Die Naturwissenschaften. Wochenschrift..., 15. Jg. 1927, 28. Januar, Heft 4.

H E R A U S G E G E B E N V O N

A R N O L D B E R L I N E R

U N TER B E SO N D E R E R M ITW IRKU N G VON HANS SPEMANN IN F R E IB U R G I. B R ORGAN DER GESELLSCHAFT DEUTSCHER NATURFORSCHER UND ÄRZTE

U N D f

ORGAN DER KAISER WILHELM-GESELLSCHAFT ZUR FÖRDERUNG DER WISSENSCHAFTEN

V E R L A G V O N J U L I U S S P R I N G E R I N B E R L I N W g

HEFT 4

(SE IT E 8 1 -1 0 4 ) 28 . JANUAR 1927

FÜNFZEHNTER JAHRGANG

Christian Wiener zum hundertsten Geburtstag am 7. Dezember 1926. Von

O t t o W i e n e r ! ,

Leipzig D er Baikalsee. Eine geographische Zusammen­

fassung. Von P.

F i c k e l e r ,

München . . . . Die Gasstrahlung vom physikalischen und tech- nischen Standpunkt. Von A .

S c h a c k ,

Düsseldorf Über Strukturfixierung der Glucose und ihre B e­

deutung für das Glucoseschicksal Von

O . L o e w i ,

G r a z ...

Bericht über die Tagung der Deutschen Mineralo­

gischen Gesellschaft in D u i s b u r g ...

Die Sprachlaute. Von E.

W a e t z m a n n ,

Breslau .

Z u s c h r i f t e n :

W eitere Beiträge zur Röntgenoskopie des K a u t­

schuks. Von E. A.

H a u s e r ,

Frankfurt a. M. 100

I N H A L T :

Be s p r e c h u n g e n :

K r a f t , V i k t o r ,

Die Grundformen der wissen­

schaftlichen Methoden (R ef.: E. Zilsel, Wien)

101 M e y e r , A d o l f ,

L ogik der Morphologie im

Rahmen einer Logik der gesamten Biologie.

(R ef.: E . Zilsel, W i e n ) ...

101 P r a n d t l , A n t o n i n ,

Einführung in die Philo­

sophie. (R e f.:

M .

Kronenberg, Berlin) . . .

102 C o r n e l i u s , H a n s ,

Grundlagen der Erkenntnis­

theorie. 2. Auflage. (Ref.: E. Zilsel, Wien)

103 A s t r o n o m i s c h e M i t t e i l u n g e n :

Die Parallaxe

des Doppelsterns 9 Argus. British Astronomical A sso c ia tio n ...

103

9 i

93 94 97

A u s :

Verschieden intersexuelle <J<J von

L.

dispar.

K&l*usiologisclae Theorie der Vererbung.

Von Professor Dr. Richard Goldschmidt, 2. Direktor des Kaiser Wilhelm^Instituts für Biologie in Berlin#Dahlem. Mit 59 Abbildungen. VI, 247 Seiten. 1927.

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II D I E N A T U R W I S S E N S C H A F T E N . 1927. H eft 4.

28. J an u ar 19 27.

DIE NATURWISSENSCHAFTEN

erscheinen wöchentlich und können im In- und Auslande durch jede Sortimentsbuchhandlung, jede Postanstalt oder den Unterzeichneten V erlag be­

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Einleitung. Analyse gesungener Vokale durch resonierende Gabeln. Analyse gesungener Vokale durch Interferenzröhren. Das Unkennt­

lichwerden der Vokale in der höheren Sopran­

lage. Das stimmhafte Sprechen und dessen Abbau durch das Interferenzverfahren. Struktur der Flüstervokale und Konsonanten. Die sub­

jektiven Tonhöhen der stimmlosen Sprach­

laute. Synthetische Darstellung der stimm­

haften Vokale. Die Entwicklung der Vokal­

forschungen und die Konvergenz ihrer Ergeb­

nisse. Phonographische, telephonische und ohrenärztliche Beobachtungen. Systematik der Sprachlaute vom akustischen Standpunkte.

Einheitliches und mehrheitliches Hören. Die gegenseitige Beeinflussung der Teiltonstärken und ihr Verhältnis zur Gesamtstärke des Klanges. Psychophysik der Sprachlaute. Zur

Physik und Physiologie der Sprachlaute.

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DIE NATURWISSENSCHAFTEN

Fünfzehnter Jahrgang ²⁸ . Januar 1927 Heft 4

Christian W iener zum hundertsten Geburtstag

am 7 . Dezem ber 1926 . V o n O

t t o

W

i e n e r

f , L e ip z ig .

(Aus dem Physikalischen In stitu t der Universität.) E s d ü rfte w en ig b e k a n n t sein, d a ß die h eu te

allgem ein an g en om m en e D e u tu n g d er vo n dem englisch en B o ta n ik e r B

r o w n

e n td e c k ten Z itte r- hew egu ng k le in e r in F lü ssig k e iten sch w im m end en fe ilc h e n zu m e rsten m al gegeb en w ord en ist vo n dem im Jah re 1896 versto rb en en P ro fesso r der d a r­

stellen d en G eo m etrie an d er T ech n isch en H o c h ­ schule K a rlsru h e, D r. C

h r

. W

i e n e r

. E r v e r ­ ö ffe n tlic h te im Jah re 1863 im 118 . B a n d vo n

^ p g gen d o rffs A n n ale n ein e A rb e it u n ter dem i i t e l : „ E r k lä r u n g des a to m istisch en W esen s des tro p fb ar flü ssigen K ö rp e rzu sta n d e s und B e s t ä t i­

gu n g desselben durcfa die so gen an n ten M o lek u la r­

b ew egu n gen .“ B

r o w n

selb st h a t die vo n ihm e n t­

flech te B e w e g u n g d u rch a u s n ic h t als eine S p u r M o lek u la rb ew egu n g a u fg e fa ß t. V ielm eh r der

g a u b te er, d a ß sich h ierin au ch b ei den T eilch en u n b eleb ter K ö rp e r eine V o rstu fe d er b estä n d ig en B ew egu n g in b e leb ten K ö rp e rn zeige. F re ilich w urde diese A u ffa ssu n g b a ld a u fgegeb en und m an nah m an, d a ß d ie B ew eg u n g en vo n S tö ru n g en her- rüliren, die in folge vo n T em p era tu ru n tersch ied en oder d u rch V e rd u n stu n g in d er F lü ssig k e it h e rv o r­

geru fen w ürden .

U m die F ra g e zu entsch eid en b ra c h te C

h r

. W

i e n e r

einen kleinen W a ssertro p fen in die H ö h ­ lun g eines B rillen g lases, das einen oben abge- sch liffen en R a n d b esaß und d u rch ein D e c k ­ gläschen m ittels F e t t fest a b g e d ic h te t w u rd e. D er W assertro pfen e n th ie lt feine A u fsch w em m u n g en von Q u a rzsta u b oder anderen schw im m enden T eilch en .

D a ß die zitte rn d en T eilch en n ic h t au s In fu ­ sorien b estan d en , ergab sich au s d er H e rstellu n g der Q u arzteilch en , die v o rh e r g u t g e g lü h t w aren , und d arau s, d a ß alle sch w im m end en T eilch en an der Z itte rb e w e g u n g teiln ah m en . D a ß die B e ­ w egu ng au ch n ic h t vo n T em p e ra tu ru n tersch ie d en in d er F lü s s ig k e it h errü h rte, ergab sich d arau s, d aß die Z itterb ew eg u n g e n w äh ren d län g erer Z e it a n ­ h ielten und d a ß a b sich tlic h h e rb eigefü h rte T e m ­ p eratu rsch w an k u n gen keinen U n tersch ied in der Z itterb ew eg u n g erkenn en ließ en . D u rch w eitere V ersu ch e w u rd e die M ö g lich k eit ausgeschlossen, daß d ie B e w e g u n g b eim A u fsetze n des T rop fen s m echanisch e rzeu g t w u rd e, od er d a ß die Z itte r ­ bew egu n gen vo n w ech selnd en A n zieh u n g en oder A b sto ß u n g en der sch w im m end en T eilch en h e r­

rü h rten, od er d a ß V e rd u n stu n g die U rsach e w ar.

Es b lieb d ah er allein die M ö g lich k eit üb rig, die L rsache d er Z itte rb e w e g u n g in der F lü ssig k e it selb st zu such en , d. h. sie als die F o lg e d er inneren

dem F lü ssig k e itszu sta n d eig en tü m lich en u n reg el­

m äß igen B ew eg u n g en seiner M olekeln aufzu fassen . E in e u n m ittelb a re B e stä tig u n g dieser A u ffa ssu n g erg a b die B e o b a ch tu n g , d aß die Z itterb ew eg u n g d ieser T eilch en um so grö ß er w ar, je klein er sie g e w ä h lt w u rd en . So zeigten T eilch en vo n einem D u rch m esser vo n 0,6 bis bis 1,4 (V1000 m m ) eine d u rch sch n ittlich e Z itte rg e sc h w in d ig k e it vo n 1,6 /<

in der Seku n d e, d agegen T eilch en vo n 2,3 />■ D u rc h ­ m esser n u r eine solche v o n 0,5 ^ in der S ekun de.

D ies vo ra u sg esch ick t, d ü rfte es v ie lle ic h t fü r die L eser dieser Z e itsc h rift vo n W e rt sein, etw as vo n dem E n tw ic k lu n g sg a n g v o n C

h r

. W

ie n e r z u

erfah ren und w od u rch er zu den gen an n ten B e ­ o b ac h tu n gen a n g ereg t w u rd e. C

h r

. W

i e n e r

1) w u rd e am 7. D ezem b er 1826 in D a rm sta d t als Sohn des K rim in a lrich te rs A

l e x a n d e r

W

ie n e r

geboren.

N a ch E n tla s s u n g au s dem G y m n a siu m m it dem Z eu gn is der R e ife stu d ierte er in G ießen zu n ä ch st A rc h ite k tu r, leg te dann die S ta a ts p rü fu n g fü r das B a u fa c h a b und w u rd e L eh rer an d er höheren G ew erb esch u le, dem sp äteren P o ly te c h n ik u m in D a rm sta d t. 1850 h a b ilitie rte er sich an d er U n i­

v e rs itä t G ießen fü r M a th e m a tik , g in g a b er v o r B e ­ ginn der d o rtig en L e h r tä tig k e it zu sein er w eiteren u sb ild u n g a u f ein J a h r an das d a m alig e P o ly ­ tech n ik u m in K a rlsru h e , w o er v e rm u tlic h d u rch den M a sch in en th eo retik er R

e d t e n b a c h e r

, der sich d a m als m it seinem D y n a m id e n sy ste m b e ­ s c h ä ftig te, zu den eigenen F o rsch u n g en ü b er A to m ­ leh re an g eregt w u rd e. Im Jah re 1852 w u rd e er a u f den L e h rs tu h l d er d arstellen d en G eom etrie in K a rlsru h e beru fen , eine S telle , die er b is zum T od e inne h a tte . W

i e n e r

ist seinen F ach gen o ssen in erster L in ie d u rch m a th em a tisch e und g eo m e­

trisch e A b h a n d lu n g en b e k a n n t gew ord en und b e ­ sonders d u rch m a th em a tisch e M odelle, u n ter denen das ein er F lä ch e d ritte r O rd n u n g m it 27 reellen G rad en h erv o rzu h eb en ist, sow ie d u rch d as 1884 bis 1887 erschienene L eh rb u ch d er darstellen d en G e o m e trie 2) .

*) Ein kurzer Nachruf auf ihn, verfaßt von seinen Söhnen und begleitet von einem Verzeichnis seiner Veröffentlichungen, erschien 1896 bei der BRAUNschen Hofbuchdruckerei in Karlsruhe, ein ausführlicher wissenschaftlicher Nachruf, verfaßt von A.

B r i l l

und L.

S o h n c k e ,

in Bd. V I des Jahresberichtes der D eut­

schen Mathematikervereinigung, ein weiterer von A.

S c h l e i e r m a c h e r

in den „Hessischen Biographien“

Bd. II. 1926. Dort sind auch weitere Quellen angegeben.

2) Genauere Angaben über

C h r i s t i a n W i e n e r

als M athematiker in einem folgenden A ufsatz zu machen, behält sich mein Bruder

H e r m a n n

vor.

Nw. 1927

₇

82 ^W

^{i e n e r}

^{: C}

h r i s t ia n

W

i e n e r

zu m hu n d ertsten G eb u rtstag .

I D ie N a tiu - [w issenschafteu

In d er ersten Z e it seiner w isse n sch aftlich en T ä tig k e it w id m ete er sich h a u p tsä c h lic h p h y s ik a li­

sch en u n d p h ilosop h isch en F ra g e n . D e r B e a r b e i­

tu n g v o n W e ltan sch a u u n g sfra g e n , die ih m v ie l­

le ic h t eine v o m G ro ß v a te r e rerb te A n la g e n ah e ­ leg te, d er P fa rre r im H essisch en w ar, w id m ete er sich stets m it V o rlieb e. D a s E rg eb n is d ieser S tu ­ d ien is t d as u m fa n g reich e W e rk ,,D ie G ru n d ­ zü g e d er W e lto rd n u n g “ (1863 W in tersc h e V e r la g s ­ b u ch h a n d lu n g ), dessen 1. T e il d ie A to m en leh re e n th ä lt.

N a ch einer n och h e u te m u ste rg ü ltig k laren D a r ­ stellu n g d er G ru n d zü g e d er M ech a n ik e n tw ic k e lte C

h r

. W

i e n e r

eine b eson dere T h eorie der M o lek u ­ la rk r ä fte , die z w a r v o n der h eu tigen a b w e ich t, ab er fü r die d a m a lig e Z e it d o ch in seinen H ä n d en v ie l leistete . Sie b e sta n d in d er A n n ah m e, d a ß die K ö rp e rte ilc h e n ein an d er anzieh en , zw isch en den Ä th e rte ilc h e n u n terein an d er d agegen, ebenso w ie zw isch en diesen u n d den K ö rp e rte ilc h e n A b sto s- su n g b e ste h t. D ie A to m e w erd en v o n end lich en A b m essu n g en an gen om m en und vo n versch ied en er G e s ta lt, d a sie in versch ied en en R ic h tu n g e n v e r ­ sch ieden e K r ä fte au sü b en m üssen.

D ie e n tw ic k e lte V o rs te llu n g v o m W esen des festen u n d flü ssigen Z u sta n d e s e n tsp ra c h d a b ei d u rch a u s den k u rz v o rh e r v o n C

l a u s i u s

v o r ­ g e tra ge n e n A n sch a u u n g en , die w ir h e u te n och teilen . B eso n d ers fru c h tb a r w a r a b er die A n w e n ­ d u n g d ieser V o rste llu n g a u f eine T h eo rie der K r y s ta lls y s te m e . In d ieser k o m m t er w esen tlich ü b er die V o rstellu n g en vo n H

a ü y

und B

r a v a i s

h in au s, in d em er die b eso n d ere V o ra u ssetzu n g , d a ß die A to m e in den R a u m g itte rn alle p a ra lle l liegen, a u fg ib t und a u ch d a v o n ab w eich en d e S tellu n g en z u lä ß t. W ie S

o h n c k e

selb st e rw äh n t, h a t C

h r

. W

i e n e r

ih n d a zu g e d rä n g t, a u ch in seiner eigenen T h e o rie die beson d ere B R A V A iss c h e A n n ah m e fallen zu la sse n ; S

o h n c k e

g e la n g te d a d u rc h zu seinen U n tersu ch u n g en ü b er d ie reg e lm äß ig e n P u n k t ­ sy ste m e in d er „ E n tw ic k lu n g d er K r y s t a lls t r u k t u r “ , L e ip z ig 1879.

U m au ch in d er b e le b ten N a tu r eine V o rste llu n g d a v o n zu geben, w ie sich W a ch stu m sfo rm e n u r­

sä c h lich v e rste h en lassen, u n tersu ch te er die S p ira l­

form en d er S ch n ecken g eh äu se u n d fan d dab ei, d aß u n ter d er A n n ah m e, d er Z u w a ch s d er S ch ale n ­ m asse steh e in einem u n ve rä n d erlich en V e r h ä lt­

nis zu m Z u w a ch s des K ö rp e rs d er S ch n ecke, eine lo g a rith m isch e S ch n eck en lin ie e n tsteh e n m uß, die d a d u rch gek e n n zeich n e t ist, d a ß der F a h r ­ stra h l

b e i m

D reh en u m ein und d enselben W in ­ k e l stets in einem u n ve rä n d erlich en V e rh ä ltn is w ä ch st. D iese lo g a rith m isch e S p ira le fin d e t sich

t a t s ä c h l i c h

v ie lfa c h bei S ch n ecken v e rw irk lic h t, b ei and eren W a ch stu m s

V e r h ä l t n i s s e n g e l t e n

a n ­ dere G esetze.

A u c h in and eren V e rö ffe n tlich u n g en t r it t die N e ig u n g und G ab e des V erfassers h e rv o r, aus e in ­ fach en G ru n d a n n a h m en od er G ru n d ta tsa ch e n v e r ­ h ä ltn ism ä ß ig v e rw ic k e lte F o lge n a b zu le iten . D ies gesch ieh t z. B . b ei seiner A rb e it ü b er die S tä rk e

der B e str a h lu n g d er E rd e d u rch die Son ne, v e r ­ ö ffe n tlic h t in d er m eteo ro lo gisch en Z e its c h rift 1879.

D a rin b e rec h n et d er V e rfa sse r en tsp rech en d den versch ied en en S tellu n g en d er E rd a c h se gegen die Sonne im V e r la u f des Jah res, w elch e G e s a m t­

lich tm en g e in n erh alb eines T a g es einem b e ­ stim m ten B re ite n g ra d z u teil w ird . D ie E rg eb n isse sind in K u r v e n fo r m leic h t ü b e rsich tlich d a rg estellt, und beson d ers m e rk w ü rd ig is t d a b ei die F e s t­

stellu n g , d a ß im H o ch so m m er d em P o l m ehr Son n en en erg ie z u g e s tra h lt w ird als irgen d einem an d eren P u n k t d er E rd e.

A ls d a rstelle n d e r G eo m eter h a tte er a u ch die B e leu c h tu n g sv e rh ä ltn isse g e k rü m m te r F lä c h e n d a r­

zu stellen , und so k a m es, d a ß er g eleg en tlich u m ein G u ta c h te n g eb eten w u rd e, in w elch em A b sta n d v o n and eren G eb äu d en ein g ep lan tes A k a d e m ie ­ g eb äu d e e rric h te t w erd en m üsse, u m in seinen L ic h tv e rh ä ltn is s e n u n g e stö rt zu sein. D ie B e ­ s c h ä ftig u n g m it diesem G eb ie te fü h rte ihn sp ä ter zu ein er m erk w ü rd ig en A rb e it ü b er die Z erstreu u n g des L ic h te s d u rch m a tte O b erflä ch en , w orin er w esen tlich ü b er die frü h eren p ra k tisch e n und th eo retisch en E rg eb n isse h in a u sg efü h rt w u rd e (W ied em an n s A n n ale n

4 7.

1892). D u rc h eigene V ersu ch e an zw ei g leich m a tte n G ip sflä ch en , die u n ter w ech seln d em E in fa lls- u n d A u sfa llsw in k e l b e le u c h te t und b e tr a c h te t w u rd en , g e la n g te er zu r A u fs te llu n g vo n H e llig k e itsflä ch e n . Zu jed em b e ­ stim m ten ein fallen d en S tra h l g eh ö rt eine solche, w ob ei in d er A u s fa lls ric h tu n g die in d ieser R ic h ­ tu n g zerstreu te L ic h ts tä rk e d a rg e s te llt w ird . B e i G ü ltig k e it des LA M B ER TSchen G e s e t z e s is t diese F lä c h e e in e H a lb k u g e l, in W ir k lic h k e it z e ig t sie b ei steigen d em E in fa lls w in k e l im m er stärk ere sch n ab elfö rm ig e A u sw ü ch se, die sch ließ lich b ei gro ß em E in fa lls w in k e l eine A r t reg elm äß iger S p ieg elu n g anzeigen , w ob ei jed o ch d er A u s fa lls ­ w in k el d er s tä rk ste n Z u rü ck w e rfu n g grö ß er ist als d er E in fa llsw in k e l.

E in e b e lie b te A u fg a b e des d a rstellen d en G eo ­ m eters is t die D a rs te llu n g d er H ellegleich en , d. h.

der K u r v e n gleich er H e llig k e it a u f ein er K u g e l, w en n sie v o n d er Son ne o d er v o m H im m el b e le u ch ­ t e t w ird . D a b e i h a tte m an d er E in fa c h h e it h a lb er b ish er stets angen om m en , d a ß d er H im m el in allen R ic h tu n g e n g le ich m ä ß ig h e ll e rle u c h te t ersch ein t, eine V o ra u ssetzu n g , die n a tü rlic h in W ir k lic h k e it kein esw egs z u trifft.

M it d ieser V e re in fa c h u n g u n zu fried en ge lan g te C h r . W i e n e r

z u

einer U n te rsu c h u n g d er H e llig k e it des H im m els, die er zu n ä c h st d u rch eine R e ih e vo n B e o b a c h tu n g e n m it H ilfe eines ein fach en , selb st ge b au ten P h o to m e ters fü r eine m ittle re S on n en ­ s tellu n g bei k la re m H im m el fe stste llte . A lle in diese rein erfah ru n g sg em ä ß e G ru n d la g e fü r einen b eson d eren F a ll b e fried ig te ihn au ch n ic h t; u n d so g e lan g te er sch ließ lich d azu , eine T h e o rie d er H im m e lsh e llig k e it zu en tw ic k eln . ,,D ie H a u p ta u f­

ga b e w a r dab ei, d as G esetz d er L ic h tze rs tre u u n g

d u rch die atm o sp h ä risch e L u f t v e rm itte ls t der

d a rin sch w eb en d en flü ssigen u n d festen K ö rp e r-

Heft 4. 1 W i e n e r : C h r i s t i a n W ie n b r zum hundertsten G ebu rtstag.

28. i . 1927J

eben zu e rm itte ln .“ D a b e i w u rd en sow ohl die v e r ­ schiedenen rege lm äß ig e n Z u rü ck w erfu n g en an Tröpfchen und E is k ry s tä llc h e n in R e ch n u n g gesetzt, die zu den versch ied en en R egen - und E isb ö gen führen, als a u ch die d u rch B e u g u n g b ed in g ten A b ­ w eich u ngen d a vo n , die en tsteh en , w en n T rö p fch en und E is k ry s tä llc h e n k lein w erd en ; und en d lich die RAYLEiGHsche Z erstreu u n g an T eilch en , die klein sind g egen ü b er d er W ellen län ge. Is t das M engen ­ ve rh ältn is der T rö p fch e n v e rsch ied en er G rö ß e und der K r y s tä llc h e n b e k a n n t — die erfo rd erlich en K o n sta n te n h a t W

i e n e r

seinen eigen en B e ­ o b ac h tu n gen en tn om m en — so k a n n m an d ara u s die S tä rk e des L ic h te s b erech n en , die ein b e stim m ­ ter R a u m te il der A tm o sp h ä re b ei gegeb en er S te l­

lu n g d er Sonne zu rü c k stra h lt. D u rc h In teg ra tio n vom B e o b a c h te r b is zu r atm o sp h ä risch en G renze erh ä lt m an die gesam te zu rü ck g e stra h lte L ic h t- m enge in b e stim m te r R ic h tu n g , u n d a u f diese A r t e n tsteh t eine erste A n n ä h eru n g an die H e llig k e it des H im m els; ih r gen au er B e tr a g w ird d ad u rch e rm ittelt, d aß n och die v o m E rd b o d en gegen den H im m el und das v o n d er A tm o sp h ä re gegen sich selb st v ie lfa c h h in und h er g e stra h lte L ic h t b e rü ck sic h tig t w ird . E in e D a rs te llu n g der H e lle ­ gleichen des H im m els b ei b e stim m te r S te llu n g der Sonne, n äm lich in R ic h tu n g d er D ia g o n ale n eines W ü rfels ist das H a u p terg eb n is d ieser U n te r ­ such ung.

W ah ren d m an nun h ä u fig g la u b t, im w esen t­

lichen m it d er RAYLEiGH schen L ic h tv e rte ilu n g am H im m el au szu ko m m en , stim m t die W ir k lic h k e it d a m it seh r w en ig überein. B e i der R A Y L E iG H sch en L ic h tv e rte ilu n g ist n äm lich das g rö ß te V e rh ä ltn is der L ic h tze rstre u u n g n u r 2 : 1 . N u n is t d as V e r­

h ä ltn is d er L u fts c h ic h td ic k e , in w a g r e c h t e r und lo tre ch ter R ic h tu n g gem essen, e tw a 35 : 1, w enn m an die S ch ich ten a u f gleich fö rm ig e L u ftd ic h te zu rü ck fü h rt. D a s g rö ß te H e llig k e itsv e rh ä ltn is, das beim R A Y L E iG H sch en H im m el V orkom m en kan n , ist d a h er 70 : 1. B e i den B e o b a ch tu n g en vo n C

h r

. W

i e n e r

e rg ib t sich ab er ein größeres V e r ­ h ä ltn is vo n e tw a 200 : 1. D a s w ird h a u p tsä ch lich b e d in g t d u rch die a u ß ero rd en tlich sta rk e B e ­ w eg u n g sw irk u n g an gröberen T eilch en , die in u n ­ m itte lb a re r N ä h e der Sonne a u f tr itt.

A u f V era n la ssu n g vo n O

t t o

W

i e n e r

h a t sp äter H err U

i b e

H im m elsh ellig keitsm essu n gen a u f dem P ik vo n T en e riffa an gestellt. D o r t k om m en sogar grö ß te H e llig k e itsv erh ä ltn isse bis 830 : 1 vo r. A lso selb st in einer H ö h e vo n 3700 m ist der R

a y l e i g h

- sche H im m el n och kein esw egs ve rw irk lic h t. E s ist klar, d a ß die T h eorie der H im m elsh ellig keit, die m it solch ve rw ic k e lte n V erh ä ltn issen zu rechnen h a tte , die B e w ä ltig u n g einer au ß ero rd en tlich en R ech en - und Z e ich en a rb eit v o ra u sse tzt, und so h a t ta tsä c h lic h C

h r

. W

i e n e r

die le tz te n zehn Jah re seines L eb en s dieser U n tersu ch u n g gew id m et. Sie ist n a ch seinem T o d e vo n H

e r m a n n

und O

t t o

W

i e n e r

h erau sgegeb en w ord en in den ,,N o v a a c ta “ d er L eo p old .-C aro lin . A k a d em ie der N a tu r ­ forscher in B d . 73 . 1900 und B d . 9 1 . 1909, der zw eite

T eil u n ter M itw irk u n g vo n W . M

ö b i u s

, der die R ech n u n gen ergä n zte.

A n den E rg eb n issen dieser grun dlegen den A r ­ b e it d ü rfte keine sp ätere F o rsch u n g ü b er die H e llig­

k e it des H im m els V orbeigehen.

V o n dem e rw äh n ten W e rk „ D ie G ru n d zü ge der W e lto rd n u n g “ w u rd e oben n u r ein k leiner A b sc h n itt, n äm lich die A to m le h re besproch en.

In W irk lic h k e it e n th ä lt es eine um fassen d e n a tu r­

w issen sch aftlich e W e ltan sch a u u n g. V iele der E in ­ zelh eiten sind n a tü rlich je tz t n ach 63 Jah ren d u rch die au ß e ro rd en tlich e E n tw ic k lu n g d er N a tu r­

w issen sch aften ü b erh olt, a b er m anch es darin d ü rfte au ch h eu te n och b e ach te n sw ert sein.

So soll h ier d a ra u f h in gew iesen w erden, d a ß eine w ich tig e F ra g e d er P h ilo so p h ie darin zum ersten m al eine k la re u n d sichere B e a n tw o rtu n g gefu n d en h a t. In seiner K r itik der reinen V e r ­ n u n ft h a t K

a n t

d a ra u f h in gew iesen , d a ß es „ e in S k a n d a l d er allgem ein en P h ilo so p h ie und a ll­

gem einen M en sch en vern u n ft sei, das W esen der D in ge a u ß er uns b lo ß a u f G lau b en anneh m en zu m üssen, und, w en n es jem a n d e in fä llt, es zu b e ­ zw eifeln, ih m keine gen u gtu en d en B ew eise e n t­

gegenstellen zu kö n n e n .“ A b e r w as K

a n t

selb st d a zu v o rb rin g t, is t kein esw egs ü b erzeu gen d . C

h r

. W

i e n e r

g e h t w ie A

u g u s t in

und C

a r t e s iu s

zu n ä ch st vo n der T a ts a c h e des b e w u ß te n D enken s aus, s te llt a b er fest, d a ß die G ed an k en im a ll­

gem ein sten Sin ne genom m en, n ic h t ein h eitlich er N a tu r seien, v ie lm e h r ein esteils aus d en leb ­ h a fte n S in n esein d rü cken besteh en , die dem G esetz der U rsä c h lic h k e it fo lgen , w on ach z. B . stets au f den E in d ru c k des losgelassen en S tein s d er des fallend en S tein es fo lg t; an d ererseits a b er aus blo ß en E rin n eru n g sb ild ern und G ed a n k en bei g e ­ schlossenen Sinnen, die im m erh in einem gew issen G esetz der G ed a n k en fo lg e geh orch en , w o n a ch zw ei a u fein an d erfo lgen d e G ed an ken stets ein G lied m itein a n d e r gem ein sam h ab en . M an d en ke sich nun einen in seinem Z im m er ab gesch lossenen G eleh rten , d er beisp ielsw eise aus m a th em a tisch en V o ra u ssetzu n g en einen gew issen S ch lu ß zu ziehen im B e g riff steh t. S t a tt dessen t r it t d er E in d ru c k eines K n a lle s ein, d er u n m ö glich als die logisch e F o lg e d er v o rau sg eh en d en G ed a n k en a u fg e fa ß t w erd en kan n.

W ill m an also O rd n u n g u n ter den G ed an ken lierstellen , so b le ib t n ich ts ü b rig, als d er In n en w e lt eine S in neserregu n g- und G ed an k en erzeu g en d e A u ß e n w e lt gegen ü b erzu stellen . E rw ä g u n g e n dieser A r t sind n eu erd in gs vo n versch ied en en S eiten z. B . v o n R

i e h l

, J. V

o l k e l t

und D

r i e s c h

a n g e ste llt w orden, zum T e il in seh r v ie l a u sfü h rlich erer A rt, d och m it dem gleich en G ru n d g ed a n k en und E r ­ gebnis. K e in e r v o n ih n en sch e in t a b er g e w u ß t zu h ab en , d a ß b ereits J ah rzeh n te vo rh e r C

h r

. W

i e n e r

solche Ü b erleg u n g en a n g e ste llt h a t.

B e a c h te n sw e rt sind fern er seine Ä u ß eru n g en ü ber die F re ih e it des W illen s, die er tro tz B e ­ stehen s des G esetzes der U rsä ch lich k e it n ic h t a b ­ leu gn et. F re ih e it, so m e in t W

i e n e r

, sei k ein

7*

84 F i c k e l e r : Der Baikalsee. [

D ie N a tu r ­ w issenschaften

G eg en sa tz zu G ese tzlich k eit. D en n so n st m ü ß te d er B e g r iff d er F re ih e it ü b e rh a u p t au s dem W ö r te r­

b u c h des N a tu rfo rsch e rs g estrich en w erd en . E r b ra u c h t ih n a b er stets dann , w en n a u sg e d rü c k t w erd en soll, d a ß d er V o rg a n g in einem G eb ild e n u r a b h ä n g ig is t vo n B e d in g u n g en , die in ih m liegen, n ic h t vo n solchen, die a u ß e r ih m lieg en . D er S p ra ch g eb ra u ch v ie le r P h ilo so p h en w e ic h t a lle r­

d in gs d a v o n ab , in d em sie u n te r F re ih e it ein N ich t- B e d in g tse in ve rste h en . A u f die n äh eren E r ö r ­ teru n gen vo n C

h r

. W

i e n e r

ü b er die B e g re n zu n g d er W ille n sfre ih e it d u rch eine vo n der regelm äß igen a b w eich en d en G em ü tsla g e u n ter dem E in flu ß b e ­ sond erer U m stä n d e so ll h ier n ic h t w e ite r ein ge­

gan gen w erd en .

S eh r a u fk lä ren d is t die B e g riffsb estim m u n g C

h r

. W

i e n e r s

des B e w u ß tse in s. D a s B e w u ß tse in is t n ach ihm d erjen ig e Z u sta n d d er gegen w ärtigen G e is te s tä tig k e it, die S p u ren im G ed ä ch tn is h in te r­

lä ß t.

Z u le tz t m ag n och eine re izv o lle Ü b e rle g u n g e rw ä h n t w erd en , die C

h r

. W

i e n e r

ü b er den Z u ­ stan d d er W e lt in ein er w e it zu rü ck lieg en d en Z eit a n s te llt (S. 5 der ,,G ru n d zü g e d er W e lto rd n u n g “ ).

E r h ä lt es fü r m öglich , d a ß die V erä n d e ru n g en im W e ltg esch eh en b ei rlick sch re iten d er B e tr a c h tu n g im m er la n g sa m er v o r sich gehen, so d a ß m an sch ließ lich zu einem großen G leich fö rm ig k e itsg ra d d er V e r te ilu n g des S to ffe s ge lan g t, d er a b er nie v o llk om m en w ar, w eil er sonst nie h ä tte ge stö rt w erden kön nen . E in e solch e B e sc h a ffe n h e it des W e ltzu sta n d e s g le ich t ein er k ru m m en L in ie , die w ie eine A s y m p to te ein er festen L in ie sich a n ­ n äh ert.

D iese M itteilu n g e n m ögen gen ügen, u m zu zeigen, d a ß C

h r

. W

i e n e r

ein a u ß e ro rd en tlich v ie lseitig e r und tie fg rü n d ig e r F o rsch e r w ar, dem es grö ß tes G lü c k b ed eu te te, den ihm a u fta u ch en d en R ä tse ln n ach zu g eh en u n d sie bis zu d er le tz te n K la rh e it d u rch zu d en k en , die ih m m ö g lich w ar.

Der B aikalsee.

E in e geo grap h isch e Z u sa m m en fa ssu n g V o n P . F

i c k e l e r

, M ü n ch en . I. Physiogeographie.

D ie E r fo r s c h u n g d e s B a ik a ls e e s u n d s e in e r U m ­ g e b u n g s p ie lt e in d e r g e o g r a p h is c h e n E r k e n n t n is N o r d a s ie n s v o n je h e r e in e b e d e u ts a m e R o lle . D e n n u n t e r a lle n K o n t in e n t e n e r r e ic h t A s ie n im M t. E v e r e s t m it 8880 m n ic h t a lle in d ie g r ö ß t e H ö h e ü b e r, so n d e rn im B a ik a ls e e m it — 1060 m d ie tiefste E in sen k u n g unter dem M eeresspiegel ü b e r ­ h a u p t . D ie g e o g r a p h is c h e L a g e d e s S e e s a n e in e m B r e n n p u n k t g e o lo g is c h e r P r o b le m e v o n g a n z A s ie n , z u s a m m e n m it v ie le n k lim a t is c h e n , h y d r o ­ g r a p h is c h e n u n d b io lo g is c h e n E ig e n t ü m lic h k e it e n r e iz t e n d ie F o r s c h e r w e lt im m e r w ie d e r v o n n e u e m . S o is t e s d e n n k e in W u n d e r , d a ß d ie w is s e n s c h a ft ­ lic h e E r fo r s c h u n g d ie s e s t ie f s t e n E in b r u c h s e e s d e r E r d e s c h o n zu B e g in n d e s 18 . J a h r h u n d e r t s ( d u r c h D . G . M

e s s e r s c h m i d t

) e in s e t z t e . S c h o n d ie R e is e n d e r a lt e n A k a d e m ik e r I. G . G

e o r g i

(17 7 2 ) u n d P . S . P

a l l a s

(17 7 2 ) e r g a b e n w e r t v o lle E r ­ g e b n is s e in o r o g r a p h is c h e r u n d fa u n is t is c lie r B e ­ z ie h u n g . I n d e r e r s te n H ä lft e d e s 19 . J a h r h u n d e r t s w u r d e n d a n n ü b e r w ie g e n d g e o lo g is c h e E r g e b n is s e d u r c h E

r m a n n

u n d H

o e f m a n n

e r z ie lt . N a c h 1850 f ö r d e r t e , w ie sc h o n in v ie le n a n d e r e n G e b ie t e n , d ie R u ssisch e Geographische Gesellschaft k r ä f t i g d ie E r fo r s c h u n g d e s S e e s, w o b e i u n t e r a n d e r e n d ie U n te r s u c h u n g e n T

s c h e k a n o w s k i s

d ie G r u n d la g e z u d e m g e o lo g is c h e n B ild e le g te , w e lc h e s T

s c h e r s k i

m e is t e r h a ft a u s b a u t e , so d a ß E

d

. S

u e s s

m it g e n ia le m B l i c k es a ls A u s g a n g s g e b ie t f ü r d ie g e o ­ lo g is c h e E n t s t e h u n g v o n g a n z A s ie n e r k a n n t e u n d d a r s t e llt e . W ic h t ig e n e u e B e it r ä g e b r a c h t e n d ie F o r s c h u n g e n v o n W . A . O

b r u t s c h e w

u n d d ie le t z t e n A r b e it e n v o n M . T

e t j a e w

( 1 9 1 5 u n d 19 2 2 ).

D ie k a rto g ra p h isc h e n D arste llu n g en s e t z t e n ein m it d e r K a r t e P

u s c h k a r e w s

(17 7 3 ) u n d e n d ig e n

m it d er groß en h yd ro g ra p h isch e n E x p e d itio n D

r i s h e n k o s

(1896). D ie b io lo g isch e F o rsc h u n g w u rd e n ach den A rb e ite n v o n P

a l l a s

, D

y b o w s k i

und G

o d l e w s k i

b eson d ers d u rch die d reijäh rig e E x p e d itio n K

o r o t n e w s

(1900— 1902), fern e r d u rch die G rü n d u n g der Ständigen B a ika lk om m ission in P e te rs b u rg (1916) sow ie d ie im Jah re 19 1 7 er- ö ffn e te Universität zu Ir k u tsk in neue B a h n en g e ­ le n k t.

D ie L ite r a tu r ü ber den B a ik a l is t d a h er a u ß e r­

g ew ö h n lich u m fa n g re ich u n d e rreich t, ab geseh en v o n vie len klein eren A u fs ä tze n u n d A rtik e ln , in s­

g e sam t ein e H ö h e v o n w e it ü b er 500 A rb e ite n . A lle diese V e rö ffe n tlic h u n g en sind a b er m eisten s S p eziala rb e iten , die led ig lich fü r ein zeln e F a c h ­ g eb iete u n d m eist in ru ssisch er S p rach e Z u sa m m e n ­ fassu n gen b ieten . So sch rieb en ü b er die G eo lo gie T

s c h e r s k i

, O

b r u t s c h e w

, S

ü e s s

und T

e t j a e w

, ü b er die T o p o g ra p h ie, M o rp h o m etrie und H y d r o ­ g rap h ie F . K . D

r i s h e n k o

in seinem Lotsenbuch1), ü b er das K lim a W

o s n e s s e n s k i

und ü b er d ie T ie r ­ w e lt u n d deren H e rk u n ft beson ders der b e k a n n te L e n in g ra d e r F o rsch e r L . S . B

e r g

2). D a s V erd ie n st, a u f G ru n d d er gesam ten u m fa n g reich en L ite r a tu r b is a u f die n eu este Z e it eine zu sam m en fassen d e D a rs te llu n g des B a ik a l e n tw o rfen zu h ab en , in der a lle p h y sio g eo g ra p h isc h en E in zelersch ein u n g en zu einem geschlossenen G esa m tb ild e v o r tre fflic h v e r ­ k n ü p ft w u rd en , g e b ü h rt D r. H

a n s

J

o h a n s e n

»), x) K . F.

D r i s h e n k o ,

Lotsenbuch und physio- geographische Skizze des Baikalsees. Petersburg 1908.

443 S., K arten, Diagramm e {russisch).

2) L .

S.

B e r g ,

Die Fauna des Baikalsees und ihre H erkunft. Arch. f. H ydrobiol. 4, 479 — 526. 1925.

3) H. J

o h a n s e n ,

Der Baikalsee. Physiographischer

und biogeographisc-her Ü berblick. M itt. d. Geogr. Ges.

T o m sk . A ls jü n g ste V e rö ffe n tlic h u n g g ab k ü rzlich d as Geophysikalische Observatorium zu Irku tsk ein u m fan greich es S a m m elh eft m it zehn w ich tig en h yd ro g ra p h isch en B e iträ g e n der versch ied en sten B a ik a lfo rsch er u n ter d er L e itu n g seines D irek to rs Prof. D r. W . B . S

c h o s t a k o w i t s c h

1) heraus, die die A rb e it vo n H . J

o h a n s e n

h y d ro g ra p h isch w esen t­

lich ergän zen . B eso n d ers a u f die A rb e ite n der vier L e tztg e n a n n te n g rü n d et sich vo rlieg en d e z u ­ sam m en fassen d e S k izze.

D e r B a ik a lse e lie g t u n g e fäh r in d er M itte der

^ o rd a b d a c h u n g des a sia tisch en G eb irgsd reieckes und s tre c k t sich zw isch en 51 “4 3' u n d 55 N sowie 103 °44' und io 9 ° 3 7 / O in sch w ach k o n v e x e m B ogen sic h e la rtig vo n S W n ach N O . Seine a u ß e r­

o rd en tlich e L ä n g e vo n 623 k m L u ftlin ie , b e i 674 km A ch sen län ge, e n tsp ric h t u n g efäh r d er S tre ck e M ünchen— H a m b u rg, w äh ren d seine r e la tiv geringe m ittlere B reite v o n 50 k m (größte B re ite 74 km , kleinste 25 km ) e tw a dem A b sta n d M ü n ch en — - A u g sb u rg gle ich k o m m t. D ie 2200 k m lan g e U fer- hnie u m rah m t 34 140 q km , d . h. eine F lä ch e, die fast h a lb B a y e rn b e d e c k t und die ihn d er O b erflä ch e nach u n ter allen Seen d er E rd e an sieb en te S telle setzt. A b e r d a fü r s te h t er in b e zu g a u f T ie fe m it j 522 m bei ein er m ittleren H ö h e seines S p iegels von 462 m, d. h. — 1060 unter dem M eeresspiegel am allerersten P la tz , m it dem n u r d er 1435 m tiefe la n g a n jik a s e e in O sta frik a , d er e b en falls d em E in ­ bru ch eines E rd k ru ste n stre ifen s sein D asein v e r ­ d a n k t, den W e ttb e w e rb au fn eh m en kan n . D ie m ittlere T iefe b erech n ete H a lb fa ß zu 700 m . In ­ folge dieser u ngeheuren T iefe e n tw ic k e lt d er B a ik a l ab er w ied er ein solches V olu m en, d a ß er in dieser B e zie h u n g a u f der E rd e die zw eite S telle ein ­ nim m t.

D e r B a ik a lse e lieg t zw isch en einer R eih e p a r­

a lleler n o rd ö stlich streich en d er B e rg zü g e im O st­

flü gel des sog. „ A lt e n S ch eitels“ e in g e b ette t. Seine R an d geb irge, das P rim o rski- und B a ik a lg e b irg e im W esten , die S ü d au slä u fer des O stsa ja n im Süd en und d as B argu sin -, U la n -B u rg assi- und C h am ar- D a b a n -G eb irg e im O sten ersteigen eine m ittlere H öhe vo n 2000 m. M eist sind ihre H öh en vo n a u s­

ged eh n ten flach w e llig en A b tra g u n g sflä c h e n ge­

k a p p t, ü ber die erst in 10— 30 k m A b sta n d vo m See k u p p elfö rm ige n a c k te G ipfel, die sog. „ G o ljz y “ oder „ G la tz k ö p fe “ u m m ehrere h u n d e rt M eter h inau sragen.

G eolo gisch d u rch sch n eid et d er B a ik a l fa s t v ö llig die k ry sta llin e n G estein e der ä lte ste n A b lag eru n g en , w ah rsch ein lich vo rk a m b risch en A lte rs. D ie a lt ­ p aläozoisch en M eeresab lageru ngen , die im W esten a u f ersteren d isk o rd a n t au fru h en , sind n u r in gerin gem M aße an d er u n m ittelb a re n U m ra n d u n g des Sees selb st b e te ilig t. Ü b e r le tz te re b reiten sich, München 18, 1 — 202. 1925. 20 T extfig., 28 Tab., 5 Taf., A bb., 3 Karten.

*) Verhandl. d. Magnet, u. Meteorol. O bserva­

toriums zu Irkutsk. Nr. 1: Der Baikal. Irku tsk 1926.

^3 S., viele Tab. (russisch).

H e f t 4. 1 28. x . 19 27 J

ab erm als d isko rd an t, jurassisch e K o n glo m erate u nd S and steine der k o n tin e n ta len A n gara-S erie aus.

A u ß erd em b eteiligen sich k o n tin en ta le T ertiär­

sch ich ten , jü n gere Sü ß w asserab lageru n gen , selbst in H öhen vo n 1200 m ü b er dem M eere, sow ie B a ­ salte am A u fb a u seiner U m geb u n g . D ie A n sich ten ü b er eine d ilu v ia le V ereisu n g des B a ik a lg eb ie tes gehen n och v ö llig ausein an der. G em essen an der h eu tigen geringen N ied ersch lagsm en ge und V e r ­ eisu ng u n d verg lich en m it d em w e ite r w estlich gelegenen K u s n e z k e r A la ta u im R u ssisch en N o rd ­ a lta i w ird sie w ah rsch ein lich kein bed eu tend es A u s ­ m aß erre ich t h ab en .

W . A . O

b r u t s c h e w

(1897) und m it ihm E d . S

u e s s

w ies nach , d a ß gan z O stb a ik a lien d u rch sog.

„ d is ju n k tiv e D islo k a tio n e n “ , d. h. Zerrungsbrüche, in lan ge sch m ale n o rd ö stlich streich en d e G ra b en ­ b rü ch e in eine R eih e m ehr oder w en iger p aralleler H o rste zerle g t w urde, die a u fs ein sch n eid en dste die G e s ta ltu n g des F lu ß n e tz e s b estim m ten . N ach W esten zu s teig e rte sich dieses tek to n isch e P h ä n o ­ m en. D enn zw ei d er b reitesten G räb en , die sp itz- Avinklig an ein an d er stoß en und n u r d u rch den e in ­ g ebroch en en H o rst B a rg u sin — S w a to i N o ß — O lj- chon g e tre n n t w erden , bild en h ier das h eu tig e B a ik a lse eb e ck e n . In n euerer Z e it (1915» 1922) b ra ch te n beson ders die U n tersu ch u n g en vo n M . T

e t j a e w

w esen tlich e G esich tsp u n k te, die die A n sich te n ü b er die E n tste h u n g des Sees in ganz neue B eleuchtung rü ck ten . D en n T

e t j a e w

stellte im N o rd w esten des B a ik a l Seeterrassen und A b ­ lageru n gen b is zu 20 m M ä c h tig k e it in ein er a b so lu ­ ten H ö h e vo n 1280 m fest. W ie im S ü d w esten des Sees, so w ies er a u ch h ier eine kontinuierliche R eiht von Terrassen an d en U ferh än gen und en tsp rech en d e T errassen in den F lu ß tä le rn in versch ied en en H öh en vo n 2 8 m , 20— 25 m , 50 m , 85 m , 215 m und sch ließ lich , w ie gesag t, in 820 m über dem heutigen Seespiegel n ach . D a nun seit d er S ilu r z e it k ein e M eerestransgression sü d lich des 62. B reiten g ra d e s bestan d , so d e u te t T

e t j a e w

dieses P h än o m en in ein leu ch ten d er W eise d u rch eine H ebung des ganzen alten Scheitels, die n och d u rch B a sa ltd e c k e n a u f den B e rg g ip fe ln im S ü d en und S ü d w e ste n des B a ik a l e rh ä rte t w ird . A u f diese allg em ein e H e b u n g re a g ierte der B a ik a l m it ein er ern eu ten tiefe n E in ­ sen k u n g seines B eck en s. A n drei, 8 und 6 k m v o n ­ ein an d er e n tfern ten , p arallelen Verw erfungslinien, die T

e t j a e w

am S ü d w e stu fe r des Sees n ach w ies, san ken z. B . T eile d er G eb irgsu m ran d u n g, w a h r­

sch ein lich im Q u artär, staffelartig in die T iefe , ä h n ­ lich w ie b eim T e le zk e r See im R u ssisch en O sta lta i.

In A n le h n u n g an W . A . O

b r u t s c h e w s

n eu e ster D a rs te llu n g 1) e rg ib t sich so m it fo lgen d es B ild der tek to n isch e n E n ts te h u n g des S ees: A ls See e x i­

stierte d er B a ik a l d u rch Z erru n gsb rü ch e vie lle ic h t schon im Jura, ga n z sich er a b er im T e r tiä r (M io cä n ) n ach den a n g ela g e rten gen au b e stim m te n b ra u n ­ ko h lefü h ren d en S ü ß w a ssera b la g eru n gen am S ü d ­

1) W . A. O

b r u t s c h e w

, Geologie von Sibirien.

Fortschritte der Geologie und Paläontologie, H. 15.

Berlin 1926-.

Fi c k e l e r:

D er B aik a lsee.

8 5

86

Fi c k e l e r:

Der Baikalsee.

(" D ie N a tu r ­ w is se n sc h a fte n

o s tu fe r. A m E n d e des T e rtiä rs (P lio c ä n ) b ild e te d a s G e b ie t d es ,,a lte n S c h e ite ls“ w a h rsch e in lich ein e a u sd ru ck slo se fla c h g e w e llte R u m p fflä c h e , in d e r d er s ta r k a u s g e fü llte u n d seich te See lag.

A m A n fa n g des Q u a rtä rs b egan n d an n ein e a ll­

m ä h lic h e H e b u n g des „ a lt e n S c h e ite ls “ , w o d u rch d ie E ro sio n ern eu t in W ir k s a m k e it t r it t und das T a ln e tz e in g rä b t. In diese Z e it fä llt d er erste tiefe ju n g e E in b ru c h des B a ik a l. D a s E rd ö l und die a u fste ig e n d e n G ase stam m e n w o h l vo n den h ierb ei v e rs e n k te n m io cän en K o h le n s c h ic h te n a m G ru n d e des Sees. D u rc h d as A u fs te ig e n d er frü h e r a n ­ g e leg ten H o rste w ird in a llen T ä le rn T ra n sb a ik a - lien s d er A b flu ß zu la n g en sch m alen Seen g e stau t.

G le ic h z e itig se n k te sich d er N ord en S ib irien s, so d aß d as M eer b is zu m 6 2 .0 n ö rd lich er B re ite v o rd rin g t u n d d ie E is z e it b e g ü n s tig t. B e i ein er sp äteren H e b u n g g e sch ie h t a u ch d er zw e ite jü n gere, eb en ­ fa lls s ta ffe la rtig e , E in b ru c h des B a ik a l, in dessen B e c k e n die Seen T ra n sb a ik a lie n s ab liefen . D iese re la tiv e S e n k u n g des Seesp iegels s e tz t sich, zu u rte ile n n ach d er h e u tig e n U fe rb e sc h a ffe n h e it u n d den oben a n g efü h rten geo lo gisch en A rg u m e n ­ ten , b is in d ie G e g e n w a rt h in ein fo rt.

D ie Großform en d es B a ik a lb e c k e n s sind d u rch d ie o b en sk izzie rte n te k to n isc h e n V o rg ä n g e v ö llig b e stim m t, u n d z w a r is t fü r d ie horizontale K o n fig u ­ ration, den G ru n d riß , die ä lte s te B ru c h b ild u n g m a ß g e b en d , w äh ren d fü r die vertikaleGestaltung, den A u friß , die m it E in b rü c h e n v e rb u n d e n e ju n g e H e b u n g v e ra n tw o rtlic h zu m ach en ist.

A u f G ru n d v o n 230 000 L o tu n g e n e n tw a rf D

r i s h e n k o

ein e T iefenkarte des B a ik a lse es, die, in V e rb in d u n g m it A n g a b e n a n d erer F o rsch er, ein u n g efäh res B ild v o n d er G e s ta lt des S eeb ecken s e n t­

w irft. D e r g rö ß te T eil des Sees lie g t in dem vo m b a ik a lisch en , d. h. n ord o st-sü d w estlich en , S treich en b e h errsch ten O stflü g e l des a lte n S ch eitels u n d fo lg t d a h e r a u c h als lan g er, sch w ac h n a cli S ü d osten k o n v e x e r, sch m a ler G ra b en der N o rd o strich tu n g . N u r d as charakteristische Umbiegen des Sees im S ü d en sch e in t d a ra u f h in zu d eu ten , d a ß d er D is ­ ju n k tiv r iß au s dem b a ik a lisch en S treich en in das d a zu re c h tw in k lig v e rla u fe n d e „ s a ja n is c h e “ S tre i­

ch en des W e s tflü g e ls des a lte n S ch eitels schon ü b e rg eg riffe n h a tte .

D ie F o rm g e b u n g d er K ü ste n reg io n b estim m en drei leiten d e F a k to r e n , die drei d e u tlic h u n te r­

sch eid b are Z onen b e d in g en : 1. D ie H ebung des L a n d e s u n d d as d a m it ve rb u n d e n e re la tiv e Sin ken d es Seesp iegels sch u f die entferntere Uferzone, die h e u te n u r vo n den u m g estalte n d e n K r ä fte n des F estla n d e s b e a rb e ite t w ird , eh em als a b er v o m See b e d e c k t w a r ; 2. D ie E rosion d er ein m ü n d end en F lü s se u n d B äche u n d ih re A u fs c h ü ttu n g e n im See b ed in g en die Strandzone m it dem K lif f, die h eu te n och den W irk u n g e n des W ellen sch la g es und der E issta u u n g en a u sg e se tzt is t; 3. D ie erodieren de W ir k u n g d er B randung und die A b la g e ru n g der Z e r­

s tö ru n g sp ro d u k te sch affen die litorale Zone unter dem Wasser, in d er sich die P ro d u k te des W e llen n ie d e r­

sch la g es u n d die S in k sto ffe der Z u flü sse ab setzen .

In fo lg e d er B r u c h te k to n ik fä llt die G eb irgs- u m ra n d u n g des B a ik a l v ie lfa c h in steilen W ä n d en zu m See ab . D ie S te ilk ü s te is t d u rch w eg s am s tä rk s te n im W e ste n und S ü d en a u sg e p rä g t. F e ls ­ w än d e v o n 100— 200 m H ö h e ra gen h ier n ic h t selten a u s d em See. D ie H ä n g e d er O stk ü ste sind d a geg en im a llgem ein en v ie l lä n g er u n d w en iger a b sch ü ssig. D a h e r lieg en au ch die tie fs te n T eile der S oh le a m W e stra n d . D a die G ra b e n b ru c h ­ b ild u n g sich m eistens gradlinig a u s w ir k t, so is t a u ch im gro ß en u n d g an zen d as B a ik a lg e s ta d e w en ig geg lied ert, so d a ß t ie f e in g esch n itten e B u c h te n fa s t v ö llig feh len.

W ä h ren d den S te ilk ü ste n ü b e rh a u p t kein e oder n u r seh r sch m ale S tra n d zo n en v o rg e la g e rt sind, e n tw ic k e ln die E b e n e n einen b reiten S tra n d , den ü b e ra ll 2— 6 m h oh e Strandw älle, sog. „ K a r g ä “ , b e g leite n als Z eu gen d er gem ein sam en A rb e it vo n W in d u n d E is . A n vie len S telle n z ie h t n och ein z w e ite r ä lte re r S tra n d w a ll in ru n d 20— 25 m H ö h e ü b er d em S eesp ieg el hin . V o n b eid en w erd en Seen u n d M oore a b g esch n ü rt. W en n diese a b gesch lo sse­

nen B u c h te n v o n B ä c h e n d u rch flo ssen w erd en , h eiß en sie ,,S o r “ , w as d em o stp reu ß isch en „ H a f f “ en tsp rich t. Sore, Seen und M oore w u rd en reg io n al vo n allen T eile n des B a ik a ls tra n d e s b esch rieb en , beso n d ers au s den s ch u ttreich e n M ü n d u n gsg e­

b iete n der großen F lü sse. A m rein sten a u s­

g e b ild e t sind sie am N ord en d e, w o die ga n ze F lä c h e des g e w a ltig e n 2000 m h ohen G eb irgsam p h ith ea ters, d as in 30 k m E n tfe rn u n g den See u m säu m t, von dem S u m p fd e lta des O beren A n g ara- und K its c lie ra - F lu sses ein gen om m en w ird . S elb st die lito ra le Z o n e u n te r dem W a sser w ird d u rch B in n en , die d as sch n eller strö m en d e, k ä lte re u n d so m it sp ezi­

fisc h sch w erere u n d m it S ed im en ten belad ene W a s s e r d er Z u flü sse in dem L o c k e rm a te ria l a u f­

w ü h lt, m o d elliert.

W ie ein B lic k a u f die T ie fe n k a rte zeig t, m u ß die geo grap h isch e Gliederung des Seebeckens n ach den h eu tig en T iefen fo rm en erfolgen . D en n h ier lä ß t sich eine k la re Dreigliederung e rk e n n e n : ein n ah ezu o stw e stlic h streich en d es Südbecken m it g rö ß ter M itte ltie fe (M axim altiefe 1400 m), d as d u rch d as au sg ed eh n te D e lta des ein m ü n d end en S elen gä- F lu sses (größte T iefe 531 m) vo n dem grö ß ten , b re itesten und tie fste n M ittelbecken (M a x im altiefe 1522 m) g e tre n n t w ird . In seinem B e re ic h liegen alle b ed eu ten d en In seln und g rö ß eren B u c h te n . L e tz te re s geh t, im N o rd en d u rch die 900 m -Iso - b a th e n u r k ü n stlich b e g re n zt, in das flach ere w an n en fö rm ig e N ordbecken v o n ru nd 700 m M itte l­

tie fe über.

In d er T iefen reg io n h a t sich, w ah rsch ein lich in fo lg e d er stä n d ig ern eu erten E in b rü ch e, a u f d eren F o rts e tz u n g h eu te n och B ru ch b ild u n g en , E rd b eb e n u n d h eiß e Q u ellen hin w eisen , zusam m en m it d er ä u ß e rst lan gsam en S ed im en tatio n , bis je t z t n och keine g leich m äß ige S oh le a u sg e b ild et.

N u r die a llerfein sten T rü b u n g en , die sich la n g e

sch w eb en d erh alten kön nen , gelan gen in diese

T iefen reg io n . P e tro g ra p h iscli s e tz t sich der B o d e n ,

H e ft 4. 1 28. 1. 1927]

Fi c k e l e r:

Der Baikalsee.

^{8 7}

en tsp rech en d dem erw äh n ten U rg e ste in sm a terial der B a ik a lu m g e b u n g , ü b erw iegen d aus Q u a rz ­ teilch en , H o rn b le n d e p a rtik eln u n d M agn eteisen ­ körnch en zu sam m en . D ie o rgan isch en R e ste sind zerse tzt u n d fo rm - und s tru k tu rlo s. In fo lge des u n geheuren R e ic h tu m s des B a ik a lw a sse rs an K ieselalg en , is t d er G e h a lt an D ia to m ee n p a n zer d era rt gro ß , d a ß die B o d e n p ro b e n der fossilen K ieselgu r seh r n ah ek o m m en . So lä ß t sich die im feu chten Z u sta n d e b la u e b is b la u sc h w a rze B o d e n ­ b ed eck u n g des B a ik a lse e s am tre ffe n d ste n als hiatom eenm ineralschlam m c h a ra k te ris ie r e n .

V erg lich en m it d er G rö ß e des Sees is t d ie v o n In seln eingenom m ene F lä c h e v o n rund 800 q k m , also 2 ,4 % , sehr gerin g. D en g rö ß ten T-eil n im m t die b ed eu ten d ste, 73 km la n g e u n d 11 km breite, In sel des Sees, Oljchon, ein. D ie B a ik a lin s e ln w ie H albinseln, die ih rem U r ­ sprung n ach e b en fa lls In seln d arstellten , sind stets an K ü ste n n äh e geb u n d en u n d bilden in gew isser W eise ed iglich a b g esp re n g te T eile des F estlan d es.

' — Oljchon V I

| | P

Profi! V

1

¹

b ei der S ta tio n M a ritu i ge h t h ervo r, d aß der B a ika l viele Gebirgsseen in bezug au} Durchsichtigkeit weit übertrifft. D iese E ig e n tü m lic h k e it s te h t w ah r­

sch ein lich in engem Z u sam m en h an g m it seiner u n gew öh nlich en l i e f e . U n terh a lb der a k tiv e n 200 m m äch tigen O b erflä ch e n sch ich t lie g t eine ge w a ltig e W asserm asse, die an den B e w e g u n g s­

ersch einu ngen des Sees g ä n zlich u n b e te ilig t ist und in der vö llig e R u h e h errsch t.

B eim F eh len jeg lich er m erk b arer S trö m u n gen u n ter der E isd ecke im W in te r oder b ei ru h igem W e tte r im

MS.Jns.iisfirenifsc/inm

D a s Wasser.

Chem isch u n tersc h eid e t sieh das W a sser des B a ik a l nach den A n a ly se n vo n C. S c h m id t (1877) im gro ß en Und gan zen n u r w en ig v o n dem an d erer S ü ß w asserseen . A u ffä llig is t sein r e la tiv ge­

rin ger T o ta lg e h a lt an Mi- u e ra lb esta n d teile n . * D e r ge­

ringe S a u e rsto ffg e h a lt — im offenen See n ach

W e r e s c h - t s c h a g i n

im M itte l e tw a 5»5 ccm pro L ite r — is t w oh l b ed in g t d u rch die A rm u t an p fla n zlich em P la n k to n (s.

w eiter vorn) im o ffen en See.

N ach B e o b a c h tu n g e n der neuen h y d ro b io lo g isch en S ta ­

tion in M a ritu i (Ju n i-S eptem b er 1925) n ah m der Sauerstoffgehalt am 12. Ju n i v o n 12,99 m g pro L ite r an d er O b erflä ch e a u f 10,29 m g in 1000 m T iefe ab , die K ohlensäure d agegen a u f d er gleichen rie fen streck e vo n 3,38 a u f 5,40 m g pro L ite r zu, ebenso w ie die B ica rb o n a te , die fü r die gleiche Z eit u n d S tre ck e v o n 47,92 a u f 48,42 m g pro L ite r sich a n reiclierten . D iese A n g a b e n fü r die T iefen über 600 m sind n ach

G .

J.

W e r e s c h t s c h a g i n

die ersten, die fü r einen S ü ß w assersee der E rd e ü b e r­

h a u p t a n g e ste llt w urden.

D a s Seew asser h a t eine g rü n b lau e b is g rü n ­ grau e Färbung. A u s 237 M essungen im Jah re 1918

Tiefenkarte des Baikalsees aus

Dr i s h e n k o’s

Lotsen- bucli. 1 Zoll = 28,8 W erst (ca. 1:1210 0 0 0 ), redu­

ziert auf 1 :5 M illionen.

10 0 10 kLeuchHurm 1914

100 km.

Som m er sinken die su sp en d ierten P a r tik e l tiefe r

und tiefe r in jen e to te S c h ic h t b is a u f den B o d en

u n d versch w in d en h ie rm it a u s dem K r e is la u f des

Seew assers. A u f diese W eise is t die T rü b u n g eine

ä u ß e rst gerin ge, die n och d u rch die B e e in trä c h ­

tig u n g des organ isch en L eb en s d u rch die tiefen

W a sserte m p eratu ren und so m it V erh in d eru n g vo n

re ich lich erer B ild u n g vo n w assertrü b en d em P la n k ­

to n erh ö h t w ird . So ste ig e rt sich die D u rc h sic h tig ­

k e it h ä u fig bis a u f 40 m. Ih re G rö ß e z e ig t a b er einen

jährlichen Gang m it einem M in im u m im A u g u st

(im M ittel io m) und einem M a x im u m im Dezember

(M ittel 25 m), d as d an n bis zu m M ärz fä llt und

88

^Fi c k e l e r:

Der Baikalsee.

I" D ie N a tu r ­ w is se n sc h a fte n

w e iterh in bis zu m H a u p tm a x im u m im J u n i (M ittel 26 m) w ied er a n steig t. A llg em ein g ilt, d a ß die D u rc h sic h tig k e it u m so g rö ß er ist, je w en ig er die T e m p e ra tu r sich m it d er versch ied en en T ie fe der W a sse rsc h ic h t ä n d e rt, d. h. je h o m o g en er sie th e r­

m isch ist. D ie H o m o th erm ie e rre ic h t a b er gerad e im Dezember u n d J u n i ih ren H ö h e p u n k t, d a hier, w ie w ir w eiter oben sehen w erd en , der Tem peratur­

ausgleich bei 4 ° C u n d größter D ic h te s ta ttfin d e t.

N a c h dem V o rk o m m en leb e n d er A lg e n (D iatom een) in 80 m d rin g t die L ic h tw ir k u n g jed e n fa lls noch b is in solche T iefe n .

D ie T herm ik des W a ssers w ird sow oh l d u rch die geographische Lage, b z w . das ü b er dem E in zu g s ­ g e b ie t h errsch en d e K lim a , als au ch d u rch die enorme T ie fe b e stim m t; ja die B eckenform ist ausschlag­

gebend fü r den ganzen W ärm ehaushalt des Sees.

D e n n d ie u n geh eu ren T iefe n stellen ein K ä lte - b zw . W ä rm e re se rv o ir dar, das m it den a tm o ­ sp h ärisch en th erm isch en E in flü ssen an d er O b e r­

flä ch e erfo lgreich en K a m p f fü h rt. D u rc h den W e ch se l d er Jah reszeiten d ringen die W irk u n g e n d er W ä rm e stra h lu n g im S om m er und d er A u s ­ stra h lu n g im W in te r n u r in T iefe n b is h ö ch sten s 250 m , d er sog. Oberschicht, ein, u n terh a lb w elch er in d er T iefen schicht die T e m p e ra tu r b is zum B o d e n m it 3,2-— 4 0 C, b ei g rö ß te r D ic h te , an n äh ern d k o n s ta n t b leib t. B em erk en s w erterw eise e n tsp ric h t d ie B aikaltem peratur in 800 m m it 3 , 4 ° C genau der Tem peratur im P a cifisch en Ozean in gleicher geo­

graphischer B reite u n d T iefe, w äh ren d die T e m p e ­ ra tu r in 1441 m T iefe u n ge fäh r m it d erjen igen im A tla n tis c h e n O zean ü b erein stim m t.

In n erh a lb d er Oberschicht lä ß t sich w ied e r eine typische D reischichtung u n tersc h eid e n : 1. E in e o b erste oder K onvektionsschicht b is e tw a 5 m T iefe , in d er sich die tägliche P erio d e d er L u f t ­ te m p e ra tu r m it A m p litu d e n b is zu 1 6 0 C w id e r­

sp ie g e lt; 2. D ie m ittlere o d er Oefällschicht, 5— 15 m , m it T e m p e ra tu ra m p litu d e n b is zu 8° C, die b is zu r u n teren G ren ze in te n siv erer D u rc h ­ s tra h lu n g re ic h t u n d sich im S om m er d u rch p e r­

m a n e n te T em p e ra tu ra b n a h m e au szeich n et. In den B u c h te n u n d d er N äh e des U fe rs erw ä rm t sich d as W a sser im S om m er stä rk e r u n d b ild e t in 8 bis 10 m T ie fe im J u li eine Sprungschicht aus. U n te r d er G efä llsc h ic h t fo lg t 3. die untere Sch ich t (15 bis 250 m ), in d er sich d ie T e m p e ra tu r n u r la n g sa m und re g e lm ä ß ig ve rä n d ert, en tsp rech en d d er jä hr­

lichen P erio d e d er A tm o sp h ä re . M it d er T iefe n im m t die jä h rlich e A m p litu d e v o n 8° C ab, b e ­ t r ä g t b ei 100 m T ie fe 2 ,6 ° C und b e i 250 m n u r n o ch e tw a 0 ,4° C.

D ie Z u flü sse ü ben ein en ü b erw ieg en d lo k a len th erm isch en E in flu ß aus, u n d z w a r im H e rb s t und W in te r einen a b k ü h len d en , im F rü h ja h r und S o m m er einen erw ärm en d en .

Im jährlichen Temperaturgang d a u e rt die d irek te S c h ic h tu n g vo n J u li bis N o vem b er, die u m g ek eh rte vo n D e ze m b e r b is Ju n i, w esh a lb d er B a ik a l zum T y p u s d er tiefen gem äßigten Seen g eh ö rt. D e r T e m p e ra tu ra u sg le ic h b e i g rö ß te r D ic h te v o n 4 0 C

fin d e t d a h er zw eim al s t a t t : E n d e J u n i und A n fa n g Dezember. D ie n ied rigsten T em p e ra tu re n in allen T iefen tre te n a u f im Jan u ar, die h ö ch sten im A u g u st, in d er u n teren S c h ic h t im O k to b er. D ie A b k ü h lu n g gesch ieh t sch n eller (4 M onate) als seine d u rch die E isd ec k e b e h in d erte E rw ä rm u n g (7 M on ate). V erglich en m it allen and eren Seen der E rd e w eist d er B a ik a l in fo lg e d er g ro ß en k lim a ti­

schen K o n tin e n ta litä t seines E in zu g sg e b ie tes und seiner u n gew ö h n lich en w ärm esp eich ern d en T iefe m it 84 000 Calorien die höchste W ärm ebilanz — das is t die w äh ren d eines Jah res v o n ein em See au fgen om m en e und w ied e r ab geg eb en e W ä rm e ­ m enge — a u f.

B eso n d eres In teresse b ean sp ru ch en a u ch die n eu erd in gs d u rch W . B . S

c h o s t a k o w i t s c h

fe s t­

gestellten Therm ischen Seiches, die beson d ers im Som m er u n d H e rb s t b e i A u sb ild u n g v o n T em p e­

ratursprüngen sich au sb ild en . D ie W asserm asse te ilt sich d an n w ah rsch e in lich in zw ei S ch ich ten : in eine obere warme u n d w en iger d ich te u n d eine untere kalte u n d d ich te . D a n n en tsteh en an der G ren ze d er T e m p e ra tu rsp rü n g e b ei s ta rk en W in d en od er gro ß en L u ftd ru c k d iffe re n z e n ü b er ve rsc h ie ­ denen T eile n des Sees seh r lan g sam e S c h w in ­ gu n g en m it seh r gro ß en A m p litu d en v o n m eh r als 200 m . Ih re D a u e r s c h w a n k t zw isch en 35 und 5 T ag en .

D e r See frie rt e n d g ü ltig zu im N o rd te il A n fa n g Ja n u a r, im Sü d - und M ittelb e ck e n M itte J an u a r und g e h t w ied er a u f .im Süd - u n d M it t e lt e il: M itte M a i und im N o rd te il E n d e M ai. In fo lg e d er k r ä ft i­

gen S tü rm e und des gro ß en F lä c h e n a re a ls w u rd e am B a ik a l n och n iem als ein ein h eitlich es und p lö tzlich e s Z u frieren des g an zen Sees, d as m an eig en tlich b a ld n a ch dem T em p e ra tu ra u sg le ich A n fa n g D e ze m b e r e rw a rte n so llte, b e o b a c h te t.

D ieses u n ru h ige G efrieren sch ie b t d ah er die B ild u n g ein er geschlossen en tra g fä h ig e n E isd e c k e um a n d e rth a lb M o n ate h in au s u n d * b e w irk t a u ß e rd e m re c h t in te re ssa n te E isbildungen, die eine e in ­ geh endere C h a ra k te risie ru n g verd ien en . A n fla c h e ­ ren U fe rn s e tz t sich an dem ra sch er a b k ü h len d en F e s tla n d sch on im O k to b e r u n d N o ve m b e r E is an.

D ie H e rb ststü rm e fegen ab er im m er w ied e r neue W a sserw ellen d arü b er, die dieses U fereis, d as die R u ssen S o k u i nennen, v e rd ick en u n d ih m ein w ellen a rtig es A u sseh en verleih en . N a sser Sch nee u n d a u fgew o rfen e S ch ollen erhöhen d ie W irk u n g , so d a ß sch ließ lich ganze W älle, die b is zu 4 m h o ch w erd en k ön nen u n d m a n ch m al te rra sse n a rtig die flach en U fe r um säum en, sich im m er w e ite r in den See vo rsch ieb en . G en au die gleich e E rsc h e in u n g z e ig t aus d em selben G ru n d e z. B . a u c h d er Telezker See im R u ssisch en O sta lta i, d er in fo lge d er h e ftig e n S tü rm e, die d ie sich bild en d e E isd e c k e im m er w ie ­ d er zertrü m m ern und in S ch ollen ans U fe r treib en , in 7 Jah ren h öch sten s ein m al zu frie rt. D a sselb e is t v o n vielen Salzseen Zentralasien s1), in so n d erh eit v o n den Seen des s tu rm g ep e itsc h te n tib e tisc h e n

1 ) P . F i c k e l e r ,

Die winterlichen Eisbildungen in

Zentralasien.

P e t e r m a n n s

Geogr. M itt.

1 9 2 6 , 2 4 7

— 53.