossen;daraufkamen
140 DieZukunft-
inbuntemReigenLiteratur-: undKunstgeschichte,Wirthschaft-undLiteratur- geschichteu.s.w. Diese Entwickelunghat ihre großenVortheile gehabtund hat sie noch; daß sievolleErfolgenur erreichenkann,wenn dieTheilung durcheinerationelle Arbeitvereinigung ergänztwird, sieht heute ersteine MinderzahlderForscherein. Einstweilen also bestandundblühtedieTheil- forschung.Und inihremBereichwurdeman nun vergleichend:esentstandeine vergleichendeVerfassung-und Rechtsgefchichte,einevergleichendeReligion- geschichte,einevergleichendeLiteraturgeschichteu.s.w.
DieFrage ist,wasdamitgewonnenwar-
Mit Nutzen vergleichenkann man nur einfacheErscheinungen;bei komplexenErscheinungenstehendieidentischenMomente nebennichtidenti- schenzundso liefertdieVergleichungwohl-vageAnalogien,aber keinewissen- schaftlichklaren undbrauchbarenErgebnisse.JstdieVergleichungeinMoment desinduktiven Schlusses, fo- mußzuderInduktiondieAbstraktion,die Jsolirungkommen,soll siewirklichfördern.EinBeispiel;und einsder einschneidendsten.ImsechzehntenJahrhundert,alsNeigungenwirklicheigenen wissenschaftlichenDenkens,nichtnur dasgelehrteBestreben,die antikeTra- ditionweiter zuÜberlieferu,bei deneuropäischenVölkernerwachten,tratsofort dasBedürfnißauf,dienatürlicheWeltderErfahrungeneinheitlichzuver- stehen.Wiefaßteman dieAufgabean? Man suchtedasJdentischein der Summe derEinzelerfcheinungenundman fanddieKraft.Gewiß ein schon recht hochstehendesVergleichungresultat.Aberhalfeswissenschaftlichweiter?
DieErgebnissewaren, wieich zeigte,dienaturphilosophischenPantheismen einesTelefioundGiordano Bruno,einesWeigeltundBoehmeunddienatur- wissenschaftlicheMethodeeinesTheophrastusBombastus Paracelsus Geblieben istuns aus derganzen Bewegungals dauerndsterNiederschlagbisheute nur das WortBombast.AberaufdieAllesauf einmalumarmcnden Enthu- siasten folgtenStevinus und Galilei: sie gingen aufdieElemente, die denkomplexenNaturerscheinungenzuGrunde lagen,unddieLehrevon der schiefenEbene und dieFallgesetzeforcirtendenEingangzur modernen Mechanik, Physik, Naturwissenschaftüberhaupt.
DasBeispielgiebtgegenüberden AllesvergleichendeneinzelnenGeschicht- disziplinenzu denken. WiesollenbeiderVergleichungso komplexerErscheinungen, wieesjedeReligion, auchdieniedrigste,undjederStaat, auchderelendeste, sind,einfacheErgebnisseherausspringen?Nur vage,oft gewißsehr geist- reiche AnalogienwerdenzuTage gefördert.UnddasSelbe giltvonver-
gleichenderLiteraturgeschichteundeinigenverwandtenDisziplinen:derKultur- ausschnitt,den sieals Objekt haben, istin seinen Verursachungenund Motivirungenvielzuverwickelt, alsdaßeinVergleichvom Ganzen her wirklichgenügendeErgebnisseliefernkönnte.
Entwickelungstufen.
DenElementenmußsichdievergleichendeGeschichtwissenschaftzuwenden, willsie Erfolge sehen.DenElementen,wiesieindeneinfachstenpsycho- logisch-geschichtlichenThatsachen,derAnschauung,demBegriff,demTrieb zurErhaltungundderFörderungderLebensluftu.s.w.gegebensind.
AufderUntersuchungdergeschichtlichenEntwickelungdieserElemente istmeine Deutsche Geschichtevon Anbeginn—- Das heißt: seitdenaus- gehendensiebenzigerJahren— aufgebautworden. DerFrage zugewandt,in- wiefern sichdieEntwickelungderangegebenenElementeinduktivwerdeauf- finden lassen, begriffich sehrbald, Daswerdenur inderDurcharbeitung derhistorischenUeberlieferungeiner ganzen Nationalgeschichtemöglichsein undhierfürbiete diedeutscheGeschichtebeiihrerüberaus weitzurückreichenden Ueberlieferungbesonders günstigeAussichten.Undschon früh habe ich auch induktio dieStufen dieserelementaren sozialpsychischenEntwickelungenge- funden:bereits derersteBand meiner DeutschenGeschichte(1891) spricht völligklar undunzweideutigvoneinemsymbolischen,typischen,konventionellen, individualistischenund subjektivistischenZeitalterundtheilt nach ihnenden ganzenVerlaufderEntwickelungein.
Mansiehtausdembisher Erzählten,daßesin der ganzenIntention dieserVorgängevon vorn herein beschlossenwar, Entwickelungstufendes Seelenlebens aufzufinden,diejeder großenmenschlichenGemeinschaft, jeder Nationgemeinsamwaren. Ganzetwas AnderesaberwardieFrage,wann esmöglichseinwürde,für dieses Problemden induktiven Nachweiseiner günstigen,bejahendenLösungzuführen. Jch jedenfallshabediefürdie Ge- schichtedesdeutschenSeelenlebens gefundenenEntwickelungstufennichtals allgemeinehinstellenwollen,ehe ich dafür nichtdenabsolutsicherenBeweis inderHand hatte:und so verhielt ich michzudem Problem, inwiefern etwadie inderdeutschenGeschichtegefundenenpsychischenEntwickelungstufen allgemeingiltigseien,nach außen hininderHauptsacheindifferent-
Aberinnerlichund inzunächstprivatenStudien hatesmichfortwährend beschäftigt.Unddaergaben sich fürdieLösung Schwierigkeiten,die inder Hauptsachedenndoch nichtblosinderrichtigenStollenführung hineinin dieenormen StoffmasfendergeschichtlichenUeberlieferungbegründetlagen.
Enthieltdenn diedeutscheGeschichtealleEntwickelungstufen?Bekanntlich brichtsie,wenn sie auchinhohes Alterthum hinaufführt,doch schoninden Zeitenderrelativ weitentwickelten Kultur derraesarischenundtaciteischen Periodeab. Waslagvorihr?Die Antwort auf diese Fragekonnte inder Geschichtekeines anderensogenanntenKulturvolkes gefunden,sie mußtevielmehr völkerkundlichgesuchtwerden. Sokamesdaraufan, denungeheurenStoff derEthnographieinPeriodenrelativer Chronologie,inStufenfolgen seelischer Lebensäußerungenzuzerlegen.Undwenn Dasgelang:Wie weitführtewieder
11
142 DieZukunft.
die Völkerkunde? Biszum»Ansang«?Mankennt dieKontroversen zwischen BastianundRatzelnnddasProblem primitiver Verfallskulturen:war hier zueinemEndezugelangen?NurdieKinderpsychologieschiendieMöglich- keit einerungefährenundhypothetischenEntscheidungzu bieten.
So waren esmannichfacheStudien, diehieralleinfördernkonnten.
Jch habe sie,ineinigen entscheidendenZügen,aberkeineswegsvollendet, hinter mir;undeswirdnochJahredauern,eheichmitihnenandieOeffent- lichkeittreten kann. Sovielabererlauben siemirdochschonmitSicherheit zusagen:diegefundenenZeitalter seelischerEntwickelungsind nachvorn nur
nochdurcheineinzigesneues — ichhattevielmehrerwartet — zuergänzen, dasich«dasphantastischenennen möchte;undihr Verlauf wiederholt sich ausnahmelosindengroßenmenschlichenGemeinschaftenderGeschichte.Dies aberauszusprechen,lagmir bei derAusgabeeiner neuen Auflagemeiner DeutschenGeschichtedeshalbamHerzen,weilmirerstvon diesemStand- punkteaus dieNennungdersozialpsychischenZeitalter aufdemTitelblatt derneuen Auflageunddamit dieunmittelbarste Einführungderdenkenden Zeitgenossenindieneue Eintheilung gerechtfertigterschien.
Wiestelltsichnun zu AlledemBreysigsSystem? Jch denke,esläßt sich,wenn auchmitunvermeidlicherVerschärfungund Vergröberungder Hauptlinien,mitwenigenWorten sagen.Denn wiederholte, höchstlehr- reiche AufsätzeBreysigs habendieLeser gerade dieser Zeitschrift schon nicht wenigindasVersiändnißder JdeenweltBreysigs eingeführt.Breysigwendet dievergleichendeMethode nicht ausdie elementaren,sondernaufdiekomplexen ErscheinungendergeschichtlichenEntwickelung—- noch neuerdings sogar auf diekomplexestevonallen,diepolitische— an. Er thutDas mitScharfsinn und GeistunddieErgebnisse sind nicht gering.Aber esläßt sichnicht leugnen:bei demeinmalgewähltenmethodologischenStandpunktbleibendiese ErgebnisseimUngefähren,nicht völlig Umschriebenenstecken:sie liefernnur
Näherungwerthe.Undnoch mehr.WerbisindieErforschungderEnt- wickelungderelementaren psychischenWerthe vorgedrungenist, überzeugtsich bald,daßesauf seelischemGebieteZweierleigiebt,nämlicherstensGesetze einer psychischenMechanik,die zu allenZeitengelten,wie dasGesetzdes Kontrastes, wonach LustundUnlust, FreudeundLeid,Enthusiasmusund Niedergeschlagenheitständiginuns wechseln,und zweitens Entwickelungs- gesetze,wie das GesetzderEntwickelungderAnschauungaus ornamentaler WiedergabederErscheinungweltzuderen typischem,konventionellem,iudi- vidualistischem,subjektivistischemErfassen·EsistgenauwieinderBiologie überhaupt:nebendenEntwickelungsgesetzendespflanzlichenoderanimalischen Lebens stehen, siebedingend,abernicht beherrschend,dieGesetzedersichin diesenabspielenden physikalischenund chemischenProzesse.UndwerDas