14 . 1.1927 d i e
NATURWISSENSCHAFTE
HERAUSGEGEBEN VON
ARNOLD B E R L IN E R
UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON HANS SPEMANN IN FREIBURG I. BR.
ORGAN D ER G ESELLSCH AFT DEUTSCHER NATURFORSCH ER UND Ä R Z T E
U N D
ORGAN D ER K A ISER W ILH ELM -G ESELLSCH AFT Z U R FÖRDERUNG D ER W ISSENSCHAFTEN V E R L A G V O N J U L I U S S P R I N G E R I N B E R L I N W 9
HEFT 2 (SEITE 33— 56) I 4 . J A N U A R 1927 FÜNFZEHNTER JAHRGANG
I N H A L T : Das Problem der Geschlechtsbestim m ung bei
Bonellia. Zusammenfassende Darstellung und Versuch einer neuen Deutung. Von J. Se i l e r,
München. (Mit 5 Figuren) ...33 Frankreich und die E cole Polytechnique in den
ersten J ahrzehnten des neunzehnten J ahrhunderts.
Von Fe l i x Kl e i n, Göttingen. (Schluß) . . . . 43
Zu s c h r i f t e n :
Über den auf die Teilchen in den K om eten
schweifen ausgeübten Strahlungsdruck. Von W . Ba a d e, z. Zt. Mount W ilson O bservatory,
u n d W . Pa u l i j r . , H a m b u r g ... 4 9
Uber reversible Hemmung von Gärungsvorgängen
durch Stickoxyd . Von Ot t o Wa r b u r g,
B e rlin -D a h le m ... 51
Be s p r e c h u n g e n :
Wa l s h, Jo h n W . T . , Photom etry. (R ef.: E.
Brodhun, B e r l i n ) ... 51
Th o r o d d s e n, Th., Die Geschichte der Islän
dischen Vulkane. (R e f.: E. Tam s, Hamburg) 52
Se i d l i t z, Wi l f r i e d v o n, Entstehen und V er
gehen der Alpen. (R ef.: M ax Bodenstein, B e r l i n ) ... . . . 5 3 Mi t t e i l u n g e n a u s v e r s c h i e d e n e n Ge b i e t e n:
Schweißen m it atom arem W asserstoff. G esam t
zahl der bislang ausgeführten Drahtlotungen im Meere. Norwegische Polarlichtforschung. . . . 54
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DciS S tr a h lu n g s k lim a vo n AlTOSa. Von Dr. F. W. Paul Götz. Lichtklimatisches Observatorium Arosa.
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II D I E N A T U R W I S S E N S C H A F T E N . 1927. H eft 2. 14. J an u ar 1927.
D I E N A T U R W I S S E N S C H A F T E N
erscheinen wöchentlich und können im In- und Auslande durch jede Sortim entsbuchhandlung, jede P ostanstalt oder den Unterzeichneten V erlag be
zogen werden. Preis vierteljährlich für das In- und Ausland RM 9.— . Hierzu tritt bei direkter Zustellung durch den V erlag das Porto bzw. beim Bezüge durch die Post die postalische Bestellgebühr. Einzelheft RM 1.— zuzüglich Porto.
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S o e b e n e r s c h i e n :
Physiologische
Theorie der Vererbung
Von
Professor Dr. R i c h a r d G o l d s c h m i d t
2. Direktor des Kaiser W ilhelm-Instituts für Biologie in Berlin-Dahlem
*
M it 59 Abbildungen. VI, 247 Seiten. RM 15.—, gebunden RM 16.50
A u s d e m I n h a l t : E i n l e i t u n g
I. A l l g e m e i n e E n t w i c k l u n g d e r T h e o r i e . 1. Die allgemeinen Voraussetzungen.
2. Faktorenlehre und Vererbungstheorie. 3. Möglichkeiten der Analyse. 4. Die Vererbung des Geschlechts als Ausgangspunkt. 5. Übertragung auf die Theorie der Vererbung.
II. E i n z e l a u s f ü h r u n g . 1. Die Quantität der Gene am Ausgangspunkt. 2. Die abge
stimmten Reaktionsgeschwindigkeiten. A. Allgemeine Entwicklungsphysiolögie im Rahmen der Theorie. B. Die D eterm inationspunkte. C. Das Zeichnungsmuster des Schmetterlingsflügels.
D . Ergänzendes zum Problem des M usters. E. Weiteres Material für die abgestimmten Reaktions
geschwindigkeiten. F. Regeneration und Ganzheit. 3. Formbildende Stoffe und Hormone.
DIE NATURWISSENSCHAFTEN
F ü n fze h n ter J ah rg an g 14. J an u ar 1927 H eft 2
Das Problem der Geschlechtsbestimmung bei Bonellia.
Z u sam m en fassen d e D a rs te llu n g u n d V e rsu c h ein er n eu en D e u tu n g 1).
V o n J. Se i l e r, M ün chen .
(Aus dem Zoologischen In stitu t der Universität.) , D a s G esch lech tsb estim m u n g sp rob lem an B o n e i-
lia, d as Ba l t z e r in B e a rb e itu n g h a t, is t in ein so in teressan tes S ta d iu m g etreten , d a ß es an d er Z e it ist, die B lic k e d a ra u f zu ric h ten . E in e in allen T eilen w oh l b egrü n d ete u n d a n e rk an n te L ö su n g des B o n elliap rob lem es, d as a u ß e ro rd en tlich sch w ie
rig ist, lie g t zw ar, u m das v o rw e g zu nehm en, noch n ich t vo r, w oh l a b er ein reich es T a tsa ch e n m a teria l und zw ei L ösu n g sv ersu ch e — d er eine s ta m m t von
Ba l t z e r selb st, d er and ere vo n Go l d s c h m i d t — ,
die ich sk izzieren m ö ch te u n d denen ich einen d ritte n D e u tu n g sv e rsu c h zu fü gen m u ß . D a zu ist die K e n n tn is des gesam ten T a tsa c h e n m a te ria ls n otw en d ig.
I. D as B onelliaproblem .
D as W e ib ch e n v o n B o n e llia v irid is, ein W u rm mit p fla u m e n g ro ß e m R u m p f u n d bis m eterlan gem R üssel, b e h erb erg t in seinem U te ru s das kleine, nur w en ige M illim eter große, sch m a ro tzen d e M än n chen, d as a u f dem L a rv e n s ta d iu m schon ge
sch lech tsreif w ird , also k ein e M etam o rp h o se d u rch d a ch t. D ieser a u ß erg ew ö h n lich e G esch le ch ts
dim orph ism u s is t schon an sich in te re ssa n t gen u g ; noch m erk w ü rd ig er a b er is t die A r t d er ersten E n t w icklu n g. A u s den b e fru ch te ten E iern sch lü p fen
^ d iffe re n te , T ro ch o p h o ra äh n lich e L a rv e n , die zw ei ege der E n tw ic k lu n g ein sch lagen kö n n en :
n tw ed er: sie setzen sich an den R ü ssel eines h ie ^ Senen W eib ch en s ih rer A r t an, p arasitieren w äh ren d e tw a dreier T a g e (,,festsitzen d es dfe^ S^ SCh eS R ü sse lsta d iu m “ ), beginn en w äh ren d r] er m än n lich e E n tw ic k lu n g , w erden u n d ^ .Wie<^er b ew eglich , kriech en am R ü ssel hin ferti en z*eren sich nun in w en igen T a g en zu nach^en ^ an n ch en aus. G le ic h ze itig w an d ern sie P k „ 1 einem vo rü b erg eh en d en A u fe n th a lt in der j y n x gegend in den U te ru s ih rer W irtin hinein,
5ü j W n d e m A u fe n th a lt.
in den^P/'kkv rsPf üngliche Aufgabe war es, über die zeirhni— hcazioni 1925 (vergl. Nr. 4 des Lit.-Ver-
wichtige A rbeit zu refe- ver- r i e r ^ 1SSD a B^rschienene
öffentlichte (o L^.Zkr inzwischen neue Ergebnisse führen, und zud^ 6*nen wesentlichen Schritt weiter Stellung seiner Auff** Goldsch m idt eine neue Dar- mung bei Bonellia über die Geschlechtsbestim-
gebnissen, die mir K o l l e ^ B ^ 11 exPeri“ entellen E t' hcher Diskn^ir.™ ,, -k § b a l t z e r im Laufe mund- brieflffcheAnfra + 1 §anzen K om plex oder auf Gebrauchen T •mi-t der Erm ächtigung, davon regungen und T-r 6 1 1 Ich bin ihm dafür, wie für viele An-
8 und Hinweise, zu großem D ank verpflichtet.
Nw. 1927
O d er: die L a r v e n leben versch ied en lan g e Z e it frei u n d in d ifferen t, sinken dann zu B o d en und w erden w eib lich , w as schon m it der L u p e an d er V e r grö ß eru n g des V o rd e ra b sch n itts des L arve n k ö rp ers zu m R ü sselch en u n d an d er B ild u n g einer g e rä u m igen L eib esh öh le und d a m it verb u n d en er B lä h u n g des R u m p fe s zu erkenn en ist [vgl. S. 360 (5)].
D a m it is t d as H a u p tp ro b lem , das zu lösen ist, in seinen U m rissen schon geze ich n et: W arum ent
stehen bei R üsselparasitism us nu r M ännchen? ohne P a ra sitism u s n u r Weibchen (oder doch in der H a u p tsa ch e n u r W eib ch en , w ie w ir sp äter hören w erden) ?
II. D as In tersexualitätsproblem und seine en t
w icklu n gsm ech an isch e Lösung.
B e i seinen E x p e rim e n te n zu r L ö su n g des H a u p tp ro b lem s s tö ß t Ba l t z e r a u f ein w eiteres P ro b lem , a u f d as d er In te rs e x u a litä t. W ird n ä m lich die P erio d e des P a rasitism u s k ü n stlic h v e r k ü rz t, so e n tsteh en Z w isch en fo rm en zw ischen M änn ch en u n d W eib ch en , sog. In tersex e, die je n ach d er D a u e r des P a rasitism u s b a ld n äh er dem m än n lich en , b a ld n äh er dem w eib lich en T y p u s stehen.
D ie O rg a n isa tio n eines n orm alen W eib ch en s z e ig t F ig . 1; sie g ib t d as B ild eines eben m eta- m orp h osierten T ieres in V e n tra la n sic h t. V o rn der n och k u rze R ü ssel, an seinem U rsp ru n g die beid en fü r d as w eib lich e G esch le ch t ty p isc h e n B o rsten u nd die M u n d ö ffn u n g m it V o rd e rd a rm ; term in a l d er E n d d a rm und A fte r ; lin k s und re ch ts d avo n die A n a lb lasen , die die E x k re tio n so rg a n e d er e r
w ach sen en T iere d a rstellen . D ie e m b ryo n a len N ieren , die P ro to - und M etan ep h rid ien w erd en a u f diesem S ta d iu m rü c k g eb ild e t. T y p is c h fü r das W eib ch en is t fern er ein g eräu m ig es C ölom . D a s M ännchen (Fig. 2) b e h ä lt die la rv a le n E x k r e tio n s organ e, e n tb eh rt d er A n a lb lase n , ebenso d er B o r sten, des V o rd e r- und E n d d arm es und des R ü ssels.
D a s C ölom , in dem die G esch le ch tsp ro d u k te flo ttie re n , is t eng. E in T ric h te r fü h rt dieselb en in den S a m en sch lau ch , einem ty p is c h m än n lich en O rgan , d er aus den V o rd e rd a rm a n la g en der in d ifferen ten L a r v e h e rv o rg e h t. Z w ei T y p e n vo n In- tersex en geben nun die F ig . 3 und 4. F ig . 3 s te llt ein in tersexes B o n e llia tie r m it s ta r k w eib lich em E in sc h la g d a r (an m än n lich en C h arak te re n sind vo rh a n d e n : die S p erm a to zo en in d er L eib esh öh le, kein ty p is c h e r V o rd erd arm ). F ig . 4 g ib t eine In te r- sex u a litä ts s tu fe m ittleren G rad es (m ännliche C h a ra k te re : feh len d er R ü ssel, s t a t t V o rd e rd a rm S a m e n
34 S e i l e r : D as Problem der G esclilechtsbestim m ung bei Bonellia. [ D ie N a tu r
w issenschaften
Fig. i. Junges aus dem E i gezüchtetes Weibchen, kurz nach der Metamorphose (etwas schematisiert). Vergr.
ca. 70/1. abl — Analblasen, b — Borsten, bm = B auch
mark, coe = Coelom, d = Mitteldarm, mn — Meta- nephridien, mrg = mittleres Rüsselgefäß, oe = Oeso
phagus, ov = Ovar, pn = Protonephridien, srg = seit
liches Rüsselgefäß, vg = ventrales Blutgefäß.
N ach dem lebenden und dem konservierten O bjekt kom biniert. B altzer, 1914. S. 3.
A n a lb la se n a n g e le g t w erd en . U n terb re ch e n w ir den P a ra sitism u s v o rze itig , so w ird die E n tw ic k lu n g in w eib lich e R ic h tu n g u m g estim m t und d a in einem gegeb en en M om en t die versch ied en en O r
gan e a u f versch ied en er H ö h e d er D ifferen zie ru n g
sich b efin d en , so is t k la r, „ d a ß , je w e ite r d ie S p e zialisieru n g v o rg e sc h ritte n ist, u m so g erin ger die M ö g lich k eit d er U m d ifferen zieru n g v o n m än n lich er in w eib lich e R ic h tu n g sein w ird . D e sh a lb w ird b e i ein er m ä n n lich sich d ifferen zieren d en L a r v e d er E in flu ß des F reileb en s die versch ied en en Organe in einem verschieden weit vorgeschrittenen S ta d iu m m ännlicher D ifferenzierung treffen. U nd gerade
Fig. 2. Männchen, aus dem E i gezüchtet, nach M eta
morphose, geschlechtsreif (etwas schematisiert). Vergr.
ca. 80/1.
bm = Bauchm ark, coe = Coelom, d = Darm, mn = Metanephridien, pn — Protonephridien, sa = Sam en
schlauch, satr = Trichter des Samenschlauchs, «p1-«p3
= Stadien der Spermatogenese. N ach dem lebenden O bjekt gezeichnet. Baltzer, 1914. S. 5.
darauf wäre zurückzuführen, daß im gleichen T ie r das eine Organ m ännlich wird, das andere aber w eiblich" (S. 37, 1914).
D a m it w a r die E rk lä r u n g d er In te r s e x u a litä t, w en igsten s so w e it sie ein rein e n tw ic k lu n g s m ech anisch es P ro b lem b e d e u te t, gegeb en . E s ist sch la u ch , S p erm a to zo en u s w .; w eib lich e C h a ra k
te r e : B o rste n , E n d d arm ).
B a l t z e r erk a n n te nun, d a ß bei den B o n ellia - in te rse x e n w eib lich e u n d m än n lich e M erkm ale n ich t w ah llo s ge m isch t sind. ,,S o sind, w en n ein O eso p h a
gu s e n tw ic k e lt ist, im m er au ch B o rsten u n d A n a l
b la sen v o rh a n d e n ; w en n B o rste n e n tw ic k e lt sind, kö n n en A n a lb la se n vo rh a n d e n sein o d er fe h le n ; B o rste n a b er sind im m er d a, w en n A n a lb lase n a n g e leg t w u rd e n “ (S. 37, 19 14 ). D a s m u ß , so sch loß
Ba l t z e r, d arin b e g rü n d e t sein, d a ß n orm alerw eise zu erst d er O eso p h agu s, s p ä te r die B o rste n u n d erst z u le tz t, jed o ch seh r b a ld n ach den B o rsten , die
Heft 2. 1
14. 1. 1927J Se il e r: D as Problem der G eschlechtsbestim m ung bei Bonellia. 35
b e k an n t, d a ß sp ä ter Go l d s c h m i d t an den L y m a n - tria -In terse x en zu genau d er gleich en F o rm u lieru n g k a m (19 17).
III. M orphologisch en tw icklu n gsgesch ich tlich e D eu tu n g des B o nellia-M änn ch ens.
D ie W irk u n g des R ü sselp a ra sitism u s is t v o n zw eierlei A r t : er b e w irk t m än n lich e D ifferen zie ru n g einerseits, and ererseits h a t er ein S teh en b leib en des sich en tw ickeln d en T ieres a u f ein er ju gen d lich en
w ickelt. Vergr. ca. 70/1.
abl = Analblasen, b = Borsten, bin — Bauchm ark,
= Mitteldarm, oe = Oesophagus, ov = Ovar, schl = ..Schlauch", sp = Spermienbündel. B altzer, 1914.
S. 20.
E n tw ic k lu n g sstu fe zu r F o lg e. „ D a r a u s e rg ib t sich o ine w eiteres die V erm u tu n g , es m ö ch te ein K a u s a l
zu sam m en h an g b esteh en in dem Sinn, d a ß N eo- ten iein d u k tio n , d a ß E n tw ic k lu n g sh em m u n g die m ännliche D ifferen zie ru n g au slöst. V ie lle ic h t k ö n
nen u m g ek eh rt au ch m än n lich g esch lech tsb estim m ende F a k to re n ein S teh en b leib en a u f neotenischer S tu fe in d u ziere n " [S. 253(4)]. E s g ilt also die W ir k u n g des R ü sselp a ra sitism u s zu an alysieren und die F ra g e zu erled igen, w ie ü b e rh au p t die m änn lich e O rga n isa tio n zu d eu ten sei. S ch on Sp e n g e l h a tte die V e rm u tu n g au sgesp roch en , d a ß die O rg a n isa tio n des B o n elliam än n clien s als ein Z u rü ck b leib en a u f der S tu fe einer L a r v e zu d eu ten sei. Ba l t z e r
e rb rin g t nun den B ew eis d afü r. W ir rep rod u zieren seine tab e llarisch e Z u sam m en stellu n g d er E r g e b nisse [siehe T a b . 1, en tsp rich t B a l t z e r s T a b . 1, S. 88 (3)], aus d er ohne w eiteres h e rv o rge h t, „ d a ß
Fig. 4. Zw itter mittleren Grades. Zucht, Vergrößerung und Figurenbezeichnung wie bei Fig. 3.
Außerdem : sa = Samenschlauch, mn = Metanephri- dien, a = After, x — x bezeichnet die ursprüngliche Stelle des hinteren Wimperkranzes. B altzer, 1914.
S. 22.
d as B o n elliam än n c lien in d er T a t eine ge sch le ch ts
re if gew ord en e m ittlere S tu fe d er E ch iu rid en en t- w ic k lu n g d a rste llt. Sie m a g d em en tsprech en d als n eoten isch b e ze ich n et w erden , a u ch w en n sie, w ie au s der T a b e lle h e rv o rge h t, n ich t v ö llig den Z u sta n d der in d ifferen ten L a r v e , sondern einer e tw as s p ä teren E n tw ic k lu n g sstu fe en tsp rich t . . . N u r ein O rgan , d er S am en sch lau ch , der sich au s den
3*
3 6 S e i l e r : D as Problem d er G eschlechtsbestim m ung bei Bonellia. r Die Natur- [wissenschaften V o rd e rd a rm a n la g en d er L a r v e e n tw ic k e lt, s te llt
ein sp ezifisch m än n lich w eiter e n tw ic k elte s O rgan d a r “ [S. 246 (4)]. In ein er schönen e n tw ic k lu n g s
g esch ich tlich en S tu d ie d er A rb e it (4) w ird d asB ew eis- m at^ rial zur H om ologisieru n g des S a m en sch lau ch es m it dem V o rd erd arm des W eib ch en s g e b ra ch t.
W ir haben demnach bei B o n ellia eine a u f das m ännliche Geschlecht beschränkte N eotenie.
IV. A n alyse des R üsselparasitism us.
1. N ehm en die Larven aus dem R ü ssel Stoffe a u f ? D ie T a tsa ch e , d a ß fre i a u fw a ch sen d e L a r v e n zu W eib ch en w erd en , p arasitieren d e a b er zu M änn chen, m a c h t es v o n v o rn e herein w ah rsch ein lich , d a ß die 'p a ra sitie re n d e n L a r v e n au s d em R ü ssel S to ffe a u f nehm en. U n tersu ch u n g en an S c h n itten
w en n w ir E x tr a k te a u f L a r v e n ein w irk en lassen.
D iesen W e g b e sc h ritt B . E r p rü fte v o re rs t die W irk u n g des E x tr a k te s vo n B o n elliarü sselg ew eb e, vo n R u m p fg ew eb e , vo m H a u tm u sk e lsch la u ch der D a rm w a n d u n d des U te ru s a u f T iere der v e r sch ied en sten sy ste m atisch e n G ru p p en und a u f B o n elliam än n ch en . D a b ei zeigte es sich, d a ß der U te ru s u n d H a u tm u sk e lsch la u ch (nach E n tfe rn u n g der E p id erm is!) u n sch äd lich sind, w äh ren d die üb rigen G ew eb e S to ffe e n th a lten , die a u f alle V e r su ch stiere, au ch a u f das B o n elliam än n ch en , sc h ä d igen d oder tö d lich w irk en , je n ach d er K o n ze n tra tio n des E x tra k te s .
B eson d eres In teresse verd ien en die V ersu ch e m it K a u lq u a p p e n , an die R ü sselgew eb e v e r fü tte r t w u rd e. E s w äre d e n k b a r gew esen, d a ß die au f- Tabelle 1.
L a rv e M ännchen W eibchen
L arve Länge ca. 1 mm Länge 1 — 2 mm. E rw achsen: R um pf bis 7 c m ; R ü s
sel bis 1 m.
Ganze Oberfläche bewimpert.
Zwei W im perkränze.
W ie Larve.
Werden rückgebildet.
Bewim perung am R um pf rückge
bildet.
Werden rückgebildet.
K opflappen ca. x/3 mm. Verkürzt. Zu Rüssel verlängert.
Z entralnervensystem : Bauchm ark und Schlundring.
Schlundring verengt. Keine Sei
tennerven.
Schlundring erweitert. Bauchm ark mit typ. Seitennerven.
Darm = entodermaler B lindsack m it D otter.
Vorderdarm anlagen.
B leib t larval.
Zu Sam enschlauch w eiter ent
w ickelt.
Darm ist langes, durchgehendes Rohr m it Mund und After.
Zu typischem Vorderdarm weiter entwickelt.
Mesoderm ohne Coelom. Enges Coelom. Geräumiges Coelom.
E xkretion ssystem : Protonephri- dien.
Protonephridien durch Meta- nephridien ersetzt. Keine A nal
blasen.
Zuerst Metanephridien. Diese durch Analblasen ersetzt.
Borsten noch nicht entwickelt. Borsten fehlen (bei Bon. viridis). Zwei typische Echiuridenborsten.
u n d am leb en d en O b je k t zeig ten allerd in g s, d a ß ersten s keine V erb in d u n g der L a r v e m it d er U n te r
la ge d urch b eson dere O rgan e b e ste h t, und zw eiten s die E p id erm is sow oh l der L a r v e w ie des R ü ssels in ta k t b le ib t. T ro tzd e m is t d e n k b ar, d a ß zw isch en den e n g an ein a n d er lieg en d en E p ith elie n S to ffe in g elö ster F o rm ü b e rtre ten kö n n ten . E in en W a h r
sch e in lich k eitsb e w e is d a fü r k o n n te B . schon 1914 d u rch V ita lfä r b u n g erb rin gen . E r fä rb te R ü sse l
s tü c k e (die a b g esch n itten lan g e leb en d ig b leib en !) m it M e th y le n b la u u n d es zeig te sich, d a ß die sich a n h eften d en L a rv e n an der, d er R ü sselseite a n liegen d en B a u c h se ite n ach k u rzer Z e it M e th y le n b la u en th a lten . D e r V ersu ch z e ig t m it S ich erh eit, d a ß d er Ü b e r tr itt v o n S u b sta n zen au s dem R ü ssel m ö g lich ist, u n d die A n n ah m e, d a ß die L a r v e n n o rm alerw eise au s d em R ü ssel ta ts ä c h lic h S to ffe b ezieh en , e rh ä lt eine reale U n terlag e.
2. W ie w irken die R ü sselstoffe?
V o ra u sg e se tz t, d a ß sie im W asser löslich sind, erh ielten w ir die k la rste A n tw o r t a u f unsere F ra g e ,
gen om m en en S to ffe (ähnlich w ie b ei T h y m u s- oder T h y re o id e a fü tte ru n g !) als In k r e t w irk en und e n t
sp rech en d der T h y m u s w irk u n g die M etam orp h ose verh in d ern , D ie E rw a rtu n g e n h a b en sich n ich t e rfü llt. Z w a r w ir k t R ü sselgew eb e a u ch h ier g iftig u n d eine E n tw ic k lu n g sv e rzö g e ru n g t r it t ein. Sie h a t a b er ihre U rsach e w ohl darin , d a ß die L a rv e n n ic h t m eh r a u f ih r n orm ales F u t t e r rea g ierten , d as sie ab w ech seln d m it R ü sselfleisch erh ielten .
L eb en d ig es, in ta k te s R ü sselgew eb e w ir k t nun a u f erw ach sen e B o n elliam än n c h en n ic h t g iftig . D e sh a lb e rh eb t sich die F ra ge , ob die gefu n d en e G iftw irk u n g ta ts ä c h lic h in Z u sam m en h an g ste h t m it der E n tw ic k lu n g sh em m u n g der an den R ü ssel sich an setzen d en L a rv e n . B . g la u b t, d a ß zu gu n sten dieses Z u sam m en h an ges einige b e strick en d e P a rallelen b e s te h e n : E in m a l b eginn en die in d ifferen ten L a r v e n ihre m än n lich e D ifferen zie ru n g u n d w ird die E n tw ick lu n g sh em m u n g m a n ife st erst n ach F e s t setzu n g an dem R ü ssel. D a n n m üssen w ir, ,,d a die p arasitisch e L a r v e vo n a u ß en kein e N a h ru n g a u f
n im m t, erw arten , d a ß die H em m u n g ssto ffe d u rch
Heit 2. ] S e i l e r : D as Problem der .G eschlechtsbestim m ung bei B onellia,
1 4 . 1 . 19 27 J
die K ö rp e r w an d ins In n ere der L a r v e ein treten können. D ie B o n e llia g iftsto ffe erfü llen diese F o rd e ru n g “ [S. 18 (2)] (nach V ersu ch en m it dem erw ach sen en M änn chen z. B .). W e ite r h ö rten w ir, d a ß d er U teru s, der A u fe n th a lts o rt des erw ach senen M änn chens, g iftfre i ist u n d die G iftsto ffe gerad e d a lo k a lisie rt sind, w o die L a r v e p a ra sitiert (R ü ssel- u n d R u m p fep id erm is. D a s B . fu ligin osa- M ännchen p a ra sitie rt am R u m p f!)!
B e i den g esch ild erten E x p e rim e n te n b e w irk ten d ie G ifts to ffe des R ü sselgew eb es schon in gerin ger K o n ze n tra tio n sta rk e S ch äd ig u n g. ,,E s is t sehr w oh l d en k b ar, d a ß diese S u b sta n zen , in n och ge
rin gerer K o n ze n tra tio n w irken d , die p arasitieren d e L a r v e n ic h t a b tö te n , sondern led ig lich ih re E n t w ick lu n g h em m en u n d d a m it m än n lich e D iffe re n zieru n g au slösen “ [S. 92 (3)].
D a s entsch eid en d e E x p e rim e n t en d lich m u ß te d ie A u fz u c h t in d iffe re n te r L a r v e n in R ü ss e le x tra k t sein. D a s R e s u lta t is t ein d e u tig : D u rch R ü ssel
extrakt wird eine normale m ännliche D ifferenzierung eingeleitet. „ D ie W irk u n g is t z w a r n ic h t so rasch w ie am leben den R ü ssel, sondern b ra u c h t w oh l m in d esten s die d o p p elte Z eit. Sie g eh t a u ch n ic h t so w eit, w ie d iejen ige des leb en d en R ü ssels. A b e r der w ässerige E x t r a k t au s ge tro ck n e te m R ü sse l
g ew eb e ve rä n d e rt in der T a t in d ifferen te L a rv e n in sp ezifisch m än n lich er R ic h tu n g . — D a m it is t v o r allem der d irek te B ew eis gegeben, d a ß w en ig sten s die erste H ä lfte der m än n lich en D iffe re n zieru n g au ch am leb en d en R ü ssel d u rch S u b sta n zen seines G ew ebes — und z w a r d u rch w asserlöslich e S u b sta n zen — h e rv o rg e ru fe n w ird " S. 366 (5).
R ü ss e le x tra k t in stärk erer D osis tö te t die in d if
feren ten L a r v e n ab. M u s k e le x tra k t h a t keine W irk u n g .
3. Geschlechtsbestimmungsex'perimente.
d) A lle n Larven wird Gelegenheit zum P a r a sitis
m u s geboten. A u s dem G elege eines W eib ch en s A w erden P o rtio n en vo n je 100 E iern g e m a ch t u n d a lte W eib ch e n zu gegeb en . Ü b e r d as S ch ick sal einer K u ltu r liegen genaue Z ah len v o r : A u s xoo E iern sch lü p fen 88 L a rv e n , 70 L a r v e n setzen sich an den R ü ssel an u n d w erd en alle zu M än n ch en ; 3 setzen sich n ic h t an u n d b leib en in d iffe re n t; 15 T iere gehen w äh ren d des V ersu ch es verlo ren . D a die L a r v e n im A n se tzen seh r la u n isch sind, is t a n zunehm en, d a ß a u ch die 3 in d ifferen ten sich a n g e se tz t h ä tte n , w enn ihnen ein passendes W eib ch en ge oten w ord en w äre. — E in a n alo ges E rg eb n is ia te eine P a ra lle lz u c h t und Z u ch ten aus dem E i- ma, eria eines anderen W eib ch en s. D a ra u s e rg ib t sich der S c h lu ß : ,,D ie Larven von B o n ellia viridis entw ickeln sich alle zu M ännchen, wenn ihnen ge
nügend Gelegenheit zu der fü r die M änn chen not
wendigen 'parasitischen E ntw icklung gegeben w ird"
[S. 12 (1)]. D o ch ist m it der M ö glich k eit zu rechnen, d a ß u n ter den V erlu sttie re n W eib ch e n w aren .
W en n v o n „ L a u n e “ im A n se tzen die R e d e w ar, so is t d as keine üble N ach red e fü r die T iere sondern b e d eu te t nur, d a ß h ier eine u n b ek an n te G rö ß e ist
d ie d er E x p e rim e n ta to r zu a n a lysieren h a t. E s w ü rd e d esh alb n ic h t v e rb lü ffe n , w en n R ü sse lex p eri
m ente au ch W eib ch en lieferten . T a ts ä c h lic h erh ielt B . 1925 (briefliche M itteilu n g) vo n 108 L a rv e n , die vo n einem W eib ch en „ X “ stam m en , b ei A u fz u c h t in k lein er G lasdose m it R ü sse lstü c k en m ehrerer a lte r W e ib ch e n : 30 W eib ch en , 1 sch w ach in te r
sexu elles W eib ch en , 1 In tersex (?) u n d 76 M änn chen. R e s u lta te d er E x tra k te x p e r im e n te , v o n denen w ir n och b e rich te n w erd en (vgl. K a p . V ) sprechen jed o ch , w ie die E x p e rim e n te , v o n denen oben die R ed e w a r [S. 12 (1)] d afü r, d a ß b e i gü n stigen V ersu ch sb ed in g u n gen u n ter W ir k u n g der R ü sse l
sto ffe säm tlich e, od er d o ch fa s t säm tlich e T iere v e rm ä n n lic h t w erd en . D o ch is t a u ch im A u g e zu b eh alten , d a ß d ie W e ib ch e n g e n o ty p isc h v e r schieden sein k ö n n te n u n d w ir d esh alb versch ied en e R e s u lta te erh a lten (vgl. K a p .V ).
V o n gro ß er W ic h tig k e it fü r d ie D e u tu n g der gesam ten E rgeb n isse is t die T a tsa c h e , d a ß u n m itte l
b a r n a ch d em A n se tzen ein E n tw ic k lu n g sim p u ls zu k o n sta tieren is t; die L a r v e n m ach en eine gan ze R eih e vo n V erä n d e ru n g en d u rch in d er R ic h tu n g der m än n lich en D ifferen zieru n g .
b) D ie Larven werden frei aufgezogen. D a s E im a te ria l zu diesen V ersu ch e n sta m m t zum T eil w ied er v o m W eib ch e n A . H u n d e rt L a r v e n in G lassch alen ohne a lte W e ib ch e n a u fgezo gen , liefe rten 78 W e ib ch e n , 7 In tersex e, 6 M ä n n chen ; 2 L a r v e n b lieb en in d iffe re n t, 2 starb en a b u n d 5 gin gen ve rlo ren [S. 13 (1)]. G leich es lieferte eine P a r a lle lz u c h t a u s d em selben E i m a te ria l u n d V ersu ch e m it E im a te ria l eines a n d eren W eib ch en s. D ie S te r b lic h k e it w a r e tw as gerin ger b ei einem Z u c h tv e rsu c h a u f S c h la m m bo d en . V o n 98 L a r v e n v o m W e ib ch e n A w u rd en 91 zu W eib ch en , 2 zu M änn ch en, 1 b lieb in d iffe re n t u n d 4 gin gen ve rlo ren [S. 13 — 14 (1)]. S ieb en w eitere K u ltu r e n , alle au s einem L a ic h stam m en d , ergab en 4 17 W eib ch en , 11 In te rse x e u n d 24 M ä n n chen [S. 260 (4)]. E in P a ra lle lv e rs u c h zu dem R ü sse lex p erim en t m it L a r v e n des W eib ch en s X lieferte (nach b rie flich er M itteilu n g) 96 W eib ch en ,
1 in d ifferen tes W eib ch en , 7 in d iffe re n te m än n lich e oder in te rse xu elle T iere u n d 1 in d ifferen tes T ier.
Zusam m enfassend läßt sich also sagen, daß aus Larven, die keine Gelegenheit zum P a ra sitism u s haben, vorwiegend W eibchen hervorgehen.
V e rg le ic h t m an die E rg eb n isse der einzelnen E x p e rim e n te , so fä llt d er w ech seln d e P ro ze n ts a tz an M änn ch en a u f. D a s a b w eich en d ste R e s u lta t erga b (briefliche M itteilu n g) die Z u c h t D h vo m Jah re 1925, n ä m lich : 236 W eib ch en , 2 in d ifferen te W eib ch en , 2 In tersex e, 7 in d ifferen te M ännchen, 48 M änn chen (!) u n d 2 in d iffe re n te T iere, w ob ei beson d ers h e rv o rzu h e b en ist, d a ß 13 vo n diesen 48 M änn ch en einen groß en S am en sch lau ch h a tte n , gan z g e fü llt m it S p erm a, also d u rch au s den t y p i
schen R ü sselm än n ch en glich en .
D iese F eststellu n g e n b ed ü rfen ab er n och einer w ich tig e n E rg ä n z u n g : N eb en dem A u ftr e te n v e r e in zelter In tersex en u n d M ännchen zeig te es sich.
3 8 S e i l e r : D as P roblem d e r G eschlechtsbestim m ung bei B onellia. r Die N atur
wissenschaften
„ d a ß a u ch d ie M eh rza h l d er W eib ch en d a rin n och eine T e n d e n z zu m ä n n lich e r E n tw ic k lu n g b esitzen , d a ß sie in d e r ersten P h ase ih rer E n tw ic k lu n g S p erm ien b ild e n . . . D a b e i b esitzen in a llen K u l tu re n . . . die z u erst sich en tw ic k eln d e n W e ib ch e n m e ist k ein e S p erm ien , w äh ren d die s p ä te r sich e n tw ic k eln d e n fa s t alle S p erm a to zo en b ü n d el e n t
h a lte n “ [S. 14 (1)]. W ie d er fä llt a u f, d a ß a u ch in diesem P u n k te die R e s u lta te d er versch ied e n e n E x p e rim e n te versch ied en w aren . In den V e r su ch en vo n 1925 fan d B . (b rieflich e M itteilu n g) k ein e S p erm a w eib ch en .
F ern e r is t c h a ra k te ristisc h , d a ß die In tersex en u n d d ie rein en M än n ch en z u le tz t a u ftre te n . Ih r E rsch ein en f ä llt zu sam m en m it d em A u ftr e te n v o n V e rk ü m m eru n g szu stä n d en , d ie d a d u rch b e d in g t sind, d a ß d ie L a r v e n w äh ren d d er lan g en In d iffe re n z z e it ih r D o tte rm a te ria l a u f g e ze h rt h ab en . A u s diesen T a ts a c h e n s c h lie ß t B . : „ A lt e indifferente Larven haben also eine stärkere Tendenz zu m änn
licher E ntw icklu ng als ju ng e indifferente Larven“
[S. 263 (4)]. W ir w erd en gleich sehen, d a ß diese F o lg e ru n g n ic h t zw in gen d is t u n d d ie T a tsa c h e n eine an d ere In te rp re ta tio n erh a lten kön nen , w ie B . in d er A r b e it (5) zeigte.
c) D ie Larven werden vorzeitig vom R ü ssel losge
löst. D a d u rc h e n tsteh en , w ie schon gesag t, I n te r - sexe. B e i k u rz e m P a ra sitism u s v o n n u r w en igen S tu n d en e rh a lten w ir n och vo rw ie g e n d W eib ch en , d a n eb en In te rs e x e versch ied en en G ra d es; d a u e rt er lä n g er, so e n tsteh e n In te rse x e u n d M änn ch en u n d lassen w ir d ie L a r v e n en d lich m in d esten s 2 T a g e a m R ü ssel, so erh a lten w ir n u r n och M ännchen.
A lle Larven erhalten, gleich wie bei rein m änn
licher E ntw icklu ng, durch den P a ra sitism u s einen Entw icklu ngsim p uls, auch diejenigen, die nu r wenige S tu n d en parasitieren u n d zu W eibchen wer
d e n ; solch e T iere sind in fo lg ed essen im V e rg le ic h m it T ie re n rein er W e ib c h e n zu c h te n gleich en A lte rs in d er E n tw ic k lu n g vo ra u s. W ir w erd en sehen, d a ß d ieser T a ts a c h e eine gro ß e th eo retisch e B e d e u tu n g beizu m essen ist.
A u c h b e i diesen In te rse x u a litä tse x p e rim e n te n s te llte es sich h erau s, d a ß d as R e s u lta t eines V e r su ch es a b h ä n g ig is t v o m A lte r d er b e n ü tzten in d ifferen ten L a r v e n . J u n g e in d iffe re n te L a r v e n ergeb en z. B . in ein em V ersu c h m it 38 L a r v e n b e i 1/2— x T a g P a ra sitism u s n u r 7 rein e M änn chen, w äh ren d 2-— 3 W o ch en a lte in d iffe re n te L a rv e n n ach gleich la n g em P a ra sitism u s n u r M ännchen, od er h ö ch sten s n och s ta r k m än n lich e In tersex e erg a b en . E in an d erer V ersu ch m it 5— 7 T a g e a lte n L a r v e n u n d 7— 18 S t. P a ra sitism u s liefe rte in te r
m ed iäre In te rse x e u n d s ta r k w eib lich e In tersex e n eb en ty p is c h e n W eib ch en , w äh ren d ä lte re L a r v e n v o n 1 1 — 21 T a g en b e i u n g e fäh r gleich lan g em P a ra sitism u s (24 St.) in d er M eh rzah l rein e M än n ch en lieferten , d an eb en in term ed iäre oder s ta r k m än n lich e In tersex e. D a s führt wieder zu dem früher schon gezogenen S ch lu ß , daß die alten indifferenten Larven stärkere m ännliche Tendenz haben, als die jungen. A b e r a u ch h ier w ied er ist d er H in w eis a u f
die M ö g lic h k e it ein er and eren In te rp re ta tio n (vgl.
K a p . V ) n otw en d ig .
V . Sind genetische F ak to re n m it im Spiele bei der G eschlechtsbestim m ung.
E in e R e ih e v o n exp erim en telle n T a ts a c h e n h a tte den V e r d a c h t a u fste ig e n lassen , d a ß n eben d er gesch lech tsb estim m en d en W ir k u n g d er R ü sse l
sto ffe gen etisch e F a k to r e n m it eine R o lle spielen kö n n te n . D ie E x tr a k tv e r s u c h e v o r allem b e s tä r k te n B . in d iesem V e rd a c h t. — E s fie l a u c h a u f,
„ d a ß zah lreich e in d iffe re n te L a r v e n seh r ra sch n ach dem A u ssch w ärm en , sozu sagen , u n b eirrt' d ie w eib lich e D iffe re n z ie ru n g b egin n en , a u c h w en n zah lreich e R ü sse l a lte r W e ib ch e n in ih rer n äch sten U m g e b u n g ,zu h a b en ' w ä re n “ [S. 372 (5) u n d S. 2 77 (4)]. D a ra u s w ä re zu fo lgern , d a ß schon u n te r den in d iffe re n te n L a r v e n ein gew isser P r o z e n ts a tz d e r T iere w eib lich d e te rm in ie rt ist. O b a u ch gen etisch m ä n n lich , o d er ü b erw ieg en d m ä n n lich d ifferen zierte T iere vo rh a n d e n sind, is t w en ig e r le ic h t e r
sich tlich . V ie lle ic h t w eist d ie T a ts a c h e in d iese R ic h tu n g , d a ß b ei R ü sse lve rsu ch en die Z u c h t
re s u lta te seh r u n ein h e itlic h sind , a u c h in den F ä lle n , in w elch en d as b e n ü tz te E im a te ria l a u s ein em G elege s ta m m te u n d d as A lte r d er in d iffe re n te n L a r v e n u n d die D a u e r des P a ra sitism u s gleich w aren . S eh r a u ffä llig sind fern er d ie versch ied en en Z u c h tre su lta te , d ie e rz ie lt w u rd en , au sgeh en d v o n ju n g e n in d iffe re n te n o d er von. a lte n in d iffe re n te n L a r v e n . „ W e n n . . . d as G esch le ch t — ab g eseh en vo m m ä n n lich b estim m en d en P a ra sitism u s — in gew issem G rad e a u ch sch on e rb lich b e stim m t ist, so k ö n n te m an d a ra n d en ken , d a ß sich im V e r la u f d er Z u c h t zu erst d ie g e n o ty p isc h w eib lich en T ie r e w e ite r e n tw ic k e ln und m etam o rp h o sieren , w äh ren d die g e n o ty p isc h m än n lich eren T iere lä n g er in d iffe re n t b leib en u n d e rst z u le tz t u n d oh n e V e r w a n d lu n g zu n eo ten isch en M änn ch en w erd en . S o käm e im L a u f der Z u ch t eine A u slese der m ännlicheren T iere zustande, u n d darin könnte die stärkere m änn
liche Tendenz u n d auch der stärkere m ännliche E i n schlag der gealterten Zuchten begründet sein. — H ier sin d neue E xperim ente notwendiq“ TS. ^7^ (s)l
(vom R e f. gesperrt).
D ie R e s u lta te d er E x tr a k tz u c h te n , die a u s n ah elieg en d en G rü n d en am d u rch sich tig ste n sin d , erh eb en den V e rd a c h t, d a ß g en etisch e F a k to r e n im S p iele sind, fa s t zu r S ich erh eit. W ä re n a lle L a r v e n sex u e lle N e u tra , so w äre zu erw arten , d a ß die W ir k u n g des E x tr a k te s b e i gleich em A u sg a n g s
m a te ria l und gleich er Z e itd a u e r d er E in w irk u n g a u f alle T iere g leich sein m ü ß te . D a s ist a b er in W ir k lic h k e it n ic h t d er F a ll. V o n 50 L a rv e n z. B ., die v o n d er n äm lich en M u tter stam m te n u n d im g le i
chen E x tr a k tw a s s e r au fg ezo g en w u rd en , e rh ie lt B . 32 M änn chen, 7 sch w ach in te rse x e M än n ch en , 3 in term ed iä re In tersex e, 5 s ta r k w eib lich e In te r sex e u n d 5 ü b erw iegen d w eib lich e T iere. D iesem R e s u lta t w id ersp rich t ab er leid er ein D a r m e x tr a k t
ve rsu ch . H ie r w a r die W irk u n g a u f alle T iere gleich ; v o n 90 L a r v e n w u rd en alle in an n äh ren d gleichem .
H eft 2. 1 14. 1. 1927]
S e i l e r : D as Problem der G eschlechtsbestim m ung bei Bonellia. 39
M aße ve rm än n lich t [vgl. S. 369 (5)]. A u f b rieflich e A n fra g e n ach der H e rk u n ft des E im a te ria les zu diesem V ersu ch , e rh ielt ich v o n B . eingehend ere M itteilu n gen . V o re rst ste h t n ach den P r o to k o ll
a u fn ah m en fest, d a ß die V ersu ch sb ed in g u n gen ein w an d frei sin d ; v o r allem is t sicher, d a ß , falls ü b e rh au p t gen etisch e W eib ch en vo rh a n d en sind, diese u n ter den V ersu ch stie ren vo rh a n d en sein m u ß ten , also n ic h t e tw a schon v o r d em B egin n d es V ersu ch es elim in iert w aren . A u s dem selben E im a te ria l h a tte B . nun, g le ich zeitig m it dem D a rm e x tra k tv e rs u c h n och 3 P a ra lle lk u ltu re n in R ü ss e le x tra k t e in g erich tet. D ie P ro to k o lla u fn a h m e d a rü b e r la u te t: „ D ie E x t r a k t e 1 : 1500— 2500 h a b en ge w irk t, ab er ersten s n ic h t m a x im a l, es w u rd e n u r eine m ittle re od er sch w ach e V e rm ä n n lich u n g e rre ic h t; zw eiten s, die T iere verhalten sich verschieden. E in e A n za h l wurde vermännlicht, andere wurden zu W eibchen.“ D a m it sind w ir g leich sam au s d er K le m m e : also a u ch h ier w a r d as Z u c h tre su lta t n ic h t ein h eitlich , w as w ir b e i A n w esen h eit gen etisch er G esch le ch tsfak to ren zu e r
w arte n h ab en . W a ru m D a rm e x tra k t and ers w irk t als R ü ss e le x tra k t, is t eine F ra g e fü r sich u n d b e d a rf w eiterer A n a ly se .
F a ssen wir zusammen, so scheint es nach den m it
geteilten Tatsachen fast sicher, daß w ir bei B onellia m it der Anw esenheit genetischer Geschlechtsfaktoren zu rechnen haben u n d dam it wäre die divergente E ntw icklung gleich behandelter Larven im R ü ssel- oder Rüsselextrakt- oder im Intersexualitätsexperi
ment erklärt.
Ü b e r die N a tu r dieser gen etisch en F a k to r e n lassen sich v o re rst n och keine k o n k reten V o r stellu n gen m ach en. B . d e u te t an, d a ß m ö g lich er
w eise in seiner P o p u la tio n versch ied en e G esch le ch ts
g en o ty p en sich vo rfan d en .
V I. B altzers E rk lä ru n g der G eschlechts
b estim m ung bei B onellia.
B e i der D a rste llu n g des B e o b a ch tu n g sm a teria le s bin ich so v ie l w ie m ö glich den BALTZERSchen G ed an k gän gen d ir e k t g e fo lg t u n d d er L eser w ird m it m ir den E in d ru c k h ab en , d a ß die A u fk lä ru n g s a rb e it m it seltener B e h a rrlic h k e it S c h ritt fü r S c h ritt vo ra n g e h t. Sie is t ab er n och lan ge n ich t a b gesch lossen; vie lle ic h t is t h e u te e rst ein F u n d a m en t gelegt. Ba l t z e r le g t sich in folged essen bei seinen E rk lä ru n g sv e rsu c h en R e serv e a u f u n d sp rich t n u r vo n D e u tu n g sm ö glich k eiten . Ic h sk izziere n atü rlich diejen ige, die d em n eu esten S ta n d e d er A rb e it en tsp rich t, und der B . den V o rz u g g ib t
F r a 2p h t ~ 2?° (4) Und S’ 372 374 (5)3- Ihr geht a m von der Tatsache der N eotenie der B onelliam ännchen und nim m t an, daß die R ü ssel
substanz a u f die B onellialarven als H em m ungs
substanz wirkt, sie neotenisch macht u n d dadurch m ännliche D ifferenzierung hervorruft. V ielleicht sin d ursprünglich die m eisten Larven genetisch weiblich determiniert. W irkt die Hem m ungssubstanz nicht, so erhalten wir vorwiegend W eibchen ; wirkt sie zu kurze Z eit, so reicht der Im p u ls zur fertigen A u s
differenzierung in rein m ännlicher Richtung n ic h t;
von einem bestimmten M om ent an erfolgt eine Um stim m ung und eine Weiterentwicklung in weiblicher Richtung', es entstehen Intersexe. D ie späten M ännchen der Glaszuchten entstünden, vrie die Rüsselm ännchen, durch Entw icklungshem m ung, die in diesem F a ll durch Hungerdegeneration hervor
gerufen wird. V ielleicht aber sin d außer genetischen W eiblichkeitsfaktoren und den m ännchenbestim m en
den R üsselstoffen auch genetische M ä n n lich k eits
faktoren vorhanden, die m it den R ü sselstoffen Z u samm enwirken. Weiter hat es den A n schein , als ob in der benützten P o p u la tio n verschiedene Geschlechts
genotypen vorhanden wären. (In Zusam m enhang m it der GoLDSCHMiDTSchen D eu tu n g kommen wir auf diesen P u n k t zurück.) D ie anscheinend zunehmende m ännliche Tendenz alternder Zuchten wäre darauf zurückzuführen, daß im L a u fe der Z u cht eine A u s lese der m ännlicheren T iere zustande kommt. A u f die Frage endlich, warum die Entw icklungshem m ung m ännliche D ifferenzierung zur Folge habe, antwortet B . m it einer Resignation: hier liegt ein phylogene
tisches Problem , das einer direkten experim entellen A n a ly se nicht zugänglich ist [vgl. S. 247— 248 (4) und S . 374 (5)].
U n b e q u em lie g t dieser In te r p re ta tio n n ach B . n u r die T a tsa c h e , d a ß die m än n lich e O rg a n isa tio n im V e rg le ic h zu r w eib lich en z w a r g rö ß ten teils als H em m u n g sfo rm a u fg e fa ß t w erd en m u ß , d a ß ab er d er S a m en sch la u ch gegen ü b er dem V o rd e rd arm des W e ib ch e n s eine W e ite rb ild u n g b e d eu te t.
V II. G oldschm idts D eutun g.
G . g e h t b e i d er In te r p re ta tio n d er B o n ellia- ta ts a c h e n v o n sein er allg em ein en T h e o rie d er G e sch le ch tsb estim m u n g aus, d eren G ru n d la g e n ich ins G ed ä ch tn is zu rü ck ru fe [vgl. S. 92— 92 (6)]:
Jedes b e fru c h te te E i b e sitz t n orm alerw eise b e id er
lei G esch lech tsan lagen . D iese G esch le ch tsfa k to ren m ögen E n zy m e od er K ö rp e r v o n ä h n lich em p h y - sik a lisch -ch em isch em C h a ra k te r sein. Jedes d ieser E n zy m e , d as d er m än n lich en w ie d as d er w eib lich en D ifferen zie ru n g , is t n o tw en d ig fü r die A u slö su n g ein er R e a k tio n , deren P r o d u k te die sp ezifisch en H o rm o n e d er g esch lech tlich en D ifferen zie ru n g sind.
N u n is t die Q u a n titä t d er b eid en E n z y m e ein fe s t
g eleg ter E rb c h a r a k te r u n d d er M ech anism u s der G esch le ch tsve re rb u n g so rg t d a fü r, d a ß die b e id e r
lei G esch le ch tsen zy m e so d o siert ü b e rtra g e n w e r
den, d a ß im N o rm a lfa ll en tw ed e r d ie m än n lich en E n z y m e ü b erw ieg en o d er d ie w eib lich en . D ie P r o d u k tio n d er H o rm o n e der m än n lich en D ifferen zieru n g e ilt so m it b ei d er ersten K o m b in a tio n v o r aus, die E n tw ic k lu n g w ird m än n lich . U m g ek eh rt im zw e ite n F a ll.
D a ra u s fo lg t, d a ß d as E n tsch eid e n d e d ie R e la tio n zw isch en den b eid en G esch lech tsen zym en und die Ü b e re in stim m u n g ih rer R e a k tio n sg e sc h w in d ig k e it m it den zeitlich en V erh ä ltn issen d er E n t w ic k lu n g ist. G esch w in d ig k e it d er m än n lich -d eter- m in ieren den R e a k tio n , G esch w in d igk e it der w e ib lic h d eterm in ieren d en R e a k tio n u n d allg em ein e