1. Theorie der W ellen8).
E ast ständig befindet sich die Meeresoberfläche in dem Zustand schwankender Auf- und Abwärtsbewegung. Diese W e l l e n b e w e g u n g ist im offenen Meere kein Vorwärtsschreiten des Wassers, sondern besteht lediglich in einer kreis
förmigen Schwingung der einzelnen Wasserteilchen. Nur die W e lle n f o r m der l ) D er B au in g. H e ft 20. 1925. 2) F ö r s t e r , W erft R eed erei u. H . 1926.
3) S u p a n : Grundzüge der p h ysischen E rdku nd e. K r ü m m e l : O zeanographie. R o t - t o c k : M eeresvellen b eob ach tu n gen , A n n . d. H ydrograp hie 1903. Z entralbl. d. B au v. 1905, S. 358 u. 362.-— P r ö t e l , Z. B auw . 1912. — G a i l l a r d : On w a v e a c tio n u sw . P rofession al pap ers of E ngineers, W ash in gton 1904.
D ie Meereswellen. 61 Entfernung zwischen zwei Bergen oder zwei Tälern m it W e l l e n l ä n g e , die Gesamt
6 2 Meereskunde.
Laufen verschiedene W ellen in gleicher oder entgegengesetzter R ichtung aufeinander, so entstehen Durchdringungen aller Art. Treffen zwei Berge zu sammen, so bildet sich theoretisch ein Berg, welcher der Summe der Einzelberge entspricht, zwei Täler ergeben desgleichen ein tieferes Tal, Berg und Tal von glei
cher Größe gleichen sich bei dem Zusammenstoß aus. Kreuzen sich die W ellen in verschiedenen Richtungen, so finden schwierige Durchdringungen sta tt m it dem Erfolg, daß plötzlich sehr hohe oder sehr flache W ellen entstehen. Treffen reine Schwingungswellen aus tiefem Wasser (t > 50 m) auf steile Wände, so werden sie, ohne einen wesentlichen Stoß ausgeübt zu haben, zurückgeworfen. Erfolgt das gleiche in flacherem Wasser, wie es sich vor ■ allen Hafenm olen findet, dann werden trotz des Zurückwerfens m eist starke Stöße ausgeübt. Es entstehen dabei wieder hohe Berge und tiefe Täler m it allen Zwischenstufen. Prallt die M itte des Berges z. B. auf die Wand, so steigt der Berg bis zur doppelten H öhe an usw., wie bei dem Zusammentreffen der W ellen. N ach G a illa r d ist die Wirkung von steilen Böschungen bis zu etw a 2 3° Neigung ganz ähnlich.
So lange die W asserteilchen lediglich um einen ruhenden P unkt schwingen, können die W ellen auf senkrechte Mauern keinen Stoß ausüben, sondern nur einen vermehrten Wasserdruck, da sie, wie bereits gesagt, eine größere Höhe durch A ufstauchen erreichen. Nur dann, wenn die W elle zu einer fortschreiten
den wird, w ie es an den K üsten der Fall ist, ist sie fähig, große Stoßwirkungen auszuüben. Dieser Fall wird später betrachtet werden.
Eine besondere Art der W ellen wird durch unterirdische Vulkanausbrüche (sog. S e e b e b e n ) hervorgerufen. D iese gehören zu den fortschreitenden W ellen und sind durch die Verwüstungen der von ihnen getroffenen K üsten bekannt.
Graf L u c k n e r schildert in seinem Seeteufel die Zerstörung des „Seeadlers“
durch eine Seebebenwelle.
D ie in M ittelm ceren oder R an d m eeren vorkom m en d en steh en d en W ellen , S e i c h e n , auch S e e b ä r g en a n n t, h ab en E b b e- u n d F lu teh a ra k ter u n d scheinen in der Schw in gun g der g a n zen W asserm assc zu b esteh en , so daß a n ein em U fer der W asserstan d stark ste ig t, w äh rend er an dem en tg eg en g ese tzten fä llt u n d u m gek eh rt m it m ehrfacher W ied erholun g a n ein em T age. B ei dem E in la u fen der F lu t in M eeresb uchten u n d F lu ß m ü n d u n gen en tsteh en sog. F l u t w e l l e n . H a t ein Ort im E b b e- u n d F lu tg e b ie t d es F lu sses gerade H och w asser, d a n n f ä llt vor u n d hin ter ihm der W asserstan d in ein er sch lan k en K u rv e ab. E s b esteh t g ew ö h n lich ein e ein zige lan ge W elle, deren W ellenberg als jew eiliges H oeh w asser den F lu ß h in a u feilt bis d ah in , w o der W irkungsbereich der E b b e u n d F lu t aufhört.
2. Form , Tiefe, G eschwindigkeit und Stoßkraft der W ellen.
D ie Beobachtung der W ellen ist eine sehr schwierige Aufgabe, so daß die A n
gaben über die Abmessungen der W ellen sehr schwanken. Am sichersten erhält man die Wellenbilder durch Stereoskopaufnahmen, die zeichnerisch ausgewertet werden müssen. D ie W ellen m üssen immer langsamer fortschreiten als der sie erzeugende W indstoß. Da die W ellen aber m it gleichbleibender Geschwindigkeit, der Sturm bald schneller, bald langsamer fortschreitet, haben die W ellen häufig eine größere Geschwindigkeit, als es das Sturmfeld im M ittel hat. D ie W ellen laufen dann vor dem Sturm her und kündigen ihn an. D iese W ellen heißen D ü n u n g , ebenso die W ellen, die nachträglich ohne W ind auftreten, w enn an anderen Stellen ein Sturm stattgefunden hat.
Die Geschwindigkeit der W ellen dürfte 25 m /sek nicht überschreiten, im M ittel ist sie 13 m /sek. In Helgoland wurden z. B. beobachtet bei W indstärke 9 (nach B e a u f o r t ) V = 11 m /sek, L = 99 m und T = 9 sek; ferner bei gleicher W indstärke V = 9,6 m /sek, L = 134 m und T = 14 sek. E s handelt sich um W ellen in flachem Wasser.
D ie S e e b e b e n w e l l e n o d e r S t o ß w e l l e n durcheilen die Meere im Gegen
satz zu den W ind wellen m it Geschwindigkeiten, die bis zu 200 m /sek betragen können, wobei ihre H öhe im Verhältnis zu der W ellenlänge sehr gering ist (einmal
D ie Meeresweilen. 6 3 beobachtet 40 cm). An den K üsten jedoch können sie zu der gewaltigen Größe von 25 m (nach einigen Angaben sogar 40 m) ansteigen1). Es ist n ich t ausge
schlossen, daß gelegentlich eine Erdbebenwelle m it zur Ursache einer Sturm flut geworden ist.
D ie W ellenhöhe ist im M ittel 3 m, beträgt selten mehr als bis zu 6 m, soll aber bei Orkanen im Ozean bis 15 m steigen. An flachen K üsten rechnet man m it 3 m Wellenhöhe. D ie m ittlere Länge der Sturmwellen ist 90— 100 m, H öchstw ert 400 m. J e länger die W elle, desto niedriger ist sie im Vergleich zur Länge. Eür kurze W ellen kann man rechnen L : H — 10 : 1, im M ittel 33 : 1, bei sehr langen W ellen (selten) L : H = 50 : 1.
D ie W ellenperiode kann 6 — 10 sek, höchstens 15 sek betragen.
D ie Tiefe, bis zu der die schwingende Bewegung der W indwellen reicht, soll nach Versuchen der Gebrüder W e b e r das 350fache der W ellenhöhe sein können.
E in Orkan könnte danach das Meer bis zu 5300 m, ein Seebeben bis zu seiner größ
ten Tiefe in Schwingung versetzen. Flutw ellen in Flüssen besitzen m eist eine sehr große Länge im Vergleich zu der W assertiefe des Flusses. Ändert sich die F lu ß breite und Flußtiefe nur sehr allmählich, so g ilt für die Fortpflanzungsgeschwindig
keit dieser W elle die Form el: 0 = / g • h i /x, worin ¡i die Strömungsgeschwindig
keit und h die W assertiefe ist. N ach Untersuchungen von d e T h ie r r y fü r den Suez- K anal hat die Formel für K anäle genügende Genauigkeit2). Nach Untersuchungen von ö l t j e n und Dr. R e i n e c k e ist sie für Ästuarien (z. B. Weser) zu ungenau3).
Die lediglich schwingende Bewegung der W indwellen geht bei ihrem A uflau
fen auf sanft ansteigende Ufer, auf plötzliche U ntiefen in der See oder auf sehr schräge Böschungen in die fortschreitende über. H ier werfen die W ellen eine nicht unbeträchtliche Menge Wasser vor sich auf den Strand. Dieses muß nach jeder W elle, die den Strand berührt, durch den Fuß der dahinter komm enden Wellen am Grunde zurücklaufen. Dadurch erleiden die W ellen an ihrem Fuß eine immer größer werdende Verzögerung, sie neigen sich mehr und mehr nach vorn über, bis sie sich schließlich selbst überstürzen, sie branden. Es möge bemerkt wer
den, daß eine andere Erklärung, die auf Verzögerung am W ellenfuße infolge Reibung am Grunde beruht, nach Versuchen von H a g e n nicht völlig einwandfrei zu sein scheint. D ie W ahrheit liegt wahrscheinlich in der Mitte.
D ie Geschwindigkeit der W elle wird bei dem Auflaufen verringert, und es geht die Schwingung in das Fortschreiten der Masse über, das sich dort, wo ihr ein W iderstand entgegengesetzt wird, in der Ausübung von heftigen Stößen äußert.
D as Branden (Überschlagen) ist zur Ausübung der Stoßkraft nicht nötig. Kurz vor dem Branden wird aber die größte Stoßkraft erreicht. D ie brandende W elle hat ihre größte wagerechte Stoßkraft bereits verloren, sie ist aber am wirksamsten für den Angriff auf den Grund. D ie H öhe der Welle muß sich während des Auf- laufens beträchtlich vergrößern und zwar um so mehr, je sanfter sie aufwärts g e
leitet wird. In Helgoland wurden 1910 bei 4 m W assertiefe und W indstärke 7 (B e a u f o r t ) einfache W ellen von 2 m, Durchdringungswellen von 3,5 m größter H öhe beobachtet.
D ie Stoßkraft des Wassers ist so bedeutend, daß große Beton- und Felsblöcke (in einem Falle von n ich t weniger als 70 cbm Inhalt) flache Böschungen hinauf
getrieben werden.
N a ch M essungen v o n S t e p h e n s o n m it einer au f Spiralfedern ruhend en P la tte von etw a 15 cm (6') D urchm esser, dem sog. W e l l e n d y n a m o m e t e r , treten im A tla n tisch en
l ) H a n n : D ie E rde als G anzes. 1896. — K r ü m m e l : O zeanographie I I , 1913. — R o t - t o c k : M eeresw ellen. A n n . d. H ydrographie 1903. •— Z. V. d. I. 1905, S. 1981.
') B erich t zum In tern. Schiffahrtsk ongreß, P h ila d elp h ia 1912.
3) Ö l t j e n : Z. d. R . 1919, S. 137. Ü b er die B erech n , v . F lu tw ellen lin ien . D r.-A rb eit R e i n e c k e , T ech n. H och sch . H an n over. F ern er: K r e y , D ie F lu tw e lle in F lu ß m ü n dungen u sw . B erlin 1926. E igen verlag der V ersuchsanst. f. W . u. Sch. B erlin.
6 4 Meereskunde. w ieht des Seewassers in t/cbm , dann erreicht s Tonnen 1 qm W andfläche m it der Masse also die vollständige Umwandlung der schwingenden in nur fortschreitende B e wegung, nicht eintritt. Wir haben es som it m it einer zusam m engesetzten E r eine aufwühlende Wirkung auf den Seegrund aus, die sich bis zu Tiefen von 200 in
erstrecken soll. D ie Wirkung ist an der Färbung des Wassers durch aufgewirbelten Schlamm leicht zu erkennen. E ine weitere Folge der R eibung des Wellenfußes am Grund ist, daß sie fast immer nor
mal auf das Ufer zulaufen, selbst wenn das Ufer heftige Krümmungen m acht (vgl. Abb. 55).
In diesem F all wird z. B. die rechte Seite der W elle zuerst auflaufen und stark verzögert werden.
Die linke Seite läuft dabei m it unverminderter Ge Molenkopf herum drehen und in den H afen eintreten. D iese Erscheinung ist für die Form und Lage von Molenköpfen von größter W ichtigkeit.
Für den Hafenbau ist ferner von Bedeutung, daß W ellen, die in ein sich verengendes Becken von gleicher Tiefe einlaufen, sich vergrößern, im sich
Abb. 55. Wellen am gekrümmten Ufer.
D ie Gezeiten. 6 5 erweiternden Becken aber erniedrigen. Eine Formel für Abnahme der W ellen
höhe im H afen ist
worin x und H die W ellenhöhe im H afen und vor der Einfahrt (in der See) b und B die Breite der Einfahrt und des H afens sind und D der Abstand des beobach
teten Punktes von der Einfahrt ist. Diese Formel stam m t von T h o m a s S t e v e n s o n und ist hier in Metern ausgedrückt. Für Fußm aß, wie sie S t e v e n s o n gefunden hatte, ist 0,027 durch 0,02 zu ersetzen. Für zwei Reeden m it
b = 200 m, B = 800 m und B' = 1800 m ergeben sich für zwei P unkte in
D i = 260 m, Z>, = 1300 m
Entfernung von der E infahrt als W ellenhöhen X und X'.
Xl = H (0,5 - 0,16) = rd. 0*34 H \ x[ = 0,19 H,
also Abnahm e auf 34 bis 12 v H der W ellenhöhe. D as erste Glied der Formel allein hätte 1/ 2 und 1/3 H ergeben. Bedingung ist, daß die Wellenbrecher hoch sind, die Tiefe gleichm äßig, keine übermäßig große Einfahrtsweite, annähernd sen k rechte Mauern und 1) > 15 m 1).
Ein M i t t e l z u r B e s ä n f t i g u n g d e r W e l l e n sind schwere Fisch- und Pflanzenöle. Mineralöl ist weniger wertvoll, Seifenwasser soll bei schwerer See völlig versagen. D ie Öle überziehen das Wasser m it einer sehr feinen H aut, die eine größere Zähigkeit als das Seewasser und dam it größere Festigkeit gegen Zer
reißen besitzt. Dieses H äutchen (1/50ooo mm Dicke soll genügen) drückt dann die.
W ellen wie ein dünnes elastisches Gummituch herunter, so daß sie nur einen Teil ihrer ursprünglichen H öhe erreichen.
A n den Ufern der großen Ozeane und ihrer Nebenmeere wird ein regel
mäßiges Steigen und Fallen des Wassers beobachtet, das im allgemeinen täglich zweimal eintritt. Dieser W asserwechsel heißt die G e z e i t e n , an der Nordsee
küste T i d e n .
D as Steigen des Wassers wird m it F l u t , das Fallen m it E b b e , der höchste W asserstand m it H o c h w a s s c r , der niedrigste m it N i e d r i g w a s s e r bezeichnet (nicht aber etw a der höchste W asserstand m it F lu t!). D en H öhenunterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser nennt man F l u t w e c h s e l oder F l u t g r ö ß e , den Zeitunterschied zweier aufeinanderfolgender Hochwasser die F l u t p e r i o d e .
D ie m ittlere Flutperiode ist theoretisch annähernd gleich einem halben Mond
tage, also abgerundet gleich x/ 2 • 24 st bO1/., m in = 12 st 2 5 1/4 m in (121/2 st). Jo nach der Stellung des Mondes ist sie in W irklichkeit länger oder kürzer, e n t
sprechend den Änderungen des Mondtages.
Innerhalb eines Monats (Vollmond bis Vollmond) treten bei Vollmond und Neumond (also zweimal) besonders hohe Fluten, die S p r i n g f l u t e n , zur Zeit des ersten und letzten M ondviertels besonders schwache, die t a u b e n oder N i p p - f 1 u t e n auf. Der E intritt der F luten w eicht an den einzelnen Orten von den th eo
retischen Zeiten erheblich ab.
b T he D esig n and co n stru ctio n of H arb ours v o n T h . S t e v e n s o n 1886.
-) L e n t z , H .: E b b e u n d F lu t, — D a r w i n , E b b e un d F lu t. D eu tsch e A u sgab e v o n Teubner. — F r a n z i u s , O.: A n n . d. H ydrograp hie 1911, S. 3 3 ff.
Franzius, Verkehrswasserbau. 5
a-2 = H (0,5 - 0,24) = rd. 0,26 H ; = 0,12 H ,